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Archiv "Interview mit Dr. med. Thomas Thomsen, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums Neubrandenburg: „Dann gibt es eben keinen Bonus“" (04.10.2013)

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A 1840 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 40

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4. Oktober 2013 Aktuell wird viel über das Verhältnis

zwischen Ökonomie und Medizin dis- kutiert. Inwiefern bestimmen ökonomi- schen Zwänge heute den Arbeitsalltag im Krankenhaus?

Dieses aber nur, wenn es medizinisch vertretbar ist. Das ist so etwas, was immer im Hinterkopf steckt.

Und wenn ein Patient die obere Grenz- verweildauer überschritten hat, wird er entlassen!

Thomsen: Nicht zwingend. Wenn ein Patient weiterhin ein gesund- heitliches Problem hat oder auch gebrechlich ist und wir ihn deshalb länger hierbehalten wollen, dann ist das so in Ordnung – und das ver - suche ich den Mitarbeitern auch täglich nahezubringen. Deshalb mache ich meine Chefvisiten sehr ausführlich; einerseits natürlich, um den jungen Kollegen die Techniken zu vermitteln, aber eben auch, um ihnen meine Philosophie zu vermit- teln. Man muss das Ganze auch ein- mal anders betrachten: Das DRG- System ist doch nichts anderes als der Spiegel der Wirklichkeit, mit der wir es zu tun haben.

Wie meinen Sie das?

Thomsen: Die Daten, die da ver- wendet werden, sind doch nicht im luftleeren Raum entstanden.

Das heißt, Sie betrachten die Daten als eine Art Benchmark?

Thomsen: Ja, genau. Unser Com- puterprogramm zeigt uns die unte- re, die mittlere und die obere Grenzverweildauer des Patienten an. Da gibt es Farbkodierungen: rot, gelb, grün. Orange bedeutet, man ist aus dem Korridor, es gab also ei- ne Liegezeitüberschreitung. Dann stellt sich die Frage: Was ist da denn eigentlich los? Haben wir zu langsam gearbeitet? Oder haben wir vielleicht vergessen, wichtige Dia - gnosen einzugeben?

Und dann?

INTERVIEW

mit Dr. med. Thomas Thomsen, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums Neubrandenburg

Thomsen: Die DRGs sind ein ganz wichtiger Teil unseres Alltags. Wir sind täglich damit konfrontiert, wir müssen täglich unsere Kodierungen abliefern, wir müssen täglich alle Prozeduren dokumentieren. Und der Fallpauschalenkatalog diktiert uns natürlich die Behandlungsdauer der Patienten. Wir sind ja unmittelbar ökonomisch daran gebunden. Wenn wir zu lange Liegezeiten haben, schaffen wir unsere Budgets nicht.

So einfach ist es. Also müssen wir das irgendwie hinbekommen.

Das heißt, wenn Sie einen Patienten das erste Mal sehen, haben Sie direkt eine Kombination aus Buchstaben und Ziffern vor Augen?

Thomsen: Nein, die DRGs sind nicht das Primäre, was mich be- wegt, wenn ich einen Patienten be- treue. Aber ich habe es immer im Hinterkopf und überlege mir:

Macht das, was ich jetzt da mache, Sinn? Oder können wir einen ande- ren Weg finden, um ein Problem, das man entdeckt, zu bearbeiten?

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Thomsen: Der Klassiker ist, der Pa- tient kommt wegen einer akuten Er- krankung, und wir stellen fünf Ge- sundheitsstörungen fest. Jetzt gibt es die Möglichkeit, die Behandlung in einen Krankenhausaufenthalt zu pressen, dann kommt der Patient überhaupt nicht mehr zum Nachden- ken. Oder man überlegt, ob man ei- nen Teil der Behandlung nicht auch der ambulanten Versorgung überlässt.

„Dann gibt es eben keinen Bonus“

Ein Gespräch darüber, wie man aus den Zwängen des DRG-Systems das Beste macht und sich dabei als Arzt nicht verbiegen lässt

Foto: privat

Thomas Thomsen, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I des Dietrich-Bon- hoeffer-Klinikums Neubrandenburg

Thomsen: Dann gucken wir uns den Patienten noch einmal genau an. Gibt es vielleicht Begleiter- krankungen, die erklären, warum er immer noch hier ist und warum uns der Computer entsprechend alarmiert? Und dann wird auch ein Schuh daraus: Wir beschäftigen uns intensiver mit dem Patienten.

Dann ist dieses Modell eine Art Richtschnur.

Das ist eine sehr pragmatische und positive Herangehensweise.

Thomsen: Ich versuche den Leuten immer klarzumachen, dass das DRG-System nichts grundsätzlich Schlechtes ist, sondern ein Hilfs- mittel für uns sein kann. Wir müs- sen halt einfach versuchen, dieses Modell an unsere Wirklichkeit zu adaptieren, das Nützliche herauszu- ziehen und das, was uns belastet, möglichst zu ignorieren.

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 40

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4. Oktober 2013 A 1841 In dem Moment, in dem ich das

DRG-System negiere, indem ich es ablehne, mache ich Fehler, weil ich bestimmte wichtige Sachverhalte vielleicht gar nicht mehr wahrneh- me, weil ich mich damit nicht aus - einandersetze. Der Computer, der mich fragt, ob der Patient nicht mor- gen nach Hause solle, ist für mich eine Art Gedankenstütze und eine Motivation, über diesen Menschen noch einmal intensiv nachzudenken.

Sobald das Programm eine Abwei- chung von der Norm meldet, nehmen Sie das als Anlass, sich den Patienten noch einmal genauer anzusehen?

Thomsen: Genau. Dann habe ich doch irgendetwas nicht beachtet.

Oder der Patient ist kränker als zu- nächst gedacht . . .

Thomsen: . . . und vor allem krän- ker, als es in das System eingegeben worden ist. Angenommen, ein Pa- tient hat in Wirklichkeit eine Pan- kreatitis, als Aufnahmediagnose ist aber nur ein akuter Bauchschmerz vermerkt. Beim akuten Bauch- schmerz gibt der Computer nach sechs Tagen ein Signal, weil die obe- re Grenzverweildauer erreicht ist.

Tatsächlich ist die Pankreatitis ja die Ursache der Beschwerden und ge- hört auch so verschlüsselt.

Hat der Fallpauschalenkatalog neben der Behandlungsdauer Einfluss auf die Indikation?

Thomsen: Ich habe gehört, dass es so etwas gibt, das möchte ich für unsere Klinik aber ausschließen.

Wie empfinden Sie denn die Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Kran- kenversicherung (MDK)?

Thomsen: Ich sage mal so: Ich würde mir mehr Präsenz des MDK vor Ort sowie mehr Know-how und Akzeptanz in der gegenseitigen Diskussion wünschen. Wir müssen mehr aufeinander zugehen. Mit ein- zelnen Kollegen haben wir eine sehr gute Diskussionsebene, aber eben nicht mit allen. Das kann man besser machen. Da gibt es zu viele unnötige Abwehrreaktionen.

Es kommt vor, dass wir Prozedu- ren im System haben, bei denen ich die Daten auf MDK-Nachfrage

nicht liefern kann. Aber das ist in der Regel Unwissenheit.

Inwiefern profitieren Sie persönlich da- von, wenn die Klinik profitabel ist?

Thomsen: Ich habe hier die budge- täre Gesamtverantwortung. Das ist auch vertraglich fixiert. Das heißt, ich habe eine Zielvereinbarung mit der Geschäftsführung abgeschlos- sen. Dort steht drin, dass ich eine bestimmte Fallzahl erreichen soll.

Die Vorgaben ergeben sich im Prin- zip aus den Planungsdaten, die das Haus mit den Krankenkassen ver- einbart hat. Es existiert auch ein Case-Mix-Index, der erreicht wer- den soll. In der Zielvereinbarung stehen aber auch solche Selbstver- ständlichkeiten drin, wie zum Bei- spiel, dass die Kodierung innerhalb von drei Tagen erfolgt sein soll. Da steht aber nicht, wie viele Endosko- pien oder Chemotherapien wir durchführen müssen.

Das heißt, Sie haben keine Ziel - vereinbarungen getroffen, die sich auf einzelne Leistungen beziehen?

Thomsen: Genau. Wenn die Patienten kommen, dann sind sie da und müssen behandelt werden.

Wenn sie nicht da sind, dann sind sie eben nicht da. Da haben wir kaum einen Einfluss. Die Zielver- einbarung wird also nicht auf Ein- zelleistungen heruntergebrochen, sondern es gibt ein Gesamtbudget.

Wir sind gehalten, als Abteilung den Case-Mix-Index zu erreichen.

Wenn die Patienten nicht da sind, um einen bestimmten Case-Mix- Index zu erreichen – ich persön- lich rede lieber vom Behand- lungsbedarf aller Patienten –, dann ist es doch ethisch nicht ver- tretbar, eine Prozedur durchzufüh- ren, nur um den Case-Mix-Index zu erreichen. Bei uns ist das zu- mindest undenkbar.

Ist Ihre persönliche Zielvereinbarung mit Ihrem persönlichen ethischen An- spruch vereinbar?

Das Dietrich-Bon- hoeffer-Klinikum Neubrandenburg ist mit mehr als 1 000 Betten in 28 Kliniken und Instituten an vier Standorten in Neu- brandenburg, Alten- treptow und Malchin eine der größten medizinischen Einrichtungen des Landes Mecklenburg- Vorpommern.

Foto: Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg

Thomsen: Ja. Für mich ist die in Ordnung. Ich hätte niemals eine Stelle angenommen, wo ich einzel- ne Prozeduren erbringen muss und mich dadurch selber unter Druck setze, um dann vielleicht Dinge zu machen, die medizinisch nicht ver- tretbar sind. Das halte ich für nicht akzeptabel.

Nun könnte man argumentieren, dass die budgetäre Gesamtverantwortung letztlich die Summe vieler Einzelleis- tungen ist . . .

Thomsen: . . . aber so leben wir das hier nicht. Unser Budget ist abtei- lungsbezogen. Ein Patient, der in unserer Klinik aufgenommen und behandelt wird, dann aber in die Nachbarklinik verlegt wird, bringt unserer Klinik keinen Erlös ein. Ei- gentlich müsste ich also ein Interes-

se daran haben, dass dieser Patient nicht verlegt wird. Das ist aber ethisch nicht vertretbar, also hande- le ich nicht so. Genauso ist aber auch die Philosophie im Haus.

Haben Sie Ihre vertraglich fixierten Zielvorgaben in den vergangenen Jah- ren immer erreicht?

Thomsen: Nein. Es ist auch be- reits vorgekommen, dass ich be- stimmte Fallzahlen oder den Case- Mix-Index nicht erreicht habe.

Dann hat es eben keinen Bonus für mich gegeben. Das ist halt so! Der Anteil an meinem persönlichen Einkommen ist aber auch relativ gering. Der Bonus ist für mich eine Motivation, die Dinge, die für uns wichtig sind, zu erreichen. Aber er ist für mich keine Motivation, mein Wertesystem außer Kraft zu

setzen.

Das Interview führte Jens Flintrop.

P O L I T I K

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