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Archiv "Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung: Kriterien der Entscheidungsfindung" (03.09.2012)

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A 1754 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 35–36

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3. September 2012

THERAPIEZIELÄNDERUNG UND THERAPIEBEGRENZUNG

Kriterien der Entscheidungsfindung

Wann und unter welchen Umständen ist die Einleitung oder Fortführung einer Intensivmaßnahme gerechtfertigt? Ein Positionspapier bietet Orientierungshilfe.

A

ufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestim- mungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Der Medizin stehen da- zu immer mehr und differenziertere Möglichkeiten zur Verfügung. Der Arzt hat im Rahmen seiner professio- nellen Verantwortung zu entscheiden, welche Behandlungsmöglichkeiten indiziert sind“, heißt es in der Präam- bel zu einem Positionspapier der Sek- tion Ethik der Deutschen Interdiszip- linären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Dieses Posi- tionspapier mit dem Titel „Therapie- zieländerung und Therapiebegren- zung in der Intensivmedizin“, das vor kurzem erarbeitet und jetzt vom Vorstand der DIVI genehmigt wur- de, möchte nach eigenen Angaben dem Arzt bei seinen individuell zu verantwortenden Entscheidungen eine Orientierungshilfe bieten.

Der Prozess der Entscheidungs- findung über Behandlungsmaßnah-

men in der Intensivmedizin werde von der Prüfung folgender Frage geleitet: Wann und unter welchen Umständen ist die Einleitung oder die Fortführung einer Intensivbe- handlung gerechtfertigt?

Eine zulässige Behandlungsmaß- nahme muss, schreiben Prof. Dr.

med. Uwe Janssens, Eschweiler, und Koautoren, zwei Voraussetzun- gen erfüllen:

1. Für den Beginn oder die Fort- führung besteht nach Einschätzung der behandelnden Ärzte eine medi- zinische Indikation.

2. Die Durchführung entspricht dem Patientenwillen. Erfüllt die jeweils geprüfte Behandlungsmaß- nahme beide Voraussetzungen, muss die Behandlung eingeleitet oder fortgeführt werden. Wenn eine der beiden Voraussetzungen nicht vor- liegt, sind eine Therapiezieländerung und Begrenzung der Therapie nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.

Indikation: Die Autoren des Posi - tionspapiers unterteilen Therapie-

maßnahmen in mehrere Gruppen.

Entweder seien sie indiziert, zwei- felhaft, nichtindiziert oder sogar kontraindiziert. „Indizierte Therapie - maßnahmen werden dem Patienten angeboten. Bei zweifelhafter Indika- tion wird das Angebot kritisch und ergebnisoffen mit dem Patienten oder seinen Stellvertretern diskutiert.

Nichtindizierte oder kontraindizierte Maßnahmen dürfen weder angebo- ten noch durchgeführt werden.“

Patientenwille: Für die Ermittlung des Patientenwillens wird in dem Positionspapier ein abgestufter Pro- zess vorgeschlagen:

Der einwilligungsfähige Pa- tient: Der einwilligungsfähige Pa- tient entscheidet selbst über Zu- stimmung zur oder Ablehnung der Behandlung. Das setzt ein ergebnis- offenes ärztliches Aufklärungsge- spräch über Wesen, Bedeutung und Tragweite der angebotenen Be- handlungsoptionen voraus.

Der aktuell nicht einwilli- gungsfähige Patient mit Patienten-

Fotos: picture alliance

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verfügung: Bei aktuell nicht ein - willigungsfähigen Patienten kommt einer Patientenverfügung die Be- deutung des im Voraus geäußerten Patientenwillens zu. Dieser ist für alle Beteiligten verbindlich.

Die Wirksamkeit der Patienten- verfügung muss geprüft werden.

Diese Prüfung ist gesetzliche Pflicht eines Stellvertreters im ju- ristischen Sinne. Wenn ein solcher nicht vorhanden oder nicht recht- zeitig erreichbar ist, prüft das Be- handlungsteam die Wirksamkeit.

Unabhängig davon ist sobald wie möglich ein Stellvertreter einzu - beziehen.

Der aktuell nicht einwilli- gungsfähige Patient ohne bezie- hungsweise ohne wirksame Patien- tenverfügung: Wenn der Patient aktuell nicht einwilligungsfähig ist und keine oder keine wirksame Pa- tientenverfügung vorliegt, muss nach Auffassung der Autoren des Positionspapiers eine Stellvertreter- entscheidung herbeigeführt werden.

Stellvertreter im juristischen Sinne sind Bevollmächtigte und Betreuer.

Wenn dem Behandlungsteam be- gründete Hinweise vorliegen, dass sich der Betreuer oder Bevollmäch- tigte mit seiner Entscheidung nicht auf den Willen des Patienten stützt, wird zur Klärung das Betreuungs- gericht angerufen. Vorher sollen alle im Krankenhaus verfügbaren Unterstützungsangebote für eine gemeinsame Entscheidungsfindung genutzt werden. Bis zur definitiven Klärung des Patientenwillens sind die indizierten lebenserhaltenden Maßnahmen und alle Maßnahmen zur Verhinderung eines schweren und irreversiblen gesundheitlichen Schadens durchzuführen.

Der aktuell nicht einwilligungs- fähige Patient ohne beziehungsweise ohne wirksame Patientenverfügung und ohne juristischen Stellvertreter:

Wenn der Patient nicht einwilligungs- fähig ist, keine wirksame Patien - tenverfügung vorliegt und kein Stell- vertreter bekannt ist, muss umgehend eine Betreuung beantragt werden.

Nach Auffassung der Sektion Ethik des DIVI treffen in der Not- fallsituation und bis zur Bestellung des Betreuers Ärzte stellvertretend die Entscheidung im Sinne des Pa-

tienten. In diesem Fall seien – so- weit möglich – Behandlungswün- sche oder der mutmaßliche Patien- tenwille zu ermitteln. Falls keine verwertbaren Informationen über den mutmaßlichen Patientenwillen eingeholt werden können, sollen Ärzte die indizierten lebenserhal- tenden Maßnahmen und alle Maß- nahmen zur Verhinderung eines schweren oder irreversiblen gesund- heitlichen Schadens durchführen.

Therapiezielfindung: Die Autoren des Positionspapiers bezeichnen die Vereinbarung von Therapiezielen als einen wesentlichen Bestandteil der Patient-Arzt-Beziehung. Von besonderer Bedeutung sei dies für Patienten mit zweifelhafter Progno- se in der Intensivmedizin.

Bei Aufnahme des Patienten auf der Intensivstation müsse zunächst darauf vertraut werden, dass aus Sicht des zuweisenden Arztes ein erreichbares Therapieziel existiert.

Deshalb stehe zunächst die Siche- rung und Aufrechterhaltung der Vi- talfunktionen mit dem Therapieziel

„Lebenserhaltung“ im Vordergrund.

In der Folge verschafft sich Jans- sens et al. zufolge der Intensivme- diziner ein möglichst umfassendes Bild vom Patienten. Dabei sollten das anerkannte Fachwissen und pa- tientenbezogene, individuelle Fak- toren berücksichtigt werden. Da- raus ergäben sich bei Patienten mit zweifelhafter Prognose in der Regel unterschiedliche Therapieziele. Diese

könnten in der Tendenz eher kurativ oder eher palliativ ausgerichtet sein.

Alle an der Behandlung Beteilig- ten müssten gemeinsam klären, ob die Therapieziele glaubhaft erreicht werden könnten. Die (interdiszi - plinär) erarbeiteten Therapieziele müssten jetzt dem Patienten oder seinem Stellvertreter mitgeteilt werden, um dessen Entscheidung einzuholen. Alle Therapieziele soll- ten ausführlich dargelegt und be- sprochen werden. Der Arzt müsse es gegebenenfalls akzeptieren, dass der Patient nicht jedes medizinisch erreichbare Therapieziel auch für sich selbst realisieren möchte. In dem Papier wird gefordert, dass das angestrebte Therapieziel dokumen- tiert und im Behandlungsverlauf re- gelmäßig überprüft werden muss.

Zulassen des Sterbens nach Therapiezieländerung Im Zuge einer Therapiebegrenzung sollten Maßnahmen zur Symptom- kontrolle in den Vordergrund treten.

Therapiebegrenzung: Das Verlas- sen der kurativen Zielsetzung führt, so das Positionspapier, zwingend zu einer Überprüfung sämtlicher dia - gnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen. Eine zu- sätzliche Belastung für den Ster- benden durch Verzicht auf diese Maßnahmen müsse vermieden wer- den. „Maßnahmen, die ausschließ- lich zu einer Verlängerung des Sterbeprozesses führen, sind un - zulässig“, schreiben Janssens et al.

Unter Therapiebegrenzung kön- nen ihrer Ansicht nach folgende Vorgehensweisen fallen:

Verzicht auf zusätzliche kura- tive Maßnahmen

Verzicht auf Ausweitung beste- hender kurativer Maßnahmen

Reduzierung bestehender ku- rativer Maßnahmen

Absetzen bestehender kurati- ver Maßnahmen.

Symptomkontrolle nach Thera- piezieländerung: Eine Therapie - begrenzung dürfe nicht ohne eine zielgerichtete Optimierung der pal- liativen Therapie erfolgen.

Dazu gehörten zunächst die in den Grundsätzen der Bundesärzte- Prof. Dr. med. Hilmar Burchardi, Bovenden; Univ.-Prof. Dr.

jur. Gunar Duttge, Göttingen; Renate Erchinger, Schopp;

Dr. med. Peter Gretenkort, Viersen; Prof. Dr. med. Michael Mohr, Bremen; Univ.-Prof. Dr. med. Friedemann Nauck, Göttingen; Dr. jur. Sonja Rothärmel, Ingolstadt; Prof. Dr.

med. Fred Salomon, Lemgo; Univ.-Prof. Dr. med. Peter Schmucker, Lübeck; PD Dr. phil. Alfred Simon, Göttingen;

Prof. Dr. med. Herwig Stopfkuchen, Mainz; Prof. Dr. med.

Andreas Valentin, Wien; Univ.-Prof. Dr. med. Norbert Wei- ler, Kiel; Dr. med. Gerald Neitzke, Hannover

Korrespondierender Autor: Prof. Dr. med. Uwe Jans- sens, Klinik für Innere Medizin, St.-Antonius-Hospital Eschweiler, Dechant-Deckers-Straße 8, 52249 Eschweiler, uwe.janssens@sah-eschweiler.de

SEKTION ETHIK DER DIVI

Deutsches Ärzteblatt

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3. September 2012 A 1755

T H E M E N D E R Z E I T

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A 1756 Deutsches Ärzteblatt

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3. September 2012 kammer zur ärztlichen Sterbebe-

gleitung (DÄ, Heft 7/2011) be- schriebenen Maßnahmen der Basis- betreuung, unter anderem mensch- liche Zuwendung, Körperpflege und Lindern von Schmerzen.

Sämtliche Behandlungsmaßnahmen dienten jetzt der Symptomkontrol- le. Eine potenzielle Lebensverkür- zung dürfe nur dann in Kauf ge- nommen werden, wenn

– die Maßnahme zur Symptom- kontrolle indiziert und ohne ange- messene Alternative ist,

– die Maßnahme dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Pa- tienten entspricht und

– eine Lebensverkürzung nicht beabsichtigt ist.

Sterbebegleitung und Umsetzung der Therapiebegrenzung: „Ziel ist es, ein Sterben in Würde und ohne vermeidbares Leid zu ermöglichen, an einem Ort, der vom Sterbenden gewünscht wird und alle Vorausset- zungen dafür erfüllt. Dies kann zu Hause, im Pflegeheim, in einem Hospiz, auf einer Palliativstation, auf einer Normalstation oder in ei- nem Palliativzimmer auf der Inten- sivstation erfolgen. Entsprechend soll individuell geklärt werden, wer (Team, Familie, weitere Bezugsper- sonen) in die Sterbebegleitung ein- zubeziehen ist und ob seelsorger - licher Beistand gewünscht wird“, heißt es in dem Positionspapier.

Die psychische Belastung durch eine Verlängerung des Sterbens ei- nerseits und durch ein abruptes Ein- treten des Todes andererseits müss- ten gegeneinander abgewogen wer- den. Dabei sollten die Bedürfnisse der Angehörigen und des Behand- lungsteams grundsätzlich hinter de- nen des Patienten zurückstehen.

Kommunikation und Interaktion

Die Autoren betonen auch die Be- deutung der Kommunikation. Die Ziele müssten klar formuliert wer- den.

Kommunikation im ärztlichen Team: Im Idealfall werde die Ent- scheidung im ärztlichen Konsens getroffen. „Eine verbindliche Ent- scheidung mit einer klaren Begrün-

dung ist die Voraussetzung dafür, dass das weitere Vorgehen einheit- lich und transparent mit dem Pa- tienten, den Angehörigen und im multiprofessionellen Team kommu- niziert werden kann.“

Kommunikation im multiprofes- sionellen Team: Viele Entschei- dungen würden von vornherein im multiprofessionellen Team getrof- fen. Eine Teambesprechung sei vor allem bei Unklarheiten über die Prognose und die anzustrebenden Therapieziele hilfreich oder wenn die Behandlungssituation als be- sonders belastend empfunden wür- de. Bei dieser Besprechung solle gewährleistet sein, dass sich jedes Teammitglied unabhängig von Be- rufsgruppe und Hierarchiestufe frei und ohne Angst vor Missachtung und Bloßstellung äußern könne.

Die Ergebnisse der Teambespre- chung sollten dokumentiert werden.

Im Idealfall werde die Entschei- dung im Konsens getroffen.

Angehörigenbesprechung: Mög- lichst frühzeitig sollte im Behand- lungsverlauf ein strukturiertes Ge-

spräch mit den Angehörigen oder anderen vertrauten Bezugspersonen des Patienten geführt werden. Das gelte zwingend gegenüber Betreu- ern oder Bevollmächtigten, auch wenn sie keine Angehörigen sind.

Wesentliche Inhalte einer Angehö - rigenbesprechung sollten sein: das Einholen medizinischer und persön- licher Informationen zum Patienten, die Aufklärung über die Erkran- kung, Therapieziele und zur Pro - gnose des Patienten sowie die Be- treuung und Beratung der Angehö- rigen in der akuten Krisensituation.

Das Gespräch sollte in einem ru- higen Raum ohne den Lärm und die Hektik einer Intensivstation statt- finden. Eine Angehörigenbespre- chung sollte im Team gut vorberei- tet sein. Sie erfordere eine klare zeitliche Planung und die Festle- gung der teilnehmenden Personen.

Die Mitglieder des Behandlungs- teams sollten repräsentativ vertre- ten sein.

Ethikfallberatung: Eine Ethik- fallberatung könne nicht nur vom Team, sondern auch vom Patienten, vom Betreuer oder von den Ange- hörigen angefordert werden. Dabei würden die unterschiedlichen Posi- tionen offengelegt und begründet.

Das sei die Voraussetzung dafür, im Konsens eine aus Sicht aller Betrof- fenen tragfähige Lösung zu finden.

Zu Beginn einer Ethikberatung sollte allen Beteiligten das Prozede- re erklärt und es klar formuliert werden, dass die Ethikberatung nur eine beratende Funktion erfüllt und keine Entscheidungen übernehmen dürfe. Der Beratungsschwerpunkt liege auf den Bewertungen von Heilungschancen, Therapiezielen, Lebensqualität und Belastungen.

„Da die Ethikfallberatung eine Grundvoraussetzung für eine qua - litativ hochwertige Patientenver - sorgung darstellt, sind entsprechen- de Strukturen in allen Kranken - häusern der Akut- und Notfall - versorgung einzurichten“, heißt es

abschließend.

Gisela Klinkhammer

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Das Positionspapier „Therapieziel - änderung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin“ im Internet:

www.aerzteblatt.de/121754 Entscheidungen

auf der Intensiv- station sollen im Idealfall im multipro- fessionellen Team getroffen werden.

T H E M E N D E R Z E I T

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