Verbandstheorie
Udo Hebisch
SS 2020
Dieses Skript enth¨ alt nur den “roten Faden”
einer einf¨ uhrenden Vorlesung ¨ uber Verbandstheorie.
Zur selben Vorlesung geh¨ ort noch ein Teil zur Universellen Algebra.
Wesentliche Inhalte werden ausschließlich in der Vorlesung vermittelt. Daher ist dieses Skript nicht zum Selbststudium gedacht, sondern
nur als “Erinnerungsst¨ utze”.
Inhaltsverzeichnis
1 Boolesche Algebren 3
2 Verb¨ ande und Halbverb¨ ande 11
3 Partiell geordnete Mengen 20
4 Wohlgeordnete Mengen 27
5 Vollst¨ andigkeit 31
6 Homomorphismen und Galois-Korrespondenzen 33
7 Fixpunkts¨ atze 38
8 Begriffsverb¨ ande 42
9 Informationsstrukturen 56
10 Heyting-Algebren 59
11 Aufgaben 64
12 L¨ osung zu ausgew¨ ahlten Aufgaben 72
1 BOOLESCHE ALGEBREN
1 Boolesche Algebren
Diese mathematischen
1Strukturen
2sind nach George Boole (1815 – 1864) be- nannt, der ihre Gesetzm¨ aßigkeiten bei der Untersuchung aussagenlogischer
3For- meln
4feststellte.
Definition 1.1 Es sei X eine beliebige nichtleere Menge und n ∈
N0. Eine n- stellige (innere) Verkn¨ upfung oder Operation
5auf X ist dann eine Abbildung v : X
n→ X. Im Fall n = 2 notiert
6man das Verkn¨ upfungsergebnis v(x, y) f¨ ur x, y ∈ X im allgemeinen in Infix-Notation
7als xvy. Bei n = 0 bezeichnet v ∈ X einfach ein (besonders ausgezeichnetes) Element aus X.
Beispiel 1.2 Betrachtet man f¨ ur eine beliebige Menge M auf der Potenzmen- ge
8 P(M ) die zweistelligen mengentheoretischen Verkn¨ upfungen ∪ (Vereinigung),
∩ (Durchschnitt) und die einstellige Verkn¨ upfung
0(Komplementbildung)
9, dann gelten z. B. f¨ ur alle X, Y, Z aus
P(M) die folgenden Gesetze:
X ∩ X = X (∩ ist idempotent),
X ∪ X = X (∪ ist idempotent),
(lat. idem = dasselbe) X ∩ Y = Y ∩ X (∩ ist kommutativ), X ∪ Y = Y ∪ X (∪ ist kommutativ),
(lat. commutare = vertauschen) X ∩ (Y ∩ Z) = (X ∩ Y ) ∩ Z (∩ ist assoziativ),
X ∪ (Y ∪ Z) = (X ∪ Y ) ∪ Z (∪ ist assoziativ),
(lat. associare = verbinden) X ∩ (X ∪ Y ) = X (∩ ist absorptiv gegen¨ uber ∪), X ∪ (X ∩ Y ) = X (∪ ist absorptiv gegen¨ uber ∩), (lat. absorbere = verschlingen)
1(grch.mathematike techne= Kunst des Lernens)
2(lat. struere= bauen, errichten)
3(grch.logos = Wort, Lehrsatz, Lehre)
4(lat. formula= Regel, Vorschrift)
5(lat. operatio= T¨atigkeit)
6(lat. notare= kennzeichnen, bezeichnen)
7(lat. figere= anheften)
8(lat. potens= m¨achtig, f¨ahig)
9(lat. complere= erg¨anzen)
X ∩ (Y ∪ Z) = (X ∩ Y ) ∪ (X ∩ Z) (∩ ist distributiv ¨ uber ∪), X ∪ (Y ∩ Z) = (X ∪ Y ) ∩ (X ∪ Z) (∪ ist distributiv ¨ uber ∩),
(lat. distribuere = verteilen)
X ∩ M = X (M ist neutral bez¨ uglich ∩),
(lat. neuter = keiner von beiden) X ∪ M = M (M ist absorbierend bez¨ uglich ∪), X ∩ ∅ = ∅ (∅ ist absorbierend bez¨ uglich ∩), X ∪ ∅ = X (∅ ist neutral bez¨ uglich ∪), X ∪ X
0= M (X
0ist ∪-Komplement von X), X ∩ X
0= ∅ (X
0ist ∩-Komplement von X).
Definition 1.3 Eine Boolesche Algebra
10B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) besteht aus ei- ner (nichtleeren) Menge X, zwei ausgezeichneten Elementen, dem Nullelement
11o ∈ X und dem Einselement e ∈ X, einer einstelligen Verkn¨ upfung Komple- mentbildung
0und zwei zweistelligen Verkn¨ upfungen, der Infimumsbildung
12∧ und der Supremumsbildung
13∨. Dabei m¨ ussen f¨ ur alle x, y, z ∈ X folgende Axio- me
14erf¨ ullt sein:
x ∧ y = y ∧ x, (1)
x ∨ y = y ∨ x, (2)
x ∨ o = x, (3)
x ∧ e = x, (4)
x ∧ (y ∨ z) = (x ∧ y) ∨ (x ∧ z), (5)
x ∨ (y ∧ z) = (x ∨ y) ∧ (x ∨ z), (6)
x ∨ x
0= e, (7)
x ∧ x
0= o.
(8)
Bemerkung 1.4 a) Nach Beispiel 1.2 ist jede Potenzmenge eine Boolesche Al- gebra. Die Umkehrung hiervon gilt nicht, vgl. Satz 1.16 und Satz 3.21.
10(arab. al-gabr= das Erg¨anzen)
11(lat. nullus= keines)
12(lat. infimum= unterstes, niedrigstes)
13(lat. supremum= oberstes, h¨ochstes)
14(grch.axioma= unbestreitbare, aber unbeweisbare Aussage)
1 BOOLESCHE ALGEBREN
b) Jede (in der Maßtheorie definierte) σ-Algebra ist eine Boolesche Algebra. Auch hierunter gibt es Beispiele (vgl. Bemerkung 1.17 b)), die keine Potenzmengen sind.
c) Das Axiomensystem ist selbstdual (lat. duum = zwei), genauer: Je zwei in einem Paar zusammengefaßten Axiome gehen ineinander ¨ uber, wenn man Infi- mums- und Supremumsbildung und gleichzeitig o und e miteinander vertauscht.
d) Das angegebene Axiomensystem f¨ ur Boolesche Algebren ist unter den selbst- dualen Axiomensystemen minimal (lat. minimum = das kleinste), d. h., l¨ aßt man eins der Paare (1), (2) bis (7), (8) fort, so gibt es Algebren, die alle restlichen Axiome erf¨ ullen, aber das fortgelassene Axiomenpaar nicht, vgl. auch Beispiel 1.7.
e) Es folgt aber jedes der Axiome (1) bis (4) jeweils aus den anderen sieben Axiomen.
f) Das angegebene Axiomensystem f¨ ur Boolesche Algebren stammt von Edward Vermilye Huntington (1874 - 1952), w¨ ahrend Giuseppe Peano (1858 - 1932) im Jahr 1888 noch ein System benutzt hatte, das aus s¨ amtlichen Axiomen (1) - (21) bestand.
Satz 1.5 In jeder Booleschen Algebra B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) gelten die folgenden Gesetze f¨ ur alle x, y, z ∈ X:
x ∧ x = x, (9)
x ∨ x = x, (10)
x ∧ o = o, (11)
x ∨ e = e, (12)
x ∧ (x ∨ y) = x, (13)
x ∨ (x ∧ y) = x, (14)
x ∧ (y ∧ z) = (x ∧ y) ∧ z, (15)
x ∨ (y ∨ z) = (x ∨ y) ∨ z, (16)
(x
0)
0= x, (17)
o
0= e, (18)
e
0= o,
(19)
(x ∧ y)
0= x
0∨ y
0, (20)
(x ∨ y)
0= x
0∧ y
0. (21)
Beweis: (9): Benutzt man der Reihe nach (4), (7), (6), (8) und (3), so erh¨ alt man x = x ∧ e = x ∧ (x ∨ x
0) = (x ∧ x) ∨ (x ∧ x
0) = (x ∧ x) ∨ o = x ∧ x. Dabei wurden (1) und (2) nicht ben¨ otigt.
Durch “Dualisieren” erh¨ alt man hieraus sofort den Beweis von (10): x = x ∨ o = x ∨ (x ∧ x
0) = (x ∨ x) ∧ (x ∨ x
0) = (x ∨ x) ∧ e = x ∨ x. Dabei werden die einzelnen Schritte durch das jeweils duale Axiom gerechtfertigt, also durch (3), (8), (5), (7) und (4).
(11): Aus (8), (3), (5), (8), (2) und (3) folgt o = x ∧ x
0= x ∧ (x
0∨ o) = (x ∧ x
0) ∨ (x ∧ o) = o ∨ (x ∧ o) = (x ∧ o) ∨ o = x ∧ o.
(13): Aus (3), (11), (6), (3) und (1) folgt x = x∨o = x∨ (y ∧o) = (x∨y)∧(x∨o) = (x ∨ y) ∧ x = x ∧ (x ∨ y).
(15): Aus (6), (14), (13) und nochmals (14) folgt zun¨ achst x ∨ ((x ∧ y) ∧ z) = (x ∨ (x ∧ y)) ∧ (x ∨ z) = x ∧ (x ∨ z) = x = x ∨ (x ∧ (y ∧ z)).
Andererseits folgt unter mehrmaliger Verwendung der Distributivgesetze und x
0∨ x = e sowie den Eigenschaften von e auch x
0∨((x∧y)∧z) = (x
0∨(x∧y))∧(x
0∨z) = ((x
0∨x)∧(x
0∨y))∧(x
0∨z) = (x
0∨y)∧(x
0∨z) = x
0∨(y∧z) = (x
0∨x)∧(x
0∨(y∧z)) = x
0∨ (x ∧ (y ∧ z)).
Aus x ∨ a = x ∨ b und x
0∨ a = x
0∨ b folgt aber mit der Kommutativit¨ at, den Distributivgesetzen, x ∧ x
0= o und den Eigenschaften von o stets a = o ∨ a = (x ∧ x
0) ∨ a = (x ∨ a) ∧ (x
0∨ a) = (x ∨ b) ∧ (x
0∨ b) = (x ∧ x
0) ∨ b = o ∨ b = b.
(17): Aus (6), (8) und (3) folgt zun¨ achst (x ∨ y) ∧ (x ∨ y
0) = x ∨ (y ∧ y
0) = x ∨ o = x. Mit (2) erh¨ alt man hieraus durch Vertauschung von x und y auch (x ∨ y) ∧ (y ∨ x
0) = y. Setzt man in der ersten dieser beiden Gleichungen y = x
0, so ergibt sich (x∨x
0)∧(x∨(x
0)
0) = x, woraus mit (7), (1) und (4) dann x∨(x
0)
0= x folgt. Setzt man jetzt in der zweiten hergeleiteten Gleichung y = (x
0)
0, so erh¨ alt man (x ∨ (x
0)
0) ∧ ((x
0)
0∨ x
0) = (x
0)
0und daher (x
0)
0= x ∧ e = x, wobei noch (2), (7) und (4) verwendet wurden.
(18): Wegen (3), (2) und (7) gilt o
0= o
0∨ o = o ∨ o
0= e. Dabei wurden (5) und (6) nicht gebraucht.
(20): Einerseits gilt (x ∧ y) ∧ (x
0∨ y
0) = (x ∧ y ∧ x
0) = ∨(x ∧ y ∧ y
0) = o ∨ o = o =
(x∧y)∧(x∧y)
0, andererseits gilt auch (x∧y)∨(x
0∨y
0) = (x∨x
0∨y
0)∧(y∨x
0∨y
0) =
1 BOOLESCHE ALGEBREN
e ∧ e = e = (x ∧ y) ∨ (x ∧ y)
0. Wie in Folgerung 2.2 gezeigt werden wird, folgt hieraus bereits in distributiven Verb¨ anden die Gleichheit (x ∧ y)
0= x
0∨ y
0.
Bemerkung 1.6 Die Formeln (20) und (21) werden auch De Morgansche Ge- setze (Augustus De Morgan, 1806 - 1871) genannt. Zusammen mit (17) zeigen sie, daß in einer Booleschen Algebra jede der beiden zweistelligen Verkn¨ upfungen zusammen mit der Komplementbildung die andere zweistellige Verkn¨ upfung be- reits eindeutig bestimmt. Es ist daher m¨ oglich, Boolesche Algebren auch durch Axiomensysteme zu charakterisieren, in denen nur eine zweistellige Verkn¨ upfung, z. B. ∨, und eine einstellige Verkn¨ upfung, z. B.
0, auftreten. Ein solches System besteht zum Beispiel aus den Axiomen x ∨ y = y ∨ x, x ∨ (y ∨ z) = (x ∨ y) ∨ z und (x
0∨ y
0)
0∨ (x
0∨ y)
0= x oder aus den ersten beiden und ((x ∨ y)
0∨ (x ∨ y
0)
0)
0= x.
Die beiden letzten Gleichungen sind in jeder Booleschen Algebra wegen der De Morganschen Gesetze gleichwertig zu (x∧y)∨(x∧y
0) = x und zu (x∨y)∧(x∨y
0) = x, also offensichtlich dual zueinander. Beide folgen sie aber unmittelbar aus den Distributivgesetzen, den Eigenschaften des Komplements und den Eigenschaften der neutralen Elemente. Es ist jedoch erheblich schwieriger, die Umkehrung zu zeigen.
Beispiel 1.7 Es bezeichne
I= [0, 1] ⊆
Rdas reelle Einheitsinvervall und N :
I
→
Idie gem¨ aß N (x) = 1 − x f¨ ur x ∈
Idefinierte Bijektion (lat. bis = zweimal, iecere = werfen). Weiterhin sei ∅ 6= W ⊆
Ieine beliebige Teilmenge von
Imit 0, 1 ∈ W und N (W ) = W , also etwa W = {0, 1}, W =
n0,
1n, . . . ,
n−1n, 1
ooder W =
I. F¨ ur eine beliebige nichtleere Menge M sei X = {µ
A: M → W } die Menge aller verallgemeinerten charakteristischen Funktionen (grch. charakter = Pr¨ agung). (F¨ ur W = {0, 1} charakterisiert eine solche Funktion µ
A∈ X gem¨ aß µ
A(x) = 1 ⇐⇒ x ∈ A genau eine Teilmenge A von M.) F¨ ur W =
Inennt man die Elemente µ
Aauch Fuzzy-Teilmengen von M ) (engl. fuzzy = unscharf). Durch
(µ
A∧ µ
B)(x) = min(µ
A(x), µ
B(x)), (22)
(µ
A∨ µ
B)(x) = max(µ
A(x), µ
B(x)) und (23)
(µ
A)
0(x) = N (µ
A(x)) = 1 − µ
A(x) (24)
f¨ ur alle x ∈ M werden dann zwei zweistellige Verkn¨ upfungen ∧ und ∨ und eine einstellige Verkn¨ upfung
0auf X definiert. Setzt man noch e = µ
Mbzw. o = µ
∅f¨ ur die charakteristischen Funktionen der ganzen Menge M bzw. der leeren Menge ∅, so sind (1) – (21) mit Ausnahme von (7) und (8) erf¨ ullt.
Bemerkung 1.8 In der Fuzzy-Mengenlehre werden auch andere Durchschnitts-
bzw. Vereinigungsbildungen f¨ ur Fuzzy-Mengen betrachtet, z. B. (µ
A∧ µ
B)(x) =
µ
A(x) · µ
B(x) und (µ
A∨ µ
B)(x) = µ
A(x) + µ
B(x) − µ
A(x) · µ
B(x).
Definition 1.9 Ein Ring R = (X, +, ·) mit Einselement e heißt Boolescher Ring, wenn x
2= x f¨ ur alle x ∈ X erf¨ ullt ist.
Folgerung 1.10 In jedem Booleschen Ring R = (X, +, ·) gelten x + x = o und x · y = y · x f¨ ur alle x, y ∈ X.
Beweis: Aufgabe 11.7.
Bemerkung 1.11 Wegen Folgerung 1.10 bildet in jedem Booleschen Ring R = (X, +, ·) die Menge K = {o, e} einen Unterk¨ orper (K, +, ·), der nat¨ urlich iso- morph (grch. iso = gleich, morphe = Gestalt) zu
Z/(2) ist. Insbesondere ist R stets ein K-Vektorraum (lat. vehere = tragen, bringen). Ein endlicher Boole- scher Ring kann daher nur eine Ordnung haben, die eine Zweierpotenz ist (vgl.
Bemerkung 1.17 a)).
Außerdem ist (X, +) dann eine Boolesche Gruppe, da alle Elemente die Ordnung 2 besitzen.
Satz 1.12 Definiert man in einer Booleschen Algebra B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) x + y := (x ∧ y
0) ∨ (x
0∧ y) und
(25)
x · y := x ∧ y (26)
f¨ ur alle x, y ∈ X, dann ist R = (X, +, ·) ein Boolescher Ring.
Beweis: Wegen (1), (9) und (15) ist (X, ·) eine kommutative und idempotente Halbgruppe, und wegen (4) ist dann e Einselement. Es reicht daher der Nachweis eines Distributivgesetzes.
Einerseits gilt x · (y + z) = x ∧ ((y ∧ z
0) ∨ (y ∧ z
0)) = (x ∧ y ∧ z
0) ∨ (x ∧ y
0∧ z).
Andererseits hat man x · y + x · z = ((x ∧ y) ∧ (x ∧ z)
0) ∨ ((x ∧ y)
0∧ (x ∧ z)) = (x∧y∧(x
0∨z
0))∨((x
0∨y
0)∧x∧z) = (x∧y∧x
0)∨(x∧y∧z
0)∨(x
0∧x∧z)∨(y
0∧x∧z) = (x ∧ y ∧ z
0) ∨ (y
0∧ x ∧ z), wegen x ∧ y ∧ x
0= o = x
0∧ x ∧ z.
Offensichtlich ist die Addition (lat. addere = hinzuf¨ ugen) kommutativ und wegen x + o = (x ∧ o
0) ∨ (x
0∧ o) = (x ∧ e) ∨ o = x ist o neutrales Element in (X, +).
Wegen x + x = (x ∧ x
0) ∨ (x
0∧ x) = o ∨ o = o ist jedes Element zu sich selbst
invers (lat. invertere = umdrehen). Daher bleibt die Assoziativit¨ at der Addition
zu zeigen.
1 BOOLESCHE ALGEBREN
Es ist x + (y + z) = (x ∧ ((y ∧ z
0) ∨ (y
0∧ z))
0) ∨ (x
0∧ ((y ∧ z
0) ∨ (y
0∧ z))) = (x∧((y
0∨z)∧(y∨z
0)))∨(x
0∧y∧z
0)∨(x
0∧y
0∧z) = (x∧y
0∧y)∨(x∧y
0∧z
0)∨(x∧z∧y)∨
(x∧z ∧z
0)∨(x
0∧y∧z
0)∨(x
0∧y
0∧z) = (x∧y
0∧z
0)∨(x∧z ∧y)∨(x
0∧y∧z
0)∨(x
0∧y
0∧z).
Dieser letzte Term (lat. terminus = festgelegter (Grenz-)Punkt) ist aber invariant (lat. varius = verschieden) unter der Vertauschung von x und z. Also gilt x + (y + z) = z + (y + x) = (y + x) + z = (x + y) + z, wobei die letzten beiden Gleichheiten
aus der Kommutativit¨ at folgen.
Bemerkung 1.13 a) Die durch (25) definierte Verkn¨ upfung wird in der Schalt- algebra auch Exklusives Oder (XOR) (lat. excludere = ausschließen) genannt; bei Potenzmengen spricht man dagegen von symmetrischer Differenz (grch. symme- tria = Ebenmaß, lat. differe = unterscheiden), denn man kann die Durchschnitts- bildung mit den Komplementen dann durch die mengentheoretische Differenz ausdr¨ ucken.
b) In Analogie zur mengentheoretischen Differenz in einer Potenzmenge kann man in jeder Booleschen Algebra eine Differenz durch x − y := x ∧ y
0definieren und die Eigenschaften dieser Operation untersuchen. Daneben spielt (speziell bei den Booleschen Algebren der Aussagenlogik) die hierzu duale Operation x → y :=
x
0∨ y eine große Rolle. Bei ihr handelt es sich dann um die logische Implikation (lat. implicare = verwickeln). (Man vergleiche hierzu auch Abschnitt 10.)
Satz 1.14 Es sei R = (X, +, ·) ein Boolescher Ring mit dem Nullelement o und dem Einselement e. Definiert man
x ∧ y := x · y, (27)
x ∨ y := x + y + x · y und (28)
x
0:= e + x (29)
f¨ ur alle x, y ∈ X, dann ist B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) eine Boolesche Algebra.
Beweis: Wegen Folgerung 1.10 sind (1) und (2) erf¨ ullt, und (4) gilt, da e Eins- element des Ringes ist. Aus x ∨ o = x + o + x · o = x folgt (3).
(5): Es ist x ∧ (y ∨ z) = x(y + z + yz) = xy + xz + xyz und (x ∧ y) ∨ (x ∧ z) = xy ∨ xz = xy + xz + xyxz = xy + xz + xyz wegen Folgerung 1.10 und x
2= x.
(6): Es ist x∨(y∧z) = x+yz +xyz und (x∨y)∧(x∨z) = (x+y+xy)(x+z +xz) =
(x
2+xz+x
2z)+(yx+yz +yxz)+(xyx+xyz +xyxz). Wegen x
2= x und xz+xz = o
reduziert sich die erste Klammer zu x, ebenso heben sich die Terme xy + xyz aus der zweiten und dritten Klammer auf. Daher bleibt aus der zweiten Klammer noch yz und aus der dritten Klammer xyxz = xyz.
(7): Es ist x ∨ x
0= x + (e + x) + x(e + x) = x + (e + x)
2= x + e + x = e.
(8): Es ist x ∧ x
0= x(e + x) = x + x
2= x + x = o.
Bemerkung 1.15 a) In Analogie zu (28) kann man in jedem Ring die aus Addi- tion und Multiplikation (lat. multiplicare = vervielfachen) abgeleitete Operation x ∗ y := x + y − x · y definieren und ihre Eigenschaften untersuchen.
b) Man kann sogar zeigen, daß durch die Konstruktionen aus den S¨ atzen 1.12 und 1.14 eine Bijektion zwischen der Klasse aller Booleschen Algebren und der Klasse aller Booleschen Ringe vermittelt wird.
Satz 1.16 Eine Boolesche Algebra B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) ist genau dann zur Boole- schen Algebra (
P(M), ∩, ∪,
0, ∅, M) f¨ ur eine Menge M isomorph, wenn B voll- st¨ andig (vgl. Abschnitt 5) und atomar (grch. atomos = unteilbar) (vgl. Definiti- on 3.18) ist.
Bemerkung 1.17 a) Jede endliche Boolesche Algebra B = (X, ∧, ∨,
0, o, e) ist vollst¨ andig und atomar und daher zu
P(M ) mit M = {1, . . . , n} f¨ ur ein n ∈
N0isomorph. Damit gilt |X| = 2
n(vgl. Aufgabe 11.1 und Satz 3.21).
b) Es gibt Boolesche Algebren, die nicht vollst¨ andig sind. Ein einfaches Beispiel liefert f¨ ur jede unendliche Menge M die Menge
X = {A ⊆ M | A ist endlich oder M \ A ist endlich}.
Es ist dann stets X 6=
P(M ) (vgl. Aufgabe 11.3).
c) Es gibt Boolesche Algebren, die nicht atomar sind.
2 VERB ¨ ANDE UND HALBVERB ¨ ANDE
2 Verb¨ ande und Halbverb¨ ande
Die Begriffsbildung des Verbandes geht auf Richard Dedekind (1831 – 1916) zur¨ uck.
Definition 2.1 Ein Verband V = (X, ∧, ∨) besteht aus einer nichtleeren Men- ge X und zwei zweistelligen Verkn¨ upfungen auf X, der Infimumsbildung ∧ und der Supremumsbildung ∨, so daß f¨ ur alle x, y, z ∈ X folgende Axiome erf¨ ullt sind:
x ∧ y = y ∧ x, (30)
x ∨ y = y ∨ x, (31)
x ∧ (y ∧ z) = (x ∧ y) ∧ z, (32)
x ∨ (y ∨ z) = (x ∨ y) ∨ z, (33)
x ∧ (x ∨ y) = x, (34)
x ∨ (x ∧ y) = x.
(35)
Gelten außerdem noch
x ∧ (y ∨ z) = (x ∧ y) ∨ (x ∧ z) und (36)
x ∨ (y ∧ z) = (x ∨ y) ∧ (x ∨ z), (37)
so heißt V = (X, ∧, ∨) ein distributiver Verband, gelten dagegen nur die Implika- tionen
x ∨ y = x ∨ z = ⇒ x ∨ (y ∧ z) = x ∨ y und (38)
x ∧ y = x ∧ z = ⇒ x ∧ (y ∨ z) = x ∧ y, (39)
so heißt V = (X, ∧, ∨) ein semidistributiver Verband (lat. semis = halb) Ver- b¨ ande, die nur (38) [nur (39)] erf¨ ullen, nennt man auch ∨-semidistributiv [∧- semidistributiv].
Folgerung 2.2 In jedem Verband V = (X, ∧, ∨) gelten f¨ ur alle x, y, z ∈ X x ∧ x = x,
(40)
x ∨ x = x, (41)
x ∧ y = x ⇐⇒ x ∨ y = y, (42)
x ∧ y = x ∨ y ⇐⇒ x = y.
(43)
Außerdem sind (36) und (37) ¨ aquivalent. Ist V sogar distributiv, so ist er auch semidistributiv und man hat noch
x ∧ y = x ∧ z und x ∨ y = x ∨ z = ⇒ y = z.
(44)
Beweis: Die Idempotenz (40) folgt allein aus (35) und (34) gem¨ aß x ∧ x = x ∧ (x ∨ (x ∧ x)) = x. Damit ist dann auch die duale Aussage (41) bewiesen.
Aus x ∧ y = x folgt x ∨ y = (x ∧ y) ∨ y = y ∨ (y ∧ x) = y mit der Kommutativit¨ at und den Absorptionsgesetzen. Umgekehrt folgt ebenso aus x∨y = y sofort x∧y = x ∧ (x ∨ y) = x. Damit ist die ¨ Aquivalenz (42) gezeigt.
Aus x = y folgt wegen der Idempotenz nat¨ urlich x ∧y = x∧ x = x = x∨ x = x ∨y.
Umgekehrt folgt aus x∧y = x∨y mit den Absorptionsgesetzen, der Assoziativit¨ at und der schon bewiesenen Idempotenz x = x ∨ (x∧ y) = x∨ (x ∨y) = (x∨ x) ∨y = x ∨ y. Mit der Kommutativit¨ at folgt daher auch y = y ∨ x = x ∨ y = x, also insgesamt die ¨ Aquivalenz (43).
Gilt nun noch (36), so folgt mit der Kommutativit¨ at, den Absorptionsgesetzen und der Assoziativit¨ at (x ∨ y) ∧ (x ∨ z) = ((x ∨ y) ∧ x) ∨ ((x ∨ y) ∧ z) = x ∨ ((x ∧ z) ∨ (y ∧ z)) = (x ∨ (x ∧ z)) ∨ (y ∧ z) = x ∨ (y ∧ z). Aus der Dualit¨ at ergibt sich dann die behauptete Gleichwertigkeit.
Aus (37) und x∨y = x∨ z folgt mit der Idempotenz x∨(y ∧z) = (x∨ y)∧(x∨ z) = (x ∨ y) ∧ (x ∨ y) = x ∨ y, also (38). Dual folgt (39) aus (36).
Aus der Voraussetzung von (44) und der Distributivit¨ at folgt y = y ∧ (y ∨ x) = y ∧ (x ∨ z) = (y ∧ x) ∨ (y ∧ z) = (x ∧ z) ∨ (y ∧ z) = (x ∨ y) ∧ z = (x ∨ z) ∧ z = z.
Definition 2.3 Es sei V = (X, ∧, ∨) ein Verband mit einem Nullelement o gem¨ aß (3) und einem Einselement e gem¨ aß (4). Ein y ∈ X heißt Komplement von x ∈ X, wenn
x ∧ y = o und x ∨ y = e (45)
gilt. Man nennt V komplement¨ ar, wenn jedes x ∈ X (mindestens) ein Komple- ment besitzt.
Folgerung 2.4 a) Ist V = (X, ∧, ∨) ein distributiver Verband mit einem Null- element o und einem Einselement e, dann besitzt jedes x ∈ X h¨ ochstens ein Komplement.
b) Die Booleschen Algebren sind genau die distributiven komplement¨ aren Ver-
b¨ ande.
2 VERB ¨ ANDE UND HALBVERB ¨ ANDE
Beweis: Aufgabe 11.10.
Definition 2.5 Ein Halbverband H = (X, ·) besteht aus einer nichtleeren Men- ge X und einer zweistelligen Verkn¨ upfung · auf X, die kommutativ, idempotent und assoziativ ist. (Es handelt sich bei (X, ·) also um eine kommutative und idempotente Halbgruppe.)
Folgerung 2.6 F¨ ur jeden Verband V = (X, ∧, ∨) sind (X, ∧) und (X, ∨) Halb- verb¨ ande, zwischen denen die Beziehung (42) besteht. Sind umgekehrt (X, ∧) und (X, ∨) Halbverb¨ ande auf X, so daß (42) f¨ ur alle x, y ∈ X erf¨ ullt ist, dann ist (X, ∧, ∨) ein Verband.
Beweis: Die erste Aussage ergibt sich aus Folgerung 2.2. F¨ ur die Umkehrung ist nur zu zeigen, daß sich mit (42) eines der Absorptionsgesetze nachweisen l¨ aßt.
Mit z = x ∨ y folgt aus der Assoziativit¨ at und Idempotenz x ∨ z = x ∨ (x ∨ y) = (x ∨ x) ∨ y = x ∨ y = z und mit (42) daher x ∧ (x ∨ y) = x ∧ z = x, also (34).
Definition 2.7 Es sei M eine beliebige Menge und ∅ 6=
M⊆
P(M), so daß M
1, M
2∈
M= ⇒ M
1∩ M
2∈
Mund M
1∪ M
2∈
M(46)
erf¨ ullt ist. Dann heißt (
M, ∩, ∪) ein Mengenverband.
Satz 2.8 Jeder Mengenverband ist ein distributiver Verband. Umgekehrt ist jeder distributive Verband zu einem Mengenverband isomorph.
Definition 2.9 Es sei V = (X, ∧, ∨) ein Verband und ∅ 6= X
0⊆ X. Wenn x∧y ∈ X
0und x∨y ∈ X
0f¨ ur alle x, y ∈ X
0erf¨ ullt sind, dann heißt V
0= (X
0, ∧, ∨) ein Unterverband oder Teilverband von V . Handelt es sich bei V sogar um eine Boolesche Algebra mit der Komplementbildung
0, und gilt auch x
0∈ X
0f¨ ur alle x ∈ X
0, dann nennt man V
0eine Unteralgebra von V.
Beispiel 2.10 Es sei X =
P(V ) die Potenzmenge eines Vektorraumes V und
X
0die Menge aller Unterr¨ aume von V . Definiert man U
1∧ U
2= U
1∩ U
2und
U
1∨ U
2= [U
1∪ U
2] als lineare H¨ ulle von U
1∪ U
2f¨ ur alle U
i∈ X
0, so ist (X
0, ∨, ∧)
ein Verband, aber kein Teilverband des Potenzmengenverbandes (X, ∪, ∩).
Beispiel 2.11 Auf der Menge X = {o, x, y, z, e} sind durch die beiden folgenden Hasse-Diagramme (grch. diagramma = geometrische Figur) (Helmut Hasse, 1898 - 1979) mit den ¨ ublichen Interpretationen (lat. interpretare = auslegen) von ∧ und ∨ zwei Verb¨ ande gegeben, die beide nicht distributiv sind. Sie sind jedoch beide komplement¨ ar. Der linke Verband ist semidistributiv, der rechte nicht.
o e
x y
z x y z
e
o
Satz 2.12 Ein Verband V = (X, ∧, ∨) ist genau dann distributiv, wenn er kei- nen Teilverband V
0enth¨ alt, der zu einem der beiden Verb¨ ande aus Beispiel 2.11 isomorph ist.
Mit den folgenden ¨ Uberlegungen wird die im ersten Abschnitt hergestellte Bezie- hung zwischen Booleschen Algebren und Booleschen Ringen verallgemeinert.
Definition 2.13 Ein Halbring H = (X, +, ·) besteht aus zwei Halbgruppen (X, +) und (X, ·), so daß die beiden Distributivgesetze x · (y + z) = x · y + x · z und (y + z) · x = y · x + z · x wie bei Ringen gelten. Ein solcher Halbring heißt ein Boolescher Halbring, wenn außerdem die folgenden Axiome gelten.
i) (X, +) ist kommutativ und besitzt ein neutrales Element o, das Nullelement des Halbringes.
ii) (X, ·) ist idempotent und besitzt ein neutrales Element e, das Einselement des Halbringes.
iii) Das Nullelement ist multiplikativ absorbierend gem¨ aß x · o = o = o · x f¨ ur alle x ∈ X.
iv) Das Einselement erf¨ ullt
e + x + x = e f¨ ur alle x ∈ X.
(47)
2 VERB ¨ ANDE UND HALBVERB ¨ ANDE
Bemerkung 2.14 a) Offensichtlich ist jeder distributive Verband (X, ∧, ∨) mit einem Nullelement o und einem Einselement e ein derartiger Boolescher Halbring, wobei ∧ die Multiplikation · und ∨ die Addition + ist. Hierbei sind sogar beide Operationen kommutativ und idempotent.
b) Jeder Boolesche Ring ist ein Boolescher Halbring, denn wegen Folgerung 1.10 gilt x + x = o f¨ ur alle x ∈ X und daher auch (47).
c) Es gibt Boolesche Halbringe, die weder distributive Verb¨ ande noch Boolesche Ringe sind (vgl. Aufgabe 11.10).
d) Aus e+x+x = e folgt speziell e+e+e = e und hieraus wegen der Distributivit¨ at x + x + x = x
(48)
f¨ ur alle x ∈ X. Weiterhin folgt aus einer Gleichheit a = b stets e + a = e + b sowie e+a+b = e +b +b = e, und aus e+a +b = e auch umgekehrt e +b = e+a+b +b = e + a. Außerdem folgt aus a + b = a + c auch e + a + a + b = e + a + a + c und daher e + b = e + c. Derartige Umformungen werden beim Beweis der n¨ achsten Folgerung wiederholt verwendet, ohne sie explizit zu erw¨ ahnen.
Wie bei Booleschen Ringen l¨ aßt sich die Kommutativit¨ at der Multiplikation zei- gen, allerdings mit mehr Aufwand als beim Beweis von Folgerung 1.10.
Folgerung 2.15 In jedem Booleschen Halbring H = (X, +, ·) gilt x · y = y · x f¨ ur alle x, y ∈ X.
Beweis: Aus der binomischen Formel und der Idempotenz der Multiplikation folgt
e + x + yz = e + (x + yz)
2= e + x + xyz + yzx + yz und damit
e + xyz + yzx = e.
Mit y = z erh¨ alt man hieraus e = e + xy + yx.
(49)
(Im Fall eines Booleschen Ringes konnte man dann die additive K¨ urzbarkeit spe-
ziell von e ausnutzen, womit die Behauptung dann bereits bewiesen war. Da
dies jetzt nicht m¨ oglich ist, muß man etwas anders schließen.) Multiplikation
mit xy von rechts liefert xy = xy + xy + yxy und wegen xy = xyxy folgt xy = xyxy + xyxy + yxy = (x + x + e)yxy = yxy und daher auch yx = xyx. Nun hat man
xy + yx + yx = xy + xyx + xyx = xy(e + x + x) = xy
und schließlich wegen der Kommutativit¨ at der Addition und der Idempotenz der Multiplikation die behauptete Kommutativit¨ at der Multiplikation.
xy = yx + xy + (yx)(yx)
= yx + yxy + yxyx
= yx + yxxy + yxyx
= yx(e + xy + yx) = yx,
wobei im letzten Schritt nochmals (49) benutzt wurde.
Nun kann man ein Analogon zu Satz 1.14 zeigen.
Satz 2.16 Es sei H = (X, +, ·) ein Boolescher Halbring mit dem Nullelement o und dem Einselement e. Definiert man
x ∧ y := x · y und (50)
x ∨ y := x + y + x · y (51)
f¨ ur alle x, y ∈ X, dann ist V = (X, ∧, ∨, o, e) ein distributiver Verband mit dem Nullelement o und dem Einselement e.
Beweis: Wegen Folgerung 2.15 ist (X, ∧, e) kommutative und idempotente Halb- gruppe mit dem Einselment e. Daher gelten auch x∨y = x+y+x·y = y+x+y·x = y ∨ x sowie x ∨ x = x + x + x · x = x + x + x = x und x ∨ o = x + o + x · o = x , so daß (X, ∨) kommutativ und idempotent ist und ein neutrales Element besitzt.
Schließlich zeigen (x∨ y) ∨z = (x +y +xy) ∨ z = x +y + xy+ z + xz + yz +xyz und
x∨(y∨z) = x∨(y+z+yz ) = x+y+z+yz+xy+xz+xyz, daß (X, ∨) auch eine Halb-
gruppe ist. Weiterhin gelten x ∨ (x ∧ y) = x ∨ xy = x + xy + xy = x(e + y + y) = x
und x ∧ (x ∨ y) = x(x + y + xy) = x + xy + xy = x, d. h. die beiden Ab-
sorptionsgesetze. Daher ist (X, ∨, ∧) ein Verband mit dem Nullelement o und
dem Einselement e. Wegen x ∧ (y ∨ z) = x(y + z + xyz) = xy + xz + xyz und
(x ∧ y) ∨ (x ∧ z) = xy ∨ xz = xy + xz + xyxz = xy + xz + xxyz = xy + xz + xyz
gilt ein Distributivgesetz und nach Folgerung 2.2 daher sogar beide.
2 VERB ¨ ANDE UND HALBVERB ¨ ANDE
Bemerkung 2.17 a) Ist (X, +, ·) selbst schon ein distributiver Verband, so gilt wegen des Absorptionsgesetzes auch x ∨ y = x + y + xy = x + y f¨ ur alle x, y ∈ X, d. h. (X, +, ·) und (X, ∨, ∧) stimmen bereits ¨ uberein. Daher gilt ein Satz 1.12 enstprechender Satz f¨ ur Boolesche Halbringe (und distributive Verb¨ ande mit o und e) nicht mehr.
b) Wie der Boolesche Halbring aus Aufgabe 11.8 zeigt, kann es also verschiedene Boolesche Halbringe geben, die denselben distributiven Verband liefern.
c) Definiert man x
0= e + x f¨ ur alle x ∈ X, so gilt zwar x ∨ x
0= x + e + x = e, aber wegen x ∧ x
0= x(e + x) = x + x
2= x + x ist x
0nur dann Komplement von x, wenn x + x = o gilt, wenn also x in (X, +) invertierbar mit −x = x ist.
Definition 2.18 Ein distributiver Quasiverband Q = (X, ∧, ∨) besteht aus zwei Halbverb¨ anden (X, ∨) und (X, ∧), so daß die Distributivgesetze (36) und (37) erf¨ ullt sind.
Gilt dagegen nur (36), so spricht man von einem ∧-distributiven Bihalbverband und dual von einem ∨-distributiven Bihalbverband, wenn nur (37) gilt.
Existiert ein neutrales Element von (X, ∨) [von (X, ∧)], so wird es Nullelement [Einselement] des Quasiverbandes bzw. Bihalbverbandes genannt.
Bemerkung 2.19 Jeder distributive Verband ist also ein ∨- und ∧-distributiver Bihalbverband sowie ein distributiver Quasiverband.
F¨ ur distributive Quasiverb¨ ande gilt das Dualit¨ atsprinzip. Es gilt ebenfalls f¨ ur distributive Quasiverb¨ ande mit Null- und Einselement.
∨- und ∧-distributive Bihalbverb¨ ande sind jeweils kommutative und idempoten- te Halbringe, distributive Quasiverb¨ ande sogar kommutative und idempotente distributive Halbringe.
Beispiel 2.20 Adjungiert man zu einem distributiven Quasiverband (X, ∨, ∧)
ein Element ∞ ∈ / X gem¨ aß ∞ ∨ x = ∞ = x ∨ ∞ und ∞ ∧ x = ∞ = x ∧ ∞
f¨ ur alle x ∈ X ∪ {∞} als doppelt absorbierendes Element, so ist X ∪ {∞} ein
distributiver Quasiverband. Offensichtlich bleiben ja (X ∪ {∞}, ∨) und (X ∪
{∞}, ∧) idempotente und kommutative Halbgruppen und (36) und (37) gelten
nach Voraussetzung f¨ ur x, y, z ∈ X. In den F¨ alle x = ∞, y = ∞ oder z = ∞ gelten
sie aber auch, da dann auf beiden Seiten der Gleichungen jeweils das Ergebnis ∞
steht, weil dieses Element doppelt absorbierend ist. Die Absorptionsgesetze sind
aber wegen x ∨ (x ∧ ∞) = ∞ 6= x und dual x ∧ (x ∨ ∞) = ∞ 6= x f¨ ur x 6= ∞ in
keinem Fall mehr erf¨ ullt.
Lemma 2.21 Sei Q = (X, ∨, ∧) ein distributiver Quasiverband mit einem Null- element o und einem Einselement e. Dann gelten f¨ ur alle x, y ∈ X
a) x ∧ o = o ⇐⇒ x ∨ e = e.
b) x ∧ y = e ⇐⇒ x = y = e.
c) x ∧ y ∧ o = o ⇐⇒ x ∧ o = y ∧ o = o.
Beweis: a) Aus x ∧ o = o folgt e = o ∨ e = (x ∧ o) ∨ e = (x ∨ e) ∧ (o ∨ e) = (x ∨ e) ∧ e = x ∨ e. Die Umkehrung folgt dual.
b) Aus x ∧ y = e folgt x = x ∧ e = x ∧ (x ∧ y) = x ∧ y = e und y = y ∧ e = y ∧ (x ∧ y) = y ∧ (y ∧ x) = y ∧ x = e. Die Umkehrung ist trivial.
c) Aus (x∧y)∧o = o folgt mit a) zun¨ achst e = (x∧y)∨e = (x∨e)∧(y∨e) und daher mit b) dann x ∨ e = y ∨ e = e. Wiederum mit a) folgt hieraus x ∧ o = y ∧ o = o.
Die Umkehrung ist trivial.
Lemma 2.22 Es sei Q = (X, ∨, ∧) ein distributiver Quasiverband.
a) Besitzt Q ein Nullelement o, dann wird durch
x κ y ⇐⇒ x = y oder (x ∧ o 6= o und y ∧ o 6= o) eine Kongruenzrelation in Q definiert.
b) F¨ ur alle a ∈ X werden durch
x κ
ay ⇐⇒ x ∨ a = y ∨ a x κ
0ay ⇐⇒ x ∧ a = y ∧ a
Kongruenzrelationen in Q definiert, die folgende Eigenschaften haben:
(i) x κ
a∩ κ
0ay ⇐⇒ x ∧ (x ∨ a) = y ∧ (y ∨ a),
(ii) κ
a= ι
X⇐⇒ a = o ist ein Nullelement von Q, (iii) κ
0a= X × X ⇐⇒ a = e ist ein Einselement von Q.
Beweis: a) κ ist definitionsgem¨ aß reflexiv und symmetrisch. Gelten xκy und yκz,
so gilt f¨ ur x = y oder y = z jedenfalls xκz. Sonst gelten x ∧ o 6= o, y ∧ o 6= o und
z ∧ o 6= o und daher ebenfalls xκz. Daher ist κ auch transitiv. Gilt xκy und ist
z ∈ X beliebig, so folgt im Fall x = y sofort x∧ z = y∧ z, also x∧ z κ y ∧z. Im Fall
2 VERB ¨ ANDE UND HALBVERB ¨ ANDE
x ∧ o 6= o und y ∧ o 6= o w¨ urde aus x ∧ z ∧ o = o mit Lemma 2.21 c) aber x ∧ o = o folgen, was nicht richtig ist. Also gilt x ∧ z ∧ o 6= o und analog y ∧ z ∧ o 6= o.
Daher gilt auch jetzt x ∧ z κ y ∧ z und damit ist κ eine Kongruenzrelation in der Halbgruppe (X, ∧).
Wegen Lemma 2.21 a) stimmt κ aber mit der dualen Relation x κ
0y ⇐⇒ x = y oder (x ∨ e 6= e und y ∨ e 6= e)
¨ uberein und diese ist wegen der Dualit¨ at Kongruenzrelation in (X, ∨). Also ist κ = κ
0Kongruenzrelation in Q.
b) Offensichtlich sind κ
aund κ
0ajeweils ¨ Aquivalenzrelationen, da sie mit Hilfe von Gleichungen definiert werden. Außerdem sind sie dual zueinander. Gilt x κ
ay und ist z ∈ X beliebig, so folgt x ∨ z ∨ a = y ∨ z ∨ a aus x ∨ a = y ∨ a und ebenso (z ∧ x) ∨ a = (z ∨ a) ∧ (x ∨ a) = (z ∨ a) ∧ (y ∨ a) = (z ∧ y) ∨ a. Also gelten auch x ∨ z κ
ay ∨ z und x ∧ z κ
ay ∧ z und κ
aist Kongruenzrelation in Q. Dual folgt, daß auch κ
0aKongruenzrelation auf Q ist.
(i): Aus x κ
ay und x κ
0ay folgt x ∧ (x ∨ a) = x ∧ (y ∨ a) = (x ∧ y) ∨ (x ∧ a) = (y ∧ x) ∨ (y ∧ a) = y ∧ (x ∨ a) = y ∧ (y ∨ a).
Beim Beweis der Umkehrung beachte man, daß wegen der Distributivit¨ at und Idempotenz x∧(x∨a) = (x∧x)∨(x∧a) = x∨(x∧a) gilt und somit die Bedingung x ∧ (x ∨ a) = y ∧ (y ∨ a) selbstdual ist. Aus dieser Bedingung folgt daher wegen x∨a = (x∨a)∧(x ∨a∨a) = (x ∧(x∨ a))∨ a zun¨ achst y∨a = (y∧(y∨a))∨a = x∨a und x κ
ay, aber ebenso auch x κ
0ay.
(ii): Besitzt Q ein Nullelement o, so ist x ∨ o = y ∨ o ja gleichwertig zu x = y f¨ ur alle x, y ∈ X. Umgekehrt gilt wegen (x ∨ a) ∨ a = x ∨ a stets x ∨ a κ
ax f¨ ur alle x ∈ X. Im Fall κ
a= ι
Xheißt dies aber x ∨ a = x f¨ ur alle x ∈ X und damit ist dann a Nullelement von Q.
(iii): Dies ist dual zu (ii).