Z
u Beginn der Beratungen zum Tagesordnungspunkt „Tä- tigkeitsbericht der Bundes- ärztekammer" lagen bereits 47 Entschließungsanträge zu mehr als 15 Themenkomplexen vor. Aller- dings hat sich das Plenum nur mit zwei Themenkomplexen intensiv befaßt;die übrigen Anträge wurden an den Vorstand der Bundesärztekammer zur weiteren Beratung überwiesen.
In einem vom Vorstand der Bundesärztekammer vorbereiteten Entschließungsantrag, der mit gro- ßer Mehrheit angenommen wurde, ist das Anliegen des aktuellen „Re- ferentenentwurfs zu einem Schwan- gerenberatungsgesetz" (vom 23.
April 1988) positiv beurteilt worden.
Der Ärztetag unterstützt die Bemü- hungen, das Beratungsangebot bei ungewollter Schwangerschaft zu ver-
Dr. Hedda Heuser-Schreiber, Oberau- dorf, Präsidentin des Deutschen Ärztin- nenbundes, als Antragsstellerin: „Die im Entwurf für ein Schwangerenberatungs- gesetz genannten Ziele dürfen nicht der alleinige Inhalt der Beratung sein."
bessern. Sinnvoll sei es auch, das Beratungsangebot bis zum dritten Lebensjahr nach der Geburt zu er- weitern. Insbesondere müsse die Be- reitschaft der Schwangeren zur ei- genverantwortlichen Annahme des ungeborenen Lebens geweckt, ge- stärkt und erhalten werden.
Wie es in § 1 Abs. 2 des Refe- rentenentwurfs heißt, soll die Bera- tung dazu beitragen, „eine im Zu- sammenhang mit einer Schwanger- schaft bestehende seelische und so- ziale Not- oder Konfliktlage zu be- wältigen und das Austragen der Schwangerschaft sowie die Lage von Mutter und Kind zu erleichtern".
Die Beratung solle darüber hinaus der Schwangeren helfen, eine eigen- verantwortliche Entscheidung zu treffen, die der Verpflichtung gegen- über dem ungeborenen Leben und
Dr. Ingrid Hasselblatt-Diedrich, Chirur- gin aus Frankfurt: „Jeder Arzt stellt um- fassende Indikationen, auch der Chir- urg. Das Trennen zwischen Sozialbera- tung und Indikationsstellung bedeutet ein Drücken vor der Verantwortung."
Dr. Ingeborg Retzlaff, Frauenärztin aus Lübeck, Präsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein: „Die Ärztekammern haben sich noch immer in der Lage ge- sehen, den Inhalt der Fortbildung selbst zu bestimmen. Dazu braucht es nicht be- sonderer Landesgesetze,"
der besonderen Problematik des Schwangerschaftsabbruchs gerecht wird.
Ein modifizierter Antrag von Frau Dr. Hedda Heuser-Schreiber, der Vorsitzenden des Deutschen Ärztinnenbundes, Oberaudorf, und von Frau Dr. Ute Otten, Wuppertal, der ebenfalls von den Delegierten angenommen wurde (und der den Vorstandsantrag ergänzt), weist dar- auf hin, daß die im Gesetzentwurf genannten Ziele nicht der alleinige Inhalt der Einzelberatung sein dür- fe. Der Antrag wendet sich auch ge- gen die Absicht, die soziale Bera- tung von der Indikationsstellung bei Ärztinnen und Ärzten mit aner- kannter Fortbildung zu trennen.
Dies erscheine sowohl für die Ärzte und Ärztinnen als auch für die be- troffenen Frauen unzumutbar.
Keine Mehrheit fanden Anträ- ge, die das Schwangerenberatungs- gesetz völlig ablehnen. Der bayeri- sche Delegierte Dr. Hans Hege wies die Unterstellung eines „oppositio- nellen" Ärztetagsdelegierten zu- rück, das Schwangerenberatungsge- setz sei ein „Schwangerschaftser- pressungsgesetz".
Dr. Ingeborg Retzlaff, Stellver- tretende Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes, Lübeck, sagte,
Tagesordnungspunkt Tätigkeitsbericht
Bessere Konfliktberatung bei ungewollter
Schwangerschaft nötig
A-1594 (22) Dt. Ärztebl. 85, Heft 22, 2. Juni 1988
Dr. Michael Popovid: „Mit der Vorlage des Schwangerenberatungsgesetzes bewegen wir uns asymptotisch auf das Bundesverfassungsgericht zu.'
Repräsentanten der Ärzteschaft aus 18 Nationen nahmen an den Plenarsitzungen des 91. Deut- schen Ärzteta- ges in Frankfurt am Main teil, darunter drei Vertreter aus dem Ostblock:
Polen, Ungarn, Rumänien; zwölf aus dem übri- gen Europa;
zwei aus Asien:
Japan und Chi- na; und einer schließlich aus Südafrika
Gast mit der weitesten Anreise: Prof.
Liu Meng-mei, Chefärztin am Gu-lou Hospital Nanking, Volksrepublik Chi- na (Foto Mitte rechts). Befürchtet Ein- schränkungen der Weiterbildungs- stellen, wenn der „Arzt im Prakti- kum" eingeführt wird: Antje Möhring von der Fachkonferenz Medizin in der Vereinigten Deutschen Studen- tenschaft (VDS) (Bild Mitte links). Der Ehrenpräsident des 91. Deutschen Ärztetages, Prof. Dr. Wilhelm Theo- pold (links)
Fotos aus Frankfurt: Walter Neusch Länder dürften den Ärzten nicht
vorschreiben, was der Inhalt der Be- ratung sein solle. Dies lehne die Ärzteschaft auch in anderen Berei- chen ab. In Anbetracht der großen Fortbildungsbereitschaft sei es nicht notwendig, eine besondere Fortbil- dungspflicht in einem Spezialgesetz wie dem Schwangerenberatungsge- setz festzuschreiben.
Dr. Michael Popovi, Eppstein, appellierte an alle deutschen Arztin- nen und Ärzte, Verständnis und Hilfsbereitschaft allen Schwangeren entgegenzubringen, die eine ärzt- liche Beratung wünschten. Frau Dr.
Ingrid Hasselblatt-Diedrich, Dele- gierte der Ärztekammer Hessen, Frankfurt, meinte, das Trennen zwi- schen Sozialberatung und Indika- tionsstellung bedeute ein Drücken vor der Verantwortung. Dr. Hein- rich Clementsen, Neumünster, sag- te, es wäre nach den Erfahrungen aus Schleswig-Holstein „widersin- nig` wenn der Arzt, der beraten hat, nicht auch die Indikation stellen könnte. Die Schwangere und der Arzt müßten jedenfalls eine Be- denkzeit haben, um später noch ein- mal sich ausführlich und vertrauens- voll zu besprechen.
Keine Mehrheit fand der Antrag der Berliner Delegierten Dr. Gund- hild Kühn und Verena Ackermann, der das geplante Beratungsgesetz als Ergänzung zu § 218 StGB abge-
lehnt und statt dessen auf „präventi- ve Maßnahmen zur Verhütung der ungewollten Schwangerschaft" be- schränkt haben wollte. Die Dele- gierten verschlossen sich zwar nicht dem Argument nach mehr präventi-
ven Maßnahmen; die Forderung nach einem künftig „kostenlosem"
Zugang zu Verhütungsmitteln und individueller Verhütungsberatung für „sozial Schwache" ging ihnen al- lerdings zu weit. HC
85, Heft 22, 2. Juni 1988 (23) A-1595 Dt. Ärztebl.