AKTUELLE MEDIZIN
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Nikolas B. Vukmirovic und Wolfgang Bircks
Im ersten Jahrzehnt der koronaren Direkt-Revaskularisation hat die Be- nutzung der Vena saphena magna die Arteria mammaria intema als ko- ronares Bypassgefäß weitgehend verdrängt. Langzeit-Untersuchungen zeigen jedoch überlegene Resultate nach Verwendung arterieller Gefä- ße. Die spätpostoperative Inzidenz myokardialer Infarkte ist bei Anwen- dung der Arteria mammaria interna im Vergleich zur ausschließlichen Verwendung der Vena saphena magna geringer; Reoperationen wer- den seltener notwendig. Der Arteria-mammaria-intema-Bypass ist da- her bei sorgfältiger Indikationsstellung heute meist in Kombination mit weiteren Venen-Bypasses in der Mehrzahl der Fälle indiziert.
Revaskularisation bei KFIK
Die Bedeutung der
Arteria mammaria interna als Bypassgefäß
D
ie Arteria thoracicca interna, im folgenden nach internationalem klinischem Usus A.mammaria interna (englisch: internal mammary artery
= IMA) genannt, fand die erste Verwendung zur myokardialen Per- fusionsbesserung be,i koronarer Herzerkrankung im Jahre 1950 durch Vineberg und Miller (33), die die Arterie in operativ künstlich ge- schaffene Myokardtunnel implan- tierten in der Hoffnung, daß sich über die Arterie ein Kollateralkreis- lauf bilden würde (sogenannte indi- rekte Revaskularisation). Dieses Verfahren wurde seit 1964 in der UDSSR durch Kolesov (14), seit 1966 in den USA durch Green (10) zu der heute praktizierten Technik der unmittelbaren Anastomosierung zu proximal stenosierten Koronarar- terien (sogenannte direkte Revasku- larisation) weiterentwickelt.
1. Fragestellung
Eine Vielzahl autologer und ho- mologer Gefäßsubstitute wurde in der Vergangenheit ebenso wie syn- thetische Materialien zur koronaren
Bypassoperation mit unterschiedli- chem Erfolg herangezogen (Tabel- le). Die Bypassoperation unter Ver- wendung der Vena saphena magna als Autotransplantat ist seit der Ein- führung in die klinische Routine durch die Cleveland Clinic im Jahre 1968 (9) das meistverwendete Ver- fahren.
Ursprünglich von Pym et al. (25) als Bypassalternative vorgeschlagen, werden von der A. gastroepiploica dextra günstige Frühergebnisse be- richtet (20, 31). Bei nachgewiesener histologischer Ahnlichkeit zur IMA werden auch langfristig gute Ergeb- nisse erwartet (20) — entsprechende Untersuchungen liegen jedoch noch nicht vor. Autologe V. cephalica und V. basilica des Armes gelten als ak- zeptierte Reservegefäße (27), wohin- gegen die übrigen aufgelisteten Ge- fäßprothesen (5, 7, 8, 4, 29, 26) ge- genwärtig nicht zur Anwendung kommen.
Die Arteria mammaria interna nimmt als Bypassgefäß eine zuneh- mend bevorzugte Stellung ein. Die Gründe hierfür sollen im folgenden diskutiert werden. Überlegungen von Lytle et al. (18) zufolge sind an ein ideales Bypassgefäß folgende Ansprüche zu stellen:
1. Es soll in ausreichender Men- ge zur Verfügung stehen.
2. Es soll schnell und mit gerin- gem Aufwand gewonnen werden können.
3. Es soll sich unkompliziert verarbeiten lassen.
4. Es soll die Myokardischämie beheben und dauerhaft durchgängig bleiben.
Diese Forderungen sind weiter- hin gültig und helfen zum Verständ- nis der Entwicklung der Koronar- chirurgie. Während der ersten zehn Jahre der direkten Revaskularisati- onschirurgie wurde die IMA zu- nächst von der V. saphena magna fast vollständig verdrängt, da jene oben genannten Forderungen in fast idealer Weise zu entsprechen schien.
Folgende Nachteile der IMA wurden aufgeführt:
—zu geringes Lumen und zu ge- ringer Blutfluß im Verhältnis zum Bedarf des Myokards;
—technisch aufwendige und schwierige Präparation bei vulnera- bler Gefäßwand;
Abteilung für Thorax- und kardiovaskuläre Chirurgie (Leiter: Professor
Dr. med. Wolfgang Bircks), Chirurgische Klinik und Poliklinik der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990 (33) A-4105
Y-Bypass
Seit-zu-Seit-Anastomose
End-zu-Seit-Anastomose sequentieller Bypass
freies Transplantat Einfach-Bypass
I
proximal in situ belassenbilateraler Bypass
Abbildung 1: Anwendungsmöglichkeiten der IMA, nach Tector, A. J. et al. (33)
— unzureichende anatomische Gefäßlänge, daher nicht alle Koro- nargefäßabschnitte erreichbar.
Dennoch findet die IMA in den letzten Jahren immer breitere An- wendung. So wurde von 1088 Patien- ten, die sich im eigenen Krankengut in den Jahren 1988 und 1989 einer isolierten myokardialen Revaskulari- sationsoperation mit durchschnitt- lich 2,9 Transplantaten unterzogen, die IMA bei 459 Patienten (42 Pro- zent) angewandt. In der Regel wurde die IMA proximal in situ belassen und der R. interventricularis ante- rior der linken Koronararterie ana- stomosiert.
2. Anatomische und physiologische Grundlagen
Die IMA ist ein Seitenast der A.
subclavia, verläuft paarig retroster- nal und teilt sich in Höhe der sech- sten Sternocostalverbindung in die A. musculophrenica und die A.
epigastrica superior. Sie wird von ei- ner oder zwei kleinen Venen beglei- tet, die bei der Präparation nach Möglichkeit unversehrt mit der Arte- rie mobilisiert werden (28).
Tabelle: Zum koronaren By- pass verwendete Materialien
—autologe Arteria mammaria interna
—autologe Arteria radialis
—autologe Artertia lienalis
—autologe Arteria gastroepi- ploica dextra
—autologe Vena saphena magna
—autologe Vena cephalica oder Vena basilica
—homologe Vena saphena magna
—homologe Umbilikalvene
—heterologe Arteria carotis (vom Kalb)
Polytetrafluoroethylen- Prothesen
Bei der histologischen Untersu- chung der IMA findet sich eine un- gewöhnlich regelmäßige Lamina ela- stica interna. Die Zellen der Tunica media penetrieren nicht die Tunica intima. Es ist bekannt, daß die in die Tunica intima reichenden muskulä- ren Zellen der Tunica media eine unmittelbare Beziehung zur Athero- skleroseentwicklung haben, einer
Gefäßschädigung, der die IMA nur in sehr geringem Maße unterliegt (30, 32).
Eine ultrastrukturelle, morpho- metrische Analyse der dem Gefäßlu- men abgewandten Endotheloberflä- che zeigt bedeutsame Unterschiede in Zahl und Penetrationstiefe zyto- plasmatischer Einfaltungen. Sie sind bei der IMA deutlich vermehrt und tieferreichend. Da angenommen wird, daß diese Einfaltungen für die Haftung des Endothels förderlich sind, ist hier eine Erklärungsmög- lichkeit für den unterschiedlichen Grad der endothelialen Schädigung bei der operativen Präparation und somit für die Entwicklung postopera- tiver Atherosklerose (21).
Die Vasa vasorum externa drin- gen aus der Tunica adventitia nicht in die Tunica media ein, deren Ver- sorgung folglich aus dem Lumen er- folgt. Somit ist bei der Verwendung der IMA als freies Transplantat eine gravierende ischämische Gefäßschä- digung nicht wahrscheinlich. Diese Vorstellung konnte durch experi- mentelle Vergleichsuntersuchungen belegt werden, denen zufolge die Prostazyclinproduktion eines freien IMA-Transplantates, die nur bei in- takter Endothelfunktion erhalten bleibt, gegenüber der proximal in si- tu belassenen IMA nicht vermindert ist (1). Auf dieser Grundlage ist denkbar, daß die Form der Wand- schichtendurchblutung eine Erklä- rung für die guten Ergebnisse bei der Anwendung der IMA als freies Transplantat sein kann (15).
3. Technik
operativen Vorgehens
Die verschiedenen Anwen- dungsmöglichkeiten der IMA (siehe Abbildung 1) umfassen die einfache Anastomosierung als Bypass eines stenosierten Koronargefäßes sowie die Mehrfachanastomosierung als sequentieller Bypass mehrerer nach- einander erreichbarer Koronarien.
Bei ausreichend weitem Lumen der IMA besteht zudem die Möglichkeit, die Präparation über die Teilungs- stelle in A. musculophrenica und A.
epigastrica sup. hinaus zu verlängern und sie dann in der Form eines A-4108 (36) Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990
Lytle 1985 Barner
1985
10-12 Jahre
% der Bypassgefäße 100
80
60
40
20
0
Groncfn 1984
Ivert 1988
- IMA v. saphena magna Abbildung 2: Angio-
graphische Durch- gängigkeit postope- rativ nach zehn und mehr Jahren
Loop 1986
Cosgrove 1986
% der Patienten 20
15
10
5
0
10 Jahre
v. saphena magna IMA V,
Abbildung 3: Reope- rationshäufigkeit, zehn Jahre nach der Erstoperation Y-Transplantates zu verwenden. Die
IMA kann sowohl einseitig, dann meist linksthorakal, oder doppelsei- tig verwendet werden. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, die IMA als freies Transplantat zwi- schen Aorta ascendens und Koro- nararterie einzuschalten. Als bevor- zugte Zielgefäße der linken IMA gel- ten der R. interventrikularis anteri- or, ein Diagonalast oder ein kräftig ausgebildeter Marginalast der linken Herzkranzarterie. Die rechte IMA dagegen kommt häufig bei der rech- ten Koronararterie und deren Ästen zur Anwendung. Mit zunehmender Erfahrung in der Anastomosierung der IMA auch als freies Transplantat wird sie jedoch in steigender Ten- denz seitenunabhängig für nahezu alle koronaren Gefäßabschnitte ver- wendet (18). Entsprechend gelten fast alle dem Venenbypass zugängli- chen Gefäße auch für die IMA als erreichbar.
4. Resultate
Postoperative Komplikationen:
Für ein unspezifiziertes Patien- tenkollektiv sind in der Literatur kei- ne vermehrten Komplikationen, wie
etwa Wundinfektionen oder auch die Läsion des im Präparationsbereich verlaufenden N. phrenicus beschrie- ben. Bei Diabetikern kommt es je- doch im Falle beidseitiger IMA-Prä- paration — bedingt durch die vergrö-
ßerte Wundhöhle — zu geringfügig gehäuften Wundheilungsstörungen (18, 22).
Angiographie:
Im Vergleich der klinischen und angiographischen postoperativen Er- gebnisse der koronaren Revaskulari- sation mit der IMA beziehungsweise V. saphena magna zeigen sich im kurz- und mittelfristigen Verlauf bis zu fünf Jahren nur verhältnismäßig geringe Differenzen bezüglich der Durchgängigkeit der Bypassgefäße.
So sind nach einem Jahr 89 bis 97 Prozent der IMA-Transplantate ge- genüber 77 bis 93 Prozent der venö- sen Transplantate durchgängig.
Nach fünf Jahren betragen die Durchgängigkeitsraten 88 bis 90 Pro- zent beziehungsweise 74 bis 79 Pro- zent. Wie aus Abbildung 2 deutlich wird, ergibt sich im langfristigen Verlauf von zehn Jahren und mehr die eindeutige Überlegenheit der IMA (11, 3, 19, 12).
Morbidität und Letalität:
In einer frühen Mitteilung wird im Jahre 1978 darauf hingewiesen, daß sich die Anwendung der IMA günstig auf die postoperative Infarkt- häufigkeit auswirkt, daß im Ver- A-4110 (38) Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990
gleich zur Vena saphena magna eine wesentliche Besserung der Angina pectoris jedoch nicht festzustellen ist (13). Das Sterblichkeitsrisiko nach zehn Jahren (13, 17, 16, 34) sowie das Herzinfarktrisiko (23, 24, 16) und die kardiale Dekompensation werden bei Verwendung der IMA ebenso wie der kumulative Anteil von Reoperationen nach IMA-An- wendung (Abbildung 3) im Vergleich zur V. saphena als deutlich geringer beschrieben (16, 23). Die Reopera- tion ist darüber hinaus nicht von ver- mehrtem Risiko begleitet (6, 2).
Für die Qualität der Langzeitre- sultate erweist sich gegenüber ande- ren Faktoren wie Technik und Er- fahrung des Operateurs sowie Pro- gredienz der Koronarsklerose die Beschaffenheit des Transplantats selbst als entscheidend (6).
Hämodynamische Adaptationsfähigkeit:
Eine gute Adaptation der IMA an den myokardialen Versorgungs- bedarf konnte durch Untersuchun- gen dokumentiert werden, denen zu- folge in einem Beobachtungszeit- raum vön elf Jahren elf von 36 IMA- Transplantaten eine Erweiterung des Lumens um 15 bis 40 Prozent er- fuhren (12).
5. Schlußfolgerungen
Gegenüber den unbestreitbaren Vorteilen der IMA, im besonderen der hervorragenden Langzeitdurch- gängigkeit, sind operative Schwierig- keit und Langwierigkeit der Präpara- tion überwindbar und zu vernachläs- sigen. Durch neue Techniken, unter anderem durch die Möglichkeit der Verwendung als freies Transplantat, ist es möglich geworden, nahezu je- den koronaren Gefäßabschnitt mit der IMA zu erreichen. Weiterhin ist die Befürchtung eines unzureichen- den Blutflusses im IMA-Bypass un- begründet, da eine Adaptation an den Bedarf stattfindet.
Auf die IMA wird jedoch in fol- genden Fällen meist verzichtet:
—wenn schwere, bis in die Peri- pherie reichende koronarskleroti- sche Veränderungen vorliegen;
—wenn die IMA durch arterio-
sklerotische Veränderungen der A.
subclavia gefährdet ist;
—wenn die IMA intraoperativ beschädigt wurde und/oder ein zu geringer, nicht pulsatiler Blutfluß ge- messen wird;
—wenn das IMA-Lumen im Verhältnis zur Koronararterie deut- lich zu gering ist;
—wenn eine hochgradige Links- herzhypertrophie beziehungsweise -dilatation bei gleichzeitig bestehen- den Klappenvitien vorliegt;
—wenn der Patient älter als 65 Jahre ist;
—wenn ein Notfall vorliegt und unter Zeitdruck operiert wird.
Die Anwendung der A. mamma- ria interna als koronares Bypassge- fäß ist in vielen Fällen die Methode der Wahl geworden. Im Vergleich zur V. saphena magna ist die Athe- roskleroseentwicklung nachweislich
Keine
Enzephalopathie- gefahr bei
Wismut-Therapie in derzeit empfohlener Dosierung
Berichte über eine Wismut-En- zephalopathie in Frankreich, Spani- en und Australien unter einer hoch- dosierten Dauermedikation haben dazu geführt, daß wismuthaltige Me- dikamente in Mißkredit gerieten.
Seit der Wiederentdeckung von He- licobacter pylori und dessen patho- genetischer Bedeutung für chroni- sche Gastritis und Ulkusleiden ge- winnt die Wismuttherapie wieder an Bedeutung, zumal Dosen verwandt werden, die in der Regel unter 1 g Wismut pro Tag liegen.
Die australischen Autoren un- tersuchten Absorption und Elimina- tion von Wismut unter einer ora- len Therapie mit Trikaliumdizitrat- Wismutat (De-Nol; Telen) mittels Atomabsorptionsverfahren. Nach einmaliger Gabe wurden Plasma- spiegel zwischen 5,5 und 57,5 41 (durchschnittlich 24,7 ixg/1) nach 30
vermindert, und die damit verbun- dene Langzeitdurchgängigkeit ent- scheidend überlegen. Für die Revas- kularisation der wichtigsten korona- ren Abschnitte wird sie daher — auch in Kombination mit der Venenby- passversorgung peripherer korona- rer Gefäßregionen — regelmäßig an- gewandt.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Wolfgang Bircks Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik — Abteilung für Thorax- und
Kardiovaskularchirurgie Moorenstraße 5
W-4000 Düsseldorf 1
FÜR SIE REFERIERT
bis 60 Minuten erreicht. Unter der üblichen Mehrfachmedikation wur- de nach 7 bis 29 Tagen (m = 18) ein steady-state hinsichtlich Plasmakon- zentration und Urinausscheidung er- reicht. Dabei lagen die Plasmaspie- gel zwischen 7,6 und 58 p4/1 (m = 38,3 Rg/1) und damit deutlich unter dem als toxisch erachteten Serum- spiegel von 100 µg/l. Die Halbwerts- zeit der Wismutelimination wurde mit 20,7 Tagen gemessen. Da die Wismut-Behandlung von Gastritis und Ulkus auf vier bis maximal acht Wochen limitiert ist, dürfte trotz der langsamen Akkumulation und Elimi- nation ein toxischer Bereich nicht er- reicht werden; die Gefahr einer Wis- mut-Enzephalopathie besteht bei zeitlicher Begrenzung und Beachtung der empfohlenen Dosis nicht.
Froomes, P. R. A., A. T. Wan, A. C.
Keech, J. J. McNeil, A. J. McLean: Ab- sorption and Elimination of Bismuth from Oral Doses of Tripotassium Dicitrato Bis- muthate. Eur. J. Clin. Pharmacol. 37:
533-536, 1989
Cinical Pharmacology Department, Alfred Hospital, Commercial Road, Prahran, Victoria 3181, Australien.
A-4112 (40) Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990