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Archiv "Minimale zerebrale Dysfunktion: Das MCD-Konzept ist überholt: Fragwürdiger Denkansatz" (27.11.1992)

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beck gewonnen sein mögen, ein Ver- gleich mit der Tabelle von Haase hätte Herrn Brosig unschwer gezeigt, daß zwischen beiden Tabellen keine wesentlichen Unterschiede bestehen.

Um einige Beispiele für die Substan- zen mit schwacher neuroleptischer Potenz zu geben: Für Chlorprothi- xen war in der von uns abgedruckten Tabelle ein Wert für die neurolepti- sche Potenz von 0,8 angegeben, bei Haase lautet der entsprechende Wert 0,66-0,80; für Thioridazin hat- ten wir einen Wert von 0,7 angege- ben, bei Haase ist ein Bereich von 0,5-0,66 notiert. Die in beiden Ta- bellen angegebenen Dosierungen dieser Neuroleptika entsprechen sich ebenfalls weitgehend, wobei Berner und Schönbeck ein etwas breiteres Dosierungsspektrum ange- ben als Haase, sowohl nach unten als auch nach oben.

Gleiches gilt auch für die Neuro- leptika mittlerer und hoher neuro- leptischer Potenz. Für beide Grup- pen sind die Werte in der von uns zi- tierten Tabelle etwas höher als in der Tabelle von Haase, andererseits er- reicht kein Neuroleptikum in der von uns angegebenen Tabelle einen so hohen Wert (nämlich 300), wie ihn Haase für das Triperidol festlegt.

Im Hinblick auf die Notwendig- keit einer individuellen Dosierung können wir Herrn Brosig nur zustim- men, sowohl für die Akutbehandlung als auch für die Langzeitmedikation.

Was die Unterscheidung von positiven und negativen Symptomen betrifft, so geht diese ursprünglich auf den englischen Neurologen Jack- son (1884) zurück, der sie im Zusam- menhang mit einem hierarchischen Modell zerebraler Funktionen ein- führte. Sinngemäß wurden sie in die Psychiatrie von Bleuler (1911) und später von Huber (1957) als Kern- symptome der Schizophrenie einge- führt und beschrieben sowie von zahlreichen anderen Autoren, unter ihnen auch Haase. Wiewohl die mei- sten Neuroleptika überwiegend die positive Symptomatik beeinflussen, so haben insbesondere die Behand- lungsversuche an sogenannten thera- pierefraktären schizophrenen Psy- chosen gezeigt, daß auch die soge- nannte negative Symptomatik in ge- wissen Grenzen neurologisch beein-

flußt werden kann. Dies haben wir bei jugendlichen Patienten mit be- reits chronifizierter Schizophrenie unter Clozapin-Behandlung eindeu- tig zeigen können. Entsprechende Untersuchungen liegen auch aus der Erwachsenenpsychiatrie vor. Dieses atypische Neuroleptikum zeigt kaum extrapyramidale Nebenwirkungen und unterliegt insofern auch einem anderen Wirkungsmechanismus als die klassischen Neuroleptika, an de- nen Haase seine bahnbrechenden Untersuchungen durchgeführt hat.

Wenngleich bei schizophrenen Pa- tienten mit negativer Symptomatik die von Herrn Brosig erwähnten so-

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.

Dr. rer. nat. Martin H. Schmidt in Heft 6/1992

Fragwürdiger Denkansatz

II

Der Artikel ist insofern zu be- grüßen, als hier besonderes Gewicht gelegt wird auf die Therapierbarkeit einer ganzen Reihe von umschriebe- nen Hirnleistungsstörungen. Ande- rerseits drängt sich sehr der Ein- druck auf, daß mit der Verwerfung des Begriffs MCD das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird und die Häufigkeit eindeutiger leichter allge- meiner und auch umschriebener ze- rebraler Störungen weitgehend ver- leugnet wird. An die Definition eines Syndroms werden völlig überzoge- ne Anforderungen gestellt werden.

Auch „der Schlaganfall" ist ein Syn-

ziotherapeutischen Maßnahmen au- ßerordentlich wichtig sind, so heißt dies aber nicht, daß Neuroleptika ge- nerell unwirksam wären oder gar diese Symptomatik regelhaft verstär- ken. Auch hier gibt es Erfolge und berechtigte Hoffnungen für die Zu- kunft.

Prof. Dr. med. Dr. phil.

Helmut Remschmidt

PD Dr. med. Matthias Martin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Philipps-Universität Hans-Sachs-Straße 6 W-3550 Marburg

drom, dennoch verbirgt sich hinter jedem Einzelfall ein jeweils hochin-

dividuelles und von Person zu Person völlig unterschiedliches Bedingungs- gefüge mit entsprechend unter- schiedlichen therapeutischen Impli- kationen. Dasselbe gilt etwa für

„die" Schizophrenie, ebenso für

„den" Hypertonus.

Die Absolutsetzung der Ergeb- nisse von Felduntersuchungen ist ausgesprochen fragwürdig. Mit rei- nen Reihenuntersuchungen in der Allgemeinbevölkerung würde sich zum Beispiel der erhöhte Blutdruck lediglich als bedeutungslose End- strecke einer statistischen Normal- verteilung herausstellen. Dennoch ist es nützlich, auf die frühzeitige Er- kennung und Behandlung eines Bluthochdrucks hinzuwirken.

Die eingehende Untersuchung einer Inanspruchnahmepopulation bringt für bestimmte Fragestellun- gen einen unvergleichlich viel höhe- ren Erkenntniszuwachs. Diese Un- terschiede sind nicht von vornherein darauf zu beziehen, daß die Inan- spruchnehmer die jeweilige diagno- stische

Definition der Berater ken- nen.

Meines Erachtens ist die alleini- ge Feststellung einer MCD genauso Minimale zerebrale Dysfunktion

Das MCD-Konzept ist überholt

Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992 (69) A1-4117

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nichtssagend wie die alleinige Fest- stellung einer „umschriebenen Ent- wicklungsstörung". Letzterer Begriff suggeriert eine gewisse Harmlosig- keit und sagt ja im Grunde gar nichts über die Faktoren dieser gestörten Entwicklung: erblich; Geschlechts- prävalenz; (siehe Legasthenie);

nachgewiesene Geburtsschädigung;

durchgemachtes Schädelhirntrauma in der frühen Kindheit; gestörte Ent- wicklung der Seitigkeit; gestörte vi- suelle Wahrnehmung durch Schie- len und Fehlsichtigkeit; verzögerte Sprachentwicklung durch rezidivie- rende nicht erkannte, oft langjährige Mittelohrergüsse; chaotische frühe Umgebung; mangelnde Förderung;

Verstärkung durch sekundäre Neu- rotisierung; ungünstige schulische Bedingungen; grobes Fehlverhalten von Erziehungspersonen etc.

Daß „bei einem Teil aller hirn- funktionsgestörten Kinder keine Hirnschädigungen nachweisbar sind", bedeutet ja nicht, daß bei ei- nem anderen Teil nicht doch ganz klare und eindeutige Hirnschäden zu belegen sind. Wobei Hirnschäden ja auch beim Erwachsenen in keiner Weise jeweils eine globale geistige Leistungsminderung mit sich brin- gen, sondern ebenfalls häufig sich auf umschriebene Teilstörungen er- strecken: Sprache und/oder Merkfä- higkeit und/oder Affektivität und/

oder Rechnen etc.

Auch dabei ist jedes Entweder/

Oder-Denken (Schädigung oder Entwicklung; psychosozial oder or- ganmedizinisch; erblich oder erwor- ben) unangemessen, weil vereinfa- chend und behindernd bei der Suche nach therapeutischen Ansätzen auf mehreren Ebenen gleichzeitig.

Dr. med. W. Winkelmann Arzt für Neurologie und Psychiatrie

Max-Brauer-Allee 52 W-2000 Hamburg 50

Die Zuschrift von Herrn Dr.

Winkelmann geht davon aus, daß die Ergebnisse der Studien zum MCD- Konzept die Häufigkeit leichter all- gemeiner oder umschriebener orga- nischer Hirnschädigungen weitge-

hend leugnen. Das tun sie sicher nicht (wenngleich zwischen Risiko- faktoren für eine Hirnschädigung und tatsächlich stattgehabten Hirn- schädigungen sorgfältig unterschie- den werden soll). Was die Arbeit aber bezweifelt, ist der Syndromcha- rakter der Folgen solcher Hirnschä- digungen. Wenn die einzelnen Krite- rien einer Hirnfunktionsstörung sich so wenig überschneiden, wie dies in einer Feldstudie gefunden wurde, dann ist Vorsicht am Platze; ein Syn- drom muß einen Mindestkern gleich- artiger (es wurden gleichartige Merkmale, also nur Merkmale der gleichen Meßebene, nicht gleiche ge- fordert) Merkmale als Beleg für sein Vorhandensein aufweisen.

Gerade eine Felduntersuchung konnte diesen Sachverhalt besonders gut aufklären, eben weil sie zeigt, daß das in einer Inanspruchnahme- population häufigere gleichzeitige Vorkommen von Auffälligkeiten auf verschiedenen Meßebenen der Hirn- funktion in einer unausgelesenen Stichprobe sehr selten auftritt. Das bedeutet, daß bei der Syndromdia- gnose entweder relativ ubiquitäre Merkmale addiert oder die Anforde- rungen an die Ausprägung solcher Störungen großzügig herabgesetzt wurden, um Einzelsymptome unter einem diagnostischen Oberbegriff zu vereinigen. Die fehlerhaften Gene- ralisierungen an Inanspruchnahme- populationen beruhen nicht darauf, daß die Inanspruchnehmer die je- weilige diagnostische Definition der Berater kennen, sondern daß die Be- rater mit einer bestimmten Suchstra- tegie Diagnosen zu belegen bezie- hungsweise auszuschließen versu- chen.

„Ausreißer" bezüglich gestörter Hirnfunktionen sind in der Bevölke- rung so häufig, daß — ähnlich wie beim Schwachsinn — diese Vor- kommnisse nicht mit Extremvarian- ten der Normalverteilung gleichge- setzt werden dürfen, die ja schon jen- seits der negativen zweiten Stan- dardabweichung nur zu 2,2 Prozent auftreten dürften.

Der Begriff der „umschriebenen Entwickungsstörung" suggeriert eine gewisse Harmlosigkeit im Sinne auf- holbarer Defizite. Der Zehn-Jahres- Verlauf umschriebener Entwick-

lungsstörungen zeigt jedoch leider eine überwiegend ungünstige Pro- gnose. ICD-10 wie DSM-III-R bie- ten exakte Definitionen für verschie- dene umschriebene Entwicklungs- störungen, die wesentlich eindeuti- gere Zuordnungen erlauben als der frühere MCD-Begriff. Eine Reihe umschriebener Entwicklungsstörun- gen beruht auf genetischen Disposi- tionen. Nachgewiesene Geburtsschä- den spielen eine ebenso geringe Rol- le wie in der frühen Kindheit über- standene Schädel-Hirn-Traumen.

Gewisse Beziehungen bestehen zur verlangsamten Reifung von Hirn- funktionen. Frühe ungünstige famili- äre Einflüsse sind offensichtlich ge- eignet, die Manifestation genetischer Dispositionen zu begünstigen.

Leider war es im Rahmen der Felduntersuchung nicht möglich, bei den hirnfunktionsgestörten Kindern etwa mittels der Computertomogra- phie nach Zeichen einer stattgehab- ten Hirnschädigung zu fahnden. Da- mit wäre aber die Frage nach dem gleichzeitigen Vorkommen von Hirnfunktionsstörungen und mor- phologischen Schädigungszeichen noch nicht beantwortet; denn es gibt nicht nur eine größere Zahl von Kin- dern mit Hirnfunktionsstörungen ohne nachweisbare Hirnschädigung, sondern auch solche mit Zeichen ei- ner stattgehabten Hirnschädigung ohne irgendwelche Funktionseinbu- ßen. Gerade deshalb ist die man- gelnde Überschneidung der Phäno- mene Hirnfunktionsstörung und Hirnschädigung für unsere Überle- gungen wichtig.

Der Absage an ein Entweder- Oder-Denken kann man nur zustim- men. Soweit wir pathogenetische Faktoren kennen, ist die Art ihres Zusammenwirkens bislang kaum systematisch untersucht. Wichtiger aber noch ist die Suche nach kurati- ven oder präventiven Interventionen.

Sie sollte auf mehreren Ebenen gleichzeitig erfolgen.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Martin H. Schmidt

Kinder- und Jugendpsychiatrie Klinik am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit J5

W-6800 Mannheim 1 ,Schlußwort

A1-4118 (70) Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992

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