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Archiv "Tropentauglichkeit nach Rodenwaldt" (18.10.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

THEMEN DER ZEIT

Rückkehr, gleichgültig, ob vorüber- gehend als Urlauber oder für länge- re Zeit und gar dauernd als Monteur, im diplomatischen Dienst, Expedi- tionsteilnehmer oder Arzt im Ent- wicklungsdienst, als „Helfer", hat, von individuellen Besonderheiten und vielleicht Adaptationsverlust ab- gesehen, primär lediglich physiolo- gische und sekundär hygienische Aspekte.

Zusammenfluß vieler Gebiete So wundert es nicht, daß Tropenme- dizin Zusammenfluß vieler Gebiete und verlängerte Physiologie ist, die im pathophysiologischen Bereich klinisch, und zwar hauptsächlich in- ternistisch, wird, im Zusammenhang mit der Beziehung zur Umwelt aber alle biologischen (parasitologi- schen) und physikalischen (klimato- logischen) Fragen aufgreift und sie zum Schutz der Gesundheit bis zur Erreichung der optimalen, individu- ell erblich programmierten, pro- spektiven Lebenserwartung führt.

Daß der einzelne sein Verhalten ent- sprechend einrichten muß, um dies Ziel zu erreichen, versteht sich von selbst. Der Arzt kann Hinweise ge- ben, kann das Wissen des Beratenen spezifisch zu vermehren trachten, aber es liegt vielfach an der Einsicht und Intelligenz des Tropenreisen- den, ob und wie er sein Verhalten nach dem Erlernten einrichtet. Vom Arzt muß man allerdings erwarten, daß er das Bios in Ländern der Schwülezone von Europa aus recht einschätzt, um Ratschläge verständ- lich und überzeugend erteilen zu können. Daß dies nicht selbstver- ständlich ist, beweisen viele Versa- ger der Prophylaxe während des Auslandsaufenthalts und der Dia- gnose nach der Heimkehr. Wie

könnte es sonst vorkommen, daß bei

„Unpäßlichkeit' oder Fieber gar nicht nach dem Aufenthalt des Pa- tienten während der letzten sechs Wochen gefragt wird und der Fall als

„Grippalinfekt" durchläuft, bis er moribund einer tropenkrankheitser- fahrenen (nicht alle sind es,) Klinik für innere Medizin überwiesen wird, die ihn als Malaria erkennt, dann aber leider nicht immer noch retten kann.

Auf dieses Problem gingen die Tro- penärzte in Heidelberg bei der 10.

Tagung der Deutschen Tropenmedi- zinischen Gesellschaft ein. Sie be- tonten, nicht die Länge eines Trci- penaufenthaltes bringe die Gefahr einer Infektion mit sich, sondern schon ein Aufenthalt von nur eini- gen Stunden habe Personen, die nicht Chemoprophylaxe betrieben hätten, die tödliche Infektion ge- bracht (Beispiel Bordpersonal der Luftfahrt!)

Tropenärztliche Beratung gilt nicht nur für Urlaubsreisende, sondern auch für den arbeitsmedizinischen Bereich, in welchem vielfach länge- re, aber immerhin zeitlich begrenzte Aufenthalte vorkommen, diese aber zumeist fernab von Stadt und Zivili- sation. Hier ergeben sich außer „me- dizinischer Tauglichkeit" vor allem Fragen der psychologischen Bereit- schaft. Der höhere Geldverdienst ist nicht das letzte Kriterium für den Arbeitenden, den Monteur oder auch Wissenschaftler. Ein bestimm- ter Charakter, mit dem der Ausrei- sende bereit ist, das andere draußen zu ertragen, kann wichtiger sein als höchste sportliche Gesundheit. Eher kann eine Zacke im EKG hingenom- men werden als fehlende seelische Bereitschaft, die Dinge draußen so zu ertragen, wie sie sind. Wer das

Tropentauglichkeit ist im Ge- spräch der Fachleute schon so lange, wie es Menschen gibt, die aus Gegenden gemä- ßigten Klimas der Erde in war- me des sogenannten Schwü- legürtels für kurz oder lang gehen und damit wieder die möglicherweise Urheimat des Homo sapiens aufsuchen. Das bedeutet dann wohl Rück- adaptation. Haben wir doch aus den warmen Zonen das Tropenklima „feuchtwarm" — im Gegensatz zu „trocken- warm" — als Mikroklima auf der Körperhaut unter unserer Kleidung in kühlere Gegenden mitgenommen, wodurch wir mit der Kleidung als .,Prothe- se" Kosmopoliten, selbst im Weltraum, haben werden können.

nicht will, der sollte lieber und bes- ser zu Hause bleiben! Der taugt nicht zum Einsatz draußen! Es geht letztlich um das Ertragen der Tük- ken des Tropenalltags.

Das ist Rodenwaldt

Diese Gedanken erinnern an den Hy- gieniker, der Jahre seines Lebens in den Tropen gelebt und gearbeitet hat, und der uns den Satz vermittelt hat, daß im Gegensatz zu der allge- mein herrschenden Vorstellung von der besonderen Gesundheitsbela- stung und dem daher schnelleren

„Verschleiß" Tropenjahre nicht dop- pelt, sondern nur halb zählen!

Zur Erinnerung an seinen Geburts- tag am 5. August 1878 hatte der Westdeutsche Rundfunk in der Sen- dung „Zeitzeichen" sein Lebensbild dargestellt (Bernhard Knoche), und nach der Urlaubszeit holten dies die Ärzte und Mitarbeiter sowie Gäste aus Wissenschaft, Staat und Militärs im Hygieneinstitut der Bundeswehr

„Ernst Rodenwaldt"") nach (29.

September 1978).

*) .Einweihung 1962

Tropentauglichkeit nach Rodenwaldt

Bernhard Knoche

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 42 vom 18. Oktober 1979 2753

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Tropentauglichkeit

Rodenwaldt, in Berlin geboren, war Angehöriger der Pöpiniäre gewesen, hatte dann am Tropeninstitut Ham- burg gearbeitet, wurde Regierungs- arzt in Togo, wo das dortige Hygie- neinstitut auch seinen Namen trägt.

Während des Ersten Weltkriegs führte er, wie er eine Veröffentli- chung nannte, „Seuchenkämpfe" in Kleinasien durch und trat zwischen den beiden Weltkriegen in Indone- sien in holländische Dienste. Im Zweiten Weltkrieg war er in Seu- chenkämpfe eingeschaltet, und ge- treu seiner Vorstellung, durch Wis- sensvermehrung Krankheiten be- kämpfen zu können, richtete er Ma- laria-Lehrzüge auf dem Balkan ein.

Habs und Piekarskil) waren damals seine Mitarbeiter.

Was Rodenwaldt kennzeichnet, sind umfassende Bildung und Aufge- schlossenheit für alles, was mit der menschlichen Kultur zusammen- hängt. Zielstrebigkeit und Sinn für Realität verbanden sich bei ihm mit Zivilcourage bei der Durchsetzung seiner ärztlichen Forderungen, auch im militärischen Rahmen. Vielleicht wäre er ohne diese nicht erst am Ende des Zweiten Weltkrieges zum Generalarzt befördert worden. Nicht ganz ohne sichtbaren Ausdruck der Freude habe er, so wird erzählt, den roten, kleidsamen Streifen am Bein- kleid betrachtet. Daß er eine liebens- würdige und liebenswerte Persön- lichkeit war, darf einer, der ihn noch kennengelernt und in wissenschaft- lichen wie gesellschaftlichen Veran- staltungen erlebt hat, hier wohl er- klären.

„Ernst-Rodenwaldt-Institut für Hygiene"

Daß die Deutsche Bundeswehr ihr Hygiene-Institut in Koblenz nach ei- nem Manne vom geistigen, wissen- schaftlichen und charakterlichen Format, das er repräsentierte, be- nannte, und daß sich hier hervorra- gende Wissenschaftler zur Fortset- zung seiner Idee vom Arzt als Anwalt der Gesundheit mit Brücke nach To- go zusammenfanden, entspricht der weltweit wirkenden humanitären Ar- beit des Namengebers. So auch war

es angebracht, nach der Ansprache des Inspekteurs des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundes- wehr, Generaloberstabsarzt Profes- sor Dr. med. Ernst Rebenstich, seine einstigen Mitarbeiter: Habs, Piekar- ski, Seeliger 2 ), Schäfer 3) und Ju- satz 4) sprechen zu lassen. In Heidel- berg, wo Rodenwaldt als Ordinarius für Hygiene den Weltseuchenatlas in seiner jetzigen Form konzipierte, den Jusatz bis heute fortsetzt, war auch Habs sein Mitarbeiter gewe- sen. Den Zusammenhang zwischen Landschaft und Gesundheit oder Krankheit faßte er unter dem Begriff

„Geomedizin" zusammen. Wer sich in Malaria auskennt, versteht allein durch diese Krankheit diesen Zu- sammenhang.

Tropentauglichkeit — Ein weiter Begriff

Habs hatte zum. Thema gewählt:

„Tropenhygiene im Sinne von Ernst Rodenwaldt als Aufgabe". Er hat es nach unseren heutigen Belangen aktuell auf Tropentauglichkeit aus- gerichtet. Daneben liegt für den Arzt die Frage nach der Abgrenzung des Begriffes „Tropenarzt" 5). Auch der Arzt muß außer fachlicher Grundla- ge bestimmte Tauglichkeitsmerkma- le wie jeder andere, der hinausgeht, aufweisen, ohne die er draußen scheitert. Da die medizinischen Pro- bleme hart neben jenen der Ent- wicklung aus Armut, Hunger und Not herauswachsen, können wir auch hierin heute noch von Roden- waldt lernen. Je weiter weg von

1) Prof. Dr. med. Horst Habs, em. Ordinarius für Hygiene, Bonn, Prof. Dr. rer. nat. Ger- hard Piekarski, Ordinarius für Parasitologie, Universität Bonn.

2) Prof. Dr. Heinz P. R. Seeliger, Würzburg, Vorstand des Instituts für Hygiene und Mi- krobiologie an der Universität.

3) Dr. Erich Schäfer, Oberstarzt, Koblenz, 4) Prof. Dr. Helmut J. Jusatz, Leiter der Geo-

medizinischen Forschungsstelle der Heidel- berger Akademie der Wissenschaften.

5) Auskunft über den derzeitigen Stand der Bezeichnung „Tropenarzt": Dr. Axel Haber- korn, Schriftführer der Deutschen Tropen- medizinischen Gesellschaft, Aprather Stra- ße (Postfach 10 17 09), 5600 Wuppertal 1, Tel.: (02 02) 36 82 05.

Stadt und Zivilisation, desto univer- seller wird der Arzt gefordert. Nicht die mit noch so viel Entwicklungshil- fegeld bezahlte, modernste Klinik mit Intensivstation löst das Problem, sondern der Einsatz des Arztes und seiner Helfer vor Ort, dort, wo die Menschen leben und außer ihrer Erbmasse zum Überleben den Ge- fahren der Umwelt ausgesetzt sind.

Tropenarzt bedeutet also nicht etwa nur „Arzt in den Tropen", wenn er etwa nie aus seinem Krankenhaus hinauskam, sondern es ist der um- fassend beruflich tätige Arzt, der wie Rodenwaldt auch die Kultur von Land und Leuten in sein Wirken ein- bezieht. Von ihm wird auch erwartet, daß er operativ und in allen Fachge- bieten der Medizin gleichermaßen Bescheid wisse und handeln könne, was außer Können auch Mut ver- lange.

Tropenarzt und Tropenmediziner Habs macht den Unterschied zwi- schen Tropenarzt und Tropenmedi- ziner beim Blick auf „Gesundheits- verwaltung". Hieran scheint sich auch das Arztproblem der Entwick- lungsländer niederzuschlagen. Will der Arzt, der hinausgeht, als Busch- doktor und damit losgelöst von Krankenhaus, Operationssaal, Labo- ratorium und Intensivstation, von moderner Energieversorgung durch Elektrizität und Wasserhygiene (Kli- matisation ist nicht das Wichtigste, aber mückenfreie Schlafräume sind es!) arbeiten, oder fühlt er sich mehr zur anonymen Medizin der Verwal- tung mit Erfassung, Epidemiologie und Sanierung hingezogen? Hier kann er möglicherweise mehr Men- schen auf einmal helfen, ohne daß sein Erfolg im einzelnen im Entwick- lungsland (und auch Europa!) be- wußt würde. Gepriesen werden hier wie dort Erfolge in der Behandlung des einzelnen Patienten.

Kein Schema

für Tropentauglichkeit

Für Tropentauglichkeit zu begut- achtender Personen macht Habs in Fortführung Rodenwaldtschen Ge-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2754 Heft 42 vom 18. Oktober 1979

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Tropentauglichkeit

dankengutes den Unterschied in der Beratung einzelner Tropenreisender als Touristikmedizin, die erfah- rungsgemäß vielfach ältere Men- schen betrifft und demnach nicht nur die primär-körperliche Verfas- sung, sondern auch psychische Be- dingungen wesentlich einbeziehen muß. Erleichternd wirkt die zeitliche Begrenzung des Tropenaufenthal- tes. Habs spricht hier von Expedi- tionstauglichkeit, die gewisse Regu- lationsfähigkeit des Körpers voraus- setze. Gewohnheiten des Alltags, Belastbarkeit des Kreislaufs, Rhyth- men von Schlaf und Verdauungssy- stem sowie funktionsfähige Immun- abwehr, generell aufzubessern durch • Tetanus- und Polioschutz- impfung, entscheiden bei der Beur- teilung der Fragestellung. Ein Hin- weis auf die Notwendigkeit der Che- moprophylaxe versteht sich von selbst. Klimakarten sollte der ärztli- che Berater dabei auch zur Hand nehmen.

Der andere Faktor ist die spezielle Klimatauglichkeit, deren Beurtei- lung mehr für Daueraufenthalt in warmen Ländern wichtig ist. Den Nutzen sportlicher Betätigung hat schon Rodenwaldt in Polynesien im- mer bestätigt. Dies gilt auch heute allenthalben und hat sich auch auf die Kleidung ausgewirkt, die locke- rer sitzt und der wärmeausgleichen- den Ventilation dient.

Während sich der Tourist nur kurz- zeitig in den Tropen aufhält, und zwar meist im Ghetto einer Reisege- sellschaft oder sonstiger Enklaven, ist der dort Arbeitende gezwungen, sich auch mit dem Leben der Einhei- mischen irgendwie zurechtzufinden.

Rodenwaldt empfahl stets den Ehe- partner mitzunehmen.

Beide Gruppen der durch den Tro- pengutachter zu beurteilenden Fra- gen müssen aber im Stande sein,

schwere Gesundheitsstörungen zu erkennen und entsprechend zu be- urteilen. Hier kann der Tropengut- achter in einem Gespräch Informa- tionen geben, die wesentliche Punk- te dieser Erkennung aufzeigen. Er sollte sich aber auch über die be- sondere Ausgestaltung einer Reise

Prof. Dr. med. Helmut J. Jusatz, Universi- tät Heidelberg (rechts), präsentiert sei- nem ehemaligen Lehrer und Chef, Prof.

Dr. med. Ernst Rodenwaldt, anläßlich des Geomedizinischen Symposiums auf der Bodensee-Insel Mainau (1963) das Gä- stebuch zur Eintragung

Foto: Wilhelma Knoche-Schaumburg

oder eines Aufenthaltes, wie Höhen- lage, Hygieneverhältnisse, Luft- feuchtigkeit und Temperatur infor- mieren und den Rat nicht nur nach dem EKG erteilen oder ablehnen. Ei- ne Veränderung im EKG kann bei guter psychischer Bereitschaft des Ertragens von ungewöhnlichen Ver- hältnissen weniger wichtig werden als ein einwandfreies ohne Bereit- schaft. Dies trifft erstrangig für Daueraufenthalt zu. Das Gesamtbild, die Somatopsyche, die äußeren Be- dingungen und die Wirkung auf den einzelnen sind zu begutachten.

Haltung und Kleidung

Wichtig im Rodenwaldtschen Sinne sind Haltung und Kleidung. Beide seien korrekt! Der Tropenhelm ist überlebt. Die Fellachen beim Pyra- midenbau, so meinte Rodenwaldt einmal, haben wohl eine besonders dicke Kopfschwarte als Schutz ge- gen die Sonne gehabt. Klimadaten sollten in Beziehung zur Verhaltens- weise des Menschen unter bestimm- ten soziologischen Verhältnissen

berücksichtigt werden. Anstatt der Leibbinde genüge auch ein Frottier- tuch zur Nacht. Eine schlechtfunk- tionierende Klimatisation führt leichter zu Erkältung als gar keine.

Wenn Wohnung und Kleidung die Privatsphäre des Menschen und da- mit auch sein psychisches Wohlbe- hagen in den Tropen ausmachen (Lockerheit der Bekleidung), so ist Klimatisation nur ein Faktor, und nicht immer der gesündeste.

Ernährung

Rodenwaldt verteufelte Eßsitten der Einheimischen nicht, empfahl aber Beibehaltung der Zubereitung nach heimatlicher Gewohnheit unter Ein- beziehung der Grundnahrungsmittel möglichst aus dem Aufenthaltsland.

Auch die Ernährung geht die Psyche an. Für den Beginn kurz- oder längerfristigen Tropenaufenthaltes empfahl er zur Adaptation des Darms an fremdländische Kost, auch bei Einnahme von Avocados, Crevetten, Braten und nicht mit ko- chendem Wasser 30 Sekunden „ab- geschrecktem" Salat, Mitnahme ei- nes Pepsinpräparates und weiterer Verdauungsfermente. Das sei besser als Chemoprophylaxe für Darmer- krankungen.

Die ärztliche Begutachtung der Tauglichkeit muß besonders die psychische Bereitschaft einbezie- hen. Aufgabe der Tropenhygiene sei es, „die Voraussetzungen zu schaf- fen, die dem Europäer ein Leben in den Tropen unter möglichst günsti- gen Bedingungen gewähren kön- nen". Dabei aber sei unbedingt als Ziel, wenn auch in der Ferne, diesel- be Hygiene (Verhalten, Schutzimp- fungen) für den Einheimischen an- zustreben, wie sie der Europäer mit- bringt und einsetzt.

Ausblick als Vermutung

Der Name Rodenwaldt beinhaltet die Totalität des Lebens, das der Arzt beobachtet und zugunsten des Le- bens beeinflussen kann. Er beob- achtet die Mischung von Völkern und Rassen, zieht Rückschlüsse auf

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 42 vom 18. Oktober 1979 2755

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Tropentauglichkeit

das Überleben etwa der weißen Völ- ker oder deren utopischer Rückge- winnung dunklerer Hautfarbe zur Readaptierung. Damit erkennt er die Herkunft des Menschen aus dem Schwülegürtel der Erde, wenigstens vermutungsweise, an. Rodenwaldt versucht, Erkanntes in Rat, nicht in Befehl und Gesetz, umzusetzen. Das führt bei Anerkennung der Eigen- ständigkeit und Eigenheit jedes Vol- kes zur Partnerschaft mit allen Völ- kern. Alle Wissensgebiete sind an- gesprochen.

„Seit 1910" – so Habs – „ist aus der Kolonialhygiene über Entwicklungs- hilfe gesundheitspolitische Partner- schaft im Nord-Süd-Dialog gewor- den. Aber noch gilt der Schlußab- schnitt aus der „Tropenhygiene"

von Ernst Rodenwaldt: „Die Tropen sind das Arbeitsfeld des Weißen in- sofern, als alle weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten ihn zwingen, an der richtigen Ausnutzung der tropi- schen Länder, ihrer Boden- und Pflanzenschätze, aber auch der Ar- beitskraft ihrer Bewohner beratend, leitend und anspornend mitzuwir- ken. Diese Aufgabe wird er nicht lö- sen, indem er den riskanten Versuch macht, ein Tropenmensch zu wer- den und seine Kinder dazu zu ma- chen, sondern indem er mit allen Wurzeln seines Wesens seiner europäischen Heimat verhaftet bleibt und aus ihrem mütterlichen Boden, einem Antäus gleich, immer neue Schaffenskraft zieht."

Ernst Rodenwaldt starb am 4. Juni 1965 im bayerischen Ruhpolding, am Schreibtisch arbeitend.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Bernhard Knoche Fritz-von-Wille-Straße 17 4000 Düsseldorf 30

BLÜTENLESE

Ordnung

... führt zu allen Tugenden.

Aber was führt zur Ord-

nung? Du rrak

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

AUS EUROPA

Triumph einer

Gesundheitsministerin

Es hat ein paar Augenblicke der Unsicherheit gegeben, ob der Plan aufgehen würde – aber dann lief es wie vorgesehen: Eine Ex-Ge- sundheitsministerin übernahm das höchste parlamentarische

Simone Veil Foto: dpa

Amt, das in Europa zu vergeben ist. Präsidentin der neuen Straß- burger Versammlung wurde Ma- dame Simone Veil.

In vielen Ländern ist immer wieder einmal Klage darüber geführt wor- den, daß die Leitung von Gesund- heitsministerien in den seltensten Fällen einem Arzt übertragen wird.

Und in vielen Ländern ist ausge- rechnet dies das Amt, das der Re- nommierdame des Kabinetts, meist einer Juristin, übertragen wird. Dies alles traf in Frankreich zu – aber wer Simone Veil einmal gesehen hat, vergißt in ihrem Fall all' diese politischen Gemeinplät- ze. Eine zierliche Frau, die Kraft und Energie ausstrahlt, auffallend strahlende Augen zwischen Blau und Grün, Charme unter einer strengen Knotenfrisur, die etwas rauhe Stimme einer Erfolgsfrau, eine Dame, die einen literarischen Salon beherrschen, aber ebenso auch ein Bürgermeisteramt und die dazugehörige Gemeinde prä-

gen könnte. Der einzige Mann in Giscard d'Estaings Regierung, sagte man in Frankreich – aber niemand würde das Wort „Mann"

wörtlich nehmen. Dabei: Gar nicht der gängige Typ „Französin", tat- sächlich kommt sie in mehrfacher Hinsicht aus Grenzgebieten – geo- graphisch ebenso wie in ihrem Schicksal: Vor etwas mehr als 50 Jahren wurde sie im zwischen Frankreich und Italien oft umstrit- tenen Nizza als Tochter eines jüdi- schen Architekten geboren.

Ihre Jugend war Krieg und Besat- zung, und obwohl Italien damals auf Nizza Anspruch erhob ( die Fa- schisten unterschieden sich von den Deutschen wenigstens da- durch, daß sie Antisemitismus nicht zuließen), geriet Simone mit ihrer ganzen Familie ins Netz des deutschen Judenhasses. Eltern und Bruder blieben in Auschwitz und Bergen-Belsen, mit zwei Schwestern kehrte die Achtzehn- jährige nach mehr als einem Jahr Lagerhaft zurück. Schon ein Jahr später war sie verheiratet – mit ei- nem noch jungen, aber die Aus- sicht auf eine gute Karriere auf- weisenden Elite-Beamten, wie Frankreich sie in seinen Spezial- schulen systematisch erzieht. Der damalige Inspecteur des Finances ist heute Generaldirektor der in- nerfranzösischen Luftverkehrsge- sellschaft U.T.A. Die junge Ma- dame Veil wählte sozialistisch, be- kam drei Söhne und warf sich ent- schlossen aufs Studium der Ju- risprudenz und der Politischen Wissenschaften. Eine Beamten- laufbahn einigermaßen normalen Zuschnitts schloß sich an, darun- ter auch eine Stelle als Minister- Referentin – und dann kam die er- ste Sensation ihrer Laufbahn: Sie war die erste Frau, die von der Justiz zur Generalsekretärin der höchsten Verwaltungsinstanz der französischen Richter, des Conseil supörieur de la magistrature, beru- fen wurde.

Dies war der Einstieg in die politi- sche Karriere. Der gaullistische Premierminister Chirac, heute Oberbürgermeister in Paris und

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