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Flexibilität und stabile Beziehungen – ein Widerspruch?
Von Dominik Bodmer / 20. Juni 2019 0 Kommentare
Ein Schlüsselelement єr den gelingenden Verlauf von Hilfen zur Erziehung ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Kindern, Jugendlichen sowie Familien und
source: https://doi.org/10.24451/arbor.9225 | downloaded: 14.2.2022
den Fachpersonen. Flexible Hilfen erlauben Beziehungen besonders individuell zu gestalten, sie stellen aber auch Herausforderungen dar.
Im Sog wachsender Unzu iedenheit mit den zunehmend spezialisierten Angeboten der Hilfen zur Erziehung, wird immer wieder deren Neuausrichtung diskutiert. Das starre Konzept von ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen soll mit exib- len Hilfen aufgebrochen werden. Diese sind durchlässig, anpassungsfähig und kombi- nierbar und folgen somit dem Prinzip «Hilfen aus einer Hand». Dieses Verständnis von Hilfen zur Erziehung bedeutet auf individuelle Bedarfslagen einzugehen, die Hilfen in der Lebenswelt der Klientel anzusiedeln und auf eine möglichst rasche Integration in Regelangebote hinzuarbeiten. Dadurch soll die Ausgrenzung von Kindern und Jugend- lichen im Jugendhilfesystem vermieden, die Integration gewährleistet und die lebens- weltlichen Ressourcen als Ausgangspunkt der Hilfe aktiviert werden.
Flexible Hilfen zur Erziehung: Eine Fallgeschichte
Marco ist 14 Jahre alt und wohnt vier Tage die Woche auf der Wohngruppe einer Kin- der- und Jugendhilfeeinrichtung, einmal pro Woche übernachtet er bei seiner Mutter und die Wochenenden verbringt er bei den Grosseltern. Marcos Mutter ist psychisch krank und daher unterschiedlich belastbar, was ihre Erziehungsfähigkeit und -kompe- tenzen beein usst. In den nf Jahren der Hilfe wurde das Arrangement mehrmals an- gepasst. Die Unterstützung variierte zwischen verschieden intensiven, stationären und ambulanten Hilfen, wie einer Familienbegleitung oder der Unterbringung in einer Wohngruppe. Während der gesamten Hilfe haben Marco und seine Mutter die gleiche sozialpädagogische Bezugsperson. Diese prü mit Mutter und Sohn regelmässig, ob das Hilfearrangement noch den Bedürfnissen entspricht. Die Bezugsperson ngiert
r beide als Vertrauensperson. Da die Wohngruppe im gleichen Stadtteil wie die Wohnung der Mutter liegt, bilden die Schule und die Peers r Marco eine Konstante, unabhängig von den sich verändernden Hilfen. Er ist mit seiner gegenwertigen Le- benssituation zu ieden und kann die Ressourcen seiner drei Wohnsettings nach sei- nen Bedürfnissen nutzen.
Flexibilität als Kontinuitätsgarant
Dass Flexibilität ein Kontinuitätsgarant sein kann, zeigt sich bei Marco vor allem durch die institutionellen Rahmenbedingungen, die es der Bezugsperson ermöglichen, auf sich verändernde Bedarfslagen von Marco und seiner Mutter zu reagieren. Dabei gehen Anpassungen der Hilfe nicht mit einem Einrichtungswechsel oder einem Bezie- hungsabbruch einher. In diesem Hilfearrangement muss sich die Beziehung zwischen dem Jugendlichen und der Fachpersonen jedoch als exibel veränderbar beweisen, um Marco Kontinuität zu geben. Entsprechend sind exible Hilfen in hohem Mass auf vertrauensvolle, das heisst stabile und verlässliche Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen, Eltern und Fachkrä en angewiesen. Flexibilität kann also Kontinuität er- möglichen und Kontinuität generiert wiederum die Voraussetzung um eine Vertrau- ensbeziehung zwischen Jugendlichen und Fachkrä en au auen zu können. Durch die Ansiedlung der Hilfe im vertrauten sozialräumlichen Umfeld, kann Marco auch die Pe- erbeziehungen weiterhin p egen. Diese Gleichaltrigenbeziehungen sind eine wichtige Ressource der Jugendlichen und können sich, sofern sie von den Fachkrä en als sol- che gesehen werden, stabilisierend auf die Hilfe und die Beziehung zur Bezugsperson auswirken.
Was Stabilität und Verlässlichkeit bedeutet, kann nur im Einzelfall und auf der Basis der Hilfegeschichte und -phase beurteilt werden. Nichtsdestotrotz, ein wichtiges Merkmal exibler Hilfen ist: die Kinder, Jugendlichen und Familien müssen sicher wis- sen, dass die Einrichtung bzw. die Bezugsperson auch ausserhalb der direkten Zusam- menarbeit und nach Abschluss der eigentlichen Hilfe erreichbar bleiben.
Aufgrund der vertrauensvollen Beziehung stellt die Fachkra Partizipationsmöglich- keiten bereit oder erö net sie. Marco und seine Mutter nutzen diese und bringen sich ein. Partizipation im Kontext exibler Hilfen heisst r die Klientinnen und Klienten vor allem: sich an die Hilfe und Fachkra zu gewöhnen sowie Hilfsangebote auszupro- bieren. Dies setzt voraus, dass der Grad der Einmischung durch Fachkrä e r Kinder, Jugendliche und Familien kontrollierbar bleibt und sie die Hilfen als veränderbar
wahrnehmen. Gelingende Partizipation bedingt auf der Seite der Bezugsperson, sich Zeit und die Anliegen der Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen.
Nach bisherigen Evaluationen zeigt sich der wesentliche Unterschied zwischen stan- dardisierten und exiblen Hilfen zur Erziehung darin, dass Letztere in der Wahl des Zeitpunkts und des Ortes der Hilfeerbringung, der zeitlichen Intensität und der Fre- quenz variabel und anpassungsfähig sind. Diese bedürfnis- und bedarfsorientierten Hilfen sind im vorliegenden Fallbeispiel gut sichtbar.
Flexibilität als Instabilitäts- und Unsicherheitsfaktor
In dieser Fallgeschichte erweist sich Flexibilität als wesentliches Element, damit Mar- co gleichzeitig eine konstante Beziehung zur Betreuungsperson der Jugendhilfeein- richtung sowie zur Mutter halten kann. Mit Flexibilität schwingen aber genauso Verän- derungen, Unsicherheit und Instabilität mit. Wenn in Hilfen zur Erziehung keine kon- stante Beziehung gewährleistet werden kann, vermag Flexibilität, insbesondere in be- lastenden Lebenssituationen, kaum Stabilität und Kontinuität zu entfachen. Marco er- kennt das Potential an drei verschiedenen Orten zu wohnen und ver gt über die Res- sourcen, um dieses Potential zu nutzen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern res- sourcenärmere Kinder und Jugendliche mit solch exiblen Settings überfordert sind, beziehungsweise wie zumutbar die häu ge Anpassung der Hilfen ist und was die Be- ziehung zur Fachkra au angen kann. Um exible Hilfen zur Erziehung weiterzuent- wickeln, braucht es daher mehr Erkenntnisse über Verläufe, Formen und die subjekti- ven Perspektiven der Akteurinnen und Akteure.
Kontakt:
• Dominik Bodmer, Wissenscha licher Mitarbeiter, Departement Soziale Arbeit
Literatur und weiterєhrende Links:
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Juventa Verlag.
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