A 510 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 108|
Heft 10|
11. März 2011NATURHEILMITTEL IN EUROPA
Harmonisierte Anforderungen
Nach einer EU-Richtlinie müssen traditionelle pflanzliche Arzneimittel
nach einem einheitlichen Verfahren registriert werden. Phytopharmaka ohne Registrierung dürfen vom 1. Mai an nicht mehr verkauft werden.
A
b Mai dieses Jahres wird der Markt für Phytopharmaka in Deutschland um voraussichtlich 250 Produkte ärmer sein. Grund hierfür ist eine gesetzliche Regis- trierungspflicht für mild wirksame traditionelle pflanzliche Arzneimit- tel, die bereits eine Nachzulassung durchlaufen haben. Hierunter fallen rein pflanzliche Fertigprodukte und solche, die ergänzend Vitamine oder Mineralstoffe enthalten.Die Pflicht zur Überführung der Nachzulassungen in eine Registrie- rung geht auf eine Richtlinie der Europäischen Union (EU) aus dem Jahr 2004 zurück. Sie schreibt ein- heitliche Verfahrensregeln für den Marktzugang von traditionellen pflanzlichen Produkten vor. Die Hersteller müssen Belege für die Unbedenklichkeit vorlegen und nachweisen, dass die Wirksamkeit ihres Präparats aufgrund einer min- destens 30-jährigen Erfahrung plausibel ist. Pflanzenmonografien der Europäischen Arzneimittelbe- hörde sollen zudem das Inverkehr- bringen von traditionellen Arznei- mitteln in anderen EU-Ländern über das Verfahren der gegenseiti- gen Anerkennung erleichtern. Dies gilt beispielsweise für Phytophar- maka mit Anissamen, Bitterfen- chelfrucht, Melissenkraut, Pfeffer- minzöl oder Thymiankraut.
„Die EU-Richtlinie ist bereits im September 2005 in deutsches Recht umgesetzt worden“, sagt Ro- se Schraitle vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller in Bonn.
Bis zum 31. Dezember 2008 hatten die Firmen Zeit, Registrierungs - anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) einzurei- chen. „Produkte, für die dies nicht gemacht wurde, verlieren ab Mai automatisch ihre Zulassung als Arzneimittel“, erklärt Schraitle.
Der Umsatz mit Phytopharmaka liegt in Europa bei schätzungswei- se 3,5 Milliarden Euro. Ungefähr die Hälfte wird in Deutschland und Frankreich erzielt.
In Deutschland gelten etwa 500 der 2 100 zugelassenen Phytophar- maka als traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Für etwa die Hälfte von ihnen haben die Unternehmen eine Registrierung beantragt. „Für die übrigen Produkte, insbesondere für Arzneimittel mit vielen Wirk- stoffen, wäre der Aufwand allein für die Aktualisierung des pharma- zeutischen Dossiers zu hoch gewe- sen“, erklärt die Juristin. Hinzu kommen Registrierungsgebühren in Höhe von 16 000 Euro. Der Wegfall von circa 250 Zulassungen gefähr-
de aber nicht die Phytotherapie in Deutschland, betont Schraitle. Ähn- lich sieht man das auch beim BfArM. Und Arne Krüger, Spre- cher der Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker, erläu- tert: „Die Verordnungsfähigkeit einzelner Pflanzen oder Pflanzen- teile im Rahmen eines individuellen Rezepts bleibt genauso erhalten wie die Möglichkeit, zum Beispiel ein Teerezept oder eine Tinktur nach individueller Ausrichtung mischen zu lassen.“
In einigen europäischen Ländern stellt sich die Situation schwieriger dar. Hier gibt es bislang keine oder nur rudimentäre Regelungen für die Zulassung von pflanzlichen Arznei- mitteln. Das erschwert zwangsläu- fig eine Registrierung nach den EU- Vorgaben. Dies gilt beispielsweise für Großbritannien. Pflanzliche Produkte sind dort bereits seit Jahr- zehnten ohne Überprüfung und be- hördliche Genehmigung auf dem Markt, darunter viele traditionelle chinesische Arzneimittel. Ein Groß- teil von ihnen wird vom 1. Mai an voraussichtlich nicht mehr ver- kehrsfähig sein, da sie die Voraus- setzungen nach den EU-Vorgaben nicht erfüllen. Die britische Alli- ance for Natural Health (ANH) be- klagt die hohen Anforderungen, die mit der Registrierungspflicht ver- bunden sind. Dadurch würden unter anderem außereuropäische Tradi- tionen in der Pflanzenmedizin dis- kriminiert, betont die ANH in ei- nem Schreiben an die EU-Kommis- sion. In Großbritannien und einigen anderen EU-Staaten gibt es deshalb Bestrebungen, die Übergangsfrist für die Registrierung über den 30.
April hinaus zu verlängern. Die Aussichten auf Erfolg gehen gleich-
wohl gegen null. ■
Petra Spielberg Wertvoller Roh-
stoff: In Europa werden jährlich pflanzliche Arznei- mittel im Wert von 3,5 Milliarden Euro umgesetzt.
Foto: Superbild