Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Akuter Herzinfarkt
des Myokards. Unserer Ansicht nach sollte Morphin, beziehungsweise seinen Derivaten einschließlich Tili- din (Valoron®) eindeutig der Vor- zug gegenüber Pentazocin bei der parenteralen Behandlung von Schmerzzuständen beim Herzinfarkt gegeben werden.
Ob die Verabreichung von Pentazo- cin bei Infarktpatienten mit Hypoten- sion nicht schädlich oder sogar vor- teilhaft ist, kann aufgrund der bisher vorliegenden Untersuchungen al- lenfalls vermutet werden.
Literatur
Alderman, E. L., et al.: New Engl. J. Med. 287, (1972) 623 - Jewitt, D. E., et al.: Brit. Med. J. 1, (1970) 795 - Lee, G., et al.: Am. J. Med. 60 (1976) 949
Dr. med. F. Kersting Dr. med. W. Kasper Dr. med. Th. Meinertz Professor Dr. med. H. J. Just, II. Medizinische Universitätsklinik der Universitätskliniken Mainz, Langenbeckstraße 1, 6500 Mainz
Schlußwort
In dem Kommentar wird zur wichti- gen Frage der Schmerzbekämpfung beim akuten Herzinfarkt Stellung genommen und vor der Gabe von Pentazocin (Fortral®) gewarnt.
Ausgangspunkt der Kritik sind Be- funde von Jewitt et al. (2), die 1970 erstmalig über eine Drucksteigerung im kleinen Kreislauf bei Infarktpa- tienten nach Pentazocin berichtet haben.
Inzwischen liegen mehrere Untersu- chungen über den Einfluß von Pen- tazocin auf das Druckverhalten und den Widerstand im Lungenkreislauf vor (3, 5, 6, 7). In Deutschland wurde eine multizentrische Studie über die Beeinflussung des System- und Lungenkreislaufes sowie der At- mung durch Pentazocin (30 mg i. v.) an 88 kardiologischen Patienten, von denen 36 einen akuten Herzin- farkt erlitten hatten, durchgeführt ( 7).
Aufgrund der vorliegenden Befunde können die gemessenen Druckän- derungen unter Pentazocin als hämodynamisch bedeutungslos an- gesehen werden. Die Steigerung des Mitteldruckes im kleinen Kreislauf betrug lediglich 4 mm Hg und ist demnach so gering ausgeprägt, daß
„sie keinen Anlaß bietet, die Anwen- dung von Pentazocin bei Kreislauf- kranken, insbesondere bei Patienten mit frischem Herzinfarkt, einzu- schränken." (Zitat der multizentri- schen Studie).
Als Ursache des leichten Druckan- stieges im Lungenkreislauf ist eine geringe konstriktorische Wirkung des Pentazocins auf die Lungenge- fäße anzunehmen (5, 6, 7). Daß die geringfügige Druckzunahme im Lungenkreislauf Folge einer eventu- ell direkten kardiodepressiven Wir- kung des Pentazocins ist, konnte in vivo nicht nachgewiesen werden.
Eine Steigerung des „afterload"
durch Zunahme des systolischen ar- teriellen Druckes und eine daraus resultierende Erhöhung des links- ventrikulären Druckes konnte weit- gehend ausgeschlossen werden.
Sowohl vom Wirkungsmechanismus als auch vom quantitativen Ausmaß der Veränderungen her ergeben sich somit keine überzeugenden Ar- gumente gegen die Anwendung von Pentazocin bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt.
Morphin und seine Derivate werden zur Schmerzbekämpfung beim aku- ten Herzinfarkt vielerorts mit Erfolg und offenbar meist ohne schwerwie- gende Nebenwirkungen eingesetzt.
Die uneingeschränkte Bevorzugung und Empfehlung von Morphin, wie sie in der Leserzuschrift propagiert wird, sollte jedoch aus mehreren Gründen in ihrer allgemeingültigen Aussage eingeschränkt werden:
Der im Vergleich zu Pentazocin erheblich stärker ausgeprägte atem- depressorische Effekt des Morphins (6) kann die beim frischen Infarkt häufig feststellbare Reduktion des arteriellen Sauerstoffpartialdruckes noch verschlimmern, dies gilt insbe-
sondere für Patienten mit chroni- scher Ventilationsstörung.
(;) Morphin kann in Einzelfällen zu ausgeprägten Bradykardien führen (4) und dadurch eine bereits vorhan- dene Bradykardieneigung, zum Bei- spiel beim akuten Hinterwandin- farkt, verstärken.
• Unter der Einwirkung von Mor- phin wird der Blutdruck gesenkt.
Gelegentlich kann akut eine schwe- re arterielle Hypotension auftreten (8), wodurch Infarktpatienten in kri- tischer Kreislaufsituation zusätzlich gefährdet werden.
Cl Morphin und seine Derivate be- wirken eine Abnahme des Herzzeit- volumens (1). Infarktpatienten mit bereits stark erniedrigtem Herzzeit- volumen können sich daher unter der Einwirkung von Morphin hämo- dynamisch verschlechtern.
Unter den zur Verfügung stehenden Analgetika nimmt Pentazocin eine Ausnahmestellung ein, da es als ein- zige Substanz das Herzzeitvolumen nicht vermindert (6).
Literatur
(1) Alderman, E. L., et al.: New Engl. J. Med. 287 (1972) 623 - (2) Jewitt, D. E., et al.: Brit. Med. J.
1 (1970) 795 - (3) Miller, H. C., et al.: Lancet II (1972) 1167 - (4) Nagle, R., et al.: Brit. Heart J.
34 (1972) 244 - (5) Spiller, P., et al.: Med. Welt 24 (1973) 1002 - (6) Spiller, P., und Kreuzer, H.:
Zschr. Kard. 63 (1974) 1060 - (7) Tauchert, M., et al.: Herz/Kreisl. 7 (1975) 178 - (8) Thomas, M., et al.: Brit. Heart J. 27 (1965) 863
Privatdozent
Dr. ,med. Wolfgang Mäurer Abteilung Innere Medizin III (Kardiologie) Medizinische Universitätsklinik
Bergheimer Straße 6900 Heidelberg
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
2910 Heft 49 vom 8. Dezember 1977