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Archiv "Mißglückter Rechtfertigungsversuch der FDP" (20.10.1977)

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Mißglückter

Rechtfertigungsversuch der FDP

Als „Schwarzer Freitag" werde der 24. Juni 1977 in die Ge- schichte der deutschen Kran- kenversicherung eingehen — so hatte Prof. Dr. Hans J. Sewe- ring, Präsident der Bundesärz- tekammer, in einem Leitartikel für das DEUTSCHE ÄRZTE- BLATT (Heft 27/1977) die Ver- abschiedung dessogenannten

„Kostendämpfungsgesetzes"

im Bundesrat kommentiert und unter anderem betont: „Daß die zielbewußte Linke mit die- sem Gesetz unter dem Vor- wand der ,Kostendämpfung' in ihrem Sinne Weichen für die Zukunft gestellt hat, werden die ‚Bürgerlichen' leider erst dann merken, wenn es zu spät ist." Mit der verteidigenden Erwiderung, die Wolfgang Mischnick, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, dar- auf schrieb („Das Kosten- dämpfungsgesetz — ein Gesetz zur Stärkung der Selbstverwal- tung" / DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT, Heft 35/1977), setzt sich im nebenstehenden Bei- trag nun Dr. med. Friedrich Kolb, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, früheres langjähri- ges Mitglied der FDP, ausein- ander.

Der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag gab unter der Überschrift: „Das Kostendämp- fungsgesetz — ein Gesetz zur Stär- kung der Selbstverwaltung" gleich- sam eine amtliche Stellungnahme seiner Partei zu den vielfältigen kriti- schen Stimmen aus der Ärzteschaft und insbesondere zum Leitartikel des Präsidenten der Bundesärzte- kammer, Professor Sewering: „Der Schwarze Freitag", erschienen im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT am 7.

Juli 1977. Diese Ausführungen Mischnicks können nicht überzeu- gen, weil sie vieles verschweigen, anderes beschönigen und manches wahrheitswidrig umdeuten. Ich will versuchen, diese meine Beurteilung an drei Punkten, nämlich an den Aussagen Mischnicks zur Kosten- dämpfung, zur Stärkung der Selbst- verwaltung der Kassenärzte und zum Arzneimittelhöchstbetrag zu begründen.

„Kostendämpfung"

bzw. Kostenverschiebung

Entgegen den Aussagen der Bun- desregierung — was jeder Kenner der Materie weiß — mußte das soge- nannte „Kostendämpfungsgesetz"

(KVKG) nicht wegen der Ausgaben- entwicklung in der Krankenversi- cherung und schon gar nicht wegen der Kostenentwicklung der ambu- lanten (zahn-)ärztlichen Versor- gung, die vom KVKG in seiner end- gültigen Fassung unter Aussparung des teuren Krankenhausbereichs ausschließlich betroffen ist, in 4 1/2 Monaten ohne die notwendigste Zeit für Anhörung und Beratung durch- gepeitscht werden, sondern wegen der abzusehenden Pleite der Ren- tenversicherung und des schwer einzuhaltenden Wahlversprechens, zum 1. Juli 1977 eine unverminderte Rentenanpassung vorzunehmen.

Die Misere der Rentenversicherung bot sozialistischen Systemverände- rern „die große, ja einmalige Chance, auch tiefe Eingriffe in die bisherige Struktur der Krankenversi- cherung vorzunehmen" (Schlögell).

Die FDP hat dabei freiwillig oder ge- zwungen mitgewirkt. Die Kosten der ambulanten Behandlung sind in den letzten 2 1/2 Jahren, insbesondere auch durch freiwillige Beschränkun- gen der Kassenärzte unterproportio- nal und prozentual geringer ge- wachsen als das Bruttosozialpro- dukt, die Löhne der Versicherten und die Verwaltungskosten der Krankenkassen. Gleiches war für die Zu dem Artikel von Wolfgang Mischnick:

„Das Kostendämpfungsgesetz — ein Gesetz zur Stärkung der Selbst- verwaltung" im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 35/1977

Friedrich Kolb

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Mißglückter Rechtfertigungsversuch der FDP

kommenden Jahre nach den ver- pflichtenden Erklärungen der Ärzte- schaft zu erwarten. Damit wird die Aussage Mischnicks unglaubwür- dig: "Denn die unaufhaltsame Ko- stenlawine hätte auch die Selbstver- waltung von Krankenkassen und Kassenärzten überrollt und binnen kurzem durch staatlichen Dirigis- mus ersetzt." (Bekanntlich ist dieser wesentlich aufwendiger.)

Wegen der Misere der Renterrversi- cherung wurde die gute Hälfte der Kosten der Krankenversicherung der Rentner systemwidrig auf die Krankenkassen und ihre Beitrags- zahler (aktive Versicherte und ihre Arbeitgeber) verlagert. Begründet wurde diese Kostenverschiebung mit der Solidarität aller Versicher- tengruppen, die in einem einheitli- chen (durchschnittlichen) Beitrags- satz Ausdruck finden müsse. Ver- schwiegen wurde dabei,

C> daß Rentner den doppelten Be-

darf an medizinischen Leistungen haben als Arbeitnehmer,

C> daß Rentner keine Steuern und

Sozialabgaben entrichten (die beim Arbeitnehmer durchschnittlich 35%

seines Bruttolohnes ausmachen) und

C> daß damit system- und solidari- tätsgerecht 1000 DM Brutto-Arbeits- einkommen mit 667 DM Rente (brutto = netto) verglichen werden müßten.

Eine Zahlung von 17 Prozent der Rentensumme durch die Rentenver- sicherung an die Krankenkassen, die bis zum lnkrafttreten des KVKG am 1. Juli 1977 gegolten hat, trug dieser unterschiedlichen Bemes- sungsgrundlage beider Gruppen Rechnung und entsprach genau dem (durchschnittlichen) Beitrags- satz der Krankenversicherung für Arbeitnehmer von derzeit 11,3 Pro- zent ('/3 von 17 Prozent = 5,8 Pro- zent. 17 Prozent - 5,8 Prozent =

11,2 Prozent). Damit ist das von der Bundesregierung ausgestreute Mär- chen von der "Überzahlung" durch die Rentenversicherung an die Kran- kenkassen widerlegt. (Nicht berück-

sichtigt wird bei dieser Rechnung der "Solidaritätsausgleich" zwi- schen der Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeiter, der 1977 14 Milliarden DM zugunsten der Arbeiterrentenversicherung be- trägt.)

Die Verminderung der Leistung der Rentenversicherung an die Kran- kenkassen von bisher 80 auf 50 Pro- zent der tatsächlichen Kosten der Rentnerkrankenversicherung bzw.

von 17 auf 11 Prozent der Renten- summe belastet die Krankenversi- cherung jährlich mit 7 Milliarden DM, die bei der ambulanten Behand- lung der Versicherten teilweise ein- gespart werden sollen. Diese Bela- stung der Krankenversicherung führt zwangsläufig sowohl zu einer Leistungsminderung in der ambu- lanten Versorgung als auch zu einer Beitragserhöhung in der Kranken- versicherung, die von einzelnen Krankenkassen bereits im zweiten Halbjahr 1977 vollzogen, von fast al- len für 1978 angekündigt und als Auswirkung des KVKG begründet wurde.

~ Tatsächlich findet also eine Ko- stenverlagerung zwischen Renten- und Krankenversicherung statt. Die Bezeichnung "Kostendämpfungs- gesetz" entpuppt sich als Etiketten- schwindel, als politisches Ablen- kungsmanöver mit populärer, aber bewußt unrichtiger Begründung.

Für den Versicherten ist es gleich- gültig, ob er Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung (und der Arbeitslosenversicherung, die dem- nächst wahrscheinlich ebenfalls be- vorsteht) oder in der Rentenversi- cherung hinnehmen muß. Trotz des KVKG und des 20. Rentenanpas- sungsgesetzes ist eine auch nur mit- telfristige Sanierung der Rentenver- sicherung bei der derzeitigen Ar- beitsmarkt- und Wirtschaftslage mehr als unwahrscheinlich. Nach neuesten Berichten erwägt die Bun- desregierung, das Defizit der Ren- tenversicherung aus Steuergeldern zu decken. Man kann der FOP nur empfehlen, daß sie "den Blick auf die(se) Realitäten zurückgewinnt"

(Misch nick).

Zunahme der Bürokratie - Beispiel Arzneikostenanteil Das KVKG vermehrt- entgegen sei- ner "Firmierung" - Bürokratie und Verwaltungsaufwand und damit die Kosten der Krankenkassen und Kas- senärztlichen Vereinigungen (KV).

C> durch mehrdeutige Gesetzesbe-

stimmungen (Gummiparagraphen)

C> durch die Forderung an die Kran-

kenkassen, ein (elektronisches) Mit- gliederverzeichnis zu führen, mit der Möglichkeit der Speicherung aller, auch der Intimdaten der Versi- cherten

C> durch Einführung zusätzlicher, justiziabler Verwaltungsverfahren, neuer Beratungs- und Beschlußgre- mien sowie durch Erhöhung der Mit- gliederzahl dieser Gremien.

Diese Feststellung soll am Beispiel des Arzneikostenanteils des Versi- cherten erläutert werden.

Man konnte sich nicht entschließen, die prozentuale Selbstbeteiligung an den Kosten der Arzneimittel für einen eindeutig umschriebenen Per- sonankreis beizubehalten und viel- leicht den Höchstbetrag der Rezept- blattgebühr von DM 2,50 an die wirt- schaftliche Entwicklung anzupas- sen. Vielmehr bestimmt das Gesetz, daß nunmehr auch Rentner, Schwerbeschädigte, Arbeitsunfähi- ge und nichtfamilienversicherte Kin- der 1 DM pro verordnetes Medika- ment (nicht pro Rezeptblatt) zu be- zahlen haben. Gleichzeitig sind aber Ausnahmen von dieser grundsätz- lich alle Versicherten betreffenden Arzneikostenselbstbeteiligung zu- gelassen, allerdings nicht präzise im Gesetz formuliert und nicht auf klar- umrissene Versichertengruppen be- schränkt. Die Krankenkasse kann in

"besonderen Härtefällen" ihre Mit-

glieder von dieser Zuzahlung befrei- en. Was ein "besonderer Härtefall"

ist, wird nicht näher definiert. Die Krankenkassen müssen also bei je- dem Antrag eines Versicherten auf Befreiung vom Arzneikostenanteil in eine eingehende, das Mitglied "bis aufs Hemd ausziehende" Prüfung

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der gesamten Einkommensverhält- nisse des Versicherten und seiner Familiengemeinschaft, einer ev. au- ßergewöhnlichen finanziellen Bela- stung und der bisher in Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen einschließlich der Verordnungsko- sten eintreten und einen Verwal- tungsakt setzen, der vor den Sozial- gerichten angefochten werden kann.

Die Regelung für den Arzneikosten- anteildurch das KVKG

C> ist schwer praktikabel und bleibt

ungerecht, weil es denselben Eigen- behalt fordert, ob das Medikament 2 oder 100 DM kostet,

C> animiert die Versicherten zu Ver-

ordnungswünschen nach teuren Medikamenten, Großpackungen und Kombinationspräparaten,

C> führt damit zu das Vertrauens-

verhältnis belastenden Konflikten in der Arztpraxis,

C> macht eine Bedürftigkeitsprü-

fung notwendig,

C> verletzt dadurch die Privatsphäre

des Versicherten,

C> bringt eine Aufblähung der Büro-

kratie und

C> verursacht letztlich mehr Kosten,

als durch die Einbeziehung bisher von der Rezeptblattgebühr befreiter Personengruppen eingespart wird.

Deshalb ist den Bundesverbänden der Krankenkassen bisher auch noch keine einheitliche Regelung dieser für den Versicherten so wich- tigen Materie gelungen. Ist eine solche Gesetzesbestimmung ver- nünftig, kostendämpfend oder liberal?

Stärkung oder

Aushöhlung der kassenärztlichen Selbstverwaltung?

Mischnick behauptet in seiner Ent- gegnung: "Das KVKG ist gerade ein Gesetz zur Erhaltung und Stärkung

der Selbstverwaltung von Kassen- ärzten und Krankenkassen .. . Ent- gegen der Behauptung von Profes- sor Sewering wird nicht etwa die Gleichberechtigung von Kassenärz- ten und Krankenkassen beseitigt."

Nach altem und neuem Recht schließen die Kassenärztlichen Ver- einigungen der Länder Gesamtver- träge mit den einzelnen (Verbänden der) Krankenkassen. Durch das KVKG (§ 368 f 4) wird erstmalig eine zentrale Empfehlungsvereinbarung auf Bundesebene verbindlich vorge- schrieben. Diese gesetzlich fundier- te Bundes-Empfehlungsvereinba- rung bindet zwar nicht de jure, aber de facto die Vertragspartner auf Landesebene, weil die Schiedsämter und Sozialgerichte nach aller bishe- rigen Erfahrung ihre Entscheidun- gen an der zentralen Empfehlungs- vereinbarung ausrichten, auch wenn nach dem Gesetz vom 1. Ju Ii 1977 .. regionalen Verhältnissen Rech- nung getragen werden kann". Die vorgeschriebene Empfehlungsver- einbarung auf Bundesebene führt praktisch zur Nivellierung, zur Zen- tralisierung der Honorarvereinba- rung und zum Verlust der Vertrags- freiheit der Kassenärztlichen Verei- nigungen der Länder. Sie wider- spricht auch dem föderalistischen Aufbau der Bundesrepublik.

Hier sei auch gleich zu dem immer wieder vorgebrachten Einwand Stel- lung genommen, die Kassenärzte hätten doch freiwillig schon eine solche Empfehlungsvereinbarung geschlossen. Ob eine Vereinbarung freiwillig geschlossen oder aber durch Gesetz aufgezwungen wird, ist ein erheblicher Unterschied.

..". Gerade die gesetzliche Vorschrift über die zentrale Empfehlungsver- einbarung beweist, daß die Bundes- regierung und die sie tragenden Parteien die Selbstverwaltung der Kassenärzte beschneiden und aus- höhlen wollen.

Das KVKG bestimmt (in § 368 n 5), daß die KVen Prüfungs- und Be- schwerde-Ausschüsse zu errichten haben, denen Vertreter der Ärzte und Krankenkassen in gleicher Zahl

angehören. Der Vorsitzende, dessen Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt, also doppelt zählt, wechselt jährlich zwischen Kranken- kasse und Kassenärztlicher Vereini- gung.

Auch nach altem Recht war die KV verpflichtet, solche Ausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Kassenärzte zu bilden. Im alten Pauschalvertrag, bei dem die Kran- kenkasse eine vorher festgelegte fixe Summe als Gesamtvergütung an die KV bezahlt, deren Verteilung an die Kassenärzte (und Quotierung) der KV überlassen blieb, konnte sich die Krankenkasse durch einen Arzt ihres Vertrauens mit beratender Stimme beteiligen.

Im Einzelleistungsvertrag, der aus- schließlichen Vertragsform der letz- ten zehn Jahre, bei dem sich die Gesamtvergütung aus der Summe der geprüften ärztlichen Einzellei- stungen ergibt, war (nach dem alten

§ 368 n 6) die Zusammensetzung der Prüfungsgremien und die Mitwir- kung der Krankenkassen vertraglich zu regeln. Im Zuge dieser notwendi- gen Vereinbarungen kam es im gan- zen Bundesgebiet zu einer paritäti- schen Besetzung, zumindest der Be- schwerdeausschüsse, allerdings ohne den Stichentscheid des Vorsit- zenden. Dieser wurde nach altem Recht immer von der KV gestellt.

..". Ich habe die frühere Zusammen- setzung der Prüfungsgremien des- halb erläutert, weil sie der FDP-Bun- destagsfraktion bis zum 10. Juni 1977 anscheinend nicht bekannt war. ln seinem Einheits-Antwortbrief auf die Zuschriften zahlreicher Kas- senärzte führt Mischnick in der An- lage Seite 5, letzter Satz aus: "Bis- her können die Krankenkassen ... in die Ausschüsse nur einen Arzt ohne Stimmrecht entsenden." Diese Aussage ist im Zeitalter der Einzel- leistungsverträge, also seit zehn Jahren, peinlich unzutreffend und objektiv falsch.

..". Wieso durch die neuen gesetzli- chen Vorschriften über die Prüfung die kassenärztliche Selbstverwal-

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 42 vom 20. Oktober 1977 2525

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Mißglückter Rechtfertigungsversuch der FDP

tung „gestärkt" wird, wird die FDP wohl sicher noch verdeutlichen müssen.

Im übrigen — wie muß der Kassenarzt verunsichert werden, daß ihm (nach neuem Recht) bei wechselndem Vorsitz mit Stichentscheid in einem Jahr Unwirtschaftlichkeit von den Prüfungsinstanzen seiner KV vorge- worfen, im nächsten Jahr bei glei- cher Arbeit Wirtschaftlichkeit atte- stiert wird und im dritten Jahr wie- derum eine Kürzung wegen Unwirt- schaftlichkeit erfolgt?! Die Tätigkeit der Widerspruchsinstanzen und der Sozialgerichte dürfte auf Jahre hin- aus voll gesichert sein. Zur Kosten- dämpfung und einer guten ärztli- chen Versorgung dürfte dieses Ver- fahren allerdings kaum beitragen.

Arzneimittelhöchstbetrag — Einzelregreß

§ 368 f 6 (neu) bestimmt: „Im Ge- samtvertrag (über die Gesamtvergü- tung der Kassen an die KV) ist für einen zu vereinbarenden Zeitraum (im vornhinein) ein Höchstbetrag der im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung zu Lasten der beteilig- ten Krankenkassen zu verordnenden Arzneimittel zu bestimmen." Kran- kenkassen und Kassenärztliche Ver- einigungen müßten hellseherisch begabt sein, wenn sie den zu erwar- tenden Arzneimittelbedarf der Versi- cherten zum Beispiel eines Jahres im voraus auch nur annähernd rich- tig voraussagen wollten.

Der verantwortungsbewußte Kas- senarzt richtet seine Verordnungen unter Beachtung der Wirtschaftlich- keit und der medizinischen Wissen- schaft und unter Abwägung mögli- cher Nebenwirkungen hochwirksa- mer Arzneimittel nach dem zu er- wartenden Nutzen eines Medika- ments und dem voraussichtlichen Behandlungserfolg aus. Der Preis einer Arznei spielt dabei entspre- chend den geltenden Arzneimittel- richtlinien eine wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle. Die Kran- kenkassen — nur ihnen sind die Ver- ordnungskosten bekannt — hatten schon nach altem Recht, wie oben

ausgeführt, die Möglichkeit der Überprüfung. Der Kassenarzt hat keinerlei wirtschaftlichen Gewinn aus der Verordnung seiner Medika- mente, er ist auch nicht, wie in man- chen Veröffentlichungen zu lesen — ein „Vielverschreiber", dem Wir- kung und Nebenwirkung der von ihm verordneten Medikamente nicht bekannt sind oder der gar seine Pa- tienten durch eine Vielzahl von Me- dikamenten schädigt. Er verordnet durchschnittlich weniger als das Krankenhaus in gleichgelagerten Fällen.

Auch kann der Kassenarzt während der Behandlung nicht im voraus wis- sen, wie er mit seinen Verordnungs- kosten im Rahmen des Azneimittel- durchschnitts seiner Fachgruppe liegen wird. Wird er unter eine dop- pelte Regreßdrohung gestellt, von denen zumindest die zweite nicht frei von dem Odium ist, daß sie sich auf Druck der Krankenkasse vorwie- gend am Arzneimittelhöchstbetrag und Durchschnittszahlen ausrichtet, wird er seine Arzneimittelverord- nung darauf einstellen. Schließlich kann man von ihm nicht erwarten, daß er für seine Verordnungen be- zahlt, die er im Interesse seines Pa- tienten ausgestellt hat.

Die Verunsicherung . des Kassenarz- tes wird dadurch noch größer, daß das KVKG keine klare Bestimmung darüber enthält, wann die grund- sätzlich von der Verordnung zu La- sten der Kasse ausgeschlossenen Arzneimittel zur Behebung „gering- fügiger Gesundheitsstörungen" im Ausnahmefall doch zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden können. Der Kassenarzt muß viel- mehr befürchten, daß er auch in die- sem Punkt der Prügelknabe sein wird.

Mischnick schreibt: „Es bleibt beim Einzelregreß im Falle unwirtschaft- liche Verordnung." Damit will er wohl ausdrücken, daß die Kranken- kassen schon nach altem Recht in jedem Verdachtsfalle auf unwirt- schaftliche Verordnung (und Be- handlung) eines Kassenarztes einen Regreßantrag stellen und diesen An- trag vor dem Prüfungs-, dem Be-

schwerdeausschuß, in denen sie mitwirken, und vor den Sozialge- richten — in drei Instanzen also — verfolgen konnten. Sie haben aller- dings von dieser rechtlichen Mög- lichkeit sehr unterschiedlich Ge- brauch gemacht. Wenn tatsächlich Regresse nur gegen unwirtschaft- lich verordnende Ärzte ausgespro- chen werden sollen, was sollen dann

„zusätzliche und gezielte Einzelprü- fungen" nach einem Zeitraum von einem Jahr und mehr, allein des- halb, weil ein vorher im Kompromiß- weg ausgehandelter, niemals exakt zu bestimmender Arzneimittel- höchstbetrag (für alle Kassenärzte) überschritten wurde? Soll es nicht das Ziel dieses zweiten, nachge- schobenen Verfahrens sein, die den fiktiven Arzneimittelhöchstbetrag überschreitende Summe im Einzel- regreß hereinzuholen, unabhängig davon, ob im Einzelfall Unwirt- schaftlichkeit nachgewiesen wurde?

Anderenfalls wäre die Bestimmung sinnlos.

Diese mit dem KVKG eingeführte zweite Überprüfung der Verordnun- gen der Kassenärzte in einem weit zurückliegenden Zeitraum, falls der Arzneimittelhöchstbetrag über- schritten wurde, ist also unpraktika- bel und rechtlich äußerst bedenk- lich. Doch das KVKG eröffnet den Krankenkassen diese Möglichkeit, solange sie den Vorsitz der Aus- schüsse stellen und damit allein ent- scheiden können.

Was soll die Einbeziehung des Arz- neimittelhöchstbetrages in die Ge- samtvergütung der Krankenkassen?

(§ 368 f 6 und 7). Auch hier besteht der begründete Verdacht, daß diese in letzter Minute getroffene Ände- rung des Gesetzestextes die Kollek- tivhaftung der Kassenärzte für alle Arzneimittelverordnungen nur ver- schleiern soll. Anderenfalls wäre auch sie überflüssig und sinnlos.

Ein Gleiches gilt für die sogenann- ten „Transparenzlisten": Hier be- steht die wohlbegründete Vermu- tung, daß der Arzt auf Antrag der Krankenkasse jedesmal schriftlich oder mündlich vor den Ausschüssen seine Verordnungen zumindest be-

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Gerhard Troßmann

Die Behauptung eines Verfassers, man könne nach einer 100 Jahre al- ten homöopathischen Arzneimittel- lehre noch heute erfolgreich behan- deln, ist genauso unbegründet wie seine Behauptung, daß man auf ho- möopathische Weise überhaupt er- folgreiche Therapie betreiben könne. Dieser Verfasser meint, daß

„Schulmediziner" und Homöopa- then seit mehr als 150 Jahren anein- ander vorbeigeredet hätten. Die Ho- möopathie habe nämlich außer einer anderen Methode auch ein ganz an- deres Ziel als die „Schulmedizin".

Hier kann man ihn beruhigen. Das Hahnemann-Zitat: „Des Arztes höchster und einziger Beruf ist es, kranke Menschen gesund zu ma- chen, was man heilen nennt!" ist keineswegs eine Erleuchtung, die ausschließlich Hahnemann und sei- nen Jüngern zuteil geworden ist.

Auch die „Schulmediziner" wissen Heilerfolge zu schätzen.

Allerdings hat es die „Schulmedizi- ner" schon zu Hahnemanns Lebzei- ten stutzig gemacht, daß er gemäß seinem Verständnis des ärztlichen Auftrages eine irrsinnig hohe Ver- dünnung von Belladonna (natürlich ohne Angabe der Zusammenset- zung) als „göttliches Mittel" gegen Scharlach verhökerte. Ein anderes Mittel pries Hahnemann als sein

„neues Laugensalz" an und ver- scherbelte es ebenfalls zu Höchst- preisen. Es enthielt aber nichts an- deres als Borax in extremer Verdün- nung. Trotzdem wurde es noch im Jahre 1870 als „philosophisches Goldsalz von Hahnemann" gehan- delt. Das sind zwei Medikamente aus dem 100 Jahre alten homöopathi- schen Arzneimittelschatz.

In der besonderen Art der Arzneimit- telherstellung liegt der eigentliche Grund für die Zählebigkeit der Ho-

möopathie: Billige Substanzen wer- den in größter Verdünnung als teure Medikamente verkauft. Hier ist der uralte Traum der Alchemisten in Er- füllung gegangen, hier wurde end- lich der Stein der Weisen gefunden, mit dem man aus Dreck Gold ma- chen kann!

Die „Schulmediziner" reden nicht an der Homöopathie vorbei, sie ver- gleichen lediglich die Ergebnisse.

Wenn der Verf. bekennt: „Ich selber habe Antibiotika und Sulfonamide stets abgelehnt.", dann darf man als

„Schulmediziner" doch wohl fra- gen, ob er ebenso konsequent auf Krankenhauseinweisungen verzich- tet hat. Das ist nämlich die einzige Alternative für Ärzte, denen die ei- genhändige Tötung von Bakterien zu grausam erscheint.

Die Aversion der Homöopathen ge- gen Antibiotika und Sulfonamide ist übrigens völlig unverständlich. Hah- nemann selbst hat über Krankheit und Heilung folgendes gesagt: „Die unsichtbare krankhafte Verände- rung im Innern und der Komplex der von außen wahrnehmbaren Sympto- me sind beide wechselseitig und notwendig durcheinander bedingt;

beide bilden zusammen die Krank- heit in ihrem Umfange, das ist eine solche Einheit, daß letztere mit er- sterer zugleich stehen und fallen, daß sie zugleich miteinander dasein und zugleich miteinander ver- schwinden müssen."

Wenn also mit dem Verschwinden der Symptome auch die gesamte Krankheit beseitigt wird, warum um•

Himmels willen sollte man dann eine Angina tonsillaris nicht mit Penicillin heilen dürfen? Etwa nur, weil Peni- cillin in höchster Verdünnung keine künstliche Angina erzeugt und des- halb nicht ins homöopathische Kon- zept paßt?

gründen muß, oder zur Kasse gebe- ten wird, wenn er nicht das billigste Präparat der Reihe rezeptiert hat.

Aber weder die Rote noch die Trans- parenzliste machen die Verträglich- keit und die Bioverfügbarkeit eines Medikaments „transparent", son- dern ausschließlich die Beobach- tungen und Erfahrung eines Arztes.

Betroffen sind — weil sie 70 Prozent der Arzneimittel innerhalb der ge- setzlichen Krankenversicherung verordnen — von diesen neuen ge- setzlichen Bestimmungen über die Arzneiverordnung in erster Linie die Allgemeinärzte, die doch angeblich gefördert werden sollen. Wieso also Mischnick zu der Meinung kommen kann: „Diese Ausgestaltung schließt Gefahren für die Arzneimittelversor- gung der Versicherten und für die Therapiefreiheit des Arztes aus", bleibt unerfindlich.

Mischnick beendet seine Ausfüh- rungen mit dem Satz: „Auf diese Weise haben wir eine individuelle li- berale Lösung gefunden." Der grö- ßere Koalitionspartner sieht das an- ders. Ich verweise auf die Ausfüh- rungen von Bundesminister Dr. Her- bert Ehrenberg vor der sozialdemo- kratischen Fachkonferenz Gesund- heit in Wiesbaden am 25. Juni 1977.

Ehrenberg zog dabei das Resümee aus der eben erfolgten Verabschie- dung des KVKG und stellte fest, daß

„die Mehrzahl der (sozialistischen, der Autor) Forderungen aus dem Zehnpunkteprogramm der SPD vom Mannheimer Parteitag 1975 inzwi- schen erfüllt" seien.

Die FDP hat bei dieser grundlegen- den, sozialistischen Umgestaltung unseres Gesundheitswesens als Er- füllungsgehilfe mitgewirkt.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Friedrich Kolb Zweiter Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

Mühlbaurstraße 16 8000 München 80

Homöopathie

und ärztliche Praxis

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 42 vom 20. Oktober 1977 2527

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