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Archiv "Kreieren geht über Kopieren" (10.12.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 49

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10. Dezember 2010 863

M E D I Z I N

AUS DER REDAKTION

Kreieren geht über Kopieren

Stephan Mertens

Es ist anzunehmen, dass nur ein Teil der Plagiate an- gesichts der vielen Zeitschriften und Publikationen auf- gedeckt wird. Durch das Internet ist die Versuchung, Texte für die eigene Veröffentlichung zu kopieren, ge- wiss noch gestiegen. Gleichzeitig ist jedoch auch die Gefahr gestiegen, entdeckt zu werden.

Häufigkeit von Plagiaten schwer abschätzbar Im Prinzip lässt sich die Häufigkeit von Plagiaten durch Befragung von Autoren oder durch den Abgleich publi- zierter Artikel, Forschungsanträge oder Bücher ermit- teln. Bei einer anonymen Befragung gaben fast 5 Pro- zent der US-amerikanischen Wissenschaftler an, identi- sche Daten mehrfach veröffentlicht zu haben. Ideen an- derer verkauften 1,4 Prozent als die eigenen, und 1,7 Prozent nutzten vertrauliche Informationen für ihre ei- gene Forschung (3). Diese Zahlen basieren auf einer Erhebung bei mehr als 3 000 Wissenschaftlern aus dem Jahr 2002. Bei der Befragung, mit einer Rücklaufquote von annähernd 50 Prozent, unterschied man Forscher in der Mitte ihrer Karriere von jungen Wissenschaftlern.

Erstere publizierten signifikant häufiger vertrauliche Informationen oder bereits veröffentlichte Daten als junge Forscher. Da bei Befragungen erfahrungsgemäß eigenes unerwünschtes Verhalten nicht immer angege- ben wird, kann man aber davon ausgehen, dass es sich um eher konservative Zahlen handelt.

Wissenschaftler von der Universität Texas versuch- ten, mit einem Texterkennungsprogramm Plagiatoren auf die Schliche zu kommen. Sie durchforsteten Daten- banken, um gleichlautende Passagen in verschiedenen Dokumenten zu identifizieren. Hierbei ermittelten Er- rami et al., dass 0,04 Prozent von über 60 000 Medline- Abstracts wahrscheinliche Duplikate anderer Autoren waren (4). 1,3 Prozent der Autoren aus dieser Stichpro- be schrieben bei sich selbst ab. Die Duplikate fand man dreimal so häufig in Zeitschriften ohne Impact-Faktor, und sie wurden auch seltener zitiert.

Etwa drei Viertel der identifizierten Duplikate hatte Medline mit Hilfe eines hausinternen Algorithmus als für diese Arbeit besonders relevante Artikel identifi- ziert. Diese Zuordnung von Medline nutzten die Auto- ren, um weitere 7 Millionen Abstracts zu analysieren.

So konnten Errami und Garner 70 000 sehr ähnliche Zusammenfassungen zuordnen (5). Aufgrund der Er- fahrungen mit der zuvor erwähnten Arbeit schätzen die Wissenschaftler, dass sich hierunter 50 000 echte Du- plikate befinden. Das heißt, dass etwa 0,7 Prozent der eingangs eingeschlossenen Abstracts fragwürdigen Ur- sprungs sind. In Bezug auf die gesamte Datenbank mit

A

us einem Buch abschreiben, ist ein Plagiat, aus zweien ein Essay, aus dreien eine Dissertation (in Anlehnung an [1]). Diese scherzhafte Definition ver- deutlicht, dass ein Plagiat nicht immer fassbar ist. Das Spektrum reicht von der wörtlichen Übernahme aus be- reits Veröffentlichtem bis zur Aneignung von Hypo - thesen und Argumentationen. Die deutsche Hochschul- rektorenkonferenz definiert Plagiat als „unbefugte Verwertung [geistigen Eigentums] unter Anmaßung der Autorschaft“ (2). Dem Rezipienten wird der tatsäch - liche Verfasser mit der Intention verschwiegen, die intellektuelle Leistung anderer als die eigene darzu - stellen. Gelegenheiten zum Abkupfern gibt es viele: zu begutachtende Artikel oder Forschungsanträge, Kon- gressvorträge oder andere Veröffentlichungen. In der Wissenschaft wird Plagiieren als Fehlverhalten be- trachtet, das zur Aberkennung akademischer Titel und beruflicher Positionen führen kann.

Man unterscheidet das Autoplagiat, bei dem Passa- gen und Daten aus vorhergehenden eigenen Arbeiten einfließen, vom Fremdplagiat, in dem das intellektuelle Eigentum Anderer ohne deren Nennung verbreitet wird. Umfragen und die persönliche Wahrnehmung deuten darauf hin, dass Autoplagiate wesentlich häufi- ger sind als Fremdplagiate und in gewissem Ausmaß vom wissenschaftlichen Umfeld toleriert werden. Im Gegensatz dazu werden Fremdplagiate einhellig verur- teilt, aber leider nicht immer sanktioniert.

GRAFIK Länder mit dem

prozentual häu- figsten Anteil an Einträgen in Med-

line. In anglopho- nen Ländern wur- den weniger plagi- atverdächtige Arti- kel in Relation zum Medline-Anteil identifiziert, wohin- gegen dies in Arbei- ten aus Japan und China proportional am häufigsten war.

Mit freundlicher Ge- nehmigung: Nature

Publishing Group, aus Errami M, Gar- ner H: A tale of two

citations.

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17 Millionen Artikeln vermuten die Autoren, dass sich in Medline mehr als 200 000 Duplikate befinden. Das Verhältnis von plagiatsverdächtigen Artikeln zu regulä- ren Publikationen im Ländervergleich illustriert die Grafik. Deutschland weist den viertgrößten Anteil an Medline-Publikationen auf, mit einem etwas höheren relativen Anteil potenzieller Plagiate.

Die Schätzung von 200 000 Duplikaten in Medline könnte aber zu hoch sein, wie eine Analyse einer Sub- gruppe der verdächtigen Artikel nahelegt. Von 65 po- tenziellen Dubletten erwiesen sich nach manueller In- spektion lediglich 5 als tatsächliche Duplikate und wei- tere 5 als Übersetzungen in eine andere Sprache (6).

Die anderssprachigen Artikel hatten möglicherweise ei- ne ähnliche englische Zusammenfassung, die die Iden- tifizierung erlaubte. Die geringe Zahl tatsächlicher Pla- giate unterstreicht, dass die elektronische Suche eine sehr hohe Rate an falschpositiven Ergebnissen zutage fördern kann und eine manuelle Überprüfung unab- dingbar erscheint. Wenn diese Ergebnisse korrekt sind, dürfte die Zahl der Duplikate in Medline bei etwa 20 000 beziehungsweise 0,1 Prozent liegen. Ähnliche Zahlen präsentieren kanadische Forscher, die in der Da- tenbank Web of Science nach Duplikaten in allen Wis- senschaftsdisziplinen gesucht haben. Wenn der Titel des Artikels, der Erstautor und die Zahl der Referenzen identisch waren, gingen die Forscher von einer Doppel- publikation aus. Mit diesem Raster entdeckten sie in Metadaten von 18 Millionen Artikeln fast 5 000 Du- bletten (7), die zwischen 1980 und 2007 veröffentlicht wurden. Aufgrund der sehr engen Definition – bereits ein leicht veränderter Titel verhinderte die Entdeckung einer Dublette – gehen die Autoren von einer konserva- tiven Aufdeckungsquote aus. Artikel aus der klinischen Medizin hatten von allen untersuchten Disziplinen am dritthäufigsten Duplikate. Die Artikelpaare erschienen in der Regel innerhalb eines Jahres. Dies lässt die Ver- mutung zu, dass sie gleichzeitig bei den Zeitschriften eingereicht wurden.

Geschädigte und Plagiatoren

Tara Long und Mitarbeiter wollten wissen, wie die be- teiligten Zeitschriften und Autoren reagieren, wenn ein Plagiat entdeckt wird. Mit Hilfe der Datenbank Déjà vu, in der mögliche Duplikate hinterlegt sind, identifi- zierten sie manuell 212 Paare von Artikeln, bei denen der Verdacht auf ein Plagiat bestand (8). Die Texte wa- ren durchschnittlich zu 86,2 Prozent identisch, die Zahl der Referenzen zu 73,1 Prozent, und bei mindestens 71,4 Prozent waren Tabellen oder Abbildungen sehr ähnlich oder identisch.

Allerdings zitierten nur 47 Plagiatoren (22,2 Pro- zent) die Originalquelle. Um die Reaktion auf die un- lautere Zweitverwertung zu untersuchen, verschickten Long und Kollegen in 163 Fällen einen Fragebogen an die Geschädigten, die Plagiatoren und die beteiligten Zeitschriften zusammen mit den beiden Artikeln. 93 Prozent der Originalautoren wussten nichts vom Plagi- at. Lediglich 37 Prozent der Plagiatoren äußerten sich in irgendeiner Form zu den Vorwürfen. Die Aufde- ckung der Plagiate veranlasste die Hälfte der Redaktio- nen zu einer Untersuchung (Kasten), die lediglich in 46 Fällen die Zurückziehung des Plagiates zur Folge hatte.

Trotz der wissenschaftlichen und ethischen Konse- quenzen unternahm die Hälfte der Redaktionen keine weiteren Schritte und insgesamt wurden nur 25 Prozent der Dubletten offiziell korrigiert. Warum dies unterlas- sen wurde, ist unklar. Vielleicht befürchteten die Zeit- schriften einen Imageschaden. Der Impact-Faktor der Originalarbeiten war mit 3,87 signifikant höher als bei der Zweitpublikation mit 1,6 (p < 0,001). Originalarti- kel wurden durchschnittlich 28-mal zitiert, die Plagiate nur zweimal. Da Plagiate in der Regel aber später ver- öffentlicht werden, erscheinen sie bei einer Datenbank- suche aufgrund des jüngeren Publikationsdatums frü- her in der Trefferliste als die Originalbeiträge und wer- den bei flüchtiger Literaturrecherche möglicherweise eher zitiert.

Auch der Redaktion des Deutschen Ärzteblatts sind Fälle bekannt, bei denen Autoren Manuskripte einge- reicht haben, die zu unterschiedlichem Ausmaß mit ei- genen oder Arbeiten anderer Autoren identisch waren.

Genaue Zahlen liegen uns aber nicht vor. Es ist auch durchaus möglich, dass Plagiate unentdeckt geblieben sind und veröffentlicht wurden.

Konsequenzen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und internationa- le Organisationen wie das International Committee of Medical Journal Editors oder das Committee on Publica- tion Ethics fordern, dass nachgewiesene Plagiate zurück- gezogen werden sollten (9–11). Dies betrifft nicht nur ei- ne Korrektur im Journal, welches das Plagiat veröffent- licht hat, sondern auch entsprechende Verweise in Da- tenbanken. Nur so kann verhindert werden, dass die Pla- giate beispielsweise in Metaanalysen einfließen und Auswirkungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse ha- ben, indem nicht nur die Originaldaten sondern zusätz- lich die plagiierten Ergebnisse berücksichtigt werden, was zu einem Publikationsbias führen kann.

KASTEN

Vorgehen bei Plagiatverdacht

Prüfung des Vorwurfs

Bei Feststellung eines Plagiates sollten Autoren des Plagiates um Stellungnahme gebeten werden.

Wenn keine plausible Erklärung abgegeben wird, soll- ten ein eingereichtes Manuskript abgelehnt sowie die Gutachter und eventuell die Vorgesetzten und die Insti- tution des Autors informiert werden.

Einen bereits veröffentlichten Artikel sollte die Zeitschrift widerrufen und dies allen beteiligten Datenbanken mit- teilen.

Die geschädigten Autoren und das betroffene Journal sollten unterrichtet werden.

vereinfacht dargestellte Vorgehensweise gemäß dem Committee of Publication Ethics (www.publicationethics.org)

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Interessenkonflikt

Der Autor ist Redakteur in der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion des Deutschen Ärzteblatts.

LITERATUR

1. Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin http://plagiat.htw- berlin.de

2. Deutsche Hochschulrektorenkonferenz www.hrk.de/de/beschlues se/109_422.php

3. Martinson BC, Anderson MS, de Vries R: Scientists behaving badly.

Nature 2005; 435: 737–8.

4. Errami M, Hicks JM, Fisher W, et al.: Déjà vu – a study of duplicate citations in Medline. Bioinformatics 2008; 24: 243–9.

5. Errami M, Garner H: A tale of two citations. Nature 2008; 451:

397–9.

6. Rifai N, Bossuyt PM, Bruns DE: Identifying duplicate publications:

primum non nocere: Clin Chem 2008; 54: 777–8.

7. Larivière V, Gingras YY: On the prevalence and scientific impact of duplicate publications in different scientific fields (1980–2007). J Doc 2010; 66: 179–90.

8. Long TC, Errami M, George AC, Sun Z, Garner HR: Responding to possible plagiarism. Science 2009; 323: 1293–4.

9. International Committee of Medical Journal Editors. www.icmje.org 10. Committee on Publication Ethics (COPE).www.publicationethics.org 11. Office of Research Integrity. www.ori.dhhs.gov

Anschrift des Verfassers Dr. sc. nat. Stephan Mertens Deutsches Ärzteblatt

Medizinisch-wissenschaftliche Redaktion Ottostraße 12, 50859 Köln

E-Mail: mertens@aerzteblatt.de Spotlight on Plagiarism

Zitierweise

Mertens S: Spotlight on plagiarism. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(49): 863–5.

DOI: 10.3238/arztebl.2010.0863

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

Multiples Testen: Unterschied Bonferroni- und Holm-Prozedur

In einer doppelblinden, randomisierten klinischen Studie soll ein neuartiges Medikament zur Blutdrucksenkung mit einem Standardpräparat ver- glichen werden. Es gibt vier gleichwertige Fragestellungen (Hauptfragestellungen), die in dieser Studie untersucht werden sollen. Die zu den Fragestellungen zugehörigen Nullhypothesen lauten wie folgt:

1) Personen, die mit dem Novum behandelt wurden, haben gegenüber Personen, die mit dem Standardpräparat behandelt wurden, nach einer vierwöchigen Behandlung keine höhere Blutdrucksenkung aufzuweisen.

2) Personen, die mit dem Novum behandelt werden, haben gegenüber Personen, die mit dem Standardpräparat behandelt wurden, keine besse- re Lebensqualität aufzuweisen.

3) Personen, die mit dem Novum behandelt wurden, leiden nicht weniger oft an der Nebenwirkung Hustenreiz als Personen mit der Standardme- dikation.

4) Personen, die mit dem Novum behandelt wurden, leiden nicht weniger häufig an der Nebenwirkung Hautauschlag als Personen mit der Stan- dardmedikation.

Nach Analyse der Daten mittels entsprechender statistischer Tests ergaben sich für die vier Fragestellungen folgende vier p-Werte:

1) p1 = 0,01, 2) p2 = 0,001, 3) p3 = 0,09, 4) p4 = 0,025

Da mehrere Hypothesen in einer einzelnen Studie überprüft werden, ergibt sich die Problematik des multiplen Testens. Es gibt mehrere mögliche multiple Testprozeduren, die der Inflation des α-Fehlers entgegenwirken können, zum Beispiel die Bonferroni- und die Holm-Prozedur.

Die Holm-Prozedur lehnt zum multiplen Niveau von α = 5% eine Nullhypothese mehr ab als die Bonferroni-Prozedur.

Um welche der vier Nullhypothesen handelt es sich?

a) 1. Nullhypothese b) 2. Nullhypothese c) 3. Nullhypothese d) 4. Nullhypothese

Die Quiz-Fragen wurden vom Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Mainz, entwickelt.

STATISTIK-QUIZ

@

Die Lösungen sind online abrufbar:

www.aerzteblatt.de/10m0865

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