DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUSSPRACHE
Stellungnahme
In seinem Editorial „Vorsorgeme- dizin: Krebsfrüherkennung bei Frauen" spekuliert Professor Stoll über die Erforderlichkeit „milder Zwangsmaßnahmen" zur Steige- rung der Beteiligung am
Krebsfrüherkennungsprog ramm.
Vorsorge wie Früherkennung be- ruhen aber — wie dargestellt — in besonderem Maße auf dem infor- mierten Engagement der Bürger, die in diesem Fall ja nicht, wie in der kurativen Medizin, eine Be- schwerde zum Arzt führt. Dies wird besonders deutlich bei der Selbstuntersuchung der weib- lichen Brust — etwa 80 Prozent al- ler Brustkrebse gelten als von den Frauen selbst entdeckt. Wenn alle Frauen ihre Mammae systema- tisch selbst untersuchten, könn- ten diese Krebse früher entdeckt werden als dies im Durchschnitt bisher der Fall ist.
Das Engagement der Bürger gilt es zu stärken, nicht paternali- stisch abzubauen, schon gar nicht durch Regelungen, die zum Teil juristisch in der Nähe der Nöti- gung liegen und die auch aus ärzt- lich-ethischer Sicht abzulehnen sind. Denn Screening ist nicht ne- benwirkungsfrei. Nicht jeder Ko- nus enthält ein Carcinoma in situ und nicht jede Biopsie der Brust einen Brustkrebs. Welche Neben- wirkungen die Versicherten aber für den versprochenen und über- wiegend belegten Gewinn einer frühen Krebserkennung oder für die „Bestätigung" ihrer Gesund- heit in Kauf nehmen wollen — die- se Entscheidung dürfen wir ihnen
hier ebensowenig abnehmen wie in der kurativen Medizin. Wir soll- ten sie ihnen ermöglichen.
Dr. med. Bernt-Peter Robra Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland
Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41
Schlußwort
Ich bin Herrn Kollegen Robra vom Zentralinstitut für die kassenärzt- liche Versorgung in der Bundes- republik Deutschland sehr dank- bar für seine Bemerkungen, ge- ben Sie mir doch die Möglichkeit, noch etwas zum Problem der Vor- sorgeuntersuchung zu sagen:
Leider ist eben nicht jeder Bun- desbürger so weit aufgeklärt und gegenüber sich selbst und seiner sozialen Gemeinschaft verantwor- tungsbewußt, daß er die gesetz- lich eingeführte regelmäßige Vor- sorgeuntersuchung in Anspruch nimmt. Leider gilt dies insbeson- dere in der Frauenheilkunde für ältere und alte Patienten, von de- nen heute noch 15 Prozent mit weit fortgeschrittenen Karzino-
men den Arzt erreichen. Meine Frage nach „milden Zwangsmaß- nahmen" stützt sich im wesent- lichen auf die Erfahrung totalitä- rer Staaten, bei denen etwa eine berufliche Einstellungsuntersu- chung stets von einer ärztlichen Vorsorgeuntersuchung begleitet wird. Eine Nötigung wird dort in
dieser Maßnahme nicht gesehen.
Eine Nötigung kann ich auch in den von mir beispielhaft aufge- führten Fragen „Gesundheitspaß"
und „Übernahme der vollen Kran- kenhauskosten nur bei regelmäßi- ger Teilnahme an der Vorsorgeun- tersuchung" nicht erkennen. Ein derartiges Screening fordert ja auch beim Kollumkarzinom nicht sofort die Konisation heraus.
Nach meiner Erfahrung verlassen die Patienten die Sprechstunde nach einer Vorsorgeuntersu- chung beruhigter, als sie sie be- treten haben.
Wenn über 80 Prozent betroffener Frauen ihre Brustkrebse selbst entdecken, so handelt es sich lei- der nicht mehr um Frühfälle. Im übrigen ist nicht jede Frau zu ei- ner solchen Selbstuntersuchung bereit oder in der Lage. Dies ist der Grund, warum die Gesell- schaft für Senologie die Mam- mographie in der Vorsorge for- dert.
Nebenwirkungen des Screening treten nur dann auf, wenn Ver- dacht besteht, der abgeklärt wer- den soll. Die Entscheidung zu die- ser Abklärung aber muß die Pa- tientin selbstverständlich zusam- men mit ihrem Arzt treffen, diese Entscheidung kann und soll ihr nicht abgenommen werden.
Von einem Mitglied des Zentralin- stituts hätte ich eher erwartet, zu der von mir angeschnittenen man- gelhaften statistischen Erfassung kritisch Stellung zu nehmen und zu der Frage der Umfunktionie- rung der sogenannten Krebsfrüh- erkennung in eine jährliche Ge- sundenuntersuchung. Für die wei- tere Entwicklung des Problems wäre eine solche Stellungnahme hilfreich.
Professor Dr. med.
Peter Stoll Direktor der
Universitäts-Frauenklinik Klinikum Mannheim der Universität Heidelberg Theodor-Kutzer-Ufer 6800 Mannheim 1
Vorsorgemedizin:
Krebsfrüherkennung bei Frauen
Zu dem Editorial von Professor Dr. med. Peter Stoll in Heft 22/1984, Seiten 1794-1795
2496 (64) Heft 35 vom 29. August 1984 81. Jahrgang Ausgabe A