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Archiv "Patientenmobilität in Europa: Von Tourismus keine Spur" (02.07.2004)

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A1942 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 272. Juli 2004

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icht selten versuchen Journalisten dem Leser mithilfe von knackigen Überschriften die Lektüre eines Artikels schmackhaft zu machen – häufig wird ihm dabei eine Welt sugge- riert, die so (noch) gar nicht existiert:

So „boome“ der „Medizintourismus“, schreibt eine angesehene überregionale Zeitung, am nahe liegensten seien Lei- stungen aus Osteuropa. Hier gebe es

„Zähne in Pilsen“, „Goldkronen aus Ungarn“ und „Pos in Tschechien“.

Auch der Titel einer anderen Zeitung versetzt den Leser in den Glauben,

„Kuren in Karlsbad“ seien bereits an der Tagesordnung.

In der Tat können gesetzlich Ver- sicherte seit dem 1. Mai ärztliche ambu- lante und stationäre Behandlungen auch in den neuen osteuropäischen EU-Mit- gliedstaaten in Anspruch nehmen. Um- gekehrt steht es den dortigen Bürgern frei, sich mithilfe eines Auslandskranken- scheins (Berechtigungsschein E 111; ab 1. Juli 2004 Europäische Krankenver- sicherungskarte) in Deutschland behan- deln zu lassen.Tatsächlich wird die Mobi- lität von Patienten in Europa zunehmend thematisiert. So wird der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, David Byrne, nicht müde in Mitteilungen der Kommission zur Patientenmobilität*

darauf hinzuweisen, für wie wichtig er eine bessere Zusammenarbeit der Mit- gliedstaaten im Gesundheitswesen hält.

Doch die Regierungschefs der Mitglied- staaten und deren Gesundheitsminister üben sich bislang in Zurückhaltung, weil sie ihre nationale Hoheit gefährdet

sehen. Auch die Patienten zeigen sich weniger „mobil“, als viele Schlagzeilen es verheißen.

Bislang gebe es noch „wenig Bewe- gung“ in Richtung Osten, die Rechtsun- sicherheit unter den Versicherten sei

„einfach noch zu groß“, wissen die Sprecher der Allgemeinen Ortskranken- kassen, (AOK) Mecklenburg-Vorpom- mern (MV), Sachsen und Brandenburg.

„Es gibt zwar erste Anfragen beim Zahnersatz und bei den Kuren“, berich- tet Johannes Lack von

der AOK MV gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt, umgesetzt werde der Patienten- tourismus jedoch noch nicht, sagt Jörg Tri- nogga, AOK Bran- denburg. Lediglich bei Medikamenten zeich-

ne sich ein erster Trend ab: Diese würden vermehrt in Polen oder Tschechien ge- kauft, weil sie dort bis zu achtfach billiger sind als in Deutschland. Lohnenswert sei der Einkauf aber nur dann, wenn die Patienten in Grenznähe wohnten, weil die Fahrtkosten ansonsten den Kosten- vorteil aufheben würden. Genauere Informationen erhoffen sich die Bran- denburger in absehbarer Zeit von einer Erhebung der eingereichten Leistungs- berechtigungs- und Auslandskranken- scheine (E 111; E 112); die AOK Sachsen hat bereits eine Anfrage in ihren Ge- schäftsstellen begonnen.

Die Ergebnisse einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) zu der Inanspruchnahme von grenzüberschrei- tenden Gesundheitsleistungen aus dem Jahr 2003 (noch ohne die osteuropäi- schen Staaten) zeigen, dass sich zwar jeder fünfte Versicherte von 2000 bis 2003 im europäischen Ausland ärztlich behandeln ließ. Allerdings gaben weni-

ger als sieben Prozent an, die Behand- lung im Ausland geplant zu haben. Der so genannte Patiententourismus spiele also „bislang praktisch keine Rolle“, fasste die TK zusammen. Trotzdem zeigte sich die Kasse optimistisch: Ihrer Erwartung nach wird sich künftig die Nachfrage nach Arzneimitteln und planbaren Eingriffen wie Kuren und Zahnersatz erhöhen.

Dass der Patient durch eine Behand- lung bei einem osteuropäischen Arzt ei- nen preislichen Vor- teil hat – was meist angenommen wird – bezweifelt der AOK Bundesverband.

Vielleicht zu Recht.

Beispiel: Ein Zahn- ersatz aus Ungarn ist zwar preisgünstiger als hierzulande. Sind aber Nachbesserungen am Gebiss erforderlich, muss der Patient diese aufgrund der Gewährleistungsregeln erneut in Ungarn vornehmen lassen, wenn er nicht auf den Kosten sitzen bleiben will. Weil Zahnersatzleistungen nur nach vorheriger Genehmigung der deutschen Krankenkasse möglich sind, benötigt der Versicherte außerdem einen Kostenvoranschlag des unga- rischen Zahnarztes, sagt Dr. Rainer Kern, Sprecher der Kassenzahnärzt- lichen Bundesvereinigung. „Stellt der behandelnde Arzt keinen Kostenplan aus, besteht das Risiko, dass nur ein geringer Prozentsatz gezahlt wird.“

Außerdem seien Anfahrts- und eventu- elle Übernachtungskosten zu kalkulie- ren, merkt Kern an.

Beispiel Kuren: Wie beim Zahnersatz liegt hier nach Meinung des TK-Exper- ten für Europafragen, Günter Danner, zwar Potenzial. „Der günstige Preis wird sich aber aufgrund des Wettbewerbs

* KOM (2004) 301: Reaktion auf den Reflexionsprozess auf hoher Ebene über die Patientenmobilität und die Entwicklungn der gesundheitlichen Versorgung in der Europäischen Union;

KOM (2004) 304: Modernisierung des Gesundheits- schutzes: Unterstützung der einzelstaatlichen Strategien durch die offene Koordinierungsmethode

Patientenmobilität in Europa

Von Tourismus keine Spur

Die EU-Osterweiterung eröffnet GKV-Versicherten und Patienten aus den neuen Mitgliedstaaten vielfältige Behandlungs-

möglichkeiten. Genutzt werden diese jedoch kaum.

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unter den Ländern nicht lange halten lassen“, befürchtet Danner. Aus diesem Grund existieren zwischen der AOK Sachsen und polnischen oder tschechi- schen Krankenversicherungen noch keine Verträge. „Solche Verträge werden die Preise in Osteuropa in die Höhe treiben und letztlich dazu führen, dass die Osteuropäer sich ihre eigenen Gesundheitssysteme nicht mehr leisten können“, befürchtet Thomas Meinhold von der AOK Sachsen.

Etwas reger ist die Nachfrage osteu- ropäischer Patienten nach deutschen Gesundheitsdienstleistungen. „Die An- zahl von angeblichen Notfällen über den Auslandskrankenschein E 111 ist stark gestiegen“, sagt Danner. Besorgniserre- gend daran sei, dass die osteuropäischen Sozialversicherungen mit großer Wahr- scheinlichkeit bald nicht mehr in der Lage seien, die Behandlungskosten an die deutsche Krankenkasse zurückzuer- statten. Schließlich erfolge die Abrech- nung nach deutschen Konditionen, nicht nach denen der osteuropäischen Nach- barländer. Martina Merten

Krankenversicherung und

Gesundheitsleistungen im Ausland

>Leistungen ohne vorherige Genehmigung (Ko- stenerstattung), zum Beispiel bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen, Arzneimitteln und physiotherapeutischen Behandlungen; Erstattungs- beitrag richtet sich nach den in Deutschland gelten- den Konditionen (unter anderem Zuzahlungen);die entstandenen Kosten werden höchstens bis zu dem Beitrag erstattet, den die deutsche Krankenver- sicherung für die gleiche Leistung im Inland tragen würde; vom Erstattungsbeitrag wird zudem ein Ab- schlag abgezogen, um den höheren Verwaltungs- aufwand abdecken zu können

>Leistungen mit Leistungsberechtigungs- schein oder Auslandskrankenschein, zum Beispiel über den E 112 bei gezielten Behandlungen,hier gelten Rechtsvorschriften und Gewährleistungs- regeln des Aufenthaltslandes; oder über E 111 (ge- gebenenfalls Europäische Krankenversicherungs- karte) bei Notfallbehandlungen; Versicherter muss nicht in Vorleistungen treten;

>Leistungen mit vorheriger Genehmigung, zum Beispiel bei Krankenhausbehandlungen, Zahnersatz oder ambulanten Badekuren; beim Zahnersatz ist ein übersetzter Kostenvorschlag des ausländischen Arztes notwendig

>Weitere Informationen unter:

1. www.aok.de; Bundesland; Leistungen 2. www.dvka.de (Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland)

3. www.kzbv.de (Kassenzahnärztliche Bundes- vereinigung)

4. www.vzbv.de (Verbraucherzentrale Bundes-

verband) MM

Textkasten

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er Verband Forschender Arznei- mittelhersteller (VFA) macht sich Sorgen. „Im internationalen Ver- gleich der großen Pharmastandorte ist Deutschland mittlerweile Schlusslicht“, erklärte VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer Anfang dieses Jahres in Berlin. Während die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung hierzulan- de vermutlich sinken, rechnen drei Viertel der VFA-Unternehmen mit steigenden Investitionen im Ausland.

„Deutschland läuft immer mehr Gefahr, als Forschungsstandort den Anschluss zu verlieren“, warnte Yzer.

Den Standort USA bewerten die VFA- Mitglieder dagegen in einer internen Befragung mit der Bestnote 1,3.

Was tun? Das deutsche Arzneimittel- recht gilt als eines der strengsten der Welt. Eine Forderung der pharmazeuti- schen Industrie lautet, klinische Unter- suchungen weniger zu reglementieren.

Kosten und Zeit für die Entwicklung neuer Wirkstoffe sollen sinken. Für die Sicherheit der Patienten sehen die Hersteller dadurch keine Nachteile.

Schließlich finde die Forschung über- wiegend an universitären Einrichtun- gen statt – und diese seien nun einmal glaubwürdig und neutral.

Studienergebnisse können jedoch objektiv erhoben und dennoch umsatz- orientierten Zielen angepasst werden.

Kenner der Szene meinen, dass ein be- deutender Prozentsatz aller Daten, die zur Registrierung eines neuen Medika- ments bei den Behörden vorgelegt wer- den, schöngefärbt oder gefälscht sind.

Diese Einschätzung müsste Verbrau- cherschützer und Politiker aufhorchen lassen. Denn sie wurde kürzlich vom Vorsitzenden der Arzneimittelkom-

mission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), Prof. Dr. med. Bruno Müller- Oerlinghausen, referiert. Die Institution hat es sich seit ihrer Gründung 1911 zur Aufgabe gemacht, die Sicherheit und Effektivität von Medikamenten kritisch zu prüfen.

Auftragsforschung

„Nein, wir sitzen gewiss nicht in einem Boot“, stellt Müller-Oerlinghausen ge- genüber Vertretern großer Industrie- verbände klar, die gerne Gegensätz- liches behaupten. Er warnt vor einem schleichenden Glaubwürdigkeitsverlust der medizinischen Wissenschaft – Folge der ungebremsten Kommerzialisierung akademischer Ressourcen. „Unzweifel- haft ist, dass es offene, echte, kreative Zusammenarbeit gibt oder zumindest gegeben hat. Ich vermute aber, dass es sich doch um seltene Vorgänge han- delt; das Gros der industriegespon- serten biomedizinischen Forschung an den Universitäten dürfte Auftrags- forschung sein.“

Das Thema wurde in Deutschland lange Zeit vernachlässigt. Umso hefti- ger waren die Reaktionen nach kriti- schen Veröffentlichungen in Nachrich- tenmagazinen wie dem „Spiegel“. Nun fürchten vor allem die praktisch tätigen Ärzte um ihr wichtigstes Therapeuti- kum: das Vertrauen der Patienten. In den USA und in Großbritannien disku- tieren Spezialisten mögliche Risiken und Nebenwirkungen des Problems seit längerem. Als Auslöser der Debatte gilt der Fall Jesse Gelsinger. Der 18-Jährige stellte sich 1999 für eine klinische Stu- die an der Universität von Pennsylvania

Arzneimittelforschung

Geht es nur um die Wahrheit?

Die Verflechtung von pharmazeutischer Industrie und akade-

mischer Wissenschaft wird immer enger. Experten fürchten um

die Unabhängigkeit der biomedizinischen Forschung.

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