'1
Bertold Spuler (1911-1990)
Von Hansgerd Göckenjan, Gießen
Am 6. März 1990 verstarb in Hamburg Bertold Spuler. Mit ihm
verliert die deutsche Orientalistik einen ihrer herausragendsten und
vielseitigsten Vertreter, der durch immense Gelehrsamkeit und unge¬
wöhnliche Sprachbegabung ganze Generationen von Schülern in seinen
Bann zog. Mit Spulers Namen verbunden sind seine wiederholt auf¬
gelegten und in viele Sprachen übersetzten Standardwerke Die Mongo¬
len in Iran (1939, 3. AuHage 1968), Die Goldene Horde (1943, 2. Aullage
1963) und Iran in frühislamischer Zeit (1952). Großes Ansehen in der
wissenschaftlichen Welt erwarb sich der Verstorbene mit der Begrün¬
dung und Herausgabe des vielbändigen Handbuchs der Orientalistik, an
dem zahlreiche namhafte Gelehrte des In- und Auslandes mitwirkten.
In Karlsruhe als Sohn des Augenarztes Dr. med. Theodor Spuler
geboren und aufgewachsen verbrachte Bertold Spuler seine Stu¬
dienjahre an den Universitäten Heidelberg, München, Hamburg und
Breslau, wo er neben Klassischer Philologie die Fächer Geschichte, Sla¬
wistik und orientalische Sprachen belegte. Während seines Studiums
kam Spuler mit einer Vielzahl von angesehenen akademischen Lehrem
in Berührung. Zu ihnen gehörten die Altphilologen Bruno Snell und
Wilhelm Kroll ebenso wie der Slawist Erich Berne ker und die
Historiker Hans Uebersberger, Hermann Aubin und Richard
Salomon. Von den Orientalisten und Islamwissenschaftlem übten
besonders Gotthelf Bergsträsser, Carl Brockelmann und
Hans Heinrich Schaeder maßgeblichen Einfluß auf den wissen¬
schaftlichen Werdegang ihres Schülers aus.
Bertold Spuler begann seine Laufbahn mit historischen Arbeiten.
Früh war in ihm durch seine Mutter, die aus dem österreichisch-schlesi-
schen Grenzraum stammte, das Interesse für Geschichte und Sprachen
Osteuropas geweckt worden. Ihnen galten erste Studien wie seine Dis¬
sertation Die europäische Diplomatie in Konstantinopel bis zum Frieden
von Belgrad (1935) und ein Beitrag zu Fragen der mittelalterlichen
Grenzen im östlichen Europa. Einen weiteren Schwerpunkt seiner wis¬
senschaftlichen Tätigkeit bildete die Erforschung von Geschichte und
Gegenwart der Ostkirchen, die sich in einer über mehrere Jahrzehnte
1 ZDMG 142/1 i
I
2 Hansobrd Göckenjan
hinweg beharrlich fortgeführten Chronik der orientalischen Kirchen
niederschlug. Zu internationaler Anerkennung verhalfen ihm überdies
mehrere Standardwerke, die er zur Geschichte Mittelasiens und des
Iran veröffentlichte. Schon im Herbst 1938 hatte er sich in Göttingen
mit einer Abhandlung über die Mongolen habilitiert. Nur vier Jahre spä¬
ter folgte seine Monographie über die Goldene Horde. Studien zur isla¬
mischen Kunst- und Kulturgeschichte schlössen sich an. Spulebs Vor¬
liebe für chronologische Fragen verdanken wir neben einer Fülle höchst
anregender Detailuntersuchungen zur islamischen Zeitrechung seine
Bearbeitung der WfjSTENFELD-MAHLERschen Umrechungstahellen
(1961) und den für jeden Historiker unentbehrlichen Minister-Ploetz.
Alle diese Arbeiten legen Zeugnis ab von einer stupenden Quellenkennt¬
nis und weitgespannten Gelehrsamkeit.
Die Fachwelt hat Bertold Spuler die ihm gebührende Anerken¬
nung nicht versagt. Sie fand ihren Ausdruck in ehrenvollen Berufungen
an die Universitäten München (1943), Göttingen (1945) und Hamburg
(1948). In Hamburg übernahm er als Nachfolger von Rudolf Stroth¬
mann die Leitung des dortigen Seminars für Geschichbe und Kultur des
Vorderen Orients, das er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1980 zu
einer der bedeutendsten Forschungsstätten der deutschen Orientahstik
ausbaute. Bleibende Verdienste erwarb sich Spuler durch eine rege
Editionstätigkeit. Seit 1948 betreute er so u.a. die führende deutsche
Fachzeitschrift Der Islam. Auch im Ausland wurden ihm vielfältige
Ehrungen zuteil. Spuler las an der Sorbonne und am College de
France und war Ehrendoktor der Universitäten von Bern (1962) und
Bordeaux (1965). Mit ihm verliert nicht nur die deutsche Islamwissen¬
schaft einen ihrer namhaftesten Fachvertreter, den Kollegen und Schü¬
ler in dankbarer Erinnerung behalten werden.
Werner Eichhorn (1899-1991)
Von Klaus Flessel, Erlangen
Am 1. 2. 1991 starb mit 91 Jahren im Krankenhaus von Balingen
Prof. Dr. Werner Eichhorn. Er wurde in Mössingen beigesetzt, sei¬
nem Altersruhesitz, den er aufgrund seiner Nähe zur Universität Tübin¬
gen und zu dem von ihm dort begründeten Sinologischen Institut
gewählt hatte.
Werner Eichhorn wurde am 1. 7. 1899 als Sohn eines Herzoglich
Meiningischen Forstmeisters geboren. Nachdem er das Gymnasium in
Hildburghausen (Thüringen) besucht und 1917 das Abitur abgelegt
hatte, wurde er zum Militär eingezogen und nahm als Infanterist wäh¬
rend des 1. Weltkriegs an den Stellungskämpfen im Westen teil. Als
Ausdruck seelischer Not und der Ohmnacht gegenüber dem Schicksal,
das ihm schlimme Kriegserlebnisse brachte, kann man eine Reihe von
kürzeren Erzählungen und Gedichten ansehen, die er hauptsächlich in
Ruhepausen an der Front verfaßte. Diese Arbeiten waren nie für eine
Publikation vorgesehen, doch als man ihn im hohen Alter von 87 Jahren
schließlich dazu überreden konnte, einige Manuskripte einer größeren
Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde er dafür mit einem Preis
des Süddeutschen Rundfunks ausgezeichnet.
Gleich nach Beendigung des 1. Weltkriegs nahm Werner Eich¬
horn ein Studium in Heidelberg, später in Berlin und Göttingen auf,
das er ganz im Sinne des Humboldtschen Bildungsideals breit anlegte.
Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte, Soziologie und Volkswirt¬
schaft waren die Fächer, denen sein Interesse galt. Mehrmals mußte er
allerdings sein Studium unterbrechen, um seinen Lebensunterhalt zu
sichem; staatliche Hilfen wie Honnefer Modell oder BAFöG gab es
damals nicht. So absolvierte er auch eine Banklehre und konnte sich,
gestützt auf diese Qualifikation, mit entsprechenden gelegentlichen
Tätigkeiten wirtschaftlich über Wasser halten.
Trotz dieser Widrigkeiten gelang es ihm, im Jahre 1926 eine Disser¬
tation abzuschließen mit dem fächerübergreifenden Thema: Die Auffas¬
sung der Bewegung in der bildenden Kunst bei Lessing. Zweifelsohne
kamen ihm bei dieser Arbeit die vertieften Kenntnisse zugute, die er
sich flir seine Promotionsnebenfächer Kunstgeschichte und Psycholo-
1*