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Wie die Verfasser richtig erkannt haben, handelt es sich um den oberen Teil eines Lektionarblattes mit Perikopen aus dem Galater- und dem 1

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(1)

Anmerkungen zur Veröffentlichung eines syrischen Lektionarfragments

Von Hubert Kaufhold, München

Im Heft 2 des 144. Bandes dieser Zeitschrift wird auf S.446 er¬

freulicherweise ein Photo des kurzen syrischen Fragments nach¬

geliefert, dem sich Wassilius Klein und Jürgen Tubach im vor¬

hergehenden Heft gewidmet hatten'. Der Leser kann nun die

Ausgabe des Textes überprüfen.

Wie die Verfasser richtig erkannt haben, handelt es sich um

den oberen Teil eines Lektionarblattes mit Perikopen aus dem

Galater- und dem 1. Korintherbrief. Das war wegen der Nennung

des letzteren in der vorhandenen Rubrik (einer liturgischen An¬

weisung) und mit Hilfe einer Bibelkonkordanz nicht schwer her¬

auszufinden. Die Lesung des neutestamentlichen Textes bietet

dann natürlich keine Schwierigkeiten mehr. Zweieinhalb der ins¬

gesamt zwölf lesbaren Zeilen enthalten aber die Rubrik (verso

Zeile 1-3). Hier sind den Herausgebern gleich mehrere Fehler

unterlaufen:

a) Das erste Wort in Zeile 1 ist qeryäne oder eher (sing.) qeryä¬

nä (jedenfalls nicht: qräyätä) zu lesen. Die beiden letzten Buch¬

staben sind ein - wie überall stark nach links geneigtes - n und

ein Älaf ('). Die Verfasser haben sie anscheinend mit der auch

vorkommenden Ligatur für /' (die entfernt ähnlich ist, jedoch un¬

ter die Grundlinie reicht) verwechselt qeryänä ist außerdem der

ganz übliche Ausdruck für die liturgische „Lesung"^.

' Ein syrisch-christliches Fragment aus Dunhuang/China, in: ZDMG 144

(1994) 1-13.

^ Den gleichen Lesefehler haben die Verfasser beim gedruckten (!) und ein¬

wandfrei lesbaren Titel des 1889 in Urmia erschienenen Perikopenverzeichnisses begangen (S.3, Fußnote 2). Da das Büchlein schwer zugänglich ist, sei auch auf die Titelangabe bei C. Moss : Catalogue of Syriac Printed Books ... in the British

Museum, London 1962, 661, oder bei F.J.Coakley: The Archbishop of

Canterbury's Assyrian Mission Press, in: Journal of Semitic Studies 30, 1985, 45,

(2)

b) Das erste Wort der 3. Zeile („Korinther"), dessen Anfang

auf dem Photo nur sehr schwach zu ericennen ist, lautet qwmty'

(nicht: qrnty'); das w ist auch aus Platzgründen offensichtlich er¬

forderlich und entspricht der gängigen Schreibung^.

c) In der dritten Zeile ist keinesfalls w-'hy „und meine Brüder"

zu lesen (so die Abschrift der Herausgeber mit syrischen Buch¬

staben auf S. 2), sondern w 'hy (so - merkwürdigerweise abwei¬

chend - ihre darunterstehende Transliteration''). Die Herausge¬

ber haben übersehen, daß nicht nur vor, sondern auch hinter

dem Vf ein Punkt steht, was den Buchstaben klar als Zahl „6"

und nicht als Konjunktion „und" ausweist. Zusammen mit der

davorstehenden Abkürzung ba-s[hähä] kann nur „im 6. Ab¬

schnitt" gemeint sein. Damit sind die sonstigen Erwägungen der

Autoren auf S.9 gegenstandslos. Auch wenn die zitierte Stelle am

Anfang des 1. Korintherbriefes (Kap. 1, Vers 18 ff.) steht, ist die

Zählung als 6. Abschnitt nicht „unsinnig". Sie kann durchaus

richtig sein. Die zitierte Feststellung Juckels, wonach die Ab¬

schnitte bei den einzelnen Paulusbriefen jeweils neu gezählt wer¬

den, mag für die von ihm durchgesehenen Handschriften stim¬

men, doch gilt sie nicht überall. In der gängigen Ausgabe des sy¬

rischen Neuen Testaments der British and Foreign Bible Society

etwa läuft eine Zählung von 1 bis 55 durch alle Paulusbriefe (sie

geht wohl auf eine lectio continua im Jahreskreis zurück)^. Da¬

nach gehört unsere Stelle zum 11. Abschnitt. Wahrscheinlich war

in der Handschrift, auf die sich die Rubrik bezieht, der Römer¬

brief nicht - wie in der Druckausgabe - in zehn Abschnitte einge¬

teilt, sondern nur in fünf, so daß der Galaterbrief mit Abschnitt 6

begann. Vielleicht würde es sich lohnen, diesen Zählungen anhand

der Handschriften und Rubriken einmal näher nachzugehen.

verwiesen. Das letzte Wort dieses Titels lautet w-Ewangelyönä („Evangeliar") und nicht - wie die Verfasser schreiben - w-Ewangelyülä (was sollte das auch hei¬

ßen?). Sie haben hier also zum dritten Mal statt n' die Ligatur /' gelesen! AufS. 1 in Fußnote 1 muß es im syrisch zitierten Titel der Bibelausgabe 'allTqlä (statt

'ataqä) heißen. Befremdlich ist ferner die dreimalige Schreibung „Psittä" (S.ö, 10) statt „Psittä".

' S. Thesaurus Syriacus II 3565.

Wozu diese Transliteradon neben dem Abdruck in syrischer Schrift dienen soll, ist mir nicht klar. Sinnvoll wäre allenfalls eine (vokalisierte) Umschrift gewe¬

sen.

^ Ebenso z. B. in der Hs. Brit. Libr. Add. 14,448 (Wright, Catalogue I 41 f.).

Andere Handschriften zählen bis 54 (ebenda 78 a) oder 50 (ebenda 78b).

(3)

Veröffentlichungeines syrischen Lektionarfragments 51

Nicht recht haben die Autoren auch mit ihrer Ansicht, die auf

der Verso-Seite senkrecht am Rand stehenden Wörter d-sabbtä

rabbtä („Großer Samstag", Karsamstag) seien von anderer Hand

geschrieben als das Lektionar selbst (S. l,5f). Der Vergleich mit

genau den nämlichen Wörtern in Zeile 1 der Verso-Seite deutet

vielmehr auf denselben Schreiber: das nach links kippende,

winklige d, das davon abweichende, runde r, das nach rechts ge¬

neigte s und das oben links verdickte b sind identisch. Der ein¬

zige Unterschied besteht darin, daß die Ligatur /' bei rabbtä in

Zeile 1 fehlt; die Verwendung der Ligatur ist aber im Text nicht

obligatorisch.

Senkrechte Schreibung am Rand zur Hervorhebung ist außer¬

dem nicht „auffallend" (S.ö), sondern kommt in Handschriften

öfter vor (vgl. nur die Abbildung aus der Hs. Vat. Syr. 22 in

TissERANTs Specimina^ - ebenfalls ein ostsyrisches Lektionar, bei

dem das Fest in gleicher Weise am Rand vermerkt ist). Der Ver¬

weis auf die Überlegungen von Chwolson und Hatch, welche

die Schreibgewohnheit syrischer Kopisten betreffen, ist abwegig.

Die Wörter stehen senkrecht am Rand, weil sie waagerecht nicht

hingepaßt hätten, aber keineswegs deshalb, weil Schreiber viel¬

leicht die Gewohnheit hatten, nicht von rechts nach links, son¬

dern in vertikaler Richtung zu schreiben. Warum sollte sich das

denn auch allein bei der Randbemerkung ausgewirkt haben?

Zur Übersetzung der Episteltexte ist zu bemerken, daß die Ver¬

fasser teilweise gar nicht den syrischen Wortlaut des Fragments

übersetzt haben, sondern die beiden Stellen offensichtlich nach

dem griechischen Urtext oder einer Bibelübersetzung wiederge¬

ben. Statt „Und da die Heilige Schrift vorhersah, daß Gott die

Heiden rechtfertigen werde aufgrund des Glaubens, ..." (Zeile

1 f.) muß es heißen „Da Gott vorherwußte, daß die Heiden durch

den Glauben gerechtfertigt würden, ..."; im syrischen Text (der

PsTttä) fehlen nämlich die Wörter „die Schrift" (t) ygacpr)), statt¬

dessen ist Allähä „Gott" der Vorauswissende, und der folgende

Satz ist - anders als im Griechischen - passivisch konstruiert

Die Formulierung in Z. 5 „die aus dem Glauben" entspricht dem

Ol ex niaxEfäq des Urtexts, nicht aber dem schlichten „die Gläu¬

bigen" {mhaimne) des Syrers (in der Edition fehlen dort die Plu¬

ralpunkte, ebenso beim letzten Wort hakkime). Die Übersetzung

* E. Tisserant: Specimina codicum orienlalium, Bonn 1914, Nr34a.

(4)

ist aucli sonst anfechtbar: 'amme „Völker" geben die Verfasser

mit „Heiden", wenig später mit „Heidenvölker" wieder. Das an¬

schließende „indem es heißt" (Z.4) lautet im Syrischen: „wie die

Heilige Schrift gesagt hat" (im Griechischen erfolgt der Anschluß

des folgenden Zitats nur mit öti).

Der Inhalt des Fragments ist nicht aufregend. Die beiden Peri¬

kopen entsprechen den Lesungen, wie sie in der ostsyrischen

Kirche schon vor der Jahrtausendwende üblich waren (und noch

sind): Gal. 2,17 bis 3,14 und l.Kor. 1,18-31. Die Verfasser ha¬

ben also mit ihrer Feststellung, daß das Fragment „nicht aus

dem Rahmen" falle (S. 5), durchaus recht'. Damit ist das Wich¬

tigste gesagt.

Da sich in der ostsyrischen Kirche zwei verschiedene Leseord¬

nungen herausgebildet haben und in Handschriften überliefert

sind, nämlich die monastische des „Oberen Klosters" bei Mosul

und die der Patriarchal kirehe in Seleukeia-Ktesiphon (Köke)^,

hätten sie allerdings noch dazu Stellung nehmen müssen, welcher

der beiden das Fragment zuzurechnen ist. Diese Fragestellung

haben sie jedoch anscheinend gar nicht gesehen und darüber hin¬

aus eine Äußerung Anton Baumstarks mißverstanden. Falsch

ist. Baumstark habe ausgeführt, daß die Galaterperikope eine

„völlig singuläre" Erscheinung in der Ordnung des „Oberen Klo¬

sters" darstelle und daß die Lesung derselben (!) Perikope nach

' Wem sollen in diesem Zusammenhang die ohne Angaben näherer Fundstel¬

len aneinandergereihten Liturgiebibliographien in Fußnote 14 nützen? Die neu¬

este, gerade die Ostsyrer betreffende von P. Yousif (u. a.) : A Classified Bibliogra¬

phy on the East Syrian Liturgy, Rom 1990, fehlt übrigens. Unerfindlich ist auch, warum die Verfasser in Fußnote 1 englische Übersetzungen (!) des syrischen Bi¬

beltextes angeben, noch dazu, wenn sie ihnen nicht zugänglich waren.

* Vgl. A. RÜCKER : Das „ Obere Kloster" bei Mosul und seine Bedeutung für die Geschichte der ostsyrischen Liturgie, in: Oriens Chrisdanus 29 (1932) 180-187;

W. F. Macomber: The Chaldean Lectionary System of the Cathedral Church of Ko¬

khe, in: Orientaha Chrisdana Periodica 33 (1967) 483-516; P. Kannookadan : The East Syrian Lectionary. An Historico-LiturgicalStudy, Rom 1991. Die ältere Lese¬

ordnung der Hs. Brit. Libr. 14,528 (6. Jh.; vgl. F.C.Burkitt: The Early Syriac Lec¬

tionary System, London 1923, und A. Baumstark: Neuerschlossene Urkunden alt¬

christlicher Perikopenordnungen, in: Oriens Christianus 23, 1927, 1-22) kann hier außer Betracht bleiben, weil sie zu der Zeit, als das Fragment entstand, keine Rolle mehr spielte. Gleiches gilt für Leseordnungen der alle aus dem 5.-7. Jh.

stammenden Handschriften mit dem Volltext der Paulusbriefe (vgl. Burkitt 35 f;

Baumstark 17 ff), zumal sie kaum für die Ostsyrer in Anspruch genommen wer¬

den können.

(5)

Veröffentlichung eines syrischen Lektionarfragments 53

der Ordnung der Patriarchalkirche eine sekundäre Erweiterung

sei (so S. 5). Baumstark schreibt zwar, daß die Perikope nur bei

den Nestorianern vorkomme, sie also gegenüber den anderen

Kirchen singulär sei (eine allgemeine Feststellung, die für das

konkrete Fragment ohne Bedeutung ist), mit der „sekundären Er¬

weiterung" in der Ordnung der Patriarchalkirche meint er aber

etwas ganz anderes, nämlich den Umstand, daß die Lesung dort

mit der Perikope Gal. 6,11-18 fortgesetzt wird'. Letzteres ist tat¬

sächlich der Punkt, in dem sich die beiden Leseordnungen unter¬

scheiden, soweit das Fragment einschlägig ist. Ohne die Möglich¬

keit dieser zusätzlichen Perikope überhaupt in Betracht zu zie¬

hen'", gehen die Verfasser davon aus, daß das Lektionar nur die

Stelle Gal. 2,17 bis 3,14 enthielt, und errechnen damit eine Zei¬

lenzahl von 20 für die Seite (S.4). Sie haben im Ergebnis recht

(auch wenn ich auf etwa 22 Zeilen komme): falls noch die zusätz¬

liche Perikope Gal. 6,11-18 enthalten gewesen wäre, kämen so¬

viel Zeilen hinzu, daß das Blatt ein ganz ungewöhnliches Format

gehabt hätte. Das kann man wohl ausschließen.

Bei der Erörterung der Frage, wann die Perikopen verlesen

wurden (S. 3-6,9 f.), verweisen die Verfasser eigentlich nur auf

Sekundärliteratur, wonach die erste Lesung (Gal. 2,17 bis 3,14)

am Karfreitag (Maclean), im Nachtgottesdienst des Karfreitags

(Macomber; Ordnung der Patriarchalkirche) oder in der am Kar¬

freitag gehaltenen Vesper (ramsä) des Karsamstags (Vermeulen)

gehalten worden sei, die zweite (l.Kor. 1,18-31) in der Liturgie

des Karsamstags (Maclean).

Der vor der zweiten Lesung stehende Vermerk sabbtä rabbtä

(„Großer Samstag") findet sich in anderen Lektionaren der Pau-

lusbriefe ebenfalls". In Handschriften nach der Ordnung der Pa¬

triarchalkirche wird stattdessen manchmal der Ausdruck sabbtä

' Nichtevangelische syrische Perikopenordnungen des ersten Jahrtausends, Mün¬

ster 1921, 42, 72f.; Macomber a.a.O. 504 (Friday of Passion).

Das fällt um so mehr auf, als die Verfasser sonst sogar mehrfach Überlegun¬

gen schriftlich niederlegen, die man normalerweise kurz erwägen, aber dann still¬

schweigend verwerfen würde. So bezeichnen sie zwei ihrer Gedanken selbst als

„unsinnig" (S.6) oder als „nicht von Bedeutung" (S. 10). Gleiches gilt für die von

vornherein zu verneinende Frage, ob Melkiten oder Westsyrer die Urheber des

Fragments waren (S.9).

" Z.B. Brit. Libr Add. 14,688 (12./13.Jh.), Eoerton 681 (1206/7); Harvard Syr. 3 (1216); St.-Petersburg 22 (1243); Cambridge Add. 3291 (karsüni).

(6)

da-qyämtä „Samstag der Auferstehung" verwendet". Nach die¬

sen Textzeugen findet die voraufgehende Lesung, von der das

Fragment nur den mittleren Teil überliefert, am „Freitag des Lei¬

dens" ( 'rubbtä d-häsä) statt. Eine solche Rubrik können wir also

für die erste Perikope voraussetzen.

Diese Angaben sagen über die genaue Zeit der Lesung nichts.

Aber bereits der Blick in einige Handschriftenkataloge führt wei¬

ter". Für den Karfreitag ist die Sache allerdings schwieriger.

Natürlich wird am Karfreitag „keine Liturgie gehalten" (wenn

die Verfasser auf S.3 f. damit die Meßliturgie meinen), aber es

gibt ja auch andere Gottesdienste. Die Lektionare mit Perikopen

aus dem Alten Testament und den Paulusbriefen beschränken

sich - soweit ich sehe - auf die Angabe „Karfreitag". Viele Evan¬

geliare unterscheiden jedoch ein Nachtoffizium des Karfreitags

{lelyä da-'rubbtä d-häsä) mit den Perikopen Mt. 26,31-44, Lk.

22,43-45 (u.a.) von einem Gottesdienst des Karfreitags „am

Tag" (b-Tmätnä)^'^ oder „am Vorabend des Karsamstags" (maghai

sabbtä rabbmy^ (Mt. 27,1-2 u.a.; Lk. 22,63 bis 23,12 u.a.)'*.

Die Lesungen für die jeweiligen Gottesdienste sind in den Hand¬

schriften zum Teil unterschiedlich; vielleicht handelt es sich um

eine spätere (seit dem 13. Jh.?) Entwicklung in der Ordnung des

Oberen Klosters. Die gedruckten Perikopenverzeichnisse, die auf

Angaben in liturgischen Handschriften zurückgehen", trennen

St.-Petersburg 21 (7./8.Jh.; s. Kat. Pigulevskaja S.83, Nr. 56); Brit. Libr.

Add. 14,491 (9./10.Jh.; s. Kat Wright 1 S.180 Nn29 am Ende).

" Ich habe insbesondere die eingehenden Beschreibungen der syrischen und

arabischen Lektionare der British Library (von Rosen und Forshall bzw.

Wright), der Biblioteca Vaticana (von Assemani), in St.-Petersburg (von Pigu¬

levskaja bzw. Diettrich), Carabridge (von Wright) und Berlin (von Sachau) her¬

angezogen.

Carabridge Add. 1975 (1586); St.-Petersburg 18 (1600) und 20 (17. Jh.).

SL-Petersburg 19 /1678).

In der Hs. Brit Libr. Add. 7173 (1289) erscheint der Abschnitt aus dem Lu¬

kasevangelium (22,63-23,31) zusammen mit der Perikope Joh. 19,17-42 für den

„Karsamstag", womit aber wohl der Vorabend gemeint ist, weil die Lesung für das Nachtoffizium des Karfreitags (Mt. 26, 31-Schluß) voraufgeht und die übliche Lesung für den Karsamstag (s. unten) noch folgt. Die Hs. Brit. Libr. Add. 7174 (1498/9) kennt eine Lesung für das Nachtoffizium (Mt. 26, 31-Schluß) und eine

„andere Lesung am selben Karfreitag" (Mt. 27,1-61).

Grundlage dafür sind Angaben in Hudrä-Handschriften, die in dem 1889 in

Urmia gedruckten Perikopenverzeichnis (oben Fußnote 2) zusammengefaßt wur¬

den, vgl. A.J. Maclean: East Syrian Daily Offices, London 1894, S.XXX. Der

(7)

Veröffentlichung eines syrischen Lektionarfragments 55

ebenfalls zwischen dem Nachtoffizium des Karfreitags (Mt.

26,31-44 u.a.) und dem „Karfreitag" (neben alttestamentlichen

Lesungen: Gal. 2,17 bis 3,14; Lk. 22, 63 bis 23,13 usw.). Die Ga¬

laterperikope gehört demnach in den zweiten Gottesdienst des

Karfreitags, also - weil der Vorabend nach orientalischer Sitte

zum folgenden Tag gehört - schon zur Karsamstagsliturgie. Dies

ergibt sich auch aus dem von Thoma Darmo herausgegebenen

Ktäbä da-Qdäm wa-d-bätar wa-d-Hudrä wa-d-Kaskul wa-d-Gazzä

w-Qälä d-'udräne 'am Ktäbä d-mazmöre (3 Bände, Trichur 1960-

1962; Kurztitel: Hudrä; Nachdruck Trichur 1993). Es handelt

sich dabei um eine Zusammenstellung der liturgischen Texte aus

den im Titel genannten Werken. Sie repräsentiert sicherlich die

traditionelle Gebetsordnung. Danach gehört die Galaterperikope

zum „Nachtgottesdienst vor dem Großen Samstag" {d-maghai

sabbtä rabbtä). Ein ganz ähnliches Werk ist Paul Bedjans drei¬

bändiges Breviarium Chaldaicum (Paris 1887-1888; Nachdruck

Rom 1938: Breviarium iuxta Ritum Syrorum Orientalium id est

Chaldaeorum), in dem allerdings die Perikopen nicht angegeben

sind'«.

Nebenbei bemerkt: Wenn die Verfasser sich nicht nur mit Se¬

kundärliteratur befaßt, sondern einen Blick in syrische liturgi¬

sche Quellen geworfen hätten, hätte sich ihre Diskussion, was

sabbtä rabbtä bedeute, ebenso erübrigt wie die kuriose Feststel¬

lung (unter Hinweis auf ein Lexikon), die Verwendung dieses

Ausdrucks „für Karsamstag scheint selten zu sein, ist jedoch be¬

legt" (S.6)''.

Für die verschiedenen Gottesdienstzeiten des Karsamstags

und Ostersonntags sowie deren neutestamentliche Perikopen

1924 in Mosul gedruckte Rusmä d-qeryäne w-Surräyä wa-SlThä w-Zummärä w-

Ewangelyon und der zweite Teil {rusmä d-qeryäne) des etwa 1960 in Trichur von

Metropolit Thoma Darmo herausgegebenen Ktäbä d-Turgäme sind ähnliche Ver¬

zeichnisse. Auf den Drucken beruhen z. B. die Übersetzungen von Maclean

a.a.O. 264-281 oder von Mar Aprem: Nestorian Leetionary and Julian Calendar, Trichur 1982, 17-46.

Vgl. lJudrä 11 510; Bedjan II, Teil 1 S.375. Englische Teilübersetzung nach Bedjan: V. Pathikulangara, 'Osa'na'to Resurrection. The Holy Week Celebrations in the Syro-Malabar Church, Kottayam 1990 (unsere Texte: S. 166, 198).

Nicht nur die Überschrift sabbtä rabbtä, sondern auch der gleichlautende Vermerk am Rand der Verso-Seite meinen natürlich allein den Karsamstag, nicht die ganze (Kar-)„Woche"; die Verfasser lassen das auf S.5 offen.

(8)

läßt sich nach den herangezogenen Lektionaren (trotz unter¬

schiedlicher Angaben) folgende Reihenfolge aufstellen:

1. „Tag des Karsamstags" {imämä d-sabbtä rabbtä)^^,

„Abendoffizium des Samstags" {ramsä d-sabbtä)^^, „Kar¬

samstag, das heißt Abendoffizium des Ostersonntags"

{sabbtä d-hüyü ramsä [oder: d-Ttau ramsä; d-ramsä hü] d-

hadbsabbä da-qyämtä)^^ ; Abendoffizium {ramsä) des Oster-

sonntags^^, „Abendoffizium, das am Vorabend des Oster¬

sonntags ist" {ramsä d-maghai d-hadbsabbä da-qyämtä)^^

oder „Lesung des Vorabends des Sonntags, die im Gottes¬

dienst des Abends gelesen wird" {qeryänä d-maghai hadb-

sabbä d-metqere b-tesmestä d-ramsä)^^ (alle: l.Kor. 1,18-31

bzw. Mt. 21, 62-66),

2. Tauffeier (l.Kor. 10,1-13; offenbar ohne Evangelienle-

sung)2*,

3. „Mysterien" {raze; d.h. Meßliturgie) des Karsamstags^^,

„Mysterien des Abendoffiziums" {ramsä)^^, „Mysterien

nach dem Abendoffizium {bätar ramsä)""^^ bzw. „Mysterien

der Nacht"{lelyä)"^^ des Ostersonntags (l.Kor. 15,20-28;

ML 28,1-20),

4. Nachtoffizium {lelyä)^^ oder Morgenoffizium {saprä)^^ des

Ostersonntags (ohne Epistel''; Lk. 24,1-12) und

^° Cambridge Add. 1975.

^' SL-Petersburg 20.

" Vat. Syr 23 (12.Jh.); Vat. Arab. 29 (1342; G.Graf, in: Jahrbuch für Liturgie¬

wissenschaft 6, 1926, 241); BriL Libr 7175 (1574; Abbildung bei Hatch: An Al¬

bum of Dated Syriac Manuscripts, Boston 1946, Nr. CLXXXII); Cambridge Oo.

1.17 (16. Jh.). Ähnlich Brit. Libr. Add. 7174.

" BriL Libr Add. 7173; SL-Petersburg 18 und 19.

^* Vat Syr 22 (1301); Cambridge Oo. 1.17 (Epistel).

2' BriL Libr Add. 17,923 (11. Jh.).

^* SL-Petersburg 21 (als zweite Lesung: Gal. 3,27 bis 4,6) und 22 (1243); Brit.

Libr. Add. 17,923; Vat. Syr 22 und 23 (12. Jh.); VaL Arab. 29; Cambridge Add.

3291. Die meisten Evangeliare enthalten keine Lesung für die Tauffeier. Die Peri¬

kopenverzeichnisse vermerken allerdings Joh. 2, 23 bis 3, 8 und führen die Tauf¬

feier an erster Stelle an, vor dem „Großen Samstag". Für die Patriarchalordnung gibt Macomber a.a.O. 505 an: Joh. 3,1 bis 8,16.

" SL-Petersburg 18, 20, 21 und 22; Brit. Libr. 14, 688; Cambridge Add. 1975.

Cambridge Oo. 1.17 (Evangelium).

Vat. Syr 23; Brit. Libr. Add. 7173; St.-Petersburg 19. Ähnlich Brit. Libr.

Add. 7174.

3° Brit. Libr Add. 17,923; Vat. Syr 22; Vat. Arab. 29; Cambridge Oo. 1.17

(Epistel) und Add. 3291.

Cambridge Oo. 1.17 (Evangelium).

(9)

Veröffentlichung eines syrischen Lektionarfragments 57

5. „Mysterien" des Ostersonntags , „des Tages" {d-imamä

oder d-yaumä) des Ostersonntags^^ oder nur „Sonntag der

Auferstehung"^* (Römer 5,12-16; Hebr. 13,20-21; zum Teil

auch Joh. 20,1-18)".

Über die Einordnung der zweiten Perikope des Fragments

(l.Kor. 1,18-31) kann damit kein Zweifel bestehen. Auch wenn

die Rubriken einer Reihe von Handschriften, darunter des hier

behandelten Fragments, bloß die Angabe sabbtä rabbtä (manch¬

mal mit dem Zusatz d-häsä oder da-qyämtä) „Großer Samstag

(des Leidens bzw. der Auferstehung)" enthalten, kommt nur eine

Verlesung am Vorabend des Ostersonntags in Betracht. Nach

dem in Trichur erschienenen Hudrä ist die Perikope im „(Gottes¬

dienst) des Vorabends des Großen Sonntag der Auferstehung un¬

seres Herrn" {d-maghai hadbsabbä rabbä da-qyämteh d-Märan)

zu lesen^«. Die zweite Lesung gehört also, wie schon Baum¬

stark^' ausgeführt hat, „bereits dem Bereich der Osterfeier" an,

dem „ursprünglich nächtlichen österlichen Vigiliengottesdienst".

Der zweiten Lesung, deren Anfang erhalten ist, geht ein „Sur¬

räyä" (wörtlich: „Beginn") voraus, bestehend aus zwei Psalmver¬

sen, im Fragment angedeutet durch das Wort surräyä^ und die

beiden Anfangsworte des ersten Verses'". Daß der Surräyä un¬

mittelbar vor der Lesung aus den Paulusbriefen steht, ist nicht

„erklärungsbedürftig", wie die Verfasser meinen (S.7), sondern

Brit. Libr Add. 17,923, 7173 und 7174; Vat. Syr 22; Cambridge Add. 1975;

St.-Petersburg 18, 19 und 20.

Nur in den Hss. Vat. Syr. 22 und Cambridge Oo. 1.17 wird der Titusbrief angegeben. Die Lesung (2,11 bis 3, 8 [?]) gehört sonst zu Epiphanie.

'" BriL Libr. Add. 17,923, 7173 und 7174; VaL Arab. 29; St.-Petersburg 19.

'= Vat. Syr 22 und 23; Cambridge Oo. 1.17 und Add. 3291.

'* SL-Petersburg 18, 20, 21, 22; BriL Libr. Add. 14,688; Cambridge Add. 1975.

Diese Abfolge findet sich im wesentlichen auch in den Perikopenverzeich- nissen sowie im liudrä (ed. Trichur) 528-558 bzw. (ohne Angabe der Perikopen) in Bedjans Breviarium 11, I.Teil 390-415.

'* II 528. Die gleiche Rubrik findet sich bei Bedjan, Breviarium II, 1 S.390.

A.a.O. 45 f.

Daß das Wort auf der Abbildung kaum lesbar sei (so S.6), kann ich nicht finden. An der Lesung besteht überhaupt kein Zweifel. Zur Bestätigung hätte es eines Hinweises ausgerechnet auf „Lektionare zentralasiatischer [!] Nestorianer"

nicht bedurft. Gemeint ist im übrigen nur die Publikation von Sundermann (s.

Fußnote 43).

Die Verfasser haben zwar Fundstellen des syrischen Psaltertextes angege-

(10)

in der ostsyrisciien Liturgie die Regel. Icli selie auch nicht, daß

er „in mancher Liturgieausgabe" fehlt. Die Verfasser verweisen

dafür allein auf eine Übersetzung der Meßliturgie von Madey

und Vavanikunnel. Dort steht ebenfalls ein Surräyä vor der Apo¬

stellesung. Zunächst kommt die vielleicht mißverständliche Ru¬

brik „Nach den Lesungen sagt der Archidiakon: ..." (gemeint

sind die alttestamentlichen Perikopen). Dann heißt es: „Nun

wird die Shurraya gesungen." Die Verfasser scheinen übersehen

zu haben, daß die Lesung aus den Paulusbriefen erst danach

folgf'^.

Nicht deutlich genug haben die Verfasser den erwähnenswer¬

ten Umstand herausgestellt, daß der Surräyä überhaupt in das

Lektionar aufgenommen ist"*^. Für die meisten der oben genann¬

ten Lektionarhandschriften gilt das nämlich nicht, soweit man

das den Katalogen entnehmen kann'*''. Als Parallele verweisen

sie (S.8) nur auf ein gedrucktes chaldäisches Missale und das in

Turfan gefundene sogdische Lektionarfragment''^. Mit der syri¬

schen Hs. Berlin Or. fol. 1616 (Kat Sachau Nr. 32) läßt sich ein

weiteres Beispiel nennen, ein alttestamentliches Lektionar. Wie¬

weit andere der zahlreichen erhaltenen Lektionare - Macomber

hat über 50 Handschriften mit der Ordnung des Oberen Klosters

durchgesehen'*^ - die gleiche Anordnung haben, bleibt noch fest¬

zustellen. Daß der Bibeltext des sogdischen Lektionars auf dem

ben, aber den zweiten Vers nicht nach dem Syrischen übersetzt (S.7: „... Selig der Mann, der auf ihn vertraut"). Wörtlich müßte er lauten: „... Selig sind alle, die auf ihn vertrauen."

Die Verfasser zitieren offenbar einen (mir nicht zugänglichen) Auszug aus:

J. Madey - G. Vavanikunnel: Qurbana. Die Eucharistiefeier der Thomaschristen

Indiens, Paderborn-Changanacherry-Trivandrum 1968, wo die angegebene

Stelle auf S.38f. stehL Zweite, verbesserte Auflage: dies.: Qurbana. Die göttliche Liturgie der Thomas-Christen in ostsyrischer Überlieferung, Paderborn 1992, 9 f.

Man wüßte übrigens gern, was die Verfasser mit den auf S.9 pauschal genannten

„späteren liturgischen Büchern der Chaldäer" sonst noch meinen.

Vgl. schon Baumstark: Nichtevangelische syrische Perikopenordnungen 10;

W.Sundermann: Nachlese zu F. W. K. Müllers „Soghdischen Texten /". 3. Teil, in:

Altorientalische Forschungen 7, Berlin 1981, 171. Vgl. auch Baumstark, Neuer¬

schlossene Urkunden 10.

Vgl. auch Abbildung 34a bei Tisserant, Specimina, wonach in der Hs. Vat.

Syr 22 zumindest beim Fest der „Griechischen Lehrer" kein surräyä steht.

Sundermann, Nachlese 182. Vgl. auch Baumstark, Neuerschlossene Urkun¬

den 10.

The Chaldean Lectionary System 495. Fußnote 1. Eine große Zahl stammt aus dem 13. Jh. oder früher. Wie die Verfasser bei dieser Sachlage ihr FragmenL

(11)

Veröffentlichung eines syrischen Lektionarfragments 59

syrischen beruht, wird allgemein angenommen''^. Darüber hinaus

dürfte auch die Zusammenstellung von Surräyä und Perikope

darin auf eine syrische Vorlage zurückgehen.

Die Verfasser könnten außerdem mit der Annahme recht ha¬

ben, daß am Schluß der Lesungen jeweils - wie im sogdischen

Lektionar''« - der anschließende kurze Gesang (zummärä) ver¬

merkt war (S.4). Auch für die Verbindung von Perikopen und

Zummärä gibt es syrische Parallelen''^.

Eine Datierung und Lokalisierung des Fragments nach paläo¬

graphischen Gesichtspunkten dürfte mangels ausreichenden Ver¬

gleichsmaterials jedenfalls zur Zeit noch nicht möglich sein^".

Von daher und im Hinblick auf die völlig unbekannten Fundum¬

stände (vgl. S.l) erscheinen mir die weitreichenden Schlüsse,

welche die Verfasser ziehen, nicht fundiert. Sie stellen zu Recht

fest, daß syrische Texte aus China keine Besonderheit seien; aus

Dunhuang (Tunhwang; an der Seidenstraße) nahe der Nordwest¬

grenze Chinas seien bisher allerdings noch keine bekannt gewe¬

sen (S.ll). Die Verfasser erwägen dann, wie die Handschrift,

aus der das Fragment stammt, dorthin gekommen sein könnte:

von einem Durchreisenden zurückgelassen, als Nachlaß eines

Verstorbenen verblieben, als Übersetzungsvorlage dorthin ge¬

langt, „der Möglichkeiten gibt es viele" (S. 12). Sie erklären diese

vernünftigen Erwägungen aber sofort für „nicht sehr wahrschein-

das sie auf das 13./14.Jh. datieren, als „einen weiteren der nicht sehr zahlrei¬

chen!!] frühen Zeugen ... der Perikopenordnungen" bezeichnen können (S.5), ist unerfindlich.

Vgl. O.Hansen: Die christliche Literatur der Sogdier, in: Handbuch der

Orientalistik. 1. Abt., IV, 2, 1, S.93f; ders.: Über die verschiedenen Quellen der christlichen Literatur der Sogder, in: Acta Orientalia 30 (1966) 95-102.

Sundermann 182. Der Zummärä besteht dort aus Ps. 45, 1.8 b. 9 (s. Hudrä, ed. Trichur I 655; Bedjan, Breviarium I I.Teil 427). Der (richtig gelesene ?) Surrä¬

yä des darauf folgenden Palmsonntags (Ps. 7, 8) stimmt nicht mit den Angaben im Hudrä (II 452f ) oder bei Bedjan (II I.Teil 331) überein (= Ps. 96,12).

Vgl. die Hs. Brit. Libr. Add. 14,688, auf die schon A. Baumstark: Neue sogh- disch-nestorianische Bruchstücke, in: Oriens Christianus 12 (1915), 127, aufmerk¬

sam gemacht hat.

'° Die Verfasser ziehen den Gebrauch der Literatur r' für die Datierung heran.

Dagegen ist nichts zu sagen. Als ersten Beleg führen sie eine Handschrift aus dem Jahre 1259/60 an (S.12). Die Ligatur kommt aber schon in der 1243 geschriebe¬

nen Hs. St.-Petersburg 22 vor (s. die Abbildung auf S. 89 des Katalogs von Pigu¬

levskaja), worauf übrigens schon Chwolson in dem von den Verfassern zitierten Buch (S. 119, 121) mit Angabe des Datums hingewiesen hat.

(12)

lich", und zwar mit der durch nichts zu untermauernden Be¬

hauptung, „Reisende anderer Gemeinden mit syrischer Liturgie¬

sprache hätten sicher ein zurüclcgebliebenes bzw. herrenlos ge¬

wordenes Lelctionar in ihren Besitz genommen". Die Verfasser

kommen allein aufgrund des Fragments sogar zu dem Schluß,

die Ostsyrer in Dunhuang hätten sich nicht nur des Chinesischen

und Sogdischen bedient (S. 13), sondern „die größte [!] Wahr¬

scheinlichkeit (spreche) ... für die Existenz einer Gemeinde oder

eines Klosters mit syrischer Liturgiesprache in Dunhuang, wovon

man bisher noch nichts wußte" (S.12). Bedenkt man, daß wir

über die dortigen Christen sehr wenig wissen^' und daß Herkunft

und Schicksal des Fragments unbekannt sind, ja nicht einmal si¬

cher ist, ob es in Dunhuang für den Gottesdienst überhaupt ver¬

wendet wurde (es könnte ja auch - um nur eine weitere Möglich¬

keit zu nennen - als Material für den Einband einer anderen

Handschrift gedient haben), dann kann man den Mut der Verfas¬

ser nur bewundern, aus dem abgerissenen Fetzen Papier eine Ge¬

meinde oder ein Kloster mit sogar „durchgängig" syrischem Got¬

tesdienst erstehen zu lassen! Sie bleiben darüber hinaus die Ant¬

wort auf die Frage schuldig, warum in Turfan, wo ebenfalls syri¬

sche Handschriften gefunden wurden und man folgerichtig auch

von syrischer Liturgiesprache ausgehen müßte, syrisch-sogdische

liturgische Bilinguen vorhanden waren, die doch wohl gottes¬

dienstlichem Gebrauch in sogdischer Sprache dienten". Wer sagt

denn, daß in Dunhuang nicht auch nichtsyrische oder zweispra¬

chige Handschriften verwendet wurden? Daß bisher keine gefun¬

den wurden, bedeutet nicht viel.

^' Vgl. etwa J. Dauvillier: Histoire et institutions des Eglises orientales au Moyen Age, London 1983, Register s. v. Touen-Houang.

" (jberblick bei A. Baumstark: Die christlich-literarischen Turfan-Funde, in:

Oriens Christianus 11 (1913) 328-332. Vgl. auch Sundermann, Nachlese 169 f.

(13)

Der säfiMtische Traditionalist

Abü Sulaimän al-HattäbT und die Situation der

Vp/ • •

religiösen Wissenschaften im 10. Jahrhundert*

Von Sebastian Günther, Halle (Saale)

Auf dem 3. Orientalistenkongreß 1876 in St.Petersburg be¬

schäftigte sich A.F. Mehren in seinem Beitrag Expose de la refor¬

mation de l'islamisme mit der Problematik der Legitimation des

kaläm in der Zeit nach al-As'arT (st. 324/935-6)'. Er tat dies auf

der Grundlage von Nachrichten, die sich im K. Tabyin von Ibn

'Asäkir (st. 571/1176) finden. An die von Mehren behandelte

Thematik möchte der vorliegende Beitrag - wenn auch unter ei¬

nem anderen Vorzeichen - anknüpfen. Dies bedeutet zum einen,

daß uns die Situation der theologischen Wissenschaften in der

zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts nicht anhand von Aussagen

späterer Quellen, sondern auf der Grundlage der Äußerungen ei¬

nes Zeitzeugen beschäftigen soll; zum anderen, daß es sich hier¬

bei um einen Gelehrten handelt, der nicht als reformisüsch, son¬

dern als traditionalistisch orientiert gilt.

1. Mittelalterliche Theologie und al-As'ari

Mit der Publikation einer der wichtigsten as'aritischen Quellen

durch Th. Haarbrücker, der das K. al-Milal wa-'n-nihal von as-

SahrastänT (st. 584/1153) ins Deutsche übersetzte^, wurden Mitte

* Der Beitrag ist die erweiterte Fassung meines auf dem 17. Kongreß der Uni¬

on Europeenne des Arabisants et Islamisants (St.Petersburg, 19.08.-26.08.1994)

gehaltenen Vortrages. Die ursprüngliche, russische Fassung findet sich im

St. Petersburg Journal ofOriental Studies 6 (1995).

' Travaux de la 3" session du Congres International des Orientalistes, St. Peters¬

burg 1876. St. Petersburg, Leiden 1879. Bd. II, S. 167-332.

^ Theodor Haarbrücker: Abu-l-Fath Muhammad asch-Sehahrastäni's Religi¬

onsparteien und Philosophenschulen. Teile I und II in einem Band. Halle 1850-51.

- Hingewiesen sei auch auf die jüngere, von Stanislav Prozorov ins Russische

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