DIE DIACHRONISCHE UND DIACHORE WIEDERGABE DER SEMITISCHEN
KONSONANTEN „H" UND IN AUSSERSEMITISCHEN
SCHRIFTSYSTEMEN
von Vera Quittner, Köln
Die beiden ursemitischen Konsonanten ,JH" und „H" werden von der neueren
Semitistik (S. Moscati) als frikativ beschrieben; hiervon sei „H" pharyngal, ,,H"
hingegen velar. Als klassische Beispiele zieht man etwa die Wurzein ,JPTH" - öffnen gegen ,JPTH" - ritzen, eingravieren, und „HLB" - Milch gegenüber „HLB" - tieri¬
sches Fett, heran. Nur in Einzelfällen und selten wechseln solche sonst unterschied¬
liche Wurzeln einander ab, so ,)iBL" und „HBL", beides „Strick, Seil". Die beiden
semitischen Konsonanten wiederzugeben, fällt außersemitischen Schriftarten allge¬
mein offensichtlich nicht leicht; dies ersehen wir aus Schwankungen unter den sie
wiedergebenden fremden Konsonanten. Einen bemerkenswerten Versuch, die bei¬
den Konsonanten wiederzugeben, liefert uns die Keilschrift. Im klassischen Akka¬
disch (Altakkadisch, Altbabylonisch, Altassyrisch) werden die semitischen „H" und
„H" in der aus dem nur „H" kennenden Sumerisch abgeleiteten Silbenschrift für die damaligen Verhältnisse erstaunlich säuberlich auseinandergehalten: ,JH" wird zuerst als „'A - ", „'I - ", „'U -"(Alep h), später mit der Nullstufe, eventueU, d. i. dia¬
lektisch, begleitet von einem Etazismus des ganzen Wortes, wiedergegeben;für „H"
hingegen steht problemlos das sumerische „H" zur Verfügung. Das Jungbabyloni¬
sche dagegen, das die Lautverhältnisse einer stark aramaisierenden Umgangssprache wiederspiegelt, läßt diese bereits sehr stark durchsehmimern. Ein Beispiel aus dieser
Schriftstufe: die bekannten Krüge mit aramäischen Beschwömngen in KeUschrift
schreiben „H" für aramäiseh „H". Da ,JH" und „H" im Nordwestsemitischen, ein¬
schließlich Aramäisch, seit der Byblos-, eventuell auch der jungugaritisehen Stufe
aus einem dem Vf. unbekannten Gmnde miteinander in ,JH" zusammengefallen
sind, verwendet die KeUschrift ,JH" für westsemitiseh ,JH" (Amarna, ugaritisches
Akkadisch in Personennamen und ugaritischen Fremdwörtern, aramäische Beschwö-
mngen aus Mesopotamien). Dies zeigt uns, daß die KeUschrift der späteren Stufe
das westsemitische „H" als fremdes Element empfindet, während sie in üirer frühe¬
ren Entwicklungsphase die hier oben besehriebenen „einheimischen" Umschrift¬
regeln anwendet.
Das Ägyptische gibt noch in einer Frühzeit, als ün Westsemitischen ,JH" und
„H" noch nicht zusammengefaUen waren, ,JH" mit einem „H"-" und „H" mit einem „H-" hältigen Silbenzeichen wieder. Ein auf den ersten Blick widersprechen¬
des Beispiel hierzu ist das n. pr. geogr. „HLB"-Aleppo, denn das hieratische Gegen¬
stück hierzu, „HLB", gibt zunächst Rätsel auf. Doch erweist sich hierat. ,,HLB" als die Wiedergabe des akkad. „HALABA"; akkad. „H", gibt, wie erwähnt, auf dieser Entwicklungsstufe der Schrift und Sprache, westsem. ,JH[" wieder. Es ist also sozu¬
sagen eine Umschrift auf Umwegen.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
298 Vera Quittner
Nach der Zeit des Neuen Reiches in Ägypten, als zahlreiche westsemitische
Fremdwörter ins Ägyptische eindringen und uns Beispiele der oben erwähnten
Trennung von „H" und ,Jti" in der Umschrift dieser Fremdwörter liefern, treten
uns außersemitische Umscliriften des Semitischen erst im Griechischen, seit der
frühhellenistischen Zeit, entgegen: es sind Wiedergaben des Hebräisch-Aramäischen.
In der Septuaginta wird in Fremdwörtern und Eigennamen ursemitisch „H" in der
Regel (keilschriftiich fast immer) mit Chi, ursemit. „H" mit der Nullstufe
bzw. mit einem DoppelVokalismus, wobei als einer der beiden Vokale ein E-Laut
beliebt ist, wiedergegeben. „H" klingt damals im Griechischen gelegentiich auch als
Kappa statt Chi - wamm, ist nicht hnmer klar ersichtiich. Zuerst fmden wir diesen
Stand der Umschrift seit ca. 300 v. Chr. laut F. Wutz;nach ca. 230 v. Chr. erscheine
Chi nur selten. Daß in der frühhellenistischen Zeit, auf der Septuaginta-Stufe des
Hebräisch-Aramäischen, im Griechischen in der Umschrift noch „H" und ,JH"
unterschieden wurden, obwohl beide Konsonanten schon längst, namentiich auf der
Byblos- und evti. der jungugaritisehen Stufe, in der Schrift (in „H") zusammenge¬
fallen waren (siehe hier oben), erklärt sich nur so, daß diese beiden semitischen
Schriftstufen die Vulgär- und Umgangs-, nicht aber die stets antiquierende Kult¬
sprache widerspiegelten, und daß somit damals beim Vorlesen der hebräischen Bibel
in den Heiligtümern, also mündlich im Kult, man ursemit. ,JH" und „H" noch gut
auseinanderhielt. Mit dem 1. Jahrhundert v. Chr. gelangt nach F. Wutz das He¬
bräisch-Aramäische in der griechischen Wiedergabe des ,JH" und „H" auch im kul¬
tischen Vortrag fast völlig auf die Nullstufe, so daß beide auch in der griechischen
Umschrift zusammenfallen. Josephus Flavius übernimmt für biblische Personen¬
namen die Septuaginta-Umschrift; für außerbiblische Eigennamen kennt er in der
Umschrift keine Richtschnur und geht nach nur schwer durchschaubaren Gmnd¬
sätzen vor. Das Lateinische des HIERONYMUS bezeichnet ab und zu noch mit
„H", aber nicht systematisch; richtet sich bei ihm allgemein nach 3em Griechi¬
schen des ORIGENES in dessen 2. Kolumne der Hexapla.
Die lateinische Wiedergabe eines als Beispiel herauszugreifenden phönizisch-
punischen n. appellat. ,JHRä"-Scherbe erscheint als „CHIRS" sowohl als „ERS".
Obwohl es sich um ,JH" und nicht um „H" handelt, erscheint im gleichen kanaanäi¬
schen Dialekt, anders als bei HIERONYMUS, lat. ,H" auch für ,JH": ,MHON"
(Wurzel ,JHNN") - er erbarmt sich.
Recht interessant sind die Verhältnisse in den beiden spätantiken, aramäisch,
griechisch und lateinisch schreibenden arabischen Stammesdialekten. Bei beiden ist
,JH" fas| ausschließlich griechisch Nullshife, lateinisch selten ,JH": ,J[RHByL", palmyr, n. pr. m. - Jarhaboles, lat.; das „H" hingegen ist teils Nullstufe, teils Chi, lat. „CH". Dies hängt anscheinend vom Alter der Inschrift ab (die Nullstufe ist jün¬
ger): „HLjyP'", palmyr. - Nachfolger - Chaliphos, griech., doch scheint von der
gleichen Wurzel auch „Alaphos" auf; „HLDT" - pahnyr. und nabat., n.pr.f - die
Ewige: - ,Alde" und ,,Chalde", griech.: ,,HIR" - nabat. - n.pr.m. - der Beste - Chairos und Airos, griech.; ,,HMRT" - nabat. - n.pr.f. - „Chamrate", griech.;
hingegen fmden wu von der Wurzel „HBB", palmyr. - Abbaios, griech.: von
,JHNN" - Anneos, lat. /sie!/; hiervon düninut. „quta;^": Onainos; griech.; „HR§"-
stumm, - Arsa, lat. Zusammenfassend aus dem Sprachmaterial beider arabischer
Stämme - Vf. möchte, wie auch an anderen SteUen, den Leser nicht mit Statistiken
Die diachronische und diachore Wiedergabe der semitischen Konsonanten „Iri" und „H" 299
ermüden - ersieht man, daß arab. „H" Chi oder Null, ,JH" hingegen allgemein Null ist, obwohl vereirizelt Fähe wie (Wurzel „IIGG", qätU) (griech. zu „Chagos", nabat.) _ PUger, also ,JHAGG""" - möglich sind.'
Das Vulgärlateinische und Byzantinische übernahm das antike Erbe an semiti¬
schen Fremdwörtern, von denselben schöpfte die Seefahrer-Sprache Lingua Franca.
Es sei hier erlaubt, auch einige akkadische, offensichtlich semitische Wurzeln einzu¬
beziehen: aus lat. ^LEA", jüd.-aram. „HULIA" - Würfel (Nuhsmfe, ursem. „H");
aus byzant. „'APLE" - eine SeUart, semit. „HBL" - SeU, qatl (Nullshife), „ARMA¬
RE" - ein Netz einfassen, aus bibl.-aram. ,JHRM", jüd.-aram. „HERMA" - Netz (Nullstufe); franz. „CABLE" aus akkad. „IjlBL" - binden, anschirren: qatl („H"
wird hier zu ,K"> s. hier oben); byzant. „CHARTI" - Papier; aus jüd.-aram. „HRf"
_ einritzen (Kalbsleder als Schreibmaterial), eingravieren; davon arab. „HARITA"
_ beschriebenes Schreibmaterial, Leder oä.; „COCCA" — Fanggabel für Fischfang,
aus bibl.-hebr. ,JHyH" (dieses wieder wohl aus vorsemit. „HyiJ") - Haken zum
Fangen großer Fische; „GAITÖN" - Nachmittagswache, aus akkad. „HAIT""""
_ (qatl) - /dasselbe/; „GALLETTA" - Proviant - Zwieback, aus * bibl.-hebr.
^,HLH", dieses wiedemm aus Ägypt. „HL-T" - Kuchen; „SCIALUPPA" - Boot
(in Gestalt einer SchUdkröte); aus *semit. „SLHP^T" (arab., wohl ursemit.) -
SchUdkröte (NuUshife, - Wurzel „§HPi", ,^" ist Sproß-Liquida, mit Wegfall des
4. RadUcals ,J["); „SEQUARO" - Umdrehung, aus akkad. „SljlR", infinit. / das¬
selbe/. Die Phonetik innerhalb dieses Romanica-Gebietes ergibt, durch die Buntheit
in der Zusammensetzung der Lingua Franca bedingt, keine Regeln.
SYROARAM. ,q 1 y b n' UND SEINE GRIECHISCHE VORLAGE
ZU EINER VERKANNTEN STELLE IM GESCHICHTSWERK
DES JOHANNES VON EPHESUS
von Anton Schall, Heidelberg
Die nachfolgenden anspruchslosen Bemerkungen, die sich mit einem Wort im
syroaramäischen Geschichtswerk des Johannes von Ephesus befassen, möchte ich
mit einem Zitat aus Franz Rosenthals Aramaistischer Forschung von 1939 einlei¬
ten. Er schreibt dort S. 189:
,,Mit dem Erscheinen der zweiten Auflage von Nöldeke's Grammatik (d.i. Kurzgefaßte Syrische Grammatik Leipzig 1898) hätte hier nun die ausführliche Darstellung der seither geleisteten Arbeit und erzielten Ergebnisse einzusetzen. Doch gerade zu diesem Zeit¬
punkt ist die fruchtbarste Epoche der syrischen Studien abgeschlossen, und trotz der Fülle der zu lösenden Aufgaben ist ein starkes Nachlassen in der produktiven Tätigkeit und auch ein Einschrumpfen des Kreises der Orientalisten, bei denen die syrischen Stu¬
dien verständnisvolle Beachtung fanden, nicht zu verkennen. Besonders deutlich macht sich dies auf dem Gebiet dei grammatisch-lexikalischen Studien bemerkbar. Nicht jeder kleine Schnitzel von einzelnen Bemerkungen dazu, die ja bei der Größe und Bedeutung des Gegenstandes allzuwenig ins Gewicht fallen, darf hier gebucht werden, und selbst dergleichen Schnitzel sind nicht häufig anzutreffen."
Der sprachlichen Erforschung des Syroaramäischen soll der hier vorgelegte Schnitzel
dienen, zugleich einen insgesamt schwierigen Text dem Verständnis näher bringen.
Der um 507 nach Chr. geborene Johannes von Ephesus oder Asien, den Ignatius
Ortiz de Urbina in seiner Patrologia Syriaca (^1965 S. 166) den „ersten herausra¬
genden Geschichtsschreiber unter den Syrern" nennt, war monophysitischer Bi¬
schof in Konstantinopel. Seit 572 litt er Unsagbares unter dem rücksichtslosen Vor¬
gehen Kaiser Justins II. (565-578), wurde im Veriaufe dieser Verfolgung mehrfach
eingekerkert, verbannt und zu unstetem Hemmziehen gezwungen. Gegen 586 nach
Chr. gestorben, hat uns Johannes von Ephesus neben einem älteren Werk mit dem
Titel „Geschichte der morgeniändischen Seligen", einer Folge von 58 kulturge¬
schichtlich wertvollen Bildern aus dem mesopotamischen Asketenleben, eine Kir¬
chengeschichte in drei Teilen zu je sechs Büchem hinterlassen, die von Caesar bis
zum Jahre 585 reicht. Nur der dritte Teil dieses unter den ungünstigsten Verhältnis¬
sen mitten in der Verfolgungszeit entstandenen Werkes ist in direkter Überliefemng
im wesentlichen vollständig erhalten. Unter öfterem Zurückgreifen auf Früheres
behandelt er die Ereignisse der Jahre 571 (Altaner-Stuiber) bis 585.
William Cureton (1808-1864), seit 1850 Kanonikus von Westminster, der sich
um die Herausgabe von syrischen Texten aus den damals ins Britische Museum ge¬
kommenen Handschriften des Syrerklosters rni Wädi n-Natrün große Verdienste
erworben hat, veröffentlichte erstmals Oxford 1853 The Third Part of the Eccle¬
siastical History of John, Bishop of Ephesus. Im fünften Kapitel des dritten Buches
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen