JOHANNES DAMASCENUS UND DER BILDERSTURM DER MUSLIME
BEI DER EROBERUNG MEKKAS IM JAHRE 630 n.Chr.'
von Günter Lüling, Erlangen
Tor Andrae hat schon 1923 daraufhingewiesen*, daß aus zahlreichen Anspielun¬
gen in vorislamischen altarabischen Gedichten geschlossen werden muß, daß die vor¬
islamischen christlichen arabischen Dichter „den Gott der Kaaba als den christli¬
chen Gott betrachtet haben und daß sie folglich an dem dortigen Kultus als an ihn
gerichtet teilnehmen konnten". In der sich mehr und mehr von theologischen Fra¬
gestellungen entfernenden europäischen Islamwissenschaft blieb dieser Hinweis auf
einen christlichen Kult an der vorislamischen Kaaba unbeachtet.
Neuerdings hat sich nun - insbesondere auf Gmnd der von Martin Werner^ und
Hans-Joachim Schoeps" historisch-kritisch erarbeiteten dogmengeschichtlichen Er¬
kenntnisse — ein völlig neues Bild von der Entstehungsgeschichte des Islam ergeben,
zu dem die von Tor Andrae erinnerten Nachrichten über einen christlichen Kult an
der vorislamischen Kaaba stimmen'.
Das eigentliche Wirken des Propheten Muhammad ist nun erkennbar als die Ver¬
teidigung der monotheistisch-anikonischen Traditionen des Judenchristentums gegen das in Mekka etablierte, hellenistische, trinitarische Christentum durch eine Vereinigung dieser judenchristhchen Traditionen mit den nationalarabischen, aniko¬
nischen, pagansemitischen Traditionen, die mit gutem Recht als „Religion Abra¬
hams" deklariert werden*.
Der Koran erweist sich nun als ein in seinen ältesten Teilen aus judenchristlich- arabischer schriftlicher Tradition vorgegebener Text, der vom Propheten unter die-
1 Eine allgemeinere, weiter gefaßte Behandlung der in diesem Referat berührten Probleme liegt vor in: Günter Lüling, Der christliche Kult an der vorislamischen Kaaba als Problem der Islamwissenschaft und christlichen Theologie, Erlangen 1977.
2 Tor Andrae, Der Ursprung des Islams und das Christentum, Sonderabdruck aus: Kyrko- historisk Arsskrift 1923-1925; Uppsala und Stockhohn 1926, S. 39.
3 Martin Wemer, Die Entstehung des Christlichen Dogmas, problemgeschichtlich dargestellt, 2. Auflage, Bern-Tübingen o.J. (1. AuH. 1941).
4 Hans-Joachim Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen 1949;
derselbe. Das Judenchristentum, Bern und München 1964 (Dalp-Taschenbücher Bd. 376).
5 Siehe dazu Günter Lüling, Über den Ur-Qur'än. Ansätze zur Rekonstruktion vorislamischer christlicher Strophenlieder im Qur'än, Erlangen 1974; derselbe. Die einzigartige Perle des Suwaid b. Abi Kahil al-YaSkurl (Zweiter Teil). Über die eindeutige Christlichkeit dieses in der vorislamischen „Heidenzeit" hochgeiühmten Gedichtes (Abhandlungen zur Christhchen Altarabischen Literatur - 1), Erlangen 1973; und die in Anm.l hier angegebene Schrift.
6 Siehe hierzu G. Lüling, Über den Ur-Qur'än, S. 176-189 und 401-405 sowie G. Lüling, Christi. Kult an der Kaaba, passim.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 In Erlangen
Johannes Damascenus und der Bildersturm der Muslime 159
sen Aspekten der paganen semitischen Rehgion Abrahams neu interpretiert und
kommentiert wurde.
Die in der islamischen Geschichtsüberlieferung bis ins 5. Jahrhundert der Higra
überall an deutlichen Spuren nachweisbare Verdrängung des wahren BUdes von der
Entstehungsgeschichte des Islam erklärt sich nunmehr als eine Notwehrhandlimg
des nachmuhammedanischen Islam, der sich gezwungen sah, diese Entstehung des
Islam aus vorgegebener christlicher Tradition zu verschleiern, um so der hellenisti¬
schen Theologie des byzantinischen Reiches jeden Ansatzpunkt für eine dogmen¬
geschichtliche Kritik der theologischen Vorgeschichte des Islam als Kritik des Islam überhaupt zu nehmen.
Diese aus der kritischen Exegese des Koran und der islamischen Geschichtsquel¬
len gewonnene Gesamtsicht der Entstehungsgeschichte des Koran wird auch durch
die Islamdarstellung des Johannes Damascenus in seiner Häresiologie bestätigt, in
deren zweifelsfrei dem Islam gewidmeten Kapitel 101 es heüit':
„Sie verklagen uns als Götzenanbeter (i d o 1 o 1 a t r e s), weil wk das Kreuz anbeten, das sie verabscheuen."
Daß schon in vorislamischer Zeit die hellenistischen Christen Zentralarabiens
wegen ihrer Verehmng des Kruzifixes von ihren arabischen Zeitgenossen des Göt¬
zendienstes beschiüdigt wurden, zeigt der Vers des vorislamischen Dichters al-'A'5ä, der das Bild beschreibt, wie Hilfesuchende das Haus eines Freigiebigen Umschwei¬
fen*:
„Es umkreisen die Bittsteller seine Türen,
wie Christen den Umlauf machen ums Haus des Götzen."
Die frühislamischen Scholien zu diesem Vers vermelden: „das Haus des Götzen"
bedeutet „das Haus des Kmzifixes".
Dieser Vers des Dichters al-'A'sä mag sich sehr wohl auf die Kaaba in Mekka
beziehen. Denn im Zusammenhang der islamischen Überliefemng über die Erobe¬
rung Mekkas sind eine Fülle von Angaben darüber auf uns gekommen, daß mit
dieser muslimischen Erobemng ein muslimischer Büdersturm einherging. Dabei
beziehen sich diese Angaben, soweit sie Gegenstände genau bezeichnen, nur auf
christliche BUder oder Symbole, die im Inneren der Kaaba zerstört wurden'. Die
Echtheit dieser Nachrichten über die christlichen Bilder in der Kaaba wird ge¬
stützt durch die Tatsache, daß die arabischen Nachrichten über die Baugestalt der
Kaaba, ihre ursprüngliche Orientiemng und die Art ihrer Nutzung eindeutig zeigen,
daß die Kaaba längere Zeit vor der muslimischen Eroberung Mekkas aus dem ur¬
sprünglich paganen anikonischen. im Inneren kultisch nicht genutzten kubischen
7 J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, Paris 1855-1866, Series graeca, Bd. 94, Sp. 767/
768, paenultima f.
8 Siehe Charles Lyall (ed.), The Mufaddaliyät, Vol. I, Oxford 1921, S. 547, Z. 13_u. S. 882^Z.
3; siehe auch al-Hutaia, Diwän bi-Sarh Abi 1-Hasan as-Sukkari, ed. A. b. al-Amln as-Sangiti, Kairo 1323, S. 38 Z". lOff.
9 Eine Zusammenstellung dieser Textstellen über den Bildersturm an und in der Kaaba bei Rudi Paret, Die Entstehungszeit des islamischen Bilderverbots, Kunst des Orients, Bd. XI, S. 162 f.
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Symbol zu einer christlichen Kirche mit nach Jemsalem orientierter Apsis umge¬
baut worden war, welche bauliche Veränderung erst im Jahre 74 d.H. wieder
rückgängig gemacht wurde
So ergibt sich, daß das 102. Kapitel der Häresiologie des Johannes Damascenus — das bislang diffus auf (christenfeindliche!) Ikonoklasten bezogen wurde, das aber syntaktisch unzweifelhaft als eine Fortsetzung der Islambeschreibung des 101. Ka¬
pitels erscheint —, als eine Zusammenfassung der Beweggründe und Aktivitäten der bilderstürmenden Muslime richtig verstanden ist. Auch das 103. Kapitel der Häresio¬
logie, das bisher mit seiner so allgemeinen Beziehung auf ,Aposchistai und Doxa- rioi" nicht klar zugeordnet werden konnte, erweist sich so schließlich auf den Islam bezogen". Ob die durch die Kapiteleinteilung 101-103 erfolgte Abtrennung der Kapitel 102 und 103 von der Islambeschreibung in Kapitel 101 als eine Camouflage dieser seiner im Islamgebiet geschriebenen Islamkritik durch Johannes selbst dar¬
stellt oder dem Unverstand späterer Überlieferer zu verdanken ist, kann vorerst nicht und vielleicht nie mehr geklärt werden.
Diese Sicht der mekkanischen vorislamischen Geschichte hat offenbar auch der
Anonymus, der das „Religionsgespräch von Jerusalem (um 800 A.D.)" verfaßte, da er den christlichen Disputator gegen den islamischen Vorwurf der Kreuzesanbetung die vorislamischen QuraiS Mekkas zu seiner Entlastung ins Feld führen läßt'*.
Es erhellt aus diesen Umständen, daß das heutige dogmatische Bild von der Ent¬
stehungsgeschichte des Islam dadurch entstanden ist, daß die islamische Überliefe¬
mng nach dem Tode des Propheten von der doppelten Wahrheit — daß der Prophet
die hellenistischen Christen Mekkas als Hauptgegner wegen ihrer Trinitätslehre als
Polytheisten und wegen ihrer Bilderverehmng als Götzendiener bekämpfte die
Hälfte dieser Wahrheit verdrängte: daß es Christen waren, die als Polytheisten und
Götzenanbeter befehdet worden waren. Das Verdrängte wurde dann ersetzt durch
das phantasievolle Gemälde eines denkbar unwissenden und unzivilisierten paganen
Heidentums. Bekanntlich waren bislang alle Orthodoxien in diesem Geschäfte
Meister.
10 Siehe dazu das Kapitel „Das Gebäude der Kaaba als Zeuge für die Christhchkeit des vorisla¬
mischen Kultes an und in der Kaaba zu Mekka" in: G. Lüling, Der christliche Kult an der vorisl. Kaaba, S. 42-52.
11 Migne, a.a.O., Sp. 773/774 und 775/776.
12 Siehe dazu Karl Völlers, Das Religionsgespräch von Jerusalem (um 800 A.D.), Zeitschrift für Kirchengeschichte 29 (1908), S. 29-71 und 197-221, speziell S. 215f.; dazu Georg Graf, Geschichte der Christlichen Arabischen Literatur, 5 Bände, Vatikan 1944-1953, Bd.
2,S. 28-30.
DIE GEORGISCHEN LITURGIE-HANDSCHRIFTEN DES
9. UND 10. JAHRHUNDERTS UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE
ERFORSCHUNG DER BYZANTINISCHEN HYMNOGRAPHIE
von Helene Metreveli, Tiflis
Sowohl die aus anderen Sprachen übersetzte als auch die originale georgische
Hymnographie hat einen langen und komplexen Entwicklungsweg durchgemacht.
Die ältesten Denkmäler der georgischen Hymnographie sind uns in georgischen
Handschriften des 9. und 10. Jahrhunderts überliefert.
Die liturgischen Bücher, die im Lauf dieser Jahrhunderte ins Georgische über¬
setzt wurden, haben schon seit längerer Zeit die Aufmerksamkeit der georgischen Gelehrten und der Byzantinisten und Orientahsten im Ausland auf sich gezogen.
Eine erste wissenschafthche Darstellung der alten liturgischen Denlönäler fmdet
sich im Werk des Mitglieds der Akademie der Wissenschaften K. Kekelidze , JDie ge¬
orgischen Liturgiehandschriften in den Nationalbibliotheken" (1908).
Im Vorwort zu seinem Buch schreibt K. Kekelidze: „Die wissenschaftliche Welt
ist seit langem davon überzeugt, daß die Geschichte des Gottesdienstes der ortho¬
doxen Kirche nach ihren ältesten Quellen geschrieben werden sollte. Dies ist der
Grund, weswegen die Gelehrten des Westens aber auch unsere Landsleute die reli¬
giösen Denkmäler zum ersten Mal edieren oder verbesserte Neueditionen veranstal¬
ten. Will man wirkliche Früchte dieser Arbeit sehen, dann stellt man fest, daß be¬
stimmte Fragen der Liturgiewissenschaft, vor allem was die älteste Epoche der
christlichen Kirche (bis zum 9.—10. Jahrhundert) betrifft, nur schwierig gelöst
werden können, wenn man allein von den (byzantinischen) Originalhandschriften ausgeht. Die Gelehrten haben daher gehofft, in den Übersetzungen in verschiedene Sprachen, wie sie m verschiedenen Epochen angefertigt worden sind, das zu finden,
was die Originalfassung, soweit sie uns erhalten ist, nicht mehr bieten kann. So
wurden die liturgischen Denkmäler der verschiedenen christlichen Völker des
Orients, sowohl der Orthodoxen als auch der Monophysiten, der Syrer, der Araber,
der Kopten und der Armenier durchforscht. Leider waren diejenigen sehr wenig
zahlreich, die die Gelegenheit gehabt haben, die Reichtümer der sehr alten ortho¬
doxen georgischen Kirche benutzen zu können. Einer der Hauptgründe dafiir, daß
man diese alten georgischen Handschriften so wenig beachtete, lag in der Schwierig¬
keit, diese Denkmäler heranzuziehen, wenn man die einzige wenig systematische
Sammlung, die davon ediert worden ist, nicht einmal zur Hand hatte" (S. V). , J'ast alle alten liturgischen Denkmäler bis zum 10. Jahrhundert emschließlich sind außer¬
dem in den Bibliotheken des Athos, des Sinai und von Jerusalem konzentriert"
(S. V).
Trotz der oben genannten Schwierigkeiten bietet das Werk von K. Kekelidze die
erste wissenschaftliche Beschreibung der ersten georgischen liturgischen Handschrif-
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen