PO S T G R A D U AT E ME D I C I N E
Sekundäre Ursachen der Osteoporose bleiben oft unerkannt, weil eine ent- sprechende systematische Abklärung ausbleibt. Das liegt zum Teil daran, dass entsprechende Richtlinien nicht existieren – ein Mangel, der mit immer noch fehlender Evidenz labordiagnostischer Abklärungen zu erklären ist.
«Ärzte, die Patienten mit einer neu dia- gnostizierten Osteoporose behandeln, sind in einer unangenehmen Lage. Die Liste der Umstände, die zur Osteoporose beitragen oder mit ihr assoziiert sind, wächst ständig.» Mit diesen Worten mar- kiert die «Postgraduate Medicine»-Auto- rin Carolyn Crandall ein Problem, dass zu- mindest für die Experten zu bestehen scheint. Sie klagen darüber, dass bis heute nicht sicher evaluiert ist, welche Labor- untersuchungen bei Patienten mit einer Osteoporose notwendig sind. Dass solche in breitem Stil erforderlich sind, davon ist die Osteoporose-Expertin Crandall jeden- falls überzeugt. Denn die Knochendichte- messung allein, so schreibt sie, «ist ein suboptimaler Parameter, selbst bei Patien-
ten, die bereits eine Hüftfraktur erlitten haben». Dabei reiht sich die Expertin kei- neswegs in die Reihe derer ein, die die Osteoporose überhaupt nicht für eine Krankheit halten, sondern lediglich für einen Fraktur-Risikofaktor.
Osteoporose, mit vielen Krankheiten assoziiert
Die klinischen Epidemiologen und Statisti- ker haben ganze Arbeit geleistet, mit dem Ergebnis, dass die Osteoporose mit einer steigenden Zahl von Erkrankungen assozi- iert zu sein scheint und zudem bei Ein- nahme bestimmter Medikamente häufi- ger festgestellt wird (Tabelle). Ist es nun notwendig, angesichts solcher Befunde, die Diagnostik auszuweiten, etwa durch systematisches Laborscreening? Bislang lässt sich diese Frage kaum beantworten, es mangelt an guten Studien und entspre- chend lassen die Experten-Richtlinien weltweit eine klare Linie vermissen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Assoziation zwischen Osteoporose und häufigen Erkrankungen wie rheuma- toider Arthritis, COPD, Alkoholismus oder chronischen Lebererkrankungen ziemlich komplex scheint und bislang kaum hin- länglich verstanden wird.
Allein ein Blick auf verschiedene nord- amerikanische Gesellschaften zeigt, wie unterschiedlich Wert und Nutzen der La- bordiagnostik eingeschätzt werden. So empfiehlt die amerikanische National Osteoporosis Foundation den begrenzten Laboreinsatz in ausgewählten Fällen. Ge- messen werden sollen bei Verdacht im Se- rum TSH, Parathormon und Vitamin D so- wie die Kalziumausscheidung im Urin;
hinzu kommt die Proteinelektrophorese.
Die North American Menopause Society empfiehlt hingegen routinemässig die Be-
stimmung des Blutbildes, der Serumspie- gel von Kalzium, AP, TSH und Albumin sowie der Kalziumausscheidung. In aus- gewählten Fällen soll nach Meinung der Gesellschaft auch die Proteinelektrophorese durchgeführt sowie Parathormon oder 25-Hydroxy-Vitamin D bestimmt werden.
Das Canadian Panel of the International Society for Clinical Densitometry und die US Preventive Services of Task Force emp- fehlen derzeit keine Laboruntersuchun- gen, ebenso wenig das National Institutes of Health Consensus Development Panel on Osteoporosis Prevention, Diagnosis and Therapy. Deren Begründung ist knapp und einfach: Es gibt keine verlässlichen Daten zur Prävalenz sekundärer Ursachen, und eine überprüfte Evaluationsstrategie
Laboruntersuchungen bei Osteoporose
Laborwerte sollen sekundäre Ursachen aufdecken, doch eine evaluierte Strategie gibt es nicht
A R S M E D I C I 8●2 0 0 4 3 7 9
Ü B E R S I C H T ● A P E R Ç U
M M M
M e e e e r r r r k k k k -- --
s ä t z e s ä t z e
●Die Prävalenz sekundärer Ursa- chen einer Osteoporose ist nicht zuverlässig bekannt.
●Schätzungen zufolge sollen ver- schiedene Erkrankungen oder bestimmte Medikamente für bis zu 50 Prozent der Osteo- porosefälle mitverantwortlich sein.
●Der Nutzen eines systematischen Laborscreenings ist bislang nicht evaluiert.
●Hierzulande werden bei konkre- tem Verdacht bzw. bei Osteo- porose-Risikopatienten verschie- dene Basis-Laboruntersuchungen empfohlen.
existiert ebenso wenig. Andererseits geht man bei dieser Vereinigung davon aus, dass sekundäre Osteoporoseursachen bei Männern sowie bei Frauen in der Perime- nopause häufiger vorkommen als etwa bei Frauen in der Postmenopause. Sekun- däre Ursachen sollen den Schätzungen zufolge bei Männern für 30 bis 60 Prozent der Osteoporosefälle verantwortlich sein, vor allem Hypogonadismus, Steroidein- nahme und Alkoholismus. Bei mindestens jeder zweiten Frau in der Perimenopause sollen sekundäre Ursachen eine Rolle spielen, unter anderem Steroideinnahme, Schilddrüsenüberfunktion oder Einnahme von Antikonvulsiva.
Studie: sekundäre Ursachen werden oft gefunden
Rechtfertigen diese Schätzungen aber ein Routinescreening bei neu entdeckten Osteoporosepatienten? Derzeit gibt es nach Auskunft von Crandall nur zwei Stu- dien, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Die ihrer Meinung nach brauch- barsten Erkenntnisse liefert dabei eine Untersuchung einer Arbeitsgruppe um C. Tannenbaum aus dem Jahr 2002. Die Forscher zogen 664 Frauen aus einer Osteoporose-Spezialklinik zu Studienzwe- cken heran. Die über 45-jährigen Frauen wiesen eine mittels DEXA diagnostizierte Osteoporose auf. All jene, die anamnes- tisch Erkrankungen aufwiesen oder Medi- kamente einnahmen, die Einfluss auf den Knochenstoffwechsel nehmen konnten, wurden ausgeschlossen, übrig blieben da- nach noch 309 Frauen. Bei ihnen schaute man, welche der folgenden Laborunter- suchungen bei ihnen in den letzten 9 Mo- naten durchgeführt worden waren:
●Blutbild
●Laborchemie: Bestimmung u.a. von Kalzium, Phosphat, AP, Bilirubin, Kreatinin, Albumin und Globulin
●Kalzimausscheidung im 24-Stunden- Urin, Urinvolumen und Kreatinin- Clearance
●25-Hydroxy-Vitamin D im Serum
●Parathormon im Serum
Bei genauer Analyse der Laborresultate trat bei den Teilnehmerinnen eine Vielzahl
abnormaler Werte zutage. Je mehr Unter- suchungen bei den Frauen durchgeführt wurden, desto mehr neue Diagnosen wurden gestellt, etwa Hyperkalziurie, Mal- absorption, Hyperparathyreoidismus, Vit- amin-D-Mangel, M. Cushing oder hypo- kalziurische Hyperkalzämie. Bei insgesamt einem Drittel wurde eine neue Erkran- kung festgestellt. «Sekundäre Ursachen wurden bei 32 Prozent der Patienten gefunden, die ohne die Laboruntersu- chungen unerkannt geblieben wären», schreibt die Autorin.
Nach der Studie liefert die Bestimmung folgender Laborparameter die höchste Kosteneffektivität: 24-Stunden-Kalzium- ausscheidung, Serumkalzium, Serum- Parathormon bei allen Patientinnen und Serum-TSH bei mit Schilddrüsenhormo- nen Behandelten.
Es stellt sich die Frage, wie man hierzu- lande das Problem sieht. Die Empfehlun- gen des Dachverbandes der deutschspra- chigen wissenschaftlichen Gesellschaften für Osteologie sind unter www.dv-osteo- logie.org nachzulesen. Bei anamnestisch ermittelten Hochrisikopatienten oder bei Verdacht auf eine sekundäre Osteoporo- seursache sollten folgende Labordaten ermittelt werden: BSG/CRP, Blutbild; im Serum: Kalzium, Phosphat, AP, GGT, Krea-
tinin, basales TSH und Eiweiss-Immun- elektrophorese. Eine primäre Osteoporose führt nicht zur Veränderung dieser Labor- parameter. BSG/CRP, Blutbild und Elektro- phorese dienen der Erfassung entzünd- licher, maligner und hämatologischer Prozesse (z.B. Plasmozytom). Bei erhöhter AP ohne Veränderung der GGT besteht Verdacht auf Osteomalazie, ein erhöhtes Serum-Kalzium kann endokriner Ursache (primärer Hyperparathyreoidismus) sein oder auf eine Tumorhyperkalzämie hin- weisen. Veränderungen von GGT, Krea- tinin und Phosphat deuten auf eine hepa- tische oder renale Osteopathie. Niedriges basales TSH kann eine subklinische Hyper- thyreose anzeigen, ein bekannter Risiko- faktor bei postmeopausalen Frauen. Bei Auffälligkeiten im Labor sollte weiter ab- geklärt werden, gegebenenfalls durch
einen Spezialisten. ●
Carolyn Crandall: Laboratory workup for osteoporosis. Which tests are more cost- effective? Postgraduate Medicine 2003;
114: 35–45.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
Laboruntersuchungen bei Osteoporose
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Ü B E R S I C H T ● A P E R Ç U
Ta b e l l e :
B e g l e i t e r k r a n k u n g e n o d e r M e d i k a m e n t e , d i e m i t O s t e o p o r o s e a s s o z i i e r t s e i n k ö n n e n ( B e i s p i e l e )
Endokrinologisch Hypogonadismus Thyreotoxikose Anorexia nervosa Hyperprolaktinämie Porphyrie
Typ-1-Diabetes Schwangerschaft Hyperparathyreoidismus Akromegalie
Ernährung
Malabsorptionssyndrom/Malnutrition Chronische Lebererkrankung Magenoperation
Vitamin-D-Defizit Alkoholismus
Medikamente
Vitamin-D-Überdosierung Phenytoin
Glukokortikoide Phenobarbiturat
Schilddrüsenhormone (Überdosis) Hepain
GRH-Antagonisten
Sonstige
Rheumatoide Arthritis Myelom
Bestimmte Tumore Immobilisation Hyperkalziurie COPD
Cholestatische Lebererkrankung