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Wilhelm von Pochhammer (1892-1982)
Von Friedrich Wilhelm, München
Als Sohn des Premier-Leutnants im Gardefüsilier-Regiment Erich
von Pochhammer wurde Wilhelm von Pochhammer am 27. Januar
1892 in Berlin geboren. Das war an Kaisers Geburtstag, und Wilhelm
II. wurde sein Pate. Die Mutter Johanna war Tochter des Verlegers Dr.
Theodor Toeche-Mittler, in dessen Berliner Verlag E. S. Mittler und
Sohn Moltkes Werke erschienen waren. Ein Urahn väterlicherseits
focht als General in den napoleonischen Kriegen. Der Vater fiel als
General 1914 in den Argonnen, und Wilhelm von Pochhammer sah den
Kaiser ein letztes Mal, als dieser ihm zum Tode seines Vaters kondo¬
lierte. So preußisch war seine Herkunft, aber sie verstellte ihm nicht
den Blick auf die Schwächen der Hohenzollern. „. . . viel von dem, was
Sie erwähnen, hat schon mein Vater bemängelt, der den Kaiser einiger¬
maßen kannte. Auf den Kronprinz hat niemand gesetzt — wohl aber
hätte man einen Rücktritt zugunsten des älteren Enkels in der Tat gern
gesehen." (Brief vom 5. 2. 77).
Nach dem Schulbesuch in Berlin und Stettin (Abitur 1910) studierte
Pochhammer Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg,
Marburg, München und schließlich in Bonn, wo die enge Freundschaft
mit Helmuth von Glasenapp begann. Im ersten Weltkrieg vmrde
Pochhammer verwundet und war zuletzt Ordonnanzoffizier beim
Generalkommando bis Januar 1919. März 1919 wurde er in den
Auswärtigen Dienst bemfen und nahm 1920-22 an den Tagungen der
Internationalen Stromkommissionen teil. Als persönlicher Attache von
Graf Brockdorff-Rantzau ging er 1922 nach Moskau, wo eine kurze
Begegnung mit Lenin ihn sehr beeindmckt hat, und darauf zur Diplo¬
matischen Vertretung bei der Sowjet-Ukraine in Charkow.
Im Frühjahr 1924 ging Pochhammer als Konsul zum Generalkon¬
sulat Kalkutta, 1926 an die Botschaft in Tokio und 1928-34 als Konsul
nach Colombo (für Ceylon und Südindien). „So erhielt mein Kopf Sinn
für asiatische Geschichte" (Brief vom 27. 3. 82), aber auch fiir indische
Religiosität und die Wiedergeburtslehre. Eine frühere Existenz in
Indien hielt er wahrhaft fiir möglich. Diese Jahre wurden zu den
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prägendsten seines Lebens. In Sonettform versuchte er die Vielfalt der
Eindrücke zu bannen. Sein Aufenthalt brachte ihm Begegnungen mit
Maharadschas wie dem von Jaipur, aber auch mit den Großen des
indischen Geisteslebens (Tagore) und der indischen Politik (Gandhi).
Die noch nicht zehnjährige Indira Gandhi lernte er 1925 an der Hand
ihres Großvaters Motilal in Kalkutta kennen. 1931 waren Jawaharlal
und Kamala Nehm seine Dinnergäste in Nuwara Eliya. In einem
Bericht an das Auswärtige Amt schrieb er, daß er sich gut vorstellen
könne, wie dieser Politiker der kommende Mann Indiens werden würde.
„Hindenburg vermerkte 'aufpassen!'" (Brief vom 27. 3. 82) — was in der
Innenpolitik Hindenburg leider versäumt hat. „Ich war freundlich zu
den Indern und fair zu den Engländern," sagte mir Pochhammer
einmal über seine indischen Jahre. Er war auch hilfreich zu
Emigranten, wie ich von Professor Heinz Mode weiß, dem er als
jungen Studenten die Wege zu Tagore nach Shantiniketan geebnet hat.
In den Jahren 1934-38 arbeitete Pochhammer als Geschäftsträger
in Bukarest. „Ein Versuch der NSDAP in Bukarest, mich aus dem
Dienst zu entfernen durch eine Art von Gerichtsverfahren, wurde abge¬
wendet durch den Einwand von Canaris, der auf mich nicht verzichten
wollte. Daher kam ich plötzlich nach Chile und Argentinien." (Brief vom
20. 6. 81). Nach Abbmch der diplomatischen Beziehungen wurde er auf
der Rückreise 1944/45 in Portugal festgehalten und geriet schließlich
in britische Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung wurde er im Juli
1947 mit der Errichtung des heutigen Bundesamtes für Auswandemng
beauftragt. Seit 1953 gehörte er wieder zum Auswärtigen Amt, und
im selben Jahr wurde er zum Generalkonsul in Bombay emannt. „Das
Amt hatte mich als ersten Botschafter vorgeschlagen, aber erwähnt,
daß ich ja ein langjähriger Freund Nehms sei. Da aber der damalige
Bundeskanzler Nehm nicht leiden konnte (auf Gegenseitigkeit), lehnte
er das ab" (Brief vom 27. 3. 82). In Indien erneuerte er die freund¬
schaftlichen Beziehungen zu Nehm und anderen führenden Indern.
1956 traf er in Bombay mit Chou En-lai zusammen, den er auf seine Art
für ebenso bedeutend hielt wie Lenin oder Gandhi. 1957 trat Poch¬
hammer in den Ruhestand, am 27. 1. 57 verabschiedete er sich von
Nehm. Seine erste Frau Henny geb. Koehne (1896-1957), die seit 1926
Gefährtin seiner Lebensreise gewesen war, starb kurz vor der Rückfahrt
in Bombay. Sie ist die Mutter seiner beiden Töchter Tita und Ingeborg.
Am 28. 12. 1957 heiratete er Maria geb. Fritze. Das Haus ihres Onkels
Ichon in Bremen, Oberneulander Landstr. 70 und ab 1977 das auf
diesem Gmndstück erbaute Altersheim „Ichon-Park" wurden zum
Domizil seiner Ruhestandsjahre. Jetzt hatte er die Muße, sich seinem
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eigentlichen Interessengebiet, der indischen Geschichte, zu vndmen.
Aber er wirkte auch als Vorsitzender und dann als Ehrenvorsitzender des Kulturbeirats der Deutsch-Indischen Gesellschaft e. V. in Stuttgart.
Er gründete die Deutsch-Indische Gesellschaft e.V. in Bremen und
spielte eine führende Rolle im Ostasiatischen Verein e.V. in Bremen.
Indien besuchte er nochmals auf Vortragsreisen 1959 und 1960.
Das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik
Deutschland wurde ihm 1962 verliehen.
1962 ersehien als Band XIV der Schriften des Instituts für Asien¬
kunde in Hamburg sein Buch Die Auseinandersetzung um Tibets Grenzen,
dessen Thematik noch aktueller geworden ist, seitdem auch im Westen
Tibets Ansprüche auf Selbständigkeit lür unberechtigt oder schlimmer
noch für nicht opportun gehalten werden. „Übrigens habe ich immer
Mühe, auch Deutschen glaubhaft zu machen, daß Tibet von 1911 an ein
selbständiger Staat gewesen ist durch Kündigung des Protektorats,
das nüt dem Kaiser von China geschlossen war (Nur mit ihm). Das
sollte die Wissenschaft stärker betonen" (Brief vom 30. 1. 78).
PocHHAMMEB crwies sich auch in ökonomischen Fragen Indiens als
kompetent. 1964 erschien in der Schriftenreihe Internationale Wirt¬
schaft Mainz als Band 4 sein Buch Indiens Wirtschaft heute mit einem
Vorwort von Botschafter P. H. Menon.
In Indo Asia (1966, Heft 4), deren Mitherausgeber er war, gelang ihm
mit treffendem Sarkasmus ein Psychogramm des Muslimführers
Jinnah, der „im gleichen Jahr und im gleichen Sternbild wie Adenauer"
geboren wurde, wie Pochhammer, der einen Sirm für Astrologie besaß
und gern mit indischen Astrologen disputiert hatte, eingangs bemerkt.
Über Jinnah heißt es dann u.a.: „. . . er ahmte in seiner hochentwik-
kelten forensischen Rhetorik Burke nach (wie viele Engländer es tun)
und kopierte, wie eine kluge englische Dame gesagt bat, in seinem
Äußeren den damaligen Modeschauspieler Dumaurier; er ließ das
Monokel, das er wohl als einziger Inder getragen hat, und das optisch
nicht erforderlich war, zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Gesten
werden, um seine stolze Zurückhaltung, die rücht selten an Arroganz
grenzte, wirksam darzustellen."
Seine langjährigen Studien zur indischen Geschichte fanden 1973
ihren Niederschlag in dem Neunhundertseitenwerk Indiens Weg zur
Nation — Die politische Geschichte eines Subkontinents. In 68 Kapiteln
zeichnet der Verfasser die wechselvolle, von vielen Invasionen über¬
schattete Geschichte Indiens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. nach,
wobei er den außenpolitischen Verflechtungen von Anfang an größte
Aufmerksamkeit widmet: die Beziehung der Induskultur zu Mesopota-
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mien, das Verhältnis Indiens zum Römischen Reich, die indische
Expansion nach Südostasien werden ebenso eindringlich dargestellt,
wie die jüngste Konstellation, die durch das „Mächte-Dreieck" (Sowjet¬
union, USA und vor allem China) geprägt wird. Man sieht immer wieder
in diesem Buch, wie vertraut Pochhammer mit den innerindischen
Verhältnissen ist. Man sieht aber auch, daß ihm die Posten zwischen
Tokio und Santiago, zwischen Moskau und Colombo den Blick für
universalhistorische Zusammenhänge geschärft haben. Durch Initia¬
tive von verschiedener Seite, vor allem aber durch die liebenswürdige
Unterstützung des früheren Botschafters in Bonn M. A. Rahman konnte
1981 eine englische Fassung dieses Werkes mit dem Titel India's Road
to Nationhood bei Allied Publishers in New Delhi erscheinen, der die
Widmung voransteht: „To India, my second homeland in deepest grati¬
tude." In einem Brief vom 12. 1. 82 schrieb er mir: „Das Erscheinen der
englischen Ausgabe wird allgemein als ein Geschenk zum 90.
Geburtstag betrachtet, eine Gabe, die Indien mir darbietet und deren
Ertrag eine kleine Stiftung werden soll, die unter meinem Namen
jungen [indischen] Studenten zugute kommen wird." In der Tat konnte
es für ihn kein schöneres Geschenk zum 90. Geburtstag geben, den er,
obwohl von Altersleiden geplagt, mit ungebrochenem Sinn für Reprä¬
sentation festlich beging.
Zu Ehren des am 13. November 1982 in Bremen Verstorbenen hat das
Max Mueller Bhavan in New Delhi Wilhelm von Pochhammer Memorial
Lectures eingerichtet, deren erste Professor Wilhelm Halbfass am
19. März 1983 in Anwesenheit hoher indischer Diplomaten (Khub-
chand, Rahman, Puri) über das Thema India and the Comparative Study
of Cultural Traditions gehalten hat.
Während seiner diplomatischen Laufbahn hat es Wilhelm von
Pochhammer durch seinen großen persönlichen Charme und seine
menschliche Wärme verstanden, nach beiden Kriegen seinem Lande
wieder Sympathien einzubringen. Anderen zu helfen, war ihm, dem
Rechtsritter des Johaimiterordens, stets ein Herzensanliegen. Freund¬
schaft bedeutete ihm alles. Pathos lag ihm nie, dafür stand ihm viel
Humor zu Gebote, und kein zweiter hat es so verstanden wie er, die
Großen der Welt zum Lachen zu bringen. Auch konnte er über sich
selbst lachen. Herzlich erheiterte ihn und jene, die es von ihm hörten,
daß er einmal im Garten des Hotel Claridge in New Delhi sitzend für
Bulganin gehalten worden ist.
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Vier Sonette aus Indien und Ceylon*
Von
Wilhelm von Pochhammer
Madura
Im Eingangsdunkel drohen uns in grellen dämon'schen Farben Götter-Schreckgestalten aus hartem Stein, die hier die Wache halten.
Dann siehst durch Säulengänge du den hellen, geweihten Teich, in dessen sonn'gen Wellen die Pilger Seele und Gewand entfalten, um im Gewimmel reissender Gewalten des Göttertums ins All empor zu schnellen.
Doch drinnen, vor der letzten Tempelhöhle, aus deren Nacht verlorene Lichter blinken, da packt der mächtige Stier die eitle Seele.
Du siehst sie demutsvoll zu Boden sinken, den Stier des Ichs in sich zu überwinden, um zu dem dunklen Ziel den Weg zu finden.
* Calcutta
Dort wo des Huglis trübe Flut sich windet, Schiffsungetüme, hohe Schlote rauchen, Sirenen gell'n, Maschinenwagen fauchen
und Last auf Last im Leib des Schiffs verschwindet, im grauen Dunste Abendrot sich zündet,
und Menschenlarven, die sich tags verbrauchen, im Spiele falschen Lichtes untertauchen
und froh sind, wenn ein kurzer Rausch sie fmdet, da weckt die Göttin, die so lang geschlafen, ihr bleiches Haupt aus dichter Dschungel-Wildnis und schleudert ihren Fluch auf Stadt und Hafen:
„Fluch Euch, die meinen Namen Ihr geschändet, des Ostens Schmach, des Wests verzerrtes Bildnis;
weh Euch, wenn Kali einst dies Treiben endet!"
*
* Um seine Eindrücke von Indien und Ceylon zu bewältigen, versuchte sich
1925 der damals dreiundreißigjährige Wilhelm von Pochhammer in der
strengen Gedichtform des Sonetts, das in der deutschen Literatur bis hin zu Albrecht Haushofers „Moabiter Sonetten" eine große Tradition hat. Gelegent¬
lich fmden sich auch Sonette mit indischen Themen wie bei Haushofer, Rilke oder Stefan Zweig, der wie Pochhammer solch ein Gedicht dem „Taj Mahal"
gewidmet hat. Pochhammer läßt das seine mit einem bewußten Platenzitat
enden. Am geglücktesten wohl ist „Caicutta", in welchem die Schlußterzinen
eine dramatische Steigerung herbeiführen. — F. W.
Friedrich Wilhelm, Wilhelm von Pochhammer (1892-1982)
Taj Mahal
Ihr tretet durch das Tor und steht bezwungen.
Grad vor Euch leuchtet marmorweiss der Dom;
vollkommener als Sankt Peter selbst in Rom
sind Nischen, Wölbung, Kuppel hier geschwungen.
Ein Kaiser baut's — von Liebesgram durchdrungen, als höchster Schönheit köstlichstes Phantom.
Durchbrochner Marmor, spitzengleich verschlungen, dämpft drin am Sarg des Lichtes grellen Strom.
Und Wasser blinkt, gerahmt in Marmorquadern;
drin spiegelt zitternd sich des Domes Bild;
und aus des Marmors bläulich zarten Adern spricht letzte Sehnsucht, ewig ungestillt.
Denn „wer die Schönheit angeschaut mit Augen, wird nimmermehr liir diese Erde taugen."
*
Anurädhapura
Auf heiligen Strassen stille Beter schreiten;
bezwungen haben sie der Wünsche Toben.
Die Vollmondnacht lenkt ihren Blick nach oben und Wald und Trümmer ihren Weg begleiten, um ihm, der sie erlöst vom Fluch der Zeiten, den ihre scheuen Lippen murmelnd loben, wenn sie sich nah'n den ragenden Dagoben, das Liebes-Blumenopfer zu bereiten.
Das Licht des Monds spielt auf dem runden Steine, auf dem Gesetzes-Rad und Lotosblume
Jahrtausenden noch künden von dem Ruhme
des Herrlichen, der ihnen gab das Eine:
die rechte Lehre in dem stillen Haine des Feigenbaums, dem fernen Heiligtume.
ff