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Anzeigen.
B{udolf) Geyer, Altarabische Diiamben. Leipzig und New¬
York 1908. (Rudolf Haupt, Verlag.) VIII -f 113 + r.l S.
Diese Edition altarabiscber Regezverse war ursprünglieb als
Ergänzung zu Ahlwardt's „Sammlungen alter arabiscber Dicbter'
II. und III. geplant und angelegt. Sie wuchs zu einem Sammel- 5
bände an, in welchem Geyer die erhaltenen Urgüzen der Dichter
Du-r-rummah, Garir und aä-Sammäh vereinigt, dann aber jene
Gedichte des Poetenpaares al-'Aggäg und Rübah ediert, welche
in Ahlwardt's handschriftlichen Vorlagen fehlten. Pragmente und
Einzelverse, die in der Adab-Literatur verstreut sind, wurden diesem lo
Sammelbande nicht einverleibt ; Geyer gedenkt sie in der WZKM.
zu publizieren, als eine Polge seiner „Beiträge zur Kenntnis alt¬
arabischer Dichter'. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie als
„Anhang' den „Diiamben" anzuschließen; je weniger die Materialien zur Kenntnis einer Literaturgattung zersplittert sind, um so größeren i5
Vorteil kann die Porschung aus ihnen ziehen. Wenn es in Bälde
möglich sein wird, wenigstens eine solche Gruppe innerhalb der
altarabischen Literatur vollständig zu übersehen, ihr W^erden,
Wachsen und Versiegen zu verfolgen, so kann dieses Verdienst
zwei Männern nicht hoch genug angerechnet werden, welche das 20
Studium der altarabiscben Poesie zu ihrer Lebensaufgabe gewählt
haben: W. Ahlwardt und R. Geyer.
Äußerlich ist Geyer's Ausgabe ähnlich den von Ahlwardt
herausgegebenen Diwänen des al-'Ayjäg und Rübah angelegt.
Dem Texte gehen Vorbemerkungen zu den Dichtern, Analysen der 25
einzelnen Gedichte und der kritiscbe Apparat voran; selbstredend
auch der Bericht über die benützten Handschriften. Grundsätzlich
weicht Geyer in Einem Punkte vom Greifswalder Meister ab: in
der Wertschätzung arabischer Kommentare. Der Ansicht bin ich
zwar auch, daß es nicht bloß schlechte, nachlässige Scholien gibt; so
doch eine harte Schule der Geduld sind sie alle insofern, als sie
einen stets im Stiche lassen, wenn man sie am dringendsten
braucht; besonders pflegt die Ausbeute an Realien, die landläufigen
Kommentaren zu entnebmen wäre, nicht sehr groß zu sein ') ; dafür
1) p. ilA Vers 13 wird ein Fremdwort durcii ein zweites erklärt; wie das Spiel aber gespielt wurde, erfahren wir aus dem Scholion nicht.
vi oderholen sich gewisse, ohnehin bekannte, lexikalische Erklärungen
und grammatische Regeln immer wieder i). Vielleicht wäre mit
einer Auswahl aus den Scholien der Sache am besten gedient.
Doch sie könnte nur nach subjektivem Ermessen erfolgen; das wird
5 wohl nebst dem, was Geyer p. 11 und 26 der Einleitung sagt,
auch der Grund sein, warum er seine Glossen vollständig wiedergibt.
Sie sind dem Leser durchaus nicht unnütz; wenn nämlich die
Hauptschwierigkeit in der Erklärung arabischer Gedichte überhaupt eine lexikalische ist, so gilt dies ganz besonders von den Urgüzen.
10 Ohne Kommentar wäre man stellenweise genötigt, jedes Wort im
Lisän oder Täg nachzuschlagen. Übrigens muß ich bemerken, daß
einzelne Kommentare, die Geyer benutzen konnte, ganz ausge¬
zeichnet sind, was er auch selbst hervorhebt (p. 89). Daß der
Textzustand solcher Glossen oft kein tadelloser ist-), weiß jeder
16 Herausgeber. Geyer hat, wie p. 12 betont wird, nur in Pällen
äußerster Not geändert. Er hätte vielleicbt stellenweise radikaler
vorgehen können, z. B. p. T Z. 3 den Belegvers nach Note 2 emen¬
dieren sollen.
Auch im Text ist an „dunkeln Stellen" kein Mangel; daß
20 selbst einem Kenner der altarabischen Poesie , wie es Geyer ist,
vieles unsicher blieb (p. 44, 55, 71, 99), daran sind nicht bloß der
Zustand der Handschriften und die Kommentare schuld, sondern
auch die Eigenart dieser Gedichte. Mir mögen, als ich die Kor¬
rekturbogen dieser Arbeit las, noch viel mehr Stellen dunkel ge-
26 schienen haben als dem Verfasser, dessen Belesenheit in altarabischen
Dichtern nur ganz wenige besitzen. Immerhin konnte ich dem
Herausgeber einige Vorschläge zur Verfügung stellen, wenn auch
in viel geringerem Ausmaße, als man aus Geyer's Worten p. VI
Z. 12 fF. schließen möchte. Ich erwähne dies nur zur Beruhigung
30 meines Gewissens und um eine Bemerkung anzufügen : sollte je-
- o
mandem die Lesung (Ha Vers 13) mißfallen, so trifft die
Schuld mich allein (vgl. p. 92 zur Stelle). Icb möchte jetzt selbst
lieber bei der Vokalisation der Petersburger Handschrift bleiben.
Eine Besprechung aller kontroversen Stellen würde über den
35 Rahmen einer Anzeige zu einer Bearbeitung der Texte anwachsen.
Diese ist zwar dringend erwünscht; ihr müßte aber als Vorarbeit
die vollständige Übersetzung vorangehen. Die grassierende Scheu,
altarabische Gedichte zu übertragen, begreife ich nicht und be¬
dauere, daß Geyer seine Übersetzung der vorliegenden Urgüzen,
40 von welcher er p. 13 f. berichtet, nicht ausgefeilt und mit An-
1) Kommentare , in den uns erliaitenen Kedalctionen , gelien meist auf Kollegienhefte zurUck. Da mußte Bekanntes, längst schon Gesagtes, wiederholt werden. Aber muß es auch imraer von Neuem ediert werden?
2) 1st eine kommentierte Handschrift nachlässig geschrieben , so ist der Kommentar fast stets ura ein beträchtliches nachlässiger behandelt denn der Text.
Rhodokanakis: Geyer, Altarabische Diiamben. 57^
merkungen veröffentlicht hat. Ich konnte Einsicht in sie nehmen;
bei der Lektüre der Te.xte war sie mir während des Druckes eine
gute Stütze, die andere leider beim Studium nun entbehren müssen.
Sehr dankenswert ist Geyer's Einleitung, weicbe sich mit
dem metrischen Charakter dieser Poesie beschäftigt und ihre literar- 6
historische Stellung bestimmt. Während des Druckes änderte sich
Geyer's Ansicht von der altarabiscben Metrik überhaupt gründ¬
lich, so daß zu Einleitung p. 7 jetzt Vorwort p. IV nachzutragen
ist. Was aber Geyer daselbst (Einleitung 6—10) vom diiambischen
Charakter der Regezverse sagt, bleibt von jener grundsätzlichen lo
Änderung seiner Auffassung unberührt.
Geyer läßt eine besondere Versbetonung im altarabischen
Verse nicht mehr gelten; beim Vortrage kam, wie er jetzt annimmt,
ausschließlich der Wortakzent zur Geltung. Dieses ist meine An¬
sicht auch^), daß ein Vers als Sprechvers eben nach dem Sprach- i5
akzente und mit Sprechpausen rezitiert wurde. Ich kann aber
Geyer darin nicht folgen, wenn er den metrischen Akzent über¬
haupt aus der Betrachtung ausscheiden will^). Prei¬
lich, daß die alten Araber ein feines Gefühl für Silbenlänge hatten,
daß die Beachtung auch der Quantitäten in der arabischen Metrik 20
nicht umgangen werden kann, ist richtig ; aber damit allein findet
man das Auslangen nicht und ,die Tatsache der strengen Einhal¬
tung der Quantitätsgesetze durch die altarabischen Dichter" kanri
man , glaube ich , selbst nach Geyer nur mit einem Vorbehalt
gelten lassen. Seine Argumentation beruht hauptsächlich darauf, 25
daß im Regez „diiambus" der zweite Jambus stets unverändert
bleibt *). Solchen Tatsachen komme man mit der Betonungsmetrik
nicht bei. Mit ihr allein freilich nicbt; aber auch mit der strengen
Quantitätsmetrik nicht der anderen Tatsache, daß im Regezschema
nach der üblichen Bezeichnung - _ - - und - - - - neben - - - _ und sö
„ - - _ möglich sind. Diese und ähnliche Widersprüche , die sich
aus der bisherigen Auffassung der arabischen Metrik, aus der Dar¬
stellung der Versfüße, sowie der Gliederung der Verse selbst er¬
gaben, führten S. Guy ard dazu, seine „theorie nouvelle de la
metrique arabe" aufzustellen (Journ. as. 1876 f.), deren Haupt- 35
ergebnisse Ed. Sachau in seinen arabischen Volksliedern aus
Mesopotamien p. 4 f. so klar und übersichtlich darstellt. Scheidet
man die Versbetonung, wie Guy ard sie fordert, aus, so bleibt
für den altarabischen Vers, der auch nicht silbenzählend ist, weder
Gesetz noch Regel. Es kann daher kaum mit Geyer ohne weiteres 40
behauptet werden, daß die grundsätzliche Analogie der griechischen
1) Ich habe sie schon ZDMG. LXI (1907), p. 430, Anm. 3 ausgesprochen.
2) Vorwort p. V.
3) Im modernen Re^ez nicht mehr. Vgl. Sachau, Arab. Volkslieder aus Mesopotamien, p. 18 f. (Abhandlungen der Kgl. preuß. Akad. der Wiss. zu Berlin 1889.)
Zeitschrift der D. M. G. Bd. LXII. 37
4 2
Metrik mit der altarabischen keines Beweises bedarf^), und am
besten wird man vielleicht tun, in Sachen arabischer Metrik Aus¬
drücke wie Jambus, Trochäus nicht zu gebrauchen oder nur so,
daß man sich ihres Doppelsinnes stets bewußt bleibt. — Natürlich
6 stimmt auch im Altarabiscben^) der Versakzent, wie Guy ard ihn
ermittelt hat, nicht immer mit dem Sprachakzente überein. Wie
Sprach- und Versakzent sich im Altarabischen zu einander verhalten
ersieht man bei Guyard, 1. c. VII, 8, p. 304—315 (1876). Die
Verschiebungen wie die Übereinstimmungen erklären sich z. T.
10 daraus, daß die metrischen Akzente zwar oft auf einer langen
(arabisch: geschlossenen) Silbe liegen (Guyard, 1. c. passim), aber nicht bloß auf einer solchen liegen können (vgl. 1. c. VII, 7 (1876),
p. 548) und daß der Wortakzent zumeist der „Quantität" folgt,
oder wie Brockelmann es ausdrückt: ,daß wenigstens bei
IS Gesang und Rezitation der Druck" (expiratorischer Akzent) „sehr stark vom Ton" (musikalischer Akzent) „überschattet war" (Grund¬
riß § 43 a a).
Ein Verdienst Geyer's ist es, daß er mit Nachdruck auf
den ünterschied hinweist zwischen der ürgüza und der im Regez-
20 metrum abgefaßten distiohoiden Qaside. Jene bildet eine eigene
Gattung in der altarabischen poetischen Literatur und hat ihre
Vertreter, von denen zwei, al-'Aßgäy und sein Sohn Rübah, sie
allein gepflegt haben ^), während bei anderen ürguzendichtern,
Du-r-rummah, Oarlr, aS-Sammäh, diese nur einen Bruchteil ihrer
25 auf uns gekommenen Werke bilden. In der Behandlung des Verses
und des Reimes steht die ürgüza dem dem Sag' entsprungenen
freien Regez näher als die distichoide Regezqasida. Inhaltlich
jedoch geht die Urgüza denselben Weg, den wir in der typischen
altarabischen Qa.slda überhaupt vorgezeichnet finden. Diese , auch
80 wenn im Regez gedichtet, kennt nur Vers- bezw. Halbverspaare;
Sinn und grammatische Konstruktion greifen über, vom ersten zum
zweiten Hemistich hin; so auch in der distichoiden Regezqasida,
von welcher Geyer im Dlwän des Imrulqais zwei Fragmente
nachweist (Ahlw. Nr. 53 f). Hier überbrückt ein Wort (oliyjuo
o - * -
SS 53, 3) die zwei Vershälften, oder es ist iXs 54, 2 von seinem
Verbum durch die Halbverscäsur getrennt. Danach richtet sich
natürlich auch der Endreim. Die Urgüza hingegen besteht aus
Einzel-Regezversen, deren jeder, in der Form selbständig, ein Indi- 1) Vgl. Guyard, 1. c. VII, 7 (1876), p. 452. Sachau, 1. c. p. 5. Das ist natürlich kein Argument gegen die vielfach vertretene Meinung, daß die altarabische Metrik unter griechischem Einflüsse stehen könnte. Kein Volk übernimmt ein Fremdes, ohne es dem eigenen Genius anzupassen; es wäre denn, daß es keinen besitzt.
2) Vgl. Sievers, Metr. Stud. I, § 20f., 43ff., 71, 109, 168ff.
3) Eiuige Verse in größeren Metren spricht Ah Iwar dt, Sammlungen I£,
p. XXXV mit Recht dem 'Aggäg ab.
4 2
Rhodokanakis: Geyer, Altarabische Diiamben. 573
viduum darstellt und auch dem Inhalt nach darstellen soll. Es
findet seinen Abschluß in sich selbst durch den Endreim, der nicht
erst Ln einem abklingenden Korrelat fällig wird, wie bei der
distichoiden QasTda. Der Halbvers ist hier, wie im freien Regez,
vollwertiger Vers. Und wenn dem Sinne nach ein Übergreifen auf s
den folgenden stattfindet, so gilt das als verpöntes tadmin ebenso,
wie in der Kämil- oder TawilqasTda. (Ahl wardt, Samm¬
lungen II, p. LI.)
Geyer unternimmt den Nachweis, daß die von ihm edierten
Ur^zen, insoweit die Bemessung nach dem Qasidenschema sie als lo
unvollständig zeigt, nicht etwa als Pragmente gedichtet wurden,
sondern höchstens als solche überliefert sind (p. 3), auch dann,
wenn sie den Charakter der Improvisation deutlich auf der Stime
tragen (4 f.) 1). Er befindet sich darin mit Ahl wardt (1. c. p. LI)
in vollster Übereinstimmung. Ist damit der Typus der Urgüza is
aucb ihrem Inhalte nach eindeutig bestimmt, darf diese nur als
ein Ganzes aufgefaßt werden, zusammengeschweißt aus den über¬
lieferten Bestandteilen der landläufigen QasTda, so kann damit
nicht etwa gesagt sein, daß zu ihrer Blütezeit (50—150 d. H.,
Geyer p. 5) nicht auch irgendwo von dem und jenem „Prag - 20
mente" im Regez gedichtet worden sind, d. h. kurze Improvi¬
sationen (ohne Einleitung mit Liebe, Kameel und Wüste),
poetische Ausrufe, für welche dies Metrum in ältester Zeit die
Regel war. Es muß da eine ununterbrochene Tradition von den
allerfrühesten Zeiten bis auf unsere Tage führen; die improvisierten 25
Zawämil der Hadramiten sind im Regezmetrum verfaßt 2), ein ur¬
altes Regezmaß finden wir einem neuarabischen Trauerruf, einer
Art Mdrtiya, zugrunde gelegt ■''); 'omanische Kriegslieder bewegen
sich in seinem ernsten Marschtempo*); überhaupt ist Regez das
übliche Metrum für kurze Gedichte, Kampfrufe*), Spott-, Scherz-, so
Marsch- und Kriegslieder^).
Diese kurzen isolierenden Versmaße sind aber für die breiten
Schilderangen und den mannigfacben Inhalt der Qaslda eine wabre
Zwangsjacke. Als diese inhaltlich ihre volle Porm erlangte, war
sie auch schon formell dem Urmetrum, wie dem Urverse Regez ss
entwachsen. Dieweil also 'Ayjä/j, Rübah und Genossen Urgüzen
dichteten, gössen sie neuen Wein in alte Schläuche. Eigentlich
war auch der Wein nicht sonderlich neu; war doch das Qaslden-
1) Der Nachweis gelang besonders gut aus dem vertieften Studium der Eahmenerzählung im Dlwän aä-&ammälfs.
2) Landberg, Ktudes sur leg dialectes de l'Arabie meridionale, I.
Hadramoüt p 1431f.
3) Ebda. 202.
4) Ebda. 143 oben; Reinhardt, p. 418ff.
ö) A. Musil, Arab. Petr. III, 383 fiF.
G) Landberg, Arab, 111,43. Socin, Diw. aus Centraiarabien, Ein¬
leitung §§ 23 d. 37.
37»
schema nicht in ihrer Gedankenpresse gekeltert. In der Verbindung
dieser Form mit diesem Inhalt lag immerhin das Ungewohnte
— und der ästhetische Mißgriff zugleich. Denn beide waren ein¬
ander so wenig anpassungsfähig als möglicb. Daher auch das,
* was ich die angeborenen Mängel der Urgüza nennen möchte ihre
stilistischen Risse; die zu Gedankensplittern zerfetzten Perioden,
die sich über lange Versreihen ziehen ; jene zu nichtssagend , um
selbst zu sein , diese nicht mählich sich abrundend : bei jedem
Fortschritt des Gedankens spürt man einen Ruck; die Einschiebsel,
«0 die lästigen Wiederholungen — hie und da ein Wortspiel —, die
sicher mebr dem Wortschwall zugute kamen als der Gedankenfülle.
Als aber die Verbindung des alltäglichen Inhaltes mit einer
möglichst inadäquaten, aber altebrwürdigen Form vollzogen war,
sah man darin eine Neuerung. Das gilt nicht so sehr von aS-
ii Sammäh, wenn auch seine Urgüzen mit zu den älteren gehören
(Geyer p. 5); auch nicht von Oarir, dessen Re^ezstücke meist
im alten Higä'tone gehalten sind (ebda. 3) und gleich denen ai-
äammäh's meist improvisiert zu sein scheinen (ebda. 4), d h. Merk¬
male des alten , freien Re^ez tragen ; auch bilden die Urgüzen
20 dieser Dichter nur einen Bruchteil ibrer Gedichte. Wohl eher
kann man's begreifen, wenn 'Ajjäg für einen Neuerer gilt^),
während Rübah in den Fußstapfen seines Vaters wandelt und diesen
Du-r-rummah bestiehlt. Es wäre literarhistorisch von der aller¬
größten Wichtigkeit, wenn sicb mit Sicherheit feststellen ließe,
24 was al-'Aggäj und Genossen bewog, sich bei ihrer poetischen
Produktion nur des Regezmetrums zu bedienen. Ich glaube, die
Frage läßt sich mit aller Bestimmtheit beantworten. Obwohl
weder Ahlwardt noch Geyer das Argument benützen, das ich
als entscheidend in den Vordergrund rücken möchte, gelangen doch
so beide zu einem ähnlichen Schluß. Ahlwardt macht des 'Ajjäcj
Lebensgang dafür verantwortlich (p. XLIII 1. c), daß er bei der
, altgewöhnten Weise' verblieb; Geyer folgt wohl demselben Ge¬
dankengange, wenn er (pag. 5) von der „echten Kamelreiterdichtung' 1) Ahlw., 1. c. XLIV fif.
2) Von az-Zafajän , dem Zeitgenossen des 'Aggäg, wissen wir viel zu weuig, und ob der noch ältere al-Aglab nur Urgüzen gedichtet hat, steht dahin. Wenigstens ist es aus Ibn Qotei/ia, ed. de Goeje, p. t^Al nicht zu ersehen; vgl. auch Ahlw., 1. c. XL f. al-'Aggäg nennt sich (Ahlw. p. vi) den wiedererstandenen al-Aglab; vielleicht bedeutet das, daß er eine unterbrochene Tradition wieder aufnimmt. Übrigens ist bier die Frage nach der Priorität nebensächlich, wie wichtig auch diese von den altarabischen Literarhistorikern bebandelt wurden. Was ich weiterhin von den ästhetischen Momenten in der Dichtung des al-'A!§äy sage, gilt gleich, ob er der Erste war oder nicht,
o - jiE
yA i3jt, wie der durch häufigen Gebrauch entwertete Ausdruck der Alten lautet. Es gilt dann eben von den anderen, wie von ihm. Neben 'Ag^äg und Rübah sind Ibn Qoteiba \"vf — I^aI noch andere Dichter mit dem Beinamen i^tJt zusammengestellt.
Rhodokanakis: Geyer, Altarabische Diiamben. 575
spricht. 'Aggäy dichtet eben nicht bloß im Regezmetrum, er
dichtet Urgüzen, und ausschließlich solche. Das ist ein
gewaltiger Unterscbied, wie oben dargelegt wurde. Der Form
nach stand die ürgüza dem uralten, im Sag' entsprungenen freien
Regez näher als die distichoide Regezqasida; hätte 'Aggäg nur 5
Vorliebe oder Eignung für dieses Metrum besessen, warum dichtet
er nie in Verspaaren, warum dichtet er eben unter erschwerenden
Reim-Umständen nur Urgüzen? Es kann bloß eine bewußte
Rückkehr zum alten, ja zum Ältesten gewesen sein; eine, wie
immer angenommene, Vorliebe für das Überwundene, Urwüchsige, 10
scbeinbar Primitive in der Form, die auch seine Sprache beein¬
flußt, sie ins Krause und Wirre verzerrt (Ahlw., 1. c. XI, XIII,
XLIV). Wir können jetzt schon an al-'Ajjäg das gleiche literar¬
historische Phänomen beobachten, wie an den altertümelnden
Dichtern der 'Abbäsidenzeit, gegen welche sich die wahren 15
Neuerer, etwa Abü Nowäs, wendeten. Auch al-'Ajgäj wurde ob
seiner Weise gering geachtet und angegriffen (Ahlw., L c. XL).
Der wesentliche Unterschied jedoch zwischen ihm und den späteren
lag darin, daß diese den althergebrachten Inhalt ihrer Verse ver¬
teidigen mußten, al-'Agjäy hingegen ihre äußere Form, ihr Maß. «o
Daher können bei ihm auch nicht jene Beweggründe mitgewirkt
haben , welche Goldziher für die 'abbäsidischen Nachbeter der
Alten bloßgelegt hat: religiöse und politisch-nationale Triebfedern:
der Wahn von der fortschreitenden Verschlechterung der Welt und
die Hochhaltung der heidnischen Muruwwa; das waren Rücksichten 2s
auf den Inhalt der Poesie, welche die Philologen als allmächtige
Kritiker unselbständigen Geistern diktierten. Diese Erwägungen
werden al-'A()(jäg, der als Inhaltskünstler ganz im Beduinentume
wurzelt, nie Sorgen gemacht baben, auch wenn er's auf das
Kommentiertwerden durch die Philologen abgeseben hatte. Tawil, so
Kämil und wie die übrigen Metra alle heißen, waren ebensogut
vormohammedanisch und bedninisch wie das nicht distichoide Regez,
wenn auch jünger denn dieses. Was ihn also trieb, vom Alten
und Gebräuchlichen, in der Form wenigstens, auf noch Älteres
zurückzugreifen und diesem zur Alleinherrschaft verhelfen zu ss
wollen, kann nur die Meinung oder künstlerische ÜbeVzeugung von
seiner Eignung — vielleicht sogar besseren Eignung — als Form
gewesen sein; nicht etwa bloß Neuerungssucht, oder der Wunsch
aufzufallen allein; denn er war vielleicht nicht der Erste und
blieb sicher nicht der Einzige : und daß die Urgüzendichtung bis 40
zu einem gewissen Grade Schule gemacht hat, zeugt für eine
„herrschende Meinung" ; eine Meinung allerdings, die nicht nur die
objektive Betrachtung als irrig erweisen muß, sondern auch die
Praxis, die Tatsachen der Literaturgeschichte als irrig erwiesen
haben. Die Anpassung des henostichischen Regez an die Qaslda 45
gelang nicht. Wäre der Stil eines 'Ajgäg oder Rübah durchge¬
drungen und herrschend geworden, so hätte das ein einzigartiges
4 2«
Beispiel der Rückkehr zum überwundenen Standpunkt abgegeben :
keinen Port-, sondern einen Rückschritt : technisch wie formell,
und, durch das Technische bedingt, auch inhaltlich. Und damit
bleibt nichts übrig, als über den Pormkünstler 'Aßyäy als Porm-
5 verderber den Stab zu brechen.
Das taten schon Dichterkollegen (Ahlw. XLI, XLIII, XLVI)
zu seinen Lebzeiten und spätere Sprachgelehrte auch (ebda. XL).
Gegen jene wehrte sich al-'Ayyäy in echt arabischer Weise mit
Schimpfreden und selbstüberhebender Prahlerei. Er bätte sie durch
10 eine Qasida in einem anderen Metrum bald zum Schweigen ge¬
bracht; aber dieses Argument verschmähte er, wobl da es ein Auf¬
geben seiner ästhetischen Prinzipien bedeutet hätte, einem Einge¬
ständnis seines Unrechts gleichgekommen wäre. Daß er nicht
fähig gewesen, ein anderes Metrum zu gebrauchen, ist nicht an¬
is zunehmen ; was soviel andere , minderwertige , zuwege gebracht,
kann doch ihm und seiner Sprachgewalt nicht unmöglich ge¬
wesen sein.
Doch seine Kritiker behielten Recht, sie erwiesen sich als die
besseren Ästhetiker. Ein Phänomen innerhalb des Regez-Phänomens
«0 der arabiscben Literaturgeschichte ist es, daß Vater und Sobn,
'A/iyäy und Rübah, dastehen als die Hauptrepräsentanten einer
Dichtungsform. Um sie gruppiert sich, wenigstens in der alt-
arabischen Anschauung, was an Regezdichtern vor und nach ihnen
da war. Sie sind nach außen gewissermaßen die offiziellen Ver-
*5 treter eines Typus, der wohl auch Anklang fand, nicht nur
Nörgler (Ah Iwar dt p. XXXVIII, XL). Darum hat Geyer Recht,
wenn er von ihra als von einem „Modegebiete" jener Zeit spricht (p. 3), dem selbst Qasidendichter von Profession, wie Du-r-rummah,
ein Opfer brachten, indem sie auch Urgüzen dichteten. Nur blieb
so es eben eine Mode und eine kurzlebige, auf wenig Dichter be¬
schränkte obendrein. Denn wenn auch Geyer noch auf einen
Urgüzen dichter in der 'Abbäsidenzeit^) hinweisen kann, so läßt er
doch — und das ist ein sehr richtiges Urteil — gleich Broekel¬
mann^) die Blütezeit der Urgüzendichtung mit der Herrschaft der
35 Omayyaden zusammenfallen; sie starb eines frühen Todes an ihren
„angeborenen Defekten"; als eine Eintagsfliege, wenn man die lang¬
lebige, in ihren Elementen und ihrem Aufbau unausrottbare typische Qaside zum Vergleiche heranzieht, die in den Köpfen neuarabischer
Poeten noch immer spukt. Diese bedienen sich, und nicht ungern,
40 des Regezmetrums auch zu längeren, altertümelnden Gedichten-');
doch schon durch die Art des neuarabischen Reimes stehen diese
der distichoiden Regezqaside näber denn der wirklich toten Urgüza *).
1) al-'ümäni, Ag. XVU,78ff ; inhaltlich schon cin modemer Dichter,
wie Abü Nowäe; vgl. Ag., 1. c. 81 f. 2) Literaturgesch. 1,59.
3) Socin, Diw. aus Centralar. und Landberg's Sammlungen passim.
Vgl. auch Nr. XVIU meiner Dfärtexte.
4) Socin, 1. c. Einleitung § 25.
l> 2 *
Roeder: v. Bissing, Denkmäler ägyptischer Skulptur. 577
Ich habe im Vorliegenden versucht, von den Wandlungen der
Regezdichtung eine kurze Übersicht zu geben, die Bekanntes viel¬
leicht in eine neue Beleuchtung rückt. Zu einem abschließenden
Urteile feblen uns allerdings noch die Sammlungen der übrigen
Regezdichter, wie die Nachrichten über sie; ich tat es aber, um 5
den Dank, den wir Geyer für seine mühevolle, von reicben Kennt¬
nissen getragene Arbeit schulden, in den jetzt begreiflichen Wunsch
kleiden zu können, daß er uns die noch fehlenden Fragmente
(Vorwort III) und Dichter bald gebe und dann eine gi-oßzügige
Gescbichte der Regezpoesie folgen lasse, zu welcher er ja das 10
Material in Händen hat. Es wäre eine würdige Ergänzung seiner
hier besproebenen Arbeit. N. Rhodokanakis.
Denkmäler ägyptischer »Skulptur, herausgegeben und mit er¬
läutemden Texten versehen von Fr. W. Freiherrn von
Biss inq. München, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. is
1906—1907. Großfolio. Vollständig in 12 Lieferungen
ä Mk. 20. (Preis des ganzen Wci kes nach Erscbeinen der
letzten Lieferung Mk. 300.) Erschienen Lieferung 1—6
(Herbst 1907).
Der Münchener Ägyptologe Freiherr von Bissing hat sich «0
im Einverständnis mit der durch gute Reproduktionen bekannten
Verlagsanstalt Bruckmann entschlossen, ein auf 144 Tafeln berech¬
netes Werk herauszugeben, das die typischen Beispiele aus der
ägyptischen Skulptur vorführt; sie veröffentlichen eine Auswahl der
besten Statuen, Tempel- und Grabreliefs aller Zeiten in Großfolio- is
Heliogravüren nach den Originalen. Die Tafeln sind insbesondere
zum Gebrauch in Vorlesungen bestimmt. Ihr Wert für die Allgemein¬
heit liegt darin, daß weitere Kreise die altberübmten Werke der
ägyptischen Bildhauer endlich in großen Photographien kennen lernen
können ; bisher kamen meist nur kleine Nachbildungen in die Öffent- 30
lichkeit und sie tragen einen Teil der Schuld an der herrschenden Vorstellung, daß auch die Meisterstücke von kalter schematischer
Steifheit seien. Nun ist Gelegenheit gegeben, sich eines Besseren
belehren zu lassen.
Bei der Auswahl der Stücke war einerseits die Absicht ent- ss
scheidend, von jedem besonderen Typus ein Beispiel zu geben ; ferner
sollten nur Arbeiten von künstlerischem Wert aufgenommen werden,
nicht handwerksmäßige; endlich sollte die Sammlung all die bekannten
Hauptwerke enthalten, auch wenn sie früber schon veröffentlicht
waren. Da eine solche Publikation noch nicht gemacht ist und es 4u
an zusammenfassenden Handbüchern über den Gegenstand völlig
mangelt, war die Auswahl fast ganz dem persönlichen ürteil des
Herausgebers nberlassen. Natürlicb hätte ein anderer an vielen
Stellen andere Stücke gewählt, doch ist ein Abweichen von dem
zu Erwartenden oft durch äußere Schwierigkeiten herbeigeführt
worden. Das Tafelwerk, das wir durch die Bemühungen von Heraus-
5 geber und Verlagsanstalt erhalten, ist für die Geschichte der ägyp¬
tischen Kunst eine der wichtigsten Quellen; um so mehr als die
bisherigen Publikationen zwar oft die Details in einer für den
Archäologen genügenden Genauigkeit zeigten, aber selten den Wert
des Gegenstandes als Kunstwerk erkennen ließen.
10
Wie mannigfaltig die dargebotenen Typen sind, möge die folgende
Zusammenstellung zeigen *).
I. Prühzeit und altes Reich.
A. Reliefs (z. T. archaisch).
16 1. von Königen
a) Grabstein: Taf. 1.
b) Relief (der König als Sieger): Taf. 2. 33-*^ T.
2. von Privatleuten
a) Grabrelief: Taf. 18. 18 T. 5 T.
20 b) Scheintür: Taf. 14. 15 und 16 (mit Reliefs). 17. 17 T.
B. Statuen.
1. König
a) sitzend: Taf. 9. 9 T (Elfenbein). IOT.
b) stebend: Taf. 12b (Bronze).
25 c) nur Kopf: Taf. 10. IOA. 13 (Bronze).
2. Privatleute (z. T. archaisch).
a) Mann sitzend: Taf. 3. stehend: Taf. 5a. 11. 12a.
hockend schreibend bezw. lesend: Taf. 7. 8.
b) Prau stehend: Taf. 5 b. 5 T.
30 c) Ehepaar sitzend: Taf. 4. 4 T. stehend: Taf. 6.
II. Mittleres Reich.
A. Reliefs.
1. von Königen: Tempelrelief Taf. 33 ^ 34.
2. von Privatleuten
S5 a) Grabrelief: Taf. 35. 34 T.
b) Grabstein: Taf. 32. 33.
B. Statuen.
1. König
a) sitzend: Taf. 19 ab. 20. 24. 28. 28 T.
M b) stehend: Taf. 30.
c) nur Kopf: Taf. 27. 56 T.
d) als Spbinx: Taf. 25. 26. 38 ^-T. 25 T.
1) T hinter der Zuhl bedeutet; im Text zu der betr. Tafel; es handelt sich um kleine Autotypien.
Roeder: v. Bissing, Denkmäler ägyptischer Skulptur. 579
2. Königin
a) sitzend: Taf. 22. 21 T.
b) nur Kopf: Taf. 21.
3. Privatmann
a) sitzend: Taf 23. S
b) stebend: Taf. 31. 31 T.
c) hocltend: Taf. 29 T.
4. Ringergruppe : Taf. 29.
III. Neues Reicb.
A. Beliefs (fast nicbts erschienen). lo
B. Statuen.
1. König
'a) sitzend: Taf. 36. 39b. 40. 45 (mit Königin). 48. 49.
55. 48 T.
b) stehend: Taf. 39a. 54. 56. 39 a T. 45 T. 48 T. 54 T. 15
c) nur Kopf: Taf. 45 ^^T.
d) Gruppe: König und Gott: Taf. 46. 46^. 55^ (Figuren
freistehend).
e) als Spbinx: Taf. 37. 38 ^ 37 T.
2. Königin: sitzend Taf. 38. 20
3. Prinzessin: nur Kopf Taf 45 \
4. Privatleute
a) Mann: hockend lesend: Taf 44. hockend im Mantel:
Taf 51. 52. 51 T. stebend : Taf. 44 T. mit Götter¬
bild: 55 T. 62 T. 65 T. 25
b) Frau: stehend: Taf. 43. 47. 43 T. nur Kopf: Taf. 43 T.
c) Ehepaar sitzend: Taf. 41. 42.
5. Gott
a) sitzend: Taf. 46 ^T.
b) stehend: Taf. 53. 57. 53 T. so
c) mit dem König : vgl. 1 d.
IV. Spätere Fremdherrschaften.
A. Reliefs (fast nichts erschienen).
B. Statuen (nur z. T. erschienen).
1. König 85
a) sitzend: Taf. 60 T.
b) stehend: Taf 58 T (Bronze).
c) knieend: Taf 60 T (Bronze).
d) nur Kopf: Taf 60. 61.
2. Königin : stehend : Taf. 64. 47 T. 48 T. 64 T. 40
3. Privatleute
a) Mann: stehend: Taf 67 T. knieend mit Götterbild:
Taf 65. 66. nur Kopf: Taf 62. 63. 67. 67 T.
b) Frau stehend: Taf. 59 (Bronze). 59 T. 67 T (Holz).
4. Gott stehend: Taf 58. «
Unter den aufgezählten Typen gibt oft jedes Beispiel eine neue
Variante, deren Eigenart der Erfindungsgabe des Bildhauers ent¬
stammt; der Künstler hatte für fast jede Arbeit ein ihm überliefertes
Schema, aber er hatte auch die Freiheit, dieses nach seinem Ge¬
fi schmack oder dem seines Auftraggebers auszugestalten. Es ist ein
reichhaltiges Bild, das sich aus dem vorliegenden Tafelwerk ergibt,
wenn auch natürlich bei weitem nicht für jede typische Art der
Ausführung ein Beleg beigebracht werden konnte.
Was nun die von v. B i s s i n g getroffene Auswahl der Bei-
10 spiele anlangt, so geben diese zwar im allgemeinen eine genügende
Vorstellung von der typischen Art der Darstellung und auch meist
die künstlerisch wertvollsten Stücke, die uns erhalten sind; doch
sind mehrfach auffallende Abweichungen zu bemerken.- Von den
Grabsteinen der alten Könige aus Abydos zeigt Taf 1 einen in
u minderwertiger Arbeit; ähnlich bei dem hockenden Schreiber (Taf. 7).
Für beide Typen besitzt der Louvre berühmte Beispiele, von denen
gute Publikationen zwar gemacht, aber schwer zu erlangen sind.
Aucb für die übrigen Privatstatuen der Frühzeit und des alten
Reiches bätte ein Fernstehender durch andere Beispiele eine günsti-
20 gere Vorstellung von dem künstlerischen Vermögen der Bildhauer
erhalten. Ferner hätte man gern einen Repräsentanten der Statuen
von Dienern und Handwerkem gesehen, etwa den Zwerg Ghnem-
hotep (Kairo). Aber für die gleichzeitigen Königsstatuen sind die
schönsten Werke ausgewählt und die Reproduktionen sind vortreff-
*s lieh gelungen. Es ist freilich bei der photographiscben Aufnahme
von hohen Statuen schwer zu vermeiden, daß das Gesicht ziemlich
klein und von unten gesehen erscheint; v. B. hat diese Verzeich¬
nung mehrfach durch nochmalige Wiedergabe des Gesichtes allein
ausgeglichen und gerade diese großen Köpfe sind die prächtigsten 30 Tafeln der ganzen Publikation. Bei den Reliefs aus Privatgräbern
ist durch die Wiedergabe von Stücken aus v. Bissing'schem Privat¬
besitz nicht die günstigste Wirkung erzielt. Das „archaische Relief (Taf 14) zeigt mehr grobe, der Detailausführung entbehrende Technik
als gerade Archaismus. Die Scheintüren Taf. 15—16 geben nicht
35 das, was für sie typisch ist (wie Taf. 17 richtig), sondern sie tragen
Darstellungen, die zu den Reliefs der Grabwände gehören. Die
eigentlichen Grabreliefs sind auf eine einzige Tafel beschränkt (18),
und leider feblt ein Beispiel der Darstellungen des Volkslebens und
von Tieren in den berühmten Gräbern, die zu den Meisterwerken
40 ägyptischer Bildhauer gehören.
Bei den Grabsteinen des mittleren Reichs greift v. B. durch
Abbildung (Taf 32) einer Stele im „Volksstil" aus eigenem Besitz
über von den künstlerisch wertvollen Stücken auf die rein archäo¬
logisch interessanten : sie ist als Kunstwerk wertlos ; die Arbeit hat
45 nur ein wissenschaftliches Interesse, indem sie die Grobheit der
Provinzialtechnik zeigt im Gegensatz zur sicheren Stilbildung der
Hauptstädte. — Um so Schöneres sehen wir bei den Königsstatuen
Roeder: v. Bissing, Denkmäler ägyptischer Skulptur. 581
des mittleren Reichs. Der Wirkung kommt es hier zu statten, daß
gegen Ende der 12. Dynastie die Sitte aufkommt, dem Herrscher
nicht wie früher ein idealisiertes Jünglingsgesicht zu geben, sondern
seine wirklichen Züge mit allen Unregelmäßigkeiten und den Falten
des reifen oder gealterten Mannes nachzubilden. Zu den merk- 5
würdigsten Statuen dieser Art gehören aucb die seit Mariette als
„Hyksos" bekannten Figuren, die v. B. als Chonspriester (Taf. 30,
die „Hyksos'büste aus dem Fajjum) deutet oder einer späteren Zeit
zuweist (Taf. 56, die „Fischträger"). — Etwas als Plastik Seltenes
zeigt Taf. 29: eine Gnippe von zwei sich umfassenden Ringern, lo
voll lebendiger Bewegung, leider grob im Detail. Das Thema ist
aus gleichzeitigen Malereien bekannt; die Gruppe als Statue gehört
zu den alten Dienerfiguren.
Unter den Königsstatuen des neuen Reicbs sind vier Bilder
von Thutmosis HI. (Taf. 38^—40), nacb denen man sich eine i5
Vorstellung von den Zügen des großen Eroberers machen kann.
Andererseits lebren sie aber auch, wie viel an den meist kolossalen
Bildwerken handwerksmäßig ist, und wie viel von dem wirklich
Persönlichen durch schematisierendes „Verschönern" verloren gegangen
ist. Auch von der mit bewußter Manier bildenden Plastik Ameno- so
phis' IV. in Teil el Amarna sehen wir zwei der schönsten Beispiele
(Taf. 45. 45 A).
Die Gravüre ist gewiß die beste Reproduktion, wenn man ein
Kunstwerk als solches wirken lassen will; unter den Tafeln sind
denn auch viele ungewöhnlich schöne Blätter. Bei manchen stört 25
ein zu scharfes Licht, das zwischen hell und dunkel wenig ver¬
mittelt und die Details beinahe verschwinden läßt. Aber es war
natürlich nicht in allen Museen möglich, schwere Stücke für die
Aufnahme anders aufzustellen. Es ist auch selbstverständlich, daß
bei dem Reproduktionsverfahren etwas von der Schärfe der photo- so
graphischen Aufnahme zu Gunsten der plastischen Wirkung verloren
gebt und darin ist es begründet, daß Photographien und auch
Lichtdrucke oft mehr von den Einzelheiten, die dem Archäologen
wichtig sind, erkennen lassen als die Tafeln der „Denkmäler".
Mehrfach hat v. B. eine Statue oder einen Kopf en face und .ss
en profil abgebildet. Dieses ist gelegentlich sebr willkommen, auch
als Grundstock zu einer Ikonographie wertvoll, aber in 4—5 Fällen,
wo zwei Tafeln dadurch verbraucht werden, doch nicht lohnend.
Eine geschickte Aufnahme hätte genug gelehrt und der übrige
Raum wäre für andere wichtige Werke verfügbar gewesen. «
Der Text. Zu diesem Tafel werk hat v. Bissing für jedes
Blatt einen besonderen Text geschrieben, der nach der Ankündigung
„außer den unerläßlichen äußeren Angaben über den Ursprung und
jetzigen Aufenthalt, den Erhaltungszustand, die Maße und das
Material der Bildwerke eine kurze kunslgescbichtliche Würdigung 15
bringen soll, sowie die bauptsäcblicbsten Parallelbildwerke und
Literaturangaben, jedocb mit Ausschluß der nur auf die Inscbriften
bezüglicben". Der Text ist nicbt einbeitlicb und nicht jeder Be¬
nützer der Tafeln wird in ihra das Gewünschte finden. Ein aus¬
gedehnter Teil macht keinerlei wissenschaftliche Voraussetzungen;
f, aber gerade die wertvollen, inhaltreichen Abschnitte sind nur dem
engsten Fachkreise verständlich.
Zunächst sei der Charakter der für einen größeren Kreis be¬
stimmten Bemerkungen angedeutet, v. B. führt in die Behandlung
der ägyptischen Kunst zum erstenmal in größerem Maßstabe einen
10 Standpunkt ein, der aus anderen Kunstwissenschaften bekannt ist.
Er gibt nämlich nicbt in erster Linie eine sachliche Beschreibung
der Skulpturen, sondem schildert ausführlicb den Eindruck, den die
Kunstwerke in ihren einzelnen Teilen auf den Beschauer machen ;
wir hören also oft nicht so sehr eine archäologische Besprechung des
15 Interessanten, als eine eingehende Schilderung der ästhetischen
Wirkung aller dieser Dinge auf ein modernes Gefühl.
Einige Beispiele mögen v. B.'s ästhetische Betrachtungsweise veranschaulichen : Text zu Taf. 9 (Statue des Königs Chefren) : „Der
nicht sehr große Kopf wirkt durch das abstehende Kopftuch fast
20 eckig. Die Nase tritt kräftig und nur leise gebogen aus dem Gesicht
hervor. Der dicke Mund ist fast gerade. Die Ohren sitzen, wie oft
bei den Ägyptern, etwas hoch. Die Augen sind wohlproportioniert,
das obere Lid, mit einer Falte gebildet, vereinigt sich am äußeren
Augenwinkel mit dem, wie gewöhnlich, etwas vernachlässigten untern
25 Lid und beide setzen sicb dann in einem breiten erhabenen Schmink¬
strich fort. Ganz ähnlich sind die geschwungenen Augenbrauen
behandelt, die oberbalb des Nasenansatzes endigen." — zu Taf. 10
(andere Statue desselben Königs) : „Im ganzen will mich die Arbeit
an der großen Statue etwas schärfer, schneidiger dünken. Der obere
so Umriß der Kopfhaube ist fast dreieckig, die große Zehe steht zu
den anderen weiter ab, am oberen Augenlid ist die Falte mit großer
Schärfe angegeben. Aber auch hier ist mehr Fleisch modelliert als
das Knochengerüst gegeben : die Wange ist vortrefiflich ihrem wech¬
selnden, durch das Material begünstigten Spiel der Oberfläche, die
S5 etwas gebogene, kräftige Nase hat stark entwickelte Nasenflügel,
der Mund ist oben dick und aufgeworfen, das fleischige Ohr ähnlich
vernachlässigt wie bei der Statuette." — zu Taf. 11 (der „Dorf¬
schulze"): „Die Bewegung des linken Arms mit dem Spiel der
Muskeln, die Schultem und die Art, wie der Hals den Kopf trägt,
40 nötigen uns Bewunderung ab." -— ferner zu Taf 67—68: „Die
Gebundenheit seiner (des Künstlers) Kunstwerke entbehrte der inneren
Notwendigkeit, sie war wie eine Maske, die seine Schöpfungen an¬
gelegt hatten und unter der immer wieder das neckische Antlitz
frischen Lebens hervorlugte."
45 ünter diesen ästhetischen Beobachtungen sind viele wichtige,
z. B. über die Form des Auges, über die Gestalt und die Stellung
der Ohren u. a. m.; andere sind wertvoll, weil eben nur ein fein-
Roeder: v. Bissing, Denkmäler ägyptischer Skulptur. 583
fühlender, mit dem ägyptischen und mit anderen Kunststilen ver¬
trauter Beobachter sie machen konnte. Doch sie verlieren an der
Stelle und in der Ordnung, in der sie jetzt stehen, viel von ihrem
Wert und können nur neben guten Abbildungen anschaulich sein;
erst eine zusammenfassende, inhaltlich gegliederte Bebandlung würde 5
hierin die wissenschaftlicbe Betrachtung wirklich fördern.
In den nicht ästhetischen, sondern kunstgeschichtlichen
Bemerkungen ist ein Portschritt die starke Betonung der Motive.
Durch die Sonderung und Gruppierung der oft wiederholten Typen
wird es leichter, das mannigfaltige Bild zu überseben, das die ägyp- lo
tische Kunst uns darbietet; wer hierin Ordnung zu schaffen sucht,
leistet eine dankenswerte -Vorarbeit.
Kleine arcbäologische Exkurse bei fast jeder Tafel, angeregt
durch irgendwelche Details, die sich auf ihr finden, bebandeln die
verschiedensten Themen aus der ägyptischen Kunst. Hier lesen wir i5
Angaben über die Einzelheiten der Tracbt des Königs, den Schurz,
den Schwanz, die Prisuren, die verschiedenen Kronen, die Uräus¬
schlange an der Stirn usw. Dort hören wir über das Aufkommen
gewisser Gruppenkompositionen als Statuen oder in Relief Dort
werden die verschiedenen Gesten der Betenden, dort Sargformen, so
dort Künstlerpersönlichkeiten gesondert u. a. m. Aber leider sind
alle die Beobacbtungen, die das Ergebnis jahrelanger Sammelarbeiten
sind, regellos nach zufälligen Berührungspunkten über den ganzen
Text zerstreut und mit andersartigen durchsetzt. Ein Teil wird
naturgemäß an mehreren Stellen wiederholt, ein anderer setzt, da 25
die Tafeln im wesentlichen chronologisch geordnet sind, frübere fort.
Für wissenschaftliche Verwertung sind sie sämtlich schwer zugäng¬
lich ; es ist nur bei ungewöhnlichem Gedächtnis möglicb, eine be¬
stimmte Erörterung wiederzufinden, und wer alle Bemerkungen über
einen Punkt zusammenfassen will, muß unverhältnismäßige Mühe so
aufwenden. Dieser Zustand ist um. so bedauerlicher, als die Exkurse
eine Pülle von Angaben entbalten, die sonst nicbt veröffentlicht
sind. Sie könnten in geeigneter Zusammenstellung fast als archäo¬
logisches Handbuch dienen; jetzt wird nur ein sehr guter Index
sie benützbar machen können. S5
Die „äußeren Angaben" sind sebr sorgfältig gemacbt. Auf¬
fallend ist, daß oft die Museumsnummern fehlen, auch wenn sie
bekannt sind. Wenn in einem nach dem Aufenthaltsort geordneten
Verzeichnis aller gegebenen Stücke, das auch aus anderen Gründen
wünschenswert ist, das jetzt Pehlende nachgetragen würde, wäre 40
der Mangel ausgeglichen. Die Angaben der Parallelbildwerke und
die Sammlung der Literaturangaben sind vollständiger als sie sonst
meist gegeben werden ; zahlreiche Hinweise auf ähnliche, auch un¬
veröffentlichte Stücke machen die betreffenden Abschnitte zu außer¬
ordentlich wertvollen. Aber auch alle diese Angaben stehen zerstreut 45
als gelegentliche Bemerkungen zu dieser oder jener Tafel, oft an
versteckter Stelle und zwischen Andersartigem. Wenn nicht ein
sorgfUltiger ausführlicher Index sie leicht zugänglich macht, werden viele von ihnen verloren gehen.
Von dem Standpunkt, den v. B. in anderen ägyptologischen
Fragen als den rein archäologischen einnimmt, seien nur zwei Punkte
5 erwähnt. Bei der Wiedergabe altägyptischer Eigennamen bedient
V. B. sich oft solcher Formen, die nicht gültig sind und die die
hierin herrschende Verwirrung steigern statt ihr abzuhelfen ; er lehnt
sich im allgemeinen an griechische Vokalisierungen an, auch wenn
sie nicht gebräuchlich sind. Einige Gleichungen (wie Uenephes für
10 König '^"^ und Athotis für Narmer) sind nicht so gesicbert, daß
man sie in weiteren Kreisen in Gebrauch wissen möchte. — v. B.'s
Chronologie lehnt sich für die ältere Zeit an die französisch-englische
Auffassung an im Widerspruch gegen Eduard Meyer und Breasted ;
V. B. kommt für die 1. Dynastie auf 4500 v. Ch., was um mindestens 15 1000 Jahre zu früh angesetzt zu sein scheint.
Günther Boeder.
Ä History of India by A. F. Rudolf Hoernle and Herbert
A. Stark. Cuttack: Orissa Mission Press, 1906. 14, VIIT,
232, 16 S. 80.
80 Es ist sehr zu begrüßen, daß ein Gelehrter wie Hoernle, auf
den verschiedensten Gebieten der indischen Altertumskunde als
Spezialist tätig und bewährt, sich der mühsamen Aufgabe unter¬
zogen hat, ein kurzes Lehrbuch der indischen Geschichte für
indische Schulen zu schreiben. Natürlich mußte dabei auch die
26 neuere Zeit bis zur Gegenwart herab berücksichtigt werden, doch
soll auf diesen für indiscbe Leser gewiß besonders interessanten
und wichtigen Teil des Werks, der nicht von H. selbst, sondern
von seinem Mitarbeiter H. A. Stark in Caleutta herrührt, hier nicht
eingegangen werden. Von Hoernle ist nur der ältere Zeitraum
30 der indischen Geschichte bis 1525 n. Chr. auf 85 Seiten behandelt,
wozu in der neuesten (3.) Auflage noch eine dankenswerte Ein¬
leitung über ,The Physical Features of India" hinzukommt. Be¬
kanntlich hatte schon früher Haraprasäd Sastri eine recht lesbare
, School History of India' geboten, gegen die aber das vorliegende
35 Werk, auf den'^neuesten Forschungen beruhend, besonders in den
Datierungen und dann auch in dem freieren Standpunkt des
europäischen Gelehrten einen entschiedenen Fortschritt repräsentiert.
Mit V. A. Smith's weit umfangreicherer „Early History of India"
traf unser Werk zeitlich beinahe zusammen, erschien aber noch
■40 um einige Monate früher : der Plan beider Werke ist ein völlig
verschiedener.
Es liegt an dem Charakter dieser Geschichte Indiens als
Schulbuch, dnß manche Annahmen, namentlich was den ältesten
JoUy: Hoernle and Stark, A History of India. 58b
Zeitraum betriift, weit apodiktischer ausgesprochen werden mußten,
als es dem dermaligen Stand der Porschung entspricht. So wenn
H. bis auf die Indogermanen zurückgeht und dieselben nach Süd-
rußland versetzt, so steht dieser besonders durch Schräder ver¬
tretenen Annahme doch wohl die Theorie der Germanisten, welche 5
auf die norddeutsche Tiefebene als Ursprungsland zurückgehen,
ebenbürtig zur Seite, um von so vielen anderen, ebenso möglichen
Hypothesen zu schweigen. Auch die Annahme einer doppelten
arischen Einwanderung in Indien, die H. früher in einem aus¬
führlichen Referat über Grierson's Linguistic Survey mit linguisti- 10
sehen Argumenten zu erweisen gesucht hat, ist doch wohl noch
nicht als feststehende historische Tatsache zu betrachten. Daß
Buddha die 12 Nidänas nur seinen vorgerückteren Schülern gelehrt
habe, läßt sich auch leichter vermuten, als beweisen. Betreffs der
"Vase von Piprava bält H. daran fest, daß sie Reliquien von Buddha 15 selbst entbält und setzt die Inschrift um 483 v. Chr. Das wichtige
Datum der Thronbesteigung des Königs Kanishka wird auf zirka
125 n. Cbr. fixiert, was zwar nicht den Ergebnissen R G. Bhan¬
darkar's in seinem ,Peep into the Early History of India" ent¬
spricht (278 n. Chr.), aber der Wahrheit ziemlich nahe kommen 20
dürfte. Da Begründungen aus Rücksicht auf den Raum nirgends bei¬
gefügt werden konnten, so ist auf vier Seiten eine recht brauchbare ,List of Recent Writings on tbe Early History of India" gegeben.
Daß in einer so gedrängten Darstellung die entfernteren Pro¬
vinzen wie Kaschmir, Nepal, auch die Insel Ceylon nur gelegentlich 25
gestreift werden konnten , war wohl unvermeidlich. H. hat sich
jedenfalls bemüht , ein möglichst vollständiges Bild der politischen
nicht nur, sondern auch der kulturellen und literarischen Ent¬
wickelung zu bieten , und man hat den Eindruck , daß jeder Satz
sorgsam überdacht ist, wenn auch die Verteilung der Haupterzeug- 30
nisse der Sanskritliteratur unter die einzelnen von H. statuierten
Perioden der indischen Geschichte manchmal etwas anfechtbar sein
mag. Der Ton der Darstellung ist ein warmer, sympathischer und
steht in angenehmem Kontrast zu älteren englischen Geschichts¬
werken , wie etwa das bekannte Werk von James Mill (Vater des 35
Nationalökonomen) , der mit seiner hausbackenen Strenge unserem
gleichzeitigen P. Chr. Schlosser ähnelt, oder selbst das vielgelesene
und immer neuaufgelegte , aber doch wohl schon der Anlage naeh
veraltete umfangreiche Werk von Elphinstone. Unter den 33 Illustra¬
tionen sind die zahlreichen Abbildungen von Münzen besonders 10
wertvoll, deren geschickte Auswahl den gewiegten Numismatiker
zeigt , wie überhaupt die numismatischen Studien des Verfassers
ibm sehr zu statten gekommen sind. Das am Schluß beigefügte
„Glossary of Indian Terms" ist keineswegs unnötig, da Ausdrücke
wie Batta, Guddee, Jagir, Nizamat, Patta, Sirdeshmukhi, Thana u. a. 15
auch vielen Indologen nicht ohne weiteres verständlich sein werden.
Der Index ist sehr reichhaltig. J. JoUy.
(Sammlung F. Sarre.) Erzeugnisse islamischer Kunst. Be¬
arbeitet von Friedrich Sarr e; mit epigraphischen Bei¬
trägen von Eugen Mittwoch. Teil I: Metall. Mit zehn
Tafeln und 54 Textabbildungen. Berlin 1906; Kommissions-
6 Verlag Karl W. Hiersemann in Leipzig. X, 82 Seiten fol.
12 Mark.
Mit Recht bedauert Sarre in seinem „Vorwort für den Ge¬
samtkatalog', daß man bis vor kurzem die künstlerischen Erzeug¬
nisse des muslimischen Vorderasiens nicht ibrer Bedeutung ent-
10 sprechend geschätzt hat, trotzdem jene sich mit den abendländischen Arbeiten ähnlicher Art in künstlerischer und technischer Hinsicbt
wohl messen können. Man scheine vergessen zu haben, daß orien¬
talische Luxusgegenstände, vor allem textile Erzeugnisse, die deko¬
rative Pormenwelt des Abendlandes teilweise bestimmt haben und
15 z. B. auf die künstlerische Entwickelung der italienischen Malerei von
bedeutendem Einfluß gewesen sind. An anderer Stelle*) weist
Sarre auch darauf hin, daß die muslimische Kunst in ihrer Parben-
freudigkeit, in ihrer ornamentalen Größe vor allem auch geeignet
ist, dem modernen Kunstschaffen neue Wege zu weisen. Aber
80 selbst bei diesem hohen Allgemeininteresse war es sogar dem
Orientalisten von Fach in Deutschland bis in die letzten Jahre
hinein sehr erschwert, sich auf diesem Gebiete gründliche, auf dem
Augenschein beruhende Kenntnisse anzueignen.
England und Frankreich sind infolge ihrer jahrhundertelangen
25 Beziehungen zum Orient besser daran ; dort sind die staatlichen
Museen im Besitze von hervorragenden Schätzen. Neuerdings
wendet sich auch in Amerika der private Sammeleifer der Kunst
des muslimischen Orients zu. Weitere Kreise wurden hauptsächlich
damals interessiert, als im Jahre 1903 die „Exposition des Arts
80 Musulmans" die reicben Schätze aus dem Pariser Privatbesitz zu¬
gänglich machte. In Deutschland hat man dagegen diesem Kunst¬
zweige weniger Beachtung geschenkt. Erst Julius Lessing bat im
Berliner Kunstgewerbemuseum eine reiche Sammlung orientalischer
Stoffe und türkischer Wandfliesen zusammengebracht. Was sonst
35 im Besitze der Museen ist, lagert zum größten Teile in den
Magazinen und ist dem Studium nur schwer oder überhaupt nicht
erreichbar. Schuld daran tragen z. T. allerdings die lokalen Ver¬
hältnisse, z. B. der Platzmangel in der bis jetzt nur provisorisch
untergebrachten Vorderasiatischen Abteilung, von der nur wenige
40 wissen, daß sie auch hierhergehörige Gegenstände enthält (selbst
Sarre vergißt, sie zu erwähnen). Dabei wird die Gefahr immer
größer, daß durch das kaufkräftige Interesse europäischer und
1) „Kunst und KUnstler" 1904, S. 22.
Mann : Sarre, Erzeugnisse islamischer Kunst. 587
amerikanischer Privatsammler die Preise so sehr steigen, daß bei
noch längerem Warten die muslimische Knnst Vorderasiens und
Persiens in dem geplanten großen Asiatischen Museum Deutschlands
zu schlecht wegkommt. Eine vorläufige Unterkunft hat Wilhelm
Bode für die gesamten Kunsterzeugnisse der islamischen Kultur im &
Anschluß an die Prachtfassade von Mschatta im Kaiser Friedrich-
Museum geschaffen. Das heißt, vorläufig sind dort weniger Gegen¬
stände aus Museumsbesitz aufgestellt: den eigentlichen Kern bildet
vielmehr die Sammlung Sarre, welche der Besitzer leihweise über¬
lassen hat. Wir sind Professor Friedrich Sarre überaus dankbar, lo
daß er auf diese Weise seine prächtige und reiche Privatsammlung
unserem Studium zugänglich gemacht hat, zumal auch damit dem
eignen Sammeleifer unserer Museumsverwaltung ein mächtiger An¬
stoß gegeben ist.
Sarre hat seit 1895 zu wiederholten Malen Persien und das is
ganze Gebiet der islamischen Kultur, von Indien und Turkestan
bis nach Spanien bereist. Wenn ibm dabei auch die muslimische
Architektur im Vordergrund des Interesses stand, so hat er bei
der Gelegenheit doch eine solche Fülle von Beispielen älterer
Kunstfertigkeit gesammelt, daß sie, durch Erwerbungen auf dem 20
europäischen Kunstmarkt ergänzt, einen guten Überblick über die
Gesamtentwicklung gewähren. Scbon im Frühjahr 1899 veranstaltete Sarre im Berliner Kgl. Kunstgewerbemuseum eine Sonderausstellung,
welche die Ergebnisse seiner Reisen in Kleinasien und Persien,
sowie Aufnabmen und Erwerbungen von Kunstgegenständen um- 25
faßte. Nachdem nun im Kaiser Friedrich-Museum (zumal im Erd¬
geschoß Saal 10) seiner Sammlung ein dauerndes Heim geschaffen
ist, hat Sarre es zu unserer großen Freude unternommen, in einem
ausführlichen illustrierten Kataloge die ausgestellten Gegenstände
zu beschreiben. so
Der Katalog zerfällt in drei Teile; der erste behandelt das
Metall, der zweite die Keramik, der dritte Glas, Miniaturmalerei und Textilkunst. Nicbt nur Beschreibung eines jeden Gegenstandes,
sondern auch Vergleichsmaterial und Literaturnachweise enthält der
Katalog, der sich zu einem Handbuche der persisch - islamischen ss
Kunst erweitert; sehr wichtig ist auch, daß Eugen Mittwoch sich
der Entzifferung des inschriftlichen Materials unterzogen hat und
somit jedesmal Text und Übersetzung der Inschriften mitgeteilt
werden konnte.
Bis jetzt ist nur der erste Teil erschienen: „Metall". Er^o
beschreibt 203 Stücke aus der Sammlung '). Die hervorragendsten
sind auf besonderen Tafeln, ein großer Teil der Gegenstände ist
im Text wiedergegeben worden ; dabei hat Sarre die Stücke teil-
1) Einige wenige Gegenstände sind ausgestellt, ohne daß ich sie im Katalog finden konnte; andererseits sind aus Raummangel manche beschriebenen Stücke vorläufig in Schränken untergebracht.
Zeitschrift der D. M. G. Bd. LXII. 38
4 3
weise zeichnen lassen, um charakteristische Dekorationsformen und
Details, Meistermarken usw. klarer, als es auf mechanischem Wege
möglich wäre, zum Abdruck zu bringen. Im Ganzen 53 Abbildungen
im Text und zehn auf das sorgfältigste ausgeführte Tafeln. Wer
6 die Schwierigkeiten kennt, die sich bei der mechanischen Wieder¬
gabe von Metallstücken zeigen, wird die Sorgfalt bewundern, mit
welcher zumal auf den Tafeln einige der prächtigsten Stücke re¬
produziert sind. Den einzelnen Gruppen sind kurze Einleitungen
vorausgeschickt, welche allgemeine Bemerkungen über Technik,
10 Herkunft und besondere cbarakteristische Merkmale enthalten. Die
einleitend verzeichnete Literatur hat neuerdings eine wichtige Be¬
reicherung erfahren durcb das „Manuel d'art musulman", welches
1907 in Paris ersebienen ist, Librairie Alphonse Picard et fils;
dort zumal Bd. II „Les arts plastiques et industriels" par Gaston
15 Migeon (conservateur des objets d'art du moyen äge au mus6e du
Louvre).
Die ersten vier Stücke der Sammlung sind vor - islamische
Arbeiten. Vgl. zu dem prächtigen Peldzeichen Nr. 1 Klio, Beiträge
zur alten Gescbichte, Bd. VI, wo H. Schäfer über „assyrische und
20 ägyptische Peldzeichen" bandelt.
Nr. 5—13 sind früh - islamische Arbeiten mit Gravierung und
Reliefschrauck , doch ohne Tauschierung ; meist gegossene , seltener
getriebene Arbeiten schwerer, einfacher Porm, vor allem aus Tur¬
kestan. — Nr. 15—17 Arbeiten des 12. —13. Jahrh. mit Relief-
25 schmuck, Gravierung und spärlicher Tauschierung in Kupfer und
Silber; vor allem senkrecht gerippte Kannen mit in hohem Relief
herausgearbeiteten Löwen und Vögeln. Die frühesten bekannten
Arbeiten scheinen nicht in Mossul, sondern auf dem armenischen
und nordpersisohen Hochlande gefertigt zu sein. — Nr. 18—43
30 Arbeiten des n. —14. Jahrh. mesopotamischer oder persischer
Herkunft mit Gravierung und Silbertauschiening ; auf die voll¬
ständig mit Silber ausgelegten Buchstaben sind bäufig Menschen¬
köpfe und Piguren eingezeichnet. Der Atabek Lu'lu' von Mossul
(1233—1259 n. Chr.) scheint die künstlerische Entwicklung be-
35 sonders gefördert zu haben. — Nr. 44—58 Arbeiten des 14. Jahr¬
hunderts persischer Herkunft mit Gravierung, Silber- und Gold-
tauschierung; mit figurenreichen Kompositionen und kleinblättrigem Pflanzenwerk.
Nr. 59— 78a Arbeiten des 14.—15. Jahrb. syrischer und ägyp-
do tischer Herkunft mit Gravierung und Silbertauschierung. Das
Betonen des Ornamentalen und der Schrift charakterisiert diese
Zeit im Gegensatze zum Figürlichen. Die sunnitische Reaktion
hat eben schon durch Waffengewalt unterstützt ihr Haupt erhoben.
Das Anbringen europäischer Wappenschilder beweist, daß man
•15 schon für Europa, besonders für Venedig, arbeitete. —- Nr. 79—95
Arbeiten des 16.—18. Jahrh. persischer, zentral - asiatischer und
ägyptischer Herkunft, mit Gravierung und, in seltenen Fällen, mit
4 3
Mann: Sarre, Erzeugnisse islamischer Kunst. 589
Tauschierung. — Nr. 96—101 Arbeiten des 15. und 16. Jahrb.,
von Orientalen oder unter orientalischem Einfluß in Venedig ge¬
arbeitet; zumal von Mahmüd el Kurdi und den Meistern Käsim
und Muhammed ; ohne figürliche Darstellungen oder Inschriften ; in
Linienführung und in der äußeren Form zeigt sich allmählich 5
europäischer Einfluß.
Nr. 102—140 indische Arbeiten. Die muslimischen Inder
verwenden Kupfergeräte, wäbrend die Hindus messingartiges Gelb¬
kupfer vorziehen. Es entwickelt sich die Kuft-Arbeit und die
Bidri-Arbeit als besondere Techniken; charakteristische Gefäßformen lo
sind die Huka und die Lota. — Nr. 141—169 Metallarbeiten ver¬
schiedener Technik und Bestimmung, teils für den christlichen
Kult, teils als Schmuck- und Gebrauchsgegenstände in Kleinasien,
Persien und Zentralasien dienend. — Nr. 170—203 geben zum
Schluß Wafi'en kaukasischer, persischer, türkischer, indischer und 16
zentralasiatischer Herkunft, wobei Sarre auf die Sammlung des
Kgl. Zeughauses in Berlin verweist, welche eine erschöpfende Über-, sieht über die Entwicklung der orientalischen, spezieH der persischen
und türkischen Watfen gibt.
Seite 67—82 folgt ein sehr nützlicher und mit aller Sorgfalt 20
ausgearbeiteter Epigraphischer Anhang von Eugen Mittwoch. Hier
werden die Inschriften im Zusammenhang besprochen. Zuerst von
den Gefößen für Herrscher, dann von denen für hohe Würden¬
träger ; Segenswünsche und Ruhmesworte ; Inschriften in Versen ;
Inschriften religiösen Inhalts ; Künstlernamen. 25
Der ganze Katalog bietet uns auf diesem so wenig bearbeiteten
Gebiete ein äußerst wertvolles Hilfsmittel unsers Studiums. Hoffen
wir, daß die folgenden Teile aucb recht bald erscheinen.
Anhangsweise sei es mir gestattet, bei dieser Gelegenheit einen
dringenden Wunsch auszusprechen, den ich schon lange, zumal der so
Berliner Museumsverwaltung gegenüber, auf dem Herzen habe.
Wir brauchen für die orientalischen Sammlangen die Unterstützung
weiterer Kreise. Damit aber das Interesse in geeigneter Weise ge¬
weckt werde, dazu würden in allererster Linie knappe, verständlich
geschriebene Führer durch die einzelnen Museumsgebiete dienen, 35
die zudem illustriert sein müssen. Die ägyptische Abteilung hat
solch ein „Ausführliches Verzeichnis der ägyptischen Altertümer
und Gipsabgüsse' mit 83 Textabbildungen; aber der Preis von
3 Mk. ist für den Museumsbesucher zu hoch. Was aber soll der
Nichtfachmann mit den etwas abseits liegenden Kunstgebieten 40
machen, wenn er im Hauptfübrer nur zwei oder drei Seiten mit
ein paar allgemeinen Worten findet? Das Britische Museum bietet
in seinen für 1 s. käuflichen Guides gute Vorbilder. Übrigens
hat auch Sarre diesen Übelstand wohl schon empfunden ; denn er
läßt in seiner Sammlung zu dem angemessenen Preise von 1 Mk. 4.1
einen mit 15 z. T. farbigen Illustrationen und einer farbigen Tafel 3b*
ausgestatteten Sonder-Abdruck aus der Zeitschrift , Kunst und
Künstler' 1904 unter dem Titel „Persisch-arabische Kunst" ver¬
kaufen. Es ist sehr zu wünschen, daß auch unter den offiziellen
Publikationen bald solche Hefte erscheinen, die zu mäßigem Preise
5 zugleich dem Fachmanne eine Erinnerung an das Gesehene, dem
Fremdlinge aber eine gute Einführung in das Kunstgebiet gewähren,
aus dem ihm das Museum die besten Proben vorführen will.
Traugott Mann.
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Kleine Mitteilungen.
Note on the Ändhra king Candasäta. — The history
of the Ändhras has been discussed by Mr. Vincent Smitb in this
Journal for 1902 and 1903 and later on in his Early History of
India'' pages 194 seq. The last but one of the kings of the
dynasty is here given as Candra in accordance with the Visnu 5
Purana, and in his History (p. 202) the author remarks tbat "the
real existence of Candra Sri is attested by the discovery of a few
leaden coins bearing his name", referring the reader to bis Gata-
logue of the Coins in the Indian Museum, Calcutta (Oxford 1906,
p. 209). The coins here referred to are very well known. Mr. lo
E. Thomas {Indian Antiquary IX, 64) describes three copies, and
gives the legends as \rd]no Vasitho{fhi)putasa siri-Carndasatasa,
[raino siri-Camda, and rano siri-Carndasatasa, respectively. Sir
A. Cunningham {Coins of Ancient India, London 1891, p. 110,
PL XI, 13. 14) bas two copies. He reads the legends räjna Vasi- IB
ihiputasa siri- Vadasatasa and räjfia siri- Vadasa[tasa'\, respectively.
The Indian Museum in Calcutta possesses only one example which
Mr. Smith (1. c.) reads *ar[i] Gadasäta[kani'\. At the same time
he informs us that Professor Rapson in his unpublished British
Museum Catalogue of Ändhra coins points out that Cada and not 20
Vada is the proper form of the name. That this is so, is, I think,
evident from the published facsimiles. In Mr. Smith's Catalogue,
it is true , the reproduction of tbe Cada coin has been forgotten
in the plate. But the legends on the two coins illustrated by
Cunningham are clearly rafto V[ä\s[{'\fh[i\putasa s[i'\r[i'\-Cada- 25
satasa and [rd\iu) sir[i]-Cada respectively. As far as can
be made out from the coins, the proper form of the name of this
king is accordingly Cadasäta, and I am unable to see why Mr. Smith
prefers the form Candra. The forms of the name given in the
Puränas are not at all in favour of this supposition. Candra, it so
is true, occurs in the Visnu and Bhägavata Puräna, but the Matsya
has Canda and the Vayu Danda'), and this last form cannot well
be explained as a corruption of Candra. I, therefore, think that
Canda is the correct form of the word. Canda was of course a
1) I quote from Bhandarkar's note in Gazetteer of the Bombay Presi¬
dency, Vol.I, Part II, Bombay 1896, p. 1G4.
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