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Dieter Pohl

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Herfried Münkler, Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frank- furt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1992,250 S. (= Fischer-Ta- schenbücher, 10424), DM 19,90 [ISBN 3-596-10424-6]

Der Verfasser untersucht in seinem Buch die wirkungsmächtigen Begriffe und Bilder von Krieg und Frieden seit der Antike: bei Thukydides, Piaton und Aristophanes ebenso wie bei Clause- witz, Carl Schmitt und Mao Tse-Tung.

Dem einleitenden Teil folgen drei Grund- satzkapitel: »Der Partisan«, »Guerilla- krieg und Terrorismus« und »Schlacht- beschreibung der Kriegsberichterstat- tung« (vom 7jährigen Krieg bis zum Golf-Konflikt). Dieses Buch, das uns mit

»Denkbildern« von bewaffneter und friedlicher Konfliktaustragung und ihren Auswirkungen auf das politische Handeln vertraut macht, hat durch die gegenwärtigen Ereignisse in Ost- und Südosteuropa eine höchst aktuelle Be- deutung gewonnen.

Viele Konflikte, die lange, sei es durch die lastende Hand der sowjeti- schen Macht, sei es durch die Drohung, ein begrenzt angelegter Krieg werde zum atomaren Konflikt eskalieren, gleichsam eingefroren waren, sind jetzt wieder ans Tageslicht getreten: Klassi- sche Nationalitäten-Konflikte oder Aus- einandersetzungen um die Rechte eth- nischer Minderheiten, von denen die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts voll ist, ebenso wie Konflikte um Ressourcen bzw. die legi- time Form ihrer Aneignung. Zugleich erleben wir, daß parteipolitische Grup- pierungen um die sogenannte Frie- densbewegung, heute auf der Grund- lage der Erkenntnis, daß das Ende der Ost-West-Konfrontation kein Ende von Gewaltanwendung bedeutet, ihr Ver- hältnis zur Anwendung militärischer

Gewalt, Friedenssicherung oder Wie- derherstellung von friedensgesicherten Zuständen neu bedenken und definie- ren. Gründliche Behandlung erfährt die Figur des Partisanen, seine Entwicklung vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit und die völkerrechtlichen Probleme, die sich daraus ergeben. Im- mer wieder kehrt der Verfasser zu sei- nem Ausgangspunkt, Carl von Clause- witz, zurück, um darauf hinzuweisen, wie gründlich und auf welch hohem ab- strakten Niveau der General dieses The- ma behandelt hat.

Das Buch schließt mit einer Ab- handlung über die verschiedenen For- men der »Kriegsberichterstattung«, wo- bei der »Blick von oben« und der »Blick von unten« unter der Frage nach der Authentizität des jeweiligen Blickfeldes miteinander verglichen werden. Der Verfasser kommt dabei zu sehr interes- santen Ergebnissen, die deutlich ma- chen, daß die Darstellung eines mi- litärischen Konfliktes eben nicht nur aus der Perspektive des einen oder des an- deren geschildert werden kann.

Abschließend vertritt Münkler die Auffassung, daß der Krieg in die eu- ropäische Politik zurückkehrt und es deshalb notwendig ist, aus der Be- schäftigung mit dem Bild des Krieges in der Geschichte des politischen Den- kens Kriterien und Maßstäbe zu finden, derer wir heute dringend bedürfen.

Manfred Kehrig

Militärgeschichtliche Mitteilungen 55 (1996), S. 541-607 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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Matthias Peter, Hans-]ürgen Schrö- der, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte. Unter Mitar- beit von Markus M. Hugo [u.a.], Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1994, 346 S.

(= Uni-Taschenbücher UTB, 1742), DM 29,80 [ISBN 3-506- 99436-0]

Obwohl sich die Themenangebote aus dem Umkreis der Zeitgeschichte an den Universitäten gemeinhin großen Zu- spruchs erfreuen, mangelte es bisher an geeigneten Hilfsmitteln für den Studie- renden, der sich rasch und zuverlässig beispielsweise über methodische Fra- gen, über Forschungsstand und -kon- troversen, über die Literatur- und Ar- chivsituation in diesem Bereich infor- mieren wollte.

Matthias Peter und Hans-Jürgen Schröder haben diese Lücke in beein- druckender Weise schließen helfen. Mit ihrer Einführung in das Studium der Zeitgeschichte geben sie dem Leser ei- nen praktischen Leitfaden in die Hand, der ihn zunächst mit den grundlegen- den Aspekten von Begrifflichkeit und Periodisierung, von Aufgaben und Per- spektiven sowie methodischen Beson- derheiten dieses attraktiven For- schungszweiges vertraut macht. Eine konzise Darstellung bedeutender zeit- geschichtlicher Kontroversen (»Fischer- Kontroverse«, »Historikerstreit«, Präven- tivkriegsthese und Kontinuitätspro- blem) mit den wichtigsten Literatur- hinweisen bietet Orientierungshilfen für die Suche nach dem eigenen Stand- punkt in diesen publikumsträchtigen Streitfragen. Ein eigener Abschnitt be- faßt sich deutlich und kritisch mit der politisch-publizistischen Ins trumenta- lisierung der Zeitgeschichte (u.a. am Beispiel der Arbeiten von David Hog- gan oder David Irving): ein dankens- werter Beitrag, wenn er auch etwas un- glücklich mit »Psewdowissenschaftli-

cher Mißbrauch der Zeitgeschichte«

überschrieben wurde — denn wo bleibt dann der wissenschaftliche Miß- brauch<?

Knapp die restlichen zwei Drittel des Buches sind dem Umgang mit den Werkzeugen und den Forschungs- grundlagen des Zeitgeschichtlers ge- widmet. In praxisnahen Kapiteln wird der Interessierte in das Arbeiten etwa mit bibliographischen, biographischen, kalendarischen, politischen oder sprach- lichen Nachschlagewerken eingeführt.

Die Nutzung von Zeitungen und Zeit- schriften für zeitgeschichtliche Zwecke wird ebenso vorgestellt wie das Ange- bot an Quellen-Editionen und "Samm- lungen auf Papier, Film und Datenträ- gern. Literaturangaben zu Schwer- punktthemen aus dem Zeitraum seit 1918 — mit einem Übergewicht des Ab- schnitts bis 1963 — erleichtern den Ein- stieg in die jeweilige Aufgabenstellung.

Arg knapp gehalten ist die Auflistung von zeitgeschichtlich forschenden oder dokumentierenden deutschen Instituten im In- und Ausland; bei der Vorstellung wichtiger Archive hingegen werden auch ausländische Einrichtungen berücksichtigt, allerdings sehr summa- risch, was nur zum Teil durch die mit- gelieferten Hinweise auf weiterführen- de Literatur kompensiert wird.

Eine Einführung kann naturgemäß nur die ersten Schritte in das noch un- bekannte Terrain erleichtern. Dem be- reits etwas mehr Bewanderten wird im- mer die eine oder andere Information fehlen — so wird beispielsweise der mi- litärgeschichtlich Interessierte die Vor- stellung des Bundesarchivs-Militärar- chivs vermissen —, aber das schmälert den grundsätzlichen Wert dieses Ban- des nicht, der ohne Zweifel in die Rei- he solider, praxisorientierter Ein- führungen gehört, wie sie für andere Disziplinen historischer Forschung schon seit längerem vorliegen.

Arnim Lang

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The Oxford Illustrated History of the British Army. Ed. by David Chandler and Ian Beckett, Ox- ford, New York: Oxford Univer- sity Press 1994, XVII, 493 S., £ 25,- [ISBN 0-19-869178-5]

Der hier anzuzeigende Band versam- melt neben einer Einleitung der beiden Herausgeber, 20 eigenständige, chro- nologisch geordnete Aufsätze — sämt- lich verfaßt von erstklassigen Kennern des jeweiligen Themas und sämtlich den neuesten Forschungsstand aufwei- send. Zahlreiche Karten und hervorra- gende Farbabbildungen lockern das Buch auf, welches auch als durchgän- gige Gesamtgeschichte der britischen Armee vom Mittelalter bis ins 21. Jh. zu lesen ist (siehe dazu den Beitrag von Michael Yardley: Towards The Future, S. 435-452).

Besonders originell und informativ, natürlich auch einzeln zu lesen, sind die 42 themenbezogenen Spezialartikel, i.d.R. in Form von auf zwei Seiten an- gelegten »box-features«, auf die sich Gesamtherausgeber und die Verfasser der einzelnen Artikel geeinigt haben.

Sie behandeln Waffen und deren Ent- wicklung, einzelne Organisationen und Institutionen, wesentliche Personen als auch spezifische militärische Operatio- nen.

Hauptthemen sind, nach und neben dem Thema der Existenz eines re- gulären, stehenden Heeres seit 1689 bzw. dem Act of Union mit Schottland seit 1707, v.a. die folgenden (Introduc- tion, S. XV-XVII):

1. Angesichts der Tatsache, daß es auch vor diesen beiden Daten, welche hauptsächlich den Beginn der parla- mentarischen Kontrolle markieren, schon Militär in England gegeben hat, interessiert das Problem der Kontinuität besonders.

2. Im Rahmen dieser Problematik sticht das Thema der anti-militärischen

Tradition hervor (Ian Beckett, The Ama- teur Military Tradition, S. 402-416 — dort besonders für das 18. Jh. die »box- feature«: The Milittia Ballot, S. 404 f.).

Diese läßt sich ablesen am Milizsystem, an Klagen über zu geringe »archery practice« zur Zeit der ersten Elisabeth als auch an der relativen Interesselo- sigkeit gegenüber Verteidigungsfragen heute.

3. Stichworte für das Spannungs- verhältnis von Zivilisten und Militärs wären u.a. das Problem der Einquar- tierung der Mannschaften, das der re- gulären Wehrpflicht (mit Unterbre- chungen zwischen 1916 und 1963) —

»there was never any well-developed sense of a commitment to national mil- itary service« (S. XV f.), aber auch das jämmerliche Niveau der rekrutierten Mannschaften einerseits, das elitäre Ni- veau des Offizierkorps, aüch nach der Abschaffung der Käuflichkeit der Offi- zierstellen (»purchase«), andererseits — beide Phänomene gelten bis heute.

Denn die Mannschaften repräsentier- ten den Bodensatz, den Abschaum der Gesellschaft, verursacht aus nackter Not und Chancenlosigkeit: »The compul- sion of destitution« (S. XVI) — so etwa vergleichbare Zitate des Duke of Wel- lington aus dem frühen 19. Jh. und des Feldmarschalls Lord Nicholson aus dem Jahre 1911. Mit zunehmender Bürokratisierung von Staat und Gesell- schaft nahm dieses Spannungsverhält- nis zu, desgleichen der wachsende Kon- trollanspruch des Parlaments — wobei sich alte Befürchtungen vor polizeilich- diktatorischer Willkür in den Jahren des puritanischen Interregnums bestätigten und dort kulminierten (lan Roy: To- wards the Standing Army 1485-1660, S. 25-47). Resümeecharakter, anknüp- fend an Basil Liddell Harts gleichna- migen Klassiker von 1932, hat der Auf- satz von Hew Strachau: The British Way in Warfare. Dieser britische Weg habe maritime Wurzeln und die daraus fol-

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genden Aktiva der Mobilität und der Überraschung (S. 419, und passim; vgl.

auch die Arbeiten von Seeley und neu- erdings Paul M. Kennedy) — und dar- aus folge natürlich eine erhebliche Be- deutungsminderung des Heeres.

4. Dem gegenüber werde, angesichts ungewisser Bedrohungs- und Aufga- bensszenarien, die Rolle des Heeres der Zukunft steigen (siehe dazu den ge- nannten Beitrag von Yardley): »The Brit- ish Army of the future thus faces a great challenge. It must create structures and doctrines to cope with diverse threats in an unstable age which longs for peace but continues to fight wars« (S. 452).

Eine durchdachte, angemessene Chronologie und eine ebensolche Bi- bliographie runden dieses Standard- werk ab, welches in Zukunft Pflicht- lektüre für Lehrende wie für Studenten sein wird, die sich auch nur mit Teilas- pekten britischer Militär- und Heeres- geschichte beschäftigen.

Hans-Christoph Junge

The Oxford Illustrated History of the Royal Navy. General Editor: J.R.

Hill, Consultant Editor: Bryan Ranft, Oxford, New York: Ox- ford University Press 1995, XIV, 480 S., £ 25 [ISBN 0-19-211675-4]

Die Geschichte Englands ist ohne Be- zug zum Meer kaum vorstellbar. Die maritime Gebundenheit hat nicht allein die politisch-wirtschaftliche Entwick- lung der Insel entscheidend geprägt, sie ist auch gleichsam zur kulturell-psy- chischen Garnitur des Inselvolkes ge- worden. Die herausragende Bedeutimg, die der Rotte beim Aufstieg Englands zur weltweit führenden See- und Han- delsmacht zufiel, liegt somit auf der Hand und rechtfertigt zugleich die Aus- einandersetzung mit dem facettenrei- chen Thema.

Aus bescheidenen Anfängen unter Heinrich VIII. und Elisabeth I. ent- wickelte sich die Flotte zu einem be- eindruckenden Machtmittel der eu- ropäischen wie internationalen Politik, die im 18. und 19. Jahrhundert den Ze- nit ihrer globalen Operationsfähigkeit erreichen sollte. Mit den Siegen über ih- re Rivalen zur See (Spanien, Nieder- lande, Frankreich) in frühmodemer Zeit war der Grundstein für den Aufbau ei- nes großen überseeischen Imperiums gelegt. Dieses zu schützen bzw. zu er- weitern, den Handel und die Kommu- nikationswege zu sichern und gegneri- sche Flotten zu bekämpfen, war die Hauptaufgabe der Royal Navy, der größten Kriegsflotte der Welt, die den politischen Erfolg britischer Diploma- tie garantierte und dem Motto »Britan- nia rules the sea« bis in unser Jahrhun- dert hinein nachdrücklich Geltung ver- schaffte.

Die 14 Beiträge der »Illustrated Hi- story« beleuchten in anschaulicher Wei- se die Komplexität des Themas von der angelsächsischen Frühphase bis ins Nu- klearzeitalter, ohne jedoch den militäri- schen Aspekten Priorität einzuräumen.

So nehmen neben den notwendigen Hinweisen auf die technologische, stra- tegische und operative Entwicklung so- ziale, wirtschaftliche und administrati- ve Aspekte einen breiten Raum ein. Die Praxis der Rekrutierung und Ausbil- dung, das Leben an Bord sowie Armie- rung und Ausrüstung der Schiffe kom- men ebenso zur Sprache wie die tech- nischen Innovationen und die berühm- ten Seeschlachten — nicht zu vergessen die Legion der Admiräle, Politiker und Konstrukteure —, die den Ruf der Roy- al Navy begründet und gefestigt haben.

Angesichts der faszinierenden, dem Darstellungsobjekt durchweg sympa- thisch, jedoch nicht unkritisch begeg- nenden Präsentation bekannter und we- niger bekannter maritimer Aspekte fällt es dem Rezensenten schwer, »Schwach-

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stellen« habhaft zu werden, zumal ein ausgezeichneter Index das Aufspüren gewünschter Informationen erleichtert.

Daß das voluminöse Werk angesichts der schier erdrückenden Flut von In- formationen dennoch übersichtlich und lesbar in die Vielschichtigkeit mariti- men Lebens einführt, ist ein besonde- rer Vorzug der »Oxford Illustrated His- tory of the Royal Navy«, die man als kompetenten Ratgeber immer wieder gern zur Hand nimmt. Dazu tragen nicht zuletzt die gelungenen Abbil- dungen bei, die den Wert der Texte er- höhen.

Rolf-Harald Wippich

Gerold Walser, Studien zur Al- pengeschichte in antiker Zeit, Stuttgart: Steiner 1994, 138 S.

(= Historia, Einzelschriften, 86), DM 66,- [ISBN 3-515-06498-2]

Der Basler Althistoriker und Epigra- phiker Gerold Walser hat ein knappes Jahrzehnt nach seiner Meilenstein-Pu- blikation im Corpus Inscriptionum La- tinarum (17,2) eine Sammlung überar- beiteter Aufsätze als eine Art Begleit- band für den rätischen Teil vorgelegt.

Die Kapitel — die längsten: »Die mi- litärische Bedeutung der Alpen in der Antike« (S. 9-48); »Der Gang der Ro- manisierung in einigen Tälern der Zen- tralalpen« (S. 49-72) — fassen die Al- pen nicht als Bollwerk Italiens, sondern als eine von schwierigen Durch- und Ubergängen strukturierte und gepräg- te Region. Nicht Wegelagerei — die rö- mische Optik —, sondern Betreuung der Pässe und Passierenden (bis hin zu passierenden Heeren und deren logi- stischen Problemen) bildet eine grund- legende Einkommensquelle. Lokale Monopolrenditen werden durch die Vielzahl der Wege verhindert. So leuch- tet die zunächst überraschende Haupt-

these des Buches rasch ein: Es ist gera- de die Ruhigstellung der Region durch die römische Zentrale, die die Konzen- tration auf wenige, gut ausgebaute Ver- kehrswege fördert und die Vielfalt der vor- (und später nach-) römischen Zeit beschneidet. Da die Römer das gesam- te Alpengebiet allein als Durchgangs- gebiet sahen, nimmt es nicht wunder, daß die Romanisierung auf die großen Transittäler beschränkt blieb, am frühe- sten das an das augusteische Italien an- geschlossene Aosta-Tal, allmählich das Wallis mit dem Zentralort Martigny — allein hier gab es einen Aufstieg ein- zelner Familien in die spätantike Sena- torenschicht. Diesen Prozeß rekonstru- iert Walser durch detaillierte Inschrif- teninterpretationen vor allem in wirt- schaftlicher und sozialer Hinsicht; die Bau- und Nutzungsgeschichte der Paß- straßen (»Der Jupitertempel auf dem Großen St.-Bernhard«, S. 101-107), ist Antrieb wie Spiegel dieser Entwick- lungen. Ein solcher epigraphischer Schwerpunkt gibt Walsers Thesen die Quellengrundlage — und wird den Kreis der Leser auf Spezialisten und Lo- kalhistoriker beschränken.

Jörg Rüpke

Kelly DeVries, Medieval Military Technology, Peterborough, Ont., Lewiston, N.Y.: broadview press 1992, XI, 340 S., $ 15.95 Cdn./

$ 14.95 U.S. [ISBN 0-921149-74-3]

Der Autor begreift seine Darstellung über mittelalterliche Militärtechnologie als einen zusammenfassenden Über- blick über militärisch genutzte Techno- logie von etwa 750 bis 1500, wobei aber in jedem Abschnitt kurz auf die bis in die Antike zurückreichende Entwick- lung eingegangen wird. Der Band glie- dert sich in vier Abschnitte: Waffen und Rüstungen, worin die wichtigsten Waf-

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fen, wie Speer/Lanze, Axt, Dolche, Schwerter, Keulen und Streithämmer, Hellebarden, Schleudern, Bogen und Armbruste sowie die Streitrösser und die Entwicklung der sog. Schutzwaffen, wie Schilde, Panzer und Helm be- schrieben werden. Ein kurzes Zwi- schenkapitel über den Steigbügel und die dadurch erst möglich gewordene Schwere Reiterei (Lanzenreiter) und das mittelalterliche Feudalsystem beschlie- ßen diesen ersten Abschnitt.

Das Kapitel »Artillerie« ist zweige- teilt in eine Beschreibung von Wurfma- schinen und den Anfängen der Feuer- waffen. Als dritter Abschnitt folgt eine Darstellung des mittelalterlichen Befe- stigungswesens, das mit der Beschrei- bung frühmittelalterlicher Fortifikatio- nen, d.h. mit der militärischen Nutzung von erhaltenen Römerbauten, beginnt und dann mit der Darstellung der Mot- te (Erdbefestigungen im 9. Jh.), den stei- nernen Burgen und Stadtbefestigungen und befestigten Residenzen fortgeführt wird. Der letzte Teil behandelt den Kriegsschiffbau vom Wikingerschiff des 8. Jahrhunderts bis zu den Karracken und Galeonen des 15. Jahrhunderts.

Erstreckt sich der zeitliche Rahmen dieses Überblickes auf gut 750 Jahre, so wird hier die waffentechnische Ent- wicklung des gesamten europäischen Raumes von den britischen Inseln bis Italien und von Deutschland bis zur ibe- rischen Halbinsel behandelt. Dies mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Qualität auf 340 Seiten durchführen zu wollen, ist in der Tat ein Wagnis gewe- sen. Die Arbeit basiert, wie aus dem wissenschaftlichen Apparat ersichtlich, ausschließlich auf Literatur. Von den et- was mehr als 300 Autoren sind aller- dings nur 16 deutschsprachige Wissen- schaftler vertreten, deren Werke zu- meist in englischer Ubersetzung vorla- gen. Die Mehrzahl der verwendeten Literatur kommt aus dem angelsächsi- schen Sprachraum. Das erklärt eine von

dem Autor mehr oder weniger unbe- wußt vorgenommene Schwerpunktbil- d u n g auf englische Entwicklungen.

Zwar hat DeVries ausdrücklich darauf hingewiesen, auf eine Aufzeichnung von Gesetzmäßigkeiten zu verzichten, dennoch wäre ein kurzes Eingehen auf die technikgeschichtliche Systematik seines Stoffes sinnvoll gewesen. Die hier beschriebenen Hervorbringungen mit- telalterlicher Militärtechnik, vom Dolch bis zur kompletten Burganlage gehören in den Bereich der vorindustriellen Technik und w u r d e n alle als Unikate hergestellt. Daraus erklärt sich die un- gemeine Vielfalt und Verschiedenheit all dieser Artefakte, deren Ausführung im Detail aus einem sehr komplexen Zusammenspiel von technischen Fähig- keiten, rohstoffmäßigen Voraussetzun- gen, sozialen, wirtschaftlichen und auch taktischen Umwelteinflüssen bestimmt war.

Hinzu kommt, daß all diese Pro- dukte nach teilweise in langen Zeiträu- men entstandenem Erfährungswissen und nicht durch die rationale Anwen- d u n g naturwissenschaftlicher Kennt- nisse in handwerklicher Fertigung ent- standen sind. Diese Problematik wird hier nur stellenweise angerissen, wäh- rend der Autor sein Hauptgewicht auf die Beschreibung einzelner Produkte gelegt hat, die sich kaum für den ge- samten Zeitraum und den gesamteu- ropäischen Kulturraum des christlichen Mittelalters verallgemeinern lassen.

Militärtechnisches Gerät ist zu jeder Zeit ein weitgehend zweckgebundenes Instrument gewesen, das bestimmten taktischen Erfordernissen genügen mußte. Mittelalterliche Kriegstechnik ist nur vor dem Hintergrund des sozia- len, politischen u n d wirtschaftlichen Umfeldes zu verstehen. Die hierzu von DeVries abgegebene Beschreibung des mittelalterlichen Feudalsystems reicht als Erklärung für den o.g. Zeit- und Kul- turraum nicht aus. Hier wären zumin-

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dest Hinweise auf die unterschiedlichen Verhältnisse in den verschiedenen eu- ropäischen Regionen angebracht ge- wesen. Das Kapitel über das mittelal- terliche Befestigungswesen leidet ein- deutig daran, daß der Autor überwie- gend Anlagen auf den britischen Inseln beschrieben und die Vielfalt kontinen- taler Befestigungen nicht beachtet hat.

Am schwächsten ist das Abschlußka- pitel über die mittelalterliche Seekrieg- führung, das auf nur 30 Seiten die sehr facettenreiche Entwicklung aus dem Nordsee- und Mittelmeerraum be- schreibt, wobei schon aus Platzgründen die sehr differenzierten Ergebnisse zahl- reicher archäologischer Funde der letz- ten 20 Jahre kaum Berücksichtigung fin- den konnten.

Dennoch ist hier ein sehr kenntnis- reicher Überblick über die militärische Technologie des Mittelalters vorgelegt worden, der vor allem zur Einführung in diese sehr komplexe Materie hilfreich ist und an Hand der zahlreichen Lite- raturangaben durchaus Möglichkeiten zu vertiefenden Studien bietet.

Heinrich Walle

Karl-Friedrich Krieger, Die Habs- burger im Mittelalter. Von Ru- dolf I. bis Friedrich ΠΙ., Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1994, 267 S. (= Urban-Taschenbücher, 452), DM 30,- [ISBN 3-17-011867- 6]

Die Geschichte des Früh- und Hoch- mittelalters darzustellen, indem man sich an den jeweils regierenden Kö- nigshäusern orientiert, ist seit langem üblich. Der Kohlhammer-Verlag ver- sucht nun in seiner Reihe von Uber- blicksdarstellungen auch das deutsche Spätmittelalter in Büchern über die Kö- nigsgeschlechter abzuhandeln, nach- dem dort bereits seit einigen Jahren fünf

Bände über die Zeit bis 1250 vorliegen, von denen jeder eine der für das (spä- tere) Deutschland wichtigen Dynastien (Merowinger, Karolinger, Ottonen, Sa- lier, Staufer) behandelt. Wenn nun ein Band über die Habsburger die Reihe fortsetzt und andere über die Luxem- burger und die Hohenzollern folgen sollen, zeigt sich ein Problem dieser Darstellungsweise: In einer langen Pas- sage — in den 100 Jahren zwischen Fried- rich dem Schönen und Albrecht II., in denen die Habsburger nicht den König stellten — kann deutsche Geschichte nur mittelbar geschildert werden. Doch wiegen die Vorteile diesen Mangel auf, denn wenn auf diese Weise ein Königs- haus über 250 Jahre begleitet wird, er- gibt' sich ein interessantes und wirk- lichkeitsnahes Bild deutscher Politik im späten Mittelalter, das ja gerade we- sentlich auch von der Konkurrenz der Dynastien geprägt war.

Doch nicht nur in seiner Gesamt- konzeption, sondern auch in den ein- zelnen Details der Darstellung ist das Buch vollauf gelungen, vor allem weil der Autor es versteht, in seiner Dar- stellung Faktenreichtum und Lesbar- keit zu vereinigen. Hervorzuheben ist auch das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis; zudem enthält der Band eine Stammtafel und drei Karten, die zugleich informativ und übersicht- lich sind — gerade bei Büchern von recht kleinem Format ist das nicht im- mer so.

Immer wieder überzeugt das nüch- terne Urteil des Autors. Zum Beispiel schildert er die beiden Niederlagen, die die Habsburger 1315 am Morgarten und 1386 bei Sempach gegen die Eidgenos- sen hinnehmen mußten, nicht als An- fang vom Ende des Rittertums (wie es noch immer vorkommt), sondern schlichtweg als Folge von Überheblich- keit und Üngeschick (S. 119 f. und S. 151 f.). Überzeugend ist auch Krie- gers Bewertung Friedrichs III., die die

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neuesten Erkenntnisse berücksichtigt und so umsichtig formuliert ist, daß sie wohl auch noch in zehn Jahren nicht als veraltet anzusehen ist, obwohl gerade hier die Forschungslage am meisten in Bewegung ist.

Malte Prietzel

Georg Schmidt, Der Dreißigjähri- ge Krieg, München: Beck 1995, 116 S. (= Beck'sehe Reihe, 2005, Wissen), DM 14,80 [ISBN 3-406- 39005-6]

Der Dreißigjährige Krieg zählt zu den großen Themen der Neuzeit, bildet er doch die entscheidende Zäsur zwischen Reformation und Französischer Revo- lution. An voluminösen Abhandlungen, vielschichtigen Deutungsversuchen und detaillierten Spezialstudien fehlt es daher nicht. Um so erfreulicher ist es, daß nach den vielbeachteten kompri- mierten und kompetenten Kurzdar- stellungen von Schormann und Burk- hardt (Gerhard Schormann, Der Dreißig- jährige Krieg, Göttingen 1985; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992) von Schmidt eine nochmals auf einhundert Seiten einge- dampfte Gesamtdarstellung vorgelegt worden ist. Schmidt befaßt sich in seiner knappen Einleitung mit den wichtig- sten Forschungsthesen, geht im zwei- ten Kapitel (»Fluchtpunkt Krieg?«) auf die Kriegsursachen ein, beschreibt im dritten Abschnitt (»Integration durch Krieg?«) die Ereignisse von 1618 bis 1629, erläutert im vierten Kapitel (»Um Deutschland und Europa?«) die Aus- dehnung des Krieges durch Frankreich und Schweden in den Jahren 1630 bis 1643, um im fünften Teil (»Durch Krieg zum Frieden«) die Jahre 1643 bis 1648 zu beschreiben; die Kapitel sechs und sieben schließlich sind den Friedensbe- dingungen und der Kriegsmaschinerie

gewidmet. Es ist schon imponierend, wie souverän Schmidt eine derart kom- plexe Materie in den vom Verlag vor- gegebenen Umfang eingepaßt hat.

Natürlich müssen bei einem solchen Unternehmen zwangsläufig viele Be- reiche unberücksichtigt bleiben, insbe- sondere die wirtschaftlichen und so- zialen Aspekte geraten gegenüber der ereignisgeschichtlichen Darstellung und der reichsrechtlichen Komponente recht kurz. Auch hätte man sich eine weni- ger auf die nationale Ebene konzen- trierte Darstellung gewünscht. Doch soll dies den Wert des anschaulich und kenntnisreich geschriebenen Buches keinesfalls schmälern.

Ralf Pröve

Albrecht P. Luttenberger, Kurfür- sten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximi- lian II., Mainz: von Zabern 1994, IX, 488 S. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge- schichte Mainz, Abteilung Uni- versalgeschichte, 149/ Beiträge zur Sozial- und Verfassungsge- schichte des Alten Reiches, 12), DM 98,- [ISBN 3-8053-1405-1]

Lange Zeit wurde das 16. Jahrhundert von einer nationalen Geschichtsschrei- bung durchweg negativ, als Jahrhun- dert des Verfalls und Verlustes der Reichseinheit, bewertet. Zwar wurde diese extreme Sicht mittlerweile relati- viert, doch bleiben noch viele Fragen offen, insbesondere die erstaunliche po- litische Stabilität des Reiches in den Jah- ren 1555 bis 1580 bedarf der Klärung.

In seiner Mainzer Habilitationsschrift ist Luttenberger deshalb der Frage nachgegangen, welche vor- und über- konfessionellen Leitlinien und Vorstel- lungen den Gedanken der Reichsein-

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heit gespeist haben und wie die Inte- grationskraft der Reichsordnung neben den Bedingungen des kaiserlich-stän- dischen Dualismus und der konfessio- nellen Spaltung zu bestimmen ist.

Auf diese Weise sollen die jüngsten Forschungsergebnisse erhärtet werden, die für die Formen reichspolitischer Re- präsentation eine weitaus höhere Erfül- lung politischer Ordnungsfunktionen als bisher angenommen nachweisen und der Reichsverfassung statt Verfall und Erstarrung eher eine erstaunliche Elastizität zubilligen. Dazu hat Lutten- berger versucht, die Möglichkeiten in- haltlich tragfähiger Konsensbildung und die Einsatz- und Leistungsfähigkeit der politischen Ordnungs- und Führungs- instrumentarien auszuloten. Bewußt wendet er ein breites Beschreibungs- konzept an, begnügt sich nicht mit po- litischen Abläufen im engeren Sinne, sondern zieht auch Verhaltensnormen, Erwartungshorizonte und zeitgenössi- sche Perspektiven heran. Zur sinnvol- len Begrenzung der Studie konzentriert er sich auf das Kurkolleg selbst und des- sen Zusammenspiel mit dem Kaiser in Fragen von Friedenssicherung und Rechtssicherheit auf Kurfürsten-und Wahltagen und anderen Zusammen- künften. Der Untersuchungszeitraum setzt mit der Exekutionsordnung von 1555 ein, die einen wichtigen verfas- sungsgeschichtlichen Einschnitt be- deutet, und endet 1576 mit dem Tod Maximilians II.

- Luttenberger kommt zu dem Schluß, daß das Kurfürstenkolleg einen hohen Grad an »Verdichtung der poli- tischen Kommunikation« (S. 445) er- reichte und ein besonderes, vom inter- nen Konsenszwang getriebenes Kolle- gialbewußtsein entwickelte. Dennoch habe wegen der Spannung zwischen Anpassungsdruck und Kollegialbe- wußtsein bzw. infolge der Doppel- funktion als Wahrer ständischer Inter- essen und potentieller Partner kaiserli-

cher Politik stets die Gefahr einer »evo- lutionären Erosion« (S. 449) bestanden.

In religionsrechtlichen Kontroversen of- fenbarten sich zwar die besonderen Pro- bleme der Zeit, jedoch konnten auch hier Formelkompromisse gefunden und die kollegiale Geschlossenheit bewahrt werden, zumal »die überwiegende Mehrheit beider Konfessionsparteien die konsequente Polarisierung aus in- tegrationspolitischen Gründen scheu- te« (S. 451). Der Kaiser wiederum woll- te das Kurkolleg vor allem zur Klärung von Sachfragen und als Meinungsba- rometer einsetzen und war zu einer breiteren Kooperation bereit.

Letztlich habe sich gezeigt, daß auch in kritischen Situationen die kohäsiven, integrationspolitischen Kräfte des Reli- gionsfriedens und ein entwickeltes ge- meinsames Interesse der beteiligten Reichsorgane an der Stabilität des Rei- ches stark genug waren, um mäßigend einzuwirken und neue Kompromisse hervorzubringen.

Mit seiner imponierenden Arbeit wird Luttenberger die weitere Forschung zur Reichsverfassung und Reichspolitik des 16. Jahrhunderts nachhaltig beein- flussen.

Ralf Prove

Peter H. Wilson, War, State and So-

• ciety in Württemberg, 1677-1793, Cambridge: Cambridge Univer- sity Press 1995, XVII, 294 S.

(= Cambridge Studies in Early Modern History), £ 18.95 [ISBN 0-521-48331-X]

Die vornehmlich auf Beständen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart beruhende und nun wesentlich erweiterte Disser- tation von Peter H. Wilson beschäftigt sich mit dem Prozeß der frühmodemen Staatsbildung am Beispiel des Herzog- tums Württemberg. Die sattsam be-

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kannten Schlagworte vom Primat der Außen- oder Innenpolitik, über die Be- deutung von Finanz- und Militärappa- rat für den Aufbau des Absolutismus, den Dualismus von Fürst und Ständen, die Verschränkungen von Territorial-, Kreis- und Reichsebene sollen hier ein- mal am konkreten Einzelfall ausdiffe- renziert und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft werden.

Die ersten drei Kapitel sind den Grundzügen des Zeitalters gewidmet:

Wilson beleuchtet die allgemeinen Zie- le der fürstlichen Politik und ihre je- weilige Ausgestaltung unter den Be- dingungen der deutschen Kleinstaa- terei. Deutlich dominieren dynastische Interessen sowie der stete Zwang, er- reichte Positionen nicht nur zu bewah- ren, sondern nach Möglichkeit einen Zuwachs an Status und Territorium zu erzielen. Fragen gibt es genug: Welche Strategien werden angewandt und was für Ressourcen stehen überhaupt zur Verfügung, auf welchen verschlunge- nen Wegen werden Standeserhöhungen angestrebt, wie und mit welchen Ko- sten das Bild eines imposanten Staates in Szene gesetzt? Was bedeutet dies schließlich für die Beziehungen zwi- schen Fürst und Ständen? In das Zen- trum der Untersuchung rückt der von der aufgeklärten Kritik vehement an- geprangerte »Soldatenhandel«, der als besonders augenfälliger Ausdruck ab- solutistischen Gebarens ganz spezifi- sche Auswirkungen auf Gesellschaft und Innenpolitik zeitigte und zur Ab- hängigkeit von den Subsidien der Großmächte führte.

Alle diese mit großer Sachkenntnis und gutem Überblick über die wichtig- sten deutschen Territorien entwickelten Themenbereiche finden ihren Nieder- schlag im zweiten Teil des Buches, der nunmehr streng chronologisch die wechselreiche Politik der Herzöge und Regenten Württembergs in den Jahren 1677 bis 1793 behandelt. Gerade die De-

tailanalyse vermag die Chancen und vor allem die Grenzen fürstlicher Machtpolitik aufzuzeigen, die stets in die Strukturen des Alten Reiches ein- gebunden blieb und sich mit dem zähen Widerstand der Stände, d.h. der würt- tembergischen »Ehrbarkeit«, konfron- tiert sah. Die Modernisierung des Staa- tes erscheint dabei gleichsam als ein Ne- benprodukt der Tagespolitik. Auch hier war das Geld der Nerv aller Dinge.

Wollte der Fürst sich gegen vornehm- lich äußere Konkurrenten behaupten oder gar seine Stellung ausbauen, so be- durfte er des kulturellen Glanzes seines Hofes und eines stehenden Heeres, das ihn als Bündnispartner und Soldaten- lieferanten interessant machte. — Tatsächlich sprengten die Kosten für das Militär jeglichen Rahmen, weshalb oft genug Verlustgeschäfte getätigt wer- den mußten. Die württembergischen Herzöge vermochten es nicht, sich im Spannungsfeld zwischen Frankreich und Habsburg eine solide eigene Posi- tion aufzubauen. Waren sie doch ein wenig zu stark, um sich nur auf den Schutz des Reiches verlassen zu wollen, aber auch viel zu schwach, um eine Po- litik gegen das Reich durchsetzen zu können.

Die überzeugende Analyse solch komplexer Wechselbeziehungen und struktureller Zwänge macht Wilsons Studie zu einem wichtigen Baustein für das Verständnis absolutistischer Finanz- und Militärpolitik nicht nur in Würt- temberg, sondern im Alten Reich allge- mein. Ein angenehmer Begleiteffekt ist die Relativierung einiger liebgewonne- ner Stereotypen der württembergischen Landesgeschichtsschreibung.

Rainer Brüning

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James }. Sheehan, Der Ausklang des Alten Reiches. Deutschland seit dem Ende des Siebenjähri- gen Krieges bis zur gescheiter- ten Revolution 1763 bis 1850.

Berlin: Propyläen Verlag 1994, 660 S. (= Propyläen Geschichte Deutschlands, 6), DM 248,- [3- 549-05816-0]

Anzuzeigende Publikation ist der sech- ste Band der vielgelobten Propyläen Ge- schichte Deutschlands. Im Gegensatz zu den meisten anderen Handbüchern bzw. Überblicksdarstellungen, die den traditionellen, ereignisgeschichtlich be- gründeten Umbrüchen (1789,1806 oder 1815) folgen, begreift der von Sheehan geschriebene Band die >Sattelzeit< (Ko- selleck), jene etwa hundertjährige Pha- se des Ubergangs zwischen Frühmo- derne und Industrialisierung, als Epo- che genuinen Charakters. Die Stärke des Buches liegt denn auch vor allem in der Darstellung der langfristigen Ent- wicklungen und Umbrüche, die, wie- wohl durch die Ereignisse in Frankreich katalysiert, in ihrer Kontinuität nach wie vor unterschätzt werden.

Ausgiebig werden im ersten Drittel des Bandes Politik, Gesellschaft, Wirt- schaft und Kultur des 18. Jahrhunderts beschrieben, in einem knappen zweiten Drittel die Französische Revolution mit ihren Folgen und Nachwirkungen ge- schildert und schließlich im letzten Drit- tel die sozioökonomischen, kulturellen und politischen Veränderungen im Vor- märz thematisiert; eine »Nachbetrach- tung« ist der Revolution von 1848 ge- widmet. Das Buch ist anschaulich und gut geschrieben und mit einer Fülle von Tabellen, Graphiken, Karten und Ab- bildungen versehen. Natürlich können in einem solchen Werk nicht alle Aspek- te angemessen und ausführlich behan- delt werden. Aus der Sicht des Militär- historikers hätte man sich vor allem mehr Raum für die fundamentale Um-

wälzung des Militärwesens, für die so grundlegende Neuorientierung von Mi- litär, Staat und Gesellschaft gewünscht.

Ralf Prove

Richard S. Wortman, Scenarios of Power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Vol. 1: From Peter the Great to the Death of Nicholas I, Princeton, N.J.: Prince- ton University Press 1995, XIII, 469 S., $ 49,50 [ISBN 0-691-03484- 2]

Auf der Basis wenig beachteter Archiv- materialien, gedruckter Quellen und zeitgenössischer Periodika analysiert Wortman die Ausdrucksformen russi- scher monarchischer Herrschaft von Pe- ter dem Großen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Sein Buch bietet nicht nur für den Bereich der osteuropäischen Geschichte, sondern auch für den Mi- litärhistoriker zahlreiche Anregungen und neue Perspektiven. Der für Selbst- verständnis und Legitimation der rus- sischen Zaren zentrale Bereich des mi- litärischen und höfischen Zeremoniells wird eingebunden in eine Kulturge- schichte der Autokratie und damit zum Schlüssel für das Verständnis der ty- pisch russischen Ausprägung von Selbstherrschaft (samoderzavie). Die Arbeit wendet sich einem Bereich zu, der bislang von sowjetischen Histori- kern und deren westlichen Kollegen gleichermaßen vernachlässigt worden ist.

Wortman bindet das russische Ver- ständnis von Macht und Herrschaft zwar in einen gesamteuropäischen Kon- text ein, macht aber neben der Ausein- andersetzung russischer Zaren mit dem westlichen Absolutismus vor allem die starken Einflüsse byzantinischer und mongolischer Denk- und Glaubenstra- ditionen zum Ausgangspunkt seiner

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Darstellung. Ein durchgängiges Motiv bildet die Interaktion zwischen Herr- scher und Adel. Am Beispiel von Krö- nungsfeierlichkeiten und höfischen Ze- remonien wird deutlich, wie Rituale und Symbole die Bindung zwischen Adel und Monarch veränderten. Die Auseinandersetzung mit so unter- schiedlichen Herrscherpersönlichkeiten wie Peter dem Großen, Katharina II., Paul I. und Nikolaus I. spiegelt den Wandel des Selbstverständnisses von Autokratie wider.

In faszinierender Vielfalt vermittelt Wortman den Bedeutungsgehalt des Be- griffes »Rossija« als Bezeichnung für das russische Vielvölkerreich. Der Ver- fasser beschreibt Siegesfeiern, Prozes- sionen, Geburtstage, öffentliche Bauten, Denkmäler oder jene Symbole, welche die kaiserliche Familie zu einem Vor- bild und Identifikationspunkt stilisier- ten. Besondere Bedeutung kam in die- sem Zusammenhang dem Militärischen zu. Während der auch in Rußland ad- optierte Titel des römischen imperators in erster Linie den militärischen Führer bezeichnete, kommandierten die russi- schen Zaren nach Peter ihre Armee meist nur noch auf dem Paradefeld.

Dennoch dominierten militärische In- halte die Erziehimg der Thronfolger und generell die Auffassung von »Dienst«

am Staat. Äußerlich kam dies im zu- nehmenden Stellenwert gigantischer Militärparaden vor allem der in der Hauptstadt garnisonierenden Gardere- gimenter zum Ausdruck. In der bis zur Perfektion verfeinerten Kunst des For- maldienstes und den weitgehend auf Äußerlichkeiten gerichteten Inspizie- rungen der Armee durch Zar und Thronfolger manifestierte sich nach den Napoleonischen Kriegen der Anspruch Rußlands als europäische Ordnungs- macht und Trägerin einer orthodoxen Mission. Aber auch im Innern wirkte ein auf dem Exerzierplatz entstandenes Verständnis von Gehorsam und erhob

in Teilbereichen der Verwaltung rea- litätsferne Inszenierungen letztlich zu einem staatlichen Funktionsprinzip.

Formen und Bilder, in denen sich Macht manifestierte, konnten nach den Er- schütterungen der Revolution von 1848 nicht länger darüber hinwegtäuschen, daß die russische Monarchie zum Dia- log mit fortschrittlichen und kritischen Kräften weit weniger in der Lage war als Osterreich oder Preußen. Sie geriet dabei mehr und mehr in eine gesell- schaftliche Sackgasse.

»Scenarios of Power« ist ein ge- wichtiges Plädoyer für die Erschließung der russischen Geschichte mit Hilfe kul- turhistorischer Fragestellungen und ein gut lesbares Buch, das die Vielfalt und den Formenreichtum höfischer Insze- nierungen auf beeindruckende Weise vermittelt. Das Augenmerk Wortmans gilt den spezifischen Formen von Herr- schaft, Familie, Dynastie, Armee und einem abstrakten Staatsverständnis.

Wortman erliegt nicht der Versuchung, auf der Basis des ausgebreiteten Bil- derreichtums die Ausbildung von »Ge- sellschaft« in Rußland interpretieren zu wollen oder sich etwa auf die Diskus- sion bekannter Aspekte russischer Rückständigkeit einzulassen. Die stark biographisch ausgerichteten Kapitel über zentrale Herrscherpersönlichkei- ten sind auf der Höhe der Forschung.

Allerdings wird hier das methodische und darstellerische Problem deutlich, die Entwicklung von Staat und Gesell- schaft als Interpretationsrahmen quasi nebenbei vermitteln und hier mitunter zwangsläufig an der Oberfläche bleiben zu müssen. Zahlreiche Abbildungen, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein ausführliches Register runden den Text ab. Der Leser kann auf den Fortsetzungsband dieses prächtigen Bu- ches gespannt sein.

Bernhard Chiari

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Christian Lankes, München als Garnison im 19. Jahrhundert. Die Haupt- und Residenzstadt als Standort der Bayerischen Armee von Kurfürst Max IV. Joseph bis zur Jahrhundertwende, Berlin, Bonn, Herford: Mittler 1993, 680 S. (= Militärgeschichte und Wehrwissenschaften, 2), DM 98,- [ISBN 3-8132-0401-4]

Wolfgang Schmidt, Eine Stadt und ihr Militär. Regensburg als bayerische Garnisonsstadt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Regensburg: Mittelbayerische Druck- und Verlags-Gesellschaft 1993,338 S. (= Studien und Quel- len zur Geschichte Regensburg, 7), DM 38,- [ISBN 3-927529-52-4]

Thomas Bruder, Nürnberg als Bayerische Garnison von 1806 bis 1914. Städtebauliche, wirt- schaftliche und soziale Einflüs- se, Nürnberg: Korn und Berg 1992,576 S. (= Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg, 48), DM 65,- [ISBN 3-87432-119-3]

Militärgeschichte ist in weiten Zeiträu- men Garnisonsgeschichte. Gerade die beachtlich langen Friedenszeiten des 19. Jahrhunderts waren von Dienst und Leben in den Standorten geprägt.

Gleichwohl hat sich die Militärge- schichtsschreibung noch wenig mit den vielfältigen Aspekten des Dienstablau- fes und den Verbindungen zum öffent- lichen Leben beschäftigt. In den vorlie- genden geschichtswissenschaftlichen Dissertationen wird die Geschichte ein- zelner Garnisonen praktisch erstmals interdisziplinär strukturiert und detail- liert beschrieben.

Betrachtet man die Uberlieferung militärischer Archivalien, erstaunt es nicht, daß die Arbeiten über Bayern handeln und bis auf die Publikation von

Bruder auch an bayerischen Univer- sitäten erstellt wurden. Umfangreiche Bestände erhaltener Militärakten des ehemaligen Bayerischen Kriegsarchivs im Bayerischen Hauptstaatsarchiv bie- ten für tiefgehende Garnisonsforschun- gen ideale Voraussetzungen, die an- sonsten wohl nur noch in Sachsen an- zutreffen sein werden. Mit der Münch- ner Ausstellung »Bayern und seine Armee« wurde 1987 ein erster Schritt zur Vorstellung der Uberlieferungs- breite gemacht1. In lokalen Archiven hat die z.T. über 100jährige Benutzung von Garnisonseinrichtungen, dazu die Nut- zungsansprüche und Anderungswün- sche der Truppe, nur dann einen Nie- derschlag gefunden, wenn die einge- schränkte kommunale Zuständigkeit tangiert wurde.

Besondere Aufmerksamkeit kommt auch in den vorgelegten Dissertationen den militärfiskalischen Bauwerken zu.

Die Militärbauten sind Zeugnisse der Orts- und Landesgeschichte, mit der Gamisonsgeschichte verknüpft und so- mit geeignet, ein breiteres Betrach- tungsspektrum zu öffnen. Entspre- chenden Forschungsansätzen ist erst in jüngerer Zeit nachgegangen worden2.

Tatsächlich sind Kasernen als vie- lerorts anzutreffende bauliche Zeug- nisse der militärischen Vergangenheit erst im Zusammenhang mit der Kon- version stadtgeschichtlich und denk- malkundlich ins lokale Bewußtsein ge- treten. Dabei zeigen sich bei Untersu- chungen teilweise noch heute vertrau- te Problemfelder. Bis ins 20. Jahrhundert brachte die dauernde Unterbringung ei- ner homogenen sozialen Gruppe vor Ort teilweise große Probleme mit sich.

An zweckdienlichen Gebäuden man- gelte es in fast allen Garnisonen, was zu behelfsmäßigen Unterkunftslösungen führte.. Behinderungen des militäri- schen Dienstablaufes und der zivilen Infrastruktur durch permanente Bele- gung von Bürgerquartieren waren wohl

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unliebsam, noch schlimmer aber stand es allgemein um die hygienischen Be- dingungen. Ziel der kommunalen Gre- mien und der Armee waren darum seit Mitte des 18. Jahrhunderts funktions- gerechte Neubauten. In der ersten Hälf- te des 19. Jahrhunderts wurden dann in verstärktem Umfang optimierte Bau- formen ausgeführt. Waren anfangs Re- gimentskasemen üblich, die den ganzen Verband aufnehmen konnten, so ent- standen in der zweiten Jahrhundert- hälfte zunehmend »Mannschaftshäu- ser« für kleinere Einheiten, auf die Ba- taillonskaserne folgten Blocks für die Hälfte des Bataillons, dann auf die Dop- peleskadrongebäude diejenigen zur Un- terbringung von Kompaniestärke. Das Erscheinungsbild lehnte sich an die Ar- chitektur anderer öffentlicher Bauwer- ke an. Bereits beim stilistischen Ver- gleich von »Garnisonsanstalten« in den drei untersuchten bayerischen Stan- dorten München, Nürnberg und Re- gensburg fällt das breite gestalterische- rische Spektrum auf, das von mittelal- terlich stilisierter Bauweise über mono- lithische funktionale Backsteingebäude bis. hin zu Exponenten der Heimatbau- bewegung reicht. Alle drei Arbeiten las- sen das »lange Jahrhundert« spätestens mit dem Epochenwechsel 1914 enden, was die zivile Unvyvidmung vieler Ka- sernen nach dem Ersten Weltkrieg zur Linderung der reichsweiten Wohnungs- not ausspart.

Eingearbeitet sind die Entwicklung von »Offizierspeiseanstalten«, die Struktur der eigenständigen Militär- bauverwaltung und die kunsthand- werkliche Gestaltung von Kasernen. Al- le drei Arbeiten gehen methodisch ähn- lich vor. Dies gestattet den Lesern, die weniger an der Orts- als an der Lan- desgeschichte oder der Bau- wie Sozi- algeschichte des Militärs interessiert sind, selbst vergleichende Betrachtun- gen anzustellen. Der zeitliche Aus- gangspunkt eines bayerischen Militär-

systems in den drei Städten schwankt, wie die ersten Kapitel mit ihren Aus- führungen zum administrativen Um- bruch in den beiden ehemaligen Reichs- städten Nürnberg und Regensburg zei- gen. In separaten Kapiteln wird der lokale Stellenwert für die Landesver- teidigung, werden Einflüsse der Garni- son auf die städtebauliche Entwicklung, dies unter detaillierter Beschreibung sämtlicher Garnisonseinrichtungen, auf die Wirtschaft, worunter sowohl die re- glementierten Leistungen der Gemein- de wie die Nachfragen des Militärs zu verstehen sind, sowie auf das gesell- schaftliche Leben herausgearbeitet. Zu diesen sozialen Aspekten gehören die Unterkunfts- und Lebensverhältnisse in den Kasernen, Verpflegung, Krank- heitsvorsorge und Krankenpflege so- wie die offiziellen und privaten Kon- takte zwischen Bürgertum und Militär.

Durch akribische Darstellung gelingt es den Autoren, ein facettenreiches Bild von den komplexen Zusammenhängen städtischen Lebens unter Beteiligung ihrer Soldaten Zu vermitteln. Die Aus- stattung der Untersuchungen ist unter- schiedlich. Schmidt zeigt die Regens- burger Verhältnisse mit Hilfe von Gra- fiken, Bild- und Planreproduktionen. In Lankes voluminöses Werk sind separa- te Bildseiten eingefügt, vereinzelt gibt es auch Tabellen. Bruder hat anschauli- che Materialien, die insbesondere für das Orientierungsvermögen des Orts- fremdem notwendig sind, nur in einem sparsamen Anhang beigefügt. In der Registererstellung gibt es kleine Unter- schiede: Ein Orts- und Personenregister bietet Bruder, ein Orts- und Sachregi- ster beschließt Lankes' Werk und ein Personen-, Orts- und Sachregister er- schließt Schmidts Ausführungen.

Die Arbeiten leisten einen hilfrei- chen Beitrag zum Verständnis regiona- ler Bau- und Militärgeschichte.

Stephan Kaiser

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1 Rainer Braun, Bayern und seine Armee.

Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchives aus den Beständen des Kriegsarchives, München 1987 (= Ausstellungskataloge der Staatlichen Archivverwaltung Bayerns, Bd 27).

2 Eine Göttinger Interessengemeinschaft hat 1992 unter dem Titel »Die gestrenge Form« über die lokalen Militärgebäude publiziert; vgl. Besprechung in MGM, 52 (1992), S. 534 f. Auf der Basis älterer Veröffentlichungen hat ein Autorenteam im zeitlichen Zusammenhang mit dem Potsdamer Stadtjubiläum 1993 die Mi- litärbauten und militärischen Denkmäler behandelt; vgl. Besprechung in MGM, 53 (1994), S. 245 f. Im Begleitband zur Münchner Ausstellung »Bauen im Na- tionalsozialismus« ist 1993 die bislang umfangreichste Dokumentation von mi- litärischen Bauprojekten für eine Regi- on, hier Bayern während der Zeit 1933-1945, publiziert worden.

Eine von Martin Senekowitsch unter dem Titel »Militär und Großstadt« an der Wirt- schaftsuniversität Wien vorgelegte Di- plomarbeit (1990) zu den geographi- schen und wirtschaftlichen Aspekten im Wechselverhältnis von Militär und Groß- stadt in Wien behandelt auch die Ge- schichte der militärischen Einrichtun- gen.

Uwe Andrae, Die Rheinländer, die Revolution und der Krieg 1794-1798. Studie über das rhei- nische Erzstift Köln unter der Be- satzung durch die französischen Revolutionstruppen 1794-1798 im Spiegel von Petitionen, Essen:

Klartext 1994, 256 S. (= Düssel- dorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Ge- schichte Nordrhein-Westfalens, 37), DM 31,80 [ISBN 3-88474-185- 3]

Durch eine Analyse von 5086, aus der Zeit zwischen Oktober 1794 und Fe- bruar 1798 überlieferten, an die von der französischen Besatzungsmacht einge- setzten oder bestätigten deutschen Behörden gerichteten Petitionen will diese Düsseldorfer Dissertation die Re-

aktion und Position der Bevölkerung des seinerzeit von französischen Trup- pen besetzten linken Rheinufers nach- zeichnen, auch wenn »die Petitionen nicht uneingeschränkt die Hoffnung auf eine vollkommen gleichmäßige, breit gestreute Dokumentation der politi- schen Einstellung sämtlicher Bevölke- rungsschichten erfüllen« (S. 25). So er- fahren wir beispielsweise aus dem er- sten Kapitel, daß von den 5086 Petitio- nen sich 2576 und damit 56,6 Prozent mit direkten Kriegslasten auseinander- setzten, rund zwei Drittel davon von Petenten mit öffentlichen Funktionen eingereicht wurden und 683 Stadt und Amt Bonn betrafen. Von den restlichen 2310 Petitionen befaßten sich allein 1580 und damit 31,1 Prozent mit indirekten Kriegslasten wie ausstehenden Gehäl- tern und Leistungen (1210), Unterstüt- zung in Notlagen (200) oder Pacht- nachlaß (170). Außerdem ist ein steiler Anstieg der Petitionen nach dem Be- ginn der Besatzung ebenso zu konsta- tieren wie ein absoluter Höhepunkt im Februar 1795 und ein abrupter Abbruch im Juni 1796.

Ein Blick auf das teils traditionalen Usancen, teils revolutionären Parolen folgende und teils neutral gehaltene Pe- titionsformular zeigt beispielsweise,

»daß von April 1795 bis Juni 1796 deut- lich mehr als die Hälfte der Petenten die Benutzung eines revolutionären For- mulars für zweckmäßig hielt« (S. 60) und zwischen Juni 1797 und März 1798 im Zeichen einer möglichen Restaura- tion der alten Verhältnisse die Verwen- dung des herkömmlichen Formulars wieder opportun erschien. Während der Autor eine »Gleichgültigkeit der Be- völkerung gegenüber den Errungen- schaften der Französischen Revolution«

(S. 63) konstatiert und die durchaus spürbaren Krisenphänomene des And- en Regime möglicherweise unterbe- wertet, gelangt die »formal-quantitati- ve Auswertung der Petionen« zu dem

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Ergebnis, »daß das überkommene Ver- hältnis der Bevölkerung des linken Rheinufers zum Obrigkeitsstaat, an dem sie letztendlich formal festhielt, während der Besatzungszeit auf breiter Basis schwere Erschütterungen durch das revolutionäre Gedankengut zeigte.

Die revolutionäre Propaganda ging nicht wirkungslos an einer in dumpfem , Beharren befangenen Bevölkerung vor- bei« (S. 65).

Die folgenden Abschnitte widmen sich in teilweise reizvollen Moment- aufnahmen der Organisation, den Auf- gaben und Problemen der Verwaltung, dem Justizwesen und dem Verwal- tungspersonal, wobei übrigens In den untersuchten Petitionen kein Korrupti- onsvorwurf geäußert wurde, Beamte nur in Ausnahmefällen emigrierten und Loyalitätskonflikte zwischen der alten, traditionalen und der neuen revolu- tionären Herrschaft allenfalls bei der Auseinandersetzung mit der Cisrhena- nen-Bewegung und in der Frage des Treueeides für die Republik erkennbar wurden. Aber auch an diesem Punkt blieb die »Zahl der tatsächlichen Eid- verweigerer gering« (S. 144), die zudem auf »spätere Nachsicht der Franzosen«

(S. 144) hoffen durften.

Das vierte Kapitel über innere Si- cherheit und Ordnung zeichnet anhand der Petitionen auf diesem Sektor ein ziemlich desolates Panorama, das durch die Furcht vor Räuberbanden, Forstfre- vel, Defizite im Justizvollzug, Konzep- tionslosigkeit und insbesondere die ökonomische Ausbeutung des Besat- zungsgebietes gekennzeichnet blieb.

Nach dem Blick auf die Kriegslasten — die französischen Truppen ernährten sich durch Requisitionen im Besat- zungsgebiet, und die Einquartierungen waren für die Bevölkerung am unmit- telbarsten zu spüren — unterstreicht der Autor abschließend die vielschichtige politische Position der Bevölkerung.

Demnach war »die für 1797 offenbar

werdende überwiegend konservative Einstellung der Bevölkerung nicht als tiefverwurzelte konservative Mentalität an und für sich Ursache des Scheiterns aller Bemühungen um eine Revolutio- nierung, sie war vielmehr Folge und Ergebnis der unverändert hohen Kriegslasten, die vor allen Dingen als Ursache für das Scheitern aller Bemühungen um Revolutionierung verantwortlich gemacht werden müs- sen« (S. 232). Dennoch ist auch eine ka- talysatorische Wirkung der Französi- schen Revolution nicht zu verkennen, die die »politische Einstellung der rhei- nischen Bevölkerung [...] weiterent- wickelt« und letztlich »das breite Feld für differenziertere liberal-konservati- ve und liberal-demokratische Einstel- lungen vorbereitet« (S. 236) hat.

Wolfgang Müller

Otto von Bismarck. Person — Po- litik — Mythos. Hrsg. von Jost Dülffer und Hans Hübner in Ver- bindung mit Konrad Breitenbom und Jürgen Laubner, Berlin:

Akademie-Verlag 1993, 295 S., DM 64,- [ISBN 3-05-002213-2]

Die Tagung, auf die dieser Band zurückgeht, war noch aus Anlaß des 175. Geburtstages des »Eisernen Kanz- lers« und des 100. Jahrestages seiner Entlassung von der inzwischen aufge- lösten Historikergesellschaft der DDR initiiert worden. Sie fand dann unter völlig veränderten Umständen als west- ostdeutsche Koproduktion im Mai 1990 in Wernigerode statt, wodurch der Band selbst zum Zeugnis einer Umbruchzeit geworden ist. Um es vorwegzunehmen, in letzterem ist wohl sein hauptsächli- cher Wert zu sehen.

Denn im Hinblick auf die eigentli- che Bismarck-Forschung wird hier we- nig Neues geboten, was nicht nur dar-

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an liegen dürfte, daß ihre Spitzen auf westlicher Seite, insbesondere die führenden Bismarck-Biographen, an- scheinend nicht daran beteiligt waren.

Schwerer wiegt, daß es offensichtlich — sicherlich angesichts der waltenden Umstände verständlich — keine leiten- de Fragestellung(en) für die Tagung und somit den Band gegeben hat, ab- sehbar bereits an dem reichlich un- deutlichen Untertitel, der zudem eher in die Irre führt. Denn im Kern geht es um drei Themenkreise, die zum Teil nur mittelbar mit der Politik und häufig gar nichts mit der Person des Reichsgrün- ders zu tun haben (vgl. die Einleitung, S. 10 f.): a) um »die Zeitspanne verant- wortlichen politischen Wirkens Otto von Bismarcks (1862-1890)«, b) um »das Nachwirken, die Entwicklung eines Bis- marck-Bildes unmittelbar seit seinem Abgang« und c) um die »regionale Be- deutung und Aufnahme« Bismarcks in Sachsen-Anhalt. Von diesen dreien wie- derum wird der erste Aspekt am brei- testen abgehandelt: 14 der insgesamt 21 Beiträge sind ihm zuzuordnen gegen- über fünf bzw. zwei, die in die Rubriken b) und c) fallen. Militärgeschichtliche Aspekte werden nicht erörtert. Eine er- kleckliche Anzahl der Aufsätze ist übri- gens bereits anderweitig veröffentlicht worden.

Wenn oben darauf hingewiesen wurde, daß der Untertitel den Inhalt nicht ganz trifft, so läßt sich das am be- sten an den Untersuchungen zum Zeit- alter Bismarcks, also des ersten The- menkreises, darlegen. Sicherlich ist eine Reihe von ihnen auch der Person Bis- marck und seiner Politik gewidmet, et- wa der Beitrag von Hartwin Spenkuch zu

»Bismarck und das preußische Herren- haus« oder Jost Diilffers interessante Ab- handlung zu »Bismarck und das Pro- blem des europäischen Friedens«. Doch mitunter stehen sie nur indirekt — so bei Gerd Fesser, der über »Bülow und der Sturz Bismarcks« schreibt — oder

auch gar nicht mit Bismarck in Verbin- dung. Dies trifft beispielsweise auf Det- lev Zimmers Portrait von drei »mittel- deutschen Agrarunternehmern« als

»Zeitgenossen Otto von Bismarcks« zu.

Damit ist nichts über die — sehr unter- schiedliche — Qualität der Beiträge ge- sagt, unter denen sicherlich WolfD. Gru- ners Aufsatz über die Politik der süd- deutschen Staaten zwischen 1866 und 1870 herausragt, auch wenn man sei- nen Ansatz zu einer »>Förderalisierung<

der deutschen Geschichte« (S. 60) nicht teilt. Aber der Beitrag zur Bismarck-For- schung im engeren Sinne hält sich, et- wa im Vergleich mit dem fast gleich- zeitig erschienenen Sammelband von Johannes Kunisch, in Grenzen (Bismarck und seine Zeit, Berlin 1992; vgl. die Re- zension von James Stone, in: MGM, 52 (1993), S. 465^67).

Interessanter in dieser Hinsicht er- scheinen die Beiträge über das Nachle- ben des ersten Reichskanzlers. Unter diesen ist einerseits die Abhandlung von Gustav Seeber über die publizisti- schen Reaktionen auf das Erscheinen von Bismarcks Erinnerungswerk und andererseits Lothar Machtans Analyse der beiden Bismarck-Filme von 1925 und 1940 hervorzuheben, bei der die positive Wertung von Wolfgang Lie- beneiners Bismarck-Film auffällt.

Hinsichtlich der Würdigung Bis- marcks schließlich fällt auf, daß die Be- wertung durch die ostdeutsche Ge- schichtswissenschaft und gerade durch deren führende Vertreter wie Heinz Wol- ter, Gustav Seeber und Konrad Canis hier häufig positiver ist als auf westdeut- scher Seite. Erkennbar ist das Bemühen ehemals marxistisch orientierter Histo- riker, eine neue Position zu Bismarck zu bekommen, die über die verhaltene Neubewertung im Zuge der »Erbe und Traditions«-Diskussion während der 80er Jahre hinausgeht. Dieser Versuch ist allerdings, wie wir heute mit Blick auf die Entwicklung der Geschichts-

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Wissenschaft in den neuen Bundeslän- dern wissen, zu spät gekommen und von den Ereignissen überrollt worden.

Insofern ist dieser Tagungsband selbst ein historisches Dokument und hat nicht nur, aber auch von daher seine Be- deutung für die Forschung.

Jürgen Frölich

Bascom Barry Hayes, Bismarck and Mitteleuropa, London, Toronto:

Associated University Presses 1994, 623 S., £ 50 [ISBN 0-8386- 3512-1]

Ein Buchtitel, der den »Urpreußen und Reichsgründer« Bismarck mit dem Schlagwort »Mitteleuropa« in Verbin- dung setzt, erweckt schon Neugierde.

Bascom Barry Hayes, Geschichtspro- fessor an der Sam Houston State Uni- versity, vertritt in seinem »Lebenswerk«

— über dreißig Jahre hat er nach eige- nen Angaben daran gearbeitet und ge- forscht — durchgehend die These, daß es Otto von Bismarck stets und vor al- lem um die Verwirklichimg einer »Mit- teleuropa«-Konzeption gegangen sei:

sein kontinuierlich verfolgtes Ziel sei ein föderatives, multiethnisches »Mit- teleuropa« gewesen.

Nach einem »Rundümschlag« gegen die kleindeutsch-borussisch geprägten Tendenzen deutscher Geschichtswis- senschaft ist der Großteil der Studie den Jahren von 1862 bis 1871 und von 1871 bis 1892 gewidmet, der Rest entfällt auf die Zeit bis 1898. Hayes untersucht und schildert zum einen die Politik Bis- marcks und erörtert zum anderen die von zahlreichen Zeitgenossen entwickelten

»Mitteleuropa«-Ideen. Dabei gelangt er durchaus zu interessanten und anre- genden Thesen und Ergebnissen. So wird etwa erneut klar, daß Bismarck bis zum Ausbruch des preußisch-öster- reichischen Krieges 1866 den Gedanken

eines Arrangements mit Österreich zur Lösung der Deutschen Frage im duali- stischen Sinne in Erwägung zog. Dies ist allerdings schon in der wichtigen Studie von Andreas Kaernbach (1990), die Hayes nicht mehr zur Kenntnis nahm, nachzulesen. Anders als Hayes haben Kaernbach und zuletzt Eberhard Kolb (1992) die Bedingungen einer sol- chen Verständigung, vor allem die gleichberechtigte Anerkennung der Großmacht Preußen durch die Habs- burgermonarchie und die Abgrenzung einer preußischen und österreichischen Macht- und Einflußsphäre in Deutsch- land, schärfer herausgearbeitet. Hayes bemüht sich zu zeigen, daß Bismarck auch in den Jahren nach 1866 sowie nach der Reichsgründung 1871 und auch nach seiner Entlassung noch an seiner »Mitteleuropa«-Konzeption fest- gehalten habe. Doch habe er sie nicht umsetzen können, vielfach gehindert von der preußischen Elite, von klein- deutsch-liberalen und auch von öster- reichischen und magyarischen Kräften:

eine Geschichte der Mißerfolge also. Le- diglich der Zweibund zwischen dem Deutschen Reich und Osterreich-Un- garn von 1879, der zumindest als ein dauerhaftes Bündnis einige Elemente dieser »Mitteleuropa«-Vorstellung um- gesetzt habe, erscheint in dieser Linie gleichsam als ein Maximum dessen, was Bismarck erreichen konnte.

Man vermißt zunächst eine klare und eindeutige Definition dessen, was Hayes nun genau unter »Mitteleuropa«

verstehen will — angesichts dieses

»schwammigen Begriffs« (Hans Hecker) ein zugegeben schwieriges Unterfangen.

Doch auch Hayes' Ausführungen über Bismarck und »Mitteleuropa« bleiben eher vage und unbestimmt und können letztlich nicht recht überzeugen. Weder vermag er zu zeigen, was denn Bis- marck genau unter »Mitteleuropa« ver- standen haben könnte, noch wie denn die multiethnische »Mitteleuropa«-Kon-

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zeption des »Reichsgründers« eigent- lich aussah, da er sich leider weitgehend auf Formulierungen wie »Bismarck would try throughout his career to build an integrated Mitteleuropa« (S. 136), »a lasting gesamtdeutsch-mitteleuropäisch settlement« (S. 168) oder »the organic structuring of Mitteleuropa« (S. 364) be- schränkt.

Dies wirft die Frage auf, ob das von Hayes gezeichnete Bild Bismarcks als

»multiethnic system-builder« (S. 54) — die Studie versteht sich auch als revisio- nistische Biographie — durch eine Uber- betonung des »Mitteleuropa«-Gedan- kens nicht überzeichnet ist. Bismarcks Denken in machtpolitischen Alternati- ven, vor allem aber sein Denken von der europäischen Großmacht Preußen (und später vom Deutschen Reich) her, von ihrer Rolle und ihrer Position im eu- ropäischen Staatensystem her, wurde von der bisherigen Forschung jedenfalls (es sei nur auf die Arbeiten von Lothar Gall, Eberhard Kolb, Klaus Hildebrand, Andreas Hillgruber und Otto Pflanze verwiesen) überzeügender hervorge- hoben. Diese Aspekte der bismarck- schen Politik werden bei Hayes ver- nachlässigt. Sie treten eindeutig zu sehr zugunsten einer angeblich konsequent verfolgten »Mitteleuropa«-Konzeption zurück, die wiederum kaum greifbar wird, ja fast als Selbstzweck erscheint.

Bismarcks anhaltende Bereitschaft zu einem Ausgleich mit Österreich-Ungarn wird gleichsam überdeutlich hervorge- hoben.

Hayes' Studie basiert auf einer brei- ten Palette älterer und neuerer For- schungsliteratur sowie auf Recherchen in Archiven in Deutschland und Oster- reich. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß seine Studie als Beitrag zur Geschichte der Deutschen Frage und der preußisch- österreichischen bzw. der deutsch-öster- reichischen Beziehungen und der Be- ziehungen zu den kleineren deutschen Staaten durchaus Anregungen zu ge-

ben vermag, zumal er die Entwicklung der Habsburgermonarchie stets im Blick behält. Zudem lenkt er die Aufmerk- samkeit auf einen wichtigen Bereich der bismarckschen Politik, unter angemes- sener Berücksichtigung innenpolitischer Entwicklungen, indem er auch seine Be- schäftigung mit einem ökonomischen

»Mitteleuropa« hervortreten läßt. Eine stärkere Beachtung der Rahmenbedin- gungen der internationalen Politik und des Staatensystems wäre hingegen wünschenswert gewesen. In seinem Be- streben, die kleindeutsch-borussische Patina vom Bild Bismarcks zu lösen, schießt Hayes jedoch weit über das an sich berechtigte Ziel hinaus. Seine Idee, daß es Bismarck in erster Linie um die Verwirklichung einer »Mitteleuropa«- Konzeption ging, wird man ihm wohl kaum ganz abnehmen.

Stefan Wunsch

Friedrich Weckerlein, Streitfall Deutschland. Die britische Linke und die >Demokratisierung< des Deutschen Reiches, 1900-1918, Göttingen, Zürich: Vandenhoeck

& Ruprecht 1994, 451 S. (= Ver- öffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 34), DM 124,- [3-525-36319-2]

Die hier vorzustellende Studie, die auf einer bereits 1988 in München einge- reichten Dissertation beruht, bietet zu- gleich mehr und weniger als der Titel verspricht. Die breit angelegte Darstel- lung der überaus komplizierten Ge- schichte der Labour Party und der ihr affiliierten Organisationen im frühen zwanzigsten Jahrhundert geht weit über das hinaus, was der Titel andeu- tet; die deutschlandpolitischen Vorstel- lungen der britischen Linken stehen al- lerdings erst in den letzten drei von ins- gesamt zehn Kapiteln, die die Jahre

(20)

1917/18 behandeln, zentral im Mittel- punkt.

In den beiden ersten Kapiteln wer- den die Grundlagen, d.h. die wichtig- sten Strömungen der britischen Linken, deren außen- und deutschlandpoliti- sches Denken sowie das Verhältnis von Labour und der Internationale, von La- bour und den Gewerkschaften sowie schließlich von Labour und Labour Par- ty beschrieben. Aus dieser Aufzählung ist bereits ersichtlich, daß der Verfasser unter Labour die ganze Spannweite der britischen Arbeiterbewegung versteht, die nicht allein auf die Labour Party zu reduzieren ist. In ihren frühen Jahren stellte die Labour Party kaum mehr als nur eine Art Föderation dar, unter deren Dach die einzelnen, älteren Organisa- tionen fortexistierten. Die wichtigsten dieser Organisationen waren: die Inde- pendent Labour Party (ILP), die Fabian Society und die Social Democratic Fed- eration. Stichwortartig beschrieben, gab sich die ILP nicht marxistisch, aber sozialistisch, im Vergleich zur übrigen Arbeiterbewegung sehr internationali- stisch, bis zum Kriegsausbruch die eng- lische Vertretung in der Internationalen dominierend, dabei in der Tradition des bürgerlichen Pazifismus stehend; auf- grund der Ablehnung des Flotten- wettrüstens besaß sie ein fast übertrie- ben positives Deutschlandbild, in dem die Bedeutung der SPD und ihrer Wahl- erfolge überbewertet wurden und pflegte gute, aufgrund des deutschen Dogmatismus aber nicht spannungs- freie Beziehungen zur SPD; ihre wich- tigsten Repräsentanten waren: Keir Hardie und Ramsay MacDonald. Die Fabian Society dagegen war graduali- stisch und staatssozialistisch eingestellt und bildete die intellektuelle »Speer- spitze« der Arbeiterbewegung; außen- politisch war sie nicht engagiert, am ehestens stand sie für eine graduelle Uberführung bestehender internatio- naler Organisationen wie dem British

Empire in demokratische Formen;

Deutschland gegenüber zeigte sie sich indifferent; G.B. Shaw, Beatrice und Sid- ney Webb gehörten zu ihren ersten Re- präsentanten. Die Social Democratic Fed- eration war »anglo-marxistisch«, d.h.

klassenkämpferisch, dabei aber eher evolutionär als revolutionär und in ständiger Fehde mit Marx, Engels, Kau- tsky liegend; zwar gab sie sich interna- tionalistisch, aber eher anti-autokratisch mit dem englischen Proletariat als de- mokratischer Avantgarde; insofern sehr negatives Deutschland-Bild, da sowohl das autokratische Regierungssystem als auch der »teutonische« Sozialismus ab- gelehnt wurden; H.M. Hyndman gehör- te zu ihren Führern. Waren die bisher kurz beschriebenen Parteien — zumin- dest die meiste Zeit — Teil der Labour Party, so bildeten die revolutionären, anti-militaristischen Socialist Labour Par- ty und Socialist Party of Great Britain ei- ne linksradikale, zum Teil syndikalisti- sche Alternative zur Labour Party. Als letzter Teil des Spektrums der britischen Linken ist schließlich der nationale So- zialismus zu nennen, der sich weniger parteipolitisch als um das einflußreiche, von Robert Blatchford herausgegebene publizistische Organ, den »Clarion«, sammelte. Blatchfords ideologisches Konglomerat war insbesondere durch eine prononcierte Germanophobie ge- kennzeichnet, die ihn kaum mehr vom rechten Jingoismus unterscheidbar machte.

In den folgenden Kapiteln zeichnet der Verfasser die unter dem Einfluß des Ersten Weltkriegs einsetzende Lager- bildung innerhalb der britischen Ar- beiterbewegung nach, die der deut- schen ähnelte. Das gemäßigte »Anti- war«-Lager, das im wesentlichen die ILP und die in der Union of Democratic Control (UDC) organisierten bürgerli- chen, intellektuellen Pazifisten umfaß- te, entsprach etwa der SPD-Minderheit um Bernstein und Hugo Haase in

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