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Für eine kommunikationsprozeß-orientierte Argumentationsanalyse

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Marco Rühl

, Abstract

*i In the present paper, I argue that much can be gained for the analysis of the communicative process of arguing when instead of assuming an inferential premise(s)-conclusion complex

; close attention is paid to the arguers' discourse-organizing moves. Fur purposes of devising a data-driven method for the reconstruction of the process of arguing, I show that this traditional view- transfer of the acceptability of premises onto the conclusion-is not mistaken as a theoretical concept yet is incapable of accounting consistently for a number of phenomena that have to do with the interactive dynamics of the process of arguing.

Therefore, I do not interpret conversational arguing as the rendering plausible of an as yet non-plausible conclusion. I interpret it, rather, as an interactive effort the arguers engage in in order for them to match, or harmonize, their perspectives on the discussed subject to such an extent as to prevent diverging perspectives from having fatal consequences for the interaction. I take an interactor's pointing out that s/he is of a different opinion to be a display of his/her setting his/her perspective on the topic. Connectors such as but, however, therefore, etc. are interpreted as the linguistic reflexes of this perspective setting, which link subsequent utterances in an argumentatively relevant way to preceding utterances. Thus,

^4J more often than not, conversational arguing is oot an "all-or-nothing affair" of accepting

f i!or rejecting a contested position completely but an ongoing dialogue proceeding by hypothesizing, specifying, paraphrasing, vaguifying, and generalizing steps.

l Dank: Bei seiner Ersteinreichung umfaßte der vorliegende Beitrag mit einer kurzen Einleitung nur die Diskussion einiger in argumentativen Gesprächen auftretenden interaktiven Dynamiken. Er wurde als interessant, aber an einigen Steilen für der Überarbeitung und Ergänzung dringend bedürftig erachtet Am Ende der Überarbeitung waren Abschnitte 0 bis 3 so beträchtlich erweitert, daß den ursprünglich eingereichten' Analysen eine theoretisch-methodische Diskussion voransteht. Da dies seine Zeit brauchte, bin ich der Redaktion der Zeitschrift für Sprachwissenschafi<fUT ihre Geduld dankbar. Vor allem aber bin ich den von der Redaktion bestellten anonymen Gutachtern zu Dank verpflichtet. Denn sollten die eingearbeiteten Erweiterungen für die betroffenen Disziplinen von Interesse sein, so ist dies z.T. auch ihr Verdienst Die Hinweise und Nachfragen, die in ihren Gutachten Niederschlag gefunden haben, erwiesen sich mehrfach als vielversprechende Fluchtlinien für diesen ersten Teil des Beitrages, wenngleich die Verantwortung für alle Interpretationen, einschließlich eventueller Fehlinterpretationen, natürlich mich trifft.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 18.1 (1999), 3-38

© Vandef&oeck & Ruprecht, 1999 ISSN 0721-9067

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4 Marco Ruhl

0. Aufgabenverteilung zwischen Argumentationsanalyse und Argumentationstheorie

Die Argumentationstheorie und -analyse hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine Pragmatisierung aufzuweisen,2 welche in erster Linie darin besteht, daß die Logik nicht mehr denselben hohen Stellenwert hat, den sie zuvor in Theorien des Argumentierens hatte. Doch bedienen sich die Mehrzahl der gegenwärtigen Theorieansätze weiterhin einer „Soft-Logik".3 Diese „Soft-Logik" heißt seit der Topik und den Analytiken des Aristoteles Dialektik. Charakteristikum des dialektischen Herangehens ist die Annahme einer Rechtfertigungs- oder Widerlegungsprozedur, die zwar nicht (extensionalen) Schlußprinzipien ge- horcht, aber dennoch relativ reglementiert ist. Mit der Annahme einer solchen Prozedur geht i.d.R. ein Splitting der argumentativen Interaktion in zwei nach ihrer Funktion definierte Teile einher. Das eine ist ein Streitpunkt, der argumentativ gerechtfertigt oder widerlegt werden soll. Das andere ist die eigentliche, dazu verwendete argumentative Prozedur. Einer der international einflußreichsten neueren Ansätze geht gerade so vor: die von Frans van Eemeren und Rob Grootendorst entwickelte Pragma-Dialektik.4 Am Beispiel der

2 Das Spektrum reicht weit: Einerseits gibt es normative Ansätze, die den Deduktivis*

mus und extensionalen Propositionalismus der Formallogik beibehalten, Jhn aber

^dialogisch wenden; bspw. die Formale Dialektik von Eise M. Barth und Erik C- W. Krabbe (1982). Andererseits entstehen antinormative Theorien, die aUe ijiteraktionsexternen Bewertungsstandards ablehnen und in Argumentieren v,a. einen Mechanismus des Vollzugs der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen sehen; z.B. Charles A, Willards (1983) Soziale Epistemik.

3 Dieser - vielleicht unglückliche - Terminus besagt, daß auch in neuere Arbeiten Argumentieren darin gesehen wird, durch geeignete Argumente (öder Prämissen) ein Strittiges (oder Konklusion) dank einer zwingenden Schlußfolgerungsbeziehung weitge*

head kontextfrei zu stützen. Folglich halten sie am Bild eines Prämisse(n)/Konklusioas- Komplexes fest ujid wenden sich alltäglicheren Konzepten davon zu, was eine solche Folgerungsbeziehung zwingend macht. Damit geschieht auch ein solches Herangehen auf der Basis der Logik, benötigt allerdings zum konsistenten Funktionieren keine geschlosse- nen semantischen Systeme. Am deutlichsten ist dies bei den Arbeiten der sog. Informal Logic (grundlegende programmatische Arbeiten in Blair & Johnson (eds) (1980));

Hitchcock (1995) bspw. bemüht sich, ein nichtextensionales Kriterium für zwingende Schlüsse zu entwickeln. Die Analysen in diesem Beitrag sollten zeigen, daß ein solcher

„soft-logischer" Ansatz, kaum für die Rekonstruktion dialogischer argutnentativer Prozesse tauglich ist. Denn er setzt die eindeutige Identifikation derjenigen sprachlichen Einheiten, die als Prämissen oder Konklusion fungieren, als problemlos voraus. Gerade diese Identifikation wirft oft erhebliche Schwierigkeiten auf.

4 Die Anfänge der Theorie finden sich in van Eemeren, Grootendorst & Kruiger (1981:

hoofdstuk 1). Voll entwickelt ist sie in van Eemerens und Grootendorsts gemeinsamer Dissertation (1982). (Englische Fassungen der beiden Bücher 1987 bzw. 1984.) Ausgebaut zu einer umfassenden funktionaldialektischen Theorie der normativen Rekonstruktion von argumentativen Interaktionen, die als konfliktschlichtuagsdrientiert verstanden werden, ist sie in van Eemeren (1987), van Eemeren & Grootendorst (1989; 1990; 1991).

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Pragma-Dialektik, deren Grundlagen ich in Abschn. 2 referieren werde, soll in diesem Beitrag zweierlei gezeigt werden: zum einen, welche Probleme der Rückgriff auf ein solches Instrumentarium bei der Analyse empirisch vorfindli- cher argumentativer Auseinandersetzungen bereitet; zum anderen, wie diesen Problemen im Rahmen einer datengestützten Rekonstruktion argumentativer Interaktionen begegnet werden kann. Ich illustriere dies mithilfe der pragma- dialektischen Theorie, weil sie unter den Ansätzen, die die skizzierte Konzeption von Argumentieren zugrundelegen, eine der, wenn nicht die Theorie ist, welche

„am prozessualsten" vorgeht und deren Analyseinstrumentarium am weitesten entwickelt ist. Dennoch betreffen die vorgestellten Überlegungen allgemeiner jene Argumentationstheorien, die einerseits durch ein Konzept von Argumentie- ren als einer dialektischen Rechtfertigungs-/Widerlegungsprozedur gekenn- zeichnet sind und andererseits durch die Bestimmung von deren Elementen - Prämisse(n), Konklusion - nach funktionalen Gesichtspunkten. Daher spreche ich von funktionaldialektischen Ansätzen.

Ein funktionaldialektischer Ansatz ist weder falsch noch inadäquat, vernach- lässigt aber die dialogische Organisation des argumentativen Gesprächs durch die Argumentanten selbst. Ein solches Herangehen ist also nicht rundweg abzulehnen, geht aber notwendig von zwei Vorannahmen aus, die in empirisch vorfindlichen Interaktionen nicht zwangsläufig erfüllt sind:5

1. daß alle Interaktanten die verwendeten Äußerungen identisch verstehen - oder wenigstens hinreichend identisch, um Mißverständnisse auszuschließen 2. daß alle Interaktanten einer Äußerung dieselbe argumentative Funktion-und

^ zuordnen.

. Durch diese - oft implizit bleibenden - Annahmen werden „Information" und

„Argumentation" gleichsam in ein stabiles Verhältnis gebracht: Dank eines Informationsgleichgewichts zeichnet sich die argumentative Auseinanderset- zung - mit einer piktoralen Metapher - auf dem Hintergrund von im Prinzip allen zugänglichen Informationen ab. Es wird angenommen, daß die Annahmen der Argumentanten darüber, was wahr und richtig ist, und ihre Verwendung sprachlicher Ausdrücke sowie ihre Interpretationen der Beiträge anderer, - daß also die fraglos-gültigen Informationen, die dem Versuch der argumentativen Stützung oder Widerlegung von etwas Strittigem zugrundeliegen, für alle

Basis der Zusammenarbeit mit dem konversationsanalytischen Ansatz in van Heineren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs (1993) ist die Arbeit van Eemeren & Grootendorst (1992).

5 Daher fuhren van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs (1993:30-33), um die Tauglichkeit des funktionaldialektischen Modells argumentativer Interaktionen sicherzu- stellen, höherrangige Bedingungen ein, die von dem Modell als erfüllt vorausgesetzt werden,

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6 Marco Rühl

Argumcntanten weitgehend identisch sind. Dies ist kaum zu umgehen, wenn in Argumentieren das einvernehmlichc Übertragen der Plausibilität von Prämissen auf eine zu Beginn (noch) nicht plausible Konklusion gesehen wird. Dieses Einvernehmen aber ist allein dann möglich, wenn bereits Einvernehmen über die Plausibilität bzw. Akzeptabilität der Prämissen herrscht (in Aristoteles' Topik (I00b23 ff.) ist dies in der ib<$0£a-Lehre angelegt). Weiters kann nach dieser Auffassung von Argumentieren Strittiges pur in toto akzeptiert oder verworfen werden. Nun ist dies durchaus eine Form, in der Argumentieren auftritt. Jedoch zeichnen sich argumentative Auseinandersetzungen im Alltag durch eine Reihe von Charakteristika aus, die so nicht in den Blick kommen können. Bspw. muß zuweilen erst ausgehandelt werden, was als wahr und richtig gilt oder welche argumentative Funktion eine bestimmte Äußerung haben soll. Selbst Einigkeit darüber, ob etwas überhaupt argumentativ gestützt werden muß» besteht mitunter nicht. Auch zeichnet sich der argumentative Prozeß oft gerade nicht durch Annahme oder Ablehnung einer strittigen Position in toto aus; Interak- tanten akzeptieren unter Vorbehalt, fordern weitere Informationen, bevor sie sich zu fundiertem Akzeptieren oder Verwerfen in der Lage sehen. U.U.

verschiebt sich das Thema, und eine Einigung wird dann nicht zum ursprüngli- chen Streitpunkt erzielt, sondern zu einem näher oder ferner verwandten.

Schließlich werden verwendete Begriffe zuweilen verändert oder neu definiert, und eine eventuelle Einigung beruht dann z.T. auf einer solchen Um- oder Neudefinition.

Mit diesem Befund wird deutlich, daß eine gesprächsanalytisch fundierte Rekonstruktion des argumentativen Prozesses von der Vorstellung Abstand nehmen muß, Argumentieren bestehe in einem Prämisse(n)/Konklusions- Komplex, also in einer auf das Ziel der Plausibilisierung von Strittigem gerichteten Kombination von (propositioaaler) Information. Eine gesprächs- prozeß-orientierte Rekonstruktion muß einen anderen Fokus wählen: Argu- mentanten debattieren oft darüber, was denn nun eigentlich fraglos gültige,

„verläßliche", „plausible", Information ist; d.h. sie debattieren gerade über das, was eine funktionaldialektische Rekonstruktion ungefragt voraussetzt, über die Plausibilität bzw. Akzeptabilität der Prämissen. Gewissermaßen baut also nicht Argumentieren auf Information auf, sondern Information (allseits akzeptierte Schlußprämissen) ergibt sich erst aus dem Argumentieren. Daher sind in aller Regel Diskrepanzen zwischen argumentativen Gesprächen und den funktional- dialektischen Vorgaben feststellbar (so auch van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs 1993: 30-34).

Diese Diskrepanzen sind auf die prozessuale Dynamik argumentativer Auseinandersetzungen zurückzuführen. Verständigung über die gemeinsamen Diskussionsgrundlagen und leichte Themaänderungen sind nur die hervortre- tendsten Merkmale argumentativer Interaktionen, welche deutlich aus den Analysen, die ich in diesem Beitrag präsentieren werde» abzulesen sind. In funktionaldialektischer Perspektive wird die Konstitution solcher „verjäßli-

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eher'* Informationen auf zwei Weisen berücksichtigt. Eine Art ihrer Berücksich- tigung geht von Toulmins (1958) Argumentationsschema aus: Daten (Prämis- sen) werden zur Stützung einer Behauptung (Konklusion) herangezogen, und dies wird durch eine Schlußregel, die ihrerseits weitere Stützung erfahren kann, garantiert und in Abhängigkeit von eventuellen situativen Ausnahmebedingun- gen als „möglich", „wahrscheinlich", „vermutlich" o.a. modalisiert. Die Konstitution von Information wird dann als eine Sub-Argumentation aufge- faßt, mit der eines der funktionalen Elemente der Hauptargumentation konstituiert wird (so z.B. Klein 1980). Ausgehend von Habermas* (1981) Diskurstheorie wählen andere funktionaldialektische Theorien folgenden Zu- gang: Ein Vorverständigtsein wird als Bedingung der bloßen Möglichkeit vernünftigen Argumentierens gesehen, weshalb die Konstitution verläßlicher Information als das Wechseln auf eine höhere Ebene des Diskurses rekonstruiert wird, auf der man sich über die Geltungsbedingungen der Aussagen und Problemzugänge auf der nächstniedrigeren Diskursebene verständigen kann (so z.B. Kopperschmidt 1989).

So wird ein stabiles Verhältnis von Argumentation und Information erreicht, das letztlich auf dem aus der antiken Analytik/Logik und Dialektik ererbten Konzept eines gesprächsprozeß-unabhängigen Prämisse(n)/Konklusions^Kom- plexes beruht. Für viele argamentationstheoretische Fragestellungen ist dieses ein wertvolles konzeptuelles Hilfsmittel: z.B. zur Entwicklung nichtextensiona- ler Schlußprinzipien (Hitchcock 1995), zur weiteren Pragmatisierung dialekti- scher Theorien (Snoeck Henkemans 1992; 1997), zur Korrelation von Text- oberflächenelementen mit den theoretischen Kategorien (Houtlosser 1995;

Snoeck Henkemans 1995), zur Bestimmung von kontextsensitiven Ausnahme- bedingungen der Geltung solcher Schlüsse, die kontextfrei als trugschlüssig zu gelten hätten (Schellens 1985; Kienpointner 1992). Die auf die Konzeption eines Prämisse(n)/Konklusions-Komplexes gestützte Rekonstruktion kann ebenfalls einen gewissen Beitrag zur Analyse schriftlich vorliegender, abgeschlossener Argumentationen leisten (Anschauungsmaterial 2.B. bei Kopperschmidt 1989, Kienpointner 1992).

Für eine an den Interpretationsleistungen der Arguinentanten selbst und folglich am Fortschreiten des argumentativen Prozesses interessierte, datenge- stützte Rekonstruktion, also für eine genuin argumentationsanfl/yf/scAe Frage- stellung hat ein funktionaldialektisches Herangehen allerdings so lange nichts zu bieten, wie keine Kriterien für eine relativ eindeutige Identifikation der funktionalen Elemente im Gesprächsprozeß namhaft gemacht werden können.6 Denn im Gespräch selbst bleiben diese häufig implizit, und - was schwerer wiegt - die Sub- bzw. Meta-Ebenen des Argumentierens, welche eine funktionaldia- lektische Rekonstruktion isoliert, sind nicht klar geschieden. Vielmehr üben die

6 Zum in der Tat in vielen Fallen äußerst heiklen Problem der Identifikation argumentativer Sequenzen in Dialogen s. z.B. Spranz-Fogasy (1999).

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8 Marco Rühl

verschiedenen Ebenen einen ständigen wechselweisen Einfluß aufeinander aus.

Es rechtfertigt sich also aus einer prozessualen Analyseperspektive nicht, ungefragt das Modell des Prämisse(n)/Konklusions-Komplexes 211 überneh- men. An gerade dieser Stelle lassen es funktionaldialektische Theoretiker an Problembewußtsein mangeln. Schon eine - kurze! - Erörterung wie die von van Eemeren & Grootendorst (1992: chap. 2), daß die Elemente Prämisse(n) und Konklusion funktional - und folglich it\ Abhängigkeit vom pragmatischen Kontext der Interaktion - zu bestimmen sind, nicht aber formal, stellt eine Ausnahme dar.7 Ohne handhabbare Identifikationskriterien aber ist der rekonstruierende Theoretiker der einzige Garant für die korrekte Identifikation der funktionalen Elemente im argumentativen Gespräch.8 Angesichts der Vielfalt von Ausdrucksformen argumentativer Auseinandersetzungen im All- tag, angesichts der zumeist am Datenmaterial nicht eindeutig zu belegenden Unterscheidung zwischen informationskonstituierenden und genuin argumen- tativen Sequenzen ist dies jedoch mit Blick auf eine gesprächsprozeß-orientierte Rekonstruktion ungenügend.9

Eine datengestützte und gesprächsprozeß-orientierte Rekonstruktion darf sich jedoch auch nicht der Tatsache verschließen, daß sie vor einem gewissen Dilemma steht, das sich aus der Vielfalt potentiell analyserelevanter Kommuni- kationsphänomene und aus dem Verzicht auf den konzeptuellen Rahmen des Prämisse(n)/Konklusions-Komplexes ergibt. Dieses Dilemma, für dessen Um- 7 Meist wird ohne ein Identifilcationskriterium einfach behauptet, daß eia bestimmter Satz eine Konklusion sei, daß andere Prämissen bzw. Argumente seien. Nach einer - böswilligen - Interpretation der Vorstellung des pragma-dialektischen Ansatzes durch Kruiger (1995: 237-239) habe man Argumentation in Werbe- und politischen Texten analysiert, weil sie da eigentlich vorkommen müßte. Mitunter führt der Mangel an klaren Identifikationskritefien zu bemerkenswerten Seiltänzen. Dietrich & Peter (1996) bspw.

schicken ihrer Analyse der argumentativen Struktur von Werbetexten den Hinweis voraus, daß sie damit den Werbetexten eine Kategorie zueigen machen, die auf sie -kaum anwendbar ist: «Für den Werbetext sind offensichtlich so etwas Wie rhetorische Strategien das eigentlich Typische, gelegentlich auch die Inszenierung einer Kommunikation und natürlich die werbespezifischen Inhalte.» (ebd.: 5; Hervorh. im Original)

8 Wolfgang StegmüDer (1975: II, 64) hat einen ähnlichen Befund zur logischen Formalisierung natürlicher Sprache formuliert: «Wir kamen bereits an früherer Stelle einmal darauf zu sprechen, wieso Logiker immer wieder von der Illusion beherrscht gewesen sind, sie hätten gezeigt, wie man natürliche Sätze beweist bzw. wie man die Gültigkeit von aUtagssprachlichen Argumenten überprüft. Pas, womit sie in Wahrheit ausnahmslos operierten, und zwar von Aristoteles bihs zu Quine, waren formale Kunstsprachen. Und um den von ihnen erhobenen Anspruch rechtfertigen zu können, mußten sie zwischen die natürlichen und die Formeln der Kunstsprache einen kompeten- ten Sprecher hineinmogeln -«· der in der Regel mit dein Logiker selbst identisch war -, dessen intuitive Fähigkeiten den einzigen Garanten für die Überführung der normalen Sätze in die formalen Ausdrücke bildeten.» (Hervorh. im Original)

9 Bereits Völzing (1979: 53-59), Leitner (1984: 67-78) und Blair (1987: 367-370) verweisen, obwohl sie von dem Konzept eines Pränüsse(n)/Ko#klusions-Komplexes ausgehen, auf diese Identifikationsprobleme.

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gehung der vorliegende Beitrag einen möglich Weg zeigen wird, ist das folgende:

Mit Blick auf eine datengestützte Rekonstruktion und angesichts der Identifika- tionsproblematik ist es geboten, den Untersuchungsgegenstand durch theoreti- sche Setzungen a priori so wenig wie möglich einzuschränken. Dies führt dazu, daß als Argumentieren zunächst einmal alle Sequenzen bezeichnet werden müssen, die in konfliktuellen oder „diskussionsartigen" Gesprächen als relatio- nal erkannt werden können. Unter „relational" ist dabei zu verstehen, daß es Äußerungen oder Sequenzen sind, die sich klar nicht allein sequentiell auf andere Äußerungen beziehen, sondern sich auch inhaltlich mit diesen „ausein- andersetzen", indem sie deren propositionalen Gehalt, situative Angemessen- heit etc. hypothetisieren, an Explizierung von weiterer Information binden, rundweg ablehnen u.a. Dies führt dazu, daß da und dort Sequenzen als argumentativ bezeichnet werden müssen, die man intuitiv eher nicht - und funktionaldialektisch ganz sicher nicht - argumentativ nennen würde. Mag dies auch von einer argumentationstheoretischen Warte unbefriedigend erscheinen, so ist es doch der einzige Weg, sich nicht durch theoretische Vorannahmen den Blick für Phänomene zu verstellen, die für die datengestützte Rekonstruktion konversationeilen Argumentierens von erheblicher Bedeutung sein können.10

1. Eine dialogische Perspektive auf Argumentieren

1.1. Konversationelles Argumentieren als Reparaturmechanismus

f'£ Einer von wenigen Ansätzen, die bemüht sind, Argumentieren entschieden von te£{ der Gesprächsorganisation her zu fassen, ist der von Sally Jackson und Scott

J Jacobs entwickelte Conversational Argument-Ansatz. Da für die Analysen, die

t, ich präsentieren werde, einige Reserven auch ihm gegenüber angebracht sind,

* seien zunächst seine Grundlagen referiert, bevor ich ihn gemäß meiner leicht , abweichenden Interpretation für meine Belange fruchtbar mache.

Nach Jackson & Jacobs gibt es bei Nachbarschaftspaaren (adjacency pairs) wie Frage-Antwort oder Bitte-Gewährung/Verweigerung eine „structural preference for agreement4'.11 Diese Formulierung besagt zweierlei. Zum einen ist auf die erste Einheit eines solchen Paares durch dessen kommunikative Struktur eine bestimmte zweite Einheit erwartbar (auf eine Frage eine Antwort).

Die erste Einheit schafft also ein bedingte Relevantsetzung- eine Antwort ist für die Kommunikation dann relevant, wenn eine Frage gestellt worden ist -, und diese konditionale Relevanz sieht bei bestimmten Ersteinheiten eines Paares mehrere mögliche Fortsetzungen vor. Daher besagt die strukturelle Präferenz

10 Zu dieser Charakteristik einer datengestützten Analyse s. Deppermann (1999).

11 Siehe Jackson & Jacobs (1980: 251-252). Systematisch wird dieses Konzept in der Theorie verortet in Jacobs & Jackson (1982: 221-223).

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10 Marco Ruhl

für Einigkeit zum zweiten, daß es dort, wo ein Paar verschiedene konditionale Relevanzen hat (Gewährung oder Verweigerung sind nach einer Bitte relevant), präferierte und dispräferierte Zweiteinheiten gibt.

Nach Conversational Argument besteht Argumentieren in einem interaktiven Reparaturraechanismus, mit dem Probleme, die hinsichtlich der Abfolge von Nachbarschaftspaaren auftreten, bewältigt werden können. Immer dann, wenn eine konditionale Relevanz nicht wie erwartbar erfüllt worden ist (d.h. gar nicht oder durch eine dispräferierte Zweiteinheit) oder wenn es sich abzeichnet, daß dies geschehen dürfte, können sich die Interaktanten darüber verständigen, warum dies geschehen ist oder geschehen könnte. Nachbarschaftspaare können dann vor ihrem absehbaren problematischen Auftreten prä-expandiert werden, um den Problemen vorzubeugen. Sie können zwischen der Ersteinheit und der Zweiteinheit expandiert werden, um ihre zwar aufwendigere, aber* dennoch problemlose Durchführung zu gewährleisten. Und sie können nach ihrem Auftreten post-expandiert werden, um zu vermeiden, daß aufgetretene Proble- me irreparable Folgen für die Kommunikation haben. Die paarexpandierenden Sequenzen stellen dabei das konversationelle Argumentieren dar: In ihnen können sich die Interaktanten darüber verständigen, warum die interaktive Ausführung eines Nachbarschaftspaares Probleme aufgeworfen hat oder wohl aufgeworfen hätte. Dank dieser Reparatursequenz wird also aus bestehender oder sich abzeichnender Uneinigkeit wieder jene Einigkeit, die in die Struktur von Nachbarschaftspaaren eingeschrieben ist. Jackson & Jacobs' Hauptinteres- se dabei ist, daß solche Kommunikationsprobleme soz. virtuell in Äußerungen immer da sind und dennoch konversationelle Reparatur nur nötig wird, wenn ein Adressat auf ein Problem verweist. Da Äußerungen verschiedene Probleme aufwerten können, erfolgt jedoch Problematisieruftg unterschiedlich je nach Art der problematisierten Äußerung (Frage, Aussage, Aufforderung etc.) und Gegenstand 4er Probleinatisierung (propositionale Wahrheit, situative Ange- messeriheit, Effülltsein der Sprechaktbedingungen, etc.). Und da ein Adressat legitim all dies problematisieren kann, führt jede Äußerung einen Wider spruchs- raum (disagreement space) solcher virtuellen Standpunkte, die ggf. zu rechtferti- gen sind, mit sich.12

Zweierlei zeichnet Conversational Argument für die Rekonstruktion der prozessualen Dynamik argumentative!: Interaktionen aus. Mit der Annahme, konversationelles Argumentieren fungiere als Reparaturmechanisnms, wird der Tatsache Rechnung getragen, daß argumentative Gespräche bzw. Sequenzen

12 Die Grundlinien von Conversational Argument werden in Jackson & Jacobs (1980), Jacobs & Jackson (1982; 1989) dargelegt. Das Konzept eines disagreement space von potentiellen Problemen, die zu zu stützenden Standpunkten werden können, ist neueren Datums und zeugt vom wechselseitigen Einfluß von Conversational Argument und Pragma-Dialektik. Relevante Arbeiten sind Jacobs (1989), Jackson (1995) und van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs (1993; dort v.a. chap. 5).

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nicht „einfach da" sind, sondern aus dem Gesprächsverlauf heraus entstehen und im Gesprächsverlauf beendet werden. Weiterhin verdeutlicht das Konzept eines Widerspruchsraums virtueller Standpunkte, daß a) Äußerungen genuin ' bestreitbar sind und eine konversationell-argumentative Sequenz hervorrufen

s können und daß b) das möglicherweise Strittige nicht allein die Wahrheit oder

8 Akzeptabilität der durch eine Äußerung vermittelten Proposition ist. Die

11 genuine Bestreitbarkeit von Äußerungen ergibt sich dabei aus der Tatsache, daß ' die unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Interaktanten auf denselben

1 Sachverhalt gegeneinanderstehen können (vgl. etwa Sandig 1996: 37-39),

1 woraus eine argumentative Auseinandersetzung über die adäquateste Perspekti-

1 ve entstehen kann.

1.2. Das Konzept einer Einigkeitspräferenz von Nachbarschaftspaaren:

Chancen, Probleme

Trotz der genannten Stärken ergeben sich im Rahmen des Conversational

^rgwraewi-Ansatzes Probleme. Grund dafür ist sowohl der nicht ganz klare Status der Präferenz für Einigkeit als auch die Begrenzung des Analyserahmens auf Nachbarschaftspaare. Die Zugrundelegung von Nachbarschaftspaaren erlaubt zwar die in sich schlüssige Modellierung von Argumentieren als Reparaturmechanismus uad damit als ein gesprächsemergentes Phänomen;

allerdings wird dadurch zugleich das Kommunikationsphänomen auf seiixe , sequenzstrukturellen Charakteristika reduziert. Folglich kommt nur unzurei-

^ chend in den Blick, daß Argumentieren eine relationale Aktivität ist. Es o ·- rechtfertigt sich kaum, von Argumentieren zu reden, wenn nicht für oder gegen etwas argumentiert wird. Zwar ist es richtig, daß argumentative Auseinanderset-

„- zungen sich meist an einer bestimmten Äußerung entzünden; doch sehr oft

* bezieht sich das argumentative Geschehen dann nicht nur auf diese eine Äußerung, sondern auf den gesamten bisherigen Gesprächsverlauf, und außer- dem führt es bisweilen zu so deutlichen Themaänderungen, daß es höchstens noch formal adäquat ist, es als reparative Expandierung zu fassen. Schon die im einleitenden Abschnitt skizzierte Phänomenologie konversationellen Argumen- tierens verdeutlicht, daß durch die Relationalität von Argumentieren inhaltliche Aspekte der Äußerungen stärker gewichtet werden müssen, als es die Interpreta- tion als Reparatur leisten kann. Hier ist es hilfreich, das funktionaldialektische Splitting in zwei makrostrukturell zu fassende Elemente (Prämissen und Konklusion) nicht vorschnell abzulehnen. Conversational Argument ist gerade auch deshalb interessant, weil Jackson und Jacobs die Kooperation mit Funktionaldialektikern wie van Eemeren und Grootendorst gesucht haben.

Denn im Gegensatz zur prozessualen Analyse nicht-relationaler Aktivitäten ist bei Argumentieren eine ausschließlich mikrostrukturelle Analyse, wie sie die Konversationsanalyse bevorzugt, stark verkürzend.

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12 Marco Ruhl

Mit der faktischen Aufgabe der Begrenzung auf Nachbarschaftspaare, die spätestens mit der Annahme eines Widerspruchsraums virtueller Standpunkte kommt, verliert aber auch das Konzept der Präferenz für Einigkeit von seiner Stärke. Mit der Begrenzung auf Nachbarschaftspaare läßt sich das Präferenz- konzept strikt sequenzstrukturell in dem Sinne fassen, daß die durch Erstglieder von Nachbarschaftspaaren geschaffenen Präferenzen interpretationssteuernde Inferenzen erlauben. Weil durch ihre sequenzstrukturellen Charakteristika eine Ersteinheit, z.B. Frage, eine konditionale Relevanz für eine Zweiteinheit, z.B.

Antwort, schafft, ist es möglich, daß Adressaten auch solche Äußerungen, die an der Oberfläche „nicht wie die erwartbare Zweiteinheit aussehen", als diese interpretieren.13 Konversationelles Argumentieren ensteht gerade dann, wenn weder die Oberfläche des Gesprächs noch eventuelle Inferenzen zu problemloser Interpretation führen und das Finden der „richtigen" Interpretation zusätzli- chen kommunikativen Aufwand erfordert. In dieser strikt sequenzstrukturellen Interpretation ist die Präferenz für Einigkeit von Nachbarschaftspaaren wenig mehr als die gelungene Durchführung beider Glieder des Paares. Schon in der frühen Fassung von Conversational Argument tritt allerdings der Terminus Präferenz im Zusammenhang nicht allein mit strukturellen Eigenschaften von Sequenzen auf, sondern auch mit Funktionen und Zielen, die die Interaktanten dem Gespräch zuerkennen. Wenn konversationelles Argumentieren entsteht, weil sich Interaktanten darüber verständigen, wie augenscheinlich problemati- sche Nachbarschaftspaaf e verträglich durchgeführt werden können, dann geht es nicht nur um Inferenz ermöglichende Präferenzstrukturen, sondern auch darum, daß bei den Interaktanten eine Präferenz für möglichst problemloses Kommunikationsgeschehen besteht. M.a.W. während als Auslöser von Argu- mentieren das auf Nachbarschaftspaare begrenzte sequenzstrukturelle Präfe- renzkonzept herangezogen wird, erfordert die Modellierung des Abschlusses des Argumentierens einen Rückgriff auf die Annahme (intentionaler) Kooperativi- tät der Interaktanten zum Zwecke der einvernehmlichen Lösung von Kommuni- kationsproblemen.

Dieser nicht ganz klare Status des Präferenzkonzepts spiegelt eine in der Tat in der Literatur herrschende Verwirrung wider (siehe v.a. Bilmes (1988; erweitert und fortgeführt 1993)). Konversationelles Argumentieren als Reparatur hat den Sinn der interaktiven Aushandhmg, warum die konventionelle Sequenzstniktur von Nachbarschaftspaaren in einem gegebenen Fall durchbrochen wird bzw.

wie eine Folgeäußerung einvernehmlich als die erwartbare Zweiteinheit zu interpretieren ist. Nichts zu tun - jedenfalls im Prinzip - hat dieses Präferenz- Konzept damit, daß Interaktanten eine Präferenz hätten, Einigkeit über den verhandelten Sachverhalt zu erzielen oder eine „harmonische*4 Diskussion zu 13 Zu Reckt zieht Bilmes (1988: 166, 176-177) eine Parallele zu Grices (1975) Implikatur-Konzept und zeigt, daß Sacks' Präferenz-Konzept sowohl proHemrelevanter als auch erklärungsstärker als das Gricesche ist.

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führen. Eine Tendenz gerade in diese Richtung gibt es aber bereits in der frühen Fassung des Ansatzes, und sie verstärkt sich mit der Einbeziehung des Konzepts eines Widerspruchsraums. Denn wenn über (vormals virtuelle und nunmehr aktuell gewordene) Standpunkte argumentiert wird, so betrifft die Präferenz für Einigkeit weniger konventionelle» von Äußerungen autorisierte Inferenzen - also Einigkeit, die die Kommunikation „am Laufen hält" -, sondern eher Einigkeit über das in der Kommunikation Besprochene. Folglich können Nachbarschaftspaare nicht die methodische Rolle spielen, die sie bei einer sequenzstrukturellen Interpretation der Einigkeitspräferenz haben. Die Analyse steht gerade vor dem Problem, daß in argumentativen Gesprächen eine Vielzahl von Folgeäußerungen möglich ist und es mitunter keine eindeutigen Präferenz- strukturen gibt.r

Diese Entwicklung macht zwar das Präferenzkonzept des Conversational Argument-Ansatzes etwas hybride, steht aber im Einklang mit Arbeiten etwa von Pomerantz (1984) oder Auer & Uhmann (1982), Arbeiten dieser For- schungsrichtungist die Erkenntnis zu danken, daß dispräfefierte Folgeäußerun- gen in aller Regel durch erhöhten Formulierungsaufwand, durch besondere Rahmungen und/oder durch Häsitationsmerkmale gekennzeichnet sind.14

Salopp formuliert, es geht verstärkt darum herauszufinden, was nach bestimm- ten Äußerungen präferiert ist, während die strikt sequenzstrukturelle Ausdeu- tung des Konzept durch Conversational Argument diese Frage implizit als beantwortet voraussetzt und fragt, wie das Präferierte in Problemfallen interaktiv durch Paarexpandierung gerechtfertigt werden kann.

In dem Sinne, daß im Mittelpunkt steht, was präferiert ist, läßt sich diese Interpretation cum grano salis als intentional15 bezeichnen. Es wird gefragt, wie sich Interaktanten der Präferenzstruktur von Äußerungen als Strukturierungs- ressource bedienen (können). So hat z.B. Kotthoif (l 993) gezeigt, daß Präferenz- Strukturen und Gesprächskontext bzw. Rahmung des Gesprächs durch die Interaktanten §ich wechselseitig beeinflussen. Einigkeit/Zustimmung ist nicht in jedem Kontext und bei jeder Rahmung die präferierte Folgeäußerung. Es sind also zwei Präferenz-Konzepte zu unterscheiden: ein sequenzstrukturelles und auf Nachbarschaftspaare begrenztes und ein „intentionales", das Präferenz (auch) mit den Einstellungen der Argumentanten zum verhandelten Sachverhalt

14 Auch Bilmes (1988) geht bei seiner Diskussion der möglichen Inferenzen, die Interaktanten bspw. aus Nichtausführung einer präferierten Folgeäußerung ziehen können, davon aus, daß Vorgänger- und Folgeäußerung nicht notwendig ein Nachbar- schaftspaar bilden müssen.

15 Ich habe an anderer Stelle (Rühl 1999) gezeigt, daß diese Intention keineswegs stets von einer wohlüberlegten Entscheidung eines Interaktanten herrührt, sondern auch von Kontextbedingungen erzwungen werden kann. Dies ist z.B. im zweiten unten diskutierten Beispiel der Fall. Während der Einsatz von Präferenzstrukturen als Gesprächsressourcen sicherlich in vielen Situationen unbewußt geschieht, ist dies bei Argumentieren wegen der Komplexität dieses kommunikativen Phänomens schwerlich vorstellbar.

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14 Marco Rühl

in Verbindung bringt. Argumentieren ist insofern ein besonders heikler Fall, als beide Einigkeitspräferenzen oft gegeneinanderstehen.

So hat Bilmes (1988:167-169) zeigen können, daß auf die Zuschreibungeiner Eigenschaft durch einen Interaktanten vom Adressaten Widerspruch erwartbar 1st. Hier wird also die strukturelle Präferenz für Einigkeit des Paares Zuschrei- bung - Widerspruch gerade durch eine intentionale Präferenz für Uneinigkeit erfüllt. Auch hat Deppermann (1997: 300-305) gezeigt, daß eine argumentative Auseinandersetzung unabhängig von den verhandelten Sachfragen den Charak- ter einer rituellen Kompensation erlittenen Unrechts sein kann. Die intentionale Einigkeit (Kompensation) wird hier gerade dadurch möglich, daß strukturell eine Präferenz für Uneinigkeit besteht (die Paarstruktur wird durchbrochen).

Generell ist die sequenzstrukturelle Einigkeitspräferenz für die Analyse von Argumentieren nicht zu empfehlen, denn als relationale Aktivität ist Argumen- tieren ohne Rekurs auf Inhaltliches kaum sinnvoll zu analysieren. Aber auch die intentionale Einigkeitspräferenz wirft Probleme auf, denn eine Reihe argumen- tativer Züge - die auch funktionaldialektische Theorien als akzeptabel anerken- nen - dürften nach ihrer strikten Anwendung gar nicht auftreten. Eine reductio ad absurdum etwa beruht gerade darauf, daß Einvernehmen „vorgegaukelt"

wird, um zeigen zu können, daß die vordergründig akzeptierte Position unhaltbar ist. Wenn individuelle Fälle von akzeptierten Positionen dissoziiert werden {etwa: „Ja? ich bin für aktiven Umweltschutz, aber in dem Nest, wo ich wohne, fahrt kein Bus und kein Zug; ich brauche ein Auto."), besteht der Argumentationsschritt ebenfalls darin, die Einigkeit, die über etwas besteht, aufzuheben. Natürlich kann im weiteren Fortgang über die fragliche reductio oder die fragliche Dissoziation wieder Einigkeit erzielt werden. Doch die argumentative Interaktion beruht auf einer zumindest zeitweisen Außerkraft- setzung der (intentionalen) Einigkeitspräferenz.*6

16 Es wäre denkbar, diese Charakteristik argümentativer Auseinandersetzungen zu fassen als das Anwenden gesprächsrhetorischer Verfahren, dank dereg die Interaktanten mit der Einigkeitspräferenz kreativ umgehen. Vor einem solchen Schritt müßte aber eine theoretisch-methodische Diskussion Kriterien beibringen, wie die Einigkeitspräferenz und ein eventueller kreativer Umgang mit ihr in empirisch vorfindlichem Material erfaßt werden kann (zur Gesprächsrhetorik s. Kallmeyer (Hg.) (1996), im bes. den Beitrag des Herausgebers in diesem Band). Beim augenblicklichen Stand der Dinge ist jedoch eine nuancierte Anwendung der Einigkeitspräferenz vielversprechender (s. etwa Kotthoff 1993). Es wird auch deutlich, daß augenscheinlich der Unterschied zwischen Mikro- und Makro-Ebene wesentlicher ist als der zwischen sequenzstruktureller und intentionaler Interpretation der Einigkeitspräferenz. Mit ,dem Konzept des Widerspmchsraums und durch die Zusammenarbeit mit Pragma-Dialektikern tendieren auch Jackson und Jacobs eher zur Makro-Ebene. In der Tat besteht eines der Probleme bei der Anwendung der frühen Version des Conversational Argument-Ansatzes darin, daß Nachbarschaftspaare, also ein mikrostrukturefles Konzept, zur Beschreibung einer Aktivität, Argumentieren, verwendet werden, die in aller Regel makrostrukturell auftritt.

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Wenn ich dennoch an der Präferenz für Einigkeit festhalte, so in ihrer intentionalen Fassung und keinesfalls als eine theoretische Grundlage, sondern als ein heuristisches Prinzip für die Analyse. Dieses heuristische Prinzip ist in erster Linie aufgrund der Identifikationsproblematik hilfreich. Zwar hat Argumentieren stets etwas mit einer Meinungsverschiedenheit zu tun, doch nicht jede Meinungsverschiedenheit führt zu argumentativer Auseinanderset- zung. Interaktanten können auf Meinungsverschiedenheiten auch mit Kommu- nikationsabbruch und Schlägen reagieren - um nur die Extremfälle zu nennen.

Es ist daher sinnvoll, eine Meinungsverschiedenheit als eine (intentionale) Uneinigkeit zu interpretieren, der durch Argumentieren abgeholfen werden kann. Argumentieren läßt sich dann verstehen als diejenige Reaktion auf Meinungsverschiedenheiten, bei der Interaktanten zumindest soviel Koopera- tion aufbringen, eine gemeinsame Lösung durch relative Harmonisierung ihrer Meinungen zu suchen. Grund für diese Einigkeitspräferenz kann sein, daß die Interaktanten in der Tat an Einigung um der Sache willen interessiert sind (s. Bsp. 3), doch ebenso, daß Handlungszwänge eine Einigung erzwingen (s. Bsp.

2). Zum Unterschied von der (ausschließlich) strukturellen Präferenz für Einigkeit von Nachbarschaftspaaren gilt es, im Auge zu haben, daß bei dieser Interpretation die Einigkeitspräferenz nicht in die Kommunikation selbst eingeschrieben ist, sondern von „außerhalb" (Intention der Interaktanten, Handlungszwänge etc.) kommt und folglich bei Meinungsverschiedenheiten keineswegs notwendig 2u Argumentieren führt.

l .3. Neuinterpretation der Einigkeitspräferenz als Perspektivenharmonisierung Aufgrund der skizzierten Probleme des Konzepts der Einigkeitspräferenz ziehe ich es vor, anstatt von Einigkeit davon zu sprechen, daß Argumentieren auf eine relative Harmonisierung von Meinungen bzw. Perspektiven zielt. Mit Grau- mann (1989; 1993) ist davon auszugehen, daß sich in den Gesprächsbeiträgen der Interaktanten ihre Perspektive auf die besprochenen Gegenstände und Sachverhalte ausdrückt (s. auch Sandig 1996). Unter Perspektive ist dabei zu verstehen, daß Interaktanten ihren Gesprächspartnern von den besprochenen Gegenständen und Sach verhalten stets nur bestimmte Aspekte präsentieren, die sie für situativ am relevantesten halten. Dadurch wird über diese Gegenstände und Sachverhalte perspektiviert geredet, d.h. vom Blickwinkel, vom Standpunkt des präsentierenden Interaktanten aus. Dies kann bewußt und.explizit gesche- hen, etwa durch entsprechende Lexik, aber auch uicht-intentional und implizit (vgl. Kalimeyer & Keim 1996). Dem gegenüber läßt sich dann Meinung verstehen als der Blickwinkel, der Standpunkt, die Sicht der Welt eines Interaktanten, der/die nicht durch einen Gesprächsbeitrag anderen präsentiert wird. Die Annahme, Meinung sei so etwas wie eine (noch) unperspektivierte Perspektive, steht im Einklang mit der Tatsache, daß Interaktantenperspektiven

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16 Marco Rühl

nur dann sinnvoll zu analysieren sind, wenn sie aufgefaßt werden als das Produkt einer Relationierung von intern-subjektiven und extern-sozialen bzw.

-situativen Faktoren (s. Graumann 1989: 101-103). Mit anderen Worten:

Sobald einer Meinung Ausdruck gegeben wird, werden die in einem Gesprächs- beitrag besprochenen Gegenstände und Sachverhalte durch ihre notwendig aspektuelle Präsentation perspektiviert.17 Weichen nun die Meinungen von Gesprächsteilnehmern voneinander ab, §o ergeben sich InkonipatibUitäten zwischen den Perspektiven, und durch eine gemeinsame argumentative Anstren- gung lassen sich divergierende Perspektiven hinreichend harmonisieren, um zu verhindern, daß diese eine weitgehend unproblematische Kommunikation unmöglich machen.

Im Vergleich zur dialektischen Annahme eines Prämisse(n)/Konklusions- Komplexes hat diese Konzeptualisierung des argumentativen Prozesses den Vorteil, daß er nicht als eine „Alles-oder-nichts-Angelegenheit" mit einem Standard-Output [ ± RECHTFERTIGUNG] gefaßt wird, sondern flexibler und dynamischer: Er wird in erster Linie von Divergenten und Konvergenzen von Perspektiven bestimmt und ist deshalb nicht durch undifferenziertes Akzeptie- ren oder Verwerfen einer Position als Ganzes gekennzeichnet, sondern durch Präzisierungen, Hypothetisierungen etc. von Perspektivierungen. Weiters kommt in den Blick, daß der Grad der Harmonisierung von Perspektiven vor allem von den Handlungszielen abhängt, die mit dem Argumentieren verfolgt werden. Während ein weitestgehend handlungsentbundener philosophischer Disput an möglichst präzisen ProblemfonmiHerungen und Folgerungsbezie- hungen interessiert sein dürfte, zeichnen sich Perspektivenharmonisierungen in politischen Debatten oft durch ausreichend vage Gegenstandsbestimmung aus.

Entgegen der funktionaldialektischen Annahme eines Prämisse(n)/Konklu- sions-Komplexes kommt so in den Blick, daß Perspektiven je mach pragmati- schem Kontext in verschiedenen „Präzisionsgraden" gesetzt werden können.

Dadurch wird es möglich, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß argumentative Auseinandersetzungen sowohl sehr kooperativ als auch sehr kotifliktuell

17 Kalimeyer & Keim (1996) zeigen, daß diese Perspektivieruijg keineswegs nur die propositionalen Aspekte von Gesprächsbeiträgen betrifft. Bereits Kominunikations-/

Argmnentatioiisstile und Ausdrücksgewohnheiten sorgen für eine deutliche Perspektivie- rungj welche sogar zu kaum oder unüberbrückbaren Perspektivendivergenzen führen kam?, Kerbrat-Orecchioni (1980; 1986: 308-338; 1990-94: JI, 92-94) scheint ähnliches im Sinn zu habenj, wenn sie von einer sich durch die Äußerung objektivierenden Subjektivität des Äußerers spricht (wobei Objektivierung meint, daß sie durch die Äußerung zum Objekt der Reaktionen anderer werden kann), und wenn sie auf eine genuine Verhandelbarkeit des sprachlichen Zeichens (verstanden als signifiant-signifie- Beziehung) verweist. Auch WillanJ (1983) nimmt eine vergleichbare Beziehung von Meinung und Pefspektivierung ap, wenn er das „gesicherte" Wissen in einer sozialen Gruppe als all das bezeichnet, was die gruppenirateraen Abgleichsprozesse, z.B. durch Diskussion, übersteht.

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geschehen können und im Zusammenhang mit höchst unterschiedlichen kommunikativen Zielen stehen können.18

Die Überlegungen zur Setzung von Perspektiven im Gespräch lassen sich ~ behält man die Probleme der Begrenzung auf Nachbarschaftspaare im Gedächt- nis - fruchtbar mit der bei Conversational Argument nicht im Zentrum stehenden genuinen Bestreitbarkeit von Äußerungen korreliereij. Kommunikationspro- bleme entstehen nicht, weil eine Äußerung in einer eindeutig überprüfbaren Form inakzeptabel ist, sondern weil ein Adressat sie unabhängig von den Annahmen des Äußerers und aus seiner Perspektive für inakzeptabel hält.15 Für eine dialogisch-interaktionale Perspektive auf Argumentieren heißt das, daß eine Äußerung nicht aufgrund welcher funktionaler Kriterien auch immer problematisch und daher argumeixtativ , sondern daß sie - abhängig von den Reaktionen anderer Interaktanten auf sie - problematisch und daher argumen- tativ wird. Die virtuellen Positionen des Widerspruchsraums stellen so eine der Äußerung inhärente Argumentativität qua Perspektivität und genuiner Bestreit- barkeit dar, die dadurch manifest wird, daß ein Adressat ein Kommunikations- problem zu Ausdruck bringt.20 In einer solchen Sicht ist die Reaktion eines Adressaten auf eine Äußerung Angelpunkt der Analyse, nicht die wie auch immer rekonstruierbare Intention dessen, der sie äußert. Und gerade dadurch wird einer intentionalistischen Analyse vorgebeugt, obwohl ich die intentionale Fassung der Einigkeitspräferenz als ein heuristisches Prinzip verwende.

2. Der Fokus einer dialogisch-interaktionalen Analyse

Die Charakteristika einer prozessualen Analyse, als Gegenpol zu einer funktio- naldialektischen, werden am ehesten am Umgang mit deren Kooperationspo- stulat deutlich, dem die intentionale Einigkeitspräferenz als eine „Light- Version" vergleichbar ist. Das Kooperationspostulat ist ein Erbe der Sicht, Argumentieren sei eine Interaktion, die auf dialektisch reglementierte Konflikt- Schlichtung gerichtet ist. Hat Argumentieren ein so klar umrissenes Ziel, dann läßt sich sagen, daß kooperativ genau das ist, was diesem Ziel dient, und unkooperativ alles andere. Denn so schafft die Zielorientiertheit problemlos einen obligatorischen normativen Rahmen, der sich darin ausdrückt, daß die dialektische Prozedur faßbar wird als die geordnete Abfolge mehrerer Stadien, durch die eine argumentative Interaktion, wenn sie gelingen soll, gehen muß

18 Anschauungsmaterial, daß Argumentieren keineswegs stets schüchüragsorientiert ist, z.B. in Aakhus (1995), Deppermann (1997) oder Spiegel (1995).

19 Im Rahmen von Conversational Argument wird dies von Jackson (1983) behandelt.

20 Perspektivität und genuine Bestreitbarkeit von Äußerungen entsprechen in etwa dem Konzept eines «kommunikativen Hintergrunds» in Rühl (1997: Kap. VII).

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18 Marco Rühl

(vgl. van Eemeren & Grootendorst 1984: 85-86; van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs 1993: 26-28),

1. Soll konfliktschlichtungsorientiertes Argumentieren auftreten, ist ein Kon- flikt (zwischen Perspektiven) nötig, den es sich zu lösen lohnt. Es braucht also ein konfliktuelles Konfrontationsstadium.

2. Damit dialektisches Argumentieren gelingen kann, muß klar sein, wo genau der Konflikt liegt und wer gehalten ist, was zu rechtfertigen. In einem eröffnenden Stadium muß man sich also einigen, wer in der Diskussion Proponent und wer Opponent ist und wie die Diskussion geführt werden soll.

3. Nach diesen Präliminarien muß natürlich auch wirklich argumentative Stützung für die strittige Position angeführt werden. Die Diskussion braucht also ein Argumentationsstadium.

4. Und da zum Ziel dialektischen Argumentierens auch gehört, daß man sich darüber verständigt, ob dieses Ziel erreicht, d.h. die strittige Position nun in der Tat gestützt worden ist oder nicht, muß genau dies in einem abschließen- den Stadium geschehen.

Faßt man Argumentieren als eine dialektische Prozedur, ist diese SUdienabfolge der Ausdruck der dem Argumentieren inhärenten Normativität und insofern einsichtig — sofern man die funktionaldialektische Perspektive und ihre Voran- nahmen teilt. Zu diesen gehört es jedoch, daß die argumentative Prozedur vor einem Hintergrund von im Prinzip für alle identischen Informationen, d.h. ohne argumentatitenspezifische Perspektivierungen, abläuft. Es ist allen stets klar, was strittig ist, wie die einzelnen Äußerungen aufeinander reagieren, wer Proponent und wer Opponent ist usw. - und daran ändert sich während der Interaktion auch nichts. M.a.W.: Die unterschiedlichen Perspektiven der Interaktanten spielen für die dialektische Prozedur allenfalls eine untergeordne- te Rolle, und die Stützung erfolgt eher durch vollständige Übernahme einer Perspektive durch die anderen Interaktanten als durch interaktionale Harmoni- sierung von offenkundig gewordenen Perspektivendivergenzen. Für eine Analy- se des argumentativen Zusammenhangs nach einer erfolgten Stützung oder Widerlegung wirft dies auch keinerlei Probleme auf» Bei einer prozessualen Analyse des argumentativen Gesprächs erweist sich jedoch, daß Argumentieren oft gerade um all diese Informationen, die eine funktionaldialektische Sicht als unperspektiviert voraussetzt, herum entsteht. Argumentiert wird recht selten im Argumentationsstadium. Argumentiert wird häufiger im Konfrontationssta- dium (1st da denn ein Problem?!) oder im eröffnenden Stadium (Warum soll gerade ich das rechtfertigen?!). Es geht häufig nicht um Positionen, die vor einem als unperspektiviert präsupponierten Hintergrund von Information gerechtfer- tigt oder verworfen werden; es geht um das Schaffen einer „günstigen Ausgangslage". Für eine prozessuale Analyse reicht es daher nicht, die Stadien einer Diskussion als Idealisierungen zu betrachten, die empirisch auch diskonti- nuierlich vorkommen können.21 Denn bei einer solchen Analyse stellt man bald

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l fest, daß man andere rekonstruieren muß als bei einer produktorientierten funktionaldialektischen Analyse. Da letztere Argumentieren als zielgerichtete i. Prozedur beschreibt, geht es meist um gelingendes oder als gelingend interpre- r tiertes Argumentieren. Prozessuale Analyse trifft aber in der Mehrzahl der Fälle auf so halbwegs gelingende oder auch rundweg scheiternde argumentative i Interaktionen. Interessant ist dann, warum Interaktanten dennoch übereinkom- i men, oder warum sie, obwohl „eigentlich alles o.k." ist, nicht zu einer

, argumentativen Schlichtung gelangen.

l '

u 3. Schlichtungshemmnisse im Konfrontationsstadium

l Die Diskrepanzen zwischen produkt- und prozeßorientierter Rekonstruktion

t A und die tendenzielle Opposition „gelingend" vs „z.T. qder nicht gelingead"

j, lassen sich veranschaulichen, indem nach der erfolgenden oder nicht nötigen interaktionalen Konstitution der Informationen, die funktionaldialektisch als unperspektiviert vorausgesetzt werden, gefragt wird. Das betrifft zunächst das Konfrontationsstadium: Wenn Interaktant Ij meint, es bestehe eine argumentie- renswürdige Perspektivendivergenz, dann kann er machen, was er will - eine argumentative Interaktion bleibt aus, wenn I2 nicht derselben Meinung ist. Dazu Bsp. l (vgl. Appendix).22

SITUATION; R, Deutscher, und F, Französin, sind am 28/03/1980 bei F's Großmutter in Grenoble zum Abendessen eingeladen. F hat die Zusage zu einem Monatsstipendium im j· Oktober desselben Jahres an der Universität Halle a.d. Saale, incl. Wohnheimplatz und i|l -Verpflegung, bekommen. Zu Tanskriptbeginn spielt F mit dem Gedanken, R am Wohnort : von dessen Eltern zu besuchen, der nicht allzu weit von Halle entfernt liegt, aber auf

* bundesdeutschem Gebiet.

F fragt sich, ob die Reisegesetze der DDR einen Wochenendtrip zulassen: l F.

Die Großmutter ist sofort hoch erstaunt: 2-3G. Mit dem abschließenden pourquoi elizitiert sie weitere Informationen. Solches Erstaunen bereitet oft einen Widerspruch gegen etwas gerade Gesagtes vor.23 Gr's Erstaunen dürfte aber nicht strategisch sein. Dafür spricht auch, daß F expliziert, wo das Problem liegt: 3-4 F. Die eigentliche Konfrontation^ die zu Argumentieren führen könnte, passiert erst jetzt: 4... 6G. Sie passiert auf eine Weise, die sich von funktionaldialektischen Annahmen deutlich unterscheidet. Die Interaktantin

21 So van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs (1993: 26; 34).

22 Alle Beispiele stammen aus dem Korpus-Band (1988) zu Ralph Ludwigs Arbeit zum gesprochenen Französisch. Ich danke ihm für seine Bereitschaft, sie mich in diesem Beitrag verwenden zu lassen.

23 In den in Rühl (i 997) untersuchten idealisierten - da literarisch überformten - Schüler/Lehrer-Dialogen ist Erstaunen meist „strategisch*': Ihm folgen reductiones ad absurdwn oder andere destruktive Verfahren.

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20 Marco Rühl

bezweifelt nicht die Rechtfertigbarkeit einer isolierten Proposition. Sie setzt das, was sie zu sagen hat» mit der Konjunktion mais in ein adversatives, also komplikätives, Verhältnis zum bisherigen Gespräch. Und sie läßt erkennen, daß das, was gerade gesagt wird, - Kurzbesuch in der BRD - ihr inkompatibel erscheint zu dem, was sie über das gerade aktuelle Thema - F's einmonatiger DDR-Aufenthalt - weiß. Das argumentative Segment der Interaktion beginnt also bei einer relationalen Perspektivieruag: G setzt ihre Perspektive in eine komplikative Relation zu den vorhergehenden Äußerungen, in denen sich F's Perspektive ausgedrückt hat.

Die Adversativität drückt diese Kompatibilisierungssdiwierigkeiten aus; sie übernimmt die Rolle einer Hypothetisierung, die weitere Präzisierung einfor- dert; in etwa: „Mag ja alles so sein, aber um das zu glauben, brauche ich mehr Details; also: bitte!" Auch geht es nicht um propositionale Wahrheit; es geht darum, ob es angemessen, geschickt, richtig ist, bei einem DDR-Aufenthalt einen Kurzbesuch in der BRD einzuplanen. F's Antwort bewegt sich denn auch nicht im Rahmen<eines kategorischen Ja oder Nein, sondern ist eine Kompatibi- lisierungsanstrengung. Denn gerade die Nuance von „o.k., dann jetzt noch mal klarer", die auf G's Elizitierüng von zusätzlicher Information erwartbar ist, kann die Partikel ben (= bieri) ausdrücken, mit der F ihre Antwort einleitet:

6—7 F. Auch sie bezieht also das, w$s sie sägt,, vermittels eines diskursiven Relais24 auf das bisherige Gespräch. Und mit puisque baut sie noch ein kausal-explikatives Relais ein, um ihrem Beitrag zusätzliche Stützung im Sinne weiterer Perspektivenharmoniskrung zu verleihen. Auch ist, entgegen funktio*

naldialektisehen A&ahmen, F's Antwort keine Stützung eines eventuell zu rekonstruierenden Urteils ,ein Kurzbesuch in dqr BRD aus der DDR ist richtig', aus dem der Rat oder gar die Verpflichtung zu einem solchen Besuch folgen würde. E$ ist vielmehr eine Präzisierung, warum es lohnt, darüber nachzusinnen.

Die Großmutter fährt fort mit einem adversativen Relais (7-8G), durch das sich das Strittige leicht verschiebt. Nunmehr heißt es, F könne doch nach dem, nicht während des Aufenthalts in Halle zu R fahren. Nicht mehr die Richtigkeit einer

24 Der Terminus Relais soll hier nicht mehr sagen als «Schaltstelle, Kupplung», und er wird ohne theoretischen Anspruch verwendet. In Rühl (1997) wird für argumentative Relais, also Material -meist Konnektoren oder Partikeln-, mit dem Folgeäußerungen auf argumentativ relevante Weise angeschlossen werden, der theoretische Terminus «Diskurs- operation» eingeführt. Verschiedene Diskursoperationen werden dort definiert (1997 : 202; 213^215). Für die dort untersuchten Dialoge läßt sich (s, 1997 : Abschn. IX.4; IX.5) auch eine recht klare Korrelation von Diskursoperationen und bestimmten Konjunktio- nen als deren materielle Reflexe zeigen, Grundlage des dort entwickelten Konzepts und seiner diagrammatischen Darstellung sind Bausteine aus Arne Naess' (1975) Vorschlag einer „pragmatisierten" Logik und Richard Hirschs (1989) Theorie interaktionalen Argumentierens.

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DDR/BRD-Kurzreise steht zur Debatte, sondern, wann die - hier bereits implizit als richtig vorausgesetzte - Reise stattfinden sollte.25 '

F's Reaktion expliziert wiederum Informationen, die G entweder nicht hatte oder bei ihrer Adversation nicht berücksichtigen wollte: 8... 12F. Nach dem Hinweis, daß sie aus Halle direkt nach Grenoble zurückkommen müsse, folgt ein kausal-explikatives Relais (parce que, 8 F); „angekuppelt" wird mit ihm, daß das Semester dann schon 14 Tage alt sei und F folglich die ersten Seminare bereits verpaßt haben werde. Gleich drei alors (9F, 10F, 11 F) folgen nun als konklusive Relais und „kuppeln" an, warum die Fahrt zu R nach dem Monat in Halle nicht in Frage kommen kann. Das aber, was G's Komplikation entkräften soll, kommt erst jetzt (13F): Mit non wird das Vorherige zusammengefaßt und mit metis eine weitere Adversation aufgebaut. Sie stellt dem non kontrastiv gegenüber, daß trotz all der Probleme ein Wochenendtrip wohl „drin" ist. Und das Ganze schließlich fungiert als Komplikation, derentwegen die Adversation der Großmutter unhaltbar ist. Das entsprechende Relais ist die Partikel ben non (8F).

Den Zusammenhang der einzelnen Segmente und ihre Verknüpfung vermit- tels argumentativer Relais veranschaulicht Fig. l. Diese Art der Darstellung hat den Nachteil, daß sie Satzstemmata z.B. der generativistischen Transforma- tionsgrammatik evoziert. Auch die Drehung um 90° ändert daran wenig. Klar aber dürfte sein, daß in einer Untersuchung zu Gesprächsprozessen keinerlei Generativismus intendiert ist. Der Vorteil dieser Darstellungsweise ist jedoch, daß sie verdeutlicht, daß Argumentieren eine Aktivität ist, die schwerlich ohne Seine Kombination zweier Analysestrategien zu fassen ist: Zum einen der Blick auf den Gesprächsverlauf selbst; dies kommt darin zum Ausdruck, daß die Gesprächsbeiträge in der Reihenfolge belassen werden, in der sie auftreten, und ist ggf. vermittels einer konversationsanalytischen Turntaking-Analyse rekon- struierbar. Zum anderen der Blick auf Argumentieren als auf eine relationale Aktivität: durch den Bezug von Äußerungssegmenten aufeinander vermittels argumentativer Relais, die auf verschiedenen relativen Hierarchieebenen auftre- ten, wird eine kommunikative Makrostruktur aufgebaut, die jenseits der Sequentialität von Nachbarschaftspaaren liegt und deren Rekonstruktion sich an funktionaldialektischen Grundlagen orientieren kann,

F's Argumentationsgang ist problemlos funktionaldialektisch rekonstruier- bar; für ein Strittiges werden Argumente angeführt. Schade ist, daß das ein bißchen untergeht, denn während F argumentiert, unterhalten sich G und R fiber's Essen. Dies wird auch in G's nächster Replik deutlich: 15-16 G. Wieder eine Adversation, diesmal mit quandmeme, mit der sie ein Problem sucht: Trotz

25 Snoeck Henkemans (1992) untersucht solche dialogisch hervorgerufenen leichten Themaverschiebungen in pragma-dialektischer Perspektive,

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22 Marco Rühl

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"untruccommeea DiskursoperationeUe Analyseskizze des argumentativen Prozesses

Fig. l

allem koste solch eine Reise doch einiges; wieder antwortet F, indem sie zusätzliche Informationen expliziert, die G nicht hatte oder nicht berücksichti- gen wollte (18-19 F): Für Gründgüter- und das seien auch Zugreisen- bezahle man in der DDR so gut wie nichts. Neue Adversatiou von G, der nicht geläufig ist, wie Studentenaustausch utid Stipendien funktionieren (20 ... 22G): Warum die DDR eigentlich auf solch seltsame Ideen komme, wie Franzosen einzuladen und denen das auch noch zu bezahlen. Wiederum Explizierimg weiterer Informationen durch F (22 ... 24 F): Grenoble lade auch Leute aus der DDR ein; das gleiche sich also Wieder aus. Doch die Großmutter läßt sich locker.

Augenscheinlich will sie Probleme finden. Der Gesprächsverlauf erlaubt hier die Vermutung, daß sie über etwas diskutieren will, wo es nichts mehr zu diskutieren gibt: ob F nämlich überhaupt in die DPR fahren sollte.

Es wird in Bsp. l beständig von It versucht zu argumentieren; ebenso beständig scheitert das aber, weil I2 nicht der Meinung ist, daß es hier ein argumentierenswertes Problem gebe. Die (Pseudo-) Argumentation kommt also trotz des „vielversprechenden" Beginns nicht über das Konfrontationsstadium

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hinaus. Funktionaldialektisch muß man sie daher als gescheitert betrachten.

Dank des Settings hat dies aber keine negativen Folgen für die Kommunikation.

Nach dem expliziten - einigermaßen radikalen - Abbruch der ins Absurde driftenden Diskussion unterhält man sich angeregt über den Reiskuchen mit Aprikosen, den es zum Essen gibt.

4. Schlichtungshemmnisse im eröffnenden Stadium

Debatten im Konfrontations- und im eröffnenden Stadium, die um das Schaffen einer „günstigen Ausgangslage" gehen und argumentative Gespräche, gemessen an funktionaldialektischen Maßstäben, scheitern lassen, sind nicht darauf zurückzuführen, daß, wie in Bsp. 1> anderes - das Abendessen - auf das

; Argumentieren einwirkt. Auch daß der verhandelte Gegenstand - universitärer i Studentenaustausch - jenseits des Erfahrungshorizonts wenigstens einer der füilnteraktantinnen - G - liegt, ist nicht der Grund dafür. Auch wenn das Setting

|| das Thema und die Rollen klar zuzuschreiben scheint und alle Interaktanten kompetente Kenner des Themas sind, kann es zu Debatten über die Ausgangsla- ge kommen. Dazu Bsp. 2, das aus einer Radio-Diskussion auf France-Inter vom 11/03/1980 stammt.

SITUATION: Georges Marchais (f 1997), damals Generalsekretär der KP Frankreichs, ist vom Radiosender France-Inter zu einem Interview über ein Projekt zur Verteidigung der Menschenjrechte in Westeuropa eingeladen worden. Marchais hat dieses am selben Tag Si|fnamens der kommunistischen Fraktion im Europäischen Parlament in Straßburg V vorgestellt. Interviewer ist der Journalist Gilbert Denoyan. Drei Tage vor dem Interview

* * hat das Pariser Wochenmagazin L "Express ein Dossier über Marchais veröffentlicht: Er sei

0" entgegen der offiziellen Version seines Lebenslaufs im September 1942 nicht als Zwangsarbeiter, sondern freiwillig nach Deutschland gegangen und auch nicht Anfang Mai 1943, sondern erst Anfang Mai 1944 vom Arbeitsdienst in Deutschland nach . Frankreich zurückgekehrt. Pikant ist das, weil Marchais dann als Generalsekretär der KP

Frankreichs mangels nennenswerter Resistance-Vergangenheit unhaltbar wäre. Denoyan fuhrt aus, daß das eigentliche Interviewthema die Straßburger Menschenrechtsdebatte ist, daß aber zuerst das Express-Dossier eine Rolle spielen soll.

Auf Denoyans Frage (l ... 3 D) folgt von Marchais ein bien. Hier handelt es sich nicht um ein argumentatives Relais, sondern um eine Diskurspartikel, mit der er sich ins Gespräch bringt; sie „kuppelt" das, was er sagen wird, nicht an den vorherigen Gesprächsverlauf. Dafür spricht das pausenüberbrückende euh nach dem bien. Außerdem deutet sein recht apodiktischer Ton an, daß das, was er sagt, für ihn außerhalb jeder Diskussion steht. Allerdings führt er gegen eventuellen Widerspruch vorsorglich Stützung vermittels des kausal-explikati- ven Relais parce que an: 4 ... 7 M. Denoyans Adversation (7D) bezieht sich denn auch nicht darauf, daß Marchais auf die Ersteinheit „Frage" die Zweiteinheit „Antwort" verweigert hat, sondern darauf, daß der Grund, warum dies legitim sein könnte, nicht wirklich gegeben sei. Denoyan attackiert also

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24 Marco Ruft

keineswegs das gerade von Marchais Gesagte, sondern das weiter greifende Ziel, das er ohne größere Mühe in Marchais' Zug rekonstruieren kann: nicht auf die heikle Frage nach seiner Kriegsvergangenheit zu antworten (vgh auch van Eemeren, Grootendorst, Jackson, & Jacobs 1993: 105-113).

Marchais weigert sich, das Thema zu übernehmen, das Denoyan ihm zuweist.

Denoyan beharrt aber darauf, daß das, was Marchais gegen die Behandlung des Themas vorbringen kann, haltlos sei. Marchais droht gar mit dem Abbruch des Interviews (9-10 M). Er tut dies wohl deshalb nicht, weil er erfahren genug ist, um zu wissen, daß dies seine Position gegenüber den Zuhörern schwächeil könnte.26 In 8 ... 21 D/M treffen, bevor Marchais das von Denoyan vorge- schlagene Thema übernimmt (21 M), die konträren Meinungen über Thema und Rollenverteilung mehrfach aufeinander. Eingedenk der in das Medium einge- schriebenen Mehrfachadressierung ist dann Marchais der, welcher das Thema gezwungermaßen übernommen hat. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Interaktion. Denn wenn Denoyan Marchais mit seiner Kriegsvergangenheit kitzeln wollte, geht der Schuß nach hinten los. Sein Insistieren gibt Marchais die Möglichkeit zu einem legitimen Plädoyer pro domo. Und die nutzt dieser: Drei Lehren, die für Marchais und gegen «ein Von gewissen Journalisten gegen den Generalsekretär und. gegen die Kommunistische Partei selbst gerichtetes»

Komplott sprächen (22-23 M), ließen sich aus der Diskussion der vegangenen Tage ziehen. Und als Marchais nach einiger Zeit zur dritten Lehre kommen will, läuft Denoyan die Interviewzeit davon. Aber er kann nun, nachdem Marchais

„sein" Thema übernommen hat, nicht einfach zum vormals Vereinbarten Thema zurückwechseln. Marchais braucht nur alle Versuche des Themawechsels zu obstruieren (26-34 D/M), indem er litaneiartig sein troisieme hämraert (28- 33 M), mit dem er beabsichtigt, die Darstellung der dritten Lehre einzuleiten.

Obwohl in dem Interview eigentlich viel zu diskutieren und zu argumentieren wäre, kommt es aufgrund von externen Gegebenheiten zu keinerlei Argumenta- tionsStadium. Daß Konfrontation besteht, ist gleichsam in die Interviewsitua- tion institutionell eingeschrieben. Die Interaktanten starten also im eröffnenden Stadium. Aber dabei bleibt es dann auch. Sie sind sich schnell einig, daß es divergente Perspektiven gibt; aber ihr© Meinungen gehen weit auseinander, was argumentierenswürdig ist. Daß kein Argumentieren folgt, liegt hier weniger daran (wi© in Bsp. 1), daß es aus Sicht einer der Interaktantinnen nichts zu diskutiereil gibt, sondern daran, daß nach Meinung eines der Interaktanten das Thema unangemessen ist. Man argumentiert hier also darüber, worüber man argumentieren darf. Apch hier wird interaktional eine Information konstituiert,

26 Die Institution des Radiointerviews zwingt Marchais hier eine Einigkeitspräferenz Der institutionelle Rahmen wäre etwa für eine Turntaking^Analyse stärker zu berücksichtigen, als ich dies getan habe. Da ich jedoch die Einigkeitspräferenz als Heuristikum zur Identifikation der interaktiven Dynamiken in argumentativen Gesprä- chen voraussetze, spielt es nur eine geringe Rolle, daß sie hier institutionell erzwungen ist.

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die ein funktionaldialektisches Herangehen voraussetzt. Folglich ist die Diskus- sion, funktionaldialektisch betrachtet, gescheitert. Dennoch wird man kaum bestreiten können, daß an deren Ende Marchais sein Ziel der politischen Selbstverteidigung erreicht hat.

5. Änderung der „Hintergrundinformationen'* während des Argumentationsstadiums

Als dritte Art der Dynamik des argumentativen Gesprächsprozesses sei eine Interaktion angeführt, wo die Interaktanten bis zum Argumentationsstadium kommen. Auch hier ist aber deutlich, daß nicht vor einem unperspektivierten Hintergrund von allen zugänglichen Informationen diskutiert wird. Es geht noch einmal um F's und R's Einladung bei F's Großmutter. Am Beginn des

• Transkripts redet man über einen Studentenstreik in Grenoble, der sich gegen eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Zulassung von Ausländern zum Studium richtet.

G's Äußerung zu Transkriptbeginn zeigt erneut, daß eine argumentative Anstrengung zur Rechtfertigung des Studentenstreiks nicht deshalb nötig wird, weil sie dessen Berechtigung rundweg bezweifelt, sondern weil sie ihn zu verstehen versucht, aber nicht zu einer Kompatibilisiefüng der Existenz eines Streiks mit ihrer Sicht der Dinge kommt: l ... 3 G. Diese Versuche der Kompatibilisierung eines u.U. problematischen Elements mit ihrer Perspektive 111 auf das Thema lassen sich hinter ihren Formulierungsstörungen vermuten.

l· 11 Auch spricht die Semantik der verwendeten Verben dafür. Die das Argumentie- i. »v* ren auslösende Äußerung wird wiederum über das Komplikationsrelais mais an b ^ das Bisherige angeschlossen. F versucht nun, den Streik zu rechtfertigen: Sie

baut durch mais nonun komplikatives Relais ein, das einen Gesprächsbeitrag

» anschließt, mit dem die vorherige Komplikation von G inhibiert wird: 3 ... 5 F.

g Dies ist genauerhin ein Präzisierung der Streikziele, welche sich in dem t antithetischen syntaktischen Parallelismus ausdrückt.

c G versucht nun (5 G) eine Spezifizierung von les etrangers, was zeigt, daß sie c um eine Harmonisierung ihrer Perspektive mit dem, was gesagt wird, bemüht ist.

r? Aber auch dies wird komplikativ (mais nori) inhibiert, und zwar durch

* t Präzisieren des Ausdrucks les etrangers: 5 ... 7E An G's Reaktion (7-8G) u kann man deutlich sehen, daß sie dieses Informationselement erst in ihre U Perspektive auf den Streik integrieren muß; diese Information war in ihrer

ursprünglichen Problemformulierung nicht enthalten. An Stellen wie dieser zeigt sich, daß eine häufig zitierte Definition für Argumentieren,27 die auf

? Quintilian zurückgeht, revisionsbedürftig ist: daß nämlich Argumentieren die

27 Z.B. bei Klein (1980), Kopperschmidt (1977).

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