Die erste Seite
NProf. Dr. Jrgen Khling
1 Mglichkeiten und Grenzen der Missbrauchskontrolle von Kopplungsgeschften: Der Fall Microsoft
Prof. Dr. Knut Werner Lange und Thorsten Pries 7 Oligopolistische Reaktionsverbundenheit im
Anwendungsbereich des Art. 82 EG
Prof. Dr. Andreas Klees und Sebastian Max Hauser 13 Staatlicher Schutz vor Investitionen nach dem Urteil
zum VW-Gesetz
NDr. Michael Weiss
21 Europisierung des Rechts der Finanzintermedire Prof. Dr. Peter Rott
32 Wettbewerbsrecht: Sanktionen gegen den wirtschaftlichen Nachfolger einer Einrichtung
36 Konkurrentenklage gegen Beihilfeentscheidung der Kommission: Rckstellungen bei Kernkraftwerken 39 Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit: Einseitige
Ersetzung der Freistellungsmethode in DBA durch Anrechnungsmethode – „Columbus Container“
42 EWS-Kommentar
NDr. Jan Frederik Bron
44 Kapitalverkehrsfreiheit: Ungleichbehandlung der Anteilsverußerung bei auslndischen
Kapitalgesellschaften (§ 17 EStG) – „Grønfeldt“
54 Verpflichtung durch VO, die nicht in der Sprache des Mitgliedstaats im ABlEU bekanntgemacht wurde?
Beilage
EWS-Jahresregister 2007
19. Jahrgang
1–2/2008
Seiten 1–56EWS
Heft 1–2/2008Die erste Seite
Whrend die Anwendung des „more economic approach“ im allgemeinen Kartellrecht heftig umstritten ist, hat die parallele Entwicklung im EG-Beihilfen- recht bislang, von Zustimmung und Ab- lehnung auf EG-beihilfenrechtlichen Fachveranstaltungen abgesehen, keine vergleichbare wissenschaftliche Diskus- sion ausgelst. Dabei ist auch bei dieser wichtigen Neuausrichtung der Kommis- sionspraxis eine kritische wissenschaft- liche Begleitung von großer Bedeutung.
Seinen Ausgangspunkt findet der An- satz im „State Aid Action Plan“ der Kommission vom Juni 2005. Hier hat die Kommission ihre Ausrichtung bei der berarbeitung des EG-Beihilfenrechts formuliert und dabei neben den Zielen
„weniger und besser ausgerichtete Bei- hilfen“, Verbesserungen beim Verfah- rensablauf und bei der Rechtsdurchset- zung auch auf eine verfeinerte wirt- schaftliche Betrachtungsweise verwie- sen. In diesem Zusammenhang reflek- tiert die Kommission auch erstmals ex- plizit ihre Rolle als Beihilfen-Kontrol- leur und gibt zu erkennen, dass es letzt- lich im Wesentlichen um das Verhindern negativer externer Effekte zwischen den Mitgliedstaaten geht. Dies spricht fr eine deutlich hhere Prfungsdichte bei den Tatbestandsmerkmalen der Zwi- schenstaatlichkeit und der Wettbewerbs-
verflschung, als dies bislang der Fall war. Stattdessen setzt die Kommission aber auf der Rechtfertigungsebene an.
Hier hat sie einen dreistufigen Abw- gungstest entwickelt. Danach ist zu- nchst zu prfen, ob die geplante Maß- nahme einem hinreichend definierten Ziel dient, sei es die Beseitigung eines Marktversagens oder verteilungspoliti- sche Zwecke und hier insbesondere die regionale Kohsion. Sodann muss fest- gestellt werden, dass die Maßnahme die-
ses Ziel auch tatschlich zu erreichen im Stande ist, also auch entsprechende An- reizeffekte setzen kann. Schließlich ist eine Abwgung zwi-
schen dem Ausmaß der Wettbewerbs- und Handelsverzer- rung einerseits und der auf der zweiten
Stufe identifizierten Zweckerreichung andererseits vorzunehmen.
Dieser Ansatz stellt eine sinnvolle Fort- entwicklung der bisherigen Verhltnis- mßigkeitsprfung dar, die oftmals we- nig transparent und reichlich willkrlich erschien und deren Anwendung vom EuGH nicht nachhaltig geprft wurde.
Dabei fhrt die strikte Anwendung des neuen Tests zum einen dazu, dass eine strengere Kontrolle der Beihilfen er- folgt. So sind z. B. solche Beihilfen nun- mehr eindeutig nicht mehr genehmi- gungsfhig, die das erklrte Ziel einer Beseitigung des Marktversagens nicht (hinreichend) zu erreichen vermgen.
Eine vollkommen berflssige und wett- bewerbsverzerrende Beihilfe zur Frde- rung von Breitbandinfrastrukturen in der gut erschlossenen Region von Appinge- dam in den Niederlanden konnte so als nicht genehmigungsfhig aussortiert werden (ABl. 2007 L 86/1). Zum ande- ren wird die Selbstbindung der Kommis- sion an konomisch reflektierte Recht- fertigungsmaßstbe erhht. Beides ist zu begrßen.
Setzt sich die berzeugende Rechtspre- chung des EuG im Fall Le Levant (T-34/
02, Slg. 2006, II-267) durch, wird die Kommission ihren konomisch verfei- nerten Ansatz knftig aber auch auf der Tatbestandsebene entfalten mssen.
Denn das EuG verlangt – in gewisser Abweichung von der bisherigen gericht- lichen Großzgigkeit – eine strkere Be- grndung seitens der Kommission, wa- rum und in welcher Form im konkreten Fall eine Wettbewerbsverflschung vor- lag. Eine hnliche Entwicklung ist fr das Tatbestandsmerkmal der Handelsbe- eintrchtigung zu wnschen. Dann wre im Fall Appingedam zunchst auf der Tatbestandsebene festzustellen gewe- sen, ob berhaupt eine Kontrolle durch die Kommission angesichts einer Wett- bewerbsverzerrung und Handelsbeein- trchtigung angezeigt war. Dies wird zu einem Zurckfahren der Beihilfenkont- rolle fhren, die durch entsprechende institutionelle Vorkehrungen auf natio- naler Ebene kompensiert werden muss.
So gibt es in Deutschland nach wie vor keine effektiven Ex-ante-Kontroll- mechanismen gegenber der Vergabe irrationaler Subventionen. Die Ex- post-Kontrolle durch Rechnungshfe kann diese Lcke nicht schließen. Daher wird Deutschland weiterhin Subventi- ons-Europameister bleiben. Der Vor- schlag der Kommission, hier eine unab- hngige Kontrollinstanz auf nationaler Ebene zu etablieren, verdient in Deutschland also eine nhere Prfung.
Schließlich wird die Kommission in ei- nem weiteren Schritt die zahlreichen Leitlinien, Mitteilungen und Verordnun- gen im EG-Beihilfenrecht auf ihre ko- nomische Rationalitt hin prfen ms- sen. Die ersten diesbezglichen Ergeb- nisse zeigen, dass noch weiterer Kl- rungsbedarf besteht. So knnte die jngs- te Beschrnkung der De-minimis-Ver- ordnung auf transparente Beihilfen zu unntigen Notifizierungen und Transak- tionskosten gerade bei neueren Formen ffentlich-privater Kooperationen auf kommunaler Ebene fhren. Diese Fra- gen knnen jetzt jedoch im Raster eines verfeinerten konomischen Konzepts diskutiert werden. Es besteht damit die Hoffnung, dass auch die Ausgestaltung des Genehmigungsermessens der Kom- mission knftig strker einer konomi- schen Rationalitts-Kontrolle unterliegt.
Also: „Mehr davon!“
Prof. Dr. Jrgen Khling, LL.M.
(Brssel), Regensburg