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Sanskrit-Räthsel.
Mitgetheilt und gelöst von A. Führer.
I.
Es gibt, im Sanskrit eine Menge Räthsel, die eine auffallende
Aehnlichkeit mit deuen unserer Heimat haben und die zugleich
unterhaltend und lehrreich sind. Sie ähneln unseren Charaden, je¬
doch mit dem Unterschiede, dass bei unseren Charaden die Silben
eines Wortes durch die Ordinalia bezeichnet werden , während im
Sanskrit diese Zahlen die allenfalls möglichen pada in einem Com¬
positum (samäsa) oder in einer Phrase markiren , die aus zwei
oder mehreren Wörtern nach deu Sandhiregeln zusammengesetzt
ist. Die Sanskrit-Räthsel können daher nicht im stricten Sinne
des Wortes Charaderi genannt werden.
1) Das erste Räthsel ist ein regelrechter anushtubh:
w. ^ ^rft ^: ^ fTT ^f?T ^ I
li<.flH!imft: ^ ^ <t\m*ii*<i<a«<^ w. H
,Wer bewegt sich in der Luft? Wer macht Lärm, wenn er
einen Dieb sieht? Wer ist der Peind der Lotuse? Wer ist der
Abgrund (aller Arten) von Zorn ?• In freier Uebersetzung lautet
dies Distichon : „Mein Erstes bewegt sich in der Luft ; mein
Zweites macht Lärm , wenn es einen -Dieb sieht ; mein Drittes ist
ein Peind der Lotuse uud mein Ganzes ist ein Zornesabgrund".
Alle orientalischen Räthsel, besonders aber die in Sanskrit ab¬
gefassten , sind schwer zu lösen , da diese Sprache für jedes Wort
eine Menge Synonyma besitzt. Um so anmuthiger erscheint daher
die Schönheit und Zuträglichkeit der einzelnen Fragen und der Ant¬
wort , wenn die Lösung einmal gefunden ist.
Auf die erste Frage: „wer bewegt sich in der Luft?" ant¬
worten wir: der Vogel; einer der vielen Namen im Sanskrit hier¬
für ist V i. „Wer macht Lärm , wenn er einen Dieb sieht ?" Der
Hund, Sanskrit 9 van, nom. sing. (;vä. „Wer ist der Feind der
Lotuse?" Die Lotusart, die hier offenbar gemeint ist, ist die weisse
100 Führer, Sanskrit- Jtäthsel.
Wasserlilie, die in der Nacht ihre Blühten öffnet und beim Sonnen¬
aufgang wieder schliesst. Die Sonne ist daher der Feind jener Art
von Lotusen ; ein Sanskrit Wort für Sonne ist mit r a. Wir erhalten
daher Vi^vämitra, den Namen eines berühmten rishi, der unter
den muni wegen seiner heftigen Zomesausbrüche sprichwörtlich war.
Er spielt eine Hauptrolle im Rämäyana als der erste Lehrer und
Rathgeber des jungen Räma. Ein Beispiel der furchtbaren Wir¬
kungen seines Zomes wird im Bälakanda des Rämäyana berichtet.
Der fishi kam an den Hof des Königs Dasaratha und verlangte
die Aushändigung des jungen Prinzen , damit er die heiligen Ab¬
grenzungen des Opferfeuers gegen die Entweihungen der Räkshasa
schütze. Der greise Fürst zögerte mit der Erfüllung dieser Bitte
und bot statt dessen seine Dienste an ; Vi9vämitra aber sah mit
eiuem Zomesblick auf ihn herab, ,der die Götter in ihren himm¬
lischen Wohnungen erzittern machte, der das Weltall verdunkelte
und alle Menschen mit Furcht und Schrecken erfasste, als wäre
das Ende der Welt schon nahe".
2) w. ^ ^tf^ ?rT v\ ftiw ^[wi. i
^ v^r: "ifrftj^
,Wer bewegt sich in der Luft? Wer verdient geliebt zu
werden? Was muss leise recitirt werden? Was ist ein Schmuck?
Wer muäs geehrt werden? In welchem Zustand befindet sich
Laftkä?' Oder in freier üebersetzung: „Mein Erstes bewegt sich
in der Luft; mein Zweites verdient geliebt zu werden; mein Drit¬
tes muss leise recitirt werden ; mein Viertes ist ein Schmuck ; mein
Fünftes muss geehrt werden und mein Ganzes bestimmt Laftkä
näher«.
Wie man sieht , ist das Distichon unvollständig , indem die
letzte Hälfte der zweiten Zeile fehlt. Die richtige Lösung hat da¬
her eine Antwort zu finden, die eines Theils die gegebenen Bediu'
gungen erfüUt und anderen TheUs das Couplet vervollständigt. „Wer
bewegt sich in der Luft?' Wir vermuthen sofort das einsilbige
Wort V i , der Vogel, und nehmen für den vorliegenden Zweck den
nom. sing, vis ( v i Ij ). „Wer verdient geliebt zu werdeu ?" ünter
aUen Formen menschUcher Zuneigung ist die Geschlechtsliebe die
stärkste und vorherrschendste. Ohne Zweifel verdient ein „liebes
Weib" geliebt zu werden; eines der vielen synonymen Wörter für
eine weibUche Schönheit im Sanskrit ist ramä. „Was muss leise
recitirt werden?" In Anbetracht, dass der Prager ein Brähmaija
ist, denken wir sofort an die Veda, jene Inspiration des ewigen
Brahma , die in seinen Augen so heUig zu halten sind , dass die
heüigen Hymnen nur leise recitirt werden dürfen, ünter den Veda
wird der Rik als der älteste und heUigste betrachtet, welches Wort
wir als die passendste Antwort zur dritten Fi-age auswählen. „Was
ist ein Schmuck?" Diese Frage ist schwer zu entscheiden, da der
Fuhrer, Sanskrit- Räthsel. toi
Geschmack, besonders der Frauen, sowohl in Mode- wie in Schmuck¬
sachen sehr verschieden ist. Würde jedoch diese Frage einer Hindü
Schönen zur Entscheidung vorgelegt, so würde sie ein Armband
jeder anderen Art von Schmucksachen vorziehen. Ein Sanskrit
Name für Armspange ist katakam, welches Wort wir als Ant¬
wort ZIU- vierten Frage acceptiren. ,Wer muss geehrt werden?"
Natürlich die Eltern ; niemand aber wird uns tadeln, wenu wir dem
Dekaloge folgeu und dem Vater, Sanskrit pitä, den Vorrang geben.
„In welchem Zustande befindet sich Laftka ?" Diese Frage erscheint
auf den ersten Blick sehr allgemein gehalten, da auch nicht die
geringste Andeutung bezüglich der Zeit oder näheren Umstände
gegeben ist. Doch liegt in dem Worte Laftkä ein Fingerzeig, der
in uns die Sagen von Räma's Einfällen in Ceylon wachruft, um
Sitä aus den Händen Rävana's zu befreien. Ohne Zweifel soll in
dieser Frage den Ritterdiensten Hanumän's, des Befehlshabers der
Affenarmee unter Räma , ein Compliment gemacht werden. Seine
Heldenthaten während der abenteuerlichen Expedition nach Laftkä
sind im Rämäyana verzeichnet, das berichtet, „dass die Wunder¬
werke seiner Heldenkraft und Schlauheit die ganze Insel erzittern
machten, sodass der stolze Herrscher auf dem Throne Laftkä's in
ohnmächtiger Wuth knirschte.
Wir haben nun als Antworten auf die einzelnen Fragen die
fblgenden Nominative sing.: vis -f ramä -|- yik -f katakam
+ pitä.
vis + ramä = vir -)- ramä nach Pänini VHI, 2, 66.
vir ■\- ramä = viramä nach Pänini VT, 3, III; VIII, 8,14.
vlramä + rik = viram ark nach Pänini VI, 1, 87.
Keine Aenderung tritt ein, wenn wir die beiden Wörter kata¬
kam imd pitä mit einander und mit viramark verbinden, sodass wir
jetzt viramarkkatakampitä erhalten. Dieses Tatpurusha-
Compositum lässt sich aber auch in die folgenden drei Theile zer¬
legen, nämlich in vira (Held) markkata (AflFe) und kampitä (ge¬
schüttelt) = vira + markkata + kampitä, das „geschüttelt vom
Affenhelden" bedeutet und genau die Lage Laftkä's zur Zeit Hanu¬
män's bezeichnet. Der (^loka lautet demnach vollständig:
^: ^ ■«(i.Pl ^ T'TT ^ ^T9T *![»l«!!*i I
^ ^hTf*z^!f*'mT h
Während die beiden vorhergehenden Räthsel in der Weise ab¬
gefasst sind , dass wenige Sanskritisten über die zu ihrer Lösung
nöthige Zeit verfügen können, soUen im Folgenden zwei andere
gegeben werden, die Jeder nach einigem Nachdenken mit Hülfe der
Sanskritgrammatik lösep wird.
8) ftwr^ qPh^qrrf^^ftwi: i
^ r**jiMi^ «i»*4«irv<jitHuri tf h
102 Führer, Sanskrü-Räthael.
Die zweite Zeile lautet in üebersetzung : ,Das Leben Brahma's
selbst reicht nicht aus, um hier (i. e. in der ersten Zeile) das Zeit¬
wort zu finden*. Sehen wir von diesem hyperbolischen Ausdrucke
ab, so müssen wir gestehen, dass Subject und Prädicat des zu
construirenden Satzes sehr geschickt in dem Worte viräma ver¬
einigt sind, das geeignet ist, den Leser zu verwirren und irre-
zufiöiren, da viräma der alte Name einer Mittellandschaft In¬
diens ist, des heutigen Boras. Der Ausdruck viräta mit nach¬
folgendem nagare ramye ,in der schönen Stadt" bringt den
Leser auf die Vennuthimg, dass man zu übersetzen hat: „in der
schönen Stadt Viräta". Das Ende des Satzes würde dann heissen:
„vom wispernden Schilf zum wispernden Schilf", was natüriich keinen
Sinn gibt. Viräta ist demnach nicht der Name der Stadt, wie
es auf den ersten Blick scheinen möchte; es besteht vielmehr aus
zwei Wörtern, und zwar aus dem Substantiv vis, ein Vogel und
dem Zeitwort ät.a „er wanderte", der Aorist (lit) der Wurzel at
„wandern" oder „lunhergehen" ; beide Pormen sind nach Pänini
VIII, 2, 66 in viräta verschmolzen. In diesem Lichte betrachtet,
ist der Sinn klar und vollständig ; die erste Zeile muss daher über¬
setzt werden : „Ein Vogel hüpfte in der lieblichen Stadt umher vom
wispernden Schilf zum wispernden Schilf".
4) 'Rf^ «1T3{4{1«M| flrefTI I
^ iRifrv^ ^ fit <i*air4< ^s^ijr: ii
Auf den ersten Blick möchte man den ersten Halbsloka über¬
setzen: „Ein grosser Banyanbaum (vatavrikshah) steht hier,
hemmend den Weg". Im zweiten Halbsloka sagt der Verfasser des
Räthsels: „Ich werde ein goldenes Armband dem geben, der hier
(i. e. in der ersten Zeile) einen Vocativ entdeckt". Er deutet uns
somit im, dass irgendwo in der ei-sten Zeile ein Wort hn Vocativ
versteckt liegt, und dass, wenn dieser gefunden ist, der Satz einen
ganz anderen Sinn geben wird. Das einzige Compositum in der
ganzen Zeile ist vat a vrik shah; die übrigen Satztheile sind ein¬
fache Wörter, die keine andere Constmction zulassen. Wir müssen
daher vatavvikshah in zwei andere Wörter zu zerlegen suchen.
Im Sanskrit heisst vatu, der Knabe, und der Vocativ ist vato
0 Knabe! rik shah heisst Bär; vato -|- vikiihah wird nach den
Sandhiregeln bei Pänini VI, 1, 78 = vafavvikshah ,o Knabe! eiu
Bär". Die Uebersetzung lautet daher: „0 Knabe! ein grosser Bär
steht hier, hemmend den Weg." Wir haben nun den Knaben hinter
dem Banyan heiTorgeholt und ihm den Bären hinter dem Bamne
gezeigt. Wir sind daher berechtigt, von dem schlauen Verfasser
des Räthsels „ein goldnes Armband" als Preis zu erhalteu.
103
Ueber eine Handschrift des ersten Buchs der Mai-
träy ani-SaiTi hitä.
Von B. Lindner.
Die Hs. Wilson 505 der Bodleiana in Oxford ist im Catalog
bezeiehnet als Pafi cas vastyay ana , nach der Angabe auf dem ersten Blatte derselben : paficasvastyayanam hshyate (sic). Sie enthält aber
das erste Käricja der Mäiträyani-Samhitä; im Anfang fehlen zwei
Blätter, enthdtend I, 1, 1. 2, und sind ersetzt durch zwei Blätter
eines Textes mit obigem Namen, die sich übrigens in Bezug auf
Papier, Schrift uud Accentuu-ung (Rgvedaaccente) scharf von den
übrigen untei'scheiden. In der Unterschrift am Schlüsse ist der
Text nicht bezeichnet. Die Handschrift ist datirt samvat 1622 =
1566, ist also etwa von gleichem Alter mit den beiden ältesten
und besten vou v. Schroeder für seine Ausgabe benutzten Hss. von
Morbi (M. 1 und 2), vielleicht noch etwas älter. Sie ist sehr schön
geschrieben, die Accente roth, und stimmt, wie mir nach allerdings
nur Hüchtiger Durchsicht scheint, meist mit M. 1 und 2 in den
Lesarten überein. Eine Eigenthümliehkeit findet sich darin , die
Schroeder für seine Hss. nicht erwähnt, nämlich das Zeichen ««•
oder -M. . Dasselbe steht , in Verbindung mit dem Anudättastrich,
unter jedem schliessenden ä (= e ai au as äs) vor betontem An¬
fangsvocal ; ferner unter e ; unter o = as oder a ä -f- u (atho
tatho etc.) ; eudlich unter ain = än, wenn auf diese betonter Vocal
folgt. — Die Unterschrift lautet: ^rlr astu (;ubham astu || samvat
1622 varshe bhädrapadamäse kfshne pakshe tj-tiyäyäm punyatithau
budhadine a(;vinmakshatre vyäghätanämni yoge vanijakarane inesha-
räijisthite candre evainädipunyähe sati Mäjalapuravästavyain jä"
Rämasutajä" Gopäravat-asutena Anantakena likhiteyaip pustikä apa¬
ram di" Nandäkasya sutena likhäpitä || lekhakarpä . . kayoh yubhain bhüyät II yädj-i^am ityädinyäyän na me doshah || yriräino ja[ya]tu ||
yriki-shna || pustakam Bälaniukarasya.
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