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Zweifeln und Wissen. Grundprobleme der Erkenntnistheorie ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗

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Universit¨at Dortmund, WS 2005/06 Institut f¨ur Philosophie

C. Beisbart

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Zweifeln und Wissen. Grundprobleme der Erkenntnistheorie

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Erfahrung ist voraussetzungsvoll

Zusammenfassung zum 10. und 17.1.2006 (Kant, Kritik der reinen Vernunft, siehe die Datei krv2.pdf; siehe auch http://gutenberg.spiegel.de/kant)

1 Kants Programm einer Kritik der reinen Vernunft im histo- rischen Kontext

Immanuel Kant wird das Verdienst zugesprochen, eine gangbare Synthese zwischen Ra- tionalismus und Empirismus entwickelt zu haben. W¨ahrend die Rationalisten (etwa Descartes) die Rolle der Vernunfterkenntnis betonen, gr¨undet f¨ur Empiristen (wie etwa Locke, Berkeley und Hume) alles Wissen letztlich auf Erfahrung. Wir hatten uns im Seminar zun¨achst mit Descartes besch¨aftigt. Die rationalistische Einstellung von Des- cartes hat sich beispielhaft darin gezeigt, daß Descartes im Zuge seines methodischen Zweifels zun¨achst die Sinneswahrnehmung als unzuverl¨assig einstuft (erste Meditati- on, vgl. auch epi5.pdf). In der zweiten Meditation (vgl. epi6.pdf) soll das Beispiel des Bienenwaches zeigen, daß wir materielle Gegenst¨ande nur durch die Vernunft erfassen k¨onnen – auch hierin zeigt sich der Rationalismus. Als Beispiel eines Empiristen hatten wir D. Hume kennengelernt. Sein Empirismus wird etwa in seiner Auffassung deutlich, alle Bewußtseinsinhalte (

”perceptions“) ließen sich letztlich auf Eindr¨ucke (

”impressi- ons“) zur¨uckf¨uhren, die stets auf Wahrnehmungen u.¨a. zur¨uckgingen. Humes Skepsis gegen¨uber der Vernunft zeigt sich auch in den Kapiteln 4 und 5 seiner

”Enquiry“, in denen er behauptet, daß induktives Argumentieren letztlich nicht auf der Vernunft be- ruht. Dabei erkennt auch Hume gewisse Leistungen der menschlichen Vernunft an, diese seien aber auf die nachgelagerte Verarbeitung von Eindr¨ucken beschr¨ankt.

In der Vorrede zu seiner Kritik der reinen Vernunft (KrV, erste Auflage) situiert Kant sein Projekt historisch und systematisch.

Kant beginnt, indem er die Lage der menschlichen Vernunft als durch eine tiefe Span- nung gepr¨agt kennzeichnet. Denn die Vernunft werde durch ihre eigene Natur vor Fragen gestellt, die sie nicht beantworten k¨onne. Diese Spannung m¨ussen wir uns im Anschluß an Kant im einzelnen etwa wie folgt vorstellen: Zun¨achst entwickelt die Vernunft auf der Basis der Erfahrung Grunds¨atze von mittlerer Reichweite. Bei solchen Grunds¨atzen d¨urfen wir an induktive Verallgemeinerungen wie etwa

”Alle Raben sind schwarz“ den- ken. Auf der Basis solcher Grunds¨atze schreitet die Vernunft zu

”entfernteren Bedin- gungen“ (A VII) fort.1 Dabei d¨urfte es sich um noch allgemeinere Grunds¨atze handeln.

Auch damit gibt sich aber die Vernunft nicht zufrieden, da nach Kant die Fragen nicht zu Ende gehen. Wissenschaftliches Fragen gelangt etwa insofern nie an einen Schluß-

1 Die KrV erschien in zwei wesentlich verschiedenen Auflagen 1781 (sog. A-Ausgabe) und 1787 (so- genannte B-Ausgabe). Es hat sich daher eingeb¨urgert, die Kritik der reinen Vernunft jeweils in der Originalpaginierung zu zitieren und das entsprechende Buchstabenk¨urzel f¨ur die Ausgabe voranzustel- len. B145 meint also etwa B-Ausgabe, S. 145.

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punkt, als jede neue Theorie die Frage aufwirft: Warum verh¨alt sich die Natur so, wie es die Theorie sagt; warum gilt diese und nicht eine andere Theorie? Nach Kant gehen wir in dieser Situation auf Prinzipien ¨uber, die sich nicht mehr anhand der Erfahrung nach- pr¨ufen lassen (AVIII) und daher

”allen m¨oglichen Erfahrungsgebrauch ¨uberschreiten“

(ib.). Eine Aussage, die sich nach Kant einer empirischen ¨Uberpr¨ufung entzieht, lautet etwa ”Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen“ (A426/B454, siehe auch B18). Der Ort, wo solche Prinzipien, die allen Erfahrungsgebrauch ¨uberschreiten, diskutiert werden, ist f¨ur Kant die philosophische Disziplin der Metaphysik. Nach der aristotelischen Bestimmung betrachtet die Meta- physik das Seiende, insofern es seiend ist, also ganz allgemein. Wenn man nun davon ausgeht, daß unser Wissen entweder aus der Erfahrung oder aus der Vernunft kommt, dann kann die Metaphysik in Kants Bestimmung nur Vernunftwissen repr¨asentieren (sie- he auch A10/B24) – es sei denn, sie bringe ¨uberhaupt kein Wissen hervor. Aus diesem Grunde wird sp¨ater bei Kant die Metaphysik mit der Vernunft assoziiert (s. dazu unten).

Die Metaphysik nennt Kant einen

”Kampfplatz“ (AVIII). Die Metaphysik habe zun¨achst als die

”K¨onigin aller Wissenschaften“ (ib.) gegolten, sei nun aber stark herabgesunken.

Diese Entwicklung beschreibt Kant, indem er den Status der Metaphysik innerhalb der Wissenschaften mit einer Abfolge unterschiedlicher politischer Zust¨ande und Staatsfor- men vergleicht. Etwas zweideutig bleibt dabei allerdings der Bezugpunkt des Vergleiches:

W¨ahrend es Kant zun¨achst um die Stellung der Metaphysik unter den Wissenschaften zu gehen scheint, wird sp¨ater die Erfahrung mit dem Volk verglichen, was den Ver- dacht nahelegt, Kant gehe es eher um die Stellung der Metaphysik unter verschiedenen Wissensformen. Diese beiden Bezugspunkte kann man allerdings zwanglos zusammen- denken, wenn man bestimmte Wissensformen mit gewissen Wissenschaften assoziiert.

Alles in allem gestaltet sich die Entwicklung der Wissenschaften/Wissensformen etwa wie folgt: Ganz am Anfang steht die Anarchie. Sodann erhebt sich eine Herrschaft der Metaphysik, die von den Dogmatikern verwaltet wird.

”Dogmatik“ meint hier nicht diejenige theologische Disziplin, die die Glaubenslehren in systematischer Weise erfaßt, sondern einen bestimmte Herangehensweise, die Kant gerne mit seiner eigenen kriti- schen Philosophie kontrastiert. Dogmatisch gilt demnach eine Philosophie, die sich zu allgemeinsten Aussagen ¨uber die Welt aufschwingt, ohne sich vorher einer Pr¨ufung un- terzogen zu haben, ob diese Aussagen sich ¨uberhaupt durch die Vernunft sinnvollerweise verteidigen lassen. Diese Herrschaft ist nach Kant despotisch gewesen. Als Despotie be- zeichnet man eine Herrschaft, die sich auf Gewalt gr¨undet und h¨aufig auch willk¨urliche Z¨uge tr¨agt. Im Vergleich heißt das vielleicht soviel, daß einzelne philosophische Doktrine mehr oder weniger willk¨urlich eine Vormachtstellung errangen und dann als Metaphysik die anderen Wissenschaften beherrschten.

Die Despotie der dogmatischen Philosophie f¨allt dann gelegentlich in die Anarchie zur¨uck (etwa weil mehrere philosophischen Schulen und ihre Anh¨anger um die Vorherrschaft k¨ampfen). Sie wird auch durch die Skeptiker angegriffen, die Kant mit Nomaden ver- gleicht (AIX). Die Skeptiker sind jedoch nicht willens, sich seßhaft zu machen, d.h. im Vergleich konstruktiv am Aufbau einer neuen Wissenschaft mitzuarbeiten. Nach Kant hat dann der englische Philosoph John Locke die Situation etwas befriedet. Locke hat in seinem

”Essay concerning human understanding“ den menschlichen Verstand unter- sucht. Er vertritt dort die Auffassung, daß alles Wissen, das wir erwerben k¨onnen, auf der Erfahrung beruht. Im Vergleich weist Kant der Erfahrung den Rang des Volkes (absch¨atzig hier

”P¨obel“ genannt, AIX) zu und unterstellt Locke, die Metaphysik auf die Basis der Erfahrung gestellt zu haben. Damit k¨onnte sich vielleicht so etwas wie eine konstitutionelle Monarchie einstellen, in der die Herrschaft der Metaphysik als durch das

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Volk legitimiert angesehen wird. Allerdings fragt sich, ob eine solche Legitimierung der Metaphysik ¨uberhaupt deren Vorherrschaft begr¨unden kann (Kant sagt, daß der Herr- schaftsanspruch der Metaphysik unter diesen Bedingungen

”mit Recht h¨atte verd¨achtig werden m¨ussen [...]“, AIX). Außerdem kann nach Kant Lockes Befriedungsversuch kei- nen stabilen Zustand hervorbringen, da die Metaphysik Fragen stellt, die sich nicht mehr an der Erfahrung ¨uberpr¨ufen lassen. Dadurch scheitert auch die konstitutionelle Mon- archie, und die Wissenschaften fallen in eine neue Despotie zur¨uck. Der neueste Trend ist nach Kant der Indifferentismus (AX). Indifferentisten stehen metaphysischen Fragen gleichg¨ultig gegen¨uber. Dadurch geht dann aber auch die Vorrangstellung der Meta- physik verloren. Heute k¨onnte man den Indifferentismus mit bestimmten postmodernen oder pragmatistischen Str¨omungen in Verbindung bringen. Nach Kant l¨aßt sich aber auch der Indifferentismus nicht durchhalten, da – und das ist auch konstitutiv f¨ur die eingangs genannte Spannung – bestimmte Fragen der Vernunft von Natur als Aufgabe zugewiesen sind (AVII). Insgesamt entl¨adt sich also f¨ur Kant die Spannung zwischen den Aufgaben der Vernunft und ihren F¨ahigkeiten in einer Abfolge von mehr oder weniger unersprießlichen Zust¨anden.

Dem Indifferentismus gewinnt Kant nun immerhin eine positive Seite ab. Der Indifferen- tismus sei n¨amlich durchaus das Ergebnis einer gewissen Reife. Der Indifferentist stehe n¨amlich metaphysischem Wissen kritisch gegen¨uber (AXI). Kant interpretiert den Indif- ferentismus daher als Aufforderung, die Anspr¨uche der Metaphysik zu ¨uberpr¨ufen (ib.).

Da die Metaphysik im Verst¨andnis Kants nur als Leistung der Vernunft stattfinden kann, l¨auft diese Aufforderung darauf hinaus, die Vernunft einer Kritik zu unterziehen. Diese Kritik soll selber wieder durch die Vernunft durchgef¨uhrt werden, aus diesem Grunde handelt es sich um Selbstkritik.

Damit k¨onnen wir das Programm der KrV wie folgt aus dem Titel verstehen. Das Wort

”Kritik“ leitet sich vom griechischen Verb

”krinein“ her, das soviel wie

”unterscheiden“

bedeutet. Bei Kant bezieht sich diese Unterscheidung bildlich auf Herrschaftsanspr¨uche der Metaphysik/Vernunft, w¨ortlich auf die Anspr¨uche der Vernunft, ¨uber bestimmtes Wissen zu verf¨ugen. Kant m¨ochte diejenigen Gebiete oder Fragen, zu deren Behandlung die menschliche Vernunft zureicht, von denjenigen Fragen trennen, die den menschlichen Vernunftgebrauch ¨ubersteigen. Der Genitiv

”der reinen Vernunft“ meint also zun¨achst, daß die Vernunft zum Objekt von Kritik wird (genitivus objectivus).

”Rein“ heißt hier so viel wie

”unabh¨angig von Erfahrung“ (s. Abschnitt 2.1). Kernfrage der Kritik ist da- her, ob sich die menschliche Vernunft im Rahmen einer Metaphysik ¨uber die Erfahrung erheben kann. Hinzusetzen kann man noch, daß die KrV besonders den theoretischen Vernunftgebrauch betrifft. Die praktische Vernunft ist Thema der

”Kritik der prakti- schen Vernunft“. Allerdings wußte Kant, als er die erste Auflage der KrV abfaßte, noch nicht, daß er auch einmal eine Kritik der praktischen Vernunft schreiben w¨urde. – In den Genitiv

”der reinen Vernunft“ kann man teils aber auch einen genitivus subjectivus hineinlesen, was heißen w¨urde, daß die Kritik selber wieder eine Aufgabe der Vernunft ist (wobei wir offenlassen wollen, ob sie nur eine Aufgabe der reinen Vernunft ist).

2 Kants Unterscheidungen unterschiedlicher Urteile

In seiner Einleitung, die der Vorrede folgt, konkretisiert Kant sein Programm etwas n¨aher. Da diese Einleitung in der zweiten Auflage zur KrV deutlich ausgebaut wurde, halten wir uns hier an die zweite Auflage.

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2.1 A priori vs. a posteriori

Kant unterscheidet hinsichtlich unserer Erkenntnis zun¨achst zwischen zeitlichen und Strukturverh¨altnissen (B1 f.). Der Zeit nach gehe die Erfahrung aller anderen Erkennt- nis voraus. Das ist ein Zugest¨andnis an den Empirismus. Gerade John Locke hatte sich in seinem

”Essay“ einer Methode bedient, der er

”historical, plain method“ nennt (Es- say, I.1.2). Das heißt, Locke untersucht, in welcher zeitlichen Reihenfolge wir unsere Erkenntnisse erwerben. Mit solchen Methoden wollte Locke dann etwa die These be- weisen, daß sich alle unsere Vorstellungen und Begriffe (

”ideas“) aus der ¨außeren oder der inneren Wahrnehmung ableiten (Essay, I.1.1 – 24). Genau an diesem Punkte setzt Kants Unterscheidung ein. Denn nach Kant muß eine zeitliche Abfolge im Gebrauch unserer Erkenntnisverm¨ogen nicht notwendigerweise den Strukturzusammenhang dieser Erkenntnisverm¨ogen spiegeln. Obwohl die Erfahrung anderen Erkenntnisformen zeitlich vorausgeht, k¨onnten letztere der Erfahrung in struktureller Hinsicht vorausliegen. Dabei hat Kant folgende M¨oglichkeit im Auge: Die Erfahrung k¨onnte selber gar nicht einfach sein, sondern unterschiedliche Erkenntnisverm¨ogen besch¨aftigen und sich aus dem Zu- sammenspiel von Eindr¨ucken und einem eigenen Erkenntnisverm¨ogen ergeben (B1 f.).

Dann w¨are die Erfahrung gar nicht so unproblematisch und voraussetzungslos, wie die Empiristen immer suggerieren. Ob es sich so verh¨alt, kann nur eine Strukturanalyse der Erfahrung aufweisen. Die Kritik der reinen Vernunft liefert diese Strukturanalyse.

Wenn die Erfahrung nun in dieser Weise von anderen Erkenntisverm¨ogen abh¨angt, dann ist die Frage, ob es Erkenntnis gibt, die unabh¨angig von der Erfahrung operiert, of- fen (B2). Denn jene anderen Erkenntisverm¨ogen, die in die Erfahrung verwoben sind, k¨onnten in der Lage sein, alleine Erkenntnis hervorzubringen. Kant unterscheidet des- halb Erkenntnisse a priori und Erkenntnisse a posteriori.

”A priori“ heißt im Lateinischen von vornherein und hier in etwa

”vor aller Erfahrung“.

”A posteriori“ kann man mit

”im Nachhinein“ ¨ubersetzen, es meint hier

”nach der Erfahrung“. Die Unterscheidung zwischen a priori und a posteriori bezieht Kant auf Erkenntnisse. Insofern sich unsere Erkenntnisse und unser Wissen in S¨atzen ausdr¨ucken lassen, kann man auch von Aussa- gen a priori/a posteriori sprechen (Kant selber spricht in B2 von S¨atzen a priori, meint aber eigentlich Aussagen, an anderen Stellen bezieht er die Unterscheidung auf Urteile, etwa ”synthetische[...] Urteile a priori“, A9/B13. Urteile sind in unserer Sprache Aussa- gen).

Kants Definition apriorischer Erkenntnis lautet nun wie folgt:

”Wir werden also im Verfolg [d.h. im folgenden] unter Erkenntnissen a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die schlecherdings von aller Erfahrung unabh¨angig stattfinden“ (B2 f.).

Daß ein Urteil a priori gilt, heißt nicht notwendig, daß alle Begriffe, die es enth¨alt, nicht-empirisch sind. Was vielmehr in einem apriorischen Urteil

”schlecherdings von al- ler Erfahrung unabh¨angig“ sein sollte, ist die Verbindung, die zwischen den Begriffen des Urteils hergestellt wird (siehe dazu Mohr 2004, 84f.). Erkenntnisse, die ¨uberhaupt keinen empirischen Gehalt haben, bei denen also sowohl die Begriffe als auch die Ver- kn¨upfung zwischen diesen unabh¨angig von Erfahrung sind, nennt Kant rein (B3).

Bis zu diesem Punkt erw¨agt Kant nur die theoretische M¨oglichkeit von apriorischer Er- kenntnis. Man kann aber fragen, ob es realiter Kandidaten f¨ur apriorische Erkenntnis gibt. Kant bejaht diese Frage. Um seine Antwort zu begr¨unden, nennt er zun¨achst zwei

”Merkmal[e]“ (B3) der Apriorizit¨at. Es sind dies Notwendigkeit und strenge Allgemein- heit. Notwendige und streng allgemeine Erkenntnisse sind also nach Kant Merkmale f¨ur apriorische Erkenntnis.

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Die Rede von Merkmalen ist an dieser Stelle etwas mißverst¨andlich. Merkmale k¨onnten hinreichende Bedingungen f¨ur apriorische Erkenntnisse sein. Das scheint aber nicht von Kant gemeint zu sein, denn in dieser Intepretation sind Kants ¨Uberlegungen fehlerhaft (strenge Allgemeinheit ist nicht hinreichend f¨ur Apriorizit¨at, weil Urteile wie

”Jeden Morgen kommt notwendig der Milchmann“ nicht v¨ollig unabh¨angig von der Erfahrung sind). Wir gehen daher davon aus, daß Kant hier mit

”Merkmalen“ Kennzeichen von Apriorizit¨at meint. Die Idee ist also, daß Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit auf apriorische Erkenntnisverm¨ogen verweisen, die ihrerseits apriorisch Erkenntnisse hervor- zubringen verm¨ogen.

Schauen wir uns nun die beiden Kennzeichen genau an. Erkenntnisse deuten nach Kant erstens immer dann auf Apriorizit¨at, wenn sie nicht nur darauf hinauslaufen, daß etwas so und so ist, sondern auch, daß es so sein muß, daß es also mit Notwendigkeit so ist (B3). Das leuchtet zun¨achst einmal ein. Wir k¨onnen zwar sehr wohl beobachten und daher durch Sinneserfahrung herausbekommen, daß ein St¨uck Bienenwachs schmilzt, wenn wir es in die N¨ahe einer Kerze bringen. Aber anhand dieser Beobachtung k¨onnen wir nicht zeigen, daß es so kommen mußte.

Zweitens weisen Erkenntnisse nach Kant immer dann auf apriorische Erkenntnis, wenn sie streng allgemein sind. Eine Aussage ist streng allgemein, wenn sie die Form einer Allaussage hat und wenn Ausnahmen unm¨oglich sind (B4). Daß eine Aussage diesen Typs auf apriorische Erkenntnisverm¨ogen hindeuten, kann man sich klarmachen, indem man auf das klassische Induktionsproblem verweist. Wie Hume sieht Kant n¨amlich das Problem, daß der ¨Ubergang von einer Reihe von gleichartigen Zusammenh¨angen (einer

”constant conjuction“, wie Hume sagt, Enquiry V, Part I) auf einen Allsatz nicht trivial ist und nicht durch Erfahrung gerechtfertigt werden kann. Kant dr¨uckt das wie folgt aus:

”Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur an- genommene und komparative Allgemeinheit (durch Induktion), so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme“ (B3 f.)

Die Erfahrung legitimiert also nur einen einen beschr¨ankten Allsatz, der sich genau auf die F¨alle bezieht, die wir in der Vergangenheit beobachtet haben. Daraus folgt, daß wir echte, uneingeschr¨ankte Allaussagen nur durch Erfahrung nicht rechtfertigen k¨onnen. Eine m¨ogliche Rechtfertigung dieser Aussagen muß dann andere Erkenntnis- quellen involvieren, also ¨uber die Erfahrung hinausgehen und daher, wie Kant sagt, auf ein ”Verm¨ogen des Erkenntnisses a priori“ verweisen (B4).

Nach Kant h¨angen Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit, jene Kennzeichen also, die auf apriorische Erkenntnis verweisen, sehr eng miteinander zusammen. Das ist auch unmittelbar aus Kants Definition der strengen Allgemeinheit ersichtlich – diese enth¨alt n¨amlich eine M¨oglichkeitsbestimmung (Ausnahmen sind unm¨oglich, s.o.). Allerdings fragt sich, ob man diese M¨oglichkeitsbedingung nicht aus der Definition der strengen Allgemeinheit herausnehmen k¨onnte und ob dann nicht Notwendigkeit und strenge All- gemeinheit unabh¨angig voneinander werden.

Wie immer es sich damit verhalten mag – f¨ur Kant gibt es nun in den Wissenschaf- ten und im Common sense (Kant spricht vom

”gemeinsten Verstandesgebrauche“, B4) Beispiele f¨ur apriorische Erkenntnis. Kant zeigt dies erstens anhand von Urteilen. Da- bei nennt er zun¨achst zwei Beispiele – mathematische S¨atze und den Grundsatz

”Jede Ver¨anderung hat eine Ursache“ (B4 f.). Dieser Grundsatz enth¨alt implizit Aussagen ¨uber Notwendigkeiten, weil nach Kant zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung stets ein

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notwendiger Zusammenhang besteht. Außerdem behauptet Kant, daß nur apriorische Erkenntnis die M¨oglichkeit, durch Erfahrung unser Wissen zu erweitern garantieren.

Daß wir ¨uber apriorische Erkenntnisse verf¨ugen, zeigt Kant zweitens an Begriffen (B5 f.).

Kant nennt als Beispiele den Raumbegriff und den Substanzbegriff. Diese Begriffe blie- ben nach Kant auch dort ¨ubrig, wo wir von allen Erfahrungsbegriffen abstrahierten. Der Raum- und der Substanzbegriff erm¨oglichen deshalb apriorische Erkenntnis.

2.2 Analytisch vs. synthetisch

Eine andere wichtige Unterscheidung ist die Unterscheidung von analytisch vs. synthe- tisch (siehe dazu auch epi a10.pdf). Diese bezieht sich auf Urteile. Ein Urteil gilt nach Kant als analytisch oder als Erl¨auterungsurteil, wenn das Pr¨adikat dem Subjekt nichts zuschreibt, was nicht in diesem bereits stets mitgedacht w¨are. Analytische Urteile ent- falten also lediglich die Bedeutung von Begriffen. Ein Beispiel f¨ur ein analytisches Urteil lautet

”Junggesellen sind unverheiratet“. In synthetischen Urteilen oder Erweiterungs- urteilen enth¨alt das Pr¨adikat hingegen Bestimmungen, die nicht bereits im Begriff des Subjekts enthalten sind (B10 f.). Kants Beispiel f¨ur ein synthetisches Urteil lautet:

”Al- le K¨orper sind schwer“ (B11). Es ist n¨amlich begrifflich durchaus m¨oglich, daß K¨orper nicht schwer sind, also einander nicht anziehen etc.

Es ist nun klar, daß f¨ur die Erweiterung unseres Wissens vor allem synthetische Urteile wesentlich sind. Kant selber dr¨uckt das so aus:

”Nun beruht auf solchen synthetischen d. i. Erweiterungs-Grundstzen die ganze Endabsicht unserer spekulativen Erkenntnis a priori; denn die ana- lytischen sind zwar h¨ochst wichtig und n¨otig, aber nur um zu derjenigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreite- ten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Erwerb, erforderlich ist“ (B13 f.).

Da sich sowohl die Unterscheidung analytisch–synthetisch als auch die Unterscheidung a priori–a posteriori auf Urteile anwenden lassen, k¨onnen wir nun alle Urteile in vier Klassen einteilen, gem¨aß der folgenden Tabelle. Die mit so bezeichnete Klasse enh¨alt

a priori a posteriori

analytisch ar ao

synthetisch sr so

also etwa die synthetischen Urteile a posteriori. Nun ist es allerdings so, daß es keine aposteriorischen und analytischen (ao) Urteile gibt. Denn die Begriffserkl¨arung, die in analytischen Urteilen stattfindet, bedarf keiner Erfahrung, sie ergibt sich ganz aus der Bedeutung der involvierten Begriffe. Man kann sich das auch deutlich machen, indem man sich fragt, wie man empirisch testen wollte, daß alle Junggesellen unverheiratet sind. F¨ur einen solchen Test m¨ußten wir zun¨achst eine Reihe von Junggesellen haben.

Um diese auszuw¨ahlen, m¨ußten aber bereits ihren Familienstand erfragen. Der Test, ob die Junggesellen auch unverheiratet sind, ist dann ¨uberfl¨ussig, sobald wir die Junggesel- len als solche identifiziert haben.

Demgegen¨uber lassen sich f¨ur die Klassen ar und so einfach Beispiele finden. Ein ana- lytisches Urteil a priori (ar) ist offenbar:

”Junggesellen sind unverheiratet“. Alle Urteile a posteriori sind synthetisch und daher zur Klasse so geh¨orig, wie etwa

”Dieses Buch ist gr¨un.“ Problematisch erscheint allerdigs die Klasse sr. Denn man mag sich fragen, wie ein Urteil unser Wissen ¨uber die Welt erweitern soll, ohne in irgendeiner Weise auf Erfahrung zu gr¨unden.

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F¨ur Kant gibt es jedoch wahre synthetische Urteile a priori. Insbesondere fungierten sie als Prinzipien in den theoretischen Wissenschaften. Kant f¨uhrt drei Klassen von Beispielen an.

1. Urteile aus der Mathematik sind nach Kant synthetisch a priori. Wie Kant ihre Erfahrungsunabh¨angigkeit dartut, haben wir schon in Abschnitt 2.1 gesehen. Die Synthetizit¨at mathematischer Urteile verdeutlicht Kant mit Beispielen aus der Arithmetik und der Geometrie. Im Falle der Arithmetik diskutiert Kant das Urteil

”5+7=12“ (B15 f.). Dabei r¨aumt er durchaus ein, daß dieses Urteil auf den ersten Blick analytisch erscheinen mag (B15). Eine genaue Analyse zeige jedoch, daß dieser erste Eindruck t¨ausche. Kant identifiziert dabei das Subjekt des Urteils mit

”die Summe aus 5 und 7“ und das Pr¨adikat mit

”ist 12“ (ib.). Nach Kant ist nun im Begriff einer Summe aus 5 und 7 noch nicht enthalten, daß diese Summe numerisch den Wert 12 annimmt. Um dieses Ergebnis zu erhalten, m¨ußten wir neben den Begriffen des Subjekts und des Pr¨adikats etwas Drittes, n¨amlich die Anschauung, hinzuzuiehen, etwa, indem wir unsere Finger zur Hilfe n¨ahmen, um die Summe von 5 und 7 zu evaluieren (B15 f.). Aus diesem Grunde sei das genannte Urteil synthetisch.

2. Auch die Physik enth¨alt nach Kant synthetische Urteile a priori als Prinzipien (B17). Als Beispiele nennt Kant die Erhaltung der Masse (die Summe der Massen ist zeitlich konstant) und das dritte Newtonsche Axiom (Actio=reactio). Deren synthetischer Charakter ist offensichtlich. Da sie streng allgemein gelten, m¨ussen sie auch a priori sein.

3. Auch die Metaphysik hat es nach Kant mit synthetischen Urteilen a priori zu tun (B18). Allerdings ist die Verbindung zwischen der Metaphysik und synthetischen Urteilen a priori nicht so eng wie bei Mathematik und Physik, da die Metaphysik aufgrund ihres schlechten Zustandes noch gar keine genuinen Erkenntnisse gewon- nen hat (ib.). Immerhin zielt sie aber auf synthetische Erkenntnis a priori ab; denn erstens soll die Metaphysik unser Wissen erweitern und kann daher nicht bloß ana- lytisch sein (ib.); zweitens wird sie traditionell als philosophische Disziplin, und das heißt eben nicht als Erfahrungswissenschaft konzipiert. Als eine m¨ogliche syn- thetische Erkenntnis a priori in der Metaphysik nennt Kant den Satz

”die Welt muß einen ersten Anfang haben“ (ib.).

2.3 Das Programm der ersten Kritik

Im Anschluß an seine Unterteilung aller m¨oglichen Urteile pr¨azisiert Kant die Aufgabe seiner KrV. Kant definiert die Vernunft als das

”Verm¨ogen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori an die Hand gibt“ (A11/B24). Entsprechend heißt reine Vernunft

”diejenige [Vernunft], welche die Prinzipien, etwas schlechthin a priori zu erkennen, enth¨alt“ (ib.). Damit unterstreicht Kant, was bereits vorher implizit war, n¨amlich, daß die Vernunfterkenntnis der Erfahrung entgegengesetzt ist.

Um seine Untersuchungen auf eine Formel zu bringen, formuliert Kant

”[d]ie eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft“ (B19). Sie besteht darin, die folgende Frage zu beantwor- ten: ”Wie sind synthetische Urteile a priori m¨oglich?“. Kernthema der Krv sind daher synthetische Urteile a priori. Dabei kommt der Kritik der reinen Vernunft als Kritik aber nur

”die Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen“ (A11/B25) zu. Sie ist noch kein

”Organon der reinen Vernunft“, das

”ein Inbegriff derjenigen Prin- zipien“ w¨are,

”nach denen alle reine Erkenntnisee a priori k¨onnen erworben und wirklich

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zustande gebracht werden“(A11, B24 f.). In diesem Zusammenhang betont Kant, daß die Kritik negativ ist; sie erweitere unser Wissen nicht (A11, B25).

Kant hebt außerdem hervor, daß er in seiner Vernunftkritik analytische Erkenntnis nur insofern ber¨ucksichtigt, als diese f¨ur die Frage nach synthetischem Wissen a priori not- wendig ist (A12/B25).

Was bringt also die Einleitung, wenn man einmal von der Idee einer Vernunftkritik ausgeht, wie sie in der Vorrede (AXI) entworfen wurde und wie sie dort durch den unbe- friedigenden Stand der Metaphysik motiviert wurde? Nun, erstens pr¨asiziert Kant sein Vorhaben und macht es an bestimmten Urteilstypen (synthetischen Urteilen a priori) fest. Zweitens schr¨ankt er sein Programm ein, insofern er analytische Erkenntnis, die auch apriorisch ist, weitgehend ausblendet. Drittens stellt er die Vernunftkritik in den Zusammenhang der Einzelwissenschaften. Zu diesem Zweck versucht er zu zeigen, daß bereits die Mathematik und die Naturwissenschaften synthetische Erkenntnis a priori enthalten. Damit wird einer voreiligen Kritik an der Metaphysik entgegengewirkt. Denn wenn diese auf Erkenntnis ausgerichtet ist, die auch in Mathematik und Physik vor- kommt, dann mag sie als weniger problematisch erscheinen.

Wir wollen uns im folgenden noch kurz anhand zweier Beispiele ansehen, wie Kant sein Vorhaben angeht.

3 Formen der Anschauung und Kategorien als Basis unserer Erkenntnis

Kant unterscheidet zun¨achst

”zwei St¨amme der menschlichen Erkenntnis“ (A15/B29), die er Sinnlichkeit und Verstand nennt (ib.). Durch die Sinnlichkeit werden uns nach Kant Gegenst¨ande gegeben, durch den Verstand werden sie gedacht (ib.). W¨ahrend die Sinnlichkeit sinnliche Vorstellungen (Anschauungen; zur Begriffserkl¨arung siehe Mohr 2004, 106) erzeugt, operiert der Verstand mit Begriffen (A18/B32). Dabei ist die Sinn- lichkeit rezeptiv, sie nimmt nur passiv auf, durch sie werden wir

”affizier[t][...]“ (ib.).

Dagegen ist der Verstand spontan, er bringt selber Vorstellungen hervor (A51/B75).

Kant betont, daß sich beide St¨amme der Erkenntnis gegenseitig erg¨anzen und daß beide einen entscheidenden Beitrag zu unserer Erkenntnis liefern (ib.). Dabei gesteht Kant den Empiristen zu, daß all unser Denken letztlich auf Anschauung, also auf sinnliche Vorstellungen bezogen bleiben muß (A19/B33). Auf der anderen Seite behauptet Kant, daß wir Gegenst¨ande nur mit dem Verstand denken k¨onnen (A51/B75).

In der

”Transzendentalen ¨Asthetik“ analysiert Kant die Sinnlichkeit und unsere An- schauungen. Dabei darf man bei ¨Asthetik nicht an die Kunst denken, sondern muß sich eher an den Wortsinn des griechischen aisthesis = Wahrnehmung halten; die tran- szendentale ¨Asthetik liefert daher eine Analyse unserer Wahrnehmungen. Das Attribut

”transzendental“ taucht hier wohl auf, da Kant seine gesamte KrV der Transzendental- philosophie zuordnet, die es nicht mit Gegenst¨anden in der Welt, sondern mit

”unserer Erkenntnisart von Gegenst¨anden, sofern dieses a priori m¨oglich sein soll“ (B25) zu tun hat. In seiner transzendentalen ¨Asthetik vertritt Kant nun die These, daß alle An- schauung an Formen gebunden ist. Diese Formen sind Raum und Zeit; sie erm¨oglichen synthetische Erkenntnis a priori in der Geometrie.

Die ”Metaphysische Er¨orterung“ des Raumes dient dazu, den Raumbegriff ausf¨uhrlich darzustellen (vgl. B38). Dabei versucht Kant zu zeigen, daß Raum kein empirischer Be- griff ist, daß er also nicht auf dem Inhalt konkreter Anschauungen beruht (A23/B38).

Vielmehr liege er formal jeder Anschauung zugrunde. Insofern wir uns Gegenst¨ande nur im Raum vorstellen k¨onnten, sei der Raum notwendig (A24/B38 f.) und daher eine

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”Bedingung der M¨oglichkeit der Erscheinungen“ (A24/B39). Indem Kant den Raum zu einer Form unserer Anschauung erkl¨art (etwa A48/B66), zieht er ihn auf die Seite des Subjektes hin¨uber. Der Raum ist deshalb nach Kant kein wirkliches Ding (wie die sogenannten Substantivalisten behaupten), er besteht auch nicht in den Verh¨altnissen wirklicher Dinge (wir die Relationisten sagen, A23/B37), sondern konstituiert mit, was f¨ur uns Menschen Anschauung ist: Uns Menschen sind Gegenst¨ande immer im Raum gegeben.

Weil der Raum als Form der Anschauung aller Erfahrung vorausliegt, erm¨oglicht er synthetische Erkenntnis a priori. Dies behauptet Kant in der sog. transzendentalen Er¨orterung des Raumbegriffes. Die transzendentalen Er¨orterung soll jedoch nicht nur zeigen, wie der Raumbegriff synthetische Erkenntnis a priori m¨oglich macht, sondern auch, daß dies nur funktioniert, wenn man den Kantschen Raumbegriff voraussetzt. – Neben dem Raumbegriff fungiert nach Kant auch die Zeit als Form der Anschauung.

In der transzendentalen Logik steht der zweite Stamm unserer Erkenntnis, n¨amlich der Verstand, im Mittelpunkt. Dabei ist zu beachten, daß Kant zwischen Verstand und Ver- nunft unterscheidet – wir haben es an dieser Stelle also nicht mit der Vernunft zu tun.

Analog zum Beweisziel in der transzendentalen ¨Asthetik m¨ochte Kant in der transzen- dentalen Logik zeigen, daß unser Denken von Gegenst¨anden, unser begrifflicher Zugriff auf Gegenst¨ande an gewisse Formen gebunden ist. Auf der Basis dieser Idee versucht Kant die

”objektive G¨ultigkeit“ ( A93/B126) einiger reiner Verstandesbegriffe, auch Ka- tegorien genannt (A76/B102), zu beweisen. Das soll die transzendentale Deduktion der Kategorien leisten. Die sogenannte Kategorientafel, die die Kategorien in systematischer und vollst¨andiger Weise auflistet, ist vereinfacht in krv2.pdf wiedergegeben (A80/B106).

Dort taucht auch der Substanzbegriff auf.

Wir k¨onnen und wollen hier nicht in die Details der KrV gehen. Insbesondere k¨onnen wir auch nicht mitverfolgen, wie Kant letztlich die M¨oglichkeit metaphysischen Wissens einsch¨atzt. Im Rahmen einer Einf¨uhrung in die Erkenntnistheorie war die Behandlung von Kant aber insofern wichtig, als

1. Kant in der KrV den Umfang des menschlichen Wissens auslotet. In Kants eigenen Worten geht es ihm um die Frage

”Was kann ich wissen?“ (A805/B833).

2. Kant in der KrV eine Synthese zwischen Rationalismus und Empirismus herstellt.

3. Kant die wichtigen Unterscheidungen synthetisch/analytisch und a priori/a poste- riori vornimmt.

References

Mohr, G.,Immanuel Kant. Theoretische Philosophie. Texte und Kommentar. Band III, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2004.

Referenzen

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