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Erbil: Im Schatten des großen Grauens

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Bayerisches Ärzteblatt 4/2015

Varia

Erbil, die Hauptstadt des kurdischen Iraks, ist zum Symbol des Widerstandes gegen die bru- talen Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) geworden, und damit auch zum Zentrum der Flüchtlingsbewegungen. Als die IS-Truppen im August vergangenen Jahres mit raschen Bodengewinnen und menschenverachtenden Morden im Irak von sich Reden machten, beka- men wir den Auftrag, genau dorthin zu fliegen, wohin sich viele Vertriebene retten wollten. Es sind vornehmlich Christen und Jesiden, denen unter dem Terrorregime Grausames droht. Aber auch Schiiten und gemäßigte Sunniten sowie andere religiöse Minderheiten machen sich auf den Weg. Für die meisten – nennen wir sie einfach Kurden, denn im Verständnis dieser Region wird normalerweise nicht nach Religi- onszugehörigkeit differenziert – ist es nicht die erste Flucht. Schon unter dem Regime Saddam Husseins wurden sie Opfer von Gewalt, Diskri- minierung und Vertreibung. Ich erlebe Erbil als eine moderne Großstadt, neue Autos und Wol- kenkratzer. Seit der „Befreiung“, dem Ende des Hussein-Regimes im Jahre 2003, hat sich der kurdische Teil des Iraks enorm entwickelt, galt als sicherste Provinz des Landes.

Flucht

Sie fliehen in der Nacht. Es gibt nur eine kurze Warnung über ein Megafon, dass sich die kur- dischen Peschmerga-Truppen zurückziehen.

Niemand nimmt sich jetzt noch die Zeit, Sa- chen zu packen, so groß ist die Angst vor der Daësh, wie der IS hier genannt wird. Die Familie wird geweckt, viele fliehen im Pyjama, schlie- ßen noch die Tür ab und machen sich auf den Weg. Ein langer Treck aus den westlichen Dis- trikten und der Großstadt Mosul macht sich auf den Weg. Für manche ist die Reise kurz und endet in Erbil, viele kommen mit dem eigenen Auto. Jedoch machen sich zehntausende Men- schen auch auf den Weg in den Norden an die türkische Grenze nach Dohuk.

Die Sonne sengt unerbittlich bei über 45 Grad im Schatten. Innerhalb weniger Tage kommen allein 200.000 Binnenflüchtlinge in die Millionenstadt Erbil. Die extrem großzü- gige Nachbarschaftshilfe und die Hilfe der Behörden ist beeindruckend. Nicht wenige hoffen, dass die gerade begonnenen ameri- kanischen Luftangriffe den IS zurückdrängen werden und sie noch vor dem Winter wieder

nach Hause können. Ein älterer Herr zeigt uns seine Insulin-Fläschchen, um seinen Diabetes zu behandeln. Es ist das einzige, was er an Hab und Gut mitnehmen konnte. Ich frage einige Andere, was sie mitgenommen haben;

Ausweise, Urkunden, Fotos? Nein, nichts, die Zeit wollte sich keiner nehmen, das Leben zählt mehr. Die Geschichten, die wir von Au- genzeugen über die IS hören, sind an Grau-

samkeit nicht zu übertreffen, sie lassen sich nicht mit Worten wiedergeben.

Auffanglager

Allein in Erbil richtet die Stadtverwaltung 24 temporäre Auffanglager ein, viele davon in Schulen. Es gibt ausreichend Wasser und Nah-

Erbil: Im Schatten des großen Grauens

Jeder freie Platz wird genutzt: Hier stehen Zelte in einem zum Lager umfunktionierten Park.

Viele Familien werden in Zelten untergebracht und zunächst mit dem Nötigsten ver- sorgt: Wasser, Essen und ein Dach über dem Kopf gegen die sengende Sonne.

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Bayerisches Ärzteblatt 4/2015

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Autor

Dr. Joost Butenop (47) ist Experte für humanitäre Nothilfe und war im Auftrag der Malteser interna- tional im Irak im Einsatz. E-Mail:

butenopj@gmx.de rungsmittel. Nur in den größeren Lagern werden

Gesundheitsstationen aufgebaut, die zunächst durch Nachbarschaftshilfe und lokale Geber unterhalten werden. Schnell wird klar, dass dies keine dauerhafte Lösung ist. Auch die lo- kale Gesundheitsbehörde, die uns professionell und kooperativ auf Augenhöhe begegnet, ist angesichts des Ausmaßes überfordert. In den Ambulanzen sind die häufigsten Krankheitsbil- der neben den hitzebedingten Konditionen vor allem chronische Erkrankungen sowie Durchfall- erkrankungen, Wunden und Hautinfektionen.

Die Teams bestehen aus lokalen Fachleuten. Es mangelt nicht an gut qualifizierten Ärzten, Pfle- gern, Apothekern, die bereitwillig helfen. Auch sie sind kürzlich geflohen und sind nun arbeits- los. Häufig klagen die Patienten über unklare Symptome, über den Schmerz der Trauer und der Vertreibung. Die sogenannten essenziellen Medikamente, die in der humanitären Nothilfe zum Beispiel in den standardisierten Baukasten- Modulen wie dem sogenannten „Emergency Health Kit“ geliefert werden, decken psycho- somatische Diagnosen nicht ab. Mit großer Ge- duld und Empathie gehen die Mediziner soweit möglich auf die Sorgen und Nöte ihrer Patienten ein, auch wenn sie ihnen am Ende nur ihr Gehör und Vitamintabletten geben können. Der Winter

ist kurz aber kalt in der Region. Atemwegsinfek- tionen und Pneumonien häufen sich. Die inter- nationalen Hilfsorganisationen sind für diese Saison gut gerüstet, jedoch bleiben vor allem die Notunterkünfte improvisiert und temporär.

Heute, gut neun Monate nach der großen Flüchtlingswelle, sind auch die letzten Hoff- nungen der Menschen auf eine baldige Rück- kehr in die Heimat geplatzt. Der IS hat sich nicht zurückdrängen lassen, die internatio- nale Militäraktion hat die Territorialgewinne der Terrorbrigaden lediglich zum Stillstand gebracht. Dieser Konflikt hat keine absehbare Lösung, die Vertreibung wird noch Jahre anhal- ten. Das tatenlose Warten, die Unsicherheit, ob das Heim noch steht, ob die Verwandten noch leben, ob sie jemals wieder zurück können, setzen vielen Menschen zu. Zwar hat sich die Situation in vielen Lagern und Unterkünften stabilisiert, ein menschenwürdiges Dasein er- laubt es jedoch nicht. Schon damals im August sagten mir einige Menschen, dass sie in die Tür- kei wollen, oder nach Europa, um ihren Kindern ein normales Leben zu ermöglichen. Sie sind müde vom Warten, von der wiederholten Ver- treibung. Nein, hier noch einmal neu anfangen wollen sie nicht mehr.

Vertriebene sind in einer Schule im Stadtteil Ankawa untergekommen.

Dieser Mann hat Diabetes und konnte sein Insulin retten. Er bewahrt es in einer Plastikflasche, die in Eiswasser schwimmt, da es keine andere Kühloption im Lager gibt.

Einige Familien bekommen zunächst keine Zelte, diese bekommen zuerst Familien mit Kindern.

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