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FORUM-9-2011

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Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

Balanceakt MethadonsuBstitution

Was Praxen bei der Vergabe beachten müssen

09 |11

kVB FoRuM

VeRsoRgungsgesetz: Bayern befeuert debatte in Berlin

MRsa: erreger auch im ambulanten Bereich auf dem Vormarsch

syRingoMyelie: Rückenmarkserkrankte setzen auf selbsthilfe

(2)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

eines unserer vorrangigen Ziele ist eine möglichst weitgehende Regionalisierung aller Hand- lungs- und Entscheidungskompetenzen im Gesundheitswesen. Nachdem in den vergange- nen Jahren alles immer stärker zentralisiert und die Spielräume auf regionaler Ebene be- schnitten wurden – man denke nur an den Wegfall der in Bayern früher fl orierenden Struk- turverträge –, könnte sich das Blatt nun wenden. Der im August vorgelegte Regierungsent- wurf für ein GKV-Versorgungsstrukturgesetz bringt wieder mehr Regionalität – auch wenn einige Vorgaben im Bereich der Honorarverhandlung und -verteilung nach wie vor zu zent- ralistisch gefasst sind. Hier sind wir noch dabei, Überzeugungsarbeit bei den politischen Entscheidungsträgern zu leisten.

Wie wichtig es ist, dass die Beteiligten vor Ort gemeinsam entscheiden und Probleme lö- sen können, zeigt das Schwerpunktthema dieser Ausgabe von KVB FORUM. Die Substituti- onsbehandlung ist einer der kritischsten Bereiche in der ambulanten Versorgung. Die Vor- gaben für die Ärzte sind sehr streng, die Honorierung demgegenüber kaum angemessen.

Hinzu kommt, dass die Patienten alles andere als pfl egeleicht sind – oder, wie es der Kolle- ge Hannes Rabe im Interview auf Seite 10 deutlicher ausdrückt: „Manche Substitutionspa- tienten versuchen, den Ärzten auf der Nase herumzutanzen.“ Hier weiterhin ein fl ächende- ckendes Angebot zu erhalten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen. Als zielführend hat sich dabei erwiesen, im Rahmen von regionalen Versorgungskonferenzen nach maßgeschneiderten Lösungen zu suchen.

Denn auch hier gilt: Nur vor Ort kann man wirklich sachgerecht entscheiden und handeln – weniger zentral, mehr regional!

Ihr KVB-Vorstand

Dr. Krombholz

Vorsitzender des Vorstands Dr. Schmelz

1. Stellv. Vorsitzender des Vorstands Dr. Enger

2. Stellv. Vorsitzende des Vorstands

(3)

Wichtiges für die Praxis

iM ViRtuellen

dialog zahl des Monats

zitat des Monats

auFgeRäuMteR auFtRitt

Im Zuge der Mo- dernisierung des Erscheinungs- bildes der KVB wurde auch der Internetauftritt www.kvb.de einer maßvollen Renovierung un- terzogen. Die Gestaltung der Seiten ist insge- samt transpa- renter, heller und offener ge- worden. Größ- tes Plus für die Nutzer: Insbesondere die Startseite ist nun übersichtli- cher gestaltet. Die Kontaktmöglichkeiten sowohl online als auch telefo- nisch sind hervorgehoben. Durch eine neue Reitersystematik kann man ohne viele Klicks den gesamten Inhalt durchstöbern und rasch die ge- suchten Seiten finden.

„Ich weiß, dass ich mich damit bei einigen Ärzten unbeliebt mache.

Aber wenn wir nicht dafür sorgen, dass überflüssige Praxen an at- traktiven Standorten verschwin- den, werden noch so hohe Hono- rare nicht reichen, mehr Mediziner aufs Land zu locken.“

KBV-Chef Dr. Andreas Köhler fordert, dass die KVen Vertrags-

arztsitze aufkaufen müssen

1.103

Zweigpraxen werden von Vertrags- ärzten derzeit in Bayern geführt.

Gerechnet auf die Summe aller nie- dergelassenen Ärzte im Freistaat macht dies 5,6 Prozent aus und liegt damit leicht über dem Bun- desdurchschnitt von 4,4 Prozent.

Zunehmender Beliebtheit erfreut sich der Blog des KVB-Vorstands unter http://blog.kvb.de/vorstand.

Viele niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten sowie andere Interessierte lesen hier bereits mit, wie sich die drei Vorstandsmitglie- der zu aktuellen Themen und ge- sundheitspolitischen Fragen posi- tionieren. Wer möchte, kann dazu auch eigene Kommentare veröf- fentlichen. Das funktioniert ganz einfach: Man klickt die Überschrift des jeweiligen Beitrags an und kann dann nach Eingabe von Na- me und E-Mail-Adresse sowie ei- nes vorgegebenen CAPTCHA- Codes zur Authentifizierung als na- türliche Person seinen Kommentar eingeben. Nach kurzer Zeit ist der Beitrag dann öffentlich für alle Be- sucher des Blogs sichtbar.

Fragen zur Fortbildung (Teil 2)

kann der Fortbildungszeitraum unterbrochen werden?

Persönliche Umstände wie Krankheit, Schwanger- schaft, Elternzeit oder die Teilnahme an einer Wei- terbildung können eine Auszeit von der vertrags- ärztlichen beziehungsweise -psychotherapeuti- schen Tätigkeit erforderlich machen. Freiberuflich tätige Ärzte und Psychotherapeuten können bei längeren Auszeiten das Ruhen ihrer Zulassung oder Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss ge- nehmigen lassen. Für die Dauer des Ruhens kann der Fortbildungszeitraum auf formlosen Antrag hin unterbrochen und entsprechend verlängert wer- den. Gleiches gilt, wenn die Tätigkeit eines Ver- tragsarztes, -psychotherapeuten oder Angestell- ten nachweislich wegen Krankheit länger als drei Monate am Stück nicht ausgeübt werden kann.

Schwangere angestellte und freiberuflich tätige Ärztinnen und Psychotherapeutinnen haben die Möglichkeit, eine einmalige Unterbrechung und Verlängerung des Fortbildungszeitraumes um drei Monate ab der Geburt zu erwirken. Für Angestellte gilt dabei das Mutterschutzgesetz. Wird die ver- tragsärztliche oder -psychotherapeutische Tätig- keit vollständig eingestellt und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen, wird der Fortbil- dungszeitraum für die Dauer der Nichttätigkeit un- terbrochen. Dies gilt jedoch nur für Unterbrechun- gen bis zu einer Dauer von drei Jahren. Wird die Tätigkeit länger als drei Jahre nicht ausgeübt, star- tet mit Aufnahme der neuen Tätigkeit auch ein neuer Fünfjahreszeitraum. Anders verhält es sich bei einem nahtlosen Wechsel von einer Zulassung in ein Anstellungsverhältnis oder umgekehrt. Hier läuft die bereits begonnene Fünfjahresfrist unun- terbrochen weiter.

Claudia Liebling (KVB)

(4)

18 Bayerischer Themenabend in Berlin

Das geplante Versorgungsstruk- turgesetz und die Berücksichti- gung föderaler Strukturen im Gesundheitssystem lieferte den anwesenden Experten Stoff für engagierte Debatten

kVB inteRn

20 Intensive Diskussionen und nachdenkliche Töne

Bei der Vertreterversammlung der KVB standen im Juli brisante gesundheitspolitische Themen auf der Agenda

Qualität

22 „MRSA positiv!“

Wie vermindert man die Häufig- keit nosokomialer Infektionen und damit die Ausbreitung multi- resistenter Erreger in der ambu- lanten Versorgung?

14 Eigene Sprechzeiten entlasten den Praxisbetrieb

In Oberthulba in Unterfranken praktiziert Dr. Ewald Schlereth als Hausarzt. Für seine opiat- abhängigen Patienten stellt er sich seit über zehn Jahren den Herausforderungen dieser spezi- ellen medizinischen Versorgung 16 „Die Substitution ist eine sehr wertvolle medizinische Behandlung“

Die psychosoziale Begleitung von Methadonpatienten trägt wesentlich zu deren Stabilisie- rung bei. Dieser Meinung ist Bärbel Würdinger, die eine Be- ratungsstelle in Freising leitet

gesundheitsPolitik 17 Aktiv gegen Nachwuchs- mangel

Eine Koordinierungsstelle soll künftig Weiterbildungsverbünde in der Allgemeinmedizin initiieren und als zentrale Anlaufstelle vor- anbringen

titeltheMa

6 Drogen auf Rezept?

Die Methadonsubstitution gibt Patienten die Chance, ihre Ge- sundheit zu stabilisieren. Doch auf dem Land wird die Versor- gung zunehmend schwieriger

10 Kein Nachwuchs in Sicht!

Der Vorsitzende der KVB-Metha- donkommission, Dr. Hannes Rabe, fordert eine deutliche Verbesse- rung der Rahmenbedingungen für substituierende Ärzte 12 „Mit Substitution kann man Patienten am Leben erhalten“

Dr. Stephan Walcher ist Substi- tutionsarzt in einer Münchner Schwerpunktpraxis. In seinem Kommentar erklärt er, warum Abstinenz das Ergebnis eines langen Heilungsprozesses ist und nicht seine Voraussetzung

Hilfe für Sucht- kranke auf dem Land: Können zukünftig noch genügend Ärzte Substitutions- plätze anbieten?

Diskussion in Berlin: Welche Folgen hat das Versorgungs- strukturgesetz?

Kammer, Kranken- häuser, KV und Hausärzteverband bündeln ihre Kräf- te, um medizini- schen Nachwuchs zu gewinnen

17 18

12

(5)

34 Interessen der Mitglieder im Fokus

34 Fortsetzung einer Erfolgs- geschichte

35 Unrealistische Bedarfs- planung

35 iMPRessuM

36 leseRBRieFe

38 kVB seRVicenuMMeRn PatientenoRientieRung

30 Leben mit Syringomyelie Die seltene Rückenmarkserkran- kung hat verheerende Folgen für die Patienten. Selbsthilfegruppen setzen sich für eine bessere Diagnostik ein

VeRoRdnungen 32 Hilfe beim Verordnen

Die KVB bietet zu allen Aspekten des Verordnungsbereichs viel- fältige Unterstützung an: vom Servicetelefon über persönliche Beratung bis zu praxisindividuel- len Analysen

kuRzMeldungen

33 Diskussionen über effizientes Versorgungsmanagement 33 Gut beraten

33 Interessantes Konzept Recht inteRessant

24 Schweigen ist nicht immer Gold. Was passiert bei Stimm- enthaltungen?

Bei Wahlen und Abstimmungen in den Gremien der Selbstver- waltung stellt sich die Frage, wie sich Enthaltungen auf die Berechnung des Ergebnisses auswirken

PRaXis und FaMilie

26 „Ein großer logistischer Auf- wand, der sich lohnt und sehr schön ist!“

Wie lassen sich Familienleben und Arbeit in der Arztpraxis unter einen Hut bringen? Eine Kinder- und Jugendärztin aus Simbach am Inn berichtet von ihren Erfahrungen

äRzte-engageMent

28 Medizin und Menschlichkeit Münchner Medizinstudenten wollen den Menschen wieder mehr ins Zentrum der Behand- lung rücken: Kommunikation, Berührung, Sterben und Spiri- tualität sind ihre Themen

Karriere in der Praxis, ohne dass die Familie dabei zu kurz kommt:

Da müssen viele Faktoren stimmen

Die KVB bietet ihren Mitgliedern eine umfangreiche Beratung im Ver- ordnungsbereich

26

Die Bedarfspla- nung hinkt der Realität hinterher.

Morbidität und demographische Entwicklung wer- den nur unzurei- chend berück- sichtigt

35

32

(6)

S

ubstitution ist eine in Deutschland seit 1993 praktizierte Behandlungs- methode. Oberstes Ziel einer Sub- stitutionsbehandlung ist nach der Richtlinie „Methoden vertragsärzt- licher Versorgung“ des Gemeinsa- men Bundesausschusses die Sucht- mittelfreiheit. Die Erfahrung hat je- doch gezeigt, dass zur Erreichung dieses Zieles viele kleine Schritte notwendig sind. Der Arzt arbeitet im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzepts eng mit psycho- sozialen Diensten, Psychothera- peuten sowie Psychiatern und an- deren Ärzten zusammen. Die Ver- abreichung des Substitutionsmit- tels, das die Entzugserscheinun- gen lindert, reicht für sich genom- men nicht aus, um opiatabhängige Patienten zu behandeln. Erforder- lich ist, dass der Arzt als Haupt- verantwortlicher dieser Behand- lung mit einem interdisziplinären Team ein individuelles Behand- lungskonzept für seine Patienten erstellt. Die Behandlung trägt da- zu bei, dass die mit dem Drogen- konsum unmittelbar verbundenen gesundheitlichen und sozialen Probleme deutlich reduziert wer- den. Eine Verminderung der Krimi- nalitäts- und Sterblichkeitsrate ist die Folge, Begleiterkrankungen können behandelt werden. Nicht zuletzt ermöglicht diese Therapie, dass die Patienten auch während der Behandlung einer Arbeit nach- gehen können. Opiatabhängige

Menschen werden so in die Lage versetzt, ein gesundheitlich stabi- lisiertes und sozial integriertes Le- ben außerhalb der kriminalisierten Drogenszene zu führen und lang- fristig motiviert, ganz ohne Drogen auszukommen.

Versorgungsdefizite vorwie- gend im ländlichen Bereich Sowohl der Patient als auch die Gesellschaft profitieren von der

Substitutionsbehandlung. Umso wichtiger ist es, dass eine ausrei- chende Anzahl von Ärzten die Me- thadonsubstitution in Abstimmung mit den Sozialarbeitern vornimmt.

Die Realität sieht leider anders aus. In einem Flächenstaat wie Bayern ist es zunehmend schwie- riger, Ärzte zu finden, die sich be- reit erklären, die Methadonsubsti- tution vor allem in ländlichen Ge- bieten zu übernehmen (siehe Bay- ernkarte mit Brennpunkten).

Die Resozialisierung opiatabhängiger Menschen ist ein gesamtgesellschaftli- ches Anliegen. Die Methadonsubstitution, eingebunden in ein individuelles, umfassendes Therapiekonzept, hat großen Anteil daran, dass dieses Ziel auch erreicht werden kann. Der Patient erhält so die Chance, ein gesundheitlich stabilisiertes und sozial integriertes Leben außerhalb der Drogenszene zu führen.

in einigen bayerischen landkreisen (rot markiert) droht die gefahr, dass substitutionspatienten für ihre Behandlung zukünftig weite Wege in kauf nehmen müssen.

dRogen auF RezePt?

(7)

Wo liegen die Probleme?

Anders als in sogenannten „Schwer- punktpraxen“, die sich auf die Sub- stitutionsbehandlung in Ballungs- zentren wie München spezialisiert haben und ausschließlich drogen- abhängige Patienten behandeln, müssen Ärzte auf dem Land ihre Patienten in den zumeist hausärzt- lichen Praxisablauf integrieren, was nicht immer unproblematisch abläuft. Dies liegt zum einen an den immer noch vorhandenen Be- rührungsängsten in der Bevölke- rung, aber auch am Verhalten ein- zelner Drogenabhängiger in den Wartezimmern. Urinkontrollen zur Feststellung eines möglichen Bei- gebrauchs müssen zudem unter Sicht vorgenommen werden. Viele Ärzte entscheiden sich daher für gesonderte Sprechstundenzeiten zur Substitutionsbehandlung.

Die Vergabe von Methadon erfolgt mit Ausnahme von Take-Home täglich, also auch an den Sonn- und Feiertagen. Der substituieren- de Arzt muss daher einen geeig- neten Vertreter für das Wochenen- de beziehungsweise die Urlaubs- zeiten finden. Vereinzelt wird Methadon auch in den Apotheken verabreicht.

Darüber hinaus ist die Angst unter den Ärzten groß, durch die Über- nahme dieser Behandlung selbst kriminalisiert zu werden, weil es zahlreiche Vorschriften (siehe Kas- ten) zu beachten gilt, die zum Teil

sogar strafbewehrt sind. Das Pa- tientenklientel ist teilweise schwer kontrollierbar. Wichtig ist daher, dass die einzelnen Behandlungs- schritte dokumentiert werden, um Missbrauch zu verhindern. In die- sem Zusammenhang werden oft- mals Regelverstöße, Ordnungswid- rigkeiten und auch Straftaten fest- gestellt.

sicherstellung der Methadon- substitution bleibt schwierig Es ist also nachvollziehbar, dass sich immer weniger engagierte Ärzte bereit erklären, die Metha- donsubstitution zu übernehmen.

Nichtsdestotrotz müssen opiatab- hängige Menschen möglichst wohnortnah behandelt werden, um die Resozialisierung der Dro- gensüchtigen zu erleichtern und das Behandlungskonzept insge- samt nicht zu gefährden. Die Me- thadonsubstitution trägt dazu bei, weitere nachteilige Folgen des Drogenmissbrauchs zu verhin- dern. In diesem Kontext stellt die Behandlung opiatabhängiger Men- schen ein gesamtgesellschaftli- ches Anliegen dar. Deshalb plat- zieren wir als Kassenärztliche Ver- einigung das Thema bei den Kom- munen und Bezirken, bringen die Materie im Bayerischen Landkreis- tag ein und werden im Ministerium vorstellig. Sobald uns ein Versor- gungsdefizit (Brennpunkt) bekannt wird, organisieren wir sogenannte regionale Versorgungskonferenzen, um mit den Beteiligten vor Ort zu sprechen und eine individuelle Lösung zu finden. Beispielsweise wurde einem Arzt, der seine Pra- xistätigkeit bereits beendet hat, eine persönliche Ermächtigung für Rechtsgrundlagen

„ Arzneimittelgesetz (AMG)

„ Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

„ Betäubungsmittelverord- nung (BtMVV)

„ Richtlinie „Methoden ver- tragsärztlicher Versorgung“

„ Richtlinien der Bundesärz- tekammer zur Durchführung der substitutionsgestütz- ten Behandlung Opiatab- hängiger

allein auf weiter Flur – werden substitutions- plätze auf dem land zur Man- gelware?

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den Zulassungsausschuss erteilt.

Die Räumlichkeiten für die Be- handlung opiatabhängiger Men- schen stellt die Stadt dem Arzt zur Verfügung.

Die Öffnung von Psychiatrischen Institutsambulanzen, die im Rah- men einer sogenannten Instituts- ermächtigung Methadonsubstituti- onen durchführen, ist uns eben- falls ein wichtiges Anliegen. Ähn- lich wie in einer Schwerpunkt- praxis kann hier eine größere An- zahl Drogensüchtiger versorgt werden. In Augsburg, aber auch in anderen Städten konnte die Be- handlung opiatabhängiger Men- schen auf diese Weise sicherge- stellt werden.

Auf dem Land hat sich zudem auch das sogenannte Konsiliarver- fahren bewährt. Ärzte ohne die Zusatzqualifikation „Suchtmedizi- nische Grundversorgung“ können höchstens drei Patienten gleich- zeitig ein Substitutionsmittel ver- schreiben, wenn sie diese zu Be- ginn der Behandlung mit einem Arzt, der die Anforderungen erfüllt (Konsilarius), abgestimmt haben und der Patient dem Konsilarius mindestens einmal im Quartal vor- gestellt wird.

Voraussetzungen für substitutionsbehandlungen Ärzte, die opiatabhängige Men- schen behandeln, müssen über die Zusatzweiterbildung „Sucht- medizinische Grundversorgung“

verfügen. Es handelt sich um eine 50-stündige Kursweiterbildung, die in der Regel in fünf Bausteine aufgeteilt wird. Die Zusatzweiter- bildung „Suchtmedizinische Grund- versorgung“ umfasst die Vorbeu- gung, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation von Krankheitsbil- dern im Zusammenhang mit dem schädlichen Gebrauch suchterzeu- Psychotherapie nur bei

abstinenz?

Der Gemeinsame Bundesaus- schuss (G-BA) hat zum 8. Juli 2011 die Psychotherapiericht- linien geändert. Eine ambu- lante Psychotherapie für von Alkohol, Drogen oder Medika- menten abhängige Patienten ist künftig ausnahmsweise auch dann möglich, wenn noch keine Suchtmittelfrei- heit vorliegt. Dies gilt aber nur, wenn der Patient bereits Schritte unternommen hat, die eine baldige Abstinenz herbeiführen, das heißt, wenn die Suchtmittelfreiheit paral- lel zur Behandlung bis zum Ende von maximal zehn Be- handlungsstunden erreicht werden kann.

Bei einem Rückfall kann die ambulante Psychotherapie nur dann fortgesetzt werden, wenn unverzüglich geeignete Behandlungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Sucht- mittelfreiheit ergriffen wer- den.

Für opiatabhängige Menschen, die sich in einer substitutions- gestützten Behandlung befin- den, ist eine ambulante Psy- chotherapie künftig nur dann möglich, wenn ein Beigebrauch ausgeschlossen und die regel- mäßige Zusammenarbeit mit den substituierenden Ärztin- nen und Ärzten sowie den weiteren zuständigen Stellen sichergestellt ist.

Quelle:

Pressemitteilung des G-BA

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gender Stoffe und nicht stoffge- bundener Suchterkrankungen.

Wenn eine solche Qualifikation vorliegt, erteilen wir dem Arzt die Genehmigung zur substitutions- gestützten Behandlung Opiatab- hängiger, damit die entsprechen- den Leistungen in der vertragsärzt- lichen Versorgung durchgeführt und abgerechnet werden können.

Weitere Fragen im Zusammenhang mit der Zusatzbezeichnung „Sucht- medizinische Grundversorgung“

können Sie gerne an die Bayeri- sche Landesärztekammer unter www.blaek.de richten.

Die Voraussetzungen für die Me- thadon-Substitution im vertrags- ärztlichen Bereich sind in der An- lage I Nr. 2 der Richtlinie „Metho- den vertragsärztlicher Versorgung“

(früher BUB-Richtlinie) geregelt.

Bei Ärzten, denen eine Genehmi- gung erteilt wurde, werden regel- mäßig Stichprobenprüfungen durch die Methadonkommission in Bay- ern durchgeführt. Pro Quartal sind mindestens zwei Prozent der in Bayern abgerechneten Behand- lungsfälle zu überprüfen. Hierzu werden patientenbezogene Doku- mentationen mit den entsprechen- den Therapiekonzepten vom Arzt angefordert. Darüber hinaus sind der Kommission Substitutionsbe- handlungen bei Jugendlichen, bei Abhängigkeitsdauer von weniger als zwei Jahren oder bei einer Co- dein/Dihydrocodein (DHC)-Sub- stitution unmittelbar bei Therapie- beginn zu melden und zu beantra- gen. Außerdem ist eine Überprü- fung der Substitutionsbehandlun- gen obligat, die bereits fünf Jahre andauern.

Katrin Nazhan (KVB)

2005 2006 2007 2008 2009 2010

Anzahl substituierter Patienten und substituierender Ärzte in Bayern Zeitraum: Oktober 2005 bis Oktober 2010

Abbildung 1 Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Anzahl

1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 7.000 6.000 8.000 9.000

0

7.035 7.276 7.778 8.220 8.456 8.555

308 303

317 329 330 298

an das Substitutionsregister gemeldete Patienten substituierende Ärzte

Quelle: KVB (Stand: Oktober 2010)

2005 2006 2007 2008 2009 2010

Anzahl der Genehmigungen substituierender Ärzte in Bayern

Abbildung 2

Anzahl

50 100 150 200 250 350 300 400 450

0 347

378 393 403 406 410

308 303

317 329 330 298

Ärzte mit Basis- und Konsiliargenehmigung tatsächlich substituierende Ärzte

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I

n München-Schwabing ist Dr.

Hannes Rabe zu Hause. Hier ist er als hausärztlich tätiger Inter- nist niedergelassen. Schon früh hat er sich neben zahlreichen Zu- satzqualifikationen dem Thema Substitutionsbehandlung verschrie- ben. In dieser Mission ist er auch als Beauftragter für den Fachbe- reich Sucht der Bayerischen Lan- desärztekammer (BLÄK) tätig.

Herr Dr. Rabe, unter welchen ju- ristischen Rahmenbedingungen findet derzeit in Bayern die Sub- stitutionsbehandlung statt?

Die juristischen Rahmenbedingun- gen sind in ganz Deutschland gleich.

Verbindlich festgelegt sind sie im Betäubungsmittelgesetz (BtmG), in der Betäubungsmittel-Verschrei- bungsverordnung (BtmVV), im Arz- neimittelgesetz (AMG), in den Richtlinien der Bundesärztekam-

mer sowie in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschus- ses.

Reichen diese Rahmenbedin- gungen aus, um niedergelasse- ne Ärzte für die Substitution zu gewinnen?

Eindeutig nein, sie sind nicht ani- mierend, sondern eher abschre- ckend. Beim geringsten Verstoß gegen das BtmG handelt es sich ja bereits um eine Straftat, nicht um eine Ordnungswidrigkeit. Von den Staatsanwaltschaften werden die- se Verstöße nicht bundeseinheit- lich behandelt. Es gibt also regio- nale Unterschiede, die schon so manchem Kollegen zum Verhäng- nis wurden.

Welche Substitutionsmittel dür- fen in Deutschland eingesetzt werden?

Methadon, Polamidon, Buprenophin und neuerdings auch Heroin in ei- nem besonderen Programm für schwerstchronisch Kranke. Hier- für stehen eigene Spezialpraxen zur Verfügung.

Vor allem in den ländlichen Re- gionen herrscht nach wie vor ein großer Mangel an substitutions- gestützten Therapiemöglichkei- ten. Was sind die Hauptgründe dafür?

Die Substitution auf dem Land ist höchst problematisch, da die Ab- gabe notwendigerweise täglich er- folgen muss. In den Ballungszent- ren gibt es die Möglichkeit, sich gegenseitig am Wochenende zu vertreten. Darüber hinaus haben wir Schwerpunktpraxen mit meh- reren Ärzten, die im Wechsel am Wochenende den Dienst überneh- men. Die Apotheken müssten in die Substitution integriert werden, sodass am Wochenende eine Ver- gabe über die Dienst habende Apo- theke garantiert wird. Auf dem Land führt die Substitution schnell zu einer Rufschädigung des Arztes, da hier die Suchtkrankheit noch nicht als schwere chronische Er- krankung akzeptiert wird.

Was ist seitens der Kassen und der Politik zu veranlassen, da- mit mehr Ärzte – vor allem auf dem Land – eine Substitutions- behandlung anbieten?

Zunächst müssten das BtmG und die untergesetzlichen Normen neu formuliert werden. Das gilt auch für das Dispensierrecht (AMG), da- mit nicht nur die Apotheke, sondern auch der Arzt straffrei am Samstag eine Dosis für den Sonntag mitge- ben darf, sofern der Patient stabil ist. Diese Mitgabe ist bis dato für den Arzt eine Straftat, der Apothe- ker darf dies – sogar gegen ent- sprechende Bezahlung. KV und Kas- sen müssten sich auf eine höhere

Die Rahmenbedingungen für substituierende Ärzte in Deutschland sind nicht eben einfach. Das hält viele Niedergelassene davon ab, sich auf das Thema Substitutionsbehandlung überhaupt einzulassen. Dr. Hannes Rabe, Vorsitzen- der der KVB-Methadonkommission und Mitglied im Beirat der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS), wünscht sich deshalb eine dringende Nachbesserung von Seiten der Politik und der Justiz.

dr. hannes Rabe, Vorsit- zender der kVB- Methadonkom- mission, beklagt

besonders die problematische situation für substitutions-

patienten auf dem land.

kein nachWuchs in sicht!

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extrabudgetäre Bezahlung einigen.

Für die derzeitige Vergütung findet man keine Ärzte, die diese schwie- rige Aufgabe übernehmen.

Was ist bei der Praxisorganisation zu beachten, damit sich andere Patienten nicht belästigt fühlen?

Welche Strukturen sind für eine Substitutionsbehandlung sinn- voll?

Hier muss man unterscheiden zwi- schen einer Schwerpunktpraxis und einer Normalpraxis mit inte- grierter Substitution. In den Schwer- punktpraxen mit mehreren Ärzten, einem entsprechenden Personal- stand sowie der Möglichkeit einer integrierten psychosozialen Be- treuung werden bis zu 200 Patien- ten versorgt. Die Normalpraxis be- treut zehn, maximal fünfzig Patien- ten. Bei entsprechender Organisa- tion der Ausgabe außerhalb der normalen Sprechzeiten lässt sich dies durchaus bewerkstelligen. Da- für muss das Personal allerdings gut geschult sein. Hierfür gibt es inzwischen in vielen Bundeslän- dern spezielle Weiterbildungen für medizinische Fachangestellte.

Welche Qualitätsansprüche müs- sen substituierende Ärzte erfül- len und wie wichtig ist für sie die Teilnahme an Qualitätszirkeln?

Ärzte, die substituieren möchten, benötigen eine zusätzliche Ausbil- dung in Form eines Curriculums mit abschließender Prüfung. Qua- litätszirkel sind wichtige Bausteine in der Substitution. Nach erfolgrei- chem Abschluss des Curriculums ist man zwar berechtigt zu substi- tuieren, es fehlt aber jede Erfah- rung. Ein Qualitätszirkel bietet die Möglichkeit, Problemfälle zu dis- kutieren, neue Verordnungen zu besprechen und durch spezialisierte Referenten zusätzliche Erkenntnisse zu sammeln. Ich selbst habe vor fast zwanzig Jahren von einem hoch

qualifizierten Moderator und den kollegialen Fachgesprächen sehr profitiert. Die Substitutionspatien- ten versuchen oft, den Ärzten auf der Nase herumzutanzen. Im Qua- litätszirkel lernt man, wie man da- mit umzugehen hat.

Wer sollte an der Substitutions- behandlung zusätzlich beteiligt werden?

Die Substitutionsbehandlung selbst ist nur ein Baustein der notwendi- gen umfangreichen Betreuung die- ser schwerstkranken Patienten. Wir haben über viele Jahre ein Netz- werk Suchthilfe in Bayern aufge- baut, das sehr gut funktioniert.

Hier sind eine psychosoziale Be- treuung, eine Schuldenberatung, betreute Wohneinheiten, Hilfe bei der Suche nach einem Arbeits- platz, Kinderbetreuung, Entgif- tungskliniken und Langzeitthera- pieeinrichtungen zu erwähnen.

Wir haben in Bayern mit der Baye- rischen Akademie für Suchtfragen als einziges Bundesland eine hoch qualifizierte Institution, in der sich Vertreter aller an der Betreuung Suchtkranker beteiligten Organi- sationen am runden Tisch zusam- mensetzen, auch Vertreter der Justiz, der Polizei, der Drogenfahn- dung sowie der Gesundheitsäm- ter. Darüber hinaus gibt es die Qualitätssicherungskommissionen der KVB und neuerdings auch der BLÄK. Wir haben hervorragende Weiterbildungsveranstaltungen, die von BLÄK, BAS und der Deut- schen Gesellschaft für Suchtmedi- zin organisiert werden. Allerdings mangelt es an einer adäquaten Bezahlung und einem überregio- nalen Konsens aufseiten der Justiz und der Gesundheitsämter, damit die Substitutionsärzte diese sehr schwierige Tätigkeit ohne Angst und mit leistungsgerechter Vergü- tung ausüben können. Dafür müsste die Justiz in einem Curriculum ge-

schult werden, sodass bundesein- heitlich verfahren wird. Wäre all dies garantiert, würden wir sicher wieder mehr Ärzte für die Substi- tution gewinnen. Aber so steigen sie aus. Und Nachwuchs ist keiner in Sicht!

Herr Dr. Rabe, vielen Dank für das Gespräch!

Interview Marion Munke (KVB)

aufgaben der

kVB-Methadonkommission Die Substitutionsbehandlung unterliegt besonderen rechtli- chen Vorgaben nach dem Be- täubungsmittelrecht und den Substitutionsrichtlinien.

Die KVen haben zur Beratung bei der Erteilung von Geneh- migungen für die Substituti- onsbehandlung und für die Qualitätssicherung eine Kom- mission einzurichten. Diese setzt sich aus fachkundigen Ärzten sowie von den Kran- kenkassen benannten Mitglie- dern zusammen.

Die Kommission überprüft re- gelmäßig stichprobenartig die Patientendokumentationen der substituierenden Ver- tragsärzte. Stellt die Kommis- sion Qualitätsmängel in der Substitution des Arztes fest, wird er zu einem Beratungs- gespräch geladen. Gelingt es trotz wiederholter Anhörung und Beratung nicht, eine richt- liniengemäße Substitutions- behandlung zu erreichen, kann die KV dem Arzt die Ge- nehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Substitu- tion entziehen.

(12)

S

eit Ende 1993 bin ich als Substitutionsarzt tätig.

Eigentlich wollte ich die in- terventionelle Schmerztherapie mit Bildgebung, Neurologie und statio- närer Anbindung vernetzen. Als sich das nicht realisieren ließ, habe ich mich auf kleine Interventionen und die konservative Schmerztherapie konzentriert. Das lief auch gut an.

Schon bald tauchten allerdings die ersten „Grenzgänger“ mit süchtigen Zügen auf, die nach einer Opiatbe- handlung verlangten. Es dauerte nicht lange, und wir mussten mit der Praxis umziehen, weil der Ver- mieter mit Kündigung drohte.

Auch in unseren neuen Praxisräu- men wurde unsere Klientel rasch zum Problem. Wieder mussten wir nach einer Alternative suchen. Un- sere Patienten waren inzwischen schwerpunktmäßig dem Suchtbe- reich zuzuordnen, und es wurden immer mehr. Wir mussten uns drin- gend personell verstärken und ha- ben zunächst zwei Assistenten und eine Sonderpädagogin, später noch einen Sozialpädagogen auf eigene Rechnung eingestellt. Innerhalb weniger Monate hatten wir uns zu einer Schwerpunktpraxis mit 150 Suchtpatienten entwickelt. Das entsprach damals 50 Prozent aller Münchner Substitutionspatienten.

Von vielen Seiten wurde uns damals Druck gemacht: Die Stadt machte gegen uns mobil, die KV verzögerte die Zahlungen, trotzdem ging es Ende 1995 langsam bergauf. Zu- sammen mit Professor Felix Tretter begann ich als Honoraranästhesist, den sogenannten Turboentzug im Bezirkskrankenhaus Haar durchzu- führen. Meine eher notfallorien- tierte Praxis habe ich dafür 1997 aufgegeben, damit ich mich mit meinem jetzigen Partner, Dr. Rainer Musselmann, ganz auf die Sucht- medizin konzentrieren konnte.

Schnell haben wir mit 270 nieder- schwelligen Patienten unsere bis heute bestehende Kapazitätsgren- ze erreicht. Seit sieben Jahren sind wir nun in der Münchner Kaiser- straße ansässig. Hier haben wir zu- sammen mit Condrobs, dem größ- ten Suchthilfe-Verein in Oberbay- ern und Schwaben, ein interdiszip- linäres, suchtmedizinisches Zent- rum aufgebaut.

akzeptanz für substitutionsbe- handlung erreichen

Natürlich ist es nicht immer leicht, der Außenwelt die schwierige Si- tuation unserer Patienten und die komplexe Behandlungsrealität ver- ständlich zu machen. Das äußert sich zum Beispiel in den oft schwer

nachvollziehbaren Regressen, aber auch im Unverständnis von Kolle- gen, Sozialdiensten, Anwohnern, Schulen oder Bereitschaftspolizis- ten. Doch nicht zuletzt dank der Mithilfe und Unterstützung von KVB, der BAS und dem Gesund- heitsreferat ist es in den letzten Jahren gelungen, zumindest in München eine breitere Akzeptanz für unsere Form der Behandlung zu erreichen. Trotzdem hängt über jedem Substitutionsarzt in Deutsch- land noch immer das Damokles- schwert des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Einer fachgerechten Substitutionsbe- handlung stehen immer wieder ge- setzliche „Altlasten“ im Weg, die dem aktuellen Wissensstand um Jahre hinterherhinken. Hier muss dringend nachgebessert werden.

die Politik muss handeln Die Bundesärztekammer hat im März 2010 eine neue Leitlinie ver- fasst. Es wäre wünschenswert, wenn der darin dokumentierte in- ternationale Kenntnisstand einen entsprechenden Niederschlag in der Gesetzgebung und beim Ge- meinsamen Bundesausschuss fin- den würde. Eine liberalere Take- Home-Vergabe selbst bei weniger stabilen Patienten hat nach inter- nationalem Kenntnisstand positive

Stephan Walcher betreibt zusammen mit seinem Kollegen Dr. Rainer Mussel- mann eine Schwerpunktpraxis für Substitutionspatienten in München. 1997 hat er mit mehreren Ärzten, darunter Professor Felix Tretter und Professor Gerhard Bühringer, die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS) gegründet. In KVB FORUM beschreibt er seinen Arbeitsalltag, der sich in erster Linie darum dreht, Suchtkranke am Leben zu erhalten.

„Mit suBstitution kann Man

Patienten aM leBen eRhalten“

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Auswirkungen auf den Suchtver- lauf und gefährdet keine Patienten- leben. Die Politik, die Krankenkas- sen und die KVen tragen dem aber keinerlei Rechnung. Eine Betreu- ungspauschale für die Take-Home- Vergabe gibt es nur in Hessen be- ziehungsweise demnächst in Nie- dersachsen. Dies ist dringend not- wendig – schon allein, um drohen- den Sicherstellungslücken im vor- wiegend ländlichen Raum vorzu- beugen. Denn wie soll ein Bus oder Bahn fahrender Patient auf dem Land regulär seinen Arzt erreichen und gleichzeitig arbeiten, wenn er nicht frühzeitig Take-Home erhält, was aber aus gesetzlichen und monetären Gründen nicht möglich ist? Und last but not least: Die Ver- gütung ist gemessen an Belastung, Zeitaufwand und Risiken ungenü- gend, und viermal Zehnminutenge- spräche pro Quartal werden sicher nur einer Minderheit der Patienten gerecht. Damit ist eine verantwor- tungsvolle Arbeit nicht möglich.

Einer langsam ansteigenden Zahl an Patienten (derzeit zirka 82.000 von zirka 280.000 Drogensüchtigen) steht eine – schon heute sinkende

– Zahl alternder Allgemeinmedizi- ner gegenüber, für die aufgrund mangelnder beruflicher Perspekti- ven besonders auf dem Land kein Ersatz in Sicht ist. Das ist eine düstere Perspektive, der schon heute dringend entgegen gesteuert werden muss!

Versorgung auf dem land ge- fährdet

In Bayern stehen schon jetzt viele Landkreise (fast) ohne Substitu- tionsärzte da. Lange Fahrtstrecken von oft über 100 Kilometern zum nächsten Suchtmediziner – häufig in München, Nürnberg oder Augs- burg – sind keine Seltenheit. Und auch in der Großstadt sind die Ar- beitsbedingungen für Substitutions- ärzte nur selten optimal. Dazu wür- de gehören, dass man im nieder- schwelligen Bereich nicht als Ein- zelkämpfer unterwegs ist, sondern innerhalb eines erfahrenen ärztli- chen, pflegerischen und psycho- sozialen Teams arbeitet, das die Patienten gemeinsam auch an den Wochenenden sowie zu den Ur- laubszeiten behandelt. Eine enge Vernetzung mit anderen Angebo- ten der Suchthilfe ist notwendig.

Genauso wie eine gute, vertrau- ensvolle Beziehung zu allen betei- ligten Institutionen wie der Polizei, den Sozialdiensten, den Arbeits- agenturen, dem Gesundheitsamt, den Landesärztekammern und den KVen.

Mit substitution sicherer als ohne

All diese Institutionen sollten be- denken: Ein Patient, der – auf wel- che Art auch immer – von der Sub- stitutionsbehandlung erreicht wird, lebt in jedem Fall sicherer als ohne sie. Aber selbst eine niederschwel- lige Substitutionseinrichtung kann nicht alle Patienten erreichen. Mas- siv selbst gefährdende Verhaltens- muster wie bei Patienten mit schwe-

rem Borderline-Syndrom oder ent- gleistem Beigebrauch setzen unse- ren Bemühungen Grenzen. Dann muss auf eine stationäre (Teil-)Ent- giftung oder stationäre Substitu- tionsbehandlung hingewirkt wer- den, in seltenen Fällen auch unter Zwang.

Abstinenz ist das Ergebnis eines langen Heilungsprozesses – nicht seine Voraussetzung! Selbst die Psychotherapeutenleitlinie ist 2011 dahingehend geändert worden.

Entgiftung ist eine gefährliche Maß- nahme. In der ersten Woche nach einer Abstinenztherapie sterben fast zehnmal mehr Patienten an Überdosen als in den Monaten da- nach. Rund 30 Prozent aller Dro- gentoten fallen in diese Phase. Je- de Entgiftung hinterlässt darüber hinaus neurologische Narben. Als Stand-Alone-Verfahren bleiben nur weniger als fünf Prozent der Patienten vom Substanzkonsum befreit – nicht aber von der Sucht.

Es muss also viel Vorarbeit geleis- tet werden, um das soziale, famili- äre und gesundheitliche Umfeld zu schaffen, in dem es sich als ehe- maliger Suchtkranker erträglich le- ben lässt. Das ist nicht eben ein- fach und braucht viel Zeit. Substi- tution ist ein Mittel, um die Patien- ten am Leben zu erhalten, die ur- sächlichen und begleitenden Er- krankungen zu behandeln und am Ende möglicherweise eine blei- bende Drogenabstinenz zu errei- chen.

Stephan Walcher stephan Walcher, substitutionsarzt

in einer Münchner schwerpunkt- praxis, fordert unter anderem eine liberalere take-home-Vergabe mit entsprechender Betreuungspauschale, um drohenden sicherstellungslücken vorzubeugen.

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M

it seinem Team betreut Dr. Schlereth derzeit etwa 20 Opiatabhängige in der Praxis. Hinzu kommen noch einmal etwa 20 Patienten, die er im Konsiliarverfahren begleitet.

Herr Dr. Schlereth, welchen Stel- lenwert räumen Sie der Substitu- tionstherapie grundsätzlich ein?

Die Substitution ist derzeit die beste Möglichkeit, den Patienten in sei- nem Suchtbereich abzuholen und ihn langsam zu resozialisieren, wenn er sich darauf einlässt. Natürlich muss er sich den Regeln der Sub- stitution unterwerfen und zu mas- siven Veränderungen seines Lebens- wandels bereit sein. Da die Substi- tution bei fehlender Mitwirkung – Stichwort „Beigebrauch“ – für den Patienten gefährlich werden kann,

ist dies unumgänglich. Er muss da- für den vorgegebenen Praxisregeln folgen, den Beigebrauch einstellen und dazu auch regelmäßigen Urin- kontrollen unter Sicht zustimmen.

Hinzu kommt die Verpflichtung, psychosoziale Beratungsstellen auf- zusuchen. Je nach Bedarf können weitere Auflagen dazukommen wie etwa Untersuchungen bei Psychia- tern oder anderweitige fachärztli- che Konsultationen.

Was sind, neben den komplexen medizinischen Fragestellungen, dabei die häufigsten Probleme?

Die Substituierten haben trotz der Gabe von Suchtersatzstoffen wei- terhin den Drang, in ihren alten Verhaltensmustern zu verharren.

Kontakte mit der Drogenszene ber- gen ein erhebliches Rückfall- und Beigebrauchsrisiko. Pünktlichkeit muss wieder eingeübt werden. Es gibt auch immer wieder Probleme mit den Urinkontrollen unter Sicht.

Hier wird oftmals versucht, durch Abgabe von „gefälschtem“ Urin den Beigebrauch zu vertuschen.

Auch müssen wir mit Nachdruck darauf bestehen, dass die Drogen- beratungsangebote regelmäßig wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass das Verhalten der Substitutionspatienten den norma-

len Praxisverlauf sehr stark stören kann. Hierdurch haben wir insbe- sondere etliche Privatpatienten verloren.

Wie haben Sie Ihren Praxisablauf darauf eingerichtet?

Wir haben jetzt am späten Montag- nachmittag eine spezielle Sprech- zeit, in der der größte Teil der Sucht- arbeit geleistet wird. Dadurch ist es gelungen, mehr Ruhe für die anderen Patienten zu schaffen.

Trotzdem kann es immer wieder zu Problemen kommen. Da ich keine Schwerpunktpraxis habe und auch aufgrund unserer Strukturen nie bekommen werde, kann ich keine ausgelagerten Praxisräume anbie- ten. Der Versuch, dies zirka zehn Kilometer von der Praxis entfernt in der KIDRO-Drogenhilfe in Bad Kissingen zu verwirklichen, war sehr zeitaufwendig und hat zu viele Ressourcen verschlungen.

Gibt es Fälle, bei denen eine Be- handlung nicht möglich ist?

Sicherlich. Dies sind insbesondere die Patienten, die den Beigebrauch nicht einschränken und sich auch nicht an die Bedingungen der Pra- xis halten. Die Substitution stellt ein Angebot an den Süchtigen dar.

Dr. Ewald Schlereth ist seit 1984 in Oberthulba in Unterfranken als Hausarzt niedergelassen. Wer die idyllische Marktgemeinde an den südlichen Ausläufern der Rhön inmitten des Thulbatales besucht, denkt sicherlich nicht zuallererst an Methadonsubstitution. Wie wichtig aber gerade im Freistaat eine flächende- ckende Versorgung mit Substitutionsplätzen ist, erfährt man im Gespräch mit dem engagierten Allgemeinmediziner. Er hat die Herausforderung angenommen und versorgt seine Suchtpatienten seit mittlerweile anderthalb Jahrzehnten.

dr. ewald schlereth wünscht sich von kranken- kassen und der Politik, dass der Wert der substitution endlich aner-

kannt wird.

eigene sPRechzeiten

entlasten den PRaXisBetRieB

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Es besteht für mich also keine Ver- pflichtung, diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, zu be- handeln.

Ab wann ist Abstinenz überhaupt denkbar und wieviel Prozent Ihrer Patienten erreichen dieses Ziel?

Das hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, wie lange jemand süchtig ist und wie weit er sozial „abgestiegen“ ist. Auch seine geistige Leistungsfähigkeit und die soziale Integration in Familie und Arbeit spielen eine wesentliche Rolle. Ich schätze, dass maximal 15 Prozent mit der Substitution langsam „trocken“ werden. Selbst danach kann es immer wieder zu Rückfällen kommen. Erst jetzt ha- be ich wieder von einem Patienten erfahren, der nach über vier Jahren wieder rückfällig wurde und sich durch eine Überdosis den „golde- nen Schuss“ gesetzt hat.

Ist es auf dem Land schwieriger, genügend Einrichtungen für die psychosoziale Begleitung zu fin- den?

In unserer Region gibt es damit keine Probleme. Die Kapazität ist ausreichend und wir haben sehr engagierte und fachlich sehr gute Mitarbeiter in den Beratungsstellen.

Mit den Einrichtungen habe ich häu- fig Kontakt und wir tauschen uns am Telefon aus. Viele Patienten kommen über diesen Weg zu mir.

Seit einigen Jahren haben wir auch einen gemeinsamen Gesprächszir- kel, der sich zwei Mal pro Jahr trifft.

Hier werden die allgemeinen Prob- leme besprochen und Lösungen diskutiert. In diesen Arbeitskreis laden wir auch Streetworker, Rich- ter, Kriminalbeamte, Apotheker und natürlich die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, insbesondere den Chef des Gesundheitsamtes als unserer Aufsichtsbehörde, ein.

Wie sehen die optimalen Arbeits- bedingungen für einen substitu- ierenden Arzt aus?

Optimale Bedingungen bestehen, wenn ich mich auf meine geschul- ten Helferinnen verlassen kann und dadurch große Unterstützung finde.

Es kostet sie viel Energie, Zeit und Nerven, eine gute Substitution mit- zugestalten, auch Schulungen und Fortbildungen gehören dazu. Vor allem ist es aber wichtig, dass der Patient es wirklich schaffen will und uns nicht nur als seinen „Dealer in Weiß“ sieht. Durch Pünktlichkeit und Weglassen des Beigebrauchs wird die Situation nochmals ver- bessert.

Haben Sie die Möglichkeit, sich in Qualitätszirkeln auszutauschen?

Die Möglichkeit gibt es für mich in Würzburg. Da ich aber in der Me- thadonkommission der KVB mehr- mals jährlich die problematischen Fälle anderer Kollegen diskutieren und beurteilen muss, bin ich auto- matisch gezwungen, mich auf dem neuesten Stand der Diagnostik und Therapie zu halten. In der Kommis- sion kann ich meine eigene Quali- tät immer wieder selbst messen und mein Wissen erweitern. Außer- dem gibt es noch einen „Substitu- tionsletter“ und viele Fortbildungs- angebote der Bayerischen Akade- mie für Sucht- und Gesundheits- fragen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Politikern, Kranken- kassen und der KVB?

Da die Substitutionstherapie eine sehr belastende Tätigkeit ist, die an sich nichts mit der übrigen ver- tragsärztlichen Arbeit zu tun hat, sollte hier endlich eine leistungs- gerechte Bezahlung mit den Kran- kenkassen ausgehandelt werden.

In der Praxis erfolgt quasi eine Querfinanzierung der Substituti- onsarbeit aus anderen Tätigkeiten.

Wenn diese Patienten von uns gut geführt werden, sind weniger sta- tionäre Behandlungen erforderlich, was wesentliche Kosteneinsparun- gen nach sich zieht. Wir sind aber meilenweit von einer leistungsge- rechten Vergütung entfernt. Auch die Berichte an die Qualitätskom- mission sollten entgegen der bis- herigen Situation entsprechend honoriert werden. Vonseiten der Krankenkassen und der Politik wünsche ich mir, dass der Wert der Substitution endlich anerkannt wird. An die KVB habe ich den Wunsch, dass die Probleme, die wir immer wieder in der Urlaubs- vertretung durch die KV-Abrech- nung beim vertretenden Arzt be- kommen, möglichst unbürokra- tisch beseitigt werden.

Herr Dr. Schlereth, vielen Dank für das Gespräch!

Interview Markus Kreikle (KVB)

spezielle für suchtkranke angebotene sprechzeiten können irritatio- nen bei den an- deren Patienten verhindern.

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A

ls wir Bärbel Würdinger treffen, steckt sie in einem Dilemma: Da haben sie und ihr Team nun für Substitutionspa- tienten ein gut durchdachtes und in der Vergangenheit bereits zigmal erprobtes Konzept der eng ver- netzten ärztlichen und psychoso- zialen Begleitung im Angebot, aber keinen niedergelassenen Medizi- ner mehr, der die Substitution im Landkreis Freising durchführt. Der Arzt, mit dem der Verein über lan- ge Jahre erfolgreich zusammenge- arbeitet hat, hat seine Praxis aus Altersgründen vor kurzem seiner Tochter übergeben. Leider möchte die die Substitutionsbehandlung nicht fortsetzen. Bärbel Würdinger und ihr Team sind deshalb dringend auf der Suche nach einem adäqua- ten Ersatz, dem sie einiges zu bie- ten haben. „Die Mittelvergabe könn- te in unseren Räumen stattfinden, so dass die anderen Patienten des Substitutionsarztes nicht gestört würden und er an seiner Praxis- struktur nichts verändern müsste.

Auch die Urinkontrollen unter Sicht würden wir für ihn übernehmen.“

Nicht nur für den Arzt, auch für die Patienten hätte dies durchaus Vor- teile, da diese gleich vor Ort bei Prop ihre psychosozialen Bera-

tungstermine wahrnehmen könn- ten. Bärbel Würdinger hofft nun, dass dieses Angebot bei Ärzten im Landkreis Freising schnell auf Inte- resse stößt. „Wir verlieren sonst so viele Patienten an die Schwer- punktpraxen in München. Die un- mittelbare Anbindung an uns als psychosoziale Begleitung ginge dann natürlich verloren.“

Das ist besonders vor dem Hinter- grund bitter, dass Prop bei jedem Patienten im Vorfeld sehr viel Mo- tivationsarbeit leistet, um ihn vom Wert einer längerfristigen psycho- sozialen Begleitung zu überzeugen.

Bereits vor vier Jahren entwickelte der Verein ein Programm, beste- hend aus mehreren individuellen Bausteinen, das den Substituierten helfen soll, wieder mehr Eigenver- antwortung für ihr Leben zu über- nehmen. Meist gelingt dies jedoch nur, wenn parallel auch eine gut eingestellte medizinische Substi- tutionstherapie gegeben ist. „Es ist außerordentlich wichtig, dass beides zeitgleich stattfindet.“ Da- mit sich mehr niedergelassene Ärzte für die Substitution interes- sieren, wünscht sich Bärbel Wür- dinger, dass auch die Beratungs- gespräche, die der Arzt erbringt,

adäquat vergütet werden. „Er er- hält zwar von uns eine Suchtanam- nese, muss sich aber trotzdem noch eingehend mit dem Patien- ten befassen.“ Die Sozialpädago- gin plädiert deshalb dafür, dass die Qualität der medizinischen Leis- tung, die der Arzt bei der Substitu- tion erbringt, hierzulande stärker gesehen und gewürdigt wird. „Das ist eine Therapie wie bei Diabetes.

Wenn die Substitution gut einge- stellt ist, also alle Beteiligten – Arzt, Patient und psychosoziale Beglei- tung – gut miteinander kommuni- zieren, sind Substitutionspatien- ten im Wartezimmer nicht zu er- kennen.“

Bärbel Würdinger und ihr Team ha- ben Glück. Kurz vor Redaktions- schluss erreicht uns die gute Nach- richt, dass sich eine niedergelas- sene Ärztin für die Substitutions- therapie gefunden hat. Das be- währte Konzept der vernetzten ärztlichen und psychosozialen Be- gleitung kann im Raum Freising al- so fortgeführt werden. Weitere In- formationen zu Prop e. V. unter www.prop-ev.de.

Marion Munke (KVB

Bärbel Würdinger leitet in Freising die psychosoziale Beratungsstelle des ge- meinnützigen Vereins Prop e. V., der sich schwerpunktmäßig um Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie kümmert. Sie ist der Meinung, dass sowohl die Gesellschaft als auch viele niedergelassene Ärzte eine andere Sichtweise auf das Thema Substitution bekommen müssen, da es sich hierbei um ein sehr hochschwelliges und stabilisierendes Angebot handelt.

„die suBstitution ist eine

sehR WeRtVolle Medizinische Behandlung“

seit vier Jahren leitet Bärbel Würdinger, dip- lomierte sozial- pädagogin, die psychosoziale Beratungsstelle von Prop e. V. in Freising. der Verein hilft sucht- kranken unter anderem bei der arbeits- und Wohnungssuche.

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D

as Problem liegt auf der Hand: Fast jeder vierte bay- erische Hausarzt ist inzwi- schen 60 Jahre oder älter. Planungs- unsicherheit beim Honorar und bürokratische Belastungen haben vielen Hausärzten die Freude an ihrer Tätigkeit genommen. Deshalb geben inzwischen auch immer mehr Ärzte – so sie es sich leisten können – mit Anfang sechzig ihre Praxis ab. Den potenziellen Nach- wuchs schreckt bei der Übernahme einer Landarztpraxis neben den bekannten Gründen zusätzlich die Aussicht, immer mehr Bereitschafts- dienste leisten zu müssen. Über das Ergebnis dieser Entwicklung berichtete der KVB-Vorstandsvor- sitzende Dr. Wolfgang Krombholz.

Demnach wurden im vergangenen Jahr in Bayern mehr als 70 Haus- arztpraxen mangels Nachfolger geschlossen. Die Attraktivität der hausärztlichen Tätigkeit müsse, so der KVB-Chef, deshalb dringend erhöht werden, um die medizinische Versorgung einer tendenziell immer älter und kränker werdenden Ge- sellschaft zu sichern.

ein vielversprechender ansatz Patentrezepte dafür gibt es leider nicht, aber mit der Gründung einer Koordinierungsstelle für die Weiter- bildung in der Allgemeinmedizin zumindest einen von mehreren viel- versprechenden Ansätzen. Die

Stelle, die von den vier an der Pres- sekonferenz beteiligten Organisa- tionen finanziert wird, ist bei der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) angesiedelt.

Ziel ist es, eine kontinuierliche, un- unterbrochene und finanziell abge- sicherte Weiterbildung zum Fach- arzt für Allgemeinmedizin zu ge- währleisten. Dr. Max Kaplan, Prä- sident der BLÄK, erklärte: „Die Koordinierungsstelle ist einerseits eine zentrale Anlaufstelle für Stu- dierende, Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sowie Weiterbildungs- befugte und Weiterbildungsstätten.

Und andererseits ein Initiator für neu zu gründende Weiterbildungs- verbünde.“ Elf solcher Verbünde existieren derzeit in Bayern, so Kaplan, weitere fünfzig seien wün- schenswert.

kassen müssen ihre hausauf- gaben machen

Der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands (BHÄV), Dr.

Dieter Geis, mahnte allerdings, dass damit dem generellen Nach- wuchsproblem nicht abgeholfen werden könne. „Was nützen uns die Weiterbildungsstellen, wenn wir keine Ärzte haben?“, so seine wohl eher rhetorisch gemeinte Frage. Dem stimmte Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesell- schaft (BKG), zu. Auch in Bayerns

Krankenhäusern seien derzeit über 500 Arztstellen unbesetzt, weil die Bewerber fehlten. Die massive Arbeitszeitverdichtung und eine Bürokratie absurden Ausmaßes verleideten den jungen Medizinern die Freude am Beruf, so Hasenbein.

Nicht zuletzt deshalb empfahl BHÄV-Chef Geis der Politik und den Kassen, ihre Hausaufgaben zu machen. „Die Krankenkassen müssen endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und die vorgesehenen Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung mit uns abschließen.“

Martin Eulitz (KVB)

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Juli haben die Spitzen von Bayerns Landesärztekammer, Krankenhausgesellschaft, Hausärzteverband und Kassen- ärztlicher Vereinigung in München eine Initiative vorgestellt, die sich zum Ziel gesetzt hat, Nachwuchs für die hausärztlichen Praxen zu gewinnen.

die gründerväter und Managerin- nen der koordi- nierungsstelle (von links): Romy Bürger, dr. Max kaplan und dr.

dagmar schnei- der (alle drei Bläk), dr. dieter geis (BhäV), dr.

Wolfgang kromb- holz (kVB) und siegfried hasen- bein (Bkg).

aktiV gegen

nachWuchsMangel

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D

ie Organisatoren aus dem Bereich Versorgungsent- wicklung der KVB hatten mit dem Thema der Veranstaltung

„GKV-Versorgungsstrukturgesetz:

Versorgung optimal steuern – aber wie?“ offensichtlich den Nerv des Berliner Fachpublikums getroffen.

Trotz schönstem Sommerwetter waren über 100 Teilnehmer, darun- ter viele Journalisten, der Einladung des KVB-Vorstands gefolgt und in die „Vertretung des Freistaates

Bayern beim Bund“ gekommen. Mit großem Interesse verfolgten die Anwesenden, wie sich eine von der Journalistin Michaela Hoffmann moderierte Herrenrunde an dem geplanten Gesetzesvorhaben gera- dezu abarbeitete. Den Startschuss dazu hatte der „Hausherr“, Minis- terialdirigent Horst Wonka vom Bayerischen Gesundheitsministe-

rium, bereits in seinem Eingangs- statement gegeben. Er lobte nicht nur die konstruktive Zusammenar- beit mit der KVB, sondern vor al- lem die im Gesetz verankerte Be- rücksichtigung föderaler Struktu- ren im Gesundheitssystem.

„Ja“ zur Regionalisierung Bei der Frage, wo man an welchen Stellschrauben drehen sollte, war sich die Runde schnell einig: So

wurden regionale Lösungen uniso- no befürwortet, eine Zentralisie- rung dagegen allgemein abgelehnt.

„Überlasst es stärker den Kassen- ärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen auf Landesebene, die Versorgungsprobleme zu lö- sen“, so der Appell von Wilfried Ja- cobs, dem Vorstandsvorsitzenden der AOK Rheinland-Hamburg.

Ähnlich lautete auch das Votum des KVB-Vorstandschefs Dr. Wolf- gang Krombholz: „Da, wo die Ver- sorgung stattfindet, hat man den besten Blick auf das Geschehen.

Hier müssen die Entscheidungen fallen.“ Sein Amtskollege aus Ba- den-Württemberg, Dr. Norbert Met- ke, zeigte sich geradezu begeistert von dem Gesetzentwurf und konn- te darin echte Handlungsoptionen gegen Versorgungsengpässe er- kennen.

Für und Wider der ambulanten spezialfachärztlichen Versor- gung

Angesichts dieser Übermacht woll- te sich nicht einmal der Vorstands- chef der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, für die Zentralisierung stark- machen. Dafür lenkte er den Blick auf die ebenfalls im Gesetz ange- legte ambulante spezialärztliche Versorgung (ASV). Diese, so Köhler, verbessere nicht die notwendige Kooperation „ambulant/stationär“, sondern gefährde vielmehr die nie- dergelassenen Fachärzte. Anders sah dies der stellvertretende Haupt- geschäftsführer und Justitiar der Deutschen Krankenhausgesell- schaft, Andreas Wagener. Nach dessen Meinung bietet die ASV den Patienten eine größere Ent- scheidungsfreiheit bei der Auswahl des geeigneten Arztes. Ähnlich argumentierte auch AOK-Mann

Auf großes Interesse ist die vom Vorstand der KVB Ende Juni in Berlin ausge- richtete Veranstaltung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz gestoßen. Tenor des Abends: Das Gesetz bietet Chancen, aber bezogen auf die fachärztliche Versorgung auch erhebliche Risiken.

kVB-Vorstands- vorsitzender dr. Wolfgang krombholz: „Wir haben schon vor zehn Jahren da- vor gewarnt, dass ein nachwuchs- problem auf uns zukommt.“

BayeRischeR theMenaBend

in BeRlin

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Jacobs: Dem Patienten sei es egal, ob der behandelnde Arzt Freibe- rufler oder Angestellter sei – Haupt- sache, er werde gut versorgt. Ein- spruch kam an dieser Stelle vom KVB-Vorstand. So warnte Dr. Pedro Schmelz, erster stellvertretender Vorstandsvorsitzender, die ASV könne dazu führen, dass die Betten in den Krankenhäusern gar nicht mehr ausreichten, um alle Patien- ten aufzunehmen. Folge davon wären langfristig enorme Kosten- steigerungen im Gesundheitswe- sen durch ein Ausbluten der fach- ärztlichen Praxen. Dr. Ilka Enger, zweite stellvertretende KVB-Vor- standsvorsitzende, wandte sich direkt an den CDU-Gesundheits- experten Jens Spahn, der als Motiv für die Vorbehalte gegen die ASV die Angst um erworbene Pfründe ausgemacht hatte. „Uns geht es in den Praxen nicht primär um mehr Geld, sondern um Planungssicher- heit“, so Enger.

Fachsimpelei beim get- together

Beim anschließenden Stehemp- fang beruhigten sich die erhitzten Gemüter wieder. Dabei nutzten viele Teilnehmer die Gelegenheit, sich an zahlreichen Informations- ständen über innovative Ansätze in den Praxen engagierter Haus- und Fachärzte zu informieren. So stellten unter anderem die Fach- ärzte Dr. Thomas Sternfeld und Dr. Dirk Hempel die Möglichkeiten onkologischer Spitzenmedizin auch in ländlichen Regionen und vor allem in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern vor Ort vor. Und Dr. Wolfgang Blank, Hausarzt und Preisträger des „Bayerischen Ge- sundheitspreises“ 2010, informier- te über sein Projekt „Lebensquali- tät im Alter“.

Martin Eulitz (KVB) cdu-gesundheitsexperte Jens spahn machte deutlich, dass eine bessere

analyse der Versorgungslage notwendig ist: „Wir wissen derzeit nicht wirk- lich, was unter- oder überversorgung konkret bedeutet.“

Meinungsaustausch unter Bayern in Berlin: Ministerialdirigent horst Wonka aus dem Bayerischen gesundheitsministerium im dialog mit kVB-Vizevorstands- chef dr. Pedro schmelz.

Frauen-Power an der kVB-spitze: Vorstandsmitglied dr. ilka enger (Mitte) mit der Vorsitzenden der Vertreterversammlung, dr. Petra Reis-Berkowicz (rechts), und deren stellvertretrin dr. astrid Bühren.

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D

ie VV-Vorsitzende Dr. Pet- ra Reis-Berkowicz eröffne- te die Veranstaltung mit einem Appell an ihre Kollegen:

„Eine auseinanderdividierte Ärzte- schaft schwächt sich selbst. Pfle- gen wir ein kollegiales Miteinan- der.“ Sich selbst sieht die VV-Vor- sitzende in der Funktion einer Auf- sichtsrätin mit der Aufgabe, auf die Bearbeitung und Umsetzung der VV-Beschlüsse zu achten. Gleich- zeitig will sie aber auch Vertrauen schaffen und zwischen den Ver- tretern der Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten vermitteln.

lob und kritik

Dr. Wolfgang Krombholz, KVB-Vor- standsvorsitzender, ging in seinem anschließenden Vortrag zunächst auf die bevorstehende Gesundheits- reform ein. „Das Versorgungsge- setz hat uns schon drei Monate lang beschäftigt und wird uns sicher noch weitere drei bis vier Monate beschäftigen“, so seine Prognose.

Als positiv wertete Krombholz, dass weder die bundesweite Konvergenz der Vergütung noch die Ambulan- ten Kodierrichtlinien im Referen- tenentwurf enthalten seien. Statt- dessen sei nun auch gesetzlich ver- ankert, dass die ambulante Versor- gung wieder mehr durch die ein- zelnen KVen vor Ort gestaltet wer- den solle. Der KVB-Chef führt die- se Entwicklung auch auf die inten- siven Gespräche zurück, die der Vorstand in den letzten Wochen und Monaten mit Gesundheitspoli-

tikern geführt hat – unter anderem als Teil der Freien Allianz der Län- der-KVen (FALK), die insgesamt et- wa 60.000 Ärzte und Psychothe- rapeuten vertritt.

Kritisch beurteilte Krombholz je- doch einige Regelungen des GKV- Versorgungsgesetzes zur Bedarfs- planung. Insbesondere habe man noch keine richtige Definition des Begriffes „Bedarf“ gefunden. Und auch bei den Themen Verträge und Vergütung sah der KVB-Vorstands- vorsitzende Verbesserungspoten- tial. Seine Hauptforderungen: Die Honorarverhandlungen sollen künf- tig auch bilateral mit einzelnen Kassen möglich sein, die Honorar- verteilung in den Regionen statt- finden, KVen potentielle Vertrags- partner bei IV-Verträgen werden und Medizinische Versorgungszent- ren (MVZ) vor branchenfremden Kapitalinteressen geschützt wer- den. Im zweiten Teil seines Vor- trags präsentierte Krombholz die Analyseergebnisse der KVB zur hausärztlichen Versorgung und zu den Arzneimittelausgaben in Bay- ern. Eine detaillierte Darstellung der Untersuchungen finden Sie in den kommenden Ausgaben von KVB FORUM.

in eigener hand

Dr. Pedro Schmelz, erster stellver- tretender KVB-Vorstandsvorsitzen- der, präsentierte in seinem Bericht zunächst einige Maßnahmen, mit denen die KVB den Service für ih-

re Mitglieder verbessern will. So wird das Beratungsangebot in den Bezirksstellen aktuell erweitert, um die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten künftig früh- zeitig auf Unstimmigkeiten in der Abrechnung hinzuweisen. Im An- schluss analysierte Schmelz aus- führlich die Regelungen zur ge- planten neuen Versorgungsebene der spezialärztlichen Versorgung.

„Wer weiterhin eine hochwertige fachärztliche Versorgung in der Fläche haben will, der muss auch gleich lange Spieße anbieten“, so seine Forderung an die Politik.

Nach dem momentanen Stand der Planungen könnten sich die Kran- kenhäuser die Rosinen herauspi- cken, während die niedergelasse- nen Fachärzte auch weiterhin das gesamte Leistungsspektrum der ambulanten Versorgung anbieten müssten und dabei zudem finanzi- ell schlechtergestellt seien. Auch könne es nicht angehen, dass die Wirtschaftlichkeits- und Qualitäts- prüfungen durch die Krankenkas- sen erfolgen und die Qualitätssi- cherung teilweise dem Staat vor- behalten sein soll. „Die Medizin muss weiterhin in der Hand der Me- diziner sein“, so das Credo des KVB-Vizes. Im weiteren Verlauf der Sitzung verabschiedete die VV eine Resolution, wonach die Ein- führung der ambulanten spezial- ärztlichen Versorgung in der Form des zur VV vorliegenden Referen- tenentwurfs abgelehnt wurde.

Bis in den späten Abend hinein diskutierten die Mitglieder der Vertreterver- sammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns am 6. Juli 2011 die aktuellen Herausforderungen und Probleme der ambulanten Versorgung.

intensiVe diskussionen und

nachdenkliche töne

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