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Bipolare Störungen

Diagnostik und Früherkennung

PROF. DR. MARTIN SCHÄFER

Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin Evang. Kliniken Essen-Mitte, Deutschland

m.schaefer@kem-med.com PROF. DR. CHRISTOPH U. CORRELL

Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Berlin, Deutschland

INHALT

Verzögerte Diagnose der BS und Folgen Klassifikation und Definition der BS Diagnosestellung

Dimensionale Diagnostik Screening von Risikopersonen Differenzialdiagnostik

Psychiatrische und somatische Komorbidität Verlaufsdiagnostik

Früherkennung während des Prodromalstadiums Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter Fazit für die Praxis

LECTURE BOARD

Univ.-Prof. Dr. Christian Simhandl

Lehrstuhl für Psychiatrie, Sigmund Freud Privatuniversität Wien BIPOLAR ZENTRUM Wiener Neustadt

Univ.-Prof. Dr. Armand Hausmann

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Psychosoziale Medizin und Psychosomatische Medizin, Innsbruck ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSANBIETER

Ärztekammer für Niederösterreich, Wipplingerstraße 2, 1010 Wien REDAKTIONELLE BEARBEITUNG

Dr. Claudio Polzer

Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich.

Dieser Artikel ist eine von den Autoren aktualisierte und ergänzte Version des Originalartikels („Der Nervenarzt” 3/2020). © Springer Verlag GmbH 2021

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Der Multiple-Choice-Fragebogen des DFP kann bis zum 16. Juni 2022 beim Springer Verlag eingereicht werden:

• Online: Für eingeloggte User steht der Beitrag und der Fragebogen unter www.springermedizin.at zur Verfügung.

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Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH

Springer Medizin Susanna Hinterberger

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E

ine frühe Diagnose ist die Grundlage für eine adäquate Behandlung des Pati- enten mit bipolarer Störung (BS) und für die Aufrechterhaltung eines höchstmöglichen Funktionsniveaus. Je eher die Diagnose gestellt wird, desto früher und spezifischer können die Beratung des Patienten und sei- ner Bezugspersonen sowie eine gezielte Be- handlung erfolgen. Trotz vieler Fortschritte auch im Bereich der Früherkennung wird aber die BS im Schnitt erst 5 bis 10 Jahre nach ihrem Auftreten diagnostiziert. Dieser narrative Review fasst die leitliniengerechte Früherkennung und Diagnosestellung der BS zusammen.

Verzögerte Diagnose der BS und Folgen Betroffene mit einer BS verbringen bis zu 14 Jahren in Krankheitsphasen und haben eine um 9 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Ein

Drittel der bipolar Erkrankten unternimmt einen Suizidversuch bei einer Lebenszeitprävalenz für Suizide von ca. 15 %. Die BS tritt zumeist zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr auf. Etwa 40 % zeigen erste Symptome vor dem 20. Lebensjahr. Bis zu 70 % der Patienten verbleiben im ersten Jahr nach der initia- len Krankheitsepisode ohne richtige Diagnose. In einer Erhe- bung waren 35 % der Patienten bis zu 10 Jahren symptomatisch erkrankt, bevor die richtige Diagnose gestellt wurde. Dadurch fehlen wichtige therapeutische Interventionen, die zur frühzeiti- gen Stabilisierung und Rückfallprophylaxe beitragen. Während die Bipolar-I-Störung (BS-I) mit voll ausgeprägten manischen Episoden noch relativ eindeutig frühzeitig zu diagnostizieren ist, erschweren die dominierenden depressiven Episoden bei der BS-II mit oft nicht erkannten hypomanischen Episoden die Abgrenzung zur unipolaren Depression (UD).

Klassifikation und Definition der BS

Bipolare Störungen sind durch das Auftreten rezidivierender affektiver Episoden gekennzeichnet. Deshalb werden in der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10 (ICD-10) und dem Diagnostic and Statis- tical Manual of Mental Disorders 5 (DSM-5) als gebräuchliche Klassifikationssysteme zunächst depressive oder manische Epi- soden operationalisiert und erst anschließend auf deren Basis

affektive Störungen definiert. Für die Diagnose einer affektiven Episode muss eine bestimmte Anzahl an Kriterien für eine defi- nierte Dauer gleichzeitig vorliegen. Dabei sind Hauptkriterien und Zusatzkriterien zu erfüllen. Neben der dichotomen Klassi- fikation liefert die Erfassung des Schweregrads zusätzliche Hin- weise für Behandlungsstrategie.

Klassifikation nach ICD-10

Eine BS kann diagnostiziert werden, wenn mindestens 2 affek- tive Episoden vorliegen, wovon mindestens eine hypomanisch, manisch oder gemischt sein muss. In diesem Falle wird unab- hängig von Art und Zahl vergangener Episoden eine BS diagnos- tiziert, die unter Angabe der Art der aktuellen Episode genauer beschrieben wird (F31.0 bis F31.7). Nur bei den „sonstigen bipo- laren affektiven Störungen“, bei der Zyklothymie und der saiso- nalen affektiven Störung wird die Art der vergangenen Episoden berücksichtigt.

Auch wenn Studien die diagnostische Reliabilität und Validität der BS-II stützen, wird bisher nur im Anhang der ICD-10 die Spezifizierung einer Bipolar-II-Störung erläutert (F31.80, Tab. 1).

BS-II ist dadurch gekennzeichnet, dass im Verlauf der Erkran- kung mindestens eine hypomanische und zusätzlich mindestens eine depressive Episode aufgetreten sind, jedoch keine manische Episode. Weitere spezifisch definierbare Verlaufsformen sind das

Tab. 1 Kodierbare bipolare Störungen nach ICD-10

ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10

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„rapid cycling“ (F31.81), bei dem innerhalb von 12 Monaten

≥4 voneinander abgrenzbare Episoden aufgetreten sein müssen.

Das „ultra rapid cycling“ mit teilweise täglichen Phasenwech- seln ist in der Definition und Diagnostik nicht eigenständig enthalten.

Ausschließlich auftretende manische Episoden ohne depressive Phasen werden in der ICD-10 als sonstige BS kodiert (rezidivie- rende manische Episoden, F31.82). Auf die Kategorie der nicht näher bezeichneten BS soll nur im Ausnahmefall zurückgegrif- fen werden, beispielsweise wenn die Art der Episode noch nicht angegeben werden kann oder die Symptome der aktuellen Epi- sode die Kriterien für keine der affektiven Episode vollständig erfüllen.

Für die Diagnose einer Zyklothymie, die nach ICD-10 streng genommen nicht zu den BS, sondern zu den anhaltenden affek- tiven Störungen zählt, gilt analog zur Dysthymie ein Zeitkrite- rium von ≥2 Jahren mit Stimmungsinstabilität, die jedoch zu keiner Zeit so stark ausgeprägt ist, dass die Kriterien einer Manie oder einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode erfüllt sind.

Klassifikation nach DSM

Im 2013 eingeführten DSM-5 werden BS neben den UD eigen- ständig aufgeführt und im Vergleich zur ICD-10 wesentlich dif- ferenzierter unterteilt. Die BS-I, BS-II sowie Zyklothymie werden

gleichberechtigt nebeneinandergestellt. Auch die Hypomanie wird im DSM-5 eigenständig und gleichberechtigt aufgeführt.

Neu hinzugekommen sind ätiologiebezogene Konzepte wie die substanz- bzw. medikamenteninduzierte Störung sowie BS auf- grund eines anderen medizinischen Krankheitsfaktors. Zusätz- lich können noch andere, näher bezeichnete bipolare und ver- wandte Störungen kodiert werden. Die DSM-5-Einteilung der BS beinhaltet neben der Hauptdiagnose noch Zusatzinformati- onen (sog. „specifier“) über die letzte Episode (manisch, depres- siv), den Schweregrad (leicht, mittel, schwer), das Vorhandensein psychotischer Merkmale sowie den „Ausheilungsgrad“ (teilremit- tiert, vollremittiert). Statt einer gemischten Episode kann hier der Zusatz „mit gemischten Merkmalen“ gewählt werden, oder auch „mit Angst“, „mit psychotischen Merkmalen“ oder „mit rapid cycling“, um die Episode näher zu beschreiben.

Zusammenfassend empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie, sich in der Diagnostik an die Kriterien und die Klassifikation des ICD- 10 zu halten. Werden diagnostische Feststellungen getroffen, die mit Hauptkriterien des ICD-10 nicht abgedeckt sind, wie bspw. eine BS-II, wird die Nutzung der Kategorie F31.8 emp- fohlen. Zudem sollten die multiaxialen Möglichkeiten des ICD- 10 genutzt und auch störungsrelevante somatische, psychologi- sche und soziale Faktoren sowie die Funktionsbeeinträchtigung beschrieben werden (Abb. 1).

Foto: SHVETS production von Pexels

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Diagnosestellung

Zu beachten sind die bei UD und BS relativ hohen Konver- sionsraten. Die Übergänge von UD zu BS liegen bei ca. 39 % (15 % zu BS-II und 24 % zu BS-I). Zudem entwickeln ca.

41 % der BS-II-Patienten eine BS-I. Daher ist die Diagnose- stellung nur im Längsschnitt möglich und die Validität der Diagnose steigt mit fortschrei- tendem Krankheitsverlauf und Häufigkeit der Phasen.

Die therapiebegleitende Lang- zeitanalyse erfordert eine sorg- fältige Erfassung der Anzahl und Häufigkeit affektiver Krankheitsphasen und des vergangenen und gegenwär- tigen Episodenmusters, z. B.

Dominanz (hypo-)manischer, depressiver oder gemischter Episoden. Schwierig zu erken- nen und zuzuordnen sind ins- besondere hypomanische Pha- sen sowie schnelle und häufige Phasenwechsel. Eine aktive Einbindung von Angehöri- gen bzw. Vertrauenspersonen zur retrospektiven Erfassung und Einschätzung möglicher

Krankheitsphasen und deren Intensität ist hilfreich.

Zur systematischen Anamneseerhebung stehen verschiedene Interviews wie das strukturierte klinische Interview nach DSM-5 (SKID, 60–120 min) oder das diagnostische Kurzinterview bei psychischen Störungen (Mini-DIPS, ca. 30 min) zur Verfügung (detaillierte Information siehe S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen 2019).

Dimensionale Diagnostik

Neben der Diagnosestellung sind in der klinischen Praxis valide Informationen zur Ausprägungs- und Schweregradbestimmung der bipolaren Symptomatik für die Therapieplanung und die

Verlaufs- und Erfolgskontrolle nötig. Im Rahmen der dimen- sionalen Diagnostik ist eine Kombination verschiedener Erhe- bungsinstrumente (multimodale Diagnostik) zu empfehlen (Selbst- und Fremdbeurteilung). Obwohl validierte Instrumente zur Fremdbeurteilung der Manie und Depression vorliegen, sind diese noch zu wenig im klinischen Alltag verbreitet (Tab.

2 und 3). Zu bedenken ist, dass sich die Depressionsskalen je nach abgefragten Items unterschiedlich gut dazu eignen, bipolar depressive Symptome zu erfassen.

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Screening von Risikopersonen

Ziel eines Screenings ist es, (unterschwellige) bipolare Symp- tome zu identifizieren, die eine weitere detaillierte diagnostische Abklärung oder auch eine intensivierte Längsschnittbeobach- tung notwendig machen. Je nach Studie findet man bei 3–21 % der Patienten mit einer bisher nur UD bipolare Symptome. Für ein erhöhtes Risiko für BS sprechen u. a. eine positive Famili- enanamnese, Substanzabusus, mehrere depressive Episoden in der Anamnese, atypische depressive Symptomatik und Verlauf, (hypo-)manische Episoden während oder nach der Behandlung mit Antidepressiva, Anzeichen einer gemischten Episode, häu- fige Stimmungsschwankungen, Suizidversuche oder auch frühes Erkrankungsalter. Unter den wenigen Screeninginstrumenten

erwiesen sich insbesondere der HCL- 32 (Hypomania Checklist 32) und das MDQ (Mood Disorder Questionnaire) bei primär depressiven Patientenkol- lektiven als ausreichend sensitiv zur Erfassung maniformer Symptome im bisherigen Verlauf, sie können daher im Rahmen eines Routinescreenings eingesetzt werden.

Differenzialdiagnostik

Aufgrund des oft frühen Beginns ist die BS bei jungen Erwachsenen nur schwie- rig von Störungen der Emotionsregula- tion (z. B. von Aufmerksamkeitsdefizit-/

Hyperaktivitätsstörung [ADHS], emoti- onal-instabiler Persönlichkeitsstörung, Impulskontrollstörungen) sowie psycho- tischen Störungen oder Substanzmiss- brauch abzugrenzen. Als Prädiktoren für die Entwicklung einer späteren Hypo- manie oder Manie im Rahmen einer BS gelten eine positive Familienanamnese, schwere melancholische oder psycho- tische Depressionen im Kindes- oder Jugendalter, schneller Beginn und/oder rasche Rückbildung der Depression, Vorliegen saisonaler oder atypischer Krankheitsmerkmale, subsyndromale hypomanische Symptome im Rahmen depressiver Episoden und hypomanische oder manische Symptomentwicklung im zeitlichen Zusammen- hang mit einer Therapie mit Antidepressiva oder bei Exposition gegenüber Psychostimulanzien.

Die Zyklothymie (ICD-10 F34.0) ist durch wellenförmige durch- gehende Stimmungsschwankungen bis hin zu Hypomanien und zeitlich getrennt davon auftretende (sub-)depressive Symptome charakterisiert, die jedoch nicht die vollständigen Kriterien für eine mittelgradige oder schwere depressive Episode nach ICD-10 erfüllen. Die Abgrenzung von einer Schizophrenie ist bei einer Manie dann schwierig, wenn der Patient nur auf dem Höhepunkt der Erkrankung untersucht wird, in dem bei beiden Erkrankungen ausgedehnte Wahnideen und Erregung auftreten können und bei der BS die grundlegende Störung des Affekts

Tab. 2 Instrumente zur Fremd- oder Selbstbeurteilungmanischer Symptomatik.

DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

Tab. 3 Instrumente zur Fremd- oder Selbstbeurteilung depressiver Symptomatik.

ACE „angiotensin-converting enzyme“, ACTHadrenokortikotropesHormon, ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Tab. 4 Differenzialdiagnosen bipolare Störungen

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verdecken. Schwere psychotische Symptome wie Denkstörungen, Wahnsymptomatik und Halluzinationen erscheinen jedoch bei der Manie instabiler und fluktuierender sowie psychopatholo- gisch vielgestaltiger und von kürzerer Ausprägungsdauer als bei der Schizophrenie. Weitere mögliche Differenzialdiagnosen und organische Ursachen sind in Tab. 4 aufgeführt.

Zum Ausschluss einer organischen Ursache sollte neben dem Ganzkörperstatus und der neurologischen Untersuchung eine weiterführende Diagnostik mittels bildgebender Diagnostik (Magnetresonanztomographie [MRT] oder kranielle Computer- tomographie [cCT]), Elektroenzephalographie (EEG), umfang- reicher laborchemischer Untersuchungen mit neuroendokrino- logischen Parametern und ggf. neuropsychologischer Diagnostik erfolgen.

Psychiatrische und somatische Komorbidität

Komorbide psychische Störungen sollten bei BS zu Beginn und im Krankheitsverlauf sorgfältig diagnostiziert und in Therapie und Verlaufsbeobachtung berücksichtigt werden. Insbesondere ist das Risiko einer komorbiden Angststörung, Substanzge- brauchsstörung (Alkohol und illegale Drogen), ADHS sowie Per- sönlichkeitsstörung bei bipolaren Patienten erheblich gesteigert (Tab. 5).

Patienten mit BS weisen eine erhöhte Morbidität und Mortalität im Vergleich zu gesunden Personen auf. Daten einer schwedi- schen Kohortenstudie zeigen eine gegenüber der Allgemeinbe- völkerung 2-fach erhöhte Mortalität und eine Lebenszeitverkür- zung um ca. 9 Jahre. Dies ist neben einer erhöhten Suizidrate vor allem auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus Typ 2 zurückzuführen. Patienten mit BS haben zudem ein höhe- res Risiko, gleichzeitig mehrere somatische Erkrankungen zu haben, die teilweise miteinander assoziiert sind. Zu den häufigs- ten somatischen Erkrankungen zählen Adipositas, kardiovasku- läre Erkrankungen, metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus, muskuloskeletale Erkrankungen und Migräne (Tab. 5).

Verlaufsdiagnostik

Eine sorgfältige Verlaufsdiagnostik ist bei BS unerlässlich. Sie dient zur Diagnosesicherung, zum Erkennen von Frühsympto- men (Schlafstörungen, Veränderung der Aktivitätsniveaus etc.) und neuen Phasen sowie zur Feststellung von Änderungen der Verlaufsformen (BS-II in BS-I, „rapid cycling“, „ultra rapid cyc- ling“). Empfohlen wird die sorgfältige Dokumentation des psy- chischen Befindens und des psychosozialen Funktionsniveaus mithilfe bewährter Fremdbeurteilungsinstrumente seitens des Behandlers. Vom Patienten sollte möglichst engmaschig ein Stimmungstagebuch ausgefüllt werden („life charting method“, LCM), welches zunehmend als App zur Verfügung steht. So kön-

ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, CI Konfidenzintervall, GAD „generalized anxiety disorder“, OR Odds Ratio, PTSD „posttraumatic stress disorder“

Tab. 5 Risikosteigerung für psychiatrische Komorbiditäten und somatische Erkrankungen bei Patientenmit bipolarer Störung

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nen frühzeitig spezifische Therapieoptimierungen vorgenom- men werden.

Kognitive Defizite bestehen bei BS während akuter Krankheits- phasen, können aber auch im euthymen Intervall sistieren, oft verbunden mit subsyndromalen depressiven Symptomen. Es wird daher empfohlen, bevorzugt im euthymen Intervall ein Screening auf kognitive Defizite vorzunehmen.

Vor und während einer Pharmakotherapie sollten abhängig von der Wirkstoffklasse Basis- und Verlaufskontrollen erfolgen (Tab.

6). Bei Antipsychotikagabe ist bei Patienten mit einer BS auf ein erhöhtes Risiko für akute extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS) und auch Spätdyskinesien zu achten.

Früherkennung während des Prodromalstadiums

Retrospektive Studien zeigen, dass einer manifesten bipolaren Störung eine Phase dynamischer Symptomentwicklung voraus- geht (sog. Prodrom), die im Allgemeinen lang genug zu sein scheint, um eine Frühidentifikation und -intervention zu ermög- lichen. Trotz weiterem Forschungsbedarfs, um valide Hochrisi- kokriterien für die bipolare Störung zu entwickeln, sollten eine positive Familienanamnese für bipolare Störungen, Angststörun- gen in der Kindheit, Veränderungen im Schlaf/Schlafprobleme, (hypo-)manieähnliche Persönlichkeits-/Temperamentszüge und vor allem unterschwellige (hypo-)manische Symptomatik bereits jetzt im klinischen Alltag erfragt bzw. eingeschätzt und im Ver-

lauf beobachtet werden, da ihr Vorhandensein das Risiko der Entwicklung einer bipolaren Störung erhöht.

Die Evidenz zu eventuellen präventiven Therapieoptionen ist schmal. Es gibt erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit psychotherapeutischer, v. a. familienbasierter Therapieansätze, insbesondere hinsichtlich verminderter subsyndromaler Symp- tomatik. Daten zur Prävention der Entwicklung einer bipolaren Störung und für eventuelle medikamentöse Ansätze sind derzeit ungenügend. Deshalb sollte eine symptomzentrierte Behand- lung und Identifikation sowie Therapie anderer psychischer Stö- rungen im Vordergrund stehen.

Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter

Das Kindes- und Jugendalter zeichnet sich durch die Entwick- lung verschiedener psychiatrischer Erkrankungen sowie mit der Pubertät einsetzende entwicklungsbedingte Stimmungsschwan- kungen, risikoreiches Verhalten sowie z. T. extreme Selbstbeur- teilungen, Promiskuität und suizidale Krisen aus. Dies kann die Abgrenzung zu einer sich entwickelnden BS erschweren, insbe- sondere auch, da sich Kriterien für (Hypo-)Manie mit denen von ADHS und Störung des Sozialverhaltens oder emotional instabiler Persönlichkeitsentwicklung überschneiden. Zudem kann bei Kindern und Jugendlichen eine Depression mit dem Leitsymptom Irritabilität diagnostiziert werden, das ebenfalls ein A-Kriterium bei Manie ist.

cCT kranielle Computertomographie, EEG Elektroenzephalographie, EKG Elektrokardiographie, INR International Normalized Ratio, LDL „low density lipoprotein“, MRTMagnetresonanztomographie, PTT partielle Thromboplastinzeit, SD Schilddrüse, TSH thyreoideastimulierendes Hormon

Tab. 6 Untersuchungen vor undwährend der Behandlung bipolarer Störungen

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Beim Verdacht auf BS vor dem 18. Lebensjahr sollte ein Kin- der- und Jugendpsychiater mit Erfahrung in diesem Krankheits- bild einbezogen werden. Die diagnostischen Kriterien der BS, Diagnoseschritte und Therapie unterscheiden sich allerdings nicht wesentlich von Erwachsenen, mit Ausnahme größerer Aufmerksamkeit auf psychiatrische Komorbiditäten und die not- wendige Einbeziehung Sorgeberechtigter in die Evaluation und Behandlung.

Fazit für die Praxis

• Eine frühzeitige Diagnosestellung ist in der klinischen Pra- xis schwierig. Bipolare Störungen bleiben daher oft über Jahre unerkannt.

• Der Krankheitsbeginn ist zumeist eine depressive Episode, die schwer von einer unipolaren Depression zu unterschei- den ist.

• Da es derzeit keine validen Biomarker gibt, bleibt das klini- sche Vorgehen zur Diagnostik entscheidend.

• Vor allem das Erkennen hypomaner Phasen und die lon- gitudinale Diagnostik sind elementar, um die bipolare Störung von anderen Erkrankungen unterscheiden zu können.

• Aufgrund der hohen Bedeutung für Morbidität und Mor- talität sind die Diagnostik und Therapie komorbider psy- chiatrischer und somatischer Erkrankungen wichtig.

• Eine Früherkennung während eines sog. Prodromalstadi- ums der bipolaren Störung ist derzeit nicht reliabel mög-

lich; bei klinischem Verdacht, z. B. durch unterschwellige (hypo-)manische Symptomatik, sollten Komorbiditäten behandelt und symptomzentrierte psychotherapeutische Maßnahmen erwogen werden.

PROF. DR. MARTIN SCHÄFER Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin Evang. Kliniken Essen-Mitte m.schaefer@kem-med.com PROF. DR. CHRISTOPH U. CORRELL Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Berlin, Deutschland

© Springer Verlag GmbH 2021

Fragebogen

Im Rahmen des Diplom-Fortbildungsprogramms ist es möglich, durch das E-learning Punkte zu erwerben. Nach der Lektüre des DFP-Artikels beantworten Sie bitte die Multiple-Choice-Fragen.

Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn alle möglichen richtigen Antworten angekreuzt sind. Bei positiver Bewertung (66 Prozent der Fragen) werden Ihnen zwei medizinische DFP- Punkte zuerkannt.

Einsendeschluss für den Fragebogen ist der 16. Juni 2022.

• Online: www.springermedizin.at oder unter E-Learning auf der Website www.meindfp.at

Per Post oder Fax: (z. Hd. Susanna Hinterberger), Springer Medizin Wien, Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien, Fax: +43 1 33024 26

Per E-Mail (eingescannter Test) an:

susanna.hinterberger@springer.at

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1. Zur Epidemiologie der Bipolaren Störung (BS). Welche Aussagen treffen zu? (2 richtige)

a) Die BS tritt zumeist jenseits des 30. Lebensjahrs auf.

b) Etwa 20 Prozent der Patienten zeigen erste Symptome vor dem 20. Lebensjahr.

c) Bis zu 70 Prozent der Patienten verbleiben im ersten Jahr nach der initialen Krankheitsepisode ohne richtige Diagnose.

d) Die BS wird im Schnitt erst 5 bis 10 Jahre nach ihrem Auftre- ten diagnostiziert.

2. Komorbiditäten und Prognose der BS. Welche Aussagen treffen zu? (3 richtige Antworten)

a) Patienten mit BS weisen gegenüber der Allgemeinbevölke- rung eine 2-fach erhöhte Mortalität und eine Lebenszeitverkür- zung um ca. 9 Jahre auf.

b) 15 Prozent der bipolar Erkrankten unternehmen einen Sui- zidversuch bei einer Lebenszeitprävalenz für Suizide von ca.

10 Prozent.

c) Die Lebenszeitverkürzung ist neben der erhöhten Suizidrate vor allem auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes melli- tus Typ 2 zurückzuführen.

d) Das Risiko einer komorbiden Angststörung, Substanzge- brauchsstörung, ADHS sowie Persönlichkeitsstörung ist bei bi- polaren Patienten erheblich gesteigert.

3. Welche Aussage zur Definition und Klassifikation der BS trifft NICHT zu? (1 richtige Antwort)

a) Nach IDC-10 kann eine BS diagnostiziert werden, wenn min- destens 2 affektive Episoden vorliegen, wovon mindestens eine hypomanisch, manisch oder gemischt sein muss.

b) Wenn in der Anamnese die Kriterien für mindestens 1 mani- sche Episode erfüllt sind, spricht man von einer Bipolar-I-Stö- rung.

c) Eine BS-II liegt vor, wenn im Verlauf der Erkrankung mindes- tens eine hypomanische und zusätzlich mindestens eine depres- sive Episode aufgetreten sind, jedoch keine manische Episode.

d) Die DSM-5 Klassifikation subsummiert unter Bipolare Störun- gen zusätzlich zu BS-I und BS-II noch die Zyklothymie sowie schizoaffektive Störungen.

4. Zur Diagnose bipolarer Störungen. Welche Aussagen treffen zu? (3 richtige Antworten)

a) Zwischen unipolarer Depression und BS sowie innerhalb der bipolaren Störungen bestehen hohe Konversionsraten.

b) 20 Prozent der unipolaren Depressionen gehen in eine BS über, und 20 Prozent der BS-II-Patienten entwickeln eine BS-I.

c) Eine Diagnose bipolarer Störungen ist nur im Längsschnitt möglich.

d) Schwierig zu erkennen und zuzuordnen sind insbesondere hy- pomanische Phasen sowie schnelle und häufige Phasenwechsel.

5. Welche Aussagen zur Differentialdiagnose der BS treffen zu? (2 richtige Antworten)

a) Bei jungen Erwachsenen ist die BS nur schwierig von Störun- gen der Emotionsregulation (z. B. ADHS) sowie psychotischen Störungen oder Substanzmissbrauch abzugrenzen.

b) Im Unterschied zur Schizophrenie treten bei der Manie kei- ne schweren psychotischen Symptome wie Denkstörungen, Wahnsymptomatik oder Halluzinationen auf.

c) Die Zyklothymie ist durch ≥4 voneinander abgrenzbare (mani- sche und/oder depressive) Episoden innerhalb von 12 Monaten charakterisiert.

d) Auf organischer Seite ist differentialdiagnostisch u. a. an Schilddrüsenerkrankungen, Hyperkortisolismus, Epilepsie, Fron- talhirntumoren sowie dementielle Erkrankungen zu denken.

6. Früherkennung und Verlauf der BS. Welche Aussagen treffen zu? (3 richtige Antworten)

a) Einer manifesten BS geht häufig eine Phase dynamischer Symptomentwicklung voraus (sog. Prodrom).

b) Eine sorgfältige Verlaufsdiagnostik ist zur Diagnosesicherung, zum Erkennen von Frühsymptomen und zur Feststellung von Än- derungen der Verlaufsformen unerlässlich.

c) Das Führen eines Stimmungstagebuchs durch den Patienten („life charting method“, LCM) ist für die Verlaufskontrolle wenig aussagekräftig.

d) Bei Antipsychotikagabe ist auf ein erhöhtes Risiko für akute extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS) und Spätdyskine- sien zu achten.

Fragebogen

Diagnostik und Früherkennung bipolarer Störungen

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Frau  Herr

 Ich besitze ein gültiges ÖÄK-Diplom

Altersgruppe:  < 30  31 – 40  41 – 50

 51 – 60  > 60

Fotos: Gerd Altmann auf Pixabay Einsendeschluss ist der 16. Juni 2022 Online: www.springermedizin.at oder www.meindfp.atE-Mail: susanna.hinterberger@springer.at

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