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Theater im Gefängnis als eine mögliche Resozialisierungsmaßnahme

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Academic year: 2021

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Theater im Gefängnis als eine mögliche

Resozialisierungsmaßnahme

Bachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.)

Im Studiengang Soziale Arbeit

Autorin: Laura Streufert

URN: urh:nbn:de:gbv:519-thesis 2018-0302-9

Ort: Neubrandenburg

Datum der Abgabe: 16.06.2018

Erstgutachterin: Prof. Dr. phil. Ulrike Hanke

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...3

1. Gefängnis als Institution...4

1.1 Gefängnis als totale Institution...4

1.2 Gefängnis als Machtgefüge...8

2. Resozialisierung...12

2.1 Geschichtlicher Überblick ...13

2.2 Annäherung an den Begriff 'Resozialisierung'...14

2.3 Schwierigkeiten und Diskrepanzen des Begriffes Resozialisierung...17

3. Theater als Medium ästhetischer Bildung ...18

3.1 Was ist ästhetische Bildung...18

3.2 Das Medium Theater im Kontext ästhetischer Bildung...22

4. Theater im Gefängnis als Resozialisierungsmaßnahme...26

4.1 Kurzer Exkurs zu rechtlichen und historischen Aspekten...27

4.2 Mögliche Effekte des Theaterspielens auf Insassen im Kontext der Resozialisierung...28

4.3 Mögliche Grenzen des Theaterspielens als Resozialisierungsmaßnahme...39

5. Fazit...42

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Einleitung

Gefängnis und Theater. Auf den ersten Blick zwei Worte, welche augenscheinlich nicht zusammenpassen. Dennoch boomt das Gefängnistheater als Freizeitangebot in mehreren Justizvollzugsanstalten und hat es in einigen Fällen sogar geschafft, sich dauerhaft zu etablieren. Die Rede ist hier beispielsweise von der Theatergruppe aufBruch aus der JVA Tegel in Berlin, welche inzwischen deutschlandweit bekannt ist und regelmäßige Aufführungen für die Öffentlichkeit anbietet. Ein Rollenwechsel im wahrsten Sinne, welcher trotz fester Etablierung noch immer von Kontroversen umspannt ist, jedoch auch ein enormes Potenzial beinhaltet. Ausgewählte Theaterpädagogen und Psychologen beschäftigten sich mit dem Gefängnistheater als Chance auf positive Einwirkung auf die Insassen bis hin zum Gefängnistheater als eine unkonventionelle Methode zur Resozialisierung der Gefangenen beizutragen. Dies ist nicht nur für die Soziale Arbeit von großer Bedeutung, sondern auch für sämtliche Instanzen, welche in die Institution Gefängnis eingebunden sind. Hier soll diese Thesis ansetzen mit der Fragestellung: Welche Möglichkeiten bietet das Theater im Gefängnis als mögliche

Resozialisierungsmaßnahme und welche Grenzen zeigen sich?

Um diese Frage zu beantworten werde ich mich zunächst mit dem Thema Gefängnis kurz auseinandersetzen, anschließend mit dem Thema Resozialisierung, gefolgt vom Kapitel der ästhetischen Bildung einschließlich dem Medium Theater und dem Herzstück der Arbeit: Den Folgen des Gefängnistheaters für die Insassen einschließlich Risiken und Grenzen. Das Fazit wird abschließend versuchen, die Forschungsfrage zu beantworten.

Eine kleine erklärende Anmerkung: Ich werde in dieser Thesis nicht explizit gendern. Wenn von Personen gesprochen wird, schließe ich sowohl männliche als auch weibliche Personen in die Ausführung ein, insofern es nicht explizit anderweitig angemerkt wird.

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1. Gefängnis als Institution

Um sich dem Gefüge „Theater im Gefängnis adäquat annähern zu können, ist es zunächst von Bedeutung, sich mit dem Konstrukt „Gefängnis“ auseinanderzusetzen. Die geschieht hier anhand zweier Beispiele: Gefängnis als totale Institution basierend auf Goffmans Werk „Asyle“ von 1973 und Gefängnis als Machtgefüge basierend auf Foucaults Werk „Überwachen und Strafen“. In beiden Fällen werden bestimmte Aspekte auf Grund von Irrelevanz außer Acht gelassen.

1.1 Gefängnis als totale Institution

Goffmans Werk „Asyle“ befasst sich, wie der Titel bereits impliziert, mit verschiedenen Institutionen unter dem Gesichtspunkt der totalen Institution. Unter anderem geht es hier um psychiatrische Einrichtungen, Kasernen, Klöster, jedoch auch um Gefängnisse, was letztendlich Basis für dieses Teilkapitel ist.

Nun beginnend stellt sich die Frage, wie das Gefängnis unter dem Gesichtspunkt totaler Institutionen untersucht wird. Zunächst sind hier die allgemeinen Merkmale von Bedeutung. Goffman beschreibt in diesem Zusammenhang, dass die, für die moderne Gesellschaft grundlegende soziale Ordnung, welche eine Trennung von Orten des Schlafens, Spielens und Arbeitens vorsieht, nicht mehr als solche besteht und „die Schranken, die normalerweise diese drei Lebensbereiche voneinander trennen, aufgehoben sind.“ Dies bedeutet im Speziellen, dass sämtliche Angelegenheiten an einem einzigen Ort unter einer einzigen Autorität stattfindet. Die tägliche Arbeit wird „in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen“ ausgeführt, welche alle die gleiche Behandlung erfahren und gleiche Tätigkeiten verrichten müssen. Sämtliche Phasen des Arbeitstages werden genauestens geplant und eingeteilt, vorgeschrieben von einem „System explizit formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären“. (Unter Stab werden hier die verschiedenen Positionen der Gefängniswärter bis hin zu Anstaltsleitung etc. gefasst.) Um „die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen“, werden diese verschiedenartigen Tätigkeiten „in einem einzigen rationalen Plan vereinigt“.1

Die Insassen, welche hier „in Blöcken bewegt werden“, sehen sich nicht der Führung, sondern der Überwachung des Personals gegenüber, welches, im Gegensatz zu den Insassen mit beschränktem Kontakt zur Außenwelt noch sozial in diese integriert ist. Zwischen beiden Schichten herrscht häufig eine geringe soziale Mobilität und Distanz, mitunter bedingt durch formell vorgeschriebene Regeln, jedoch auch durch eine „Brille enger, feindseliger Stereotypen“.

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Goffman beschreibt weiterhin, dass „die Trennung zwischen Stab und Insassen hauptsächlich eine Folge der bürokratischen Führung großer Menschengruppen“ ist, unter anderem resultierend im Vorenthalten von den Insassen betreffende Informationen. Jedoch ist hier auch das Thema Arbeit von Bedeutung, da „zwischen der totalen Institution und der fundamentalen Arbeit-Lohn-Struktur unserer Gesellschaft“ ein Widerspruch besteht, der sich darin äußert, dass Arbeit in totalen Institutionen nicht als Anreiz für etwaigen Lohn besteht, sondern fest in die Tagesstruktur des Insassen eingeplant ist und sich häufig als unterfordernd erweist. Goffman spricht in diesem Zusammenhang von einer Demoralisierung des Insassen.2

Im weiteren Verlauf des Werkes geht es um die Welt der Insassen, speziell um bestimmte Prozesse in totalen Institutionen, welche das Selbstbild, das Ich des Insassen angreifen und schädigen können. Beispielsweise beschreibt Goffman durch den Eintritt in eine totale Institution eine Art Bruch mit und Verlust von bisherigen Rollen des Individuums und seinen bürgerlichen Möglichkeiten als Verkörperung verschiedener Rollen, wie beispielsweise Ausbildung, berufliches Weiterkommen, Beziehungspartner etc. Er beschreibt diesen Zustand als „bürgerlichen Tod“.

Zusätzlich dazu kommen verschiedene Aufnahmeprozeduren und Prozesse der (intentionalen) Demütigung des Ichs. Diese, laut Goffman, sind als „ein Trimmen oder eine Programmierung zu bezeichnen, denn durch diese Form der Isolierung wird es möglich, den Neuankömmling zu einem Objekt zu formen, das in die Verwaltungsmaschinerie der Anstalt eingefüttert und reibungslos durch Routinemaßnahmen gehandhabt werden kann“ und von Anfang an zur Kooperation angehalten wird. Diese Aufnahmeprozeduren bestehen aus einer Reihe von Maßnahmen wie zum Beispiel Fotografieren, Wiegen, Messen, Erfassung persönlicher Habseligkeiten, Abnehmen der Fingerabdrücke um nur einige zu nennen. Besondere Bedeutung kommt hierbei vor allem dem Verlust der persönlichen Habseligkeiten zu, da „die Menschen pflegen ihre persönliche Habe emotionell zu besetzen.“ Zu diesen persönlichen Besitztümern zählen nicht nur materielle Dinge, sondern unter anderem auch der Eigenname, dessen Verlust eine „erhebliche Verstümmelung des Selbst“ darstellen kann. Eine weitere Entstellung des Selbst geschieht durch den Verlust der Entscheidungsgewalt über die individuelle Selbstdarstellung durch Kleidung, Kosmetika und andere Dienstleistungen, die dem Aufbau und Erhalt der äußeren Selbstdarstellung dienen. Die individuelle Erscheinung wird ersetzt durch einheitliche Kleidung und Verteilung von benötigten Hygieneartikeln.

Andere Formen der Demütigung finden sich in verbaler Form wieder wie beispielsweise in der Notwendigkeit, dem Stab durch verschiedene Ausdrucksformen Ehrerbietung erweisen zu müssen. Gravierender und weitreichender jedoch reihen sich verschiedenartige Formen der

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Verunreinigung in die Prozesse der Demütigung ein. Verunreinigung in diesem Sinne schließt nicht nur physischer Verunreinigung wie dem „Besudeln“ des Körpers bei der Aufnahme und Untersuchungen, unsauberem Essen, dreckigen Quartieren oder verdreckten Badegelegenheiten wider, sondern auch in Informationsvorbehalt gegenüber den Insassen, wobei teilweise diskreditierende Informationen jeglichem Personal in Form eines Dossiers zur Verfügung stehen und gegen den Insassen verwendet werden können, ohne, dass dieser Einfluss darauf hat. Weiterhin kann sich der Insasse einer beleidigenden oder verstümmelnden Anrede gegenübersehen, sowohl seitens der Mitinsassen als auch des Personals.3

Zu weiteren Demütigungen innerhalb totaler Institutionen zählt auch der Verlust der Handlungsfreiheit. In diesem Zusammenhang wird hier der Looping-Effekt beschrieben als „Rückkoppelung im Regelkreis“. Goffman beschreibt es wie folgt:

„Jemand ruft beim Insassen eine Abwehrreaktion hervor und richtet dann seinen nächsten Angriff gegen diese Reaktion.“4

Der Insasse kann sich hier nicht wie gewohnt aus der Situation entfernen oder sich anderweitig zur Wehr setzen, da ihm sonst Strafe und Sanktionen drohen. Der Verlust der freien Entscheidung über seine Handlungen reicht jedoch für den Insassen viel weiter als das oben bereits Beschriebene, da jegliche Aktivitäten „bis ins kleinste vom Personal reguliert und beurteilt werden“, mit der Konsequenz, dass der Insasse seine persönlichen Bedürfnisse und Ziele „nach seinen persönlichen Gegebenheiten“ nicht mehr adäquat ausgleichen kann. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass das Individuum selbst bei kleinsten, alltäglichen Aktivitäten, wie rauchen, telefonieren, Briefe aufgeben um Erlaubnis bitten muss, was nach Goffman das Individuum in eine unterwürfige, nahezu „unnatürliche Rolle“ eines Erwachsenen versetzt, über den mit diesen Verhaltensvorschriften eine Menge Macht ausgeübt werden kann. Hinzu kommt, dass nahezu sämtliches Personal aus sämtlichen Schichten dazu berechtigt ist, den Insassen zu disziplinieren, was letztendlich vor allem bei Neuankömmlingen zu einer stetigen Furcht vor einer Regelübertretung führt und ihn unter enormen Druck setzt.

All diese Demütigungen und der Verlust der Handlungsfreiheit dient laut Goffman letztendlich dazu, „den Tagesablauf einer großen Zahl von Menschen auf beschränktem Raum und mit geringem Aufwand an Mitteln zu überwachen.“

Um in diesem Zusammenhang zu verhindern, dass die hergestellte Ordnung gefährdet wird, existiert in totalen Institutionen ein Organisationsmodus, das hier als Privilegiensystem dargestellt wird. Es besteht aus den Komponenten der Hausordnung, der Belohnung und der Bestrafung. Dabei wird hier herausgearbeitet, dass Belohnungen und Vergünstigungen hier eine

3 Vgl. Goffman 1961, S. 24ff. 4 Goffman 1961, S. 43

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Erfüllung von Gegebenheiten darstellen, dessen Vorhandensein der Insasse in seinem Leben außerhalb der Institution in der Regel nicht anzuzweifeln brauchte. Innerhalb der Institution jedoch stellen Privilegien wie zum Beispiel Kaffee, Zigaretten oder ähnliches „eine Abwesenheit von Entbehrungen“ dar „die man normalerweise nicht ertragen zu müssen erwartet.“ Auch die Frage der Entlassung spielt hier in das Privilegiensystem hinein, insofern, als dass ein spezifisches Verhalten den Aufenthalt sowohl verkürzen als auch zu verlängern vermag. Kooperatives, den Anstaltsregeln angepasstes Verhalten ermöglicht also eine Reihe von Vergünstigungen, welche dem Insassen ein Stück Normalität und eine Möglichkeit zur Reorganisation seines Selbstbildes vermitteln.

Ein weiteres Thema im Folgenden stellt die sekundäre Anpassung mit ihren Ausprägungen dar. Beispielsweise können diese nicht direkt gegen das Personal gerichtet sein, in Form von Beschaffung „verbotener Genüsse bzw. erlaubte Genüsse mit verbotenen Mitteln.“ Sie kann sich allerdings auch in Form von Solidarisierung der Insassen und Fraternisation äußern, welche sich letztendlich gegen das Personal richtet, in Form vom Rufen von Parolen, Hungerstreiks oder kleinere Sabotageakte.

Neben der sekundären Anpassung existieren einige weitere Anpassungsformen innerhalb totaler Institutionen, wie beispielsweise der „Rückzug aus der Situation“, was im Grunde einen „dramatischen Abbruch der Beteiligung an Interaktionsprozessen“ bedeutet, im Gefängnis auch als „Knastpsychose“ oder „Stumpfsinn“ bezeichnet wird. Darüber hinaus existiert der „kompromißlose Standpunkt“, in dem der Insasse die Institution „absichtlich bedroht, indem er offenkundig die Zusammenarbeit mit dem Personal verweigert“.

Ferner existiert die Anpassungsform der „Kolonisierung“ welche Goffman folgendermaßen umschreibt:

„Der Insasse nimmt den Ausschnitt der Außenwelt, den die Anstalt anbietet, für die ganze, und aus den maximalen Befriedigungen, die in der Anstalt erreichbar sind, wird eine stabile, relativ zufriedene Existenz aufgebaut.“5

Durch diese Form der Anpassung wird häufig die Spannung zwischen der Innen- und Außenwelt merklich verringert und das Motivationsschema der Institution, welches auf dieser Spannung aufbaut außer Kraft gesetzt.

Eine weitere Form der Anpassung stellt die Konversion dar, welche simpel formuliert besagt, dass sich der Insasse der Rolle eines perfekten Insassen annimmt, geprägt von diszipliniertem, moralistischem und monochromen Verhalten, in Verbindung mit Begeisterung für die jeweilige Anstalt.

Die hier aufgeführten Anpassungsformen, so Goffman stellen jedoch lediglich „kohärente

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Verhaltensrichtlinien dar“, diese werden jedoch anscheinend „nur von wenigen Insassen in größerem Umfang befolgt.“ Die meist genutzte Strategie wird als „ruhig Blut bewahren“ bezeichnet. Hinter dieser Strategie steckt eine „mehr oder minder opportunistische Kombination von sekundärer Anpassung, Konversion, Kolonisierung und Loyalität gegenüber der Gruppe der Insassen.“ Diese Form der Anpassung wird als sicherste empfunden, um physischem wie psychischem Schaden aus dem Weg zu gehen und Schwierigkeiten zu vermeiden.6 Ein letzter

Punkt in diesem Kapitel stellt die Angst vor der Entlassung dar. Zwar träumen viele Insassen von ihrer Entlassung, jedoch steht auch immer die Frage im Raum „Werde ich es draußen schaffen?“. Angesichts dieses Drucks begehen einige Insassen häufig ein Verbot, was eine Verlängerung des Aufenthaltes nach sich zieht, um der Unsicherheit und dem Druck zu entgehen. Ein möglicher Grund neben der Frage nach der Selbstwirksamkeit in der Außenwelt ist auch die Stigmatisierung, die mit dem Gefängnisaufenthalt einhergeht und das Leben in Freiheit maßgeblich erschwert.7

1.2 Gefängnis als Machtgefüge

Im Unterschied zum vorangegangenen Abschnitt wird der Begriff des Gefängnisses nicht unter dem Gesichtspunkt einer totalen Institution betrachtet, sondern als differenziertes Machtgefüge. Grundlage hierfür ist Foucaults Ausführung „Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses“von 1977.

Beginnend mit diesem Abschnitt stellt sich die Frage, wie Foucault den Begriff/ das Konstrukt Gefängnis im Verlauf seines Werkes darstellt. Wie bereits erwähnt betrachtet er das System Gefängnis nicht wie Goffman lediglich unter dem Gesichtspunkt der totalen Institution, sondern viel eher als ein differenziertes Machtgefüge, welches sich mit einiger Zeit entwickelte, wandelte und modifizierte.

Es beginnt mit dem Kapitel der Martern um achtzehn hundert, doch diese Form des Strafens fand allerdings c.a. ein Jahrhundert später ein graduelles Ende. Im Zuge der Aufklärung, so beschreibt Foucault, wird der Mensch nicht mehr unter der Perspektive der Martern betrachtet, sondern „als Rechtsschranke, als legitime Grenze der Strafgewalt.“ Der Mensch wird hier „zur Zielscheibe einer besseren und ändernden Straf-Intervention“ unter Berücksichtigung verschiedener Wissenschaften, nicht zuletzt, da sich nicht nur das Strafsystem, sondern auch die Form und Häufigkeit der Delikte änderte, beschrieben von Foucault als „Eigentumsdelikte scheinen

6 Vgl. Goffman 1961, S. 25ff. 7 Vgl. Goffman 1961, S. 73ff.

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Gewaltverbrechen abzulösen.“8 Hier ist auch die historische Komponente der, im 19. Jahrhundert

initiierten Industrialisierung mit zu betrachten, welche eine Vermehrung der Reichtümer und des Wohlstandes und Anwachsen der Bevölkerung mit sich brachte. Und sowohl die gesetzeswidrigen Praktiken, wie auch die Strafverfolgungspraktiken entwickeln sich immer mehr zu feineren, erweiterten Methoden, hier beschreiben als „bessere Erfassungs-, Ergreifungs- und Ermittlungstechniken.“9 Von einer grobschlächtigen, von Terror geprägten Justiz entwickelt sich

das Justizsystem nun allmählich zu einem System der besseren Überwachung der Bevölkerung. Die Reform dieser Zeit zielte außerdem darauf ab, „die Gewährleistung einer besseren Verteilung“ der Strafgewalt zu etablieren, welche gleichmäßig, also nicht zu stark konzentriert und nicht zu diffus verteilt existieren konnte. Im Zuge dieser Reformen zeichnen sich bereits Tendenzen ab, welche auf die Besserung des Individuums und Wiedergutmachung abzielen. Foucault beschreibt:

„Die Strafe ist nicht nach dem Verbrechen, sondern nach seiner möglichen Wiederholung zu bemessen. Nicht auf den vergangenen Rechtsbruch, sondern auf die künftige Unordnung soll gezielt sein: der Übeltäter soll weder den Wunsch haben können, seine Tat noch einmal zu begehen, noch die Möglichkeit, von anderen nachgeahmt zu werden.“10

Um die Reformen erfolgreich umzusetzen wurden hier bestimmte Regeln erarbeitet, „mit der man die Strafgewalt auszustatten versucht.“ Diese Regeln zielen allgemein betrachtet darauf ab das Strafsystem so zu konzipieren, dass die Nachteile einer Strafe die Vorteile eines Vergehens übersteigen. Die Gesetzgebung muss völlig klar definiert, öffentlich zugänglich und schriftlich festgehalten sein. Die Verfahren sollen nicht mehr im Geheimen stattfinden und auch das Prinzip der Folter zur Erpressung eines Geständnisses soll abgeschafft werden und der Angeklagte die Möglichkeit haben, „bis zur endgültigen Überführung als unschuldig zu gelten“. Zudem sollen die Strafen klassifiziert und individualisiert werden.11

Die Bevölkerung soll zunächst dazu angehalten werden, die Strafe als eine Art Trauerzeremonie zu erleben, man müsse den Täter leider bestrafen. In diesem Zuge erscheint auch das Gefängnis als Strafform, welches zunächst dem Öffentlichkeitsprinzip widerspricht, welches sich zu dieser Zeit als Ideal etablierte, jedoch wandelt sich diese Ansicht rasch nach und nach und das Gefängnis nimmt mehr und mehr Platz im System der Strafjustiz ein. Im Verlauf dessen gliedern sich die Gefängnisse nach verschiedenen Stufen und Klassen der Vergehensarten. Speziell hier zeigt sich erneut das Thema „Macht“, anhand folgendem Zitat:

8 Foucault 1977, S. 96 9 Foucault 1977, S. 99 10 Foucault 1977, S. 118 11 Vgl. Foucault 1977, S. 93ff.

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„Und was durch diese Besserungstechnik schließlich wiederhergestellt werden soll, ist nicht so sehr das Rechtssubjekt, das in die fundamentalen Interessen des Gesellschaftsvertrages integriert ist, sondern das gehorchende Subjekt, das Individuum, das Gewohnheiten, Regeln, Ordnungen unterworfen ist und einer Autorität, die um es und über ihm stetig ausgewirkt wird, und die es automatisch in sich selber wirken lassen

soll.“12

Es geht hier also vielmehr um die „Dressur“ des Individuums und seines Verhaltens als alles andere, was sich im folgenden Kapitel „Disziplin“ widerspiegelt.

Die Disziplin wird neuer Ausdruck der Macht, indem sie Individuen minutiös nach einem Ideal formt, dressiert, „abrichtet“. Sie durchdringt das Individuum und die Gesellschaft, zergliedert, klassifiziert, ordnet, jedoch nicht zuletzt übt sie Korrektur an Abweichungen. Sie setzt neue Maßstäbe der Zeitnutzung und -ausschöpfung und normt verschiedene Ebenen der Gesellschaft ganz erheblich. Die Disziplin etabliert sich also als ein neues Machtgefüge, welches jede Faser der Gesellschaft zu durchdringen scheint, also im selben Zuge auch eine neue Ebene der Überwachung bedeutet. Ihr unheimliches Machtpotenzial wird vor allem in einem simplen Satz des Werkes deutlich: „Richten ist Abrichten.“1314

Dieser Satz begleitet den letzten Punkt: Das Gefängnis. Die Gefängnis-Institution hat sich laut Foucault bereits vor der Etablierung der Haftstrafe durch die verschiedenen Prozeduren der Disziplinargesellschaft abgezeichnet. Sie wird beschrieben als „Gefügig- und Nützlich-Machen der Individuen durch minutiöse Arbeit an ihrem Körper“. Dahingegen zeigte sich die Haftstrafe an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als etwas Neuartiges. Sie markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte der Strafjustiz als „die Strafe der zivilisierten Gesellschaften“15, sie wird gewissermaßen menschlich. Diese Form der Strafe entspricht, so

Foucault, „so tief dem Getriebe der Gesellschaft“, dass sie sich nach der Erscheinung ihrer Neuheit rasch und ohne vergleichbare Alternative etablierte. Warum sich diese Form der Strafe so unvergleichbar erfolgreich zeigte, mag sich darin begründen, dass die simple „Freiheitsberaubung“ der Haftstrafe einen Gegenstand darstellt, welcher jede Person der Gesellschaft gleichermaßen trifft, da Freiheit hier als ein Gut beschrieben wird, „das allen gleichermaßen gehört und an dem jeder mit einem 'universalen und beständigen'16 Gefühl hängt.“

Folglich wird die Haftstrafe als eine Strafe „par exellence.“ Die Selbstverständlichkeit des Gefängnisapparates beruht auf der technisch-disziplinären Komponente der Umformung der Individuen. Ferner existiert eine juristisch-ökonomische Komponente, welche „zwischen

12 Foucault 1977, S. 167 13 Foucault 1977, S. 232 14 Vgl. Foucault 1977, S. 173ff.

15 P. Rossi, zit. nach Foucault 1977, S. 296 16 A. Duport, zit. nach Foucault 1977, S296

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Vergehen und Dauer quantitative Äquivalenz etabliert“. Hinsichtlich der Perspektive dieser beiden Komponenten scheint das Gefängnis als die zivilisierteste Strafform, welche laut Foucault niemals ausschließlich der Freiheitsberaubung diente, sonder welcher immer schon eine Komponente der Besserung der Individuen beigemessen wurde. Es handelt sich hier um einen „differenzierten und zweckgerichteten Mechanismus“, differenziert in dem Sinne, als dass es zwischen verschiedenen Formen der Täter (Angeklagter, Verurteilter, Besserungshäftling oder Krimineller) unterscheidet und dementsprechend auch die Gefängnisform mit differenzierten Zielen. Zweckgerichtet, da das Gefängnis nicht nur den Zweck der Wiedergutmachung, sondern auch der Besserung der Häftlinge verfolgt. In den verschiedenen Zuchthäusern sollen nun „die Regeln einer gesunden Moral verwirklicht werden“.

„Zu einer Arbeit gezwungen, die sie schließlich lieben, wenn sie ihre Früchte einheimsen, gewöhnen sich die Verurteilten an die Beschäftigung, finden Geschmack daran und machen sie sich zum Bedürfnis.“17

Diese Besserungstechniken sollen zur Verwirklichung einer gesunden Moral beitragen. Foucault zeigt dahingehend auf, dass das Gefängnis ein „erschöpfender Disziplinarapparat“ sein muss. Das folgende Zitat erklärt diesen Apparat etwas genauer:

„Einmal muss es sämtliche Aspekte des Individuums erfassen: seine physische Dressur, seine Arbeitseignung, sein alltägliches Verhalten, seine moralische Einstellung, seine Anlagen. Viel mehr als die Schule, die Werkstatt oder die Armee, die immer eine bestimmte Spezialisierung ausweisen, ist das Gefängnis eine 'Gesamtdisziplin'. Zudem hat das Gefängnis weder ein Außen noch hat es Lücken; es kommt erst dann zum Stillstand, wenn seine Aufgabe zur Gänze erledigt ist.“18

Dies verdeutlicht noch einmal die allumfassende Macht, welche die Institution über das Individuum hat. Ihre Prozeduren müssen nach Foucault einer totalen Erziehung gleichen, mit dem Ziel der Umcodierung der verkommenen Existenz der Häftlinge. Dies geschieht durch verschiedene Prinzipien.

Zum einen durch das Prinzip der Isolierung. Dies enthält zweierlei Wirkungen. Zum einen die Isolierung des Häftlings aus seiner schädlichen Umgebung und zum anderen die Isolierung der Häftlinge untereinander, um Aufstände und Komplotte zu vermeiden. Die Isolierung des Häftlings soll ihm ermöglichen, über seine Handlungen zu reflektieren und dadurch ein selbstregulatorisches Verhalten zu entwickeln. Das zweite Prinzip besteht in der Arbeit der Häftlinge. Sie ist „weder eine Zugabe zur Haft noch eine Korrektur an ihr“. Foucault beschreibt, dass Arbeit vom Gesetzgeber „immer als wesentliche Notwendigkeit“ vorgesehen wurde. Sie sorgte jedoch auch für zahlreiche Unruhen in der Gesellschaft, welche Befürchtungen hegte, dass

17 Foucault 1977, S. 299 18 Foucault 1977, S. 301

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die Gefängnisarbeit mit der Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit intervenieren würde. Jedoch zielt die Arbeit im Gefängnis nicht auf einen produktiven Nutzen ab, sondern ist ein Eingriff in die menschliche Mechanik. Sie unterwirft das Individuum unter Regelmäßigkeit und Ordnung, jedoch auch unter eine Hierarchie und Überwachung. Die Machtverhältnisse dieses Gegenstandes werden im folgenden Zitat deutlich:

„Das Gefängnis ist keine Werkstatt, sondern selber eine Maschine, deren Rädchen und deren Produkte die Arbeiter-Häftlinge sind. Die Maschine 'beschäftigt sie kontinuierlich – und sei es auch nur zu dem einzigen Zweck, ihre Augenblicke auszufüllen. […]“19

Das dritte Prinzip äußert sich darin, dass das Gefängnis eine flexible Strafbemessung erhält. Dies bedeutet, dass die Strafe „quantifiziert“ und „nach den Umständen abgestuft“ werden kann. Die Strafe soll also „ein Ende nehmen, sobald die völlige Besserung des Sträflings erreicht ist“. Die impliziert, dass der Verlauf der Strafe und die Transformation des Häftlings in diesem Verfahren eine konkrete Rolle spielt. Im Verlaufe der Haft, so stimmten Gerichtsbehörden zu, ist es möglich, Belohnungen zu erlangen. (Bessere Verpflegung, Strafkürzungen etc.)20

Es wird aus Foucaults Werk also deutlich, dass das Strafsystem immer mit Macht in Verbindung stand, welche sich in verschiedenen Formen äußerte, weiterentwickelte und ausbreitete. Im Hinblick auf die Aktualität des Werkes wäre es interessant zu betrachten, ob der Insasse auch heutzutage, womöglich versteckt, als Objekt der Dressur und Disziplinierung gesehen wird, oder ob das Thema Resozialisierung in anderer Art und Weise an der Veränderung der Individuen ansetzt. Einen kleinen Einblick dazu soll das nächste Kapitel geben.

2. Resozialisierung

Wie die Forschungsfrage und der Titel der Arbeit bereits implizieren, ist der Begriff der Resozialisierung unumgänglich und wird in diesem Kapitel deshalb etwas genauer beleuchtet. Hierzu wird erst einmal ein kurzer geschichtlicher Überblick gegeben, gefolgt von einer Annäherung an den Begriff und mögliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung.

2.1 Geschichtlicher Überblick

Um sich dem Begriff Resozialisierung etwas besser annähern zu können, ist es womöglich von Interesse, zunächst einen kurzen geschichtlichen Überblick zu erhalten, da der Begriff Resozialisierung und seine Bedeutung im Laufe der Zeit einen beträchtlichen Wandel durchlebt

19 E. Danjou, zit. nach Foucault 1977, S. 311 20 Vgl. Foucault 1977, S. 295ff.

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haben. Ich beziehe mich in diesem Aspekt auf das Werk von Cornel, Maelicke und Sonnen „Handbuch der Resozialisierung“ von 1995.

Unter Berücksichtigung eines weitgefassten Resozialisierungsbegriff, welcher Arbeitszwang, religiöse Indoktrinierung und strengste Disziplin in Verbindung mit streng überwachten und kontrollierten, zudem stark reduzierte Kontakte nach Außen mit einschließt, existierte das Konzept der Resozialisierung bereits vor ca. 160 Jahren in verschiedenen Gefängnislehrbüchern. Jedoch wurde der Begriff Resozialisierung als solches nicht verwandt. Dies geschah erstmals durch einen Entwurf von Karl Liebknecht mit dem Titel „Gegen die Freiheitsstrafe“ 1918 und in spezifischer Fachliteratur von Hans Ellger 1922. Cornel führt an, der Begriff „hätte keine Zukunft gehabt“, wenn nicht empirisch ausgerichtete Sozialwissenschaften allmählich von „metaphysischen Begründungen des Strafrechts und Strafvollzugs“ abgesehen und sozialer Benachteiligung sowie Stigmatisierungsprozessen eine erhöhte Wichtigkeit beigemessen. Hier sind auch politische Entwicklungen zu berücksichtigen, da die Weimarer Republik Ansätze eines „auf gesellschaftliche Integration ausgerichtetes Strafrecht“ hervorbrachte, welches den Begriff der Resozialisierung als solches jedoch nicht beinhaltete, sondern reformpädagogisch und psychoanalytisch in Bezug auf Strafvollzugsmodelle arbeitete.

In der Zeit des folgenden Faschismus jedoch wurde die Forderung laut „gegen die humanitäre Erweichung des Jugendstrafvollzugs und die Herabwürdigung und Zersetzung des echten Strafgedanken zu Felde zu ziehen.“21 Der Erziehungsgedanke wurde immens eingegrenzt und

Gewohnheitsverbrecher durch die Todesstrafe liquidiert.

Im Jahre 1945 fand jedoch eine „Abkehr nicht nur vom faschistischen Menschenbild und ein Abschied von der Annahme Unverbesserlichkeit“ statt, sondern in diesem Zuge auch ein Verständnis von der „Unantastbarkeit der Würde des Menschen.“ Jedoch fand der Begriff Resozialisierung unter diesen Umständen nur schwer Eingang in kriminalpolitische Debatten, wie dargestellt in den 50er Jahren. Erst 1962 fand durch Württenberger eine Kritik am Entwurf des neues StGB auf Grund mangelnder Grundlage für eine „Erneuerung des deutschen Strafvollzugssystems“, welches den Resozialisierungsgedanken „in den Mittelpunkt der Strafvollzugsreform“22 stelle. Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sprach sich

schließlich 1969 für „die moderne Ausgestaltung des Sanktionensystems als wirksames Instrument der Kriminalpolitik mit dem Ziel einer Verhütung künftiger Straftaten vor allem durch Resozialisierung des Straftäters“ aus.23 Jedoch trotz verstärktem Interesse am Konzept der

Resozialisierung, fand der Begriff zunächst keinen Weg ins Strafvollzugsgesetz und wird des

21 Schaffstein, zit. nach Cornel 1995, S. 19 22 Württenberger, zit. nach Cornel 1995, S. 19

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Weiteren von verschiedenen Generationen unter verschiedenen Perspektiven betrachtet.24

2.2 Annäherung an den Begriff 'Resozialisierung'

Nachdem einige geschichtliche Aspekte geklärt wurden, wird etwas deutlicher, dass dem Begriff Resozialisierung als solches keine feste Definition oder Konzept immanent ist. Deshalb wird hier auch lediglich eine Annäherung an den Begriff vorgenommen und gegen verschiedene andere Begriffe abgegrenzt. Da das Thema breit gestreut und diskutiert ist, beziehe ich mich hier auf zwei Quellen, um den Rahmen etwas einzugrenzen. Verwendet werden das Werk „Handbuch der Resozialisierung“ 1995 von Cornel, Maelicke und Sonnen, sowie das Werk Leonhardts „Mehr Bühne für Resozialisierung“ 2017.

Cornel hebt bereits heraus, dass der Begriff Resozialisierung weniger als ein klar definierter Begriff, sondern vielmehr als „Kurzform oder Synonym für ein ganzes Programm“ existiert, dessen inhaltlicher Rahmen im Hinblick auf praktische Verwertbarkeit jedoch weitestgehend offen bleibt. So zitiert Cornel Schüler-Springorum, dass die „Zahl der Äußerungen über Begriff und Inhalte von Resozialisierung … Legion“ seien und sich diese „zu einem rechtlich und praktisch verwertbaren Inhaltsgefüge des Vollzugs dennoch nicht verdichtet haben.“25 Cornel

beschreibt in diesem Zusammenhang, dass sich der Begriff „mit steigender Popularität wandelte“, schließlich einen „erzieherischen, individualisierenden“ Diskurs annahm. Es wird darauf hingewiesen, dass der Begriff Resozialisierung häufig eine Erst- beziehungsweise Ersatzsozialisierung26 darstellt, somit ungünstige Sozialisationsbedingungen und Mangellagen

des Delinquenten und eine explizite Orientierung an gesetzlichen Normen im Zuge der Resozialisierung impliziert. Dies stellt nun einige Aspekte der Resozialisierung dar, jedoch bleibt eine genauere Definition weiterhin aus. Cornel stellt deshalb einige Definitionsansätze nach verschiedenen Personen dar, beginnend mit Deimling, welcher beschreibt:

„Ganz allgemein versteht man in der einschlägigen Literatur unter Resozialisierung die Wiedereinführung des Gefangenen in das soziale Leben oder seine Wiedereingliederung in die menschliche Gemeinschaft.“27

Folglich wird Maelicke folgendermaßen zitiert:

„Resozialisierung wird verstanden als Teil des lebenslangen Sozialisationsprozesses, wobei die Vorsilbe >re-< ausdrücken soll, daß ein Teil der Sozialisation außerhalb der

gesellschaftlich vorgegebenen Normen und Wertvorstellungen stattgefunden hat, so daß eine >Wieder<-Eingliederung notwendig ist.“28

24 Vgl. Cornel 1995, S. 17ff.

25 Schüler-Springorum, zit. nach Cornel 1995, S. 15 26 Württenberger, zit. nach Cornel 1995, S. 15 27 Deimling, zit. nach Cornel 1995, S. 15 28 Maelicke, zit. nach Cornell 1995, S. 16

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Schüler-Springorum fasst nach Cornel allgemein zusammen, dass der Gefangene lernen soll, „sich straffrei zu verhalten.“29 Als letzte der Definitionen wird Fabricius aufgeführt:

„Normgeltung als überzeugte Normbefolgung kann nur mittels Sozialisierung zu Rechtsbeweußtsein entwickelt werden. >Resozialisierung< ist die spezifische Form dieser Sozialisation für die (zur Freiheitsstrafe) verurteilten Straftäter …“30

Hier beschreibt Cornel eine auffällige Diskrepanz zwischen Deimlings und Schüler-Springorums auf der einen und Maelickes Definitionsansätzen auf der anderen Seite, insofern, als dass sich Deimling und Schüler-Springorum lediglich im Kontext Resozialisierung auf die Bezugsgruppe der Gefangenen im Bezugspunkt Strafvollzug beziehen und damit den Aspekt der (ambulanten) Sozialen Dienste und Straffälligenhilfe somit aus ihrer Definition von Resozialisierung ausschließen, was nach Cornel keinen sinnvollen Prozess darstellt. Auch an Fabricius' Definitionsansatz übt er dahingehend Kritik, als dass „die Beschränkung der Resozialisierung auf die Sozialisation zu Rechtsbewußtsein“ eine „theoretische Konstruktion“ sei, welche wesentliche Aspekte außer Acht lassen würden. Hierzu zählen „rechtssoziologische Übergänge von sozialer Benachteiligung, Stigmatisierungs- und Kriminalisierungsprozesse.“ Cornel führt an, dass Resozialisierung als ein „Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“ zu verstehen sei und somit weder ausschließlich individuumszentriert, noch kriminalitätstheroretisch aufzufassen sei.31 In diesem Zusammenhang bleibt jedoch eine klare, allumfassende Definition des Begriffes

Resozialisierung aus und im weiteren Verlauf des Werkes wird deutlich, dass verschiedene Wissenschaftler wiederholt den Versuch unternahmen, den Begriff Resozialisierung durch einen geeigneteren Begriff auszutauschen. Hier werden Vorschläge wie Besserung, Erziehung, Sozialisation, Behandlung und Integration diskutiert, jedoch größtenteils wieder als ungeeignet verworfen, da sie bestimmte Aspekte nicht einschließen, beziehungsweise wichtige Aspekte von vornherein ausschließen, wie beispielsweise den Aspekt der Psychotherapie im Kontext des Begriffes der Erziehung. Resozialisierung erweist sich nach Cornel also als ein zurecht umstrittener Begriff, jedoch auch als einen gewissermaßen unersetzbaren mit mangelnden Alternativen.

Zur Annäherung an den Begriff Resozialisierung wird noch einmal Leonhardt herangezogen. Sie beschreibt unter Zuhilfenahme verschiedener wissenschaftlicher Auffassungen zunächst, dass es sich laut Bundesverfassungsgericht bei dem Begriff Resozialisierung um eine „Wiedereingliederung in die Rechtsgemeinschaft“ handelt, kritisiert jedoch im selben Zuge, dass bei verschiedenen Tätern eine ungünstige oder unzureichende Sozialisierung vor der Tat eher eine „Ersatz-Sozialisierung“ als eine Resozialisierung impliziert. Leonhardt erklärt den Begriff

29 Vgl. Cornel 1995, S. 16

30 Fabricius, zit. nach Cornel 1995, S. 16 31 Vgl. Cornel 1995, S 14ff.

(16)

Sozialisierung als „fortschreitenden Prozess der lebenslangen Entwicklung des Individuums in der Wechselbeziehung zur Umgebenden Gesellschaft“32, also einen lebenslangen Prozess.

Übersetzt man nach Leonhardt „Resozialisierung als Wiedervergesellschaftung33 oder

Wiedereingliederung“ so zeigt sich das „Re“ der Resozialisierung im Kontext einer Herausnahme aus „weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens, in das es wieder zu sozialisieren gilt“ als durchaus geeignete Begrifflichkeit und schließt in ihrem Werk Aspekte der ungünstigen Sozialisierung mit ein. Leonhardt beschreibt, dass in der Fachliteratur weitestgehende Einigkeit darüber besteht, „dass es sich bei der Resozialisierung um ein Programm oder einen Prozess handelt, wodurch der Straftäter zum einen lernen soll, sich straffrei zu verhalten, und zum anderen der Weg der Eingliederung […] in die Gesellschaft bereitet werden soll.“34 Jedoch merkt

Leonhardt an, dass es für den Begriff Resozialisierung keine einheitliche Definition gibt. Den Aspekt der Bezugsgruppe betrachtend hebt Leonhardt hervor, dass es sich nicht lediglich um den Gefangenen, sondern um den verurteilten Straftäter handelt. Im Kontext Resozialisierung ist weiterhin hervorzuheben, dass Leonhardt den Begriff nicht nur als Wiedereingliederung des Subjekts in die Rechtsgemeinschaft versteht, sondern den Aspekt der sozialen Verantwortung mit einbezieht. So soll das Individuum nicht nur auf ein Leben in Gesetzestreue hinarbeiten, sondern vielmehr auf „die hinter den Strafrechtsnormen stehenden Werte und Güter“35 hingelenkt werden.

„Ziel ist die Befähigung zu autonomen Entscheidungen und eigenverantwortlichem Handeln“3637

Setzt man diese beiden Untersuchungen gegenüber stellt man fest, dass beide den Begriff der Resozialisierung als bloße Erziehung zum Rechtsbewusstsein ablehnen und wesentliche Aspekte wie ungünstige vorherige Sozialisation, Stigmatisierungs- und Kriminalisierungsprozesse als berücksichtigungswürdig und in diesem Kontext wichtig betrachten. Zudem wird bei beiden Untersuchungen deutlich, dass es sich bei Resozialisierung um einen Prozess handelt, welcher in einer Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft betrachtet werden muss um erfolgreich zu sein. Zwar bietet keiner der beiden Untersuchungen eine klare Definition des Begriffes Resozialisierung, dennoch wird etwas klarer, dass es sich bei dem Begriff Resozialisierung nicht lediglich um eine simple Wiedereingliederung in eine Rechtsgemeinschaft handelt, sondern als komplexer Vorgang verstanden werden muss, welcher zahlreiche Aspekte wie vorherige Sozialisation, Zielsetzung der Resozialisierung und individuelle Gegebenheiten berücksichtigen muss, um eine adäquate Chance auf Erfolg zu haben.

Das sich dies in zahlreichen Fällen as kompliziert erweist, zeigt die Schwierigkeit des

32 Maelicke, zit. nach Leonhardt 2017, S. 47 33 Fabricius, zit. nach Leonhardt 2017, S. 47 34 Leonhardt 2017, S. 48

35 Eser, zit. nach Leonhardt 2017, S. 50 36 Leonhardt 2017, S. 51

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Resozialisierungsgedankens. Dies wird im folgenden Teilkapitel kurz untersucht.

2.3 Schwierigkeiten und Diskrepanzen des Begriffes Resozialisierung

Wie bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet gibt es neben der mangelnd klaren Definition weiterhin Aspekte, welche den Resozialisierungsprozess erschweren und eine kritische Hinterfragung notwendig erscheinen lassen.

So stellt sich hinsichtlich Leonhardts Aspekt des Lebens in sozialer Verantwortung die Frage, inwiefern dies auf Grund des im Grundgesetz verankerten Rechtes auf Persönlichkeitsentfaltung gemäß Artikel 2 Absatz 1 legitim zu vertreten ist. Dies besagt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Leonhardt merkt in diesem Zusammenhang an, dass ein unsozialer Lebensstil, insofern nicht resultierend in einem Gesetzesverstoß, durchaus zu akzeptieren ist. Dies impliziert laut Leonhardt, dass ein Leben in sozialer Verantwortung „zwar anzustreben“ ist, „jedoch nicht der Maßstab für die Erreichung des Vollzugszieles bzw. eine erfolgreiche Resozialisierung“ sein darf. Weiterhin die Eignung der Institution Gefängnis hinsichtlich der Befähigung zu einem Leben in sozialer Verantwortung zu betrachten. Die charakteristischen Merkmale des Gefängnisses als totale Institution, wie bereits im ersten Kapitel beschrieben, nehmen dem Gefangenen einen großen Teil seiner Verantwortung und lassen ihn nach Leonhardt „passiv erscheinen“. Prisionierungsprozesse und „ungünstige Adaptionsprozesse“ tragen des Weiteren zu einer wesentlichen Erschwerung der Resozialisierungsprozesse bei.

Zusätzlich zum eben genannten summiert sich die Tatsache, dass in zahlreichen Landesgesetzen den Vollzug betreffend konstatiert werden kann, dass der Schutz der Allgemeinheit der Resozialisierung oft vorgezogen wird. Jedoch merkt Leonhardt an, dass in einem erhöhten Prozentsatz der Fälle der Schutz zeitlich stark begrenzt ist, da sich eine größere Summe der Freiheitsstrafen auf maximal fünf Jahre beläuft. Resozialisierung ist also ein wesentlicher Faktor der in den Schutz der Allgemeinheit integriert ist, spezifisch auf langfristige Sicht. Jedoch sind Resozialisierungsmaßnahmen nicht frei von der Notwendigkeit von Ressourcen (personell und finanziell), welche im Strafvollzug oft nicht in optimalem Maß vorhanden sind. Abschließend bleibt zweierlei zu sagen. Zum einen, dass Resozialisierungsmaßnahmen als solches nicht in jedem Falle sinnvoll erscheinen, beispielsweise, wenn der Täter lediglich eine sehr kurze Haftstrafe verbüßt oder eine Ausweisung zu erwarten hat. Zum anderen bleibt die Frage, ob etwaige Resozialisierungsmaßnahmen überhaupt angenommen werden, im Kontext von der

(18)

Frage, welche „Wirkung eine solche Annahme, resozialisierungsbedürftig zu sein, auf die Betroffenen haben kann“. Resozialisierung als solches bleibt daher ein höchst subjektiver Prozess, welcher nicht erzwungen werden, sondern lediglich angestoßen werden kann.

Interessant im Rahmen der Resozialisierung wäre auch das systemtheoretische Modell Leonhardts, jedoch würde dies bedauerlicherweise den Rahmen der Arbeit sprengen und wird somit nur in Kapitel 4 erwähnt, jedoch nicht ausführlich aufgeführt.38

Um das Kapitel abzuschließen bleibt noch zu sagen, dass ich nach dieser Untersuchung im Kontext dieser Arbeit vorrangig mit den Ansätzen Leonhardts arbeiten werde, welche unter anderem ein Leben in sozialer Verantwortung und die Befähigung zu autonomen Entscheidungen vorsieht. In diesem Zuge werde ich mich entgegen der Beschreibung beider aufgeführter Untersuchungen zum Thema Bezugsgruppe lediglich auf die Insassen beschränken und außerinstitutionelle Aspekte vorerst außer Acht lassen, da es der Rahmen der Arbeit nicht erlaubt. Ein kurzer abschließender Gedanke zum Thema Resozialisierung besteht in einem möglichen Widerspruch vom gesetzlichen Gedanken der Mitwirkung des Gefangenen an „Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles“ nach §3 StVollzG, in dessen Zuge Thielicke anmerkt, dass Erziehung keine Manipulation am Objekt sein darf, da es sich sonst um Dressur handelt und Foucaults Ausführung zum Thema Dressur in seinem Werk „Überwachen und Strafen“, speziell das Kapitel „Disziplin“.3940

3. Theater als Medium ästhetischer Bildung

Da sich diese Arbeit auf mögliche Effekte des Theaterspiels auf Gefängnisinsassen bezieht, stellt sich natürlich die Frage nach einer wissenschaftlichen Grundlage. Diese bildet die Selbstbildung im Kontext ästhetischer Bildung. Zunächst wird also ein kurzer Exkurs zum Thema „Ästhetische Bildung“ unternommen und im Anschluss das Medium „Theater“ im Kontext dessen beschrieben.

3.1 Was ist ästhetische Bildung

Kurz vorab: Ich beziehe mich für den Kontext dieser Arbeit in diesem Teilkapitel auf das Werk von Jäger und Kuckhermann „Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit“ von 2004.

Was also ist ästhetische Bildung? Um diese Frage zu beantworten muss zunächst ein weiterer Begriff geklärt werden: Was ist Ästhetik? Um sich diesem Begriff anzunähern kann es zunächst

38 Für eine ausführliche Erläuterung des Modells vgl. Leonhardt 2017, S.63ff. 39 Vgl. Thielicke 1980, S.15

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sinnvoll sein zwischen Aisthetik und Ästhetik zu differenzieren, obwohl beide gleichwohl Teil der ästhetischen Bildung sind. So befasst sich die Aisthetik nach Jäger und Kuckhermann vornehmlich mit den „Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der Adressaten“ wohingegen die ästhetische, hier auch bezeichnet als ästhetisch-mediale Praxis „gezielte Organisation ästhetischer Erfahrungen durch die Arbeit mit künstlerischen Medien“ erzeugen soll. Ästhetik als solches ist also ein Begriff, welcher sowohl von Wahrnehmung als auch von aktiver Erfahrung und Verarbeitung geprägt ist. In diesem Zusammenhang zitieren Jäger und Kuckhermann Brock, welcher die Theorie der Ästhetik als Theorie der „menschliche(n) Wahrnehmung und (der) Verarbeitung dieser Wahrnehmung zu Urteilen“41 bezeichnet. Ähnlich wahrnehmungsorientierte

Ansätze finden sich bei Meis und Mies. („Wahrnehmungsförderung ist ein zentraler Bestandteil der künstlerisch-ästhetischen Arbeit.“42) Folgt man diesen Ansätzen und dem weiteren Verlauf

von Jägers und Kuckhermanns Werk wird schnell deutlich, dass der Ästhetik eine sehr subjektive Komponente immanent ist. So beschreiben sie ihre These, welche besagt, dass ästhetische Erfahrung „in der Beziehung zwischen Subjekt und Gegenstand“ entsteht, wobei zwischen der „Elementarästhetik“ und der „Erkenntnisästhetik“ zu unterscheiden ist. Das bedeutet, das der ästhetischen Erfahrung sowohl ein „unmittelbares emotionales Erleben“, als auch eine Ebene des „bewussten Empfindens und Erkennens“ zugeschrieben werden kann. Folgernd setzt sich ästhetische Erfahrung also aus drei „aufeinander bezogene“ Elemente zusammen: dem Subjekt, dem Gegenstand (oder Ereignis) und einer vermittelnden Aktivität. Auch hier wird erneut die doppelte Bedeutung des Ästhetikbegriffes hervorgehoben beschreiben in der „subjektiven Wahrnehmung als zugleich Sinnesaktivität und Deutungsarbeit“. Folgernd beschreiben Jäger und Kuckhermann den Begriff der Ästhetik folgendermaßen:

„Ästhetik ist die Theorie und Praxis der Beziehung des wahrnehmenden Menschen zur gegenständlichen Welt. Ihr Thema ist die Wirkung von Objekten und Ereignissen auf die menschlichen Sinne einschließlich der daraus resultierenden Empfindungen, Deutungen und Urteile.“43

Ästhetische Praxis als solches lässt sich also in Abgrenzung zur aisthetischen Praxis in drei zusammenhängende Ebenen einteilen: Die gegenständliche Ebene, in welcher die „spezifische Symbolik“ vorrangig eine Rolle spielt, auf welche im Folgenden noch kurz eingegangen wird, die Handlungsebene, geprägt von Mimesis und Poiesis. Zugleich werden hier die verschiedenen Formen dieser Tätigkeiten hervorgehoben als „Produktion, Rezeption und Kommunikation“, verbunden mit ihren spezifischen methodischen Zugängen, die sie der ästhetischen Praxis verleihen: „Gestaltungs- und Ausdrucksarbeit, Wahrnehmungs- und Deutungsarbeit sowie Dialog

41 Brock, zit. nach Jäger und Kuckhermann 2004, S. 12 42 Meis und Mies 2012, S. 24

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und Sinnverständigung“. Als letzte Ebene wird die Subjektebene aufgeführt. Hier wird beschrieben, dass sich durch „elementarästhetische Reaktion“ und „erkenntnisästhetischer Verarbeitung“ ein spezifisches Urteil bildet, welches nicht an die schiere Ästhetik der Objekte gebunden ist, sondern vielmehr auf eine differenzierte Realitätswahrnehmung durch die Auseinandersetzung mit dem Objekt abzielt.

Um etwaige Verwirrung zu vermeiden wird nun eine kurze Klärung der Begriffe Symbole in diesem Kontext als auch Mimesis und Poiesis vorgenommen.

Symbole als solches werden hier in zwei Kategorien eingeteilt: die diskuriven Symbole und präsentative Symbole. Bei den diskuriven Symbolen handelt es sich hier um ein Symbolsystem, dessen Regeln und Bedeutungen nicht einer kontinuierlich neuen Erschließung bedürfen. Als Beispiel dient hier die menschliche Sprache. Hingegen lässt sich ein Unterschied zu den präsentativen Symbolen feststellen, welche repräsentativ auf die Wirklichkeit verweisen und „unmittelbar zu den Sinnen sprechen“44. Ihnen wohnt eine Mehrdeutigkeit inne und sie bedürfen

eines Kontextes zum adäquaten Verständnis. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass sich das Konstrukt der Symbole auch durch andere Ausführungen zum Thema Ästhetische Bildung wiederfindet, wie beispielsweise bei Meis und Mies.45

Zwei weitere Begrifflichkeiten, welche womöglich einer kurzen Klärung bedürfen sind Mimesis und Poiesis. Mimesis als solches bezeichnet simpel ausgedrückt den Begriff der Nachahmung, jedoch ist von einer simplem Replikation zu sprechen, sondern eher von einer Nachahmung im Sinne einer Annäherung/Fühlung an den Gegenstand und seine Eigenschaften, bezeichnet als „differenzierte Nähe“. Das Individuum muss sich vor der Produktion mit der wiederzugebenden Realität als auch mit dem vorhandenen Material durch „Anschmiegen“ und Aneignung auseinandersetzen, was letztendlich den Inhalt der Mimesis noch einmal verdeutlicht. Auf Grundlage der schließlich nachgebildeten Wirklichkeit wird letztendlich eine Neubildung geschaffen, eine individuelle Form der Realitätsdarstellung, welche als Poiesis (Neuschöpfung) bezeichnet werden kann.46

Nach dieser kurzen Begriffsklärung soll im Folgenden im Kontext der ästhetischen Bildung noch kurz auf Ästhetik im Lernkontext eingegangen werden, um einen Aspekt der kulturellen und sozialen Bildungsarbeit zu verdeutlichen. Hier gilt es noch einmal, bezogen auf die Soziale Arbeit die Wichtigkeit von Bildungsangeboten und Lernprozessen für Klienten hervorzuheben, da zwar für eine gelungene Bewältigung von schwierigen Lebenslagen und Problemsituationen durchaus materielle Ressourcen (finanzielle Ressourcen und Unterstützung, Arbeit, Wohnung) notwendig sind, jedoch nicht als einzelne Komponente für Erfolg fungieren können. Eine

44 Lachmann, zit. nach Jäger und Kuckhermann 2004, S. 16 45 Vgl. Meis und Mies 2012, S. 27f.

(21)

Ergänzung von Erziehungs- und Bildungsangeboten erscheint in diesem Zusammenhang sinnvoll, um eine „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu initiieren und die „Förderung des Lern- und Entwicklungspotenzials der Klienten, damit auch ihrer Fähigkeiten zur Lebensbewältigung“ zu unterstützen.

Der Lernprozess als solches wird nun von Jäger und Kuckhermann als ein Prozess definiert, welcher (wenigstens partiell) eine „neue Selbstdefinition“, als auch eine Veränderung der Fremddefinition initiiert und schließlich „die Vorstellung von bestimmten Sachverhalten“ ändert. Lernen wird also als „Neu-Deuten bzw. Um-deuten“ im Kontext eines konstruktivistischen Ansatzes verstanden, was im weiteren Denken „Realitäts- und Identitätsarbeit“ bedeutet. Auch hier spielt der Begriff der Aneignung eine entscheidende Rolle. Nach Jäger und Kuckhermann handelt es sich hier um einen umfassenden „Personen-Umwelt-Austausch“ und die damit verbundene Realitätsgestaltung zum einen auf der äußeren Ebene durch „eingreifende, gestaltende und damit verändernde Aktivitäten“ und zum anderen auf der inneren Ebene durch „die Entwicklung von Fakten- und Deutungswissen“. Das Lernen durch Aneignung der gegenständlichen Umwelt vollzieht sich auf drei Ebenen: Der physischen Welt, der sozialen und der persönlichen Welt, verbunden mit dem „Sinnesbewusstsein“ des Individuums, seiner sozialen Identität und Integration und dem Aufbau einer personalen Identität.

Im Kontext speziell ästhetischen Lernens kommt diesen Lernkonzepten kein besonderer Unterschied zu, sondern lediglich eine „bestimmte Akzentuierung der Lernorganisation“. Dies bedeutet im Spezifischen die Gewichtung auf den Aspekten der Wahrnehmung, „Deutungsoffenheit des Lernens“ und „die Strukturierung des Lernprozesses nach dem Vorbild künstlerisch-ästhetischer Praxis.“ Die Wahrnehmung spielt, wie bereits erwähnt in ästhetischen Prozessen eine essenzielle Rolle, vor allem in diesem Kontext jedoch für ästhetische Lernprozesse, da sie dem Individuum ermöglicht „die eigenen Sinne zu schärfen“ und somit seine Realität differenziert wahrzunehmen und neu zu kontextuieren und zu entdecken. Geleitet wird dieser Prozess durch das „unmittelbare Erleben von Realität“ und „kognitiv-begrifflicher Reflexion“. Beide stehen für einen gelungenen Lernprozess und Erkenntnisgewinn idealerweise in unmittelbarem Zusammenhang. Eine weitere Komponente, die in ästhetischen Prozessen eine bedeutende Rolle spielt ist die Deutungsoffenheit, im Kontext der Lernprozesse zu verstehen als „Lernen im Konjunktiv“. Da das Individuum im alltäglichen Leben und Erleben oft durch soziale Regeln geprägt und eingeengt ist und damit „enge Grenzen für die Realitätsdeutung setzt“, ist das ästhetische Lernen geeignet, um verschiedenste Deutungsversuche zuzulassen, Tabus zu brechen, Regeln zu überschreiten ohne befürchten zu müssen auf Grund dessen sanktioniert zu werden. Die deutungsoffenheit ermöglicht dem Individuum Differenzerfahrung durch das Infragestellen bisheriger Sinnzusammenhänge und Gegebenheiten. Jäger und

(22)

Kuckhermanns Zitat soll dies verdeutlichen: „Es gibt andere Interpretationsmöglichkeiten als die, die für euch selbstverständlich geworden sind.“47 Der aktive Prozess des Lernens erfolgt nun

durch die Auseinandersetzung mit den jeweiligen ästhetischen Medien (Theater, Tanz, Musik, Bild etc.) und der Auswahl eines geeigneten Mediums für die jeweiligen Ziele des ästhetischen Prozesses und Zielgruppe. Die Praxis dieses ästhetischen Prozesses wird nach Jäger und Kuckhermann als „Trialog“ dargestellt, in welchem deutlich wird, dass zum einen jedes Medium ein spezifisches Symbolsystem beinhaltet und deshalb mit Bedacht gewählt werden muss und zum anderen macht es noch einmal die Mittlerfunktion des Mediums zwischen Produzent und Rezipient deutlich. Es veranschaulicht also durch das spezielle Symbolsystem die Intention des Produzenten. Einige Ziele ästhetischen Lernens beziehungsweise ästhetischer Bildung beinhalten beispielsweise die Entwicklung der persönlichen Äußerungs- und Ausdrucksfähigkeit, Urteils- und Kritikfähigkeit, aber auch Entwicklung von Kooperations- und Teamfähigkeit, die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Einüben von Konfliktfähigkeit und Toleranz. Diese Ziele sind vor allem in Kapitel 4 noch einmal von Bedeutung. 48 Abschließend kommentieren

kann man durchaus konstatieren, dass ästhetische Prozesse als solches höchst individuell sind und schlecht in einen pädagogischen Rahmen gezwängt werden können, beziehungsweise es auch nicht sollten, da eine ästhetische Wirkung nicht extern erzeugt wird, sondern in der Wahrnehmung und Verarbeitung des Subjektes erst entsteht. Diese Subjektivität impliziert, auf die soziale Arbeit und vor allem auf diese Thesis bezogen, dass ästhetische Prozesse zwar initiiert und angeregt werden können, jedoch keinesfalls in einem pädagogischen Kontext der Erwartung ausgesetzt werden, sie würden bei jedem die gleiche gewünschte Wirkung hervorrufen. Spezifisch auf das Theater bezogen wird im folgenden Teilkapitel ästhetische Bildung etwas genauer betrachtet.

3.2 Das Medium Theater im Kontext ästhetischer Bildung

Nun da der Begriff der ästhetischen Bildung etwas genauer betrachtet wurde, ist es im Rahmen dieser Thesis von Wichtigkeit diese in Bezug zum ästhetischen Medium dieser Arbeit zu setzen: dem Theater. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel kurz erwähnt ist es sinnvoll und durchaus notwendig die verschiedenen Medien wie Theater, Tanz, Musik, bildnerisches Gestalten auf ihre Besonderheiten vor allem im Kontext der ästhetischen Bildung hin zu untersuchen. Um dies zu realisieren beziehe ich mich im Folgenden hauptsächlich auf Ulrike Hentschels Werk „Theaterspielen als ästhetische Bildung“ von 2010. Auf Grund der Komplexität und Dichte des Werkes werde ich jedoch nicht alles berücksichtigen.

47 Jäger und Kuckhermann 2004, S. 34 48 Vgl. Jäger und Kuckhermann 2004, S. 26ff.

(23)

Zunächst jedoch bleibt die Frage das der Begriffsbestimmung des Theaters offen. Sucht man in der Literatur nach einer einheitlichen Definition des Begriffes Theater wird man nur schwer fündig unter anderem bedingt durch die langjährige Kultur des Theaters von der Antike bis zur Gegenwart. Es lassen sich jedoch, so Leonhardt, einige zentrale Gemeinsamkeiten feststellen. So ist zumeist ein oder mehrere Schauspieler anwesend, welche eine andere Rolle verkörpern und diese „im Rollenspiel darstellen“. Leonhardt beschreibt in Anlehnung an Bently eine Art Formel des Theaters. So verkörpern Spieler A und B die Figuren X und Y „während Z zuschaut“. Eine weitere Besonderheit, weitestgehend basierend auf der Schauspieler-Publikum-Interaktion ist die Tatsache, dass das Theater als solches ein einzigartiges Setting darstellt. Es ist weder eins zu eins reproduzierbar, da sowohl die Schauspieler von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich agieren können, als auch das Publikum unterschiedliche Reaktionen vorweisen kann, noch kann sich das Individuum dem Setting des Theaters entziehen. Im Gegensatz zu einem Film erlebt das Individuum das Stück auf einer anderen Ebene der Unmittelbarkeit. Nach Brecht begünstigt dies ein „emotionales, identifikatorisches Miterleben des dargestellten Geschehens“.49 Abschließend

ist wohl die zentralste Besonderheit am Theater die Interaktion von Schauspieler und Publikum, das individuelle Wechselspiel von Aktion und Reaktion, oder besser gesagt Spiel und Reaktion. Leonhardt bezeichnet es hier als das „Lebendige am Theater“.50 Es sei zu berücksichtigen, dass

eine umfassende Definition für den Rahmen dieser Arbeit nicht angemessen ist, da es theoretische Aspekte des Theaters sowohl auf der Seite der Schauspieler als auch auf der Seite des Publikums gibt, welche berücksichtigt werden können. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich auf den Aspekt der Schauspieler konzentrieren und weniger auf die Komponente des Publikums eingehen, wenn ich von Theater spreche.

Nun zum Punkt des Theaters im Kontext ästhetischer Bildung anhand Hentschels Werk.

Hentschel geht in ihrem Werk zunächst vor allem der Problematik der Verzweckung ästhetischer Erfahrungen auf den Grund, unter anderem auch im Kontext des Theaters. Die scheinbare Unvereinbarkeit vom Wesen der ästhetischen Bildung, hier in Anlehnung an Kant und Schiller als „frei und interessenlos“51, sowie „unabhängig von theoretischer Erkenntnis und praktischer

Einsicht“52 ist, und pädagogischen, sowie bildungstechnischen Zielsetzungen und Vorstellungen

stellt zunächst bereits nach Schiller eine Aporie dar, welche in den hier untersuchten Briefen auch nicht aufgelöst wird. Hentschel sucht nun in diesem Kontext nach möglichen Auswegen und Lösungen. Eine dieser möglichen Lösungen beschreibt Hentschel in der Frage nach den

49 Brecht, zit. nach Leonhardt 2017, S. 26 50 Vgl. Leonhardt 2017, S. 25f.

51 Mollenhauer, zit. nach Hentschel 2010, S. 31 52 Mollenhauer, zit. nach Hentschel 2010, S. 31

(24)

„Besonderheiten der ästhetischen Erfahrungen“ im Zuge der Auseinandersetzung mit Kunst, sowie den Bedingungen, welche durch die Materialität der Kunstform gesetzt werden. Im Unterschied zu pädagogischen Prozessen wurde hier bewusst auf eine Zielbestimmung verzichtet. Dies bedeutet nach Hentschel eine Abkehr vom Ansatz an zu vermittelnde Inhalte und eine Zuwendung zu der „Eigenart der Kunstform“ und damit verbundene ästhetische Erfahrungen des Individuums. Im Kontext des Theaters konstatiert Hentschel, dass es in der Theaterarbeit nicht um die „Darstellung oder Abbildung von Wirklichkeit mit theatralen Mitteln“ geht, sondern vielmehr um die Erzeugung theatraler Wirklichkeit im Prozess.

Im Folgenden sind einige ausgewählte ästhetische Erfahrungen der theatralen Gestaltung aufgeführt, welche in dieser Arbeit benannt und kurz erläutert werden sollen.

Zunächst finden wir den Begriff der Ambiguität, beziehungsweise des „Dazwischen-Stehens“, als ein „durchgängiges Kennzeichen der Erfahrung der Produzierenden im szenischen Prozeß“. Das Theaterspielen, so Hentschel, sei stets verknüpft mit der Erzeugung und Akzeptanz verschiedenartiger Wirklichkeiten, welche sich jedoch nicht im Konflikt befinden, sondern nebeneinander existieren, hier beschreiben als „Nebeneinander von von nicht zu vereinbarenden Zuständen und Situationen.“ Die Erzeugung theatraler Wirklichkeit mündet schließlich´

in der „Erfahrung des Dazwischen-Stehens“, mit der Besonderheit des Verhältnisses von Spieler und Figur. Dieses „Sowohl-als-auch“, die „Oszillation“ zwischen/Produktion von den Realitäten von Spieler und Figur strebt keineswegs das Ziel einer Selbstverwirklichung an, sondern wird vielmehr als eine „Suchbewegung zwischen den selbstbestimmt konstituierten Wirklichkeiten“ beschrieben. Diese Ambiguität hängt eng zusammen mit der nächsten beschriebenen ästhetischen Erfahrung. Hierbei handelt es sich um die „Erfahrung des Doppels von Gestaltung und Erleben“. Diese Erfahrung impliziert eine Unauflösbarkeit von Präsentation der Figur und Erleben der Figur. Hentschel beschreibt es folgendermaßen:

„Die Bewegung, die den Prozeß theatraler Gestaltung kennzeichnet, läßt sich vielmehr als ein Bemühen um Objektivierung eines subjektiven Ausdrucks beschreiben, dem immer die Subjektivierung bereits objektivierter Sachverhalte/Gegenstände vorausgeht.“53

Zugleich ist dieser Prozess höchst sensibel und keinesfalls stetig für den Erfolg bestimmt. Es besteht immer die Gefahr, das Gleichgewicht nicht aufrecht erhalten zu können und den Prozess zu einer Seite aufzulösen.

Der Sachverhalt des Doppels und vor allem der Subjektivierung des Objektiven und der Objektivierung subjektiven Ausdrucks korrespondiert eng mit einem weiteren aufgeführten Punkt: Erfahrungsfähigkeit und Selbstvergessenheit. Die Korrespondenz besteht im Wesentlichen in der Fähigkeit und „Bereitschaft der Produzierenden, Bekanntes neu zu lernen“

(25)

und sich auf scheinbar alltägliche oder wiederholte Situationen und damit einhergehende Erfahrungen „immer wieder neu einzulassen“. Dabei wird nicht auf ein pädagogisches Ziel der Fähigkeit zur raschen Anpassung und Identitätsauflösung im Kontext von Verwandlung in andere Figuren hingearbeitet, sondern ist vielmehr die Rede von einer Konsistenzleistung eines „synthesefähigen Ichs“, welches neben der Synthetisierung der Erfahrungen auch die Fähigkeit, hier als „Naivität“ bezeichnet, besitzt, sich auf die jeweilige Figur einzulassen, offen zu sein für neue Erfahrungen. Dieser Konsistenzleistung ist jedoch nach Hentschel eine „Unabschließbarkeit und Erneuerungsbedürftigkeit“ immanent, welche im Hinblick auf die scheinbare Identitätsauflösung im Spiel deutlich macht, dass Identität als solches nicht als eine statische Größe existiert, ein Ziel, welches man am Ende eines Prozesses erreichen kann, sondern im Kontext von „Wandlung und Veränderung“ gesehen werden sollte, einhergehend mit dem damit verbundenen Potenzial. Insofern kann die Erfahrungsfähigkeit und Selbstvergessenheit einen produktiven Beitrag zur Identitätsbildung beitragen, jedoch wird im Sinne ästhetischer Erfahrungen nicht zwingend darauf abgezielt.

Eng verbunden mit der Naivität und Selbstvergessenheit ist nach Hentschel die Notwendigkeit der Selbstreflexivität als exzentrische Betrachtung des eigenen Selbst. Dies verdeutlicht unter anderem die „Beziehung zum anderen“, da das Selbst als „sichtbares Objekt“ fungiert und zudem den „Facettenreichtum möglicher Wahrnehmungen“. Selbstreflexivität stellt einen Prozess dar, welcher ein enormes Maß an Differenzierungsfähigkeit erfordert, um eigene Wahrnehmungen und Empfindungen stetig Relativierungen und Differenzierungen aussetzen zu können. Diese Fähigkeit, so konstatiert Hentschel in Anlehnung an Welsch, kann zu einer möglichen „Sensibilisierung und Differenzierung der Wahrnehmung gegenüber den eigenen Blindheiten“ beitragen.54

Abschließend lässt sich also vor dem Hintergrund des vorherigen Kapitels schließen, dass Theater als Medium ästhetischer Bildung durchaus spezifische Eigenheiten beinhaltet. Beispielsweise lässt sich beim Theater das Medium nicht vom Produzenten trennen, das Individuum ist also gleichzeitig Produzent und Medium im Prozess des ästhetischen Gestaltens und Erlebens. Dies birgt besonderes Potenzial im Hinblick auf Selbsterfahrung und Wahrnehmungsaspekte, jedoch auch die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dieser spezifischen Gegebenheit im Zuge der Mimesis. Das Theater im Kontext ästhetischer Bildung verdeutlicht noch einmal immens den Widerspruch der der Ästhetik immanenten Autonomie und Freiheit im Gegensatz zum Bildungsgedanken. Hentschel zeigt zwar gewisse Lösungsmöglichkeiten dieses Widerspruch auf, betont jedoch fortwährend, dass Ästhetik als solches nicht eins zu eins in die Form eines Bildungsgedankens beziehungsweise eines

(26)

pädagogischen Kontextes zu legen ist. Der Fokus auf den Prozess als solches anstatt auf inhaltliche Ziele, die Verschiebung vom Blick auf den Inhalt hin zur Frage nach dem wie liefert einen schlüssigen Ansatz, der sowohl die Freiheit der Ästhetik als auch die Frage nach dem Bildungsgedanken vereinigt. Jedoch bleibt meiner Meinung nach die Frage offen, ob es sich in diesem Falle nicht auch um eine Form der Verzweckung handelt und Ästhetik und Bildung wahrhaftig in einem Kontext harmonieren können. Das Potenzial der Ästhetischen Prozesse zur Bildung des Individuums ist enorm, dennoch kann nicht von einer eindeutigen und institutionalisierbaren Form der Bildung gesprochen werden, was dem Gedanken der Ästhetik in diesem Falle auch widersprechen würde, da Hentschel schon in Anlehnung an Adorno bereits erwähnte, dass die Haltung der Eindeutigkeit kunstfremd ist. Adorno bezeichnete es unter anderem als „intolerance of ambiguity“.55

Es ist mir insofern wichtig dies besonders herauszuarbeiten, da Theater im Gefängnis als Resozialisierungsmaßnahme somit in diesem Sinne keinen Anspruch auf Erfolg erheben darf, da Folgen des Theaterspielens ob positiv oder negativ nicht voraus- und absehbar und vor allem nicht kontrollier- und steuerbar sind. Doch um diese Aussagen etwas zu relativieren möchte ich noch einmal vor dem Hintergrund dieser Ausführungen hervorheben, dass in dieser Uneindeutigkeit auch ein enormes Potenzial zur Selbsterfahrung und -bildung, sowie Identitätsbildung liegt, welche der Resozialisierung in jeglichem Sinne zuträglich sind.

4. Theater im Gefängnis als Resozialisierungsmaßnahme

Da nun sowohl die Aspekte hinsichtlich der Resozialisierung, sowie der ästhetischen Bildung durch das Theater betrachtet wurden, ist es nun von Notwendigkeit sich dem Herzstück der Thesis zuzuwenden: Dem Gefängnistheater oder auch Theater im Gefängnis als mögliche Resozialisierungsmaßnahme. Um eine Annäherung an die Eignung des Theaters im Gefängnis als solche vorzunehmen werden zunächst rechtliche und historische Aspekte des Gefängnistheaters kurz vorgestellt, anschließend werden mögliche Effekte des Theaterspielens auf Insassen hinsichtlich der Resozialisierungsmöglichkeiten betrachtet, gefolgt von möglichen Risiken und Grenzen. Um noch eine kurze Anmerkung zu tätigen: Gefängnistheater und Theater im Gefängnis werden hier als gleichwertige Begrifflichkeiten betrachtet und nicht voneinander differenziert.

4.1 Kurzer Exkurs zu rechtlichen und historischen Aspekten

Bevor es im Detail um das Wirken von Gefängnistheater geht, soll zunächst erst einmal ein kleiner Überblick über den historischen und rechtlichen Rahmen gegeben werden.

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