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Mögliche Grenzen des Theaterspielens als Resozialisierungsmaßnahme

4. Theater im Gefängnis als Resozialisierungsmaßnahme

4.3 Mögliche Grenzen des Theaterspielens als Resozialisierungsmaßnahme

Nach der Diskussion der positiven Effekte des Theaterspielens im Gefängnis bleibt natürlich die Frage nach möglichen Grenzen und Risiken. In zahlreichen literarischen Beispielen, welche zudem wissenschaftlich untermauert sind, wird hauptsächlich von den positiven Auswirkungen des Gefängnistheaters gesprochen, jedoch sollte man mögliche Grenzen, Risiken und Widerstände nicht aus den Augen verlieren.

107Vgl. Sandberger 2008, S.66 108Vgl. Leonhardt 2017, S. 70ff.

Zunächst einmal so merkt Sandberger und auch Leonhardt in Anlehnung an Sandberger an, sieht sich das Projekt Gefängnistheater häufig der Skepsis der Anstalt ausgesetzt, welche Neuem oft misstrauisch bis feindselig gegenübersteht. Untermauert wird dieses Argument mit einem Zitat nach Heintel und Krainz:

„Fremdes, von außen Zugemutetes läuft auf ein systemeigenes Immunsystem auf und wird entweder abgestoßen oder einverleibt und entschärft.“109

Dies impliziert die enorme Kontrolle und Ordnung des Systems Gefängnis, welche häufig nur widerstrebend neuartige Projekte in das etablierte System mit aufnimmt, da diese auch immer Fragen hinsichtlich Sicherheit und Ordnung aufwerfen. Zudem muss sich das Gefängnistheater häufig im Kontext der Frage nach Sinnhaftigkeit behaupten. Theater wird hierbei nach Leonhardt oft gleichgesetzt mit einem Luxusgut, das die behandlerischen Vorteile zu überschatten scheint.

Dies mag in gewisser Weise auch damit zusammenhängen, dass das Theaterprojekt unter Umständen Neid bei den Bediensteten und Unverständnis bei Außenstehenden hervorruft, da diese keine Möglichkeit bekommen kostenlos an solch einem Projekt teilnehmen zu können und zusätzlich dazu miterleben, wie die Strafgefangenen Lob und Anerkennung erfahren. Auch passt in diesem Zusammenhang das Aufweichen der Verbrecheridentität oftmals nicht ins Bild der Intitution, da es die Systemlogik der klaren Rollenverteilung durcheinander bringt und folgernd im Widerstand mündet. Sandberger vermutet hinter dieser Gegebenheit neben Ängsten auch Rachegelüste, welche eine klare Aufrechterhaltung der Verwaltungslogik und Ordnung fordern.110111

Besonders interessant ist unter diesem Gesichtspunkt auch der kontroverse Punkt Systemkritik.

Theater als solches unterliegt prinzipiell keinen Restriktionen und genießt Freiheit in seiner Darstellung. Dementsprechend sind die Spieler prinzipiell in der Lage durch das Theater Kritik am System Gefängnis, an ihrer Umwelt und Bedingungen zu üben, jedoch wird dieser Chance meist sofort ein Gürtel der Restriktion unter Androhung von Sanktionen umgelegt angesichts möglichen Kontrollverlustes und auch Leonhardt argumentiert in diesem Kontext gegen eine ungefilterte Kritik am System, da dies, laut ihr, „weder unter künstlerischen, noch pädagogisch-psychologischen Gesichtspunkten zu empfehlen sei“112. Es würde das Erleben von Normalität und Leichtigkeit verhindern und die Freiheit des Projektes erheblich einschränken.113114

Zudem ist das Projekt, selbst bei intentionaler Bewilligung oft eine Frage der Ressourcen,

109Heintel und Krainz, zit. nach Sandberger 2008, S. 141 110 Vgl. Sandberger 2008, S. 146

111 Vgl. Leonhardt 2017, S. 168f 112 Leonhardt 2017, S. 173 113Vgl. Leonhardt 2017, S. 173 114Vgl. Sandberger 2008, S. 143

personell, räumlich wie finanziell, welche in einigen Fällen nicht bereitgestellt werden können, oder andere Aktivitäten behindern würden.115 Doch nicht nur im Hinblick auf das Projekt im Allgemeinen, auch speziell bestehen Zweifel und Befürchtungen. Würde das Projekt gegen potenzielle Missbräuche bestehen? Beispielsweise bei externen Aufführungen, wo Insassen möglicherweise auf Familie und Freunde treffen und Besuchsregelungen außer Acht lassen.

Auch wird oft die Genuinität der Motivation der Insassen hinsichtlich des Theaterprojektes infrage gestellt. Im Speziellen ist hier die Befürchtung gemeint, der Insasse nehme nur am Theaterprojekt teil, um Vergünstigungen oder eine verkürtzte Haftzeit zu erwirken. Hier sieht sich der Insasse oft in einem scheinbar ausweglosen Paradox gefangen: Auf der einen Seite findet keine Resozialisierung statt, wenn er sich nicht bessert, auf der anderen Seite wird dem Besserungsversuch durch Theater kein Glauben geschenkt, was im Allgemeinen der Etablierung von Theaterprojekten im Gefängnis ebenfalls nicht zuträglich ist.

Ein weiterer und durchaus wichtiger Punkt ist der emotionale Aspekt nach der Aufführung. In der Aufführung findet das Projekt meist seinen Höhepunkt und erzeugt im Idealfall Begeisterung auf Seiten der Zuschauer, wie auch auf Seiten der Schauspieler. Diese werden nach erbrachter Leistung häufig mit sehr viel Lob und Anerkennung bedacht, sind jedoch nach der Aufführung dem Haftalltag, der Isolierung erneut ausgesetzt, was für viele einen einschneidenden Bruch bedeutet, vor allem emotional. Hier ist es also wichtig, dem gesamten Projekt noch einmal Zeit zu geben, in einer Abschlussrunde reflektiert und bearbeitet zu werden, um die Folgen den Bruchs so gut wie möglich aufzufangen.116

Bei der Recherche zu diesem Thema kamen mir selbst einige Gedanken auf, die mögliche Grenzen des Gefängnistheaters betreffen.

Beispielsweise stellte sich mir die Frage, was geschehen würde, wenn im Rahmen der Identitätsbildung und Rollenarbeit Gedanken und Gefühle entstehen und an die Oberfläche gelangen, mit denen das Subjekt nicht umgehen kann? Deu erläutert bereits in ihrem Werk, dass der Schauspieler eine gewisse Balance zwischen Nähe und Distanz wahren muss, um „von Gefühlen nicht überschwemmt zu werden“117 doch unter dem Gesichtspunkt der Nicht-Professionalität der Schauspieler stellt sich die Frage ob dies immer möglich ist, vor allem, da das Projekt nur eine bestimmte Zeit lang am Tag, in der Woche stattfindet. Kann das Subjekt nicht angemessen in seinen emotionalen Bedürfnissen aufgefangen werden,führt dies möglicherweise zu einer Destabilisierung oder Verstörung.118 Ein weiterer Punkt, der sich in der Recherche wiederholt offenbarte ist der Aspekt der Autonomie. Es wurde vor allem von

115Vgl. Leonhardt 2017, S. 169f.

116Vgl. Leonhardt 2017, S. 172 117 Deu 2008, S. 39

118Vgl. Deu 2008, S. 39

Leonhardt herausgearbeitet, dass das Theater einen Zuwachs an Handlungsalternativen bedeuten kann, ein Stück Autonomie, was in diesem Kontext auch positiv zu bewerten ist. Jedoch steht die Frage im Raum, was nach dem Projekt geschieht. Die neugewonnene Autonomieerfahrung wird häufig im anschließenden Haftalltag wieder nichtig und der Insasse sieht sich einem erneuten Autonomieverlust gegenüber. Dies kann durch die Stabilisierung durch die Theaterarbeit geringere Auswirkungen haben jedoch könnte es möglicherweise zu einer erneuten Destabilisierung führen. Auch die neugewonnenen Handlungsalternativen bleiben zu hinterfragen, da der Haftalltag mitunter kaum Spielraum für Individualität lässt.119

Was den Gruppenaspekt betrifft, so kann die enge Verflechtung und der Zusammenhalt Stabilität und Vertrauen bedeuten, jedoch kann diese enge Verflechtung auch genutzt werden, um Macht ausspielen zu wollen, beispielsweise in Form von einem Ausstieg in letzter Minute. Zudem können enge Freundschaften entstehen, welche auch über das Projekt hinaus fortbestehen können, jedoch könnten diese auch genau so zweckbezogen sein wie zahlreiche Beziehungen innerhalb des Gefängnisses. Deu untermauert dies indem sie beschreibt, dass sich nach einem Projekt die meisten geknüpften Bindungen wieder aufgelöst hätten.120 Zuletzt steht hier das Thema Zweckentfremdung im Raum, sowohl seitens der Institution, als auch der Insassen.

Wichtig ist hier in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass es sich hier lediglich um Vermutungen über etwaige Möglichkeiten handelt und in keinem Falle darauf abzielt, eine Person oder Institution zu diffamieren. Jedoch stellt der Theaterpädagoge eine externe Quelle dar, was häufig schon allein Misstrauen und Vorbehalte seitens der Institution weckt, da diese laut Sandberger „Insider bevorzugen“121, das heißt, Personen, welche das System Gefängnis bereits kennen und Manipulationsversuchen resistenter gegenübertreten, dementsprechend die Institution auch nicht gefährden.122 Zudem ist der Theaterpädagoge häufig eine der wenigen oder einzigen Quellen zur Außenwelt für die Gefangenen (Leonhardt erwähnte bereits, den Abbruch bestehender, positiver Beziehungen), dementsprechend könnte der Versuch unternommen werden, diese externe Quelle für eigene Zwecke zu missbrauchen, als dem eigentlichen Zweck entfremdet werden.123 Dies zur Seite der Insassen. Seitens der Institution tauchte der Gedanke der Zweckentfremdung ebenfalls auf.

Wie bereits erwähnt, wird Gefängnistheater häufig mit Misstrauen begegnet, der angeblich luxuriöse Charakter des Projektes überschattet häufig das eigentliche Potential des Nutzens.

Wenn dieses Projekt also bewilligt wird, liegt der Gedanke nahe, dass dies nicht als eine simple Freizeitbeschäftigung in das System etabliert wird, sondern mit einer pädagogischen

119Vgl. Leonhardt 2017, S. 161 120Vgl. Deu 2008, S. 61 121 Sandberger 2008, S. 112 122Vgl. Sandberger 2008, S. 112f.

123Vgl. Leonhardt 2017, S. 88

Komponente bedacht wird, welches häufig den eigentlichen Zweck der Selbstbildung bis zu einem gewissen Grad entfremdet und den Theaterpädagogen mit Aufgaben konfrontiert, welche vom ursprünglichen Zweck abweichen könnten.124