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Eugen Rosenstock-Huessy. 6os- Die Tochter. Das Buch Rut. Verdeutscht von Martin Buber. Herausgegeben von Bas Leenman. talheimer

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Academic year: 2022

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(1)

Eugen 6os- Rosenstock-Huessy

Tochter Die Buch Das

Verdeutscht von Martin Buber Rut

Herausgegeben von Bas Leenman

talheimer

(2)
(3)

Eugen Rosenstock-Huessy

Die Tochter

(4)

/

(5)

Das Buch

Rut

Verdeutscht von Martin Buber

Eugen

Rosenstock-Huessy

Die

Tochter

Herausgegeben

und kommentiert von Bas Leenman

talheimer

(6)

ttg talheimer

Texte aus der Geschichte

herausgegeben von Richard Scherer Band 2

A b d ru ck des T e x te s des B u ch es R u t m it fre u n d ­ licher G enehm igung des V erlages L a m b e rt Sch n eid er / H eidelberg, au s: Die S ch riftw e rk e . V e rd e u tsch t von M artin B u b er. 6 . A uflage der n e u b earb eiteten A usgabe von 1 9 6 2 (D ie S ch rift, B and 4 ) , H eidelberg 1 9 8 6 , V erlag L a m b e rt S ch n eid er.

A b d ru ck des T e x te s von E . R o se n sto ck -H u e ssy , Die T o c h te r , m it freu n d lich er G enehm igung von Hans R . H u essy, V e rm o n t/U S A .

T alh eim er V erlag,

S atz und V e rtrieb G m bH

© dieser A usgabe b eim T alh eim er V erlag M össingen-Talheim 1 9 8 8

S atz und G estaltu n g: T alh eim er V erlag U m sch lag g estaltu n g : E rik a T ö p fl, A S IP D ruck- und B in d earb eiten : D ru ck erei K ösel, K em p ten

ISBN 3-89376-006-7

(7)

Inhalt

Bas L een m an

V o r w o r t ... 9

Das B u ch R u t

V e rd e u tsc h t von M artin B u b e r ... 11

Eugen R o sen sto ck -H u essy

Die T o c h t e r ... 2 7

N a c h w o r t ... 4 5

/

L

**»

5

(8)
(9)

F ra n z R osen zw eig gew idm et

(10)
(11)

Vorwort

Dieses Büchlein ist en tstan d en aus ein er alten V erp flich tu n g . 1 9 6 1 reiste ich m it R o sen sto ck -H u essy im Z ug von H eidelberg n ach K ö ln . W ir saßen alleine im A bteil u nd wir kam en a u f R u th , die M o ab iterin , zu sp rech en . Da sagte R o se n s to ck zu m ir, ich solle n ach seinem T od e das biblische B ü ch ­ lein R u th herau sgeb en zu sam m en m it dem K ap itel die T o c h te r (au s seinem B uche ,,D ie H o ch z e it des K rieges und der R e v o lu tio n “ von 1 9 2 0 ) , ab er ,,in einem sch ö n e n , w eißen B ä n d ch e n “ .

Hier ist es n u n , n ach 2 7 Ja h re n . Eine S ch en k u n g von F ra u K o V os in W an n ep erveen , N ied erlan d e, h a t das E rsch ein en n o ch im 1 0 0 . G e b u rts­

ja h r R o sen sto ck -H u essy s e rm ö g lich t. Ihr N am e wird hier d an k b ar ein g e­

trag en .

Z u r Einführun g n o ch das F o lg e n d e :

H eute fin d et die F ra u ihre S tim m e. V ielleich t n o ch zu r re ch te n Z e it, denn sch on längst genügt die S tim m e einer v erm än n lich ten W issenschaft n ich t m e h r, uns M enschen w eiterh in zu b estim m en . D er u n b efan gen en S tim m e der T o c h te r des M en sch en , liebevoll n ach ih rer A r t, und dem F re m d e n zu gew an d t n ach ihrer A rt, fällt h eu te die F ü h ru n g im H aushalf der m en sch lich en S tim m en zu . D enn g e sch ö p flich sollen w ir w ieder w e r­

d en . U nd w er ist u n te r den vier G ru n d g estalten V a te r-M u tte r-S o h n -T o ch - te r g esch ö p flich er als die T o c h te r?

A b er wer ist sie, diese T o c h te r des M en sch en ? W äch st ihre G estalt je d e m M ädchen von selbst zu ?

U n te r allen V ölk ern h a t es über die Ja h rta u se n d e ihr P o rträ t gegeben und zw ar in allen A rten der V e rsch ied en h eit. W ir w ollen diese V e rsch ie d e n ­ h eit b ed en k en , w enn wir das eine P o rträ t der M oab iterin R u th hier h erau s­

h eb en . In sich ein vollstän diges P o rträ t u nd d o ch w ied er nur diese eine T o c h te r u n te r den vielen T ö c h te rn , die zu sam m en die G estalt d er T o c h ­ ter bilden. A ber ein w ich tiges P o r tr ä t. N ich t u m so n st tragen tau sen d e

(12)

Vorw ort

F ra u e n und M ädchen n o ch im m er den N am en R u th . R u th h at Ja h rtau sen d e ü b erleb t; in der Synagoge w ird n o ch jed es J a h r das Büchlein R u th zum W o ch en fest (S c h a v u o th /P e n te c o s t) gelesen. Sind die Züge dieser T o c h te r des M enschen vielleicht unabdingbar für ein k o m m en d es Pfingsten der M en sch h eit, an dem w ir ein an d er versteh en w erd en , weil unsere Seelen einander tö c h te rlic h , ja b räu tlich o ffen sind?

D o o rw e rth , N iederlande

den 1 8 . O k to b er 1 9 8 8 B as L een m an

(13)

Das Buch

Rut

Verdeutscht von

Martin B uber

(14)
(15)

Rut

In wenigen Sätzen wird hier das tragische Schicksal einer wegen Hungersnot aus Israel ausgewanderten Kleinfamilie gezeichnet.

Der Anfang des Büchleins endet mit drei Witwen. Das folgern zwar wir, die Leser.

Aber weshalb tut die Erzäh­

lung, als ob nur eine der drei Frauen gelitten hätte?

„Tragisches Schicksal“ ha­

be ich geschrieben. Das ist außerbiblische Sprache.

Biblisch wäre: „Die nun sä­

en in Tränen / im Jubel werden sie ernten“ . Es geht durch den Tod hindurch, der Gang im Buche Rut.

Wenn es einen Untertitel bräuchte, könnte es jener Titel aus dem zweiten Band von Rosenstock-Huessys

„Die Sprache des Men­

schengeschlechts“ sein:

„Etwas von Ursprüngen“ .

Es w ar in den T ag en , als die R ich te r ric h te te n , da w af H unger im L a n d ,

so ging ein M ann aus B etleh em in Je h u d a , in den G efilden M oabs zu g asten ,

er und seine F ra u u n d seine beiden S ö h n e, der N am e des M anns w ar E lim e le ch , der N am e

seiner F ra u N o o m i, der N am e seiner b e i­

den Söhne M ach ion und K iljo n , E fra tite r aus B etleh em in Je h u d a .

Sie k am en in die G efilde M oabs und w aren fo rta n d o rt.

E lim e le ch , der M ann N o o m is, sta rb , sie v er­

blieb , sie und ihre zwei S ö h n e . Sie n ah m en sich F ra u e n , M o ab iterin n en , d er N am e d er einen w ar O rp a, d er N am e der

an d eren R u t.

A n zehn Ja h re h a tte n sie d o rt verw eilt,

so starb en a u ch die b e id e n , M ach ion u nd K il­

jo n ,

die F ra u verblieb oh n e ihre K in d er und oh n e ihren M ann.

Sie m a ch te sich a u f, sie und ihre Schw iegerin- n en , und k eh rte aus den G efilden M oabs h eim ,

denn sie h a tte in den G efilden M oabs g e h ö rt, daß E R es seinem V olk e zu g eord n et h a tte , ihnen B ro t zu g eb en ,

13

(16)

Rut

sie zog hinw eg von dem O rt, w o sie gew esen w ar, sie und ihre beiden Schw iegerinnen m it ihr.

Als sie des Weges gingen, ins L an d Jeh u d a h eim zu k eh ren ,

sp rach N o o m i zu ihren beiden S ch w iegerin n en :

„G eh t d o ch , k eh rt d o ch u m , jed e ins Haus ih ­ rer M u tter!

E R tue hold an e u ch ,

wie ihr an den V ersto rb n e n und an m ir getan h ab t!

E R gebe e u ch , daß eine R u h s ta tt ihr fin d e t, jed e im Haus ihres M a n n e s!“

Sie küßte sie, sie aber e rh o b en ihre S tim m e und w ein ten .

D ann sp rach en sie zu ih r:

„N ein , m it dir k eh ren w ir zu d ein em V olke h e im .“

N o o m i sp rach :

„K e h rt u m , m eine T ö c h te r!

w aru m w o llt ihr m ir zugesellt gehn?

kann ich denn n o ch Söhne in m ein em Leib h a ­ b en ,

daß sie eu ch zu M ännern w ürden?

k eh rt u m , m eine T ö c h te r , g eh t!

denn zu alt bin ic h , eines M annes zu w e rd e n : w enn ich sp rech en k ö n n te , es gäbe m ir H o ff­

nung,

n o ch diese N a ch t würde ich eines M annes, und ich w ollte n o ch Söhne g eb ären , —

m ö c h te t ihr daraufhin w a rte n , bis sie groß w erd en ?

Der bescheidene Ursprung des Königsgeschlechts Da­

vids wächst aus dem stillen Leben Ruts. Noomi trifft Entscheidungen und weiß zu planen; Rut lebt mit den Begebenheiten der Ta­

ge. Sie liebt Noomi und ist fest entschlossen, bei ihr zu bleiben und für sie zu sor­

gen. Ahnt sie, daß Noomi ihr Leitstern ist?

14

(17)

Rut

m ö c h te t ihr daraufhin e u ch v e rsp e rre n , n ich t eines M annes zu sein,

n im m er d o c h , m eine T ö c h te r!

D enn sehr b itte r ists m ir u m e u c h ,

so denn S E IN E Hand w ider m ich a u sfu h r!“

Sie erh o b en ihre S tim m e und w ein ten w ied er, D ann küßte O rp a ihre S ch w ie g e rm u tte r,

R u t ab er hing sich an sie.

Sie sp ra ch :

„D a, deine Schw ägerin k e h rt h eim zu ih rem V o lk und zu ih rem G o tt, kehre u m , deiner Schw ägerin fo lg e n d !“

R u t sp rach :

„N im m er dringe in m ic h , d ich zu verlassen, v om D ir-folgen u m zu k eh ren !

D enn w oh in du g eh st, will ich g eh n ,

und w o du n a c h te s t, will ich n a ch te n dir g e ­ sellt.

Dein V o lk ist m ein V olk und dein G o tt ist m ein G o tt.

W o du sterb en w irst, will ich sterb en # und d o rt will ich b egrab en w erd en .

So tu e E R m ir a n , so füge er h in zu :

ja d en n , der T o d w ird zw isch en m ir und dir sch e id e n .“

Als sie sah , daß sie festen Sinns w a r, m it ihr zu geh en ,

gab sies a u f, ihr zu zu red en .

So gingen sie b e id e , bis sie n a ch B e tle h e m k a ­ m en .

Es g esch ah , als sie n a ch B etleh em k a m e n , da rau sch te all die S ta d t über sie au f,

15

(18)

Rut

sie sp rach en : .„Ist dies N o o m i?“

Sie sp rach zu ih n e n :

„N im m er ru ft m ich N o o m i, B eh agen , ru ft m ich M ara, B itte rn is,

denn der G ew altige h a t m ich sehr v e rb itte rt.

Ich d a, voll bin ich von hinnen gegangen und leer h a t E R m ich h eim k eh ren lassen, — w aru m ru ft ihr m ich N o o m i?

E R h a t gegen m ich gezeu gt,

der G ew altige h a t m ich m iß h a n d e lt.“

So k eh rte N o o m i h e im ,

und R u t, die M o ab iterin , ihre S ch w iegerin , ihr gesellt,

h eim von den G efilden M oabs.

Sie k am en ab er n a ch B etleh em zu Beginn des G e rste n sch n itts.

E in en V erw an d ten h a tte N o o m i, von ih rem M anne h e r,

einen tü ch tig en M ann von E lim elech s S ip p e , sein N am e w ar B oas.

R u t, die M o ab iterin , sp rach zu N o o m i:

„ L a ß m ich d o ch aufs F e ld geh n ,

daß ich Ä h ren au flese, h in ter jem an d h e r, in dessen A ugen ich G unst fin d e .“

Sie sp ra ch : „G eh , m eine T o c h te r .“

Sie ging, k am hin und las a u f d em F eld h in ter den S ch n itte rn auf.

U nd es fügte sich eine Fügun g:

das F eld stü ck w ar das B o a s, d er von E lim e ­ lech s Sippe w ar.

D a, B oas k am von B e tle h e m her und sp ra ch zu den S ch n itte rn :

Die alte Witwe und ihre Schwiegertochter. Noomi hadernd mit Gott. Sogar ihren Namen, der seine Verheißung nicht erfüllt hat, will sie loswerden. Die Erzählung aber kümmert sich um diesen Wunsch nicht. Noomi bleibt auch weiter Noomi, wohl auch für die kleine Gemeinschaft des Dorfes Betlehem.

Und Rut? Auch sie eine Witwe, auch sie hat ihren Mann verloren. Wir haben aber Mühe, es uns zu ver­

gegenwärtigen ; es drängt sich uns nicht auf, wie bei Noomi. Anders als die kri­

tische, „vom Gewaltigen mißhandelte“ Noomi, er­

wägt Rut ihr Leben nicht.

Sie lebt und liebt und läßt sich führen.

Frauen wie Rut werden vom Zufall geliebt. f Die Bibel kargt sehr mit dem Zufall. Hier aber holt sie ihn ein.

16

(19)

Rut

,,E R sei m it e u c h !“

Sie sp rach en zu ih m : ,,D ich segne E R ! “

B oas sp rach zu seinem Ju n g k n e ch t, der über die S ch n itte r b estellt w ar:

,,W essen ist diese Ju n g e ? “

D er Ju n g k n e ch t, der über die S ch n itte r b e ­ stellt w a r, e n tg eg n ete, er sp rach :

„E in e junge M oabiterin ists,

die m it N o o m i von den G efilden M oabs z u ­ rü ck gek eh rt ist,

sie sp rach : ,L a ß m ich n ach lesen d o ch ,

daß ich au fsam m le u n te r den G arben h in ter den S ch n itte rn h e r !4

Sie k am und stan d v om M orgen an bis je t z t, nur ein w eniges w ar ihres W eilens im H au s.“

B oas sp rach zu R u t :

„N ich t w ah r, du h ö rst es, m eine T o c h te r : geh n im m er a u f ein an d eres F e ld lesen , zieh gar n ich t von hier w eg,

und da h alte an m eine Ju n g m ägd e d ich , deine A ugen aufs F e ld , w o sie sch n eid en , und geh h in te r ihnen h er.

— G eb iete ich den Ju n g k n e ch te n n ic h t, d ich u n a n g e ta ste t zu lassen? —

D ürstets d ich a b er, geh zu den G efäßen

und trin k d av o n , w as die Ju n g k n e ch te sc h ö p ­ f e n .44

Sie fiel a u f ihr A n tlitz , b ü ck te sich zur E rd e und sp rach zu ihm :

„W eshalb habe ich G unst in deinen A ugen g e­

fu n d en ,

17

(20)

Rut

daß du m ich an erk en n st, die ich eine F rem d e b in ?“

B oas en tg eg n ete, er sp rach zu ihr:

„G em eld et w ards m ir, gem eldet

alles, was du an deiner S ch w ieg erm u tter t a ­ test

n ach dem T od e deines M annes,

daß du deinen V a te r und deine M u tter und dein G eb u rtslan d verließest

und gingst zu ein em V o lk , das du gestern und eh d em n ich t k a n n te st.

V ergelte E R dir dein W erk und dir w erde gültiger L o h n von IHM , dem G o tt Jissraels,

u n ter dessen Flügeln d ich zu bergen du k a m s t!“

Sie sp rach :

„ M ö ch te ich w eiter G unst in deinen A ugen fin d en , m ein H err, da du m ich h ast g e­

tr ö s te t,

und da du zu m H erzen deiner D ienerin h ast g e red et,

und ich bin ja n ich t einm al einer deiner D ie­

nerinnen g le ic h !“

Z ur E ssen szeit sp rach B oas zu ih r:

„ T ritt h e ra n , iß v om B ro t

und ta u ch e deinen Bissen in die S a u e rtu n k e !“

Sie setzte sich zu seiten der S ch n itte r.

E r reich te ihr K o rn g e rö st,

sie aß , daß sie sa tt w u rd e, und ließ übrig.

Dann stand sie a u f u m zu lesen.

B oas geb ot seinen Ju n g k n e ch te n , sp rech en d :

„ A u ch zw ischen den G arben m ag sie lesen,

18 i

(21)

Rut

und ihr dürft sie n ich t b esch äm en ,

ihr sollt für sie sogar aus den Büscheln zu p fen , ja zupfen und es liegen lassen, daß sie es

lese,

und ihr dürft sie n ich t sc h e lte n .“

Sie las a u f d em F eld bis zu m A b en d , dann k lo p fte sie aus, was sie gelesen h a tte : es w ar e tw a ein S ch effel G erste.

Sie n ah m s a u f, kam in die S ta d t

und ihre S ch w ieg erm u tter sah , was sie gelesen h a tte .

D ann h o lte sie h erv or und gab ih r, w as sie n ach ih rer S ättigu n g übrig gelassen h a tte . Ihre S ch w ieg erm u tter sp rach zu ih r:

„W o h ast du h e u te gelesen, w elch en o rts g e sch a fft?

G esegnet sei, der d ich an erk an n t h a t ! “ Nun m eld ete sie ihrer S ch w ie g e rm u tte r, bei w em sie g esch afft h a tte , sp rach :

„D er N am e des M anns, bei d em ich h eu te s c h a ffte , ist B o a s .“

N o o m i sp rach zu ih rer S o h n sfra u :

„G esegn et er IHM ,

der seine Huld n ich t versagt den L eb en d en und den T o t e n !“

N o o m i sp rach w eiter zu ih r:

„N ah v erw an d t ist uns der M ann, von unsern L ö sern ist e r .“

R u t, die M o ab iterin , sp rach zu ih r:

„ E r h at au ch n o ch zu m ir g esp ro ch en :

,An m eine Ju n g k n e ch te sollst du d ich h a lte n , bis sie m it all m ein em S ch n itt zu E n d e sin d .4 “

19

(22)

Rut

N oom i sp rach zu R u t, ihrer S oh n sfrau :

„G u t ists, m eine T o c h te r, daß du m it seinen Ju n gm ägd en au szieh st,

so wird m an n ich t a u f einem an d eren F eld dich b eh elligen .“

H in fort hielt sie sich an B o a s4 M ägde beim L e ­ sen,

bis G ersten sch n itt und W eizen sch n itt zu E n d e w aren.

Dann verw eilte sie bei ih rer S ch w ie g e rm u tte r.

N o o m i, ihre S ch w ie g e rm u tte r, sp rach zu ih r:

„M eine T o c h te r ,

n ich t w ah r, ich will dir eine R u h s ta tt su ch en , w o dus gut h a st.

N u n , ist n ich t B oas von unsrer V e rw a n d t­

sch a ft,

e r, m it dessen M ägden du gew esen b ist?

D a, diese N a ch t w o rfe lt er a u f der G e rste n ­ ten n e.

B ad e, salbe d ich , leg deine T ü ch er um und geh zur T en n e h in ab ,

laß d ich aber von d em M ann n ich t b e m e rk e n , bis er m it dem Essen und T rin k en zu E n d e ist.

Und es sei, w enn er sich h in legt, m u ß t du den O rt k en n en , w o er liegt,

dann k o m m st du und d eck st den P latz zu sei­

nen Füßen a u f und legst dich n ied er, so wird er dir v erm eld en , was du zu tu n h a s t.“

Sie sp rach zu ih r:

„A lles, was du m ir z u sp rich st, will ich tu n .“

Sie stieg zur T en n e hinab und ta t alles, was ihre S ch w ie g e rm u tte r g eb o ten h a tte ,

Wer vom Zufall geliebt wird, dem werden die Chan­

cen vor die Füße gelegt.

Aber damit ändert sich noch nichts. Chancen müs­

sen auch gesehen und auf­

gegriffen werden. Gesehen wird die Chance von Noo­

mi, und sie setzt Rut an, sie wahrzunehmen. Noomi wußte, daß jeder Zufall hilfsbedürftig ist. „Denn nicht vermögen / die Himm­

lischen alles / nämlich es reichen / die Sterblichen eh an den Abgrund also wen­

det es sich, das Echo, mit diesen“ hat Hölderlin ge­

dichtet.

20

(23)

Rut

B oas aß und tran k und sein H erz w ar guten M uts,

E r k am , sich am R an d des G etreid eh au fen s n iederzulegen.

Da k am sie im stillen , d e ck te den P latz zu sei­

nen Füßen a u f und legte sich n ied er.

U m M itte rn a ch t g esch ah s,

der M ann fuhr au f, b eu gte sich v o r, d a, eine F ra u liegt zu seinen F ü ß en , E r sp rach :

„W er bist d u ? “ Sie sp rach :

„ Ich bin R u t, deine Sklavin.

B reite deinen K leidzipfel über deine Sklavin, denn ein L ö se r bist d u .“

E r sp rach :

„G esegn et du IHM , m eine T o c h te r!

B esser n o ch h ast du deine späte Huld erzeigt als die frühre,

da du n ich t den Jünglingen, ob arm ob re ich , nachgegangen bist.

U nd n u n , m eine T o c h te r , fü rch te d ich n im m er, alles, u m was du m ich an sp rech en w irst, will

ich dir tu n ,

w eiß ja all das T o r m eines V o lk s, d aß du eine F ra u von T u ch t b ist.

U nd n u n , ja , tra u n , ich bin zw ar ein L ö se r, d o ch gibts au ch n o ch einen L ö se r, n äh er als

ich ,

N a ch te die N a c h t, und am M orgen solls so se in ;

löst er d ich , ists g u t,

21

(24)

Rut

gefällts ihm aber n ic h t, d ich zu lö sen , löse ich selber d ich ,

sow ahr E R leb t.

Liege bis zum M o rg e n !“

Sie lag zu seinen Füßen bis zu m M orgen

und stand a u f, ehe jem an d seinen G enossen erk e n n t,

er n äm lich sp rach :

,,N im m er solls b ek an n t w e rd e n , daß die F ra u a u f die T en n e k a m .“

D ann sp rach e r:

, , Lange den Ü b e rw u rf h e r, den du u m h a st, und fasse d ra n .“

Sie faß te d ra n , er m aß G erste se ch sfach z u , luds ihr a u f und kam in die S ta d t.

Sie ab er k am zu ih rer S ch w ie g e rm u tte r.

Die sp rach : ,,W oran bist d u , m eine T o c h te r ? “ So m eld ete sie ihr alles, was ihr der M ann ge­

tan h a tte .

Sie sp rach : ,,Diese sechs M aß G erste h a t der M ann m ir gegeben,

denn er sp ra ch : „ N ich t sollst du leerer H ände zu deiner S ch w ie g e rm u tte r k o m m e n .“

Da sp rach s ie :

„B leib sitzen , m eine T o c h te r , bis dir m erk lich w ird , wie die S ach e au sfällt!

denn dieser M ann w ird n ich t ra ste n , bis e r, n o ch h e u te , die S ach e zu E n d e g e b ra ch t h a t.“

B oas w ar h in a u f zum T o re gegangen und w ar d o rt verw eilt.

22

(25)

Rut

N un k am jen er L ö ser vorüber, von d em B oas gered et h a tte .

E r aber sp rach :

„B ieg a b , setz dich h e r, S o u n d so !“

E r b og ab und se tz te sich .

E r n ah m zehn M änner von den A lten der S ta d t und sp ra ch :

„ S e tz t e u ch h ie rh e r!“

Sie se tz te n sich.

E r ab er sp rach zu m L ö s e r :

„D as F eld stü ck , das unsres B ru d ers E lim e- le ch w ar,

N o o m i v erk au fts, die vom Gefilde M oabs h eim g ek eh rt ist.

Ich n u n , ich h ab e zu m ir g esp ro ch en ,

ich w olle es d ein em O hr o ffe n b a re n , sp re­

ch en d :

E rw irb s zugegen den hier S itzh ab en d en und zugegen den Ä lte ste n m eines V olk s!

W illst du lö se n , lö se,

w irds ab er n ich t g elö st, m elde es m ir, daß m irs kund sei,

denn au ß er dir ists an k e in e m , zu lö se n , als an m ir, der dir n a c h s te h t.“

E r sp rach :

„ Ic h , lösen will ic h .“

B oas ab er sp rach :

„ A m T ag , da du das F e ld aus der Hand N o o m is erw irb st,

erw irb st du von R u t, der M o ab iterin , der F ra u des V e rsto rb n e n ,

23

(26)

den N am en des V ersto rb n en a u f seinem E ig en ­ tu m zu e rh a lte n .“

Der L ö se r sp rach :

,,N ich t verm ag ich für m ich zu lösen , sonst schädige ich m ein E ig e n tu m . L öse du m eine L ösu n g für d ich , denn n ich t verm ag ich zu lö se n .“

Dieses aber galt v ord em in Jissrael bei L ö ­ sung und bei T a u sch ;

um alljede S ach e h altb ar zu m a ch e n ,

zog der Mann seinen S ch u h aus und gab ihn seinem G en ossen ,

und dies w ar die B ezeugu ng in Jissrael.

Der L ö ser sp rach zu B o as:

„E rw irb s d ir !“

und zog seinen S ch u h aus.

B oas sp rach zu den Ä ltesten und zu allem V o lk :

,,Zeugen seid ihr h e u te ,

daß ich alles, w as E lim elech s w a r, und alles, was K iljons und M achions w ar, aus der Hand N oom is erw o rb en h ab e.

Und au ch R u t, die M o ab iterin , M achions F ra u , habe ich m ir zur F ra u e rw o rb e n , den N am en des V ersto rb n e n a u f seinem E i­

g en tu m zu erh a lte n ,

daß n ich t a u sg e ro tte t w erde der N am e des V ersto rb n en

aus der G em ein sch aft seiner Brüder und aus dem T o r seines O rtes.

Des seid h eu te ihr Z e u g e n .“

Alles V olk im T o r und die Ä lte ste n sp ra ch e n :

(27)

Rut

Da kommen die Nachba­

rinnen zum Geburtstagsfest und rufen ihn — nach dem Gesetz der Einverleibung der Verstorbenen ins Ge­

schlecht der Lebenden - zum Sohn Noomis aus.

„Z eu gen .

Gebe E R der F ra u , die in dein Haus k o m m t, wie R ach el und wie L ea zu w erd en , die beide

das Haus Jissraels erb a u te n !

T u ch t übe in E f r a ta , und rufe dir einen N am en aus in B e tleh em !

Dein Haus sei wie das Haus des P a re z , den T a- m ar d em Je h u d a geb ar,

von d em S am en , den E R dir von dieser Ju n gen g ib t!“

B oas n ah m R u t, und sie w urde ihm zur F ra u , er ging zu ihr ein , E R gab ihr S ch w an g er­

sc h a ft, und sie gebar einen S oh n . Die F ra u e n sp rach en zu N o o m i:

„G esegn et E R ,

der dirs h e u t an ein em L ö se r n ich t fehlen ließ , und gerufen w erde sein N am e in Jissrael!

E r w erde dir

zum S eelenw iederbringer

und zu m V erso rger deines G reisen tu m s!

denn deine S ch w ie g e rto ch te r, die d ich liebt*, ists, die ihn g eb ar,

sie, die dir besser ist als sieben S ö h n e .“

N o o m i n ah m das K in d , legte es in ihren*

S ch o ß und w ard ihm zur Pflegerin.

Die N ach b arin n en riefen ihm einen N am en aus, sp re ch e n d : „D er N o o m i ist ein Sohn ge­

b o re n “ ,

sie riefen seinen Namen TObed.

D er w urde der V a te r Jisch ajs, des V aters D aw ids.

25

(28)

Rut

Und dies sind die Zeugu ngen P arezs P arez zeugte C h ezro n ,

C h ezron zeugte R a m , R am zeugte A m in ad ab ,

A m inadab zeu gte N a ch sch o n , N ach sch o n zeu gte Ssalm a, Ssalm a zeugte B oas, B oas zeugte O b ed , O bed zeu gte Jisch a j, Jisch aj zeugte D aw id.

Wo aber ist die Hauptper­

son geblieben?

Wir finden sie wieder in dem Namen des Buches und in den Zeilen Hölder­

lins: „Die Priesterin / die stillste Tochter Gottes / Sie, die zu gern in tiefer Einfalt schweigt.“

Durch Rut bekommt das alte Leben Noomis wieder Anteil an der Zukunft ihres Volkes. Und umgekehrt findet Rut durch Noomi und durch Boas einen Platz in dem Geschichtsvolk der Völker, durch das sie uns heute noch gegenwärtig ist. 18 Mal kommt das Wort Tochter im Buche Rut vor. Die Arbeiterinnen auf dem Felde heißen Mädchen. Beide Worte können sich beziehen auf dieselbe junge Frau. Mädchen ist sie dem anderen Geschlecht gegenüber, Tochter aber ist sie der Herkunft nach und der Zukunft nach. Tochter ist ein zeitgenährtes Wort: der Herkunft nach die Tochter eines bestimmten Volks, eines bestimmten Geschlechts; auf die Zukunft hin noch „unbesprochen“ , der Zukunft noch Vorbe­

halten. Darum konnte Boas die Rut als „eine Tochter“ ansprechen.

Verknüpfung getrennter Geschlechter, getrennter Geister, vollzog sich wo immer die Tochter alter und neuer Liebe treu blieb, wo sie Witwe blieb und Braut wurde und beide Lieben anerkannt wurden. Da wurde sie Tochter im Vollsinn des Wortes, dem»

Bräutigam und den Gestorbenen neu. Die Tochter einer höheren Liebe.

„Kommt eine Fremdlingin sie zu uns / die Erweckerin / die menschenbildende Stim­

m e.“ (Hölderlin)

Um sie herum entsteht eine neue Beredsamkeit. Noomi und Boas und die Dorfälte­

sten, das Volk im Tor und die Nachbarinnen: ihre Sprache bekommt eine neue Be­

ziehung zu vorgestern und zu übermorgen. Von hinten beginnen ferne Gestalten zu leuchten, Juda und Tamar und Parez, und von vom kommt ein Versprechen in die Luft herein, die erzählende Stimme des Buches Rut bezieht schon die kommenden Geschlechter mit herein: der Neugeborene heißt Obed (= Knecht). Ein Königtum, gerufen zu dienen in Knechtsgestalt, meldet sich in seinem bescheidenen Namen an.

Der Name David ist das jauchzende Schlußwort des Buches.

26

(29)

Eugen

Rosenstock-Huessy

Die

Tochter

(30)

Einleitung

Wie sch on im V o rw o rt e rw ä h n t, ist dies ein K ap itel aus Eugen R o se n - stock -H u essys B u ch „Die H o ch zeit des K rieges und der R e v o lu tio n “ von

1 9 2 0 , geschrieben in der N o t und aus der N o t jen er N ach k riegsjah re.

D eu tsch lan d b lu te te aus vielen W unden. Sechs M illionen T o te und K rieg s­

b esch äd igte w ar für D eu tsch lan d das Ergebnis des ersten W eltkriegs. R o - sen stock -H u essy selber h a tte fünf lange Jah re die U n ifo rm g etragen .

S ch o n der T itel des B u ch es m u te t m än n lich an . U nd b eso n d ers in diesem folgenden K ap itel „D ie T o c h te r “ h ö ren w ir die Klage u n d den S ch m erz eines M annes, der dem T o d in die A ugen h a t sch au en m üssen, n ich t n u r dem T o d als d em S ch n itte r vieler M en sch en leb en , son d ern d em T o d a u ch als V o llstre ck e r des T o d esu rteils über ein ganzes Z e ita lte r.

U ns sch ein t es ein K ap itel von ein em M anne au ssch ließ lich an M än n er.

Wird es sch on von L eserin n en g e le se n , dan n vielleicht in d er B e re itsch a ft von M itleserinnen ?

W er das bisher U nsagbare in die S p rach e hereinbringen w ill, m u ß u m sei­

n e W orte rin gen . V on so lch er A n stren gu n g trä g t das K ap itel die S p u ren , seine S p rach e ist n ich t le ich t. A u ch ist das ö f te r v o rk o m m en d e W o rt Weib uns h e u te zu w id er. W er ab er über H indernisse springen k a n n , w ird N euland berühren.

28

(31)

D ie T o c h t e r

Wir sagen es uns n ich t, denn wir k önnen das W esentliche n ich t m eh r lau t sagen. Alles L au te ist u n erträg lich g ew o rd en . F a s t ist uns die gegliederte Sprache sch on zu ab gegriffen . Wir suchen eine S p ra ch e , die n ich t m eh r gesp roch en zu w erden b ra u ch t, um uns in sie einzuhüllen. E s ist n ich t leeres S chw eigen, das w ir su ch en . M ö ch ten w ir d o ch z u ein an d er; müssen zueinand er.

Es m üßte ein erfülltes Schw eigen sein , das uns u m fa ß t, das uns zu einem gem einsam en Reigen versch lin gt, d am it wir n ich t to t d asteh en wie S ta ­ tu e n , sondern leb en , d am it w ir n ich t sp rech en n o ch h ö ren müssen und d en n o ch klingen.

Wir sagen es uns n ich t. Denn w ir z itte rn daran zu d en k en : Wir m ö ch te n vergessen, daß unser Herz k ran k ist und zu T od e g e tro ffe n . Wir k ön n en n ich t m eh r. Den M ännern ist das H erz g e b ro ch e n . W oran a u ch ihr H erz hing, so ist keiner u n te r den h eim g ek eh rten F e ld g ra u e n , der n ich t k ran k w äre und zersto ß e n .

T re te t leise a u f; flü stert; D eu tsch lan d ist ein g roß es K ran k en zim m er. Sei­

ne M änner tre te n n ich t m eh r m it le u ch te n d e m Auge b e g eistert ins F re ie . Je d e r laute T o n zeugt von E n ta rtu n g h e u te . E s ist sch le ch te s V o lk , das / h eu t k raftv o ll sein G esch äft b e tre ib t und lo sb rich t zu r A rb eit m it sch ä u ­ m en d er K ra ft: S ch ieb er sind es, ob nun in W issen sch aft, P o litik o d er K ünsten o d er H andel. G ew altsam z e rsto ß e n sie die zarte T rü b u n g, die uns u m sch leiert. Sie allein sch ü tzt uns. W ir bergen uns u n te r ih r, die w ir n ich t K riegsgew innler, son d ern K riegsverlierer zu sein em p fin d en .

A ber dieser S ch leier v or unserem B licke ist d o ch a u ch ein Z eich en u n se­

res g eb roch en en A uges. Wir müssen es uns sagen: W ir M änner sind k ran k . Wir alle sind k ran k , ob w ir P a sto ren sind o d e r P rie ste r, U n te ro ffiz ie re o d er G en eräle, A rb eiter o d er In g en ieu re, K ünstler o d e r G e leh rte. M ögen wir daran denken o d er m ögen wir uns b etäu b en und verleu gn en : ein W urm nagt an unserer W u rz e l.

29

(32)

E. R osenstoek-H uessy

Wie k ön n ten .aber K ran k e sich selber h eilen ? W o ist denn n o ch frisches B lu t, das zum H erzen strö m e n k ö n n te , als seien wir n eu g eb o ren ? M änner k ön n en die Ä rz te n ich t sein. W enn sie uns nahen w o llte n , wir m ü ß ten sie zu rü ck w eisen ; denn sie litten also n ich t wie w ir. Wir verlangen aber von jed em M anne dieses Jah rfü n fts N arben und B lu tv erlu st. Wir k ön n en n ie­

m an d en e rtrag en , der m it u n g eb roch en er T o n stärk e e in h e rtro m p e te t, w o wir a u f Z eh en gehen und flüstern.

So w äre D eu tsch lan d nur ein groß es S p ital, von fein d lich en H äschern b e ­ w a c h t, in dem wir langsam d ah in siech en ?

In längst en tsch w u n d en er fern er V ergan gen h eit v or 1 9 1 9 Ja h re n ist ein Quell en tsp ru n gen . V o n dem h eiß t es, e r heile die z e rsto ß n en H erzen . W er von ihm trin k e , könne jed en ird isch en V erlu st v e rsch m erzen . D enn er habe das ewige L eb en g e sch m e ck t. D er S tro m ist im m er n eben der Z e it seitd em einher geflossen . W enn je , so w äre h eu te seine S tu n d e g e k o m ­ m en . W enn er n u r ein w enig K ra ft h a t; - w ir sind gewiß o h n m ä ch tig und zerschlagen genug, daß er uns leich t ergreifen k an n .

U n b esch ü tzt liegen unsere verw u n d eten H erzen . Das M ark des W esens ist b loß gelegt. D en Zugang v erw eh ren n u r S ch eu u n d S ch a m .

N ur sie b ra u ch te die heilende F lu t zu ü b erw ältigen , u nd wir w ären g e / b orgen . U nd w ir wissen d o c h , jen e F lu t soll gerad e un b efan gen m a ch e n k ö n n en . W en sie b erü h rt, der sieh t, w o er ste h t u n d w o G o tt s te h t. U nd w enn seine A ugen au fg etan sind, so fän gt er an zu z itte rn . U n d e r w ürde stü rzen , ab er sieh e, das ausw endige W asser ist nun ein F e u e r g ew o rd en , das ihn durchglüh t. U nd so v erw an d elt h a t er K ra ft, daß er steh en k a n n , w o er s te h t, ob w oh l er je tz t w eiß , w o e r ste h t u n d w o G o tt ste h t.

Was ist das W esen dieser F lu t, die aus dem U n sich tb aren in die W elt h in ­ e in b rich t? W oraus wird sie geb ild et? Die F lu t sind lebendige M en sch en . Sie sind die T ro p fe n oh n e Z a h l, die zu sam m en den S tro m b ild en , der d u rch die Ja h rh u n d e rte ra u sch t. Je d e r T ro p fe n ist ein M en sch , d em es z u ­ vor sch on erging wie uns allen h e u te , die wir h e u t o h n m ä ch tig ver-

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(33)

Die Tochter

sch m a ch te n . A u ch je d e r dieser T rop fen vor uns w ard z u n ic h te ; W asser rührte ihn an und F e u e r sprang in ihm a u f; das W asser ist d er Tau des W orts und das F e u e r ist die F la m m e des G eistes. Je d e r d er V erw an d elten ist im stan d e, fo rta n solch es W asser w eiter zu re ich e n . U nd o b w o h l ihn F e u e r v erz e h rt, b leib t e r d o ch leb en . Sein H erz w ird ein Glied in dem A ufbau des v orw ärtsd rin gen d en E lem en ts.

V on alle diesem wissen w ir. A b er was h ilft uns die W issen sch aft? K o m m t es d o ch d arau f an , daß dies W asser des L eb en s gerade uns e rg re ift, uns die wir uns n ich t rühren k ö n n en , uns, von denen k ein er m e h r K ra ft h a t, a u f­

zu steh n und selbst das W asser zu h o le n . N ich ts nützen uns all die T ro p fe n des E le m e n ts, die v errau sch t sind und h e u t die E rd e sch o n w ieder h in te r sich gelassen h ab en . Irdisch m u ß sein , w as uns E rd en sö h n en soll begegnen k ö n n en . A u f E rd en also m u ß te w enigstens ein T röp flein des W u n d erstoffs n o ch lebendig flie ß e n . D er S tro m des u n sich tb a re n L eb en s m u ß d a , w o er uns neu greifen soll, leib h aftig an uns h e ra n tre te n , in M enschen leib ­ h aftig gew ord en .

W er aber trä g t h e u t in seiner irdischen G estalt das W asser des G eistes, um uns zu verw an d eln ? Des M annes G ut und V o rb e h a lt ist d er G eist. Bei ihm also suchen w ir n ach dem L eb en des G eistes. D enn das W eib schw eige in der G em ein d e; u n d der ird isch en L iebe zu m W eibe h a t der G eist die him m lische en tg eg en g esetzt zu r seligen Ju n g fra u , zu m S eelen b räu tig am , / u m den peinlichen E rd e n re st d ad u rch ab zu sch ü tteln .

V e rk ö rp e rt h at sich der G eist nur in den F a ck e lträ g e rn des G eistes, in den Jünglingen und M än n ern , die dem F leisch ab g esto rb en w a re n , u nd in den W eibern n u r, sow eit sie den M ännern in dieser A b tö tu n g des an g eb oren en W esens n ach g efo lg t sind. Das w ar d er D u rch gan g für den Z u tritt zu m h e i­

lenden G eiste, daß der Leib verw este und die N atu r wie eine Hülle ab g e­

streift w urde.

W ehe aber dann uns und u n serm G e sch le ch t. D enn w en n allein m ä n n li­

che H eilskraft d u rch E n tfa ltu n g der h ö h e r w eisen d en , das M e n sch en an t­

litz w ied erh erstellen d en Seele die M iß raten en zu erlösen v erm ag, so rau sch t uns nirgends m eh r K ra ft, lebende zu ird isch er G estalt gew ord en e

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(34)

E. R osenstock-H uessy

K ra ft aus dem U n sich tb aren . K ra ftlo s ist der m än n lich e G eist, k ra ftlo s au ch der reinste ch ristlich e G eist in a b g e tö te te m L e ib e , k raftlo s wie w ir selbst. A b g esch n itten w äre also die G n a d e n k e tte , d u rch die das E le m e n t der N euschaffung bis h eu t fortgin g?

Es scheint in der T at so . Denn es ist kein M ann in der W elt des W elt­

kriegs, dessen H erz K ra ft b eh alten h ä tte hinüber über den K rieg, einsam in sich Geist zu bergen und W asser zu reichen aus dem H eilsstrom . Der K rieg h at die seit h u n d ert Ja h ren in die Z eiten des alten T e sta m e n ts z u ­ rücksinkende M en sch h eit e rst n o ch ganz h in e in g e ta u ch t. R ein e, lau tere H erzen , ja , deren gibt es n o ch . A b er die h eilen d en , ü b erströ m e n d e n , ü b er­

fließenden H erzen sind in dem G rauen von fü n f ap o k a ly p tisch e n Ja h re n a u sg e ro tte t w o rd e n . Die M änner alle sind h e u t im b e sten F alle H üter und V ersch ließ er des G eistes; in k ein em Falle sind sie L e ite r u nd W e ite r­

leiter. Geist ist w oh l n o ch in ih n en . A ber er fließ t n ic h t. R e in h eit ist n o ch in ask etisch en L e ib e rn ; ab er n ich t K ra ft zu r V erw an d lu n g.

E s sei M ön ch o d er N o n n e, P riester o d er L aie, der m it In b ru n st dem g e ­ heim en Leibe der O ffen b aru n g a n h än g t, so verm ag er ihn d o ch n ich t zu o ffe n b a re n . Der S tro m des Je n seits b ric h t sich an ih m . U n d so ist n o ch W ahrheit in der W elt. A b er die W ah rh eit h a t keine Q u a n titä t. Die W ah r­

h eit steh t wie ein n a c k te r, leb loser P fah l, wie eine künstliche Steinsäule ohne W irkung. Q ualitas und Q u an titas sind au seinander gerissen. Ehe^

n ich t der le tz te deiner Brüder g e re tte t ist, eh er ist deine W ah rh eit n o ch n ich t die lebende W ah rh eit aus dem heilen d en S tro m e . H eu t ab er e r ­ q u ick t deine W ah rh eit n ich t m eh r den n ä ch sten deiner B rü d er; denn du zw ingst ihn n ich t m e h r, dir zu glau b en . Die W ah rh e itsp ä ch te r haben nur n o ch R e c h t. Das ab er genügt n ich t zu m L eb en d er W ah rh eit. R e c h t h a ­ ben ist etw as arm seliges und to te s . Die W ah rh eit le b t nur a u f der h ö h e re n Eb en e der F re ih e it.

Wir alle leiten n ich t m eh r. So heilen wir n ich t. A b e rw e h e u n s, so ist au ch n iem an d , der uns h eilte. Der Ä on des m än n lich en G eistes en d e t. Der m ännliche G eist ist au sgelau gt. E r salzt n ich t m eh r.

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(35)

D ie Tochter

U nd so liegen unsere H erzen hilflos, o b w oh l wir d o ch w issen, daß ein S tro m für uns rin n t. H eut ists, wie vor der ersten E rlösu n g. D raußen j e n ­ seits, w ar dam als das E le m e n t der V erw an d lu n g, das die P ro p h eten m it K ra ft der W eissagung erfüllt h a tte . A b er sein D u rch b ru ch ins irdische D a­

sein w ar n o ch n ich t e rfo lg t. So h a tte n sie n o ch n ic h t, w o ran sie sich die- seits h ä tte n h a lte n , w oran sie sich h ä tte n an reih en und angliedern k ö n ­ nen. G o tt w ar n o ch n ich t M ensch g ew o rd en , F leisch und B lu t.

Dann ab er w ar es gesch eh en , G o tt w ar n iedergestiegen in die niedrige G e­

sta lt. U nd seitd em h a t er fast zw eitau sen d Ja h re lang die E rd e d u rch die K ra ft seiner P erso n verw an d elt u n d alle K eim e des L eb en s an sich g e z o ­ gen, daß sie seinem leibhaftigen Leibe an sch lossen und anhingen.

H eu t aber s to c k t der Z ug seines Sam m eln s. Die D u rch b ru ch sstelle aus dem D o rt ins Hier sch ein t v e rsch ü tte t. Wie eine H y p erb el, die aus dem U n en d lich en h in ein greift in den R a u m , ihn eine S tre ck e w eit erfüllt und dann w ieder h in a u stritt in die U n e n d lich k e it, so ste h t h e u t v o r u n serer e n tse tz te n A h n u n g der W eg des h eilenden G o tte s.

Wie ist dieser V erlu st des Heils zu e rtra g e n ? Wie ist er zu v ersteh en ? Die M enschen v or uns h ab en G o tt ste rb e n , h aben G o tt versch w in d en lassen aus der W elt, n a ch d e m er d o ch in die W elt g ek om m en w ar?

Als G o tt am A n fan g der W elt aus seiner S ch ö p fu n g freiw illig z u rü ck tra t, da gesch ah das u m der F re ih e it seines G esch ö p fes w illen. D o rt w o dieses sein E b en b ild w ar, da h ä tte ja G o tt d u rch dies sein sollen und sein k ö n ­ n en . A n dieser F re ih e it ab er verk am die S ch ö p fu n g . U nd G o tt k eh rte sein A n gesich t der von M enschen m iß h an d elten S ch ö p fu n g w ieder zu und e rn eu erte sie, indem er ihr seinen S ohn gab.

H eute h a t die W elt, die bloße W elt, den S ohn sch ier ü b erw ältigt. H atten M enschen G o tte s erste S ch ö p fu n g sch o n z e r s tö r t, so ze rstö re n M enschen h eu t au ch seine zw eite S ch ö p fu n g , sie z e rstö re n seine O ffen b aru n g!

Die M ach t dazu h a t ihnen G o tt gelassen. Denn a u ch d ie irdische G estalt seiner O ffen b aru n g h a t er g esch affen . A u ch sie ist sein G e sch ö p f wie alle G esch ö p fe; und so kann a u ch sie von seinem E b e n b ild e, dem M en sch en , m iß b ra u ch t w erd en .

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(36)

E. R osenstock-H uessy

Die O ffen b aru n g ist ja a u f die E rd e g e k o m m e n ; so verm ag der M en sch , der des E rd re ich e s H err w erd en soll, a u f seinem W ege zu r H errsch aft sie zu u n terd rü ck en . K irch e u n d S ta a t h aben die M enschen vergessen ge­

m a c h t, daß G o tt sich o ffe n b a rt; denn sie h alten K irch e un d S ta a t für ihr u n en treiß b ares, u n en tzieh b ares P riv ateig en tu m . D arin sind sich K irch en - und S taatsm än n er g leich , daß sie beide a u f ihr E ig en tu m p o ch e n , als seien die H äuser, in denen sie w o h n en , ew ig. Sie h ab en sich d ad u rch G o tte s b e ­ m ä ch tig t u nd ihn u n te r sich g eb eu gt. D enn erst bei dem U n m ög lich en fängt G o tte s A llm a ch t an . Bei G o tt ist kein Ding u n m ö g lich . E s gib t kein v erb rieftes o d er g e stifte te s E ig en tu m v o r ih m .

Wie die K rieg sk n ech te über Je su K leid er gew ürfelt un d sie verspielt h a ­ b en , so h a t die C h risten h eit selber das irdische K leid ih rer O ffen b aru n g verw ürfelt u nd versp ielt. D enn die C h risten h eit ist im G lanz d er g ö ttli­

ch en O ffen b aru n g e in h ersto lziert als w äre es ihre eig en e, ihnen hörige und gehörige O ffen b aru n g. A us d er K ra ft des G eistes h ab en sie die O h n ­ m a ch t des N am en s g e m a ch t. W ohl ist der N am e das G efäß , ab er er d a rf n ich t zum B eg riff e rsta rre n , wie in K irch e u n d T h eolog ie. A us dem freien G o tt ist ein d u rch Z e it u nd R au m G eb u n d en er g ew ord en bei beiden T e i­

len der C h risten h eit, bei K irch e u nd E v an gelisch en . D enn aus der G e­

m e in sch aft des heilenden und geh eilten G eistes h ab en sie die A b so n d e ­ rung des heiligen G eistes g e m a ch t. U nd dieser heilige G eist le b t ein g e­

m au ert wie ein gefan gen er, a u f einen von der K irch e d ek larierten U m ­ kreis ein g esch rän k ter G eist. Die A llm ach t G o tte s über alle ird isch en B a u ­ w erke und O rdnungen hinaus ist verleu gn et.

Die K irc h e , die über die ganze E rd e h in , rrfc k ath o lisch zu w alten b e a n sp ru ch t, m u ß eb en deshalb diese h ieratisch e A b sp erru n g des G eistes b eg eh en , d am it sie in der Lage ist, m it ih m S ch ritt zu h a lten . Das andere M itte l, G o tt u n te r die W elt zu b eu g en , w a r, zw isch en seine O ffen b aru n g u n d das eigene L eb en 1 9 1 9 Ja h re „h isto risch e r E n tw ic k ­ lu n g“ zu legen. D avon haben die E van gelisch en G eb rau ch g e m a ch t. Z w i­

schen G o tte s ,,zw eiter S ch ö p fu n g “ , C h ristu s, u nd ihnen selb st, den h e u ­ tigen G esch öp fen G o tte s , ist ein T ren n u n gsb alk en g e sch ich tlich er „D i­

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(37)

D ie Tochter

sta n z “ eingekeilt. Die E w igk eit, die alle G esch öp fe aller Z eiten gleich nah u m sch ließ t, ist d u rch den K u n stgriff dieser zeitlich en E n tfe rn u n g v e r­

leu gn et. Wie die K irch e d u rch ihre V erleugnung des h eilenden G eistes ihren B estan d zu sichern g lau b t, so glauben die E vangelischen d u rch die V erleugnung der S ch öp fu n gsein h eit A b stan d gew on n en zu h ab en für ihre G egenw art. G erade sie, die sich V ergegen w ärtiger der fro h en B o ts c h a ft, die sich Evangelische n en n en , h ab en sich von der V ergan gen h eit g ew alt­

sam ab g etren n t.

Die K irch e und die Evangelischen sind d u rch die m agische E in k reisu n g G o tte s , dies B em ü h en , ihn in R a u m o d er Z eit ein z u sch lie ß e n , zeu gu n gsu n ­ fähig gew ord en am G eiste und bildungsunfähig an d er E rd e . Das geistige W irken der M enschheit vollzieh t sich h e u t ab seits der vollstän d ig e rsta rr­

ten K irch e ; die tech n isch e G estaltu n g der E rd e vollzieh t sich h e u t ab seits des vollstän dig verblasenen C h risten tu m s. M en sch h eit u nd E rd e w erd en d u rch w irk t u n d g e sta lte t von K rä fte n , die den G o tt der C h risten h eit v e r­

leugnen. A b er das liegt n u r d a ra n , daß die C h risten h eit w ed er w irk t n o ch g e sta lte t. Sie ist zu m Pfahl ins blühende F leisch der W elt b e stim m t. A b er solch Pfahl m üßte rings an junge o ffen e W u n d fläch en u nd R ä n d e r rü h ren , w enn er R e a k tio n e n herbeiführen soll. H eut h a t sich die W elt m it dieser C h risten h eit, dieser K irch e , diesem E van geliu m längst ab g efu n d en . D er Pfahl trifft nirgends m eh r a u f das F le isch . Die W unde, die er ein st stie ß , / ist v ern arb t. E s w im m elt h e u t von so g en an n ten H eilan d sn atu ren . So sehr ist der H eiland h e u t N atu r gew o rd en .

A b er G o tt kann das zu r N atu r G ew ord en e d er O ffen b aru n g a u fh eb en . W enn er a u ch ihr ird isch es K leid der V e rs to c k th e it seiner „ B e k e n n e r“

preisgibt, so kann e r d o ch den Sinn seiner O ffen b aru n g w ied erb rin g en , w ann er will. U nd w enn die „G läu b ig en “ sie ab g estan d en und am ge­

fangensten glau b en , so daß ihnen „ n ich ts m e h r passieren k a n n “ , gerad e dann k eh rt die O ffen b aru n g w ied er. A b er in neue G efäß e.

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E. R osenstoek-H uessy

D er Mann h at sich seiner G o tte sso h n sch a ft e n tz o g e n . D er, d em zu erst d er Geist verliehen w ar, h a t ihn sich selb sth errlich an geeign et.

Da ergreift G o tt das V o rb e h a lte n e , das im S ch öpfungsplan als G ed u ld , als ird isch-ru hend au fb eh alten e G e sch ö p f.

Wie w ar es denn gew esen bis h e u t? V o m W eibe, von der E v a , von der Sinnenlust und dem Hängen an der N a tu r, an E rd e un d L an d h a tte G o tt die aus der M en sch h eit h erau sg eb ro ch en e H eidenw elt d u rch Jesu s losge- rissen. Nun h a tte der Sohn den L o ck u n g en des F leisch es W iderstand zu leisten g ew u ß t. G efloh en w ar er die R eize d er ird isch en G e stalt. N atu r und N atio n , das h eiß t seine b loß en A n g e b o ren h eiten , h a tte er zu über­

w inden g elern t. V e rfe in d e t h a tte er sich den S ch ö n h eiten der S ch ö p ­ fung. Als C hrist lern te er seine S in n lich k eit, alles was ih m seine fünf Sinne zu tru g en , a u fzu o p fern .

E r erw äh lt den eh losen S tan d . W enigstens w ird dieser für den C hristen der glaubw ürdigste. D u rch das Z ö lib at ih rer P riester kann sich die K ir­

che im übrigen den S innen prunk ihres G o ttesd ien stes e rla u b e n ; d u rch die E n th a ltu n g von der E h e w ird die A b k eh r von d er N a tu r h in reich en d sicher ge stellt und au sged rü ck t. Die E h elegen d e K aiser H ein rich s des H ei­

ligen und seiner G a ttin , der Heiligen K u n igu n d e, v eran sch au lich t diese F lu ch t v or der Z eu gu n gsk raft. Die P ro te s ta n te n , die der E h elosigk eit die Würde n a h m e n , m u ß ten s o fo rt ein an d eres an tin atü rlich es, sch ö p - ; fungsfeindliches S ym b ol h e rv o rb rin g e n ; das gesch ah in ih rem P u ritan is­

m us und B ild erstu rm . Denn an die Stelle der E h elo sigk eit tr a t so die G esch m ack losig k eit, an die Stelle der L e id e n sch a ftslo sig k e it die G e­

staltlosigk eit. Die Z eu gu n gsk raft w urde von der K irch e g eb u n d en , dafür h at sie die B ilder g e r e tte t. D er B ildungstrieb w urde von den E van geli­

schen z e rs tö rt, dafür h aben sie die Z eugung g e re tte t. D er K a th o lik liebt von innen h er seinen Leib n ic h t; der P ro te sta n t sc h m e ck t n ich t die leib ­ liche S ch ö n h eit von außen h er.

A ber beiden geh t in ih rem K a m p f gegen die S in n lich k eit a u ch die E n t­

scheidung v e rlo re n , die G o tt den Seinen a n v e rtra u t h a t: der Sinn für das F au l und F risc h , T o t und L eb en d ig, V erw esen d o d er Blühend. Diese A b-

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D ie Tochter

stum pfung des L eb en sin stin k ts w ar es, die sie v erfü h rte, sich über G o tt zu erh eb en . Sie w ar es, die sie im m er u n tau g lich er m a c h te , den S tro m des heilenden G eistes G o tte s a u f die S ch ö p fu n g w eiterzu leiten . D enn w o G o tt hingeht zu jed er Z e it, das sollen wir w itte rn . Die W itteru n g führt uns zu jed er Stund e d o rth in , w o G o tt lebendig h e rv o rtritt.

Deshalb w en d et G o tt sich von dem k irch lich en C h riste n tu m e , es sei wie es sei. E s habe nun von G o tt V erh eiß u n g u n d S tiftu n g , so w ird es sie b eh alten ; ab er an d ers als die K irch e g em ein t h a t. G o tte s Wege sind n ich t die Wege der C h risten h eit. D enn seine li e b e will ja h eilen , was die C h risten h eit gefeh lt h a t. So k e h rt er das V erh ältn is der geistlich en und der n atü rlich en Liebe u m . Seine, die g ö ttlich e L ieb e verm ag a u ch aus der natürlichen die h im m lisch e Liebe zu m a ch e n , d an n , w enn aus der geistlichen eine bloß irdische gew ord en ist!

Wir sollen h eu t n ich t d u rch die Z erteilu n g u n serer Seele in Leib und Geist geheilt w erd en . D enn die M ittel hab en die K irch e n ch riste n v e r­

b ra u ch t. Die A u fop feru n g des Leibes für den G eist w irk t n ich t m e h r, da der das O pfer em p fan gen d e G eist tro tz d e m le e re r, w irk ungsloser Geist b leib t.

So fin d et u m g ek eh rt nur die E in h eit von Leib und Seele G nade

vpr

G o tte s A ugen. U nd er b e ru ft zu r E rn eu eru n g seiner O ffen b aru n g die T o c h te r des M en sch en , die n atü rlich e T o c h te r u n d S ch w e ste r, wie d er D ich ter sie in seiner ,,E u g e n ie “ , p ro p h e tisch sich selber ü b e rtre ffe n d , g eah n t h a t; die T o c h te r des M enschen e m p fän g t in ihr H erz die B e ru ­

fung, zu heilen die z ersto ß en en H erzen .

Solange n o ch K ra ft w ar in d er G n ad en k ette d er G eister, solange m u ß ­ te der Mann den Leib au fo p fern und zü ch tig en . Der M ann selber sah ja n u r die bange Wahl zw ischen Sinnenglück und S eelen fried en , zw isch en T rieb tier und G eistesw esen. D aher „ü b ersah “ sein A uge am lieb sten das irdische G e trieb e: Aus dem ro te n B lu te seiner L e id e n sch a fte n , aus dem Wein des Leb en s w ard in dieser geistigen Ü b ersich tig k eit W asser

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E. R osenstock-H uessy

und V erdünnung der Askese o d er der M oral. Die L eid en sch aft der L ie b e , die uns überw ältigt als ein G rö ß erer denn w ir, die blieb w e ltlich , h eid ­ n isch , eine u n heim liche N a tu rk ra ft; sie g eh örte zu den K rä fte n der N a tu r, denen die M enschen lieber au sw eich en , weil sie d o ch n ich t sie zu m e i­

stern v ersteh en , wie der B litz o d er der W ildbach o d er die S tu rm flu t des M eeres. A b er aus dieser A ngst um sich selbst ta t der M ann d em W esen u n ­ re c h t, von d em ihm die L e id en sch aft k o m m t, dem W eibe. Des M annes S in n en flu ch t zerstü ck te das W eib. E r riß es au sein an d er in Dirne und F ra u , je n ach d em ob er ihr sich b e u g te , u m sie ihrer B estim m u n g z u z u ­ führen, o d er ob er sie b eu g te, d am it sie seiner L eid en sch aft diene.

W enn es ab er dieselbe A ngst ist, die den M enschen von d er N atu r und vom W eibe fern h ä lt, so w ird a u ch die Folge beide Mal dieselbe sein. B e i­

de Male gilt das G esetz: Solange w ir flieh en , k ön n en w ir n ich t en trin n en . Solange dem M enschen die N atu r v erzau b ert e rsch ie n , solange w ar e r ihr Sklave. Solange er n ich t n a ch d em eigenen W esen der n atü rlich en K rä fte und S to ffe fo rsch t und dies W esen e h r t, solange kann e r die E rd e n ich t b eh errsch en , son d ern b leib t ihr u n te rta n . D enn ehe e r n ic h t das S eu fzen der K re a tu r, das ist d er G esch ö p fe, v ern im m t un d sie ih rer B estim m u n g zu fü h rt, solange hängen sie sich an ihn u nd quälen ihn. Wie der N a tu r gegenüber, so h a t sich d er G eist dem W eibe gegenüber v e rh a lte n : E r h a t es gefloh en . Als das m itte la lte rlich e C h risten tu m sich der A ussöh n u n g m it t der N atu r w id ersetzte an der W ende zu r N e u zeit, da v e rd am m te es au ch - im H e x e n h a m m e r In n o zen z V III. — das W eib als das geistesfern ere

(quia

in femina fidei minus est! [weil in der Frau der Glaube geringer ist]), als das n a tu rn ä h e re . Die G eistesferne und N a tu m ä h e ersch ien ih m als - H e­

x e re i! U nd so v erk ö rp e rt sich der gesam m elte W id erstan d gegen die N a tu r­

w issenschaft in der — H exen v erb ren n u n g .

Weib und N atu r — beides ist dem C hristen ein u nd derselbe zu fliehende G efahrenquell a u ch in der N eu zeit. A ls d aru m die n eu zeitlich en C hristen die N atu r zu gängeln, zu b esch n eid en , z u re ch t zu stu tz e n , gefangen zu h alten u n te rn a h m e n , da schlossen sie das M ädchen und die F ra u in ih ren

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D ie Tochter

B u tzen sch eib en erk er ein . Wie die N atu r zu r v ersch n itten en T a x u sh e ck e , so w urde das Weib zum K ä tch e n , K lä rch e n , G retch en verk lein ert.

Die G eschlechtslüge und die G eschm ackslüge w aren so übergroß g e w o r­

den. A b er der M ensch zieh t seine geheim nisvollsten K rä fte aus Sinnen und G esch lech t. Aus dem G esch lech t h a t d er M ann seine Z eu gu n gsk raft, seine sogen an n te G en ialität, das ist sein sch öp ferisch es V erm ö g en . A us den Sinnen h at e r seine B ild n erk raft, seine so g en an n te K u n st, seine sin n ­ liche V ollen d b ark eit. G en ialität und K u n st sind also die b eid en G efan g e­

n en , denen das Ja h rh u n d e rt, das a u f das m itte la lte rlich e und das n e u z e it­

liche C h riste n tu m , das a u f K ath o lizism u s und P ro te sta n tism u s f o lg t, denen das Ja h rh u n d e rt des U nglaubens seit der fran zö sisch en R ev o lu tio n B efreiung v erh eiß t.

Das e ch t Geniale des n eu n zeh n ten Ja h rh u n d e rts ist an tik a th o lisch g e ­ d ach t und g e w o llt; das e ch t K ünstlerische a n tip u ritan isch und a n tip r o te ­ stan tisch . A us S ch ö p ferd ran g und B ild n ertrieb , aus L eid en sch aft und K ön n en w ird der G egenglaube des n eu n zeh n ten Ja h rh u n d e rts g e sta lte t, der dem C h risten tu m e n tg e g e n tritt. A n d er S p itze dieser n euen a n ti­

ch ristlich en M enschheit ste h t d aru m P ro m e th e u s; denn er ist d er Ü b e r­

m en sch (G en iu s) und der E rfin d e r (K ü n stle r) zu gleich . E rfin d e r und Ü b erm en sch , das w erden die H eroen dieser e n tg ö tte rte n W elt, an d eren

E n d e fo lg erich tig der A n tich rist s te h t! /

A b er au ch dieser ,,Genius der M e n sch h eit“ w ar m än n lich en G eistes.

A u ch der M ensch m it seinem Palm enzw eige und d er A n tich rist w urden als M änner, n ich t als M enschen v e rg ö tte rt. J a d er G eist d er ,,N atu r u nd K u n st“ h a t die Ü b erh eb u n g des m än n lich en G eistes über das W eib, d eren sch on die C h risten h eit sich schuldig g e m a ch t h a tte , e rst v o llen d et. Die K irch e will die rein e, von ird isch er L iebe u n b erü h rte Ju n g fra u und M u t­

te r , der Evangelische will die F r a u , das E h ew eib und die G enossin im Hause. D er P ro m eth id e ab er k en n t nur das W eib sch lech th in u n d k an n es n ich t erk en n en . Denn erk en n en k ön n en w ir n u r B estan d teile un seres e i­

genen W esens. Das W eib ist ab er w ed er G enius n o ch K ü n stler. E s sch a fft n ich t vulkanisch und es bildet n ich t m e ch an isch .

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Referenzen

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