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Die

Tochter

Einleitung

Wie sch on im V o rw o rt e rw ä h n t, ist dies ein K ap itel aus Eugen R o se n - stock -H u essys B u ch „Die H o ch zeit des K rieges und der R e v o lu tio n “ von

1 9 2 0 , geschrieben in der N o t und aus der N o t jen er N ach k riegsjah re.

D eu tsch lan d b lu te te aus vielen W unden. Sechs M illionen T o te und K rieg s­

b esch äd igte w ar für D eu tsch lan d das Ergebnis des ersten W eltkriegs. R o - sen stock -H u essy selber h a tte fünf lange Jah re die U n ifo rm g etragen .

S ch o n der T itel des B u ch es m u te t m än n lich an . U nd b eso n d ers in diesem folgenden K ap itel „D ie T o c h te r “ h ö ren w ir die Klage u n d den S ch m erz eines M annes, der dem T o d in die A ugen h a t sch au en m üssen, n ich t n u r dem T o d als d em S ch n itte r vieler M en sch en leb en , son d ern d em T o d a u ch als V o llstre ck e r des T o d esu rteils über ein ganzes Z e ita lte r.

U ns sch ein t es ein K ap itel von ein em M anne au ssch ließ lich an M än n er.

Wird es sch on von L eserin n en g e le se n , dan n vielleicht in d er B e re itsch a ft von M itleserinnen ?

W er das bisher U nsagbare in die S p rach e hereinbringen w ill, m u ß u m sei­

n e W orte rin gen . V on so lch er A n stren gu n g trä g t das K ap itel die S p u ren , seine S p rach e ist n ich t le ich t. A u ch ist das ö f te r v o rk o m m en d e W o rt Weib uns h e u te zu w id er. W er ab er über H indernisse springen k a n n , w ird N euland berühren.

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D ie T o c h t e r

Wir sagen es uns n ich t, denn wir k önnen das W esentliche n ich t m eh r lau t sagen. Alles L au te ist u n erträg lich g ew o rd en . F a s t ist uns die gegliederte Sprache sch on zu ab gegriffen . Wir suchen eine S p ra ch e , die n ich t m eh r gesp roch en zu w erden b ra u ch t, um uns in sie einzuhüllen. E s ist n ich t leeres S chw eigen, das w ir su ch en . M ö ch ten w ir d o ch z u ein an d er; müssen zueinand er.

Es m üßte ein erfülltes Schw eigen sein , das uns u m fa ß t, das uns zu einem gem einsam en Reigen versch lin gt, d am it wir n ich t to t d asteh en wie S ta ­ tu e n , sondern leb en , d am it w ir n ich t sp rech en n o ch h ö ren müssen und d en n o ch klingen.

Wir sagen es uns n ich t. Denn w ir z itte rn daran zu d en k en : Wir m ö ch te n vergessen, daß unser Herz k ran k ist und zu T od e g e tro ffe n . Wir k ön n en n ich t m eh r. Den M ännern ist das H erz g e b ro ch e n . W oran a u ch ihr H erz hing, so ist keiner u n te r den h eim g ek eh rten F e ld g ra u e n , der n ich t k ran k w äre und zersto ß e n .

T re te t leise a u f; flü stert; D eu tsch lan d ist ein g roß es K ran k en zim m er. Sei­

ne M änner tre te n n ich t m eh r m it le u ch te n d e m Auge b e g eistert ins F re ie . Je d e r laute T o n zeugt von E n ta rtu n g h e u te . E s ist sch le ch te s V o lk , das / h eu t k raftv o ll sein G esch äft b e tre ib t und lo sb rich t zu r A rb eit m it sch ä u ­ m en d er K ra ft: S ch ieb er sind es, ob nun in W issen sch aft, P o litik o d er K ünsten o d er H andel. G ew altsam z e rsto ß e n sie die zarte T rü b u n g, die uns u m sch leiert. Sie allein sch ü tzt uns. W ir bergen uns u n te r ih r, die w ir n ich t K riegsgew innler, son d ern K riegsverlierer zu sein em p fin d en .

A ber dieser S ch leier v or unserem B licke ist d o ch a u ch ein Z eich en u n se­

res g eb roch en en A uges. Wir müssen es uns sagen: W ir M änner sind k ran k . Wir alle sind k ran k , ob w ir P a sto ren sind o d e r P rie ste r, U n te ro ffiz ie re o d er G en eräle, A rb eiter o d er In g en ieu re, K ünstler o d e r G e leh rte. M ögen wir daran denken o d er m ögen wir uns b etäu b en und verleu gn en : ein W urm nagt an unserer W u rz e l.

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E. R osenstoek-H uessy

Wie k ön n ten .aber K ran k e sich selber h eilen ? W o ist denn n o ch frisches B lu t, das zum H erzen strö m e n k ö n n te , als seien wir n eu g eb o ren ? M änner k ön n en die Ä rz te n ich t sein. W enn sie uns nahen w o llte n , wir m ü ß ten sie zu rü ck w eisen ; denn sie litten also n ich t wie w ir. Wir verlangen aber von jed em M anne dieses Jah rfü n fts N arben und B lu tv erlu st. Wir k ön n en n ie­

m an d en e rtrag en , der m it u n g eb roch en er T o n stärk e e in h e rtro m p e te t, w o wir a u f Z eh en gehen und flüstern.

So w äre D eu tsch lan d nur ein groß es S p ital, von fein d lich en H äschern b e ­ w a c h t, in dem wir langsam d ah in siech en ?

In längst en tsch w u n d en er fern er V ergan gen h eit v or 1 9 1 9 Ja h re n ist ein Quell en tsp ru n gen . V o n dem h eiß t es, e r heile die z e rsto ß n en H erzen . W er von ihm trin k e , könne jed en ird isch en V erlu st v e rsch m erzen . D enn er habe das ewige L eb en g e sch m e ck t. D er S tro m ist im m er n eben der Z e it seitd em einher geflossen . W enn je , so w äre h eu te seine S tu n d e g e k o m ­ m en . W enn er n u r ein w enig K ra ft h a t; - w ir sind gewiß o h n m ä ch tig und zerschlagen genug, daß er uns leich t ergreifen k an n .

U n b esch ü tzt liegen unsere verw u n d eten H erzen . Das M ark des W esens ist b loß gelegt. D en Zugang v erw eh ren n u r S ch eu u n d S ch a m .

N ur sie b ra u ch te die heilende F lu t zu ü b erw ältigen , u nd wir w ären g e / b orgen . U nd w ir wissen d o c h , jen e F lu t soll gerad e un b efan gen m a ch e n k ö n n en . W en sie b erü h rt, der sieh t, w o er ste h t u n d w o G o tt s te h t. U nd w enn seine A ugen au fg etan sind, so fän gt er an zu z itte rn . U n d e r w ürde stü rzen , ab er sieh e, das ausw endige W asser ist nun ein F e u e r g ew o rd en , das ihn durchglüh t. U nd so v erw an d elt h a t er K ra ft, daß er steh en k a n n , w o er s te h t, ob w oh l er je tz t w eiß , w o e r ste h t u n d w o G o tt ste h t.

Was ist das W esen dieser F lu t, die aus dem U n sich tb aren in die W elt h in ­ e in b rich t? W oraus wird sie geb ild et? Die F lu t sind lebendige M en sch en . Sie sind die T ro p fe n oh n e Z a h l, die zu sam m en den S tro m b ild en , der d u rch die Ja h rh u n d e rte ra u sch t. Je d e r T ro p fe n ist ein M en sch , d em es z u ­ vor sch on erging wie uns allen h e u te , die wir h e u t o h n m ä ch tig

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