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Impulse Ausgabe 2016/1

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Impulse

Das Wissenschaftsmagazin der VolkswagenStiftung

Ins Blaue hinein

Ozeane, Küsten, Inseln: der größte Lebensraum

auf unserer Erde im Fokus der Forschung

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geflügelte Wort vom „blauen Planeten“ und seinen Geheimnissen, die er noch birgt. Und über diesen möchten wir Ihnen viele Geschichten erzählen – kleine und große. Die großen führen Sie jeweils drei Mal zunächst zu verschiedenen Küstenregio- nen dieser Welt, dann zu Inseln – oder solchen, die Wissenschaftler dafür halten –, und zuletzt geht‘s dann drei Mal direkt hinaus auf die Ozeane.

In vielen der Beiträge über die geförderten Pro- jekte, die ja den Kern der Erzählungen bilden, schwingt immer auch der Gedanke der Nachhal- tigkeit mit. Dieser ist zunehmend von Bedeutung auch bei jenen gemeinsam von Land und Stiftung vergebenen Fördermitteln, die explizit den nie- dersächsischen Hochschulen und Wissenschafts- einrichtungen zugute kommen. Gleich drei Mal blättern sich in diesem Heft Beiträge zu solchen im „Niedersächsischen Vorab“ geförderten Vorha- ben auf: angefangen bei einem Projekt zur Öko- system- und Biodiversitätsforschung vor der Insel Spiekeroog über die an der hiesigen Küste teils vor Anker liegende deutsche Forschungsflotte bis hin zu neuen Offshoretechnologien – allesamt Wis- sensfelder, in denen nicht nur deutsche, sondern oft gerade niedersächsische Forscherinnen und Forscher weltweit die Nase vorn haben.

Die Stiftung ist ja bekanntlich ein verlässlicher Partner von Forschung und Wissenschaft in die- sem Bundesland und möchte es auch künftig in bewährter Stabilität und Standfestigkeit bleiben.

Immerhin hat sie in den ersten beiden Ausschrei- bungsrunden zur Nachhaltigkeitsforschung 15 Pro- jekte mit insgesamt rund 25 Millionen Euro bewil- ligt, darunter auch solche zur Meeresforschung.

Wir hoffen, dieses Heft bietet reichlich Anregung, sich mit den Wundern am, im, auf dem und unter Wasser zu beschäftigen. Ich wünsche viel Vergnü- gen und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre.

Ihr Es ist erst wenige Monate her, da ließ ein Urteil

die Weltgemeinschaft aufhorchen: Neuseeland erkennt als erster Staat den Klimawandel und die Zerstörung der Umwelt als berechtigten, also

„rechtmäßigen“ Anlass für Migration und damit als Asylgrund an. Eine Familie von der Pazifik- insel Tuvalu, deren Zuhause, so wertete es das neuseeländische Gericht, nachweislich Opfer des allmählich steigenden Meeresspiegels geworden war, erhielt in letzter Instanz dauerhaftes Blei- berecht zugesprochen. Es dauerte nicht lange, und die Vereinten Nationen meldeten sich mit dem Hinweis: Sollte sich an der Situation nichts ändern, dann erwarte man bis zum Jahr 2050 weltweit bis zu 500 Millionen Menschen, die allein aufgrund von klimatischen Veränderungen und Umweltzerstörung ihre Heimat fliehen.

Schon etwas länger beschäftigen sich fünf For- scherteams unterschiedlicher Expertise in einem von der Stiftung geförderten Projekt gemeinsam mit der Frage, inwieweit ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen massiven Umweltver- änderungen und dem Bedürfnis von Menschen, ihre Heimat – teils unter großen Gefahren für ihr Leben und das ihrer Liebsten – für immer zu ver- lassen. Der spezielle Blick gilt dabei Küstenregio- nen, schließlich werden dort offenkundig schnel- ler als anderswo global wirkende klimatische Veränderungen manifest: ob schleichend etwa durch steigende Wasserspiegel der Meere oder schlagartig aufgrund extremer Wetterereignisse.

Und damit sind wir, das aktuelle Weltgeschehen vor Augen, mitten in dieser Ausgabe 1_2016 unse- res Magazins „Impulse für die Wissenschaft“ ange- kommen. Ein Heft zum Schwerpunktthema „Meer“

– kein als solcher explizit formulierter Förderbe- reich der Stiftung, aber doch einer, der sich in vielen Projekten abbildet, wie wir festgestellt haben.

Dass „das Meer“ in seinen unzähligen Facetten in recht unterschiedlicher, überaus vielfältiger Weise Gegenstand von Forschung ist, überrascht letzt- lich kaum. Schließlich gibt es nicht umsonst das

Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung

Vorwort

Herausgeber VolkswagenStiftung Kastanienallee 35 30519 Hannover Telefon: +49 511 8381-0 Telefax: +49 511 8381-344

E-Mail: info@volkswagenstiftung.de www.volkswagenstiftung.de Vertreten durch

Kuratorium VolkswagenStiftung, vertreten durch den Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull

Redaktion (Text- und Schlussredaktion, Heftkonzept) Dr. Christian Jung (cj)

Bildredaktion Ina-Jasmin Kossatz

Kommunikation VolkswagenStiftung Jens Rehländer (Leitung)

Gestaltung

Medienteam-Samieske, Hannover Korrektorat

Cornelia Groterjahn, Hannover Druck

gutenberg beuys feindruckerei gmbh Hans-Böckler-Str. 52

Impressum

(3)

Rubriken

26

Kompakt: zum Schwerpunktthema

70

Spektrum: zur Wissenschaftsförderung

104

Forum Förderung: Auszeichnungen / Bewilligungen

152

Publikationen

158

Veranstaltungen

162

Die Stiftung im Netz

163

Die Stiftung in Kürze

166

Vorgestellt!

167

Impressum

Inhalt Küsten

32

Ein Recht auf Meer Wer vor Südafrikas Küste fischt, den regu- liert der Staat – gerade auch die „kleinen Fischer“. Und hier be- ginnen die Probleme …

42

Treibgut Mensch Umweltschäden und Klimawandel als An- lass für Migration? For- scher haben Menschen an Küsten Ghanas und Indonesiens befragt.

54

Herrscher der Meere Angsteinflößend, zer- störerisch, gefürchtet.

Aber auch: gute Kon- strukteure und geschick- te Händler. Ein Besuch bei den Wikingern.

Inseln

78

Inselleben im Zeitraffer Zwölf kleine Inseln entstehen vor der Insel Spiekeroog mitten im Wattenmeer: Wer besiedelt sie zuerst?

88

Eiland der Riesenmäuse Wie Tierarten auf Inseln in kurzer Zeit immer größer werden oder in wenigen Gene- rationen schrumpfen:

über Riesenwachstum und Inselverzwergung.

96

Inseln der Evolution Ein Blick in Kraterseen und zu Inseln, die eigentlich Berge sind.

Wie neue Arten entste- hen – ohne scheinbar triftigen Grund.

Kooperationsmodul Europaförderung Die Stiftung hat von

2013 bis Ende 2015 For- scher in den von der Wucht der Finanzkrise betroffenen Staaten Europas mit einem auf sie zuge- schnit- tenen.

Angebot unter-

stützt. Ziel war

in ihrem Heimatland auch unter schwierigen Bedingungen weiterhin substanziell Forschung zu ermöglichen. Vor-

aussetzung war die Anbindung eines

solchen Projekts an ein von der Stiftung bewil- ligtes Vorhaben.

Es wurden 21 dieser

„Kooperationsmodule

den Weg gebracht: elf in Spanien, sieben in Por- tugal, zwei in Griechen- land und eins in Irland – fünf davon finden Sie in diesem Heft vorgestellt.

Ein kleiner „Stempel“

macht darauf aufmerk- sam. Die Stiftung hofft, so einen bleibenden Bei- trag geleistet zu haben zum Erhalt der Vielfalt der Wissenschaftskultu-

Allianz für das Meer

Eine Fotoreportage ➞ S. 6-25

Ozeane 114

Ein Schiff muss zur Kur Ein Tag am Marine Sci- ence Center in Rostock- Warnemünde auf der Spur von Seehund, See- bär, Seelöwe und Sepia.

128

Mit der Sonne unterwegs Freie Fahrt für die neue SONNE, der Star in Deutschlands acht- zügiger Forschungs- flotte. Das schwim- mende Hightechlabor macht Furore.

140

Brise für die Steckdose Windräder oder deren Komponenten unter Offshorebedingungen prüfen: In Hannover eröffnete das Testzen- trum für Tragstrukturen.

Küsten Grob geschätzt leben weltweit über

zwei Milliarden Menschen an den Gestaden der Meere. Für sie verbin- det sich vieles mit dem Lebensraum

am Wasser. Die Meere vor ihrer Tür sichern Überleben und wirtschaft-

liche Existenz, sind Fluchtpunkt in ein neues Leben – bedrohen aber auch durch steigenden Wellenspiegel in Zeiten des Klimawandels. Und sie spucken immer mehr Müll aus.

Ein Landgang. ➞ Seiten 32-69

Ozeane

Das offene Meer ist der größte Lebensraum unserer Erde und einer, der noch viele Geheimnisse birgt. Die Ozeane beheimaten eine faszinierende Tier- und Pflanzenwelt und bieten uns Nahrung und Energie. Sie speichern große Men- gen Kohlendioxid und regeln das globale Klimasystem. Algenwolken sorgen als „grün-blaue Lunge“ für Sauerstoff in der Atmosphäre. Jeder fünfte unserer Inseln

Reif für die Insel? Dann nichts wie los. Aber nicht auf Urlaubs-, sondern auf Forschungsreise. Dorthin, wo Tiere übergroß werden, wo neue Arten entste- hen und Leben sich vom Wasser zum Land hin entwickelt und umgekehrt. In ihren Erzählungen bilden viele Inselvölker Eilande als hinter dem Horizont liegende Gärten Eden ab, als die wahren Paradiese der Erde mit unzähligen faszinierenden Lebewesen. An künstliche Inseln aus Metall haben sie dabei vermutlich nicht gedacht. Doch auch die gibt es. Eine Reise ins Unbekannte.

Seiten 78-103

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Allianz für das Meer

Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund. Hier treffen sich zwei Geschichten, die eigentlich nur eines verbindet: der Lebensraum Wasser, das Meer.

Die eine Geschichte erzählt davon, wie – oft vom

Menschen verursachte – Belastungen den größten

Meeresbewohnern vor unserer Küste zu schaffen

machen. Die andere beäugt Verwandtschaftsverhält-

nisse – unter Fischen. Eine Geschichte über die Qual

des Wals und das Silber des Meeres. Willkommen in

Stralsund – und an ein paar anderen Schauplätzen.

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Professorin Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo), bei einer Ausfahrt mit der „Seeeule“. Das Schiff liegt am Standort Büsum des Instituts vor Anker. Die Wissenschaft- ler suchen mit Klickdetektoren nach Schweinswalen. Das Gerät nimmt durch hochsensible Unterwassermikrofone die typischen Laute der Meeressäuger auf, verarbeitet und speichert diese.

Schweinswale nutzen zur Orientierung eine Art Sonar – eben jene Klicklaute, deren Echo sie wieder auffangen. Dessen Muster zeigt ihnen Beutefische an oder lässt sie Hindernisse erkennen.

Mitarbeiter des TiHo-Instituts beladen die „Seeeule“ mit dem Klickdetektor. Am Ende der Fahrt (rechts) warten bereits zwei neue Totfunde – eine Robbe und ein Schweinswal – im Büsumer Sektionsraum auf Ursula Siebert und ihr Team. Viele Tiere sterben als „Beifang“. Sie verheddern sich in den Maschen der in der Ost- see nach wie vor üblichen Stellnetzfischerei oder enden in soge- nannten Geisternetzen, die von Fischern aufgegeben wurden und noch jahrzehntelang im Meer treiben können. Die modernen Netze sind zudem aus solch feinem Nylongarn geknüpft, dass die Tiere sie weder sehen noch akustisch mit ihrem wichtigsten Orientierungssinn, der Echoortung, rechtzeitig wahrzunehmen in der Lage sind, da der Schall nicht ausreichend reflektiert wird.

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Mitarbeiterinnen des TiHo-Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtier- forschung im Sektionsraum am Standort Büsum. Die beiden toten Meeressäuger werden vor der Sektion zunächst gewaschen (oben). Dann entnehmen die Wissenschaft- ler verschiedene Gewebeproben (Mitte).

Ganz typisch für die Meeressäuger: das Fett- gewebe, hier eines Schweinswals (unten).

Vor allem dort lagern sich viele Schadstoffe und Umweltgifte ab und reichern sich an.

Auch Parasiten nisten sich ein, nach denen hier gerade gesucht wird.

Rechte Seite: TiHo-Mitarbeiterin Dr. Kristina Lehnert koordiniert das Forschungsvorhaben

„Meeressäuger in einer sich verändernden Umwelt“ mit sieben Projektpartnern an acht Hochschul- und Museumsstandorten. Hier sucht sie mit einem Binokular im Büsumer Sektionsraum nach Parasiten (oben). Im toten Seehund findet sie unter anderem einen Herzwurm; hier das „Korkenzieherende“ des Männchens (unten links). Unterdessen stellt Institutsdirektorin Ursula Siebert gerade Gewebeproben für weitergehende Analysen

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Linke Seite: An den toten Meeressäugern werden standardisierte Messungen vorge- nommen bis hin zum Körperumfang und zur Dicke der Fettschicht. Oben, links: ein Stück Fettgewebe eines Schweinswals und eine Schieblehre zur Bestimmung der Dicke des Gewebes. Unten: der Schädel einer Kegelrob- be. Ob aus Nord- oder Ostsee: Der Vergleich- barkeit halber konzentrieren sich die Forscher

des an Partnern reichen „Meeressäuger- Verbundprojekts“ auf Untersuchungen an ausgewählten Knochen, und zwar vor allem des Unterkiefers, vereinzelt aber auch auf Schädel, Brustbein, Becken- und Schulter- knochen (siehe auch Text ab Seite 20).

Schauplatzwechsel: hinüber an die Ostsee ans Deutsche Meeresmuseum (DMM) in Stralsund.

Drei engagierte Forscher diskutieren in der Trockensammlung des DMM über frisch iden- tifizierte Spuren an Knochen von Robben und Zahnwalen: Dr. Michael Dähne, Kurator für Meeressäugetiere; Anja Gallus, zuständig für das Schweinswal-Monitoring an der Ostsee – sowie Dr. Timo Moritz, Leiter Wissenschaft und Kurator für Fische (auch: mittleres Bild). Mit den drei Wissenschaftlern treffen hier in Stral-

sund im Deutschen Meeresmuseum auch die beiden von der Stiftung geförderten Projekte zu den Meeressäugern sowie zu möglichen Verwandtschaftsbeziehungen verschiedener Fischgruppen aufeinander. Unten: Blick in die Schausammlung auf Modelle von Delfinen.

Abbildungen nächste Doppelseite:

Von den Meeressäugern zu den Fischen:

Timo Moritz präsentiert die an Beständen reiche Sammlung konservierter Fische im Deutschen Meeresmuseum in Stralsund.

Einen Eishai, der für die Sammlung auf Dauer haltbar gemacht werden soll, übergießt er

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Die Bilder faszinieren: mit der Clearing-and-Double-Staining-Methode angefärbte Fische. Das Tier wird transparent gemacht;

Knochen und Knorpel werden mit spezifischen Farbstoffen gefärbt. Dazu benötigt man die beiden Lösungen Alcyanblau und Alizarinrot (oben). Darunter: Aufgehellte Fische werden dann in Glycerin aufbewahrt. Auch die Fische unten wurden so behan- delt (von links nach rechts): Western Galaxia (Galaxias occidentalis); junger Nagelrochen (Raja clavata); Schwarzkopf (Nor- michthys operosus); Süßwasser-Kugelfisch (Carinatetraodon travaricoricus); Stint (Osmerus eperlanus) mit Beute; junge Forelle (Salmo trutta). Bild rechts: Timo Moritz füttert mit Tochter Ylva und Doktorand Matthias Mertzen die Fische seiner Zucht.

Nächste Doppelseite: Während Timo Moritz sich auf die Morphologie der Fische konzentriert, übernimmt Projektpartner Dr. Nicolas Straube (linke Seite) von der Zoologischen Staatssammlung München die molekularbiologischen Analysen (hier ein Probenglas mit Stinten). Die Münchner Sammlung hält einen Großteil der benötigten Gewebeproben und viele der die Forscher interessierenden Fische konserviert vor – unten rechts ein Blick in die Sammlung karpfenartiger Fische.

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Ursula Sieberts Fazit aus jahrelanger facetten- reicher Forschung zu den Meeres säugern: „Den Schweinswalen in den heimischen Gewässern geht es nicht gut.“ Denn vieles, was für die Ostsee gilt, treffe – wenngleich abgeschwächt – auf die Nordsee ebenfalls zu. Und es sind nicht nur die Schweinswale, die leiden: Auch andere in Nord- und Ostsee lebende Meeressäuger sind gefährdet – Seehunde und Kegelrobben beispielsweise.

Meeressäuger in einer sich über die Jahrzehnte verändernden Umwelt

Damit ist der Rahmen gesteckt für das umfangreich angelegte Kooperationsvorhaben „Meeressäuger in einer sich verändernden Umwelt“, an dem sich unter Federführung von Ursula Siebert seit Mitte 2015 sieben Projektpartner an acht Hochschul- und Museumsstandorten beteiligen. Neben dem TiHo- Institut mit seinen beiden Standorten und dem Deutschen Meeresmuseum sind die Zoologischen Institute und Museen der Universitäten Hamburg und Kiel, die Universität Hildesheim sowie die beiden Naturkundemuseen in Kopenhagen, Däne- mark, und Stockholm, Schweden, eingebunden. Die Stiftung fördert das Vorhaben in der Initiative „For- schung in Museen“ mit 420.000 Euro.

Ist aber die bedrohte Tierwelt überhaupt ein The- ma für Museumsforscher? „Sicher“, antwortet Anja Gallus entschieden. Die Biologin ist seit 2010 für das Schweinswal-Monitoring an der Ostsee zuständig und koordiniert verschiedene Projekte zu den Meeressäugern. „Auch und gerade anhand von Sammlungsbeständen können wir im Blick über große Zeiträume Entwicklungen aufzeigen.“

Dr. Kristina Lehnert vom TiHo-Institut ergänzt:

„Die Projektpartner verfügen über einzigartige Sammlungen. Dazu gehören Skelette, gefrorene und in Formalin archivierte Materialien und Para- sitenproben der marinen Säugerspezies aus Nord- und Ostsee.“ Das Material wurde jahrzehntelang bewahrt und ergänzt. Eine einmalige Chance für die Wissenschaftler, denen diese Sammlungen unzählige vergleichende Analysen ermöglichen.

Was dort zu liegen kommt, schauen sich die Forscher genau an. Sie nutzen inzwischen stan- dardmäßig zum Beispiel computergestützte Rönt- genaufnahmen, untersuchen etwa den Gehörbe- reich von Schweinswalen und dabei explizit die Ohrknochen. Vor allem interessieren sie sich für Schäden, die im Verdacht stehen, durch Lärm ver- ursacht worden zu sein. „Im Innenohr werden die Schwingungen des Schalls auf winzige Haarzellen übertragen und dann als elektrisches Signal an das Gehirn weitergeleitet“, erläutert Professorin Dr. Ursula Siebert und verdeutlicht zugleich, wie leicht das überlebenswichtige und sensible Organ verletzt werden kann. Sind die Schwingungen zu stark, können sie das empfindliche Gewebe regelrecht zerstören. „Letztlich müssen wir in der Gesamtschau ganz klar festhalten, dass sich Schä- den und Veränderungen am Hörapparat in den vergangenen Jahren in einem weit höheren Maße fanden als erwartet“, betont die Biologin.

Insgesamt stellten die TiHo-Forscher fest, dass der Gesundheitszustand vor allem jener in der Ost- see lebenden Schweinswale deutlich schlechter ist im Vergleich zu den Artgenossen in anderen Weltmeeren. Der Schweinswal ist der typische Wal der deutschen Gewässer und ihrer Anrainer und die einzige in der Ostsee heimische Walart. „Die Untersuchungen an rund tausend dieser toten Meeressäuger belegen, dass die Tiere häufiger an Lungenentzündung, Störungen des Hormon- und Immunsystems und Parasitenbefall leiden als Schweinswale anderswo“, bündelt Siebert zehn Jahre intensiver Forschung. Sie erklärt dies mit einer übermäßig starken Belastung und Nutzung des Meeres. Faktoren wie eine zunehmende Schad- stoffanreicherung und Verschmutzung der Meere, Öl-Havarien und Erdölförderung, die Erwärmung der Meere, Gefahren durch die Fischereimethoden ebenso wie der Rückgang der Beutetiere aufgrund von Überfischung, stetig zunehmender Schiffsver- kehr, Lärmverschmutzung, der Bau von Windparks, seismische und militärische Aktivitäten und in die- sem Kontext auch die Anreicherung schwer abbau- barer Schadstoffe aus der Chemie im Meerwasser:

Die akuten Bedrohungen tragen viele Namen.

ber tausend tote Schweinswale habe sie bestimmt schon vor sich auf dem Untersuchungs- tisch liegen gehabt. „Und dabei vieles gesehen, was beunruhigt.“ Ursula Siebert blättert im Schnell- durchgang die Ergebnisse jahrelanger Forschung auf, während sie sich in ihrem Institut in Büsum auf eine weitere Sektion eines tot angelieferten Meeressäugers vorbereitet. Die Direktorin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wild- tierforschung der Tierärztlichen Hochschule Han- nover (TiHo) schüttelt leicht sorgenvoll den Kopf bei der Erinnerung daran, wie viele gestrandete und „beigefangene“, also durch Fischerei getötete Schweinswale bei ihr und ihrem Team im vergan- genen Jahrzehnt auf dem Seziertisch gelandet sind.

Nach der Sektion ist vor der Sektion: Ursula Siebert ist viel gefragt und viel unterwegs – und das nicht nur, weil das von ihr geleitete TiHo-Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung mit Hannover und Büsum an der Nordsee zwei Standorte hat.

Ü

„Ziel ist es unter anderem zu erfassen, wie stark die Belastung der Tierbestände durch die verschie- denen Stressoren ist“, erläutert Dr. Michael Dähne, seit Herbst 2015 Kurator für Meeressäugetiere am Deutschen Meeresmuseum Stralsund. „Der Vergleichbarkeit halber konzentrieren wir uns mit den anderen Museumspartnern im Verbund auf Untersuchungen ausgewählter Knochen, und zwar vor allem auf Unterkieferknochen, vereinzelt ziehen wir aber wohl auch Schädel, Brustbein, Becken- und Schulterknochen für Analysen hinzu.“

„Wir versprechen uns dabei viel vom Einsatz neuer Untersuchungsmethoden“, übernimmt Kristina Lehnert wieder. Bei der Mitarbeiterin von TiHo- Institutschefin Ursula Siebert laufen die Fäden der vielgliedrigen Kooperation zusammen.

„In Kombination mit dem sehr facettenreich vor- handenen Fachwissen durch die zahlreichen Part- ner im Verbund sollte es im Ergebnis möglich sein, die Belastungen, denen Schweinswale, Seehunde und Kegelrobben über den betrachteten Zeitraum ausgesetzt waren und sind, differenziert zu analy- sieren“, ergänzt Gallus. „Ganz konkret wollen wir herausarbeiten, wie sich der Gesundheitsstatus, die Zusammensetzung der Nahrung sowie die Belastung mit Schadstoffen beziehungsweise mit Parasiten oder Viren bei den drei Säugetierarten in Nord- und Ostsee unterscheiden – und zwar sowohl zwischen den drei Arten als auch bei ein und derselben Art im Abgleich über die Jahrzehn- te“, fasst Dr. Kristina Lehnert zusammen.

Text: Christian Jung // Fotos: Daniel Pilar

In Kerteminde, Dänemark, beschäftigen sich Wissen- schaftler auch mit leben- den Schweinswalen; der einzige Standort an der Ostsee, an dem mit den Meeressäugern gearbeitet wird. Dr. Jörg Driver sehen wir hier bei audiometri- schen Untersuchungen.

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Krankheitserreger detektieren lassen – im Opti- malfall auch in der Rückblende. Ebenso lasse sich aus Ergebnissen modernen Methodeneinsatzes ableiten, welche Auswirkungen bestimmte che- mische Schadstoffe auf den Gesundheitszustand mariner Säuger gehabt hätten. „Hinzu kommen Experten wie die Kollegen von der Universität Hil- desheim, die in der Lage sind, anhand von Knochen und Zahnmaterial Rückschlüsse auf die Umwelt- einflüsse und das Nahrungsangebot zu ziehen und die morphologische Stressmarker im Zahnschmelz zu analysieren vermögen“, sagt Siebert.

Ursula Siebert fasst zusammen: „Am Ende des Pro- jekts werden wir hoffentlich aus den Ergebnissen so viele Erkenntnisse destillieren, dass wir klare Aussagen machen können über den Gesundheits- zustand unserer marinen Säugetiere, wie er sich über eine längere Zeitspanne darstellt. Und viel- leicht gelingt es sogar, Entwicklungsszenarien auf- zuzeigen.“ Die Ergebnisse und Interessantes mehr sollen am Ende als Wanderausstellung aufbereitet in den beteiligten Museen gezeigt werden. Insge- heim hofft man, dass solch eine Schau nicht nur angedacht verharrt, sondern denkwürdig wird und so viel Aufmerksamkeit erfährt, dass andere Anrai- ner von Nord- und Ostsee ihr Interesse bekunden.

Hering, Lachs und Karpfen – alte Bekannte mit unbekannter Verwandtschaft

Eine Ausstellung am Ende des Projekts: Da be- kommt auch Dr. Timo Moritz leuchtende Augen.

Und das versteht man sofort, sieht man all die Bilder von transparent gemachten und angefärb- ten Fischen. Der Biologe ist der Kopf des zweiten Projekts, dessen Herz nun unzweifelhaft im Deut- schen Meeresmuseum in Stralsund schlägt. Dort beschäftigt sich der Leiter Wissenschaft und Kura- tor für Fische am DMM mit drei alten Bekannten, denen er eine mögliche, bislang jedenfalls unge- klärte Verwandtschaft nachsagt: Hering, Lachs und Karpfen. Auf den ersten Blick scheint es dem flüchtigen Betrachter so, als hätten diese Fische – zumal teils in Salz-, teils in Süßwasser beheimatet

– so gar nichts miteinander zu tun. Außer, nun ja, dass man als Fischesser sie wohl alle drei schon mal auf dem Teller hatte. Und dass sich mit jedem von ihnen auch jenseits der Wissenschaft für viele etwas Besonderes verbindet: mit dem Karpfen der Jahreswechsel, mit dem Lachs der mühsam erscheinende Fortpflanzungsreigen – und der Hering, der galt eh gemeinhin lange Zeit als König der Fische; wurde jahrhundertelang mit Gold auf- gewogen, nährte als Silber des Meeres die Massen, begründete Handelsimperien, löste Kriege aus und inspirierte Künstler und eben Köche.

Greifen wir kurz den Hering heraus, über den Timo Moritz auch am meisten erzählt: „Der Hering an sich, oder vor allem auch die ganzen Heringsver- wandten wie Sardellen, Sprotten und andere mehr, sind extrem wichtig für die Nahrungskette im Meer, nicht zuletzt, weil sie in großen Mengen vor- kommen. Sie sind wichtige Nahrungsfische nicht nur für uns, sondern auch für Seevögel und Meeres- säuger.“ Je mehr man also über den Hering und sei- ne – möglichen – Verwandten wisse, umso besser.

Neben Sprotte und Sardelle zählen außerdem die mittelmeertypische Sardine, die Finte oder der Maifisch, der Wolfshering und weitere Arten zur Familie der Heringe. Der Hering selbst ernährt sich überwiegend von Plankton, kleinen Krebstie-

ren und Fischlarven. Typisch für den 30 bis 40 cm langen Fisch ist sein eher schlichtes Erscheinungs- bild in schillerndem Schuppenkleid. Einmal pro Jahr laicht er: Je nach Art im Frühjahr, im Sommer oder im Herbst. Die Eier, 20.000 bis 50.000 an der Zahl, legt das Heringsweibchen in küstennahen, wärmeren Gewässern ab. Die zu erreichen, über- windet der Hering in riesigen Schwärmen – und das erinnert an den Lachs – unglaubliche Distan- zen: bis zu 4.000 Seemeilen liegen zwischen den Fressplätzen im Nordatlantik und den Laich- und Überwinterungsplätzen in der Nordsee.

„Im Schwarm ist er durch seinen besonders gut ausgeprägten Hör- und Sehsinn in Gefahren- situationen in der Lage, Fressfeinde rechtzeitig zu erkennen, und durch eine besondere Art der akustischen Kommunikation hat er eine Chance, der Bedrohung auszuweichen“, erläutert Moritz und macht auf eine Besonderheit aufmerksam:

„Ganz typisch für die ganzen Heringsverwand- ten ist, dass sie eine Verbindung zwischen ihrer Schwimmblase und dem Innenohr haben – und darüber kann der Hering sehr gut hören.“ Die Fische kommunizieren auch untereinander, machen Geräusche. Man nimmt an, dass das vor allem in der Nacht wichtig ist, um den Schwarm zusammenzuhalten, oder generell, um sich gegen- seitig etwa vor Räubern zu warnen.

Vier für die Meere: Michael Dähne, Anja Gallus und Timo Moritz vom Deutschen Meeresmuseum Stralsund – und Ursula Siebert Auch Wissenschaftler der Uni-

versität Hildesheim steuern beim Meeressäuger-Projekt ihre Expertise bei: Sie identi- fizieren kleinste Schäden an Knochen und Zahnmaterial bis in den Zahnschmelz hinein und sind in der Lage, Rückschlüsse zu ziehen auf Umwelteinflüsse und Nah- rungsangebot. Die Schäden im Zahnschmelz der Backen- zähne eines Hausschweins (oben) beziehungsweise Wild- schweins (unten) sind hier ausgesprochen markant und gut zu erkennen.

Im Detail geplanter Untersuchungen sieht das dann so aus: Die Wissenschaftler werden an Präparaten aus mehreren Jahrzehnten zunächst Knochendichte und Knochenstruktur vergleichend analysieren. Knochen und Fell untersuchen sie auf Spurenelemente und Schwermetalle; wo es das Material hergibt aber auch auf Verletzungen, Ver- änderungen oder sonstige Auffälligkeiten. Stan- dardmäßig testen sie auf Gifte und Umweltschad- stoffe wie beispielsweise Quecksilber, Blei und Selen. Weiter schauen sie nach Veränderungen im Nahrungsspektrum und suchen nach Anzeichen dafür, ob und inwieweit sich die Umweltbedin- gungen im Laufe der Zeit geändert haben. Ferner gilt das Interesse Krankheitserregern: Gelingt es womöglich, Viren nachzuweisen? Wie differenziert lassen sich Parasiten in den Präparaten der drei Säugetierarten über die Jahrzehnte kategorisieren?

„Jeder trägt sein spezifisches Know-how bei“, sagt Kristina Lehnert: etwa über neueste mole- kularbiologische und morphologische Techniken oder moderne Analytik, mit deren Hilfe sich sogar

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an entwickelt. „Oft ist die Organisation des Skelett- apparates und von Muskulatur und Nervensystem gerade in den frühen Entwicklungsstadien besser vergleichbar als im Laufe der allmählich fortschrei- tenden Differenzierung“, sagt Moritz. „Damit liefert die Ontogenese häufig erste gute Hinweise über echte oder aber auch bis dato gegebenenfalls falsch angenommene Verwandtschaftsverhältnisse.“

Für den Vergleich über die Entwicklungsstadien hinweg kommt Moritz dabei die umfangreiche Fischsammlung des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund zugute sowie zur selektiven Fischzucht sein eigener „Forschungsaquarienraum“.

Interessant ist die Kombination des Methoden- arsenals, das den morphologischen Ansatz grun- diert: Moritz arbeitet mit Aufhellpräparaten, Anti- körperfärbungen und CT-Scans. Das Spannendste vorweg: die Clearing-and-Double-Staining-Methode zur Untersuchung von Skelett, also Knochen- und Knorpelelementen bei Wirbeltieren (siehe Fotos auf den Seiten 16/17). Dabei wird das Tier transparent gemacht, Knochen und Knorpel werden jedoch mit spezifischen Farbstoffen gefärbt. „So lassen sich selbst kleinste Skelettelemente von Fischlarven untersuchen und somit Strukturen in ihrer Ent- wicklung“, bringt es Moritz auf den Punkt.

Weitere Erkenntnisse liefert die Antikörperfär- bung. „Inzwischen können wir in kleinsten Fischen und Fischlarven Muskel-, Knorpel- oder Nerven- gewebe mithilfe von Antikörpern untersuchen“, erläutert der Biologe. „Ohne dass wir zeitaufwän- dig Schnittserien anfertigen.“ Über das Verfahren lassen sich spezifisch bestimmte Merkmalskom- plexe betrachten. Hier profitiert das Projekt von der Erfahrung der Arbeitsgruppe um Dr. Lennart Olsson vom Phyletischen Museum der Universität Jena. Ebenso ist man dort versiert in computer- tomografischen Scans und 3-D-Rekonstruktionen.

Diese Techniken kommen zum Einsatz, um gleichermaßen Hartsubstanzen wie Knochen darzustellen oder auch Muskelstränge, also Weich- gewebe. „Diese Methode, bei der ja kein Material beschädigt wird, nutzen wir vor allem, um seltene Exemplare zu untersuchen“, betont Moritz.

Solch ein Heringsgeräusch kann ohne Unter- brechung bis zu zehn Sekunden andauern und ist immerhin noch in zehn Metern Entfernung wahrnehmbar, auch vom menschlichen Ohr. Aller- dings gelang es lange Zeit nicht, diese Laute zu erkennen und zuzuordnen. Statt dessen hielt man sie in Schweden sogar für Geräusche sowjetischer Atom-U-Boote. Erst in den 1960er Jahren gelangen Forschern in unmittelbarer Nähe großer Herings- schwärme Unterwassertonaufnahmen des von Seeleuten so bezeichneten Heringsfurzens.

Heringslaute, Verbindung zwischen der Schwimm- blase und dem Innenohr: Sind hier Spezifika erkennbar, die helfen könnten, die nächsten Ver- wandten des Herings auszumachen und unter Umständen auch den Bogen Richtung Lachs und Karpfen zu schlagen? Den generellen gedankli- chen Ansatz kann Timo Moritz verstehen, sein Projekt ist aber doch etwas anders angelegt.

Die Kombination von Morphologie und Moleku- larbiologie: Viele Methoden wirken zusammen

„Das Problem bei der Aufklärung von Verwandt- schaftsbeziehungen ist, dass man sich leicht täu- schen kann“, sagt Moritz. „Zum einen sagt die blo- ße Sequenzanalyse von Abschnitten des Genoms mehrerer betrachteter Spezies im Vergleich allein zu wenig aus. Zum anderen können sich bei ähnli- cher Lebensweise ähnliche Merkmale ausprägen, die zwei Tierarten fälschlicherweise als näher miteinander verwandt erscheinen lassen.“ Moritz umschifft diese Untiefen, indem er zwei Ansätze kombiniert: Er bringt morphologische und moleku- larbiologische Methoden zusammen. Das überzeu- gende Potpourri an Verfahren und Analysen und die valide Wissenschaft dahinter mündeten unmit- telbar in eine Förderung der Stiftung über 550.000 Euro in der Initiative „Forschung in Museen“.

Weg Nummer eins der Annäherung erfolgt über die Morphologie mittels vergleichender Ontoge- nese. Moritz betrachtet also, wie sich der einzelne Organismus quasi vom Stadium weniger Zellen

Der zweite Weg führt über molekularbiologi- sche Methoden Richtung Ziel. Durch eine neue Next Generation Sequencing-Technik lassen sich geeignete Gene des Zellkerns in großem Umfang auf gewünschte, passgenaue Weise analysieren.

Voraussetzung für den Einsatz dieser Technik ist es, hochqualitative DNA der zu untersuchenden Arten in Händen zu halten. Hier kommt die Exper- tise von Moritz’ Hauptprojektpartner Dr. Nicolas Straube von der Zoologischen Staatssammlung München zum Tragen. Der Biologe, der gerade erst von einem längeren wissenschaftlichen USA-Auf- enthalt am College of Charleston nach Deutsch- land zurückgekehrt ist, beherrscht zum einen die Technik, zum anderen steht an seiner Wirkstätte ein Großteil der benötigten Gewebeproben bereit.

Ursprünglich umfasste das Set der für die moleku- largenetische Fragestellung zu sequenzierenden und analysierenden Gene etwa 1200 Kandidaten.

Das Know-how und die technischen Möglich- keiten von Kooperationspartner Professor Dr.

Chenhong Li von der Shanghai Ocean University

führten jedoch dazu, dass inzwischen über 14.000 Kandidatengene im Kontext der Verwandtschafts- analysen für weitergehende Betrachtungen inter- essant erschienen. Die Analysen laufen.

Schauen wir abschließend aber noch einmal auf den Hering. Faszinierend an ihm ist nicht nur die besondere Art und Weise sich zu verständigen – Vergleichbares kennt man bei Meeresbewohnern bislang nur von hoch spezialisierten Arten wie Walen und Delfinen. Auch die Erscheinung der riesigen Heringsschwärme ist ein einzigartiges Naturschauspiel. Denn obwohl der einzelne Fisch eher unscheinbar aussieht: In der Masse ist die Wirkung der unzähligen glänzenden Schuppen, die je nach Einfall des Sonnenlichtes in einem Spek- trum von stahlblau bis violett schimmern, äußerst beeindruckend. Die riesigen, das Mondlicht reflek- tierenden Schwärme vor den Küsten kündigten den Fischern von jeher den Beginn der Fangsaison an. Doch der schillernde Glanz des Herings ist nicht für den Menschen gemacht, sondern einzig Zauber des Fisches und allein ihm zu eigen. 

Blick auf das Ozeaneum, den neuesten Standort des Deutschen Meeres- museums in Stralsund, im Oktober 2010

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Nachrichten

zum Schwerpunktthema

„Ins Blaue hinein“

Lichtenberg-Professor Georg Pohnert

von der Universität Jena neuer Max Planck Fellow

Wie organisieren sich Einzeller im Meer, und wie beeinflussen sie sich gegenseitig?

Zur chemischen Ökologie von Planktongemeinschaften und Algenpopulationen forscht Georg Pohnert – künftig auch am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

Professor Dr. Georg Pohnert, Inhaber des Lehr- stuhls für Instrumentelle Analytik an der Fried- rich-Schiller-Universität Jena, wurde zum Max Planck Fellow ernannt. Mit dem 2005 ins Leben gerufenen Fellow-Programm soll die Zusammen- arbeit zwischen exzellenten Wissenschaftlern der Max-Planck-Gesellschaft und an Hochschulen gefördert werden. Der mit einer Lichtenberg- Professur der VolkswagenStiftung ausgestattete Forscher erhält damit für zunächst fünf Jahre die Möglichkeit, als Leiter einer Arbeitsgruppe am Jenaer Max-Planck-Institut für chemische Öko- logie (MPI-CE) mit dem Status eines Gastwissen- schaftlers eigenständig zu forschen.

Pohnerts Interesse gilt der chemischen Ökologie von Planktongemeinschaften. Mit diesem Begriff fasst man die zahlreichen, in Ozeanen und Seen frei schwebenden, oft mikroskopisch kleinen Organismen zusammen. Wenn Algenpopula- tionen „blühen“, können sie riesige Teppiche im Meer ausbilden. Das komplexe Gebilde vieler mit- einander in Wechselwirkung stehender winziger Lebewesen ist dabei hochdynamisch und ändert sich permanent. Man könnte diese Gemeinschaft als eine Art „Superorganismus“ verstehen. Bereits die einzelnen Zellen scheinen sich individuell von den anderen zu unterscheiden. Sicher ist, dass sie mithilfe chemischer Verbindungen miteinander kommunizieren und interagieren können. Das gilt unter anderem für durch Pheromone ausgelöste sexuelle Fortpflanzung, Räuber-Beute-Beziehungen oder die natürliche Regulierung bei mikrobiellen Infektionen.

Die Arbeitsgruppe um Georg Pohnert untersucht nun, wie heterogen Algenpopulationen sind und wie sich die chemischen Eigenschaften einzelner Zellen auf die Wechselwirkungen innerhalb von ganzen Populationen auswirken. Dazu nutzt sie unter anderem neueste bildgebende Verfahren der Massenspektrometrie, um chemische Profile für einzelne Zellen zu erstellen. Pohnert greift dabei auf seine Erfahrungen bei der Gewinnung und Manipulation solcher Zellkulturen zurück und verbindet dieses Know-how mit den Mög- lichkeiten, die das Max-Planck-Institut bietet. Die chemische Charakterisierung einzelner Zellen bil- det die Grundlage für weitergehende ökologische Untersuchungen wie beispielsweise Experimente mit markierten Zellen im Mesokosmos – einer Art künstlicher und vereinfachter Umwelt, in der sich das Schicksal dieser Zellen innerhalb einer Plank- tongemeinschaft genau verfolgen lässt.

Der Chemiker Georg Pohnert befasste sich bereits in seiner Doktorarbeit mit der Pheromonchemie von Braunalgen. Nach einer Postdoc-Zeit in den USA untersuchte er von 1999 bis 2005 als Leiter einer Max-Planck-Nachwuchsgruppe die dyna- mischen Verteidigungsprozesse von Algen, folgte dann einem Ruf an die ETH in Lausanne, bevor er als Lichtenberg-Professor nach Jena wechselte. Er erhielt zahlreiche renommierte Auszeichnungen.

Zur Forschung von Georg Pohnert siehe auch das daran angebundene „Europa-Modulprojekt“

auf der nächsten Seite.

Christian Jung

Kompakt

Der Chemiker Georg Pohnert (oben) vom Institut für Anorga- nische und Analytische

Chemie der Univer- sität Jena überprüft Algenkulturen, die in einem speziellen Con- tainer der Einrichtung gehalten werden. Der Lichtenberg-Professor hat gemeinsam mit seinem Team und Kollegen der Univer- sität Gent in Belgien aufgeklärt, wie bei Kie-

selalgen die Einzeller miteinander wech- selwirken und welche chemischen Prozesse dabei eine Rolle spie- len. Algen sind Teil der Planktongemeinschaf-

ten unserer Meere (mittlere Bildleiste:

zwei Planktonproben);

unten: Mitarbeiter Dr. Thomas Wichard forscht am „Meersalat“

(Ulva lactuca), einer mehrzelligen Grünalge, die besonders viele Spurenelemente und

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Zahlreiche Tiere im Meer leben vergesellschaftet mit Mikroorganismen – in sogenannter Symbio- se. Korallen etwa beherbergen Algen, die ihren Wirt mit wichtigen Nährstoffen versorgen. Auch Schwämme – sie gelten als frühe Entwicklungs- form der Vielzeller – enthalten große Mengen an Mikroorganismen in ihrem Gewebe, die bis zu 40 Prozent der Biomasse ausmachen können.

Schwämme kommen in allen Meeresgewässern der Erde vor, nur wenige Arten allerdings im Süßwasser. Über das Zusammenleben mit ihren Untermietern sowie beider Abhängigkeiten von- einander ist kaum etwas bekannt.

Das will Rodrigo da Silva Costa vom Zentrum für Meereswissenschaften der Universidade do Algarve in Portugal ändern. Sein „Europa-Modul- projekt“ adressiert die chemische Kommunika- tion zwischen marinen Schwämmen und ihren

Symbionten. Vor allem die sogenannte Chemo- taxis, inwieweit also die Fortbewegung von

Lebewesen oder Zellen in Richtung auf höhere oder niedrigere Konzentrationen eines Stoffes beeinflusst wird, sowie das Quorum Sensing will

Die zunehmende Ansammlung von Plastik in den Weltmeeren ist eines der größten ökologischen Probleme unserer Zeit. Zuletzt landeten jährlich nach Schätzungen über 30 Millionen Tonnen davon im Meer – Tendenz weiter steigend. Viele Kunststoffe sind erst nach mehr als hundert Jah- ren zersetzt, und die dann verbleibenden feinsten Nanopartikel treiben umher und sammeln sich in bestimmten Zonen der Ozeane an. Lässt sich gerade ein neues Phänomen beobachten – die Ent- stehung von Plastik-Naturen-Kulturen?

Diese Frage stellt Dr. Sven Bergmann, der Ende 2015 mit einer darauf aufsetzenden Projektidee einer jener war, die erfolgreich aus der ersten Wettbewerbsrunde der neuen Förderinitiative

„Originalitätsverdacht?“ der Stiftung hervorgin- gen. Er unterfüttert die Frage mit einem inter- essanten Ansatz: „Wenn Hinterlassenschaften des Menschen wie etwa der Kunststoffmüll dazu führen, dass – wie neuere Forschung zeigt – in den Ozeanen durch und mit Plastik neue Ökosysteme und Lebensformen entstehen, dann stellt dies die Kategorien und die Unterscheidung von Natur Als Quorum Sensing wird die Fähigkeit von Einzel-

lern bezeichnet, über chemische Kommunikation die Zelldichte der Population messen zu können.

Sie erlaubt es den Zellen einer Lösung, spezifische Gene nur dann zu aktivieren, wenn eine bestimm- te Zelldichte über- oder unterschritten wird – ein junges, ausgesprochen spannendes Forschungs- feld, auf dem sich der portugiesische Wissen- schaftler bereits anerkannt bewegt. Sein Vorha- ben ist damit gut in das übergreifende Thema der Lichtenberg-Professur von Georg Pohnert einge- bettet, greift aber ein neues Modellsystem auf.

Mit der Fülle ihrer Naturstoffe stellen Meeres- makroorganismen wie Schwämme ebenso wie Mikroorganismen ein gewaltiges Reservoir für technologische und medizinische Anwendungen dar. Die große Vielfalt an biologischen Aktivitäten jedenfalls und das Wissen darüber, dass in mari- nen Entwicklungsprozessen Jahrmillionen an evo- lutiven Prozessen zur Entstehung hochwirksamer Substanzen geführt haben, machen für Pohnert wie da Silva Costa die Faszination der interdiszipli- nären Forschungsgebiete Marine Chemie, Mikro-

Im Kampf ums Überleben haben Schwämme (hier:

Spongia Azores) verschiedene Verteidigungsstrategien aus- gebildet; etwa das Ausschei- den wachstumshemmender oder toxischer Substanzen.

Die Naturstoffe dieser „chemi- schen Kriegsführung“ haben sich für pharmakologische, medizinische und (bio)tech- nologische Anwendungen als wertvoll herausgestellt.

Plastikkonglomerate: eine neue Lebensform?

Ein junger Forscher begibt sich auf die Suche

Was geschieht, wenn der Mensch durch seine Hinterlassenschaften zum größten Verur- sacher atmosphärischer, geologischer und biologischer Veränderungen auf der Erde wird … ? – Die Stiftung bewilligt erste Projekte in der Initiative „Originalitätsverdacht?“.

Kompakt Schwerpunktthema

„Ins Blaue hinein“

Die Plastikpest: ein Problem globalen Ausmaßes. Forscher suchen nach Wegen, den in den Weltmeeren flottierenden Müll in den Griff zu bekommen.

Im Jahr 2014 hat die Stiftung mit „Originalitätsverdacht?“

eine weitere themenoffene Small Grants-Förderinitiative auf den Weg gebracht mit Fokus auf den Geistes- und Kulturwissen- schaften. Die Initiative hält zwei Förderlinien bereit: „Komm! ins Offene …“ bietet dem einzelnen Forscher die Gelegenheit, ein The- ma explorierend zu bearbeiten und in einem Essay oder Traktat darzulegen. Förderlinie 2 „Konstellationen“ soll es kleinen Projekt- teams ermöglichen, die Tragfähigkeit einer neuen Forschungsidee einen Sozial- und Kulturwissenschaftler wie ihn

dazu heraus, einen neuen analytischen Umgang mit diesen hybriden Gegenständen zu finden.

Was also steht auf dem Spiel, wenn die Konzentra- tion von Plastik im Salz- wie im Süßwasser immer mehr steigt? Das ist es im Detail, was ihn bewegt und interessiert. Zur Beantwortung dieser Fragen bedient er sich aus der Werkzeugkiste sozialan- thropologischer und ethnografischer Methoden.

Zudem biete der „Forschungsgegenstand Plastik“

die Möglichkeit, auch unerwartete Akteurskon- stellationen, Bezüge und Beziehungen sowie Abzweigungen in den Blick zu nehmen.

i

Schwamm drüber – oder: Wie „kommunizieren“

diese Tiere mit ihren einzelligen „Mitbewohnern“?

Auf der Suche nach Naturstoffen als Grundlage möglicher Therapeutika:

Rodrigo da Silva Costa vom Zentrum für Meereswissenschaften der Algarve-Universität

in Portugal forscht mit einem „Kooperationsmodul Europaförderung“ der Stiftung.

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Manche Tierarten besiedeln als Einzelgänger Territorien enormen Ausmaßes und treffen Artgenossen sehr selten. Wieder andere leben in großen Herden oder Schwärmen auf engem Raum. Manche brüten in Kolonien dicht an dicht;

insbesondere auf Inseln oder an felsigen Küsten.

Einige Arten wiederum sind sozial monogam und wechseln selten den Partner, während andere sich mit vielen verschiedenen Partnern fortpflanzen.

Dr. Julia Schroeder vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in See wiesen und Dr. Jordi Figuerola vom Department of Wetland Ecology des spani- schen Nationalparks Donana interessierte nun, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der Sozial- struktur und der Häufigkeit, mit der Krankheitser- reger von einem Tier auf ein anderes übertragen werden. Ihre Untersuchungsobjekte: vier Arten von Regenpfeiffern, die in unterschiedlich organi-

sierten Sozialverbänden leben – in zwei Regionen Südspaniens, auf den Kapverdischen Inseln und

an der Küste Mexikos. Aktuell integrieren sie in das Untersuchungssample des deutsch-spani- schen „Europamodul-Kooperationsvorhabens“

noch eine Population der Kanarischen Inseln.

Julia Schroeder wies unlängst an Spatzen-Nachkommen auf einer kleinen Insel vor der Südwestküste Englands den Lansing-Effekt nach (s. Impulse, 2015_2; Seite 46).

Zehn Jahre lang beobachtete sie die Vögel auf dem 19 Kilometer entfernt vom Festland gelegenen Eiland.

Inselleben – oder: Wie beeinflusst das soziale Miteinander die Übertragung von Krankheiten?

Dr. Julia Schroeder vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und der spanische Forscher Dr. Jordi Figuerola liefern wichtige Erkenntnisse zum Verständnis der Übertragung von Infektionskrankheiten bei Vögeln – weiteres „Europa-Kooperationsmodul“.

Kompakt Schwerpunktthema

„Ins Blaue hinein“

Vor Ort sammelten die Forscher Vogelkot und nahmen Blutproben, die sie dann auf fünf ver- schiedene Erreger testeten: Salmonellen und Plas- modien ebenso wie Campylobacter, Chlamydia, Haemoproteus. Die Werte von vielen Hundert Vögeln haben sie bereits erfasst, und es zeigte sich zunächst grundlegend, dass Salmonellen, Chla- mydien und Campylobacter unerwartet häufig vorkommen. Zurzeit laufen detaillierte moleku- larbiologische Tests. Parallel holte Julia Schroeder Kollegen der Universität in Sheffield, Großbritan- nien, mit ins Boot. Jene übernehmen die Geno- typisierungen und genetisch fundierten Analysen des Materials Tausender Vögel. Aus den so ermit- telten Verwandtschaftsgraden der Tiere lässt sich auf die Sozialstruktur rückschließen.

Die Evolutionsbiologin hat reichlich Erfahrung mit solchen Forschungsansätzen und -kontexten. Im Frühjahr 2015 (s. Impulse, 2015_2; Seite 46) machte Julia Schroeder mit einer Veröffentlichung auf sich aufmerksam, als sie erstmals bei wildleben- den Wirbeltieren den „Lansing-Effekt“ nachwies, demzufolge Kinder älterer Eltern vergleichsweise weniger Nachkommen haben und oft kürzer leben.

Wie schaffen es Zugvögel, ihren Weg zu finden?

Damit befasst sich schon seit mehr als einem Jahrzehnt der von der VolkswagenStiftung im Rahmen einer Lichtenberg-Professur geförderte Biologe Dr. Henrik Mouritsen, Direktor des Insti- tuts für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg. Nach und nach kommt seine Arbeitsgruppe den vielen Geheimnissen hinter dem perfekten Navigationsvermögen der Vögel auf die Spur.

So fanden sie bisher bereits heraus: Zugvögel ori- entieren sich unter anderem an den Feldlinien des Erdmagnetfelds, die an den Polen senkrecht zur Erdoberfläche stehen und am Äquator fast paral- lel sind. Diese können sie wahrnehmen und wis- sen so ziemlich genau, auf welchem Breitengrad sie sich gerade befinden und wohin sie fliegen.

Außerdem nutzen sie den Stand der Sonne, um sich zu orientieren. Und bei Nachtflügen ist das Sternenbild eine wichtige Navigationshilfe. All diese Fähigkeiten entwickeln Rotkehlchen bereits in ihren ersten Lebensmonaten und bauen sich daraus ihren nahezu perfekten Orientierungssinn für ihren Flug im Herbst zusammen.

Doch was ist mit Jungvögeln, die den Himmel gar nicht sehen können, weil sie beispielsweise wegen einer Verletzung in einem geschlossenen Raum gepflegt werden? Haben Sie die Chance verpasst?

Davon ist die Wissenschaft bisher ausgegangen. In mehreren Experimenten mit Rotkehlchen haben Mouritsens Doktoranden Bianca Alert und Andreas Michalik herausgefunden, dass dies nicht immer der Fall ist. Zugvögel können das Navigieren auch später noch lernen – selbst dann, wenn sie im ersten Lebensjahr keine Sterne gesehen haben.

Ihren Studien zufolge ist die Fähigkeit von Zug- vögeln, ein Navigationsvermögen aufzubauen, zeitlich weitaus flexibler angelegt als bisher gedacht. Wie lange nachträglich, wie groß also das Zeitfenster dafür ist: Das ist noch unklar. Damit haben ausgewilderte Vögel eine bessere Chance zu überleben. Die Ergebnisse wurden online in den Scientific Reports der „Nature“-Verlagsgruppe veröffentlicht (Scientific Reports 5, Article number:

14323 (2015)).

Link zur Publikation:

www.nature.com/articles/srep14323.

Auch sie finden den Weg über das Meer: Zugvögel können das Navigieren noch nachträglich lernen

Zweite Chance im Leben – oder: Ich bin dann jetzt doch mal weg! Forscherinnen und Forscher der Universität Oldenburg um Lichtenberg-Professor Dr. Henrik Mouritsen verblüffen mit weiteren Erkenntnissen über den Orientierungssinn von Rotkehlchen.

Er löst mit seinem Team ein Geheimnis nach dem nächsten zum Navigationsvermögen von Zugvögeln: Lichtenberg-Professor Dr. Henrik Mouritsen. Am Beispiel von Rotkehlchen zeigte er jetzt, dass sie auch später im Leben noch lernen können, den Weg über das Meer zu finden.

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Ein Recht auf Meer

Wo das Meer den Tisch seiner Anrainer reich zu decken vermag, gibt es traditionell eine Fischerei- wirtschaft. Diese bedarf häufig

Regulierungen von staatlicher Seite, wie die Überfischungen der Welt - meere zeigen. Doch wie steht es um Vorgaben für gewachsene

nachhaltige, kleine, nur lokal verortete Fischereien? Und: Werden die Fischer dort in politische Ent scheidungs-

prozesse eingebunden? Die süd afrikanische Nachwuchs- wissenschaftlerin Dr. Samantha Williams sucht nach Antworten.

Südafrika, Western Cape, Lamberts Bay: Dr. Samantha Williams von der Universität Kapstadt begutachtet eine Hummerfalle im Boot von Fischer David Shoshola.

Mit ihm und seiner Mannschaft ist sie gerade unterwegs zu guten Fanggründen.

Schwerpunktthema

Ins Blaue hinein | KÜSTEN

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„ Die VolkswagenStiftung ist in Südafrika äußerst bekannt und ihre Stipendien sind sehr gut angese- hen“, betont Samantha Williams im Gespräch immer wieder. Im Jahr 2002 machte sie zunächst ihren BA (Honours) und 2005 ihren Master an der University of the Western Cape in Südafrika. Danach wechselte die Geografin an die University of Cape Town an das Department of Environmental and Geographical Sci- ences; dort ist auch ihr von der Stiftung gefördertes Junior-Fellowship-Projekt verankert. Von Beginn an arbeitete Williams in der unabhängigen Forschungs- einheit Environmental Evaluation Unit (EEU) mit.

Ihren PhD erwarb sie bereits mit einer Arbeit über Zugangsstrategien lokaler Fischer zu den Ressourcen des Meeres. Derzeit vertieft sie ihre Forschungser- gebnisse wie im Text vorgestellt im Rahmen des Post- doktorandenprogramms der VolkswagenStiftung.

s dürfte eins der meistgezeigten Motive Südafrikas sein – ob es als Illustration von Reise- berichten in Zeitungen dient, weil es uns als Tou- ristenschnappschuss vor Augen gehalten wird oder einem aus Werbematerial von Reiseveran- staltern malerisch entgegenfunkelt: das Western Cape mit seinen vielen kleinen Fischerbooten, von denen (fast) immer welche auf See zu sein scheinen. Beinahe so, als wollten sie sicherstellen, dass das Motiv für Auge oder Kamera stets das pittoreske ist, dass man kennt. Damit bloß kein anderes Bild von diesem fast unwirklich schönen Fleckchen Erde entstehen kann.

Eben dieses Bild, das den meisten Betrachtern wohl so das Herz weitet, zeigt letztlich harte Arbeit. Denn für die, die es entstehen lassen, heißt es tagtäglich: früh aufstehen, auf die See hinaus, Netze auswerfen. Das Meer an der Küste entlang des Western Cape ist traditionelles Fischereige- biet. Seit Jahrtausenden schon bieten die Fang- gründe den Fischern in dieser Region eine dauer- hafte Beschäftigung und den Menschen an Land

Text: Melanie Gärtner // Fotos: Felix Seuffert

eine verlässliche Nahrungsgrundlage. Reich an Leben ist das Meer hier durch das Benguela Upwelling Ecosystem, einen Auftrieb nährstoff- beladener Wasserschichten aus der tiefen See, der quasi in seinem Sog zahlreiche Fische in die Nähe der Küste zieht. Und so gibt es viel zu tun und viel zu fischen, und die Tage der Fischer werden schnell lang – so lang eben, dass sie als Neben- effekt eine bezaubernde Wasserlandschaft von scheinbarer Dauerhaftigkeit entstehen lassen.

Zwei typische Ortschaften an diesem Abschnitt der südafrikanischen Westküste sind Elands Bay und Lamberts Bay, rund 220 Kilometer nördlich von Kapstadt gelegen. Hier hat die Fischerei eine lange Tradition und ist tief in der Geschichte, der Kultur und der Identität der Menschen verankert.

Ob Meeräschen, Hechtmakrelen, Hummer oder die als Delikatessen begehrten Seeohrschnecken:

Wo und zu welcher Zeit des Tages die See die besten Fänge hergibt, das haben die Fischer noch von ihren Vätern und Großvätern gelernt – und die wiederum von ihren Vätern und Großvätern.

Bis heute bestreiten sie mit dem, was in ihren Net- zen hängen bleibt, ihren Lebensunterhalt. Doch wer in südafrikanischen Gewässern was fischen darf, wird vonseiten des Staates reguliert – und hier beginnen die Schwierigkeiten. Denn den Vor- gaben, Regelungen oder Entscheidungen von poli- tischer Seite fehlt nach Meinung der Fischer vor Ort oft das Bemühen um ein nachhaltiges Wirken, das zudem auch ihnen gerecht wird.

„Womöglich ändert sich das gerade“, zeichnet Dr. Samantha Williams einen leichten Silberstreif an den Horizont. Sie ist allerdings auch Realistin genug zu wissen, dass das politische Ringen um den Umgang mit einer natürlichen Ressource nicht einfach ist und es immer wieder schnell zu Rückschritten kommen kann – schließlich sind oft viele Akteure im Spiel mit teils recht unter- schiedlichen Interessen. Die südafrikanische Wissenschaftlerin ist inzwischen ausgewiesene Fachfrau zu dem Thema. Sie erwarb ihren PhD an der Environmental Evaluation Unit (EEU) der University of Cape Town in Südafrika und forscht

seit nunmehr acht Jahren zu und in den Fischer- dörfern an der Westküste. Bislang beschäftigte sie sich vor allem mit den Methoden und Strategien, die sich die Männer zur See seit Jahrhunderten zu eigen gemacht haben, um mit ihren Familien vom Meer zu leben.

Ein großer Einschnitt in ihrem wissenschaftli- chen Engagement kam um den Jahreswechsel 2013/14. Damals gelang es ihr, eines der begehr- ten Postdoktoranden-Fellowships für afrika- nische Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler zu ergattern, die die VolkswagenStiftung in ihrer Förderinitiative zum sub-saharischen Afrika vergibt (siehe auch Kasten auf den Seiten 38/39). Und so kann Samantha Williams das im Zuge ihrer Doktorarbeit heraus- geschälte Wissen vertiefen und, angereichert um zahlreiche neue Erkenntnisse, fundiert weiterge- ben. In dem mit rund 100.000 Euro geförderten Projekt „Sustainability of marine social-ecological systems – linking fisheries livelihoods strategies and multilevel governance in the Benguela Upwelling Ecosystem“ setzt sie sich mit den nachhaltigen Strategien der Fischer im Umgang mit der Res- source Meer auseinander und den Einflüssen, die vonseiten des Staates und seiner Institutionen auf das gesamte System wirken.

Benachteiligt bei Gesetzgebung und Lizenzvergabe:

Die „kleinen“ Fischer haben’s schwer

Williams verfolgt ein ganz grundlegendes Ziel:

Sie möchte die Fischer zum einen darin bestärken, den Zugang zu den Gewässern vor ihrer Haustür als Arbeits-, Lebens- und Nahrungsgrundlage immer wieder mit Nachdruck vom Staat einzu- fordern. Zum anderen sollen die Männer zur See nicht nachlassen in ihrem Bemühen, an relevan- ten politischen Entscheidungsfindungsprozes- sen beteiligt zu werden – etwa, wenn es um die Zu teilung von Fischereilizenzen geht. Ein Blick zurück und zur Seite zeigt, dass solch eine Hal- tung, ein solches Auftreten absolut nicht selbst- verständlich sind.

E i

Samantha Williams

Samantha Williams versucht im Gespräch mit heimischen Fischern herauszufin- den, wie die Männer

die Ressource Meer nutzen und inwieweit die Vorgaben des Staa-

tes sie behindern oder nicht. Hier befragt sie David Shoshola vor dessen Wohnhaus im südafrikanischen Lamberts Bay.

Das Western Cape ist durch den Benguela-Auf- trieb eines der am stärksten befischten Seegebiete Südafrikas. Die Trawler der großen Fischereikon- zerne können mit ihren Langleinennetzen dabei so viel aus dem Wasser ziehen, wie es sich die Fischer in ihren kleinen Booten nicht einmal zu träumen wagen. Obwohl sie derselben Tätigkeit nachgehen wie die große Konkurrenz, wurden sie über Jahrzehnte hinweg nicht als bestehender

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Sektor der Fischindustrie anerkannt und bei der Vergabe von Fischereilizenzen nicht bedacht. Vor allem in den Jahren der Apartheid tat man sie als Selbstversorger ab, die entsprechend in der Fische- reigesetzgebung nicht zu berücksichtigen sind, in der Konsequenz dieses Denkens dann aber auch keine Ansprüche zu stellen haben. Erst mit dem Entstehen der ersten demokratischen Regierung 1994 wurden die Fischerfamilien an den Küsten als Unternehmer und damit als Teil des Fischerei- sektors eingestuft.

2007 setzte das National Department of Fisheries, die nationale Fischereibehörde, ein neues Gesetz in Kraft. Es spricht den Fischern das Recht zu, Lizenzen zu erwerben – eine Entscheidung, die bitter notwendig und überfällig war. Immerhin rund 28.000 Haushalten in Südafrika sichert die kleinteilige Fischerei zwar offiziell das wirtschaft- liche Überleben, doch obwohl die südafrikanische Verfassung den Zugang zu natürlichen Ressour- cen als grundlegendes Menschenrecht anerkennt, kann sich nur jeder zweite Fischerhaushalt von dieser Arbeit tatsächlich noch ausreichend ernäh- ren. Für Samantha Williams ist das neue Gesetz daher ein großer Fortschritt in Richtung Armuts- bekämpfung und soziale Gerechtigkeit. „Der Text weist viele gute Ansätze auf; insbesondere jene Passagen, die den Fischern mehr Mitbestimmung und mehr Eigenverantwortung zusprechen“, sagt sie. „Leider verläuft der Prozess, in dem diese neue Politik umgesetzt wird und in den Köpfen ankommt, sehr langsam. Das zu verbessern, ist die entscheidende Herausforderung.“

Zwar hatte die Regierung mehrfach in der Ver- gangenheit Anläufe unternommen, den Fischern

„einen Weg zu ihren Rechten zu ebnen“, doch die- se Offerten schlugen weitgehend fehl. In einem der Versuche hielt man die Fischer dazu an, für den Erwerb einer Fischereilizenz einen Antrag zu stellen. „Viele wussten aber nicht, was sie genau tun sollten oder hatten neben der täglichen Arbeit schlicht keine Zeit dafür“, sagt Samantha Williams. „Dieses Vorgehen drängte viele in die Illegalität – und zwar nur, weil sie keinen Antrag für das auszufüllen vermochten, was schon ihr ganzes Leben lang ihre Profession war.“

Die aktuelle Strategie der Regierung besteht nun darin, Rechte nicht individuell, sondern an Kollekti- ve in den Kommunen zu vergeben. Die Fischer wur- den daher dazu aufgefordert, sich in ihren Dörfern in Vereinen oder Gewerkschaften zu organisieren.

An diesem Punkt setzt das Forschungs vorhaben von Dr. Samantha Williams an. Sie analysiert, welche politischen Parameter sich gemessen an den Gege- benheiten des Alltags der Fischer als sinnvoll und wirksam erweisen. Und sie schaut, ob die Fischer sich in der Tat hinreichend einzubringen vermögen.

Dr. Samantha Williams ist eine vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin. Auf ungewöhnliche Weise und beinahe „in sich“ interdisziplinär kreist sie zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen ihren Untersuchungsgegenstand ein, indem sie Fragen des Zugangs zu natürlichen Ressourcen und Aspekten von Nachhaltigkeit oder Nahrungs- mittelsicherheit aufwirft, dreht und wendet und darüber als Dach das Ziel von mehr sozialer Gerechtigkeit spannt. Damit steht die Geografin in Interesse und Engagement beispielhaft für die Stif- tungsinitiative „Wissen für morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“.

Eine Forschungsförderung, die in ihrer inter- nationalen Ausrichtung wie die Initiative zum sub-saharischen Afrika angelegt ist, erfüllt im Optimalfall viele sinnvolle Zwecke – Samantha Williams ist dafür das beste Beispiel. So wie sie können sich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Schwellen- und Entwicklungs- ländern auf sonst kaum mögliche Weise quali- fizieren: Mit der Unterstützung der Stiftung im Gepäck forschen sie vor Ort zu Themen, die für ihr Land oder ihre Region von Bedeutung sind. Einer

der Kerngedanken, den die Stiftung mit ihrer internationalen Wissenschaftsförderung verfolgt, ist dabei nicht zuletzt Nachhaltigkeit. Am Anfang steht eine gute Idee, ein lohnenswertes Projekt.

Gerät es in Schwung, kann sich die Stiftung nach einiger Zeit zurückziehen.

Mit dem Herzen bei der Sache: Die „Afrika-Fellows“

engagieren sich für die Zukunft ihres Landes Indem sich der umfassend geförderte akademi- sche Nachwuchs in Afrika oder anderswo mit fortschreitender Dauer der Projekte dann länder- übergreifend nach und nach vernetzt, stärkt sich wechselseitig die Expertise: bei dem Einzelnen, in dessen Heimat und in der Zielregion insgesamt.

Derart gestützt, empfiehlt sich die Wissenschaft- lergeneration von morgen dann nicht zuletzt in globaler Perspektive für die Zusammenarbeit mit Kollegen aus allen Kontinenten. All diese Ziele verfolgt auch die VolkswagenStiftung mit ihrem Förder bereich „Internationales“ im Großen, mit den einzelnen Angeboten für bestimmte Regio- nen dieser Welt im Speziellen.

Samantha Williams und David Shoshola (großes Bild, Mitte) lauschen Ernest Titus, der den Gebrauch einer Hum- merfalle demonstriert.

Oben: Mehrere Spulen Angelschnur mit großen Haken zum Fangen von Snoek (Thyrsites atun) liegen neben Seilen und anderem Fischereibe- darf in Brian Andersons Boot, das gerade wieder den Hafen von Lamberts Bay mit seinen zahlrei- chen vertäuten Fischer- booten anläuft (unten).

Im Hintergrund: eine ehemals zur Fischverar- beitung genutzte Fabrik, in der jetzt Pommesfri- tes produziert werden.

Samantha Williams’

Interesse rund um ihr Thema ist weitgrei-

fend: Hier lässt sie sich von Fischer Brian Anderson eine Angel- schnur mit Haken und Senkblei zum Fangen von Hottentot (Pachymetopan) zei- gen. Besondere Fang- methoden und ganz allgemein kulturelle Eigenheiten gehören ihrem Verständnis nach dazu, will man sich ein umfassendes Bild davon verschaf- fen, was nachhaltige Fischerei ausmacht.

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