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Impulse - Ausgabe 2013/1

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Impulse

Das Wissenschaftsmagazin der VolkswagenStiftung

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Schwerpunktthema

„Digitalisierung des Wissens“

Auf dem Weg in eine Zukunft mit mehr Einsicht? In ein neues Zeitalter der Demokratisierung von Wissen- schaft, Kunst und Kultur? Was die digitale Verfügbarkeit von Informa- tionen mit sich bringt. Vorhang auf für eine neue Wissensgesellschaft.

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Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung

2 Impulse 2013 3

Wir stiften Wissen

Sie interessieren sich für ein Kunstwerk oder ein volkskundliches Objekt, das unerreichbar im Keller eines Museums lagert? Sie sind vielleicht Forscher, und eine Abbildung in einem Buch hilft Ihnen für die wissenschaftliche Betrachtung allein nicht wei- ter – schließlich zeigt sie das Objekt nur zweidi- mensional? Nun, das ist zunehmend kein Problem mehr, seitdem viele Museen, Bibliotheken und andere Einrichtungen ihre Sammlungen dreidi- mensional erfassen und als digitalisierte Exponate in einem Online-Archiv jedem zugänglich machen.

Ein Mausklick oder auch ein paar – und Sie sehen das Objekt Ihrer Begierde von allen Seiten, können es drehen, vielleicht sogar in es hineintreten.

Womöglich sitzen Sie ja auch, spinnen wir den Gedanken einmal weiter, ausgestattet mit einem schnellen Internet-Anschluss an einem entle- genen Ort auf der anderen Seite der Welt. Für Ihre Forschungsfrage reichen Ihnen die digital gespeicherten Datensätze, die Sie den online angelegten Archiven Dritter entnehmen können, und – inmitten Ihrer virtuellen Forschungsumge- bung starten Sie nun Ihre eigene wissenschaftli- che Arbeit. Dazu fließen von Kollegen aus einem wieder anderen Teil der Welt vielleicht gerade aktuelle Aufnahmen von Referenzobjekten ein, die jene mithilfe mobiler Geräte wie Smartphones und Minicomputern soeben dort gemacht haben.

Fortlaufend erreichen Ihre virtuelle Forschungs- umgebung etwa Maße der untersuchten Objekte, andere Parameter oder auch Kommentare. Und Sie? Sie sitzen auf einem Berg oder am Strand und produzieren in Ihrem Theoriegebäude neue wissenschaftliche Erkenntnisse – und vergrößern damit zugleich den virtuellen Datenkosmos.

Zukunftsmusik? Mitnichten. Aktuell lässt sich überall und – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – in allen Fächerkulturen beobachten, dass wissenschaftliches Arbeiten in virtuelle Forschungsumgebungen verlagert wird. Digitali- siertes Wissen macht’s möglich. Ein paar Zahlen:

90 Prozent des derzeit geschätzten Bestands weltweit digital gespeicherter Daten wurde in

den vergangenen zwei Jahren erzeugt. Und da ist die Wissenschaft gut mit dabei. So liefern allein die gewaltigen Detektoren des Large Hadron Colliders, des großen Teilchenbeschleunigers am Forschungs- zentrum CERN, derzeit Tag für Tag durchschnittlich 42 Terabyte an neuen Daten. Noch rasanter der Bei- trag der Lebenswissenschaften mit täglich Tausen- den neu sequenzierter Genome. Zu solcherart gene- rierten Daten kommen zudem die von Sensoren, deren Output sich elektronisch aufzeichnen und digital weiterverbreiten lässt – etwa von Geräten der medizinischen Diagnostik, von Überwachungs- kameras, Wetterstationen oder Mobiltelefonen.

Daten sind allerdings noch keine Informationen und erst recht kein neues Wissen. Sie müssen analysiert und interpretiert werden. Die passen- den Geschichten hierzu erzählt unser Magazin

„Digitalisierung des Wissens“ – zugleich in unse- rer Reihe „Impulse aus der Wissenschaft“ das erste Heft mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Mit zwei solcherart thematisch fokussierten Ausga- ben pro Jahr möchten wir Sie künftig unterhalten.

In diesem Heft können Sie beispielsweise lesen, inwieweit die Digitalisierung vieler vom Ausster- ben bedrohter Sprachen gleichsam deren Asyl ist.

Oder Sie erfahren etwas über neue Techniken, die – wie nach dem Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek – fast verloren geglaubte, kost- bare Dokumente nicht nur retten helfen, sondern sie ins digitale Zeitalter transferieren mit all den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.

Womit wir wieder beim Forscher am anderen Ende der Welt angekommen sind. Den Blick auf ihn gerichtet, muss bei aller digitalen Euphorie natürlich gelten, dass im Herzen der digitalen Wissenschaft immer noch das Sinnverstehen, das kluge Interpretieren seinen Platz behaupten muss und wird. Gerade dafür stehen die Protagonisten der vorgestellten Projekte. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre mit realem Genuss!

Editorial

Digitalisiertes Wissen – die Quelle der Zukunft für wissenschaftliche Erkenntnis?

Klare Struktur, zeitgemäßer Auftritt und vielfältige

Inhalte: Seit November 2012 hat die Volkswagen-

Stiftung eine neue Online-Präsenz. Ein klares und

luftiges Design erleichtert die Orientierung und

schafft Übersichtlichkeit. Großformatige Fotos

bieten neben umfangreichen Inhalten interessan-

te Einblicke in die Arbeit der geförderten Wissen-

schaftlerinnen und Wissenschaftler. Um modernen

Nutzergewohnheiten gerecht zu werden, basiert

die neue Website auf dem sogenannten Responsive

Design. So stehen alle Funktionalitäten jetzt auch

für internetfähige Tablets und Smartphones zur

Verfügung. ggg www.volkswagenstiftung.de

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Kunst + Wissenschaft Eine Sprache für den Tanz: über die Entste- hung von Online-Parti- turen und die Digitalisie- rung von Choreografien – eine Fotoreportage in mehreren Akten.

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Portale und Potenziale Die Digitalisierung von Wissensbeständen lässt Informationen umfas- send sichtbar werden.

Das erreicht ein welt- weites Publikum. Eine Betrachtung von außen.

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Ein Archiv für die Sprachen der Welt Eine digitale Heimat für die bedrohten Spra- chen dieser Welt. Zu Besuch im Max-Planck- Institut für Psycholin- guistik in Nijmegen.

36

Wunderkammern der Wissenschaft

Die Humboldt-Univer- sität Berlin hat als erste deutsche Hochschule ihre Sammlungen er- schlossen und online öffentlich zugänglich gemacht: ein Blick in die

„Kabinette des Wissens“.

44

Leben aus der Asche Neue Chance für alte Werke. Oder: Wie aus einem Verlust auch Unerwartetes erwächst.

Zu Gast in Weimar bei

„Anna Amalia“.

60

Hierarchien schwinden Digitale Medien ver- ändern den Wissen- schaftsbetrieb. Am Zen- trum für Medien und Interaktivität in Gießen weiß man mehr.

Veranstaltungen

52

„Die neuen Bürger der Gelehrtenrepublik“

Das Magazingespräch:

der Göttinger Litera- turwissenschaftler Gerhard Lauer zu den Digital Humanities.

74

Welche Museen will diese Gesellschaft?

„Vom Musentempel zur Ereignisagentur: Wohin treiben die Museen im digitalen Zeitalter?“ Vier Experten suchen Ant- worten bei einem „Her- renhäuser Gespräch“.

84

Die Grenzen des Wachstums – 40 Jahre danach.

Rückblick auf ein Symposium und eine Winter School.

Rubriken

22

Kompakt

„Digitalisierung“ kom- pakt. Nachrichten zum Schwerpunktthema.

68

Spektrum

Nachrichten aus der Wissenschaftsförderung.

80

Forum

Nachrichten aus der VolkswagenStiftung.

89

Die Veranstaltungs- formate der Stiftung

90

Ausblick 2013

Schloss / Neue Initiative

91

Die Stiftung in Kürze / Impressum

Inhalt

74 36

44

Ein Archiv für die Sprachen der Welt

Im niederländischen Nijmegen findet Kulturerbe eine digitale Heimat. Dort schlägt das technische Herz einer weltweiten Initiative, die die Dokumentation bedrohter Sprachen zum Ziel hat. Ein Besuch vor Ort.

Leben aus der Asche

Wie der interaktive Austausch im Netz hilft, etwas über die Herkunft brandgeschädigter Bücher zu erfahren. Zu Gast in der Anna Amalia Bibliothek, acht Jahre nach dem verheerenden Feuer. Eine Fahrt nach Weimar.

Welche Museen will diese Gesellschaft?

Wie sehen die Samm- lungs- und Ausstel- lungshäuser von heute im Zeitalter der Digita- lisierung morgen aus?

Welchen Herausforde- rungen haben sie sich zu stellen? Ein „Herren- häuser Gespräch“ geht diesen Fragen nach.

24

Wunderkammern der Wissenschaft Die Digitalisierung von Sammlungen, Museumsbeständen und Archiven gibt diesen eine globale Sichtbarkeit.

Ein Blick nach Berlin.

60

Hierarchien schwinden

Wie digitale Medien die Kommunikation zwischen Forschern verändern – und dabei auch die sozialen Strukturen des Wissenschaftsbetriebs.

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Dass der Tanz als ästhetische Ausdrucksform des menschlichen Körpers der Physik, der Physiologie, der Körpermechanik oder der Medizin immer wieder Aufgaben stellt, ist offensichtlich. Doch Wissen- schaft, Technik und Tanz berühren einander auch sonst. Und helfen sich. Will man beispielsweise über Choreografien oder die Komposition von Bewegun- gen reden, stößt man bislang schnell an Grenzen:

Tanz fehlt Sprache. Ihn nun in einem ihm eigenen, angemessen komplexen „Vokabular“ zu Wort kom- men zu lassen, dazu kann die Wissenschaft, können moderne Informationstechnologien beitragen.

Seit zwei Jahren wird in dem Projekt „Motion Bank“

die choreografische Praxis einschließlich ihrer Kreativitätsprozesse erforscht und in „Sprache“ über- setzt – in breitem Kontext und: angestoßen von der renommierten „The Forsythe Company“. Dabei arbei- ten Künstler und Mediendesigner im engen Zusam- menspiel auch an der digitalisierten Darstellung von Choreografien. Für diese Arbeit haben sich bedeu- tende Gastchoreografen und Tänzer gefunden (hier Aufnahmen aus dem Frankfurt LAB). Die Stiftung begleitete den Prozess mit der wissenschaftlichen Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“. cj

Mit einer neuartigen Software werden Tanzszenen aufgezeich- net, annotiert und archiviert. Möglich ist auch das Einfügen von Probennotizen; ebenso lässt sich ein Tanzstück fortlaufend weiter digital montieren, indem Ereignisse wie Tanzszenen und die Zeichen für den Einsatz von Beleuchtung oder Ton in

einer mehrspurigen Partitur einander zugeordnet werden. Erste Testfilmaufnahmen mit Deborah Hay vom Februar 2011.

Filmaufnahmen eines Solotanzes von Ros Warby durch Svenja Kahn und Florian Jenett vom April 2011

Kunst trifft Wissenschaft

Das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“

Impuls

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Der Arbeitsprozess für die Entwicklung einer Online-Partitur beginnt mit einer vorbereitenden Forschungs- phase. Die Beteiligten wählen zumeist ein existierendes Stück aus und passen es gegebenenfalls an. Anschlie- ßend erörtern sie das Setting für die Filmaufnahmen. Es folgen Aufführung und Aufzeichnung des Tanzstücks.

In der anschließenden Produktionsphase, die auch den kreativen Prozess des Entstehens einer Choreografie deutlich werden lassen soll, wird aus dem Material von Webdesignern und Programmierern in enger Zusam- menarbeit mit den Choreografen das Ergebnis einer Online-Partitur realisiert, die im Web veröffentlicht wird.

Begleitet wird diese Projektarbeit von „Motion Bank“ durch die Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“.

Um die mit der Entstehung von Online-Partituren verbundenen Prozesse besser zu verstehen, fand sich eine feste Gruppe von zwanzig Teilnehmern zusammen, darunter Tänzer, Choreografen, Psychologen, Neuro- und Geisteswissenschaftler. Sie setzten sich mit den komplexen körperlichen und mentalen Prozessen auseinan- der, die mit dem Aufführen wie Ansehen von Tanzstücken einhergehen: mit Sinnesempfindungen und ande- ren Wahrnehmungen, mit Erkenntnis, Gefühl und Aktion. Auf den nummerierten Bildern dieser Doppelseite zu sehen sind die Workshopteilnehmer (stets von links nach rechts): (1) Liane Simmel, Anke Euler, Michael Steinbusch; (2) James Leach, Projektleiter Scott deLahunta; (3) Riley Watts, James Leach; (4) Liane Simmel;

(5) Riley Watts, Sandra Parker; (6) Liz Waterhouse, Bettina Blaesing; (7) David Kirsh; (8) Wolf Singer;

(9) Fabrice Mazliah, Kathryn Enright; (10) Liane Simmel, Guido Orgs; (11) Kathryn Enright; (12) Guido Orgs.

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Die Bilder zeigen Visualisierungen im Kontext der Entstehung digital angelegter Partituren: Links oben eine Momentaufnahme mit skiz- zierten, Sekunden zuvor erfolgten Bewegungen, die in ihrer Zusam- mensetzung die Beziehungen der Tänzer in Raum und Zeit zeigen.

Links unten in einer 3-D-Darstel- lung die Flächen im Raum, die Tänzer während eines kurzen Bewegungsablaufs einnehmen.

Rechts oben die Aufsicht auf die Raumbeziehungen der Tänzer zueinander. Nebenstehend der Blick von oben auf die Choreo- grafie: Die entstehenden Muster und Formen werden durch mit- laufende Videoaufnahmen illumi- niert, die flüchtige und schnelle Bewegungen, Bewegungsbrüche, konzentrierte Aktionen sowie horizontale und vertikale Bewe- gungslinien offenbaren.

Quelle für alle Bilder auf dieser Seite:

Synchronous Objects Project, The Ohio State University and The Forsythe Company

Impulse 2013 11 Impulse 2013 11

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Auch Choreografen sind Autoren; sie haben einen bevorzugten Wortschatz und Satzbau, pflegen eine bestimmte Kapiteldramaturgie, den Techniken nicht unähnlich, mit denen ein Schriftsteller seine Texte baut. Wie aber lassen sich die Stationen einer Choreografie vom Entste- hungsprozess bis zur Dokumentation analytisch fassen? Wie erwächst die choreografischen Pro- zessen innewohnende Kreativität – und: Wie bil- det sie sich dann im Tanz ab? Was empfindet der Künstler als ästhetisch, wie spricht sein Publikum darauf an? Antworten auf solche Fragen sucht das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“, in dem Kunst und Wissenschaft sich begegnen.

In drei Workshops im Mai 2011, Februar und Sep- tember 2012 tauschten sich Choreografen, Tänzer, Philosophen, Theater- und Tanzwissenschaftler, Verhaltensforscher sowie Kognitions- und Neu- rowissenschaftler zu den Themen „Choreogra- phic Organisation”, „Dance Phenomenology“ und

„Choreographic Thinking” aus. Sie diskutierten über Choreografie, Ausdrucksformen des Tanzes, Ästhetik, Bewegungswahrnehmung und Krea- tivität unter künstlerischen und neurowissen- schaftlichen Aspekten. Zugleich ging es immer wieder auch um die sozialen und kulturellen Implikationen von Tanz. Impressionen der Begegnungen zeigen die vorherigen Seiten.

Eine neue Sprache für den Tanz

Noch frisch sind die Erinnerungen an die Docu- menta 13, die auch modernen Tanz prominent in Szene gesetzt sah. Begeistert bejubelt wurden Tino Sehgals im Dämmerlicht singende Tänzer in einem Darkroom im Hinterhof eines Kasseler Hotels, nicht weniger gefeiert William Kentridges tanzinspirierte Installation. Wissenschaftlich genähert wurde sich dem Kulturgut Tanz bislang allerdings kaum. Selten fündig wird, wer nach choreografischen Aufzeichnungen zu einzelnen Balletten sucht; in den Bibliotheken klaffen – anders als bei Musikpartituren – in Sachen Tanz- geschichte große Lücken. Nur sporadisch sind Ballette vollständig aufgezeichnet, ist eine Partitur mit Choreografie, Bildern und Beschreibungen vorhanden. Das überrascht nicht, schließlich wurden und werden Tänze für eine bestimmte Aufführung choreografiert und primär nicht, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Zudem gibt es kaum geeignete Analysemethoden noch ein Vokabular, mit dem sich Tanz allgemeingültig beschreiben ließe. In der Literatur, in der Archi- tektur und auch in der Musik können wir Stilfor- men und Details den einzelnen Epochen zuord- nen und genau benennen; bereits in der Schule lernt man, was ein Sonett ist, ein Roman, eine Novelle. Hingegen beim Tanz?

Anke Euler (Dramaturgin Tanz, München), Patrick Haggard (University College London), David Kirsh (University of California at San Diego), James Leach (University of Aberdeen), Alva Noë (University of California Berkeley), Guido Orgs (Student Tanz und Psychologie, University College London), Sandra Parker (Choreografin, Melbourne), Liane Simmel (Institut für TanzMedizin München), Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main), Michael Steinbusch (Technische Universität Dresden), Kate Stevens (University of West Sydney), Freya Vass-Rhee (The Forsythe Company), Elizabeth Waterhouse (The Forsythe Company) und Riley Watts (The Forsythe Company).

Christian Jung

„Dance Engaging Science“ ist Teil des auf vier Jahre (2010-2013) angelegten „Motion Bank“-Projekts des zeitgenössischen Tanzensembles „The Forsythe Company“, in dem die choreografische Praxis in einem breiten Kontext erforscht wird. Das Interesse reicht von der Analyse kompositorischer Methoden und von Bewegungssequenzen über den Umgang mit Musik bis hin zu Requisiten, Bühnenbildkom- ponenten, Beleuchtung und technischen Effekten.

Partner der Forsythe Company für die von der Stiftung geförderte Workshop-Reihe sind die Berlin School of Mind and Brain an der Humboldt- Universität zu Berlin und das Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die VolkswagenStiftung unterstützt die Begleitveran- staltungen in ihrer Initiative „Offen – für Außerge- wöhnliches“ mit rund 90.000 Euro. Das „Motion Bank“-Projekt selbst wird gefördert von der Kultur- stiftung des Bundes und weiteren Partnern.

Auf den Bildern der vorangehenden Seiten sind die Projektteilnehmer wiederholt zu sehen; zum festen Stamm der Arbeitsgruppe von „Dance Engaging Science“ zählen: Bettina Bläsing (Univer- sität Bielefeld), Maaike Bleeker (Utrecht Univer- sity), Dana Caspersen (The Forsythe Company), Emily Cross (Bangor University Wales), Projektlei- ter Scott deLahunta (The Forsythe Company),

Die grafische Darstellung auf dieser Seite zeigt Beziehungen der Tänzerinnen und Tänzer in ihren Bewegungsabfolgen zueinan- der. Die Choreografie (One Flat Thing) mit ihren Einsätzen und Synchronisationsimpulsen (http://synchronousobjects.osu.edu) lässt sich so in einer anderen Dimensionalität darstellen. Die Abbildung stammt wie auch die Sequenzen auf den Seiten 10/11 vom Advanced Computing Center for the Arts and Design, Dance Department, Ohio State University, USA. Diese Einrichtung gilt als führend in der grafischen Datenverarbeitung und Animation im Bereich Tanz und Tanzwissenschaft. Die Teilnehmer der Workshops konnten aus der Fülle des dort generierten Materials schöpfen.

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Auch durch diese Kabel fließt permanent digitalisiertes Wissen.

Georg Brünig ist bei der VolkswagenStiftung einer der EDV- Spezialisten, die für reibungslose Datenverarbeitung sorgen – und damit für den steten Fluss von Informationen.

Portale und Potenziale

Auf dem Weg in eine Zukunft mit mehr Einsicht? Die Digitalisierung von Wissensbeständen lässt Infor- mationen vielfältig verknüpft und umfassend sichtbar werden. Wis- sen digitalisieren für ein interes- siertes Publikum weltweit – ein Blick von außen von Norbert Lossau, Direktor der Niedersäch- sischen Staats- und Universitäts- bibliothek Göttingen.

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Wo wird Wissen abgelegt, aufbewahrt, gespeichert? Wo finden Informationen überall ihren Platz? Diese Wandin- stallation in der – im Frühjahr 2012 im Weimarer Schiller- Museum gezeigten – Ausstel- lung „Kultur des Sinnlichen“

versammelt verschiedene Behältnisse, Aufbewahrungs- orte von Wissen (Copyright:

Klassik Stiftung Weimar).

Die Universität Göttingen ist vorn mit dabei, geht es um neue Wege bei der Digitalisierung von Wissensbeständen. So hat ein Forschungsverbund unter Federführung der Staats- und Universitäts- bibliothek den Zuschlag erhalten für ein mit zweieinhalb Millionen Euro gefördertes Projekt zu den

„Digital Humanities“. Hier der Blick in das Innere des Bibliotheksgebäudes und einen Lesesaal.

in die Historie der Arten unserer Welt wird durch die Biodiversity Heritage Library (BHL) vertieft.

Fast 107.000 Bände aus naturhistorischen und botanischen Bibliothekssammlungen sind nach ihrer Digitalisierung nun online zugänglich (www.

biodiversitylibrary.org). Der Nutzen potenziert sich:

So lassen sich beispielsweise aktuelle Beobach- tungen zu Arten und ihrer Verbreitung mit histo- rischen Daten in einem virtuellen Forschungsla- bor zusammenführen und analysieren. Auf diese Weise leben historische Daten im Zuge ihrer Digi- talisierung ganz neu auf – und es finden sich im Abgleich mit der Gegenwart neue Erkenntnisse, Bestätigungen, Relativierungen, Widersprüche.

Im Prinzip geht es immer darum, Material digital zu erfassen, zu erschließen und in neuen Kon- texten nutzbar zu machen. Ein zentrales Feld bei der Digitalisierung von Wissensbeständen ist die schon skizzierte Aufbereitung von Sammlungen, die dann um weitere Forschungsdaten, Proben oder einzelne Objektinformationen angereichert werden können. Auf diesem Weg erhalten Samm- lungen eine nie da gewesene Sichtbarkeit und Präsenz – eine Chance etwa auch für die vielen, oft wenig bekannten Bestände von Hochschulen.

Dieser Prozess er- und umfasst dabei „physische“

Sammlungen von Büchern, Fotografien, Karten, Sprachaufzeichnungen, Gemälden, Mineralien, Algen oder Gewebeproben ebenso wie die genuin digitale Datenerhebung durch Messinstrumente und -apparaturen, digitale Kameras, Sensoren und anderes mehr. Einmal in digitaler Form vorhanden,

lassen sich die Grenzen zwischen historischen Sammlungen und aktuell erhobenen Forschungs- daten schnell überwinden; die Informationen kön- nen in gemeinsamen Datenrepositorien gehalten und über Datenbanken erschlossen werden. Über das Internet zugängliche Computerprogramme und spezifische Applikationen ermöglichen über- greifende Suche und Zugriff, Analyse und Vernet- zung – vorausgesetzt natürlich, dass erforderliche Datenerfassungs- und technische Standards bei der Digitalisierung eingehalten werden.

Aus digitalen Daten puzzeln sich Lebensschicksale – mit einer Wirkung bislang unbekannter Wucht Wie wirkungsschwer eine Digitalisierung gesam- melten Objekten und Informationen zu weltwei- ter Aufmerksamkeit verhelfen kann, schilderte eindrucksvoll der Direktor des Yad Vashem Docu- mentation Centre in Jerusalem Chaim Gertner bei seiner Festrede im Juli 2011 in Göttingen zum Auftakt einer Tagung über Projekte, Initiativen und Perspektiven der „Digital Humanities“. Hun- derttausende digitalisierte Schriftstücke, Fotogra- fien, handschriftliche und andere Zeugnisse von Widerstandskämpfern des Warschauer Ghettos sowie Opfern des Holocaust hätten in den ersten Jahren, nachdem sie online verfügbar waren, millionenfache Zugriffe erfahren. Deutlich wur- de auch, dass die Digitalisierung bestehender Sammlungen mehr ist als das bloße Einscannen von Büchern und Objekten. Um beim Beispiel der

Immer mehr kulturelle Objekte wie Bücher, Briefe, Bilder und Musik stehen in digitaler Form zur Verfügung – über entsprechende Infrastrukturen oft weltweit. Anders und vereinfacht gesagt: Unsere Gesellschaft wird immer digitaler. Das fordert auch die Wissenschaft heraus, die ihrerseits großen Bedarf hat an digitalen und retrodigitalisierten Daten. So ermöglichen global greifbare, gigantische Datenbestände zum einen neue Forschung – erfordern andererseits aber auch ein Nachdenken über Infrastrukturen, Ver- fügbarkeit, Langzeitarchivierung oder Qualitätssicherung digitaler Medien.

Norbert Lossau über die Herausforderungen auf dem Weg in eine digitali- sierte Forschungslandschaft und Wissensgesellschaft.

schen Nachhaltigkeit“ einfordert und dies nicht minder grundlegend verknüpft mit der Vorgabe, den Verlust an biologischer Vielfalt zu reduzieren?

Bereits an diesem Beispiel zeigt sich, dass die digi- tale Modernisierung von Wissenschaft und Gesell- schaft entsprechender Infrastrukturen bedarf. Eine solche Informationsinfrastruktur ist die Global Biodiversity Information Facility (GBIF), weltweit größtes Portal zum Themenfeld Biodiversität mit (Stand September 2012) knapp 380 Millionen Ein- trägen aus mehr als 10.000 Datenquellen aller Kontinente (www.gbif.org). Wissenschaftler aus aller Welt stellen ihre Datensätze in das Portal ein und greifen für ihre Forschung darauf zu. Der Blick

„Wie sieht das Leben auf der Erde aus? Welche Arten hat es wann und wo gegeben und welche gibt es noch heute?“ Zunächst scheint es, als wäre eine umfassende Antwort auf derart raumgrei- fende Fragen nicht möglich. Doch die digitale Erfassung und Aufbereitung von Wissen und der Zugriff darauf durch viele schaffen die Daten- grundlagen, um sich der Beantwortung solcher Fragen – in kleinen Schritten – zu nähern und sich auch den globalen Herausforderungen, die sich daraus ableiten mögen, stellen zu können. Wie sonst wollte man beispielsweise eines der acht von den Vereinten Nationen zu Beginn des neuen Jahr- tausends formulierten Millenniumsziele erreichen, das ganz grundlegend die „Sicherung der ökologi-

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Im Zuge der Digitali- sierung finden verteil- te Wissensbestände und Datenquellen virtuell zusammen.

Dies fördert zugleich die Bildung überinsti- tutioneller, nationaler und internationaler Forschungskoope- rationen. Die Bemü- hungen zur Doku- mentation bedrohter Sprachen (siehe auch Beitrag ab Seite 24) sind eines von vielen Beispielen dafür.

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Daten über einzelne Forschungsfragestellungen hinaus nutzen zu können, müssen Standards bei der Datenbeschreibung („Metadaten“) und in der technischen Bereitstellung (zum Beispiel Zugangsprotokolle) eingehalten werden. Das heißt alles in allem: Der traditionell geschlossene, zumeist einzelnen Vorhaben verhaftete Zyklus des Forschungsprozesses wird aufgebrochen, der Wis- senschaftler selbst wiederum wird zum Anbieter von Wissensressourcen.

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass im Zuge der Digitalisierung von Informati- onsbeständen auch Urheberrechts-, Eigentums-, Datenschutz- und Zugangsrechtefragen sowie ethische Aspekte zum Tragen kommen. Sie sind von jedem zu beachten, der Inhalte im Internet anbietet. Wem beispielsweise „gehören“ die digi- talen Abbildungen von Grabungsfunden, wer hat das „Recht“, diese im Internet bereitzustellen? Was ist zu beachten bei der digitalen Bereitstellung von ethnologischen Sammlungen, wie sie auch an Universitäten zu finden sind? Wo sind Grenzen zu ziehen bei der Veröffentlichung von Erhebungen zu bestimmten Sozialfaktoren, die die Entstehung gewisser Krankheiten vermeintlich begünstigen?

Wer entscheidet, mit welchen Objekten des kul- turellen Erbes die Ethnie eines Mehrvölkerstaats wirken mehr als 60.000 Mitglieder daran mit,

diesen Zugang zum Wissen über das Leben auf der Erde permanent auszubauen. Getragen wird das Angebot unter anderem von so renommierten Institutionen wie der Harvard University und den Smithsonian Institutes der Vereinigten Staaten von Amerika (http://eol.org). Wissenschaft und Gesellschaft bewegen sich durch die Bildung solch virtueller Communities stärker aufeinander zu.

Eine neue Öffentlichkeit entsteht, die über aktive Teilhabe an wissenschaftlichen Aktivitäten das Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit tiefer in die Gesellschaft hineinträgt.

Dass im Zuge der Digitalisierung verteilte Wis- sensbestände und Datenquellen virtuell zusam- menfinden, fördert zugleich die Bildung über- institutioneller, nationaler und internationaler Forschungsverbünde. Das Aktionsfeld Biodiversität ist ein Beispiel, Vergleichbares gilt bei der Doku- mentation bedrohter Sprachen, in der Archäologie oder der Seuchenbekämpfung. Damit wird die Entwicklung umfassend kooperierender Wissen- schafts-Communities weiter vorangetrieben; man kennt das bereits von der Großgeräte-Forschung etwa in der Teilchenphysik (CERN und andere wis- senschaftliche Anlagen), in der Astrophysik (Rie- senteleskopanlagen in Chile oder Südafrika) oder vom Einsatz der deutschen Forschungsschiffe in der Ozean-, Polar- und Tiefseeforschung.

Mit der Digitalisierung des Wissens über alle Wissenschaftsdisziplinen hinweg entstehen neue Anforderungen an Forscher, Infrastrukturein- richtungen und Institutionen. Sie reichen weit über die Langzeitarchivierung, Datenbeschrei- bungs- und informationstechnologische Aspekte hinaus. Wissenschaftler entwickeln neue For- men des Publizierens; sie reichen von digitalen Editionen in den Geisteswissenschaften bis zur weitgehend offenen Publikation von Forschungs- daten. Damit einher gehen neue Zitationsformen, Verbreitungsprinzipien wie Open Access und die Weiterentwicklung klassischer Impact-Bewertun- gen. Um die teilweise kostenintensiv erstellten

„Digitalisate“ beziehungsweise genuin digitalen von Fotos im Internet in dem Jahrzehnt nach

der Jahrtausendwende die Zahl der identifizier- ten Opfer des Holocaust von zwei auf fast vier Millionen nahezu verdoppelt (www.vosizneias.

com/69365/2010/11/22/jerusalem-yad-vashem- nearly-two-thirds-of-jewish-holocaust-victims-iden- tified). Die Einbeziehung interessierter Laien in die Forschung etwa bei der Datensammlung und Annotation ist ein Trend, der mit der Entwicklung für jedermann verfügbarer mobiler Endgeräte und einfach zu bedienender Applikationen („Apps“) weiter zunehmen wird.

Informationen werden von überall her eingespeist;

das Ziel – mehr Wissen über das Leben

Ein überzeugendes Beispiel hierfür ist die Encyclo- pedia of Life, die ebenfalls in globaler Perspektive das Thema Biodiversität fokussiert. Bereits heute

„Holocaust-Materialien“ zu bleiben: Hier werden Namen über semantische Annotationen mit stan- desamtlichen Einträgen abgeglichen, Deportati- onslisten mit Nummern der Opfer verknüpft und Familien, die über große geografische Distanzen auseinandergerissen wurden, wieder in ihren Ver- wandtschaftsverhältnissen aufgezeigt. Erst Ver- netzung, Kontextualisierung und Visualisierung also bringen digitalisierte Objekte eindrucksvoll

„zum Sprechen“. So entstehen – in diesem Beispiel – aus einzelnen Objekten von Sammlungen reale Lebensschicksale mit einer bis dahin nicht da gewesenen Wirkungsintensität.

Die Digitalisierung von Informationen kann folglich die Grundlage für neue Erkenntnisse schaffen und darüber hinaus auch die nicht- akademische Öffentlichkeit mobilisieren. So habe sich nach Aussage Gertners vor allem durch die Digitalisierung und anschließende Bereitstellung

Norbert Lossau, Jahr- gang 1962, studierte Finnisch-ugrische Philologie und Skandi- navistik an den Univer- sitäten Bonn und Göt- tingen; er wurde 1991 in Göttingen promo- viert. Dem Referendariat des wissenschaft- lichen Bibliotheksdienstes folgten ab 1996 Tätigkeiten an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen als Gründungsleiter des dortigen Digitali- sierungszentrums, 2001 als Gründungsleiter der Oxford Digital Library an der University of Oxford, Großbritannien. 2002 wechselte Norbert Lossau als Leitender Bibliotheks- direktor an die Universität Bielefeld, 2006 kehrte er an die SUB Göttingen zurück, deren Direktor er seitdem ist. Im Februar 2011 folgte

die Ernennung zum Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. Seit Anfang 2013 ist er Vizepräsident der Universität Göttingen.

Lossau beschäftigt sich mit neuen Paradigmen des Publizierens und Arbeitens mit digitaler Information. Sein Interesse gilt dabei insbe- sondere Open Access und Digital Humanities/

eResearch sowie dem Aufbau nationaler und internationaler Forschungs- und Informations- infrastrukturen. Professor Dr. Norbert Lossau ist Mitglied zahlreicher nationaler und inter- nationaler Gremien, so im Ausschuss für wis- senschaftliche Bibliotheken und Informations- versorgungssysteme der Deutschen Forschungs- gemeinschaft, im Vorstand der Europäischen Wissenschaftlichen Bibliotheken, in der Arbeits- gruppe „Digitale Information in Forschung und Lehre“ der Hochschulrektorenkonferenz und der

„G8 + O5 Working Group on Data“.

Norbert Lossau

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Blick auf die Bio- diversitätswand im Berliner Museum für Naturkunde – auch eine Form zugleich der Aufbewahrung und der Präsentation von „Informationen“.

Speichermedien lösen einander in immer kürzeren Zeiträumen ab – eine Herausfor-

derung für die dau- erhafte Archivierung von Informationen.

digital „repräsentiert“ wird – zum Beispiel im europäischen Kulturerbe-Portal Europeana (www.europeana.eu/portal) oder in der World Digital Library (www.wdl.org)?

Neue Allianzen entstehen: von Forschern, Öffentlich- keit, Wissenschaftsförderern – nicht selten global Organisatorische und finanzielle Fragen erwei- tern das breite Spektrum der Anforderungen.

Wie werden Hunderte und Tausende verteilter Datenquellen in einem gemeinsamen Portal zusammengefasst, sodass die Interessen der ein- zelnen Datenlieferanten ebenso gewahrt bleiben wie die des Gesamtportals? Entspricht das digitale Angebot einzelner „Lieferanten“ inhaltlichen und formalen Mindeststandards, und: Kann die Dauer-

haftigkeit der Zulieferung garantiert werden? Wer finanziert ein länderübergreifendes Kulturerbe- Portal wie Europeana, wenn die einzelnen Länder bereits nationale Portale finanzieren?

Bestimmend für den (wissenschaftlichen) Erfolg und die Nachhaltigkeit digital verfügbarer und aufbereiteter Wissensbestände wird eine gelun- gene Einbettung in professionelle Informations- infrastrukturen sein sowie die offene Nutzung der digitalisierten Wissensressourcen – soweit rechtliche und ethische Aspekte dem nicht im Wege stehen (müssen). Nicht ohne Grund haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern sowie der Wissenschaftsrat in den vergangenen zwei Jahren nationale und disziplinbezogene Konzepte zur Informations-

eller Forschungsumgebungen oder die Etablie- rung von Grid-Technologien. Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler erhalten hier Antworten auf Fragen zu geeigneten digitalen Methoden für ihre Vorhaben und damit Unter- stützung für ihre Forschung. Gemeinsam mit dem Zentrum für Informatik werden, begin- nend bei den Bachelor-Studiengängen, Lehr- module und -inhalte entwickelt. Und letztlich nimmt sich das GCDH der Aufgabe an, digitale Infrastrukturen von Basisdiensten bis hin zu speziellen Tools zusammenzuführen.

2012 war ein entscheidendes Jahr für das GCDH.

So wurden die Weichen gestellt, um als Partner im Digital Research Infrastructure in the Arts and Humanities-Projekt (DARIAH) mitzuwirken am Aufbau einer erfolgreichen digitalen For- schungslandschaft in Deutschland und Europa.

DARIAH zielt vor allem ab auf die Etablierung geeigneter Formen der Zusammenarbeit von Geisteswissenschaftlern unabhängig vom

Ort ihres Wirkens oder auf neu zu gestaltende Curricula, die Studierende auf die digitale For- schungswelt des 21. Jahrhunderts vorbereiten.

Veranstaltungen runden das Engagement des GCDH ab: 2012 etwa eine Summer School, eine Digital Humanities-Konferenz und eine Ring- vorlesung, alle mit internationaler Beteiligung.

Das von einem sechsköpfigen Vorstand gelei- tete GCDH wird institutionell getragen von der Staats- und Universitätsbibliothek und fünf Fakultäten der Georg-August-Universität Göttingen: der Philosophischen (federfüh- rend), Juristischen, Sozialwissenschaftlichen, Theologischen und Wirtschaftswissenschaft- lichen Fakultät. Beteiligt sind zudem die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die Max Planck Gesellschaft samt Max Planck Digital Library sowie die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.

Juan Garcés, Koordinator des GDCH Digitale Texte, digitale Bibliotheken und neue

Medien gehören heutzutage zu den Forschungs- gegenständen vieler Geistes- und Sozialwissen- schaften. Mit ihnen ändern sich aber nicht nur die zu untersuchenden Gegenstände, sondern auch die Fragestellungen der geistes- und sozial- wissenschaftlichen Disziplinen und die Metho- den, mit denen diese Gegenstände untersucht werden. Doch Geistes- und Sozialwissenschaft-

ler sind oft nicht hinreichend mit computerba- sierten Methoden und Verfahren vertraut; digi- tale Infrastrukturen vielfach unzureichend auf die Bedürfnisse der entsprechenden Forschung ausgerichtet. Auch fehlt meist eine systemati- sche Integration computerbasierter Methodiken in die Lehre. Diese Defizite zu beheben, wurde das Göttingen Centre for Digital Humanities – kurz GCDH – gegründet.

Am GCDH fließen digitale Forschungsinter- essen zusammen. Sie reichen von der Ägyp- tologie bis zur Wirtschaftsinformatik, von der Musikwissenschaft über das Medienrecht bis zur Linguistik und Literaturwissenschaft.

Aufgabe des Zentrums ist die Initiierung und Unterstützung von eResearch-Vorhaben in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die Ent- wicklung geeigneter Lehre sowie die Umset- zung in digitale Infrastrukturen. Dies umfasst hoch spezialisierte Vorhaben wie ein Korpus des Koptischen ebenso wie den Aufbau virtu-

Das Göttingen Centre for Digital Humanities (GCDH)

infrastruktur durch Expertenrunden erstellen lassen und veröffentlicht. Auf europäischer Ebene arbeitet die Europäische Kommission an vergleichbaren Plänen für das nächste Förderpro- gramm „Horizon 2020“; international bilden sich – etwa mit der „G8 + O5 Working Group on Data“

– vergleichbare Foren, die erste Überlegungen zu „Global Research Infrastructures“ formulieren.

Die Digitalisierung von Wissen lässt somit neue Allianzen von Forschern, Infrastruktureinrich- tungen und Gedächtnisinstitutionen, Wissen- schaftsinstitutionen und -förderern entstehen, dabei fast immer länderübergreifend und nicht selten global. So verbinden sich Tradition und Innovation auf einzigartige Weise, und es öffnen sich Potenziale für Forschung und Gesellschaft, die es wert sind, in den kommenden Jahrzehnten kreativ genutzt zu werden.

Der Beitrag ist eine Fortschreibung des Artikels

„Sammlungen eine weltweite Stimme geben – Wie digitalisierte Archive die Forschung revolu- tionieren“ von Gerhard Lauer und Norbert Lossau, in: Georgia Augusta, Wissenschaftsmagazin der Georg-August-Universität Göttingen, Ausgabe 8, März 2012, S. 98-105.

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Sie freuten sich über ein erfolgreiches Festival (von links nach rechts):

Dr. Franz Dettenwanger (VolkswagenStiftung), Markus Wiederspahn (Carl Zeiss Microscopy), Ingo Johannsen und Helge Fischer (beide TU Hamburg-Harburg), Professor Dr. Ralf B.

Wehrspohn (Universität Halle/Saale).

Animationen zu ver- schiedenen Themen bieten lehrreiche Einfüh- rungen in die Grundprin- zipien der Evolution.

Wasser – ein spannender Film informiert über den Ursprung allen Lebens.

Von Natur aus neugierig, begibt sich der junge Charles Darwin auf Forschungsreise um die ganze Welt. Fünf Jahre lang sammelt er, beobachtet und notiert, was er auf anderen Kontinenten entdeckt – im Zeichentrickfilm schafft er das in zehn Minuten.

Seehund Malte und Guido Dehnhardt sind ein eingespieltes Team. Der Lichtenberg-Professor möchte herausfinden, wie sich die Tiere orientieren.

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O-Töne aus der Wissenschaft

Vier Videoporträts geben spannende Einblicke in die Arbeit von Wissenschaftlern in Rostock, London, Cape Coast (Ghana) und St. Petersburg.

Besuch für Guido Dehnhardt, Manos Tsakiris, Eric Debrah Otchere und Alexander Gavrilov:

Für das Jubiläumsbuch der VolkswagenStiftung porträtierten vier junge Fotografen die Wis- senschaftler und deren Forschung rund um die Orientierungskünste von Seehunden, die Selbst- wahrnehmung des Menschen, Musikstile in Westafrika und Altphilologie in Russland.

Die Fotografen Fabian Fiechter, Michael Heck, Johannes Kühner und Mario Wezel ergänzten ihre Bilder vor Ort durch gefilmte Interviews mit den Forschern. So entstanden neben den Buchbeiträgen auch kurze Videoporträts, die auf der Jubiläumswebsite der VolkswagenStif- tung zu sehen sind (www.volkswagenstiftung- 50-jahre.de). Hier finden sich auch das Jubilä- umsbuch der Stiftung zum Download sowie weitere Informationen rund um das Jubiläum

„50 Jahre VolkswagenStiftung“.

Premiere für „Nano-Kurzfilmer"

VolkswagenStiftung fördert das 1. Nano-Kurzfilm-Fes- tival. Siegerteams im Juli 2012 gekürt in Halle/Saale.

Visualisierungen aus dem Nano-Kosmos – ein The- ma, das längst im Wissenschafts- und Forschungs- betrieb angekommen ist. Rasante Weiterentwick-

lungen elektronenoptischer und nahfeldoptischer mikroskopischer Verfahren lassen atemberaubende Bilder entstehen und ermöglichen zugleich künstle- risches Arbeiten in und mit der Nanowelt. Wie nahe dabei der Schritt zum bewegten Bild liegt, zeigten die Wettbewerbsbeiträge des 1. Nano-Kurzfilm-Festi- vals. Am 5. Juli 2012 wurden in Halle/Saale die drei besten Produktionen prämiert – ausgewählt vom anwesenden Publikum.

Die Idee: Warum nicht abstrakte Materie in inspirie- rende Filmchen verpacken? Am besten gelang das dem Team von Ingo Johannsen vom Institut Poly- mer Composites & Bold Futures. Es überzeugte das Publikum mit dem Sciencefiction-Spot „European Augmentation Agency: Nano-Nose Update 2032“. Die Belohnung für den 1. Platz im Wettbewerb: 5.000 Euro, gesponsert von Carl Zeiss Microscopy. Platz 2 ging an das Team von Andreas Landefeld von der Technischen Universität Braunschweig für den Film

„Nanoschmiede der Zukunft“. Der Kinderspot „Vijay und die Schalter“ vom Team um Stefan Schwarzer vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Natur- wissenschaften Kiel wurde auf Platz 3 gewählt.

Silber- und Bronzepreisträger belohnte die Bethge- Stiftung mit 3.000 beziehungsweise 2.000 Euro.

Für alle, die nicht dabei sein konnten: Unter www.

nanospots.de zeigt eine Filmgalerie diese Spots nebst Preisträgern. Außerdem gibt es eine DVD, die neben einem Hintergrundinterview mit dem wissenschaftlichen Koordinator Professor Dr. Ralf Wehrspohn die besten zehn Spots sowie Impres- sionen des 1. Nano-Kurzfilm-Festivals präsentiert – zum Selbstkostenpreis von 5 Euro (inkl. Versand) zu bestellen unter info@nanospots.de (Betreff:

nanospots – die DVD). Die „Initiative nanospots – Das Nano-Kurzfilm-Festival“ wird gefördert von der VolkswagenStiftung; weitere Kooperationspartner sind Spektrum der Wissenschaft, vdi nachrichten, die Bethge-Stiftung, die Hochschule Darmstadt, Carl Zeiss Microscopy und das Mitteldeutsche Multime- diazentrum. Bis 2014 sind drei Wettbewerbsrunden mit abschließenden Festivals geplant. An dem ersten nahmen sechzig Teams teil, bunt zusam- mengesetzt aus Forschern und Filmschaffenden.

Animationen über das Leben

Die Geheimnisse der DNA als Trickfilm-Simulation;

neuer Film zur „Evolution der Milchverträglichkeit“:

Mit elf Produktionen und Lehrmaterialien ist die Website www.evolution-of-life.com gut gefüllt.

Wie kommt es, dass Milch in einigen Teilen der Welt gut vertragen wird und als Gesundbrunnen gilt, anderswo den Menschen jedoch schlecht davon wird? Hat die Evolution etwas damit zu tun, ob Milch uns bekommt? Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein bestimmtes Gen – das Laktase-Gen – die Verträglichkeit bedingt. Erwach- sene mit einer Variante des Gens können Milch verdauen, Erwachsene mit einer anderen hinge- gen nicht. Was genau die Wissenschaft darüber weiß, und was wir selbst wissen sollten: Darüber informiert ein gerade fertiggestellter Film auf der Website evolution-of-life.com.

Die dreisprachige Website lädt ein zu einer span- nenden wissenschaftlichen Entdeckungsreise durch die Evolution des Lebens. Unter den Rubri- ken „beobachten“, „erforschen“ und „unterrich- ten“ zeigen anschauliche Filme, Animationen und Simulationen sowie – als wichtiges weiteres Element – kostenlos herunterladbare Lehrma- terialien, wie Evolution funktioniert. Lehrer wie Schüler finden hier neben den Filmen interessan- te Lehrmaterialien und Tipps für die Gestaltung eines modernen Unterrichts.

So informiert beispielsweise auf evolution-of-life.

com die neueste interaktive Animation „Der Fluss der genetischen Information“ über die Geheim- nisse rund um die DNA und klärt Fragen wie „Wo genau im DNA-Molekül befindet sich eigentlich die genetische Information?“ „Wie wird sie von der Zelle entschlüsselt?“ Und: „Wie wird die gene- tische Information von der Mutterzelle an ihre Tochterzellen weitergegeben; wie bleibt die Infor- mation über die Zellteilungen hinweg erhalten?“

Wie letztlich kann ein Molekül mit einer auf den ersten Blick so einfachen Struktur die gesamte genetische Information enthalten, die die Merk- male eines Individuums bestimmt? Und und und.

Die Animation lässt Sie in dieses Universum ein- tauchen; eine spannende Entdeckungsreise, bei der so manches Geheimnis gelüftet wird.

Das multimediale, internationale Projekt evolution- of-life.com von Pleuni Pennings und Yannick Mahé war einer der zwölf Gewinner des Ideenwettbe- werbs „Evolution heute“ der VolkswagenStiftung im Darwinjahr 2009. Inzwischen sind eine Vielzahl von Animationen und Filmen aus dem Projekt hervor- gegangen, die bei Filmfestivals weltweit mit Preisen ausgezeichnet wurden. So hat Evolution of life 2010 den renommierten MEDEA Awards gewonnen, ein Wettbewerb, der herausragende kreative Leistungen in der Verwendung von Medien im Bildungsbereich auszeichnet. Alle Dokumente nebst Lehrmaterialien sind kostenlos und mit einer Lizenz (siehe Nutzungs- bedingungen auf der Website) zu erhalten. Mit den beiden jetzt eingestellten Produktionen ist das Pro- jekt abgeschlossen.

„Digitalisierung“ kompakt – Nachrichten zum

Schwerpunktthema

Kompakt

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Er dokumentiert die bedrohte Sprache der im brasilianischen Urwald lebenden Awetí-Indianer: Sebastian Drude am digi- talen Schnittplatz des Spracharchivs im Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande. „Ich bin einer von diesen kauzigen Feldforschern, die mit Aufnahmegerät und Videokamera menschliche Sprache aufzeichnen“, scherzt er.

Ein Archiv für die Sprachen der Welt

Hören können, was bald stirbt:

Im niederländischen Nijmegen

finden bedrohte Sprachen eine

digitale Heimat. Ein Besuch dort,

wo das technische Herz einer

weltweiten Initiative schlägt.

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Die Grammatik und das Wör- terbuch, die Sebastian Drude erarbeiten will, werden auf einer umfangreichen Multi- media-Sprachbeschreibung und Sprachdokumentation beruhen.

Der 45-jährige Linguist ist einer von weltweit wenigen in die- sem Forschungsfeld.

Das Awetí ist eine Tupí-Sprache, die nur noch von 170 Stammes- angehörigen im brasilianischen Mato Grosso gesprochen wird.

Schon seit dreizehn Jahren beschäftigt sich Drude intensiv mit der Sprache. Brasilien ist seine große Leidenschaft, seit er dort nach dem Abitur ein Frei- williges Soziales Jahr absolvierte.

„Es ist nicht nur die Sprache, es sind die Menschen selbst mit ihrer Kultur, die mich faszinie- ren“, sagt er.

Der Forscher pendelte bis vor Kurzem zwischen Deutschland – zuletzt von der Universität Frankfurt/Main aus – und Bra- silien, wo er für verschiedene Projekte als Gastforscher am Amazonien-Forschungsinstitut

„Museum Goeldi“ im nordbrasi- lianischen Belém tätig war. Sein neuer Lebensmittelpunkt ist nun das niederländische Nijmegen und die neu eingerichtete Abtei- lung „The Language Archive“ am dortigen Max-Planck-Institut.

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Von außen wirkt es unschein- bar und zweckmäßig: das Max-Planck-Institut für Psycho- linguistik in Nijmegen (hier das Gebäude bei Nacht). Innen jedoch brodelt eine ganze Welt.

Dort lagert eines der wichtigsten und spannendsten Kulturgüter der Menschheit: die Sprache.

Genauer gesagt, lagern hier archivierte, digitale Daten von vielen Sprachen dieser Welt; Auf- zeichnungen, die nicht zuletzt für nachfolgende Forscherge- nerationen bewahrt werden.

Sebastian Drude im Gebäude unterwegs (oben links) und im Gespräch mit Shakila Shayan (oben rechts). Links unten:

Arbeitsgruppe um Drude und Peter Wittenburg (Fünfter von rechts), der 1999 begann, das

„DoBeS-Archiv“ aufzubauen.

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lage ihrer Erkenntnisse entwickeln die Forscher dann beispielsweise – im Optimalfall wieder gemeinsam mit Partnern vor Ort – eine Orthogra- fie und Beschreibung (Grammatik) der Sprache oder auch Schulbücher, mit denen die Kinder die Sprache ihrer Eltern und Großeltern nicht nur in Wort, sondern zugleich in Schrift lernen können.

Vor allem aber: Die Wissenschaftler hinterlegen im DoBeS-Sprachenarchiv Audio- und Videoauf- nahmen, die ein lebendiges Bild der Sprache, des Alltagslebens und der Kultur der indigenen Bevöl- kerung festhalten. Und die von dieser jederzeit selbst abgerufen und genutzt werden können.

Das digitale Archiv ist das zentrale Projekt und das technische Herzstück der DoBeS-Initiative und wurde von der VolkswagenStiftung über die Jahre mit rund drei Millionen Euro gefördert. In Nijme- gen laufen die Fäden aller Dokumentationsvor- haben zusammen, deren Erfassung bestimmten Standards zu genügen hat. Auf diese Weise sind die Sprachdaten und -beschreibungen – größten- teils – auch für andere Forscher leicht abruf- und lesbar. Das DoBeS-Archiv wiederum ist zentraler Bestandteil des unlängst gegründeten Language Archive, das technisch sozusagen auf dem DoBeS- Fundament erbaut wurde und von den Erfahrun- gen, die damit gemacht wurden, profitiert. Auch Daten anderer Wissenschaftler des Max-Planck- Instituts und weltweit von weiteren Einrichtun- gen, die sich mit der Erforschung von Sprache beschäftigen, können hier gespeichert werden.

„Zunehmend mehr Kollegen, die um den Verlust ihrer oft schon Jahrzehnte alten Aufnahmen auf viele der bedrohten Sprachen existiert weder eine

Orthografie noch eine Grammatik“, sagt Dr. Vera Szöllösi-Brenig, die als verantwortliche Programm- Managerin die Initiative von Beginn an gestaltet hat. Insgesamt hat die Stiftung seit der Jahrtau- sendwende in 72 zum Teil mehrphasigen Projekten die Dokumentation und technische Aufbereitung von rund hundert Sprachen ermöglicht.

Auf allen Kontinenten waren Forscher unterwegs, Sprachen zu erfassen und wissenschaftlich aufzu- bereiten: beispielsweise in Brasilien bei den Awetí, den Wichita in Nordamerika, bei den im Kaukasus beheimateten Uden – oder den !Xõo in Namibia, um dort die Geheimnisse einer Klicksprache zu ergründen. Auch Europa ist mit einem in Portugal angesiedelten Dokumentationsvorhaben vertre- ten. Ein geografischer Hotspot ist der australisch- pazifische Raum; die fernöstlichen Inselwelten bis in die Südsee beheimaten eine Fülle uner- forschter, linguistisch sehr interessanter und teils extrem bedrohter Sprachen. Den Wissenschaftlern standen und stehen dabei vor Ort engagierte einheimische Mitarbeiter zur Seite, die bei der Annäherung an die fremden Sprachen wertvolle Hilfe leisten. Zu Projektbeginn werden zudem alle beteiligten Forscherinnen und Forscher in inten- siven Trainings auf die technischen wie kulturell bedingten Herausforderungen einer jeweiligen Sprachdokumentation vorbereitet.

Mit der Dokumentation einer bedrohten Spra- che ist viel gewonnen, doch das ist nur ein erster Schritt. Im Anschluss wird diese akribisch mit all ihren Besonderheiten untersucht. Auf der Grund- schaften, die Königlich-Niederländische Akademie

der Wissenschaften und, als Impulsgeberin, die VolkswagenStiftung.

Wissenschaftler schätzen, dass es weltweit rund 6500 Sprachen gibt, von denen über die Hälfte bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben oder in ihrer Existenz stark gefährdet sein dürfte.

Manche werden bereits heute nur noch von einer Handvoll Menschen gesprochen und verstanden.

Rund um den Erdball haben deshalb in den vergan- genen zwölf Jahren engagierte Forscherteams mit Unterstützung der VolkswagenStiftung daran gear- beitet, dieses im Verschwinden begriffene Kulturer- be über die mündliche Überlieferung hinaus greif- und haltbar zu machen. „In jedem einzelnen Fall ist das eine große Herausforderung, denn für sehr Kulturerbe versteckt sich manchmal in einem

unscheinbaren Gewand. Das Gebäude des Max- Planck-Instituts (MPI) für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen hat von außen den zweckmäßig-langweiligen Charme eines Kreis- krankenhauses aus den 1980er Jahren. Man wür- de nicht vermuten, das es eines der wichtigsten und spannendsten Kulturgüter der Menschheit beherbergt: die Sprache. Genauer gesagt, The Language Archive, eine neue Einrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, digitale Daten von den Sprachen dieser Welt zu archivieren und für nachfolgende Forschergenerationen zu bewahren.

Fünf starke Partner haben diese digitale Arche Noah im Herbst 2011 an den Start gebracht: das MPI in Nijmegen, die Max-Planck-Gesellschaft, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen-

Sprache ist Kulturerbe. Mit ihr gibt eine Generation Wissen an die nächste weiter: über Mythen und Bräuche, aber auch über ganz gewöhnliche Alltags- rituale. Doch gut die Hälfte der weltweit etwa 6500 Sprachen ist vom Aus- sterben bedroht – viele werden nur noch von ein paar Dutzend Menschen gesprochen und nicht mehr von den Eltern an die Kinder weitergegeben.

Im niederländischen Nijmegen haben engagierte Wissenschaftler mithilfe der Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ (DoBeS) der Volks- wagenStiftung ein digitales Archiv für das Kulturgut Sprache aufgebaut.

Seit Mitte der 1970er Jahre arbeitet der gebürtige Hol- steiner Peter Wittenburg bereits in Nijmegen. Dem Ingenieur und Softwareex- perten ist es mit zu verdan- ken, dass es weltweit inzwi- schen etwa ein Dutzend Mini-Ableger des DoBeS- Archivs gibt: unter anderen in Brasilien, Peru, Mexiko, Australien und Russland.

In Peter Wittenburgs Büro sorgen ein paar kleine bunte Kult- Figürchen auf der Fensterbank für Farb- tupfer. Er hat sie von seinen Reisen nach Brasilien, Peru oder Polen mitgebracht.

Meist jedoch findet man ihn inmitten seiner Forscherkol- legen wie hier in der Instituts-Caféteria.

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Nijmegen ist ein guter Platz zum Forschen – und zum Leben.

Immer mal wieder verlagern sich die Gespräche mit Kol- legen auch aus dem Institut heraus.

ihn die Arbeit am Archiv so spannend. „In jedem Fall zeichnet sich ab, dass auch für Ethnologen oder Ethnomusikologen, für Verhaltensforscher, Psycho- logen und Neurowissenschaftler das Archiv eine wertvolle Anlaufstelle ist für Recherchen jeder Art.“

Möchte ein Forscher beispielsweise vergleichen, welche Begriffe für „Medizin“ oder für „Tod“ die Menschen im brasilianischen Xingú-Gebiet oder auf Papua-Neuguinea verwenden, welche Gesten sie beim Sprechen machen und welche kulturellen Rückschlüsse man daraus ziehen kann, lässt sich dies im Language Archive gezielt recherchieren.

Das Archiv umfasst derzeit ein Datenvolumen von etwa 80 Terabyte. Mindestens 150 Sprachen – zwei Drittel aus dem Kontext der DoBeS-Initiative – sind direkt in Dateien nachgewiesen, über 200 werden in den Metadaten erwähnt.

nahmen hinzufügen: unter anderem zur Phonetik und zur Morphosyntax des Gesprochenen oder zur Gestik der Sprechenden.

„Der Weg zu einem Datensatz, mit dem ja später auch andere Forscher etwas anfangen können müssen, ist manchmal ziemlich schwierig – vor allem, wenn für die untersuchte Sprache zu Beginn noch keine Orthografie existiert“, gibt Drude zu bedenken. Die schriftliche Darstellung etwa von Tönen und Klicklauten südafrikanischer Sprachen sei oft kniffelig: Denn wie stellt man so etwas orthografisch dar? „Die Wissenschaftler müssen dann manchmal etwas improvisieren und unter- schiedliche Akzente verwenden oder Tonbuchsta- ben neben den Laut setzen, um zu kennzeichnen, in welcher Tonlage er ausgesprochen wird.“

„Wir können noch nicht genau sagen, für wen, außer uns Linguisten, diese Datenbank später ein- mal interessant sein und was damit erforscht wer- den wird“, sagt Drude. Aber gerade das macht für nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr

absolvierte. Damals erwachte auch sein Interesse an den indigenen Sprachen Südamerikas. „Es ist aber nicht nur die Sprache, es sind die Menschen selbst mit ihrer Kultur, die mich faszinieren.“

Der 45-Jährige hat gerade erst die Leitung des Archivs von Peter Wittenburg übernommen.

Der Ingenieur und Softwareexperte Wittenburg begann im Jahr 1999, das DoBeS-Archiv – und spä- ter auch das Language Archive – aufzubauen. Zur Dokumentation und Beschreibung von Sprachen entwickelte er im Verbund mit seinem internatio- nalen Team die Software ELAN, die bis heute kon- tinuierlich optimiert wird. ELAN ist inzwischen das für diesen Zweck weltweit wohl am häufig- sten verwendete Tool. Es wurde als sogenannte Freeware entwickelt und kann von jedem interes- sierten Forscher kostenlos zur Nutzung herunter- geladen werden. Neben der Transkription und der Übersetzung lassen sich einem Datensatz noch zahlreiche weitere sogenannte Annotationszeilen für die spätere Analyse der Audio- und Videoauf- analogen Datenträgern fürchten, überlassen uns

ihre Ton- und Bilddokumente zur Digitalisierung und Verwahrung“, sagt Sebastian Drude, der seit Kurzem das Language Archive gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen Daan Broeder leitet. So habe etwa der berühmte Verhaltens- forscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt seine gesamten Aufnahmen aus Papua-Neuguinea in Nijmegen sichern lassen. „Das ist ein solch riesiges Daten- volumen, dass wir damit Jahre beschäftigt sind“, freut sich Drude.

Der Linguist wurde selbst mit einem DoBeS- Projekt gefördert und war zudem einige Jahre Dilthey-Fellow der Stiftung in der Initiative „Pro Geisteswissenschaften“. Drude beschäftigt sich seit Ende der 1990er Jahre mit der Sprache der Awetí, einer brasilianische Tupí-Sprache, die von etwa 170 Menschen im Gebiet des Xingú-Flusses im Mato Grosso-Gebiet gesprochen wird. Auch im Deutschen finden sich Spuren davon: „Mara- cuja“ etwa oder „Jaguar“ sind Tupí-Wörter. Bra- silien ist Drudes große Leidenschaft, seit er dort

Zur Dokumentation und Beschreibung von Sprachen entwickelte Peter Wittenburg (links) mit seinem Team eine eigene Software:

ELAN. Es ist inzwischen das für diesen Zweck weltweit wohl am häufigsten verwendete Tool. Sein Engagement auf diesem Feld brachte ihm international hohe Anerkennung ein.

Die Initiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ ist zweifelsohne eine Erfolgsge- schichte: Als Mitte 2012 die letzten Projekte von der Stiftung auf den Weg gebracht wur- den, hatte sich die Zahl der Bewilligungen seit dem Startschuss zur Jahrtausendwende auf rund 150 summiert. Fast 28 Millionen Euro standen für diese Vorhaben insgesamt bereit – darunter nicht nur Sprachdokumen- tationsprojekte, sondern auch Veranstaltun- gen und Aktivitäten zum Archivaufbau und zur Toolentwicklung. Zu erwähnen noch: Die Stiftung hat in der Schlussphase der Förder- initiative neben Dokumentationsvorhaben auch Projekte unterstützt, die die in mehr als einem Jahrzehnt entstandenen Sprach- korpora vergleichend analysieren.

Das Engagement zur Dokumentation bedrohter Sprachen kann das Sprachensterben als Folge der kulturellen Globalisierung nicht aufhalten.

Doch was mit Videokamera, Rekorder, Fotoap- parat, Notizblock und anderen Hilfsmitteln in den vergangenen Jahren aufgezeichnet wurde, entreißt die Zeugnisse der vielfach nur münd- lich vermittelten Sprachkulturen dem spurlo- sen Verschwinden und bewahrt sie als Teil des kulturellen Gedächtnisses unserer Welt. Frei zugänglich sind die archivierten Sprachdoku- mentationen über die Internetseite des Max- Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijme- gen unter www.mpi.nl/DOBES. Dort findet sich auch eine Weltkarte, die zeigt, welche Sprachen in der DoBeS-Initiative der Stiftung erforscht und dokumentiert wurden und werden. cj

Die „DoBeS-Initiative“ – eine Erfolgsgeschichte

Referenzen

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