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Wie Statistiker die Wohlfahrt messen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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16 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 1-2/2015

Monatsthema

Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes wird weltweit anhand der Verände- rung des Bruttoinlandprodukts (BIP) ge- messen. Doch dieser wichtige wirtschafts- politische Indikator stösst an Grenzen, wenn es gilt, die Wohlfahrt oder die Le- bensqualität umfassend abzubilden. So sagt er beispielsweise nichts aus über den Ge- sundheitszustand, die Work-Life-Balance, die Umweltqualität oder die Zufriedenheit der Bevölkerung. Um die Wohlfahrt eines Landes angemessen zu erfassen, braucht es

weitere Informationen. Daher haben auch Institutionen wie die EU und die OECD be- gonnen, den Untersuchungsrahmen weiter zu stecken.

Was ist Wohlfahrt? Ein breiterer Ansatz

Wohlfahrt bedeutet, dass eine Bevölke- rung über genügend Mittel verfügt, um die eigenen Bedürfnisse zu decken, das Leben selbstständig zu gestalten, die Fähigkeiten einzusetzen und zu entwickeln und die ei- genen Ziele zu verfolgen.1 Wohlfahrt wird mit Lebensqualität gleichgesetzt und ent- spricht dem englischen Begriff Well-Being.

Das Wohlfahrtskonzept beinhaltet ausser den materiellen Dimensionen – wie Ein- kommen, Vermögen, Konsum und Wohnen – Faktoren wie Bildung, Gesundheit und soziales Netz. Weiter zählen rechtliche oder institutionelle Rahmenbedingungen dazu, die eine politische Partizipation und phy- sische Sicherheit ermöglichen. Schliesslich sind für die Wohlfahrt auch Umweltaspekte

Wie Statistiker die Wohlfahrt messen

Von einer «staatlichen Vermes- sung des Glücks» war die Rede, als das Bundesamt für Statistik im Dezember 2014 die Indikato- ren zur Wohlfahrtsmessung vor- stellte. Das neue Messsystem ist tatsächlich viel umfassender als wirtschaftliche Grössen wie das Bruttoinlandprodukt: Es bein- haltet auch relevante immateri- elle Werte wie soziale Bezie- hungen, Zufriedenheit und Gesundheit. Doch das Leben lässt sich nicht auf einen einzi- gen «Glücksindex» reduzieren.

Dazu ist die Wohlfahrtsmessung zu vielschichtig.

Bei einer möglichst breiten Betrachtung der Wohlfahrt spielt nicht nur die objektive Lebenssituation, sondern auch deren subjektive Einschätzung eine wichtige Rolle. Foto: Keystone

Dr. Jürg Furrer Projektleiter des «Indi- katorensystems Wohl- fahrtsmessung», Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg Prof. Dr. MBA

Georges-Simon Ulrich Direktor des Bundesam- tes für Statistik BFS, Neuenburg

öffentliche Veranstaltung

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Unter anderen mit:

Simonetta Sommaruga

Bundespräsidentin, Vor steherin EJPD

Michael Ambühl

Professor für Ver hand lungs - führung und Konflikt - management, ETH Zürich

Silja Häusermann

Professorin für Schweizer Politik und Vergleichende politische Ökonomie, Universität Zürich

Urs Schwaller

Ständerat, CVP

Pierin Vincenz

CEO, Raiffeisen

Valentin Vogt

Präsident, Arbeitgeberverband EFL_2015_Frueh_VW_A4_Layout 1 19.01.15 17:07 Seite 1

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Monatsthema

relevant, so beispielsweise die Luft- und die Wasserqualität oder die Lärmbelastung.

Bei einer möglichst breiten Betrachtung der Wohlfahrt spielt nicht nur die objektive Lebenssituation, sondern auch deren sub- jektive Einschätzung eine wichtige Rolle:

Wie bewertet die Bevölkerung die Wohn- oder die Umweltsituation? Wie sicher fühlt sie sich? Und wie zufrieden ist sie mit dem Leben generell? Auch wenn die subjektive Zufriedenheit ein wichtiger Aspekt der Wohlfahrt ist, sollte diese nicht auf die Zu- friedenheit oder gar auf den Begriff Glück reduziert werden. Bei der Wohlfahrtsmes- sung geht es nicht darum, einen «Glücksin- dex» zu konstruieren. Damit würde man der mehrdimensionalen Problematik nicht gerecht.

Wie erfasst die Statistik die Wohl- fahrt? Eine neue Systematik

Zur Messung der Wohlfahrt hat das Bundesamt für Statistik (BFS) ein Indika- torensystem ausgearbeitet, das aus einem kommentierten Grundschema (siehe Grafik 1) und rund 40 Indikatoren besteht.2 Die Grundidee: Wohlfahrt entsteht durch den Einsatz von ökonomischem und natürli- chem Kapital sowie von Human- und So- zialkapital im Rahmen von verschiedenen Prozessen.3 Weitere gesellschaftliche, öko- nomische und ökologische Aspekte ergän- zen die rein wirtschaftliche Betrachtungs- weise, die sich oft an der Entwicklung des BIP orientiert. Auf der Basis dieser Grund- idee wird das Indikatorensystem in sieben Hauptthemen gegliedert:

I. Rahmenbedingungen: Die Prozesse zur Schaffung, zur Verteilung und zum Erhalt der Wohlfahrt laufen innerhalb eines gesellschaftlichen, wirtschaftli- chen und ökologischen Rahmens ab.

Dazu gehören beispielsweise die Struk- tur der Gesellschaft und der Wirtschaft, aber auch Reaktionen auf veränderte Umweltbedingungen. Ebenfalls zu den Rahmenbedingungen zählen öffentliche Institutionen (Sozialversicherungen, Ge- sundheitswesen, Bildungswesen, politi- sche Institutionen) und Politikfelder (z.

B. Gesellschafts-, Finanz- und Umwelt- politik).

II. Bestände: Die Bestände liefern den Input für die Schaffung von Wohlfahrt.

In Übereinstimmung mit der internatio- nalen Diskussion4 umfassen die Bestände ökonomisches, natürliches, Human- und Sozialkapital. Neben dem Sach- und dem Finanzkapital gehören also beispiels- weise auch die Umweltqualität, der Bil- dungs- und der Gesundheitszustand der

Bevölkerung sowie die sozialen Bezie- hungen und das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft dazu. Um zu gewährleisten, dass das Wohlfahrtsniveau langfristig gehalten bzw. erhöht werden kann, gilt es, die Bestände zu bewahren, zu erneu- ern und zu erweitern.

III. Aktivitäten: Unter Aktivitäten wer- den all jene Prozesse verstanden, durch die Bestände in Güter umgewandelt wer- den. Im Indikatorensystem werden also unterschiedliche Aktivitäten aus den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt berücksichtigt. Sie beinhalten ökonomische Produktionsprozesse, aber auch natürliche Prozesse, durch welche Ökosystemdienstleistungen geschaffen werden, sowie Haus- und Familienarbei- ten (wie Mahlzeiten zubereiten, putzen, mit Kindern spielen) oder Freizeitaktivi- täten.

IV. Auswirkungen auf die Bestände:

Durch die Aktivitäten zur Herstellung und zur Nutzung von Gütern werden die Bestände verändert. Solche Verän- derungen können aus gezielten Inves- titionsentscheidungen resultieren (z. B.

Investitionen in Sachkapital oder Bil- dungsinvestitionen in Humankapital).

Es kann sich aber auch um positive oder negative Nebeneffekte handeln, wie die Erhöhung des Sozialkapitals durch unbe- zahlte Arbeit oder die Verminderung des natürlichen Kapitals durch Boden-, Was- ser- und Luftverschmutzung.

V. Güter: Materielle und immaterielle Güter bilden das «Angebot» an Wohl- fahrt. Diese entsprechen den Mitteln zur Deckung eines spezifischen Bedürfnisses oder grundlegenden Leistungen der Um- welt, ohne die Leben nicht möglich wäre.

Neben den ökonomischen Gütern, deren Wert dem BIP entspricht (nach Abzug der Vorleistungen und der Bereinigung um Gütersteuern und -subventionen), werden also auch Aspekte wie beispiels- weise das Angebot an Wasser und an Naturlandschaften oder an Freiwilligen- arbeit berücksichtigt.

VI. Nutzung der Güter: Damit Wohlfahrt entsteht, muss man das Angebot nutzen, d. h. die verschiedenen Güter verwenden oder konsumieren können. Das beste- hende Wohnungsangebot etwa hat erst dann einen Nutzen, wenn Wohnungen gesucht, gefunden, bezogen, eingerichtet und bewohnt werden.

VII. Wohlfahrt: Wohlfahrt umfasst ma- terielle und immaterielle sowie objektive und subjektive Elemente. Sie lässt sich in zehn Dimensionen unterteilen (siehe Kasten 1).5 Wohlfahrt ist aber nicht nur

Kasten 1

Zehn Dimensionen der Wohlfahrt – Materielle Situation;

– Wohnsituation;

– Arbeit und Freizeit;

– Bildung;

– Gesundheit;

– soziales Netzwerk;

– politische Partizipation;

– physische Sicherheit;

– Umweltqualität;

– subjektives Wohlbefinden.

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Monatsthema

als Endresultat der Prozesse zur Herstel- lung und Nutzung von Gütern zu ver- stehen. Verschiedene Dimensionen der Wohlfahrt werden auch als Input bei der Schaffung von Wohlfahrt eingesetzt (z.

B. Finanzvermögen der Haushalte und Humankapital). Weiter kann Wohlfahrt unmittelbar im Prozess der Wohlfahrts- schaffung entstehen: Arbeits- und Kapi- taleinkommen werden im Rahmen der ökonomischen Produktion erworben, und Aktivitäten, die auch einen Selbst- zweck aufweisen, können direkt zur Wohlfahrt beitragen.

Welches sind die relevanten Resultate?

Eine erweiterte Sicht

Das Indikatorensystem erweitert die Per- spektive in verschiedenen Bereichen. Hier sollen vor allem einige relevante Resultate für die Wohlfahrtsdimensionen präsentiert werden, die mit der wirtschaftlichen Ent- wicklung im Zusammenhang stehen. Dies ist besonders interessant, weil nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark an Wirt- schaftsentwicklung und Wohlfahrt partizi- pieren. Einige Beispiele:

– Das verfügbare Einkommen wächst weni- ger stark als das BIP; das BIP-Wachstum hat sich also nur zum Teil auf das Ein- kommen ausgewirkt. Die privaten Haus- halte geben im Durchschnitt 57% ihres Bruttoeinkommens für Konsumausga- ben aus. Den wichtigsten Posten bilden dabei Wohnen und Energie mit einem Anteil von über 25% der Ausgaben. Die Höhe des Konsumbudgets unterscheidet sich stark nach Einkommensgruppen.

Die absoluten Konsumausgaben des obersten Einkommensfünftels sind im Durchschnitt etwas mehr als doppelt so hoch wie diejenigen des untersten Ein- kommensfünftels. Dies wirkt sich auch auf die Ersparnisse aus: Die Haushalte im höchsten Einkommensfünftel kön- nen rund 20% ihres Bruttohaushaltsein- kommens sparen. Das einkommens- schwächste Fünftel bildet hingegen im Durchschnitt keine Ersparnisse. Die Ausgaben übersteigen hier sehr häufig die Einnahmen.

– Die Schweiz weist im internationalen Vergleich eine sehr hohe Erwerbsquote auf (über 80% der Bevölkerung im Al- ter zwischen 15 und 64 Jahren). Ihre Zunahme ist auf die vermehrte Arbeits- marktbeteiligung der Frauen zurück- zuführen. Die Erwerbstätigen in der Schweiz sind generell der Ansicht, dass ihr Privatleben mittelmässig von der Ar- beit beeinträchtigt wird. Männer fühlen

sich stärker beeinträchtigt als Frauen, El- tern mit Kindern unter 15 Jahren stärker als Erwachsene ohne Kinder in dieser Al- tersgruppe. Für Haus- und Familienar- beit wenden Frauen gesamthaft gesehen pro Woche rund 10 Stunden mehr auf als Männer. Rechnet man die bezahlte und die unbezahlte Arbeit für Eltern in Paar- haushalten mit Kindern unter 7 Jahren zusammen, so leisten Mütter 69,2 Stun- den Arbeit und Väter 70,7 Stunden.

– Über 80% der Bevölkerung in der Schweiz erfreuen sich einer guten psy- chischen Gesundheit. Erwerbstätige sind dabei deutlich weniger psychisch belas- tet als Nichterwerbspersonen oder Ar- beitslose. Integration in soziale Netze ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit. Je höher der Grad an sozialer Integration, desto bes- ser ist die psychische Gesundheit.

– Der Verbrauch von Material und Energie hat hierzulande tendenziell weniger stark zugenommen als das BIP. Dies entspricht einer Effizienzsteigerung: Es musste we- niger Material und Energie eingesetzt werden, um einen Franken zu erwirt- schaften. Analoges gilt für die Treibhaus- gasemissionen. Beim Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen wird allerdings nicht berücksichtigt, wie viel im Ausland bei der Herstellung und dem Transport der importierten Produkte verbraucht bzw. emittiert worden ist. Die Siedlungsabfälle haben hingegen unge- fähr in gleichem Masse zugenommen wie das BIP und sind stärker gewachsen als die Wohnbevölkerung.

– Die Lebenszufriedenheit in der Schweiz ist auf einem hohen Niveau: Knapp drei Viertel der Bevölkerung sind mit ihrem Leben sehr zufrieden. Personen mit ho- hem Einkommen sind dabei zufriedener als Personen mit tieferem Einkommen.

Dieser Zusammenhang gilt sowohl für Schweizer als auch für ausländische Per- sonen. Die Zufriedenheit hängt auch vom Haushaltstyp ab: So sind Personen, die in Familien mit Kindern leben, ten- denziell zufriedener als Alleinlebende, obwohl das verfügbare Äquivalenzein- kommen von Familien tiefer ist als dasje- nige von Alleinlebenden.

Was kann das BIP nicht leisten?

Gründe für die neuen Indikatoren Die Kritik am BIP ist beinahe so alt wie das BIP selber. Sie betrifft insbesondere die folgenden Punkte:6

– Als Flussgrösse, die nur die Transak- tionen innerhalb einer Periode misst,

Kasten 2

Literatur

– Bundesamt für Statistik BFS (2014):

Indikatorensystem Wohlfahrtsmes- sung. Schaffung, Verteilung und Er- halt der Wohlfahrt. Neuenburg:

BFS (digitale Publikation) (siehe www.wohlfahrt.bfs.admin.ch).

– European Statistical System ESS (2011): Sponsorship Group on Mea- suring Progress, Well-Being and Sus- tainable Development. Final Report adopted by the European Statistical System Committee. November 2011.

– Eurostat (2014): Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrech- nungen. ESVG 2010. Luxemburg:

Europäische Union.

– Glatzer, Wolfgang, Zapf, Wolfgang (1984)(Hrsg.): Lebensqualität in der Bundesrepublik. Objektive Lebensbe- dingungen und subjektives Wohlbe- finden. Frankfurt/M.: Campus Verlag.

– Harper, Gemma, Price, Richard (2011): A Framework for Understan- ding the Social Impacts of Policy and their Effects on Wellbeing – A Paper by the Social Impact Taskforce. Defra Evidence and Analysis Series, Paper 3. London: Defra.

– Kaufmann, Franz-Xaver (2009): Sozi- alpolitik und Sozialstaat: Soziologi- sche Analysen. 3. erweiterte Auflage.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis- senschaften.

– Leu, Robert E., Burri, Stefan, Pries- ter, Tom (1997): Lebensqualität und Armut in der Schweiz. 2. überarbei- tete Auflage. Bern: Paul Haupt.

– Noll, Heinz-Herbert (2000): Konzepte der Wohlfahrtsentwicklung: Lebens- qualität und «neue» Wohlfahrts- konzepte, WZB Discussion Paper, Nr. 00–505.

– OECD (2011): How’s Life? Measuring Well-Being. OECD Publishing.

– OECD (2013a): OECD Framework for Statistics on the Distribution of Household Income, Consumption and Wealth. OECD Publishing.

– OECD (2013b): How’s Life? 2013: Mea- suring Well-Being. OECD Publishing.

– United Nations Economic Commission for Europe UNECE (2014): Conference of European Statisticians Recommen- dations on Measuring Sustainable De- velopment. Prepared in cooperation with the Organisation for Economic Co-operation and Development and the Statistical Office of the European Union (Eurostat). New York und Genf:

United Nations.

– Zapf, Wolfgang (1984): Welfare Production: Public Versus Private, in: Social Indicators Research, 14.

S. 263–274.

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Monatsthema

berücksichtigt das BIP nur teilweise, ob und allenfalls wie sich die verschiedenen Kapitalbestände verändern.

– Das BIP ist eine hoch aggregierte Grösse, die keine Informationen über die Vertei- lung enthält.

– Im BIP werden gewisse Leistungen, die zur materiellen Wohlfahrt beitragen, nicht erfasst (z. B. Freiwilligenarbeit, Hausarbeit oder Pflege von Angehörigen und Kindererziehung).

– Gewisse Aktivitäten erhöhen zwar das BIP, wirken sich aber nicht oder nur kompensierend auf die Wohlfahrt aus (sogenannte Regrettables). Dazu gehö- ren Aktivitäten zur Verringerung von Umwelt- und von sozialen Kosten, so etwa Ausgaben zur Reduktion von Ver- schmutzung oder zur Bekämpfung der Kriminalität.

– Wichtige Informationen zur Lage der Be- völkerung (z. B. zum Bildungsstand, zur Sicherheit, zu den sozialen Beziehungen und zur Zufriedenheit) sind nicht im BIP enthalten.

Kritikern ist entgegenzuhalten, dass das BIP einen Saldo der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) bildet. Dieses inter- national vereinheitlichte Rechnungssystem hat zum Ziel, wirtschaftliche Transaktionen abzubilden, und beschreibt «systematisch und detailliert eine Volkswirtschaft (…) mit ihren wesentlichen Merkmalen und den Beziehungen zu anderen Volkswirtschaf- ten».7 Gewisse Kritikpunkte, die für das BIP gelten, treffen auf die VGR nicht oder

nur bedingt zu. So enthält die VGR Vermö- gensbilanzen, in denen einzelne Kapitalbe- stände berücksichtigt werden. Derzeit ver- sucht man auch, Verteilungsinformationen aus Haushaltsdaten in die VGR einzubauen und so die Einkommen nach verschiedenen Haushaltstypen zu differenzieren.8 Schliess- lich wird die unbezahlte Arbeit in einem Sa- tellitenkonto erfasst.

Allerdings bleiben Kritikpunkte beste- hen, auch wenn man den Blick auf die VGR ausweitet. Das BIP bzw. die VGR liefern zwar Informationen zur materiellen Ver- sorgung (Einkommen, Konsum, Sparen), erfassen aber nicht alles lückenlos. Bruno Parnisari vom Staatssekretariat für Wirt- schaft (Seco) hielt bei der Vorstellung der Revision der VGR im September 2014 denn auch pointiert fest: «Das wahre BIP kennt niemand.» Noch viel weniger kann das BIP bzw. die VGR die Wohlfahrt und deren Veränderungen beschreiben.9 Die Gren- zen des BIP und der Wunsch nach einer breiteren Erfassung der Wohlfahrt haben dazu geführt, dass in jüngerer Vergangen- heit verschiedene internationale Initiativen lanciert worden sind. Die wichtigsten sind der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Bericht von 2009, das EU-Projekt «GDP and Beyond» und die «Better Life Initiative: Measuring Well- Being and Progress» der OECD. In der Schweiz hat der Bundesrat 2010 im Rahmen des Bundesratsbeschlusses «Grüne Wirt- schaft» den Auftrag erteilt, das BIP mit weiteren Indikatoren zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Ent- wicklung zu ergänzen. Diesen Auftrag hat er im «Aktionsplan Grüne Wirtschaft 2013»

weiter konkretisiert. Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat dieses Mandat umgesetzt und im Dezember 2014 das «Indikatoren- system Wohlfahrtsmessung» veröffentlicht, das regelmässig aktualisiert wird.

Ein mehrdimensionales Konzept

Die Wohlfahrtsmessung versucht, «tote Winkel» des Bruttoinlandprodukts und der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auszuleuchten. Dadurch entsteht ein um- fassenderes Bild der Lage der Bevölkerung eines Landes. Da Wohlfahrt ein mehrdi- mensionales Konzept ist, enthält sie deut- lich mehr Informationen, die zudem in un- terschiedlichen Masseinheiten ausgedrückt sind. Deshalb kann Wohlfahrt – im Gegen- satz zum BIP – nicht in einer einzigen Zahl

beziffert werden.

1 Siehe dazu z.B. Glatzer, Zapf (1984), S. 16ff., 391ff., Leu et al. (1997), S. 46 ff., Noll (2000), OECD (2011), S. 18, OECD (2013a), S. 26f.

2 Siehe BFS (2014).

3 Diese Überlegungen orientieren sich am Konzept der Wohlfahrtsproduktion (siehe Zapf, 1984, und Kauf- mann, 2009, Kap. 11) und am Modell von Harper, Price (2011).

4 Siehe OECD (2011), S. 19f., OECD (2013b), S. 175ff., Unece (2014), S. 29ff.

5 Siehe OECD (2011), ESS (2011).

6 Siehe OECD (2011) S. 16f.

7 ESVG (2014) §1.01.

8 Siehe www.bfs.admin.ch > Themen > 20 Wirtschaftli- che und soziale Situation der Bevölkerung > Einkom- men, Verbrauch und Vermögen > Analysen, Berichte >

Makroperspektive.

9 Siehe ESVG (2014) §1.46f.

Quelle: BFS (2014) auf der Grundlage von Harper, Price (2011) / Die Volkswirtschaft Grafik 1

Grundschema des Indikatorensystems Wohlfahrtsmessung I. Rahmenbedingungen

IV. Auswirkungen auf Bestände

II. Bestände III. Aktivitäten V. Güter

IV. Auswirkungen auf Bestände

VII. Wohlfahrt

VI. Nutzung der Güter

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