7/j 24/96
ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEIN MEDIZIN
ifPräkisnahe Heli-
^cobactertherapie, I Benzodiazepine -
Antidepressiva?
I Asthmaund COPD
\ \,
fvbrechnungs- systeme*
NATURHEILKUNDE
I Bewgungstherapie im Alter
Hippokrates Verlag GmbH Stuttgart i Postvertriebsstück Ausgabe A E 4402 D Hippokrates Verlag GmbH
ZFA ISSN 0341-9835
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HERZ
KREISLAUF MERCK
Ökonomie in
der Therapie MERCK
Arzneimittel
behandlung in den Zeiten des
»Vorläufigen IMotprogramms«
Prof. Dr. med.
Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Abteilung Allgemeinmedizin Ceorg-August-Universität Robert-Koch-Str .42 37075 Cöttingen
Das vorliegende Heft mit dem The
menschwerpunkt »Pharmakothera
pie« erscheint zu einem Zeitpunkt, der brisanter nicht sein könnte. Aus den Jahren 1995 und 1996 addiert sich ei
ne Überschreitungssumme der Arz
nei- und Heilmittelbudgets zwischen geschätzt 4,2 und 5,6 Milliarden DM, für welche die Vertragsärzteschaft pauschal mit ihrer Honorarsumme haften soll. Aus dem Bundesgesund
heitsministerium verlautet, daß die ser Betrag mit dem im Jahre 1997 ver- ordneten Preisvolumen verrechnet werden kann. Als das Budget 1992 ein
gerichtet wurde, gingen im darauffol
genden Jahr die Verordnungen von 1,064 Milliarden auf 944 Millionen, der Umsatz auf dem GKV-Fertigarznei- mittelmarkt von 33,5 auf 29,5 Milliar
den DM zurück. Ob sich ähnliches im Jahre 1997 abspielen wird?
Das »vorläufige Notprogramm« der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betrifft vier Bereiche:
■ Verzicht auf alle medizinisch nicht zwingend erforderlichen Heilmit
telverordnungen (bes. Massagen und medizinische Bäder);
■ Verzicht auf die Verordnung der sog. »umstrittenen Arzneimittel«;
■ Einschränkung der Verordnung von hochpreisigen»Me-Too«-Präparaten mit marginalen Vorteilen gegen
über bewährten Leitsubstanzen;
■ Weitestgehende Ausschöpfung des Preiswettbewerbs bei generikafähi
gen Wirkstoffen.
Wer diesen Empfehlungen zu
stimmt, sollte aber auch dafür sorgen, daß bei allen Sparzwängen die Quali
tät seines Handelns nicht auf der Stre
cke bleibt:
l.Für mich sind nicht ausnahmslos alle »umstrittenen« Arzneimittel auch tatsächlich umstritten (z.B. ein oder zwei Substanzen aus der Grup
pe der Prostatamittel oder Magne
siumpräparate beim Versuch der
/
Behandlung nächtlicher Waden
krämpfe).
2. Auch unverzichtbare Medikamente wie Antibiotika können »umstrit
ten« sein, wenn sie - wie häufig in den Wintermonaten - bei Virus
infekten eingesetzt werden.
3. Wenn ich Generika verordne, ver
zichte ich auf den letzten Sparpfen
nig und halte mich an Firmen, die eine vollständige Palette von Han
delsformen anbieten (z.B. Tabletten und Zäpfchen unterschiedlicher Dosisstärken; Saft und Ampullen).
4. Das größte Einsparvolumen läßt sich wohl erzielen, wenn häufiger hinterffagt wird, ob bei Krankheit oder Befindensstörung überhaupt ein Medikament nötig ist.
5. Hilfreich ist die Anwendung indivi
dueller oder auch regionaler »Posi
tivlisten« bzw. die Teilnahme an ent
sprechenden Qualitätszirkeln.
Leider ist bis heute eine Zielvorgabe des SGB V unerfüllt geblieben: die Richtgrößen. An deren Schaffung ha
ben sich bisher weder KBV noch Kas
sen herangetraut. Richtgrößen hätten unstrittige Vorteile: Sie wären Arzt- gruppen-spezifisch, würden erlauben, das Budget individuell statt kollektiv anzuwenden und ließen auch zu, Arz
neimittel für Praxisbesonderheiten aus der Budgetierung herauszuneh
men. Wenn das Budget in seiner heu
tigen Form schon nicht aufgehoben wird und Praxis-Richtgrößen nicht verwirklicht werden, wäre zumindest die Schaffüng einer bundeseinheitli
chen KV-Richtgröße - korrigiert um regionale Faktoren - eine dringend ge
botene politische Aufgabe.
Ihr
Michael M. Kochen
Transpulmin
\ ♦
http://www.astameclica.de
■ Klinische Beobachtungen und pharmakoepidemiologische Untersuchungen zeigen, daß Benzodiazepine in einem ge
wissen Umfang auch als Anti
depressiva eingesetzt wer
den. Ist das sinnvoll?
Seite 1434
1425
9- INHALT
warn
Aktuell1426 Leserdiskussion
mm
Schwerpunkt Pharmakotherapie1431 Helicobacter-Therapie in der Praxis W. Dohmen
1434 Sind Benzodiazepine Antidepressiva?
G. Laakmann 1440 Asthma und COPD:
neue Stufentherapien F. Steurich
■■■
Fragen an die Naturheilkunde1448 Bewegungstherapie bei chronischer Herzinsuffizienz im Alter?
K. Kothe
■■1 Forum Qualität
1450 Ergebnisforschung in der ambulanten Versorgung M. Perlach
mm
Praxis-EDV1454 Abrechnungssysteme auf dem Prüfstand
A. Caro
1458 Magazin
1462 Pharma News
1464 Kongreßberichte
mmM Therapiestudie
1468 Nächtliches Asthma bronchiale A. Overlack
1470 Therapie des Typ-ii-Diabetes bei Pa
tienten mit Herzinsuffizienz K. Schmidt
^m Kongreß Aktuell
1474 Johanniskraut bei Depressionen U.Fuchs
1476 Entzündliches Gelenk: Leukozyten medikamentös gehemmt
L. Hübner
1477 Herzinsuffizienz: Therapie im Umbruch -G. Buck
»Sie wollen dem armen Kind das Haus
tier wegnehmen, nur wegen dieser Allergie? Sie Unmensch!« -nur eins von vielen praktischen Problemen bei der Schulung von Asthma-Patienten.
Seite 1440
'' ^ ’"fe
Sport nach dem Herzinfarkt? Trotz Herzinsuffizienz? Und das auch noch im Alter? Genau!
Seite 1448
Abbildungsnachweise Titel: D. Loenicker S. 1425: © PhotoDisc
1480 Die Rolle der Triglyzeride in der Atherosklerose - G. Buck 1485 Angiotensin-Il-Antagonismus
bereichert die Hochdrucktherapie K. Filip
1460 Impressum
LESERBRIEFE
Fortbildung
Bei Schwangeren lieber Heparin...
I
Leserbrief zu R. F. Becker und M. Schüß- 1er: Medikamente in Schwangerschaflund Stillzeit. ZAllgMed 1996; 72: 937^3.Sehr geehrte Damen und Herren, den Kollegen sei für die Zusam
menschau eines komplexen Themas in überschaubarem Rahmen ge
dankt.
Aus der Sicht der Kardiologie be
darf allerdings die Empfehlung einer generellen Umstellung von oralen Antikoagulantien auf Heparin der warnenden Ergänzung; nach derzeit gültigen Empfehlungen (1) wird für schwangere Patientinnen mit Klap
penersatz in einer Phase ohnehin ge
steigerter Gerinnungsbereitschaft (2) die Umstellung auf Heparin wegen des erhöhten Risikos einer Klappen
thrombose und auch von Blutungen (3, 4) allenfalls für die Zeit bis Ende des 1. Trimenons und die letzten 2 bis 3 Wochen der Schwangerschaft empfohlen, eine langfrisige Heparin
therapie geht zudem mit dem Risiko der Osteopenie einher (5). Es sei dar
auf hingewiesen, daß die Gabe von niedermolekularem Heparin bei die
ser Indikation aufgrund der fehlen
den Therapiekontrolle nicht akzep
tiert ist.
Die Besonderheiten der Situation bedürfen der intensiven Aufklärung der Patientin (idealerweise schon präkonzeptionell!) über die Proble
matik und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen. Aus foren
sischen Gründen ist eine schriftliche Dokumentation sinnvoll.
Literatur
1. Study Group of the ... European Society of Cardiology; Guidelines for prevention of thromboembolic events in valvular heart disease. Eur Heart] 1995; 16: 1320-1330.
2. Schafer AL: The hypercoagulable states.
Ann Intern Med 1985: 102; 814-28.
3. Sbarouni E, Oakley CM: Pregnancy in Wo
men with artificial valves. Eur Heart] 1992;
13 (Abstr. Suppl.): 2914.
4. Sbarouni E, Oakley CM: Outcome of preg
nancy in women with valve protheses. Br Heart] 1994; 71: 196-201.
5. Oakley CM: Anticoagulation during preg
nancy. In: Butchard EG, Bodnar E, eds:
Thrombosis, embolism and bleeding. Lon
don: ICR publishers 1992, 339-45.
Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Michael Kuklinski Kardiologe
Friedrichstraße 5 73430 Aalen
Angina tonsillaris:
eine heiße Diskussion!
Leserbriefe zu M. Wiesenauer: »Zur The
rapie der Angina tonsillaris« in ZFA1996;
72:1233-1238.
Solche Artikel müssen Sie verhindern!
Sehr geehrte Damen und Herren, bei allem Wohlwollen gegenüber Ihren Bemühungen, die Ärzte zu in
formieren, sollten Sie einen solchen Artikel nicht veröffentlichen. Es han
delt sich weder um eine Therapiestu
die noch um eine verwertbare sonsti
ge Arbeit. Eine echte Angina tonsil
laris - von Streptokokken verursacht - mit eindeutigem eitrigem Befund und Fieber muß sofort antibiotisch behandelt werden. Bei einer Studie wäre ein Abstrich erforderlich, je
doch ist auch hier eine Doppelblind
versuchsanordnung ein echter Kunstfehler. Herr Wiesenauer müß
te dies wissen, da eine Glomerulo
nephritis oder eine Endokarditis u.a.
Komplikationen bei einer nicht so be
handelten Angina dem Arzt mit Recht angelastet werden kann. Es handelt sich jedoch trotz Ihrer Über
schrift nicht um eine Angina tonsil
laris. Die geschilderten »Fälle« waren ja ohne Fieber (Fieberdefinition wird als bekannt vorausgesetzt) und die Verlaufsschilderungen lassen ver
muten, daß es sich hier um eine rei
ne Befindlichkeitstörung handelte.
Man hätte bei einer arzneimittel
losen Behandlung dieselben Ergeb
nisse erhalten. Bei einer bei dieser ba
nalen Erkrankung erlaubten Doppel
blindstudie hätte die Plazebogruppe sich mit Sicherheit nicht wesentlich
von der Verumgruppe unterschie
den.
Es tut mir leid, daß Ihr Artikel nicht unterblieben ist, denn auf diese Wei
se stoßen Sie jeden Leser, der mit
denkt, ab. Wenn ich gestern, als ich im Fachgespräch zur Erlangung des Allgemeinarzttitels die Angina tonsil
laris prüfte, eine Antwort im Sinne Ihres Artikels bekommen hätte, hät
ten weder die anderen Prüfer noch ich dem Prüfling die Anerkennung aussprechen können. Meine Bitte an Sie, verehrtes Redaktionsgremium ist, solche Artikel zu verhindern und den Schreibern klarzumachen, wes
halb Sie Ihre Zeitschrift hierfür nicht zur Verfügung stellen wollen.
Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Siegfried Schilling Facharzt für Allgemeinmedizin 72810 Gomaringen
Ein böser Mißgriff!
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin regelmäßiger Leser Ihres Blattes und finde, daß es oft lesens
werte und fündierte Beiträge zur all
gemeinärztlichen Fortbildung ent
hält. Der o.g. Artikel stellt m.E. je
doch einen bösen Mißgriff dar.
■ Wann sind bei Halsschmerzen Antibiotika indi
ziert?
Zunächst heißt es in der Über
schrift: »Zur Therapie der Angina ton
sillaris«, im Artikel selbst wird jedoch an keiner Stelle mehr erwähnt, wel
che Erkrankungen denn nun in die
ser »Studie« behandelt werden. Es ist lediglich vom »Leitsymptom Schluck
beschwerden« die Rede, man hat sich offenbar nicht einmal die Mühe ge-
1427
LESERBRIEFE
macht, eine nosologische Zuordnung auch nur zu versuchen.
Daß sich hinter dem Symptom Schluck
beschwerden eine Vielzahl banaler wie ernst
hafter Erkrankungen verbergen kann, weiß je
der Medizinstudent im 1. Semester. Wer sich hier hinter einer wie auch immer definierten
»Naturheilkunde« verschanzt, die symptombe
zogen therapiert, konterkariert alle Versuche einer Fundierung der Allgemeinmedizin auf der Basis klarer und nachvollziehbarer Hand
lungsanweisungen und rationaler Konzepte.
Die Mehrzahl der Patienten, die eine All
gemeinpraxis mit dem Symptom »akute Schluckbeschwerden« aufsuchen, dürften ent
weder eine eitrige Tonsillitis oder Seitenstrang
angina oder aber eine viral bedingte Phar5mgi- tis aufweisen. Im ersteren Falle sollte es doch allgemein anerkannt sein, daß eine Penizillin
behandlung erforderlich ist, will man die be
kannten Spätfolgen eines Streptokokkeninfek
tes verhindern und sich nicht dem Vorwurf ei
nes Behandlungsfehlers aussetzen. Im zwei- teren Fall kann man in der Tat symptomatisch behandeln, wobei es dabei aber im Prinzip gleichgültig ist, womit man therapiert, da eine viral bedingte Pharyngitis sowieso spontan ab
heilt.
Daß also das in dieser »Studie« geprüfte Prä
parat die Beschwerden bessert, ist eine ebenso banale wie überflüssige Feststellung. Die Tatsa
che, daß neben der Titelseite der »Studie« eine halbseitige Werbeanzeige für das »geprüfte«
Präparat steht, legt den Verdacht auf eine ge
zielte »Unterstützung« dieser Studie durch den Hersteller nahe.
Mit der Veröffentlichung dieser »Studie« tut die ZEA der Sache einer wissenschaftlich fun
dierten Allgemeinmedizin unter dem Ziel der Qualitätssicherung keinen Gefallen. Ihrem Ruf schadet sie zusätzlich.
Dr. med. Wolfgang Seeliger Facharzt für Allgemeinmedizin 46049 Oberhausen
Erwiderung:
Nicht bei jeder Angina tonsillaris müs
sen Antibiotika sein!
Ich danke den Kollegen Dr. Schilling und Dr.
Seeliger für die kritischen Leserbriefe zu der im Rahmen der Phase-IV-Forschung von mir durchgefiihrten Prospektivstudie »zur Behand
lung der Angina tonsillaris«. Die Stellungnah
men bestätigen die Notwendigkeit einer kriti
schen Hinterfragung derzeitiger Diagnostik und Therapie der Angina tonsillaris. Insofern
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Depressionen, psychische und nervöse Störungen, nervöse Unruhe und Erschöpfung, Wetterfühligkeit.
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Hyperici perf. stand, auf ca. 0,05 mg Hypericin* (*und ver
wandte Verbindungen, berechnet auf Hypericin).
Anwendungsgebiete: Depressionen, auch im Klimak
terium, psychische und nervöse Störungen, nervöse Unruhe und Erschöpfung, Wetterfühligkeit, vegetative Dystonie.Tropfen in der Kinderpraxis: Enuresis, Stottern, psychische Hemmungen, Reizüberflutungssyndrom.
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fen vordem Essen in etwas Flüssigkeit einnehmen.
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chend geringer dosieren. Häufig ist eine einschleichende Dosierung besonders wirksam. Hyperforat-Ampullen:
Täglich 1 - 2 ml i.m. oder langsam i.v. injizieren.
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10x1 ml (N2) DM 19,93; 25x1 ml (N3) DM 44,41; 50x1 ml DM 79,76; 100x1 ml DM 139,64.
Dr. Gustav Klein,
Arzneipflanzenforschung, 77732 Zell-Harmersbach/
Schwarzwald
7
AKTUELL
Fortbildung
waren in meiner Untersuchung mit
tels definierter Ein- und Ausschluß
kriterien diejenigen Patienten aus
geschlossen, bei denen eine zwingen
de Antibiotika-lndikation bestand (u.a. Fieber, reduzierter AZ, Multi
morbidität).
»Halsschmerzpatienten als Thema hausärztlicher Qualitätszirkel« war bereits 1994 Gegenstand einer Origi
nalarbeit (5). Belegt u.a. mit aktuel
ler Literatur (siehe ebenda) heißt es:
»Selbst bei einer nachgewiesenen Infektion mit ß-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A ist die Notwendigkeit einer antibiotischen Behandlung in der Literatur umstrit
ten. Ob der natürliche Verlauf der Er
krankung erleichtert und verkürzt wird, ist nicht sicher. Das Auftreten von Glomerulonephritiden kann durch Antibiotika nicht verhindert werden. Das akute rheumatische Fie
ber ist nicht nur durch die Antibioti
katherapie sehr selten geworden, so daß Nutzen und Risiko der Therapie neu untersucht und gegeneinander abgewogen werden müssen.«
Und weiter: »Die Erwartungshal
tung der Patienten, Einstellungen der Ärzte und psychosoziale Fakto
ren sind oft komplex miteinander verwoben. Entgegen der Meinung vieler Ärzte, daß die Unterlassung ei
ner Antibiotikaverschreibung nega
tiv auf die Patienten wirkt und sich in weiteren Arztbesuchen äußert, nimmt die Häufigkeit weiterer Arzt
besuche sogar ab (u.U. durch Verrin
gerung von Nebenwirkungen und Antibiotikaumsetzungen).«
ln einer jüngst publizierten Dop
pelblindstudie wird erneut die Frage untersucht, wann Halsschmerz-Pa
tienten erfolgreich mit Penizillin be
handelt werden. Dabei zeigt sich, daß nicht generell, sondern abhängig von klinischen Befunden und (!) Befinden der Patienten antibiotisch behandelt werden sollte (3). Damit korrespon
diert die in einer weiteren Studie un
tersuchte Frage, inwiefern insbeson
dere bei Kindern zu oft Antibiotika verschrieben werden mit der Gefahr der Bildung penizillinresistenter Stämme (1).
Die beiden HNO-Ärzte Beck (2) wie auch Friese (4) weisen ausdrücklich
daraufhin, daß die klinische Diagno
se Angina tonsillaris nicht zwingend mit der Verordnung eines Antibioti
kums korreliert. Insofern sind Termi
ni wie »Befindlichkeitsstörung« oder
»Spontanheilung« deplaziert, da sie der Bedeutung des Themas nicht ge
recht werden. Ob die Verordnung ei
nes Naturstoffpräparates diese Sicht
weise impliziert?
Literatur
1. Arason V. et al: Do antimicrobials increa
se the carriage rate of penicillin resistant pneumococci in children? Br Med J 1996;
313:387-391.
2. Beck Ch: HNO-Therapie. Enke-Verlag, Stuttgart 1995.
3. Dagnelle CF. et al: Do patients with sore throat benefit from penicillin? A randomi
zed double-blind placebo-controlled clini
cal trial with penicillin V in General prac
tice. Br J Gen Pract 1996; 46: 589-593.
4. Friese, K-H: Flomöopathie in der HNO- Heilkunde. 2. Aufl. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1994.
5. Szecsenyi J et al: Halsschmerzpatienten als Thema eines hausärztlichen Qualitäts
zirkels. Fortschr Med 1994; 112; 245-250.
6. Wagner H, Wiesenauer M: Phytothera
pie. G. Fischer Verlag, Stuttgart 1995.
Dr. med. Markus Wiesenauer Facharzt und Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin 71384 Weinstadt 5
31, Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DECAM) in Dortmund
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach dem erfolgreichen Ab
schluß unseres letzten wissen
schaftlichen Kongresses in Bre
men möchten wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich für Ihre Teilnahme und Ihre Beiträ
ge bedanken - es waren mehr denn je.
Wir dürfen Sie heute schon auf den 31. DEGAM-Kongreß auf
merksam machen (17.-20.9.
1997 in Dortmund), damit die Abfassungen wissenschaftli
cher Beiträge rechtzeitig ge
plant werden können. Die for
malen Voraussetzungen wer
den so aussehen wie beim letz
ten Mal (Abstraktformular, strukturelle Gliederung). Wir werden auch in Dortmund wie
derum eine Posterausstellung haben.
Bitte denken Sie daran, daß un
abhängig vom gewählten Leit
thema des Kongresses (Famili
enmedizin) jede Arbeit, die un
sere Aktivitäten in Lehre und
Forschung widerspiegelt, von hohem Interesse und herzlich willkommen ist. Aus vielfälti
gen Gesprächen wissen wir, daß im ganzen Lande entspre
chende Projekte durchgeführt werden. Bitte informieren Sie also auch im nächsten jahr Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Allgemeinmedizin, aber auch die nicht-allgemeinmedi
zinische ärztliche Öffentlichkeit über das, was unsere Fachdis
ziplin zu leisten im Stande ist.
Wir haben für Dortmund den Abgabetermin (Deadline) der Abstracts auf den 9. Mai 1997 gelegt, so daß Ihnen noch aus
reichend Zeit verbleibt, um ei
ne Arbeit zu Papier zu bringen.
Wir werden Ihnen die Abstrakt
formulare im januar zukom
men lassen.
Mit besten Wünschen für die kommenden Feiertage und freundlichen kollegialen Grü
ßen
Michael M. Kochen Heinz-Harald Abholz
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1431
ORfCINALARBEIT
Fortbildung
Helicobacter-Therapie in der Praxis
Die Entwicklung einer hochwirksamen H.-pylori-6-Tages- Eradikationstherapie - ein Vergleich zwischen
unterschiedlichen ethnischen Patientengruppen
Werner Dohmen
Facharzt für Allgemeinmedizin Aachen
Rodolfo Seelis Gastroenterologe
In klinischen Studien werden mit den gängigen Triple-Schemata Helicobacter- pyiori-Eradikationsraten von über 90% erreicht. In neueren Arbeiten wird auf
gezeigt, daß diese unter Praxisbedingungen nicht erzielt werden konnten. In der vorliegenden Arbeit wird ein neues, aus Pantoprazol, Azithromycin und Tinidazol bestehendes 6-Tages-Eradikationsschema vorgestellt, das unter Praxisbedingungen an unselektionierten und konsekutiv therapierten europäischen Patienten mit peptischen Läsionen Eradikationserfolge von 95%
in (per Intention to treat) verzeichnete. Weiter wird gezeigt, daß bei vergleich
barem Rauchverhalten bezüglich der Hp-Infektion, der Ulkusrate und des Era- dikationserfolges ethnisch deutliche Unterschiede bestehen.
eit der Entdeckung von Mar
shall und Warren 1983, daß die Helicobacter-pylori (Hp)- Infektion die wesentliche Ursache für die Entstehung der Ulkuskrank
heit sein könnte (18), sind viele Sche
mata entwickelt worden, um diese Keime erfolgreich zu eradizieren und die Ulkuskrankheit zu heilen, dies auch im Hinblick auf die Tatsa
che, daß dieser Keim als Ursache für die Entstehung des Malt-Lymphoms, der Riesenzellgastritis und des Ma
genkarzinoms diskutiert wird (3, 9, 14, 21).
Nach anfänglichen Eradikations- therapien mit den verschiedensten Wismutpräparaten, die
Erfolge von unter 20%
aufwiesen (4), wurde ins
besondere in Deutsch
land die Dualtherapie mit Amoxicillin und ei
nem Protonenpumpen
hemmer (PPI) favorisiert (11). Da die anfänglich gezeigten Erfolge in spä
teren Studien nicht reproduzierbar waren (2), werden zur Zeit national und international sieben- bis zehn
tägige Triple-Schemata empfohlen, die aus einem Protonenpumpen
hemmer und wahlweise zwei Anti
biotika bestehen: Clarithromycin in Kombination mit Metronidazol bzw.
Tinidazol oder aber mit Amoxicillin (1, 3, 10, 12, 13, 15). Im Bedarfsfall empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechsel
krankheiten (DGVS) die Quadrupel
therapie (3).
Die in den klinischen Studien an in der Regel selektionierten Patienten erzielten Triple-Eradikationsraten von über 90% (13) bestätigten sich in der Praxis oft nicht (5, 20), auch wur
de über zunehmende Resistenzen ge
gen Clarithromycin (8,17) und vor al
lem Metronidazol berichtet (7, 16).
Deshalb war es unser Ziel, ein com- pliancegerechtes kurzes, nebenwir
kungsarmes und kostengünstiges Therapieschema für die Praxis zu entwickeln.
Auch erschien uns die Quadrupeltherapie mit täglich 13 Tabletten und Nebenwirkungen von bis zu 80% (3,10) als un
geeignet und von Hunt et al (10) wur
de in einem Übersichtsartikel die Mei
nung vertreten, daß es ein optimales Eradikationskonzept noch nicht gibt.
Ein weiteres Ziel unserer Arbeit be
stand darin, besondere Aspekte bei ethnisch unterschiedlichen Patienten zu erarbeiten, die insbesondere in Ballungsgebieten einen höheren Pro
zentsatz der Bevölkerung bilden (6).
Quadrupelthera
pie: kann man täglich 13 Tablet
ten einnehmen?
Patienten und Methodik
Insgesamt wurden 1233 Patienten mit Oberbauchbeschwerden gastro
skopiert und der Hp-Status mittels Ureasetest aus Antrum und Corpus bestimmt, bei 377 Patienten wurden zusätzlich Gewebeproben histolo
gisch untersucht. Alle Patienten wur
den in zwei Gruppen unterteilt. Die Gruppe A bestand aus
Europäern - zu über 90%
deutsche Patienten - und die Gruppe B aus Pa
tienten fremder Kultur
kreise, zu über 90% aus der Türkei. Beide Grup-
pen wurden auf die Häufigkeit des Hp-Befalls und der Ulcus-duodeni- bzw. -ventriculi-Erkrankung unter
sucht. Aus beiden Gruppen wurden (n = 73) Hp-positive Patienten mit un
komplizierten Ulcera ventriculi/duo- deni oder rezidivierenden erosiven Gastritiden unselektioniert und kon
sekutiv mit einem neuen hochwirk
samen 6-Tages-Eradikationsschema behandelt (siehe Kasten).
6-Tages-Hp-Eradikationsschema
■ Pantoprazol (Rifun®) 2 X 40mg,
■ Azithromycin (Zithromax®) 1 X 500mg und
■ Tinidazol (Simplotan®) 1 x 2000mg täglich.
Der PPI wurde vor dem Frühstück und vor dem Abendessen, die beiden Antibiotika zusammen zwei Stunden nach dem Früh
stück eingenommen. Die Kontrollgastro- skopie mit Überprüfung des Hp-Status in typischer Weise erfolgte vier bis sechs Wo
chen nach Therapieende.
Nach Kulturkrei
sen wurden zwei Patientengruppen gebildet
Z. Allg. Med. 1996; 72:1431-1433. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1996
Fortbildung
HELICOBACTER-THERAPIE
Ergebnisse
In der Gruppe A (n = 1161) waren 47,1% der Patienten Hp-positiv und 9,4% an einem Ulkus erkrankt (7,0%:
Ulcus duodeni, 2,4%: Ulcus ventricu- li); bei 1,0% der Patienten konnten Kombinationsulzera objektiviert werden (Tab. 1). Aus dieser Gruppe wurden 40 Patienten (50,4 ± 13,5 Jah
re) mit dem oben genannten neuen Eradikationsschema behandelt. Die Tabelle 1: Übersicht der Daten aller untersuchten Patienten aus der europäischen Gruppe A und der nicht-europäischen Gruppe B
Patienten Gruppe A GruppeB
Anzahl Alter m:w Hp-positiv
n = n61 n = 72 13-87 Jahre 17-62 Jahre 51,4%: 48,6% 66,7%:33,3%
47,1% 84,8%
Ulzera (% aller Patienten) 9,4 30,3%
Ulcera duodeni 7% 27,3%
Ulcera ventriculi 2,4% 4,5%
Kombinationsulzera 1% 1,5%
Eradikationsraten lagen bei 95,0%
ITT (per intention to treat), die Schmerzbefreiung trat im Mittel nach 2,6 ± 0,8 Tagen ein (Tob. 2). Bei den Patienten der Gruppe B (n = 72) waren 84,8% Hp-positiv und 30,3% ul
kuskrank, 27,3% litten an einem Ul
cus duodeni und 4,5% an einem Ul
cus ventriculi, bei 1,5% lagen Kom
binationsulzera vor (Tob. 1). Aus die
ser Gruppe wurden 33 Patienten (46,9 ± 7,4 Jahre) mit dem 6-Tages-Era- dikationsschema therapiert. Eine er
Tabelle 2: Übersicht der Daten der Patienten, die mit dem neuen 6-Tages-Eradikationsschema be
handelt wurden (Gruppe A: europäische, Gruppe B:
nicht-europäische Patienten)
Patienten Gruppe A Gruppe B 6-Tages-
Triple-Therapie Geschlecht Alter (Jahre) Raucher Hp-Eradikation Schmerzbefreiung (nach Tagen)
n = 40 m = 26, w= 14 50,4 ±13,5 54,3%
95,0%
2,6 ±0.8
n = 33 m = 14, w = 19 46,9 ±7,7 50,0%
54,5%
3.4±1,3
folgreiche Eradikation konnte bei ei
ner Schmerzbefreiung nach 3,4 ± 1,3 Tagen aber nur in 54,5% erzielt wer
den (Tob. 2). ln beiden Patientengrup
pen lag die Nebenwirkungsrate un
ter 15% und bestand im wesentlichen aus reversiblem Metallgeschmack und reversiblen Diarrhoen.
Diskussion
Labenz et al (13) berichten, daß bei vier von ihnen durchgeführten gän
gigen Triple-Therapie-Schemata bei Hp-infizierten Patienten mit unkom
pliziertem Ulkusleiden Eradikations
raten zwischen 72% und 100% erzielt wurden. Aus dieser Studie aber wur
den Patienten mit zu vermutender mangelnder Compliance aus
geschlossen, so daß diese hohen Era
dikationsraten nicht einfach auf die Praxis übertragbar sind.
Deltenre et al (5) zeigen auf, daß ihre in vier verschiedenen belgi
schen Krankenhäusern unter Praxis
bedingungen durchgeführte Eradi- kationsstudie mit Bazzoli-modifizier- ten Schemata nur Eradikationserfol- ge von 65%-76% PP (per protocol) bzw. 54%-67% ITT aufwiesen. Ihre Er
gebnisse waren deutlich schlechter als die in klinischen Vergleichsstudi
en zitierten. Auch Rossario M. et al (20) belegen, daß bei gleichen Eradi- kationsschemata unter Praxisbedin
gungen mit 75,5% deutlich niedrige
re Eradikationsraten erzielt wurden.
Bei der in fünf europäischen Län
dern an 787 Patienten mit fünf ver
schiedenen gängigen Triple-Schema
ta durchgeführten Mach-I-Studie wurden Eradikationsraten von 79%-96% PP beschrieben. Bei dieser großangelegten, internationalen, randomisierten, plazebokontrollier
ten, doppel-blind durchgeführten Studie muß aber angemerkt werden, daß 13% aller Patienten nicht aus
wertbar waren (15).
Erfolge auch unter Praxisbedingungen
Es zeigte sich also, daß die in vie
len Studien nachgewiesenen hohen Eradikationsraten in der täglichen
Praxis oft nicht reproduzierbar wa
ren. In dem hier vorgestellten neuen kürzeren 6-Tages-Eradikationssche
ma konnte unter Praxisbedingungen an 40 konsekutiv und unselektio- niert therapierten europäischen Pa
tienten mit unkomplizierten Ulzera bzw. rezidivierenden erosiven Gastri
tiden eine Eradikationsrate von 95%
ITT erreicht werden.
Ein weiteres Ergebnis dieser Unter
suchung war, daß im Gegensatz zu der belgischen Studie (5) mit diesem neuen Schema sozio-ökonomische Faktoren keinen Einfluß auf den Era- dikationserfolg hatten. Die Neben
wirkungsrate lag unter 15%; sie ist vergleichbar mit der in den Leitlini
en der DGVS beschriebenen »Italie
nischen« Triple-Therapie (15%) und deutlich niedriger als die der »Fran
zösischen« Triple-Therapie (30%) bzw.
die als Reserveschema empfohlenen Quadrupel-Therapie (80%) (3).
Ethnische Auffälligkeiten Bei diesen Untersuchungen zeigte sich weiter, daß die Ergebnisse der im wesentlichen aus Türken beste
henden Gruppe B im Vergleich zur europäischen Gruppe bei analogem Raucheranteil deutliche Unterschie
de bezüglich Hp-Befall, Ulkushäufig
keit und Eradikationsraten aufwie
sen (Tob. 1).
Weitere Untersuchungen müssen zeigen, inwieweit diese ethnischen Auffälligkeiten genetisch bedingt sind, spezifischen Lebensgewohnhei
ten entsprechen oder auf unter
schiedlichen bakteriellen Eigen
schaften beruhen. Hinsichtlich der Eradikationsergebnisse sollte die Forderung diskutiert werden, bei die
sen Patienten vor jeder Therapie ei
ne Erreger-Resistenz-Bestimmung durchzuführen.
Summary
Development of a highly efficient six day therapy for the eradicatoin of helicobacter pylori - comparison bet
ween different ethnic patient groups.
Many promising results of clinical studies for eradication of H. pylori
1433
HELICOBACTER-THERAPIE
(Hp) could not be confirmed on un
selected patients under primary care conditions. To optimize Hp-eradica- tion-therapy for general practice pa
tients with peptic lesions we develo
ped a new 6-days-eradication pro
tocol containing pantoprazole, azi- thromycine and tinidazole. Applying this therapy to unselected, consecu
tive treated, Hp-positive, European patients yielded a 95% Hp-eradicati- on rate ITT (per intention to treat).
However, in non-European patients of different ethnic origin, matched for age and smoking habits, therapy was less effective.
Our data reveal that further studies on the role of Hp-eradication in the primary care management of peptic ulcer disease are needed particularly in populations not well studied today.
Keywords. H. pylori, epidemiology, triple-therapy, pantoprazole, azi- thromycine, tinidazole.
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Dr. med. Werner Dohmen, Facharzt für Allgemeinmedizin Thomashofstraße 3 52070 Aachen Ausbildung
1967-1975 Studium derallgemeinen Naturwissenschaf
ten und der Humanmedizin an der Universität Köln und der RWTH Aachen.
Beruflicher Werdegang
1976 Approbation, 1975-1982 klinische Tätigkeit in den Abteilungen Pathologie, Chirurgie, Gynäkologie und Ge
burtshilfe, Innere Medizin und Nuklearmedizin. Seit Ja
nuar 1983 in Aachen als Hausarzt niedergelassen.
ORICINALARBEIT
Fortbildung
Sind Benzodiazepine Antidepressiva?
C. Laakmann
M. Faltermaier-Temizel S. Bossert-Zaudig T. Baghai
Psychiatrische Klinik der Universität München
INHALT
Obwohl Benzodiazepinderivate als Tranquilizer, Hypnotika.Muskelrelaxanzien und Anti- konvulsiva zugelassen sind, ist aufgrund klinischer Beobachtungen und pharmakoepi- demiologischer Untersuchungen davon auszugehen, daß ein Teil dieser Präparate auch als Antidepressiva verordnet werden. Die Konsensus-Konferenz von Zürich (1) definiert ein Antidepressivum als eine Substanz, die bei mindestens mittelschwer depressiven Patienten alle charakteristischen Symptome einer Depressi
on besser beeinflußt als Plazebo. Es läßt sich zeigen, daß Benzodiazepine diese Kriterien zwar erfüllen, bei schwer depressiven Patienten jedoch schlechter wirken als trizyklische Antidepressiva. Sie sollten deshalb nicht als Antidepressiva verordnet werden, auch läßt das Risiko der Suchtentwicklung eine Verwendung über wenige Wochen hinaus nicht rat
sam erscheinen. Dagegen sind Standardantidepressiva auch bei leichteren Depressionen gut wirksam. Benzodiazepine sind bei der Depressionsbehandlung allenfalls bei schwer depressiven oder suizidalen Patienten in den ersten zwei Wochen in Kombination mit ei
nem Antidepressivum indiziert. '
enzodiazepine nahmen 1995 in den Praxen der Kassenärz
te Deutschlands (bei kon
tinuierlichem Rückgang in der Ver
ordnungshäufigkeit seit 1983) mit 270 Millionen definierten Tages
dosen (DDD) den dritten Rang der verschriebenen Psychopharmaka ein (2). Johnson (3) berichtet über Ergeb
nisse pharmakoepidemiologischer Studien, wonach in England Ben
zodiazepine für depressive Erkran
kungen genauso oft verordnet wer
den wie für Angsterkrankungen. Ei
ne amerikanische Untersuchung un
tersuchte die Vorbehandlung von 217 Patienten, die mit »major depres
sion« nach RDC (Research Diagnostic Criteria) von wenigstens 4wöchiger Dauer (Median 31 Wochen) in fünf Universitätskliniken aufgenommen wurden. Es zeigte sich, daß nur 19%
mit Tranquillanzien (mit oder ohne Psychotherapie) behandelt worden waren (4).
Diagnosebezogene Verordnungs
häufigkeiten sind für die BRD auf
grund von Datenschutzbestimmun
gen leider nicht verfügbar (5). Die re
lativ hohen Verordnungszahlen und die zitierten Untersuchungen sowie
unsere klinische Erfahrung lassen je
doch davon ausgehen, daß auch in Deutschland Benzodiazepine in ei
nem gewissen Umfang als Antide
pressiva eingesetzt werden, obwohl sie für die Behandlung der Depressi
on nicht zugelassen sind. In den USA besteht eine Zulassung des Triazolo- benzodiazepins Alprazolam für die Indikation »reaktiv-neurotische De-
Was ist ein Antidepressivum?
»Ein Antidepressivum ist ein Medika
ment, das im Vergleich mit Plazebo alle charakteristischen Symptome eines de
pressiven Syndroms zumindest bei einer Untergruppe von Patienten mit gesi
cherter depressiver Erkrankung von mindestens mittlerem Schweregrad bessert. Ein Medikament, das nurgegen unspezifische Symptome (z.B. Schlaflo
sigkeit) wirkt, ist kein Antidepressivum.«
Soweit die Definition eines Antidepres
sivums durch die Konsensus-Konferenz von Zürich 1988 (1). Die Konferenz konnte keine Einigung erzielen über die Frage, ob ein Medikament, daszwarbes- serals Plazebo, aber einem Standardan
tidepressivum unterlegen ist, als Antide- pressivum bezeichnet werden sollte oder nicht.
pression«. In den neueren Lehr
büchern zur Pharmakotherapie in der Psychiatrie zeigt sich eine unein
heitliche Darstellung. Nach Laux und Delini-Stula (6, 7) wird Alprazolam neben Trimipramin, Sulpirid, Flu- pentixol und Eluspirilen als »atypi
sches Antidepressivum« bezeichnet.
Patienten und Methode
Im Rahmen von drei Therapiever
gleichsstudien bei ambulanten Pa
tienten mit einer Depression nach ICD-9 (296.1, 296.3, 296.8, 298.0, 300.4) wurden
■ in Studie 1 Alprazolam und Ami
triptylin,
■ in Studie 2 Amitriptylin, Etoperi- don und Diazepam und
■ in Studie 3 Lorazepam, Alprazo
lam, Amitriptylin und Plazebo hinsichtlich ihrer therapeutischen Effekte verglichen. Die Behandlungs
dauer betrug jeweils sechs Wochen bei vergleichbarem Studiendesign.
Die Untersuchungen wurden von niedergelassenen Ärzten für All
gemeinmedizin, Innere Medizin und Nervenheilkunde nach Einweisungs
treffen mit Rater-Training durch
geführt. Medikation, Dosierung, An
zahl der Patienten sowie die Aus
gangswerte in der Hamilton-Depres- sions-Skala (HAMD, [8]) sind in Tabel
le 1 dargestellt. Die angegebenen Zah
len beziehen sich auf alle Patienten, die mindestens zwei Wochen gemäß Protokoll behandelt wurden, wobei - um Verzerrungen des Ergebnisses durch Ausschlüsse oder Abbrüche zu verringern - fehlende Werte ab Wo-
Z. Allg. Med. 1996; 72:1434-1438. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1996
1435
BENZODIAZEPINE
Tabelle 1: Eigene Studien zum Vergleich von Benzodiazepinen und Antidepressiva beim de
pressiven Syndrom
Medikation Standard
dosis/Tag
N HAMD 17 Item-Score Responderrate Mittelwert
Woche 0 (SD)
mittl. Differenz Woche 0-6 (SD) [in%]
Studie 1 Alprazolam 2,5 mg 117 20,1 (8,5) 12,4 (9,6) [58%] 79/117 (67,5%) Amitriptylin 125,0 mg 122 21,7 (7,1) 14,7 (8,7) [67%] 86/122 (70,5%) Studie 2 Amitriptylin 150,0 mg 49 22,3 (7,5) 13,5 (10,3) [60%] 33/49 (67,3%) Etoperidon 150,0 mg 49 22,7(6,8) 13,3 (8,4) [58%] 33/49 (67,3%) Diazepam 6,0 mg 51 22,2(5,7) 10,4 (6,6) [48%] 23/51 (45,1%) studies Alprazolam 2,0 mg 66 20,2 (4,4) 8,7 (6,6)[41%] 41/66 (62,1%) Amitriptylin 100,0 mg 70 19,7 (4,6) 10,2 (4,5) [53%] 50/70 (71,4%) Lorazepam 5,0 mg 63 19,6(4,5) 9,8 (6,1)[52%] 37/63 (58,7%)
Plazebo 71 19,1 (3,5) 3,6 (5,1) [19%] 14/71 (19,7%)
che 2 durch den jeweils letzten Wert ergänzt wurden (Last observation carried forward, LOCF). Als Response wurde eine Reduktion um 50% des HAMD-Summenscores zwischen Wo
che 0 und 6 definiert. Statistische Tests wurden zweiseitig mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%
durchgefiihrt, wobei für kontinuier
liche Variable ein T-Test bzw. eine Va
rianzanalyse und für diskrete Merk
male der x^-Test verwendet wurden.
Ergebnisse
Studie 1. Der Vergleich von Alpra
zolam und Amitriptylin ergab kei
nen signifikanten Unterschied in den Zielkriterien »Reduktion des HAMD-Summenscores zwischen Wo
che 0 und 6« und »Responderrate«. Ei
ne Schichtungsanalyse nach dem Schweregrad (nach CGI [9]) zeigte aber bei der mittleren Differenz des HAMD-Scores (Woche 0-6) bei den schwerkranken Patienten einen si
gnifikanten Unterschied zugunsten von Amitriptylin (Tab. 1 und Abb. 1).
Studie 2. Nach den unterschiedli
chen Ergebnissen bei verschiedenen Schweregraden in Studie 1 sollte bei schwerer depressiven Patienten die Effektivität eines Benzodiazepins (Diazepam) im Vergleich mit Ami
triptylin und der Versuchssubstanz Etoperidon untersucht werden. Die Responderrate für Diazepam war si
gnifikant geringer als unter den bei
den Trizyklika, ebenso die mittleren HAMD-Differenzen zwischen Woche 0-5 (Abb. 2).
Studie 3. Diese Studie war plazebo
kontrolliert und schloß explizit nur
Amitriptylin, Alprazolam und Lorazepam: dem Plazebo klar überlegen!
Patienten mit leichter bis mittel
schwerer Symptomatik ein, um die Vermutung einer gleichen Wirksam
keit von Antidepressivum und Ben
zodiazepinen bei leichteren Schwe
regraden zu prüfen. Es konnte eine signifikante Überlegen-
heit von Amitriptylin, Alprazolam und Lora
zepam gegenüber Plaze
bo gezeigt werden ohne sichere Unterschiede zwischen den Veren in den mittleren Differen-
zen des HAMD-Scores (Abb. 3 und Tab.
1). Eine Analyse der Einzelitems der HAMD-Skala belegt, daß die Veren bei diesen leicht bis mittelschwer de
pressiven Patienten vergleichbar und in allen Symptomen Plazebo si
gnifikant überlegen waren (Abb. 4).
Ergebnisse aus der Literatur
Nach Durchsicht der Literatur zeigt sich, daß in über 30 Arbeiten die Wirksamkeit von Benzodiazepi
nen bei depressiven Patienten im
AmKriptylln; leicht Kranke (n=20)
--- Amitriptylin (n=122)
- - O - • Alprazolam: leicht Kranke (n=23)
• • O - - Alprazolam (n=117)
O -D.
Wochen Wochen
♦ AmHrlptylln:schwer Kranke (n=18)
• - O ■ • Alprazolam: schwer Kranke (n=20)
♦ Amitriptylin: mittelschwer Kranke (n=84) - • t> - - Alprazolam: mittelschwer
Kranke (n=74)
•D-D
Wochen Wochen
■ Abbildung 1: HAMD-Summenscore im Therapieverlauf bei Studie 1 (Gesamtgruppe und ge
trennt nach Schweregrad)
Fortbildung
BENZODIAZEPINE
• Eloperidon (n= 49) Amilriptylin (n= 49) - - a- • Diazepam (n=51)
- - Eloperidon: leicht/mittelschwer Kranke (n=37)
- Amilriptylin: leicht/millelschwer Kranke (n=36)
- Diazepam: lelcht/mittelschwer Kranke (n=38)
Q 10
- Eloperidon: schwer Kranke (n=11) - Amitriptylin: schwer
Kranke (n»12) Diazepam: schwer Kranke (n=9)
Abbildung 2: HAMD-Summenscore im Therapieverlauf bei Studie 2 Gesamtgruppe und ge
trennt nach 2 Schweregraden: leicht (n = 8) und mittelschwer Kranke (n = 103) zusammenge
faßt
Vergleich zu Standardantidepressiva und teils zu Plazebo untersucht wur
de. ln der Mehrzahl dieser Studien waren Benzodiazepine Plazebo signi
fikant überlegen, ln 21 Studien wur
de ein vergleichbarer Effekt von Ben
zodiazepin und Antidepressivum ge
sehen, wohingegen in neun Studien die Benzodiazepine den Antidepres
siva unterlegen waren und in drei Studien die Benzodiazepine besser waren als die Antidepressiva.
ln Anbetracht der von uns gefun
denen Unterschiede hinsichtlich des therapeutischen Effekts von Ben
zodiazepinen bei unterschiedlich schwer depressiven Patienten be-
Alprazolam vs. Lorazepam vs.
Amitriptylin vs. Plazebo
— -a — Amilriptylin (n=70)
— — Alprazolam (n=66)
■ • ■ Lorazepam (n=63)
• - - - Plazebo (n=71) f ■■
Abbildung 3: HAMD-Summenscore im Therapie
verlauf bei Studie 3 (Gesamtgruppe aus 238 mittel
schwer, 20 leicht und 12 schwer Kranken)
trachteten wir die Studien aus der Li
teratur hinsichtlich des Schweregra
des der Symptomatik bei Therapie
beginn. Es zeigte sich, daß in den Stu
dien, in denen die Benzodiazepine den Antidepressiva unterlegen wa
ren, der HAMD-Ausgangswert um 29 Punkte lag, bei den Studien, die kei
nen Unterschied zeigten, dagegen um 24 Punkte betrug. Dieses weist ebenfalls darauf hin, daß Benzodia
zepine bei schwer depressiven Pa
tienten weniger wirksam sind als Standardantidepressiva.
Diskussion
Während Benzodiazepine bei der Therapie von Angsterkrankungen, Panikattacken, schwe-
ren Belastungsreaktio
nen, zur Prämedikati
on, bei Herzinfarkt so
wie bei Epilepsie und Spastik einen wichti
gen Platz einnehmen,
ist ihre Bedeutung für die Depressi
onsbehandlung - wie wir eingangs gezeigt haben - umstritten.
Die Ergebnisse unserer drei Ambu
lanzstudien zeigen, daß die Ben
zodiazepine Lorazepam und Alprazo- Benzodiazepine sind z.B bei Angsterkrankun
gen wichtig
lam bei leicht und mittelschwer depres
siven Patienten hinsichtlich der mitt
leren HAMD-Score-Reduktion Plaze
bo überlegen sind und sich nicht si
gnifikant vom Standardpräparat Amitriptylin unterscheiden (Stu
die 3). In Studie 1 waren dagegen bei den schwer kranken Patienten Un
terschiede zugunsten von Amitripty
lin festzustellen, während bei Studie 2 mit den höchsten HAMD-Ausgangs- werten in der Gesamtgruppe eine si
gnifikant niedrigere Responderrate unter Diazepam als unter den Tri- zyklika beobachtet wurde.
Auch andere Autoren fanden derartige Unter
schiede bei schwerer de
pressiven Patienten. Die Arbeitsgruppen von Ansseau et al (10) und Rush (11) zeigten an de-
pressiven Patienten mit pathologi
schem Dexametason-Suppressions- test bzw. verkürzten REM-Latenzen (die als Hinweise auf eine schwere Depression angesehen werden kön
nen), eine Überlegenheit von Ami
triptylin im Vergleich zu Adinazo- lam/Diazepam bzw. Alprazolam. Jo
nas und Cohon (1993) stellen in ei
nem Review über Studien mit Alpra
zolam fest, daß schwere Depressio
nen besser auf ein Standardantide
pressivum als auf Alprazolam anspra- chen. Auch Hollister und Mitarbeiter (12) räumen in einer umfangreichen Arbeit über die klinische Anwen
dung von Benzodiazepinen ein, daß schwere Depressionen mit größerer Wahrscheinlichkeit auf ein trizykli
sches Antidepressivum ansprechen, obwohl sie eine Berechtigung für die Depressionstherapie mit Benzodia
zepinen vor allem bei ambulanten Patienten sehen. Unsere oben angeführte Litera
tur-Recherche unter
mauert die These, daß Antidepressiva bei schwer depressiven Pa
tienten den Benzodiaze
pinen überlegen sind.
Außerdem zeigt Johnson (3), daß bei näherer Betrachtung von Ver
gleichsstudien, die eine Wirkungs
gleichheit behaupteten, diese nur in einem Teil der Fälle tatsächlich ange-
Schwere Depres
sionen: Therapie mit Amitriptylin zeigt Vorteile