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Kindeswohl sichern durch gerichtliche Anordnung des Wechselmodells bei Ablehnung durch die Eltern?

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Academic year: 2022

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Kindeswohl sichern durch gerichtliche Anordnung des Wechselmodells bei Ablehnung durch die Eltern?

Kontroversen in der Praxis unter Bezugnahme auf internationale Erfahrungen

Bachelorarbeit

Ronja Böhm (Matrikelnummer: 1089773) s-rboehm@haw-landshut.de

Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe 7. Fachsemester

Gutachterin: Frau Prof. Dr. Sigrid A. Bathke Abgabe: 25.01.2021

(2)

Abstract

Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und der Veränderungen traditioneller Rollenbilder von Mutter und Vater mehren sich die Forderungen nach Änderungen im deutschen Kind- schaftsrecht, um das Wechselmodell als Betreuungsform nach elterlicher Trennung auch ge- gen den Willen eines oder beider Elternteile gerichtlich anordnen zu können. Die Forschungs- frage dieser Arbeit lautet daher: Kann eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren dem Kindeswohl dienen, auch wenn ein oder beide El- ternteile dies ablehnen und wenn ja, unter welchen Umständen?

Die Arbeit befasst sich zuerst mit der zahlenmäßigen Relevanz des Themas, dann mit Er- kenntnissen der Scheidungsfolgenforschung und arbeitet dann den internationalen For- schungsstand in Bezug auf das Wechselmodell auf, da in Deutschland ein Forschungsdefizit vorherrscht. Im Anschluss werden die wechselmodellbezogene Gesetzgebung in Schweden und Belgien und die damit einhergehenden Erfahrungen skizziert. Daraufhin folgt eine recht- liche und psychologisch-sozialwissenschaftliche Betrachtung des Wechselmodells. Zuletzt wird in Abhängigkeit verschiedener Fallkonstellationen die Möglichkeit der gerichtlichen An- ordnung des Wechselmodells erläutert und Empfehlungen für die Praxis hinsichtlich der Not- wendigkeit weiterer Forschung, der Stärkung des Beratungsansatzes und rechtlicher Reform- bedarfe gegeben.

(3)

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis...4

Abkürzungsverzeichnis...5

1 Einleitung...6

2 Begriffsklärung...7

2.1 Wechselmodell in Abgrenzung zum Residenzmodell mit erweitertem Umgang...7

2.2 Kindeswohl und Kindeswille...9

2.3 Gemeinsame elterliche Sorge und Umgangsrecht...11

2.4 Trennung und Scheidung...12

3 Aktueller Forschungsstand...12

3.1 Daten zum Thema Trennung und Scheidung...12

3.1.1 Von Trennung und Scheidung und zugehörigen Konflikten betroffene Kinder...13

3.1.2 Einstellungen getrennter Eltern zur Aufteilung der Kinderbetreuung...14

3.2 Scheidungsfolgenforschung...16

3.2.1 Einflussfaktoren auf das kindliche Erleben...17

3.2.2 Mögliche Auswirkungen der Trennung auf Kinder...20

3.3 Forschungsstand in Bezug auf das Kindeswohl im Wechselmodell...23

3.3.1 Forschungsstand in Deutschland...23

3.3.2 Internationaler Forschungsstand...23

3.3.3 Limitationen der bestehenden Forschung...26

3.4 Fazit des Forschungsstandes...28

4 Internationale Regelungen und Erfahrungen...30

4.1 Quantitativer Vergleich der Länder...31

4.2 Schweden...32

4.2.1 Entwicklung des Kindschaftsrechts und aktuelle Bestimmungen...32

4.2.2 Erfahrungen mit der Gesetzeslage...32

4.3 Belgien...34

4.3.1 Entwicklung des Kindschaftsrechts und aktuelle Bestimmungen...34

4.3.2 Erfahrungen mit der Gesetzeslage...36

4.4 Diskussion...37

5 Das Wechselmodell als Betreuungsform nach Trennung...38

5.1 Das Wechselmodell in der Gesetzgebung...39

5.1.1 Gerichtliche Anordnung des Wechselmodells...39

5.1.2 Verhältnis zwischen GG, UN-KRK und dem deutschen Umgangsrecht...41

5.1.3 Klärungsbedarf im Unterhaltsrecht...42

5.1.4 Mögliche Entwicklungen in der Gesetzgebung...42

5.2 Entscheidungsrelevante Aspekte...43

5.2.1 Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann...43

5.2.2 Kontakt zu beiden Eltern...46

5.2.3 Konflikte der Eltern...48

5.2.4 Belastung durch die Wechsel zwischen den Haushalten...52

5.2.5 Kindeswille...54

5.2.6 Kindeswohl...55

(4)

5.4 Probleme und Hindernisse...59

5.5 Fazit zum Wechselmodell als Betreuungsform nach Trennung...59

6 Gerichtliche Anordnung des Wechselmodells...63

7 Empfehlungen für die Praxis...65

7.1 Ausweitung der Forschung zum Wechselmodell...65

7.2 Stärkung der Beratung und Mediation...66

7.3 Forderungen nach Reformen im Kindschaftsrecht...66

Literaturverzeichnis...69

Eidesstattliche Erklärung...78

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anzahl der minderjährigen Scheidungskinder in Deutschland in den Jahren von 2006 bis 2019 (Statistisches Bumdesamt 2020a: 37)...13

Abbildung 2: Anteil alleinerziehender Elternteile mit minderjährigen Kindern nach Familienstand 1997 und 2017 (Statistisches Bundesamt 2018: 56)...13

Abbildung 3: Befragung von Eltern zur realen und idealen Aufteilung der Kinderbetreuung nach der Trenung (Haumann 2019: 22)...14

Abbildung 4: Einstellungen und Erfahrungen der Eltern mit dem gewählten Betreuungssystem (vgl. Haumann 2019: 23)...15

Abbildung 5: Elterliche Kommunikation und Kooperation im Zeitverlauf (Sünderhauf 2013: 114)...51

Abbildung 6: Wechsel im Residenzmodell mit erweitertem Umgang (Sünderhauf 2014:170). ...53 Abbildung 7: Wechsel im Wechselmodell mit 7:7-Tage-Rhythmus (Sünderhauf 2014: 170). 53

(5)

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung

Art. Artikel

BGH Bundesgerichtshof

BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMJV Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

bzgl. bezüglich

bzw. beziehungsweise

ca. circa

d. h. das heißt

ebd. ebenda

f./ff. folgend/fortfolgend

FDP Freie Demokratische Partei

GG Grundgesetz

i. V. m. in Verbindung mit

ISUV e. V. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht

Kap. Kapitel

mind. mindestens

Mio. Millionen

NELG Nicht-eheliche Lebensgemeinschaft

OLG Oberlandesgericht

PETRA Partner für Erziehung, Therapie, Research und Analyse

u. a. unter anderem

UN-KRK UN-Kinderrechtskonvention

USA United States of America

vgl. vergleiche

z. B. zum Beispiel

zit. n. zitiert nach

(6)

1 Einleitung

Der gesellschaftliche Wandel hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass die Kinderbe- treuung sukzessive vermehrt als Aufgabe beider Elternteile wahrgenommen wird. Auch die Zeitanteile, die Vater und Mutter täglich für Betreuung aufwenden, gleichen sich an, wenn auch durchschnittlich Frauen weiterhin etwas mehr als das Doppelte an täglicher Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen und viele Familien weiterhin die klassische Rollenverteilung le- ben. Geändert haben sich jedoch in jedem Falle die Wertvorstellungen in der Gesellschaft:

Teilhabe von Männern an der Care-Arbeit wird zunehmend als positiv wahrgenommen, auch wenn sich dies noch nicht gänzlich in der reellen partnerschaftlichen Arbeitsteilung nieder- schlägt (vgl. Kindler/Walper 2016: 820f.). Dass sich diese Veränderungen nicht nur auf das Leben in Partnerschaften beziehen, sondern auch das elterliche Leben nach einer Trennung beeinflussen können, liegt nahe. So zeigen Untersuchungen in anderen Ländern, dass Väter, die sich vor der Trennung viel um ihre Kinder gekümmert haben, dies auch häufiger nach der Trennung beibehalten. Für Deutschland existieren keine Erhebungen zu dieser Korrelation (vgl. ebd.: 821).

So erscheint es nicht verwunderlich, dass das Wechselmodell als Betreuungsform in der Nachtrennungsfamilie diskutiert wird, insbesondere da es in anderen westlichen Industrienati- onen bereits vermehrt praktiziert wird (siehe Kap. 4). Verschiedene Gruppierungen, darunter der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV), unterstützen den Antrag der Partei FDP vom 18.03.2018, das Wechselmodell als gesetzlichen Regelfall bei Trennung der Eltern einzuführen (Drucksache 19/1175). Andere Stimmen, wie der Deutsche Juristentag, fordern zumindest eine gesetzliche Gleichstellung des Wechselmodells mit dem Residenzmodell (vgl.

Meyer-Wehage 2020: 54).

Die vorliegende Arbeit befasst sich daher mit folgender Fragestellung:

Kann eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells bei Umgangs- und Sorgerechtsverfah- ren dem Kindeswohl dienen, auch wenn ein oder beide Elternteile dies ablehnen und wenn ja, unter welchen Umständen?

Sie bedient sich dabei der Literaturrecherche als Methode zum Erkenntnisgewinn, da auf- grund der gegenwärtigen Unabwägbarkeiten in Bezug auf die Covid-19-Pandemie so die Chancen erhöht werden, die Arbeit rechtzeitig zum Abschluss zu bringen.

(7)

Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wird zunächst eine Klärung wichtiger Be- griffe vorgenommen (Kap. 2), um dann den aktuellen Forschungsstand zur Zahl der betroffe- nen Kindern, Scheidungsfolgen im Allgemeinen und dem Wechselmodell im Besonderen auf- zuarbeiten (Kap. 3) und internationale Regelungen und Erfahrungen mit dem Wechselmodell vorzustellen (Kap. 4). Im weiteren Verlauf wird das Wechselmodell aus rechtlicher, wie psy- chologisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Die Arbeit endet mit der Beant- wortung der Forschungsfrage (Kap. 6) und Handlungsempfehlungen für die Praxis (Kap. 7).

2 Begriffsklärung

Eine definitorische Abgrenzung der grundlegenden Konzepte ist für den weiteren Untersu- chungsgang unabdingbar. Es handelt sich hierbei um die Begriffe: Wechselmodell (2.1), Kin- deswohl und Kindeswille (2.2), gemeinsame elterliche Sorge und Umgangsrecht (2.3) sowie Trennung und Scheidung (2.4).

2.1 Wechselmodell in Abgrenzung zum Residenzmodell mit erweitertem Umgang

„Das Wechselmodell ist eine Betreuungs- und Lebensform für Kinder getrennt lebender El- tern, in der

• Kinder abwechselnd jeweils einen substantiellen Anteil (d.h. mindestens 30 %) bei je- dem Elternteil leben,

• in beiden Elternhäusern zuhause sind und

• sich Mutter und Vater die elterliche Verantwortung teilen“ (Sünderhauf 2013: 61).

Sünderhauf beschreibt die drei wesentlichen Betreuungsmodelle von Kindern nach einer Trennung der Eltern folgendermaßen: Alleinerziehendes Elternteil ohne oder mit kaum Um- gangskontakt des Kindes zum anderen Elternteil, Residenzmodell und Wechselmodell (vgl.

ebd.: 56 f.). Wichtig für diese ist Arbeit vor allem, das Residenzmodell mit erweitertem Um- gang und das Wechselmodell voneinander abzugrenzen sowie das Wechselmodell in seinen Unterformen darzustellen. Betreuungsformen, in denen das Kind keinen oder nur sporadi- schen Kontakt zum nicht-betreuenden Elternteil hat, werden daher nicht weiter erläutert.

Die Abgrenzung zwischen Residenzmodell (mit großzügiger Umgangsregelung) und Wech- selmodell ist teilweise schwer zu bestimmen, da das Kind bei beiden Betreuungsformen ab-

(8)

wechselnd von Vater und Mutter1 betreut wird und zwischen diesen pendelt. Folgt man der Definition Sünderhaufs, so bestehen die Unterscheidungsmerkmale in der Quantität der Be- treuungszeit (Zeitanteil von mindestens 30 % des weniger betreuenden Elternteils), in der ge- teilten elterlichen Verantwortung für die Belange des Kindes und in der Tatsache, dass das Kind an beiden Wohnorten zuhause ist und nicht in der „Rolle des Gastes“ (vgl. ebd.: 57). Im Jahr 2014 präzisiert sie die Definition und nimmt noch zwei Kriterien mit auf – wichtig sei demnach, dass beide Eltern sich auch um Alltagstätigkeiten kümmern und nicht ein Elternteil primär für die Freizeitgestaltung zuständig ist sowie dass die Eltern jeweils als Bezugsperso- nen gleichwertig angesehen und nicht in „primäre und sekundäre Bezugs- oder Betreuungs- person“ (Sünderhauf 2014: 167) unterschieden werden (vgl. ebd.).

Erst wenn diese Kriterien erfüllt sind, kann von einem Wechselmodell statt von einem Resi- denzmodell gesprochen werden (Sünderhauf 2013: 57). Sünderhauf beschreibt zudem mit dem „Nestmodell“ und „Free Acces“ die Unterformen des Wechselmodells. Beim Nestmodell verbleibt das Kind in einer Wohnung, während sich die Eltern mit der Anwesenheit vor Ort abwechseln. Dies wird eher bei kleineren Kindern praktiziert (vgl. ebd.: 57). Free Acces be- deutet, dass das Kind spontan entscheiden kann, wann es sich bei welchem Elternteil aufhält.

Dies kommt eher bei größeren Kindern bzw. Teenagern in Betracht (vgl. ebd.: 58).

Gerade hinsichtlich des Zeitanteils unterscheiden sich die Definitionen. Kindler und Walper definieren einen Betreuungsanteil von mindestens 40 % des weniger betreuenden Elternteils (vgl. Kindler/Walper 2016: 821), wohingegen Meyer-Wehage erläutert, dass etwa 8 % aller getrennten Eltern ein Wechselmodell praktizieren, wenn man eine Aufteilung 50:50 % zu- grunde legt (vgl. Meyer-Wehage 2020: 54).

Es existieren noch weitere Begriffe wie (paritätisches) Doppelresidenzmodell, paritätische Betreuung, gleichberechtigte/abwechselnde Unterbringung oder Pendelmodell im Deutschen, sowie shared residence oder joint physical custody im Englischen oder résidence bzw. garde alternée im Französischen (vgl. Kostka 2014: 147; Kindler/Walper 2016: 821; Balomatis 2016: 834).

1 Zur Vereinfachung und zum besseren Verständnis der Inhalte wird in dieser Arbeit von Vater und Mutter gesprochen; andere Familienformen wie Regenbogenfamilien oder nicht-binäre Elternteile werden nicht explizit erwähnt. Dies soll in keiner Weise diskriminierend sein.

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2.2 Kindeswohl und Kindeswille Kindeswohl

Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls ist sowohl im Familienrecht, als auch in der Kinder- und Jugendhilfe die Leitlinie, nach der Maßnahmen gewählt und Entscheidungen ge- troffen werden müssen (vgl. Maywald 2012: 103; Balloff 2018: 75). Balloff vergleicht den Grundsatz der Achtung des Kindeswohls als oberste Verfahrensleitlinie und wichtigstes Ent- scheidungskriterium im Familienrecht mit dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“

im Strafrecht (vgl. Balloff ebd.), um die Bedeutung des Kindeswohlprinzips zu illustrieren.

Der Versuch, Kindeswohl zu definieren, muss immer bis zu einem gewissen Grad abstrakt bleiben, um individuell passende Entscheidungen treffen zu können und gleichzeitig konkret genug sein, um Entscheider:innen (z. B. Richter:innen, Elternteile, etc.) bei der Herausarbei- tung der besten Lösung für das jeweilige Kind eine Hilfestellung zu sein.

Grundsätzlich steht die Definitionsmacht darüber, was für ein Kind das Beste ist und damit, was seinem Wohl am ehesten entspricht, den Eltern im Rahmen ihres im Grundgesetz (GG) verbrieften Elternrechts zu (vgl. Art. 6 II 1 GG). Dies wird vom Bundesverfassungsgericht in folgender Grundsatzentscheidung noch einmal verdeutlicht: „in aller Regel [liegt] Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen [...] als irgendeiner anderen Person oder Institution“

(BVerfGE 59, 360, 376; Anpassung R. B.). Die einzige Legitimation für den Staat im Rahmen des sogenannten Wächteramtes, das sich aus Art. 6 II 2 GG ergibt, in das Elternrecht einzu- greifen, ist das Prinzip des Kindeswohls (vgl. Balloff 2018: 76). Maßgeblich hierfür ist, dass die Eltern nicht (mehr) in der Lage sind, das Kindeswohl zu gewährleisten. Dies kann in An- lehnung an Maywald als Beispiel für die „Genug-Variante“ (Maywald 2012: 98) des Kindes- wohls in Rechtsnormen gesehen werden. So bezeichnet er Gesetzesnormen, wie § 1684 IV 1 BGB mit der Formulierung „soweit dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist“ (§ 1684 IV 1 BGB). Die betreffenden Entscheidungen bzw. Handlungen Erwachsener müssen nach dieser Formulierung das Kindeswohl ausreichend gewährleisten. Im Gegensatz hierzu gibt es auch die „Bestvariante“ (vgl. Maywald 2012: 98). Dergestalt kategorisiert er jene Rechtsvorschrif- ten, die „dem Wohl des Kindes am Besten entspr[echen]“ (§ 1671 I 2 BGB; Anpassung R. B.).

Dem liegt die Annahme zugrunde, dass mehrere Handlungsalternativen das Kindeswohl aus- reichend gewährleisten können. Es soll jedoch die beste Entscheidung für das Kind getroffen werden.

(10)

Maßgeblich für das Kindeswohl sind die grundlegenden Menschenrechte und die in der UN- Kinderrechtskonvention (UN-KRK) und anderen Gesetzen beschriebenen spezifischen Rech- te, die auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern ausgerichtet sind. Die Bedürfnisse von Kindern, denen bei sie betreffenden Entscheidungen Rechnung getragen werden muss, sollen an einen Konsens in der Fachwelt angepasst sein. Abgesehen von den physischen und materi- ellen Grundbedürfnissen können folgende psychische Grundbedürfnisse genannt werden: Be- dürfnis nach Bindung, nach Orientierung und Kontrolle, nach Selbstwertschutz und nach Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung (vgl. Borg-Laufs 2009: 199f.).

Maywald schlägt unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte folgende Definition vor: „Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige, welches die an den Grundrechten und Grundbedürfnissen von Kindern orientierte, für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt“ (Maywald 2012: 104). Da diese Definition in Publikationen der Sozialen Arbeit häufig zitiert wird, wird sie auch in dieser Arbeit verwendet.

Kindeswille

Auch das Verhältnis zwischen Kindeswohl und Kindeswille ist zu beachten. Kindern steht nach Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention eine altersgemäße Beteiligung bei allen Ent- scheidungen zu, die sie selbst betreffen (vgl. Art. 12 UN-KRK). In kindschaftsrechtlichen Entscheidungen kommt dem Kindeswillen eine erhebliche Bedeutung zu. Der Kindeswille wird durch eine persönliche Anhörung des Kindes nach § 159 I & II FamFG erhoben. Nur in Ausnahmefällen kann nach § 159 III FamFG davon abgesehen werden. Im EU-Recht wird dem Kindeswillen und seiner Berücksichtigung in neuerer Zeit mehr Gewicht beigemessen (vgl. Meyer-Wehage 2020: 58), wobei die Berücksichtigung des Kindeswillens mit zuneh- mendem Alter an Bedeutung gewinnt (vgl. Dettenborn/Walter 2015: 84). Wichtig ist dabei, Wohl und Wille des Kindes nicht gleichzusetzen, denn Kinder können von sie betreffenden Entscheidungen in vielen Fällen überfordert sein (vgl. Maywald 2012: 105). Dies ist gemäß Kostka im Sinne der Subjektstellung des Kindes zu begrüßen (vgl. Kostka 2020: 463) und un- terstreicht seine Position als Träger von Grundrechten. Außerdem verhilft es dem Kind zu Selbstbestimmung und dem Gericht zu Erkenntnisgewinn über seine Bindungen und Bedürf- nisse (vgl. Fthenakis/Walbiner 2008: 101f.).

(11)

2.3 Gemeinsame elterliche Sorge und Umgangsrecht

Die elterliche Sorge ergibt sich aus §1626 BGB. Sie umfasst nach §1626 I BGB die Personen- und Vermögenssorge für das Kind und enthält das Recht und die Pflicht der Eltern, für das Kind zu sorgen. § 1626 II BGB beinhaltet die Anweisung, das Kind, seinem Entwicklungs- stand angemessen, in Entscheidungen miteinzubeziehen und seinen Willen zu berücksichti- gen. Weiterführende Bestimmungen zur elterlichen Sorge und den Befugnissen, die diese um- fasst, finden sich in den §§ 1626a, 1671, 1672 und 1687 bis 1687b BGB. Einen Teil der Per- sonensorge stellt das Aufenthaltsbestimmungsrecht dar, das sich aus § 1631 I BGB ergibt und den Inhabern der Personensorge die Entscheidungsbefugnis über den Aufenthalt des Kindes zuerkennt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist für diese Arbeit deshalb von besonderer Be- deutung, weil es unter anderem beinhaltet, wo das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, was bei paritätischer Zeitaufteilung schwer zu bestimmen sein kann.

§ 1687 I BGB spezifiziert die gemeinsame Sorge nach Trennung der Eltern und unterteilt die Entscheidungsbefugnisse: Entscheidungen mit besonderer Bedeutsamkeit für das Leben des Kindes sind von beiden Elternteilen gemeinsam zu treffen, solche, die das alltägliche Leben berühren von dem Elternteil, bei dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und sol- che, die die konkrete Versorgung betreffen, vom umgangsberechtigten Elternteil (vgl. § 1687 I S. 1-3).

In § 1626 III BGB ist explizit das Umgangsrecht des Kindes mit beiden Eltern aufgeführt, das in den §§ 1684, 1686 BGB genauer ausgeführt wird. Nach § 1684 II BGB sind die Eltern im Rahmen des Umgangsrechts dazu verpflichtet, „alles zu unterlassen,was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert“ (§ 1684 II BGB).

Fthenakis beschrieb die gemeinsame elterliche Sorge bei einer Scheidung in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht wie folgt: „Eine gerichtlich oder außergerichtlich getroffene Übereinkunft zwischen geschiedenen Eltern, die Rechte und Pflichten hinsichtlich der Ent- wicklung ihrer Kinder in vollem Umfang zu teilen und die Bereitschaft aufzubringen, Rah- menbedingungen zu schaffen und zu respektieren, welche die Durchführung des Konzepts der gemeinsamen elterlichen Verantwortung gewährleisten“ (Fthenakis 1982, zit. n. Fthenakis/

Walbiner 2008: 88). Eltern sind bei gemeinsamer Sorge also zu Kommunikation und Koope- ration um der Entwicklung des Kindes willen verpflichtet.

(12)

2.4 Trennung und Scheidung

Ist in diesem Text die Rede von Eltern, die sich trennen, so wird davon ausgegangen, dass die- se zuvor in einer Paarbeziehung gelebt haben. Ehepaare, Nichteheliche Lebensgemeinschaften (NELG), Eltern, die verheiratet sind, sich aber trennen ohne sich scheiden zu lassen und an- dere Konstellationen kommen in Betracht. In dieser Arbeit wird daher von Trennung und nicht von Scheidung gesprochen, auch wenn sich viele der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Scheidungsfolgenforschung beziehen. Denn das Augenmerk dieser Arbeit soll auf den Kindern liegen, deren Eltern sich trennen, ungeachtet der Rechtsform der elterlichen Bezie- hung.

Da nun die für diese Arbeit notwendigen Grundbegriffe definiert wurden, folgt im nächsten Kapitel die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes.

3 Aktueller Forschungsstand

Dieses Kapitel arbeitet den Forschungsstand auf, der für die Diskussion um das Wechselm- odell bedeutsam ist. Zuerst wird die gesellschaftliche Relevanz durch allgemeine Daten zum Thema Trennung und Scheidung verdeutlicht (3.1), darauf folgt eine Darstellung ausgewähl- ter Erkenntnisse der allgemeinen Scheidungsfolgenforschung (3.2) und schließlich eine Ver- anschaulichung von Forschungsergebnissen, die sich explizit mit dem Wechselmodell befas- sen (3.3). Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenfassung der vorgestellten Ergeb- nisse (3.4).

3.1 Daten zum Thema Trennung und Scheidung

Im Folgenden wird zuerst die Zahl der von Trennung und Scheidung sowie von gerichtsan- hängigen Konflikten betroffenen Kinder bestimmt (3.1.1), danach folgt eine Darstellung der Einstellungen und Wünsche getrennt lebender Eltern zur Betreuungsform ihrer Kinder (3.1.2).

(13)

3.1.1 Von Trennung und Scheidung und zugehörigen Konflikten betroffene Kinder

Abb. 1 zeigt die minder- jährigen Scheidungskinder in Deutschland im Zeit- raum von 2006 bis 2019.

Wie der Grafik zu entneh- men ist, sind die Zahlen zuletzt gesunken, im Jahr 2019 gab es 122.010 Scheidungskinder (vgl.

Abb. 1). Hinzu kommen Trennungen verheirateter Eltern, die nicht in einer Scheidung münden und Trennungen von Eltern, die vorher in Nicht- ehelichen Lebensgemeinschaften (NELG) lebten. Diese beiden Formen sind jedoch statistisch schwer zu ermitteln, da sie im Gegensatz zur Scheidung in der Regel ohne Beteiligung staatli- cher Instanzen stattfinden. Die Anzahl der von Trennung betroffenen Kinder dürfte demnach höher liegen als dies die Zahl der Scheidungskinder nahelegt. Zur Veranschaulichung dieses Problems zeigt Abb. 2 den Anteil der alleinerziehenden Elternteile mit minderjährigen Kin- dern nach Familienstand. Hiervon sind 38,3 % geschieden, diese fließen in die oben gezeigte Statistik der Scheidungskinder mit ein. 16,1 % der Alleinerziehenden sind verheiratet, leben aber getrennt – diese Kinder treten nicht als Scheidungskinder in Erscheinung, obgleich ihre

Eltern getrennt leben. Bei den ledigen Alleinerziehen- den (40,6 %) ist nicht zu er- fassen, ob die Eltern zuvor in einer Paarbeziehung wa- ren, somit ist die Zahl der von Trennung betroffenen Kinder nicht zu erfassen (vgl. Statistisches Bundes- amt 2018: 56).

Abbildung 1: Anzahl der minderjährigen Scheidungskinder in Deutschland in den Jahren von 2006 bis 2019 (Statistisches Bumdesamt 2020a: 37)

Abbildung 2: Anteil alleinerziehender Elternteile mit minderjährigen Kindern nach Familienstand 1997 und 2017 (Statistisches Bundesamt 2018: 56).

(14)

Nach aktueller Studienlage ist davon auszugehen, dass etwa zwei Drittel der Eltern selbststän- dig zu einer Einigung bzgl. des Umgangs- und des Sorgerechts ihrer Kinder kommen. Das restliche Drittel bedarf der Unterstützung durch das Familiengericht, wobei auch hiervon wie- derum mehr als zwei Drittel nur punktuell diese Hilfestellung benötigen und im Nachgang wieder über ausreichend Kommunikations- und Kompromissfähigkeit verfügen, um die Be- lange ihrer Kinder in Selbstverantwortung zu regeln. Lediglich ca. 7 – 10 % der Eltern können als hochstrittig oder hochkonflikhaft2 bezeichnet werden (vgl. Walper/Fichtner/Normann 2011: 7f.; Dreissigacker 2016: 6f.). Dieser geringe Anteil der Familien bindet laut Dreissiga- cker 80 % des Personals in Beratung und Gerichten (vgl. Dreissigacker 2016: 7). Die Bera- tung zu Trennung und Scheidung, die in § 28 SGB VIII hervorgehoben wird, wurde in den letzten Jahrzehnten als Anlass zur Beratung immer wichtiger. In den Jahren von 1993 bis 2006 stieg die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung mit Schwerpunkt Trennung und Schei- dung um 120 %, während im gleichen Zeitraum die Erziehungsberatungen insgesamt ledig- lich um 57 % anstiegen (vgl. Menne 2017: 25). Die zahlenmäßige Relevanz des Themas Kin- derbetreuung nach elterlicher Trennung wurde nun dargestellt. Doch welche Einstellungen, Erfahrungen und Wünsche haben getrennte Eltern bezüglich der Kinderbetreuung? Dies wird im Folgenden dargestellt.

3.1.2 Einstellungen getrennter Eltern zur Aufteilung der Kinderbetreuung In Befragungen des Instituts für Demoskopie Allen-

bach wurden getrennte Eltern bezüglich ihrer Auftei- lung der Kinderbetreuung und ihrer diesbezüglichen Wünsche und Erfahrungen mit dem von ihnen prakti- zierten System befragt. Es fällt auf, dass bei 65 % der Trennungseltern aktuell die Mütter einen Großteil der Betreuungsarbeit übernehmen und lediglich bei 22 % eine etwa paritätische Aufteilung stattfindet (vgl. Abb.

3; Haumann 2019: 22). Dem gegenüber steht die (an- nähernd) egalitäre Aufteilung als Idealbild von insge-

samt etwas mehr als der Hälfte (51 %) der befragten Eltern (vgl. ebd.). Vergleicht man die Zu-

2 Als Hauptmerkmale von Hochstrittigkeit bzw. Hochkonfliktfamilien zählen: andauernde juristische Konflikte, hauptsächlich emotionale Probleme, Instrumentalisierung der Kinder für Elternbedürfnisse und Erfolglosigkeit außergerichtlicher Maßnahmen zur Konfliktlösung (vgl. Bröning 2011: 21). Typische Konfliktthemen sind sowohl auf der Paar- (Trennung) als auch auf der Elternebene (Aufenthalt, Umgang, Unterhalt) zu finden (vgl. Kostka 2016: 164).

Abbildung 3: Befragung von Eltern zur realen und idealen Aufteilung der Kinderbetreuung nach der Trenung (Haumann 2019: 22).

(15)

stimmung zu diesem Idealbild nach Müttern und Vätern, so fällt auf, dass sich mehr Väter (64

%) ein gleichberechtigtes Modell wünschen als Mütter (41 %) (vgl. Haumann 2019: 22).

Erkundigt man sich bei Trennungseltern im Allgemeinen und Trennungseltern, die ein Wech- selmodell im engeren Sinne oder ein sehr ähnliches Modell leben (teilweise sind die Definiti- onskriterien eines Wechselmodells nicht gänzlich erfüllt) nach ihren Erfahrungen und Einstel- lungen zu diesem Modell, so ergibt sich ein Stimmungsbild, das positive Erfahrungen der El- tern mit einer gemeinsamen Betreuung der Kinder nahelegt, wie Abb. 4 veranschaulicht.

Dies betrifft sowohl die Kooperation auf El- ternebene, als auch die allgemeine Zufrie- denheit mit dem Betreuungssystem. Jedoch geben diese Eltern auch an, dass dieses Be- treuungssystem mit höheren monetären Kos- ten verbunden ist (vgl. Abb 4). Fraglich ist allerdings, ob ein egalitäres Betreuungssys- tem bei Eltern zu mehr Zufriedenheit führt oder ob jene Eltern ein solches Betreuungs- system wählen, die in ihrer Beziehung zueinander ohnehin kooperativer und emotional stabi- ler sind. Betrachtet man die Motive, die Eltern als ausschlaggebend für die Wahl eines (annä- hernd) paritätischen Betreuungsmodells angeben, so bietet sich die zweite Erklärungsmög- lichkeit an, denn Eltern benannten einerseits den Wunsch nach einem ausreichenden Kontakt ihrer Kinder zu beiden Elternteilen und andererseits sahen die befragten Eltern es als positiv an, beide berufstätig sein zu können, ausreichend Zeit für sich selbst zu haben, sowie die Möglichkeit zu erhalten, zusammen die gemeinsamen Kinder zu erziehen (vgl. Haumann 2019: 23). Diese Vorteile auch dem:der ehemaligen Partner:in gewähren zu wollen, bedarf im- merhin eines gewissen Wohlwollens dem anderen Elternteil gegenüber.

Im vorliegenden Kapitel wurde die zahlenmäßige Relevanz des Themas Trennung und Schei- dung aufgezeigt (3.1.1) und die Notwendigkeit verdeutlicht, einen Diskurs über verschiedene Formen der Aufteilung der Kinderbetreuung zu führen (3.1.2). Im Folgenden werden nun die Erkenntnisse der Scheidungsfolgenforschung im Hinblick auf die Auswirkungen auf Kinder zusammengefasst.

Abbildung 4: Einstellungen und Erfahrungen der Eltern mit dem gewählten Betreuungssystem (vgl. Haumann 2019: 23)

(16)

3.2 Scheidungsfolgenforschung

Um uns der Antwort auf die Frage anzunähern, ob und unter welchen Umständen das Wech- selmodell dem Kindeswohl dient, bietet sich ein Blick in die Scheidungsfolgenforschung an, die über eine langjährige Forschungspraxis und dementsprechend umfassende Befunde zu Auswirkungen elterlicher Trennung auf Kinder und damit in Zusammenhang stehende Schutz- und Risikofaktoren verfügt.

Seit Mitte der 1980er- Jahre wandelt sich das Bild von Trennung in gesellschaftlicher wie auch wissenschaftlicher Wahrnehmung. Im Gegensatz zur früheren defizitorientierten Sicht- weise der Trennung als Makel, geht man heute von dem sogenannten „Re-Organisationsmo- dell“ aus: Die Familie wird neu strukturiert, wobei die Bindungen der Kinder an beide Eltern- teile diese Transition überdauern. Im Zuge dessen wird Trennung als ein Prozess verstanden, der einstweilen als neutral zu bewerten ist (vgl. Werneck/Werneck-Rohrer 2011: 12). Viel be- deutsamer ist der Verlauf der Trennung und der feinfühlige Umgang mit den involvierten Kin- dern, wie Largo und Czernin betonen:

„Kinder glücklich aufwachsen zu lassen ist (…) weit weniger eine Frage des Familienmodells als vielmehr der Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird. Es geht darum, ihre Bedürfnisse wahrzu- nehmen und zu erfüllen, egal, innerhalb welchen Familienmodells, welcher Form des Zusammen- lebens oder welcher Lebensart. Die Gretchenfrage ist also nicht, ´Scheidung Ja oder Nein?`, sondern

´Wie können wir als verheiratete oder geschiedene Eltern das Verhalten unserer Kinder richtig lesen und ihre Bedürfnisse angemessen befriedigen?` “ (Largo/Czernin 2012: 12).

Bleibt man im Bild der Trennung als Prozess, so können auch auftretende Probleme und Kon- flikte im Verlauf der Trennung als vorübergehend und veränderbar wahrgenommen und dem- entsprechend behandelt werden.

Auch andere Aspekte, die bei Trennung eine Rolle spielen, wie das Verständnis von Kinder- rechten, das Rollenbild von Eltern und die Emanzipation der Männer vom traditionellen Rol- lenverständnis in Bezug auf ihre Vaterschaft unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel. Dies führt dazu, dass die Handlungsoptionen, elterliche Trennungskonflikte durch Kontaktabbruch oder starke Reduzierung des Kontakts zu entschärfen, zwar heute noch möglich sind, jedoch den genannten Veränderungen entgegenstünden, wie Walper und Fichtner anmerken (vgl.

Walper/Fichtner 2011: 92).

In der Sozialen Arbeit und vor Gericht könnte teilweise der Eindruck entstehen, Kinder wür- den grundsätzlich stark unter der Trennung ihrer Eltern leiden und es seien deshalb immer ne- gative Konsequenzen zu befürchten. Ein Großteil der Kinder schafft es jedoch, nach anfängli-

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chen Adaptationsschwierigkeiten, dieses Ereignis gut zu bewältigen, insbesondere, weil sich nicht nur Risiken, sondern auch Chancen auf ein stressärmeres Lebensumfeld durch die Ver- änderung ergeben können (vgl. Maywald 2020: 456).

Das vorliegende Kapitel bereitet den aktuellen Forschungsstand in Hinblick auf die Faktoren, die das kindliche Erleben von Trennung beeinflussen (3.2.1) sowie die möglichen kurz- und langfristigen Auswirkungen (3.2.2) auf und ermöglicht somit einen Überblick, welche Aspek- te für Kinder bei einer Trennung der Eltern besonders bedeutsam sind, um diesen Einschnitt in ihr Leben positiv überwinden zu können. Die gewonnenen Erkenntnisse unterstützen die Beantwortung der Frage, unter welchen Umständen eine Anordnung des Wechselmodells sinnvoll sein könnte und was dabei beachtet werden muss, um das Kindeswohl zu gewährleis- ten.

3.2.1 Einflussfaktoren auf das kindliche Erleben

Die Einflussfaktoren auf das kindliche Erleben der elterlichen Trennung sind vielfältig. Wer- neck und Werneck-Rohrer nennen hierzu folgende Merkmale: Alter, Geschlecht und Tempera- ment des Kindes, Eltern-Kind-Beziehungen, sozioökonomische Situation, soziale und kultu- relle Umwelt, Wohlbefinden der Eltern, Trennungsverlauf und die Beziehungsqualität zwi- schen den Eltern (vgl. Werneck/Werneck-Rohrer 2011: 13). Aufgrund des Umfangs dieser Ar- beit kann nicht auf alle genannten Faktoren genauer eingegangen werden, daher wurden dieje- nigen ausgewählt, die den größten Zusammenhang zur Forschungsfrage aufweisen (kursiv ge- druckt) und durch die Eltern beeinflussbar sind. Das Kindesalter wird in Kapitel 3.2.2 aufge- griffen.

Gerade die Beziehungsqualität zwischen den Eltern und wie diese die Trennung gestalten, ha- ben große Auswirkungen auf die Intensität der kindlichen Belastung, diesbezüglich besteht unter den Forschenden weitgehend Konsens (vgl. Walper/Fichtner 2011: 91; Werneck/Wer- neck-Rohrer 2011:13; Walper/Langmeyer 2014: 166). Hinsichtlich des Trennungsverlaufs weisen Walper und Fichtner darauf hin, dass die elterliche Trennung für Kinder oft eine grö- ßere langfristige Belastung darstellt, wenn die Paarbeziehung der Eltern vor der Trennung un- auffällig und nach außen hin harmonisch erschien und nicht von Konflikten geprägt war (vgl.

Walper/Fichtner 2011: 94). Diesen Schluss lässt auch eine Befragung von Kindern und Ju- gendlichen zum Thema Trennung der Eltern aus Österreich zu. Die Kinder wurden unter an- derem zu förderlichen und hinderlichen Verhaltensweisen von Eltern im Trennungsfall be-

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fragt. Als hinderliche Verhaltensweise nannten die Kinder beispielsweise die überraschende Konfrontation mit der Tatsache, dass die Eltern Konflikte hätten und sich trennen würden. Zu- dem gaben die Befragten Streit und starke Affektausbrüche der Eltern als negativ für sich an.

Des Weiteren erwähnten die Interviewten, dass es sehr schwierig für Kinder sei, wenn die El- tern sich hassten (vgl. Figdor 2012: 337 ff.). Demnach kann es zu massiver emotionaler Unsi- cherheit und Loyalitätskonflikten bei Kindern kommen, wenn die Streits der Eltern andauern und keine Versöhnung zustande kommt, die gegenseitigen Vorwürfe eskalieren und die Eltern geradezu verfeindet sind. Dies ist dann vermehrt der Fall, wenn Eltern ihre Kinder in die Aus- einandersetzungen miteinbinden, so Walper und Langmeyer. Je stärker diese Konflikte sind, desto eher kommt es bei den betroffenen Kindern zu Schwierigkeiten in ihrer weiteren Ent- wicklung, insbesondere in den Bereichen Wohlbefinden und Sozialkompetenz/Sozialverhalten (vgl. Walper/Langmeyer 2014: 165 f.).

Eine schlechte Beziehungsqualität zwischen Eltern wirkt sich obendrein negativ auf die El- tern-Kind-Beziehung aus, wie von verschiedenen Autoren konstatiert wird. Pröls merkt an, dass ein direkter Zusammenhang zwischen elterlichen Konflikten und der Wärme in der El- tern-Kind-Kommunikation zu beobachten ist, was sich auch auf die Beziehung zwischen den beiden Generationen auswirkt (vgl. Pröls 2011: 106 f.). Diese Tatsache ist insofern bedeut- sam, da die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung im Vergleich zur reinen Kontakthäufigkeit in Bezug auf das kindliche Wohlbefinden einen weitaus größeren Stellenwert einzunehmen scheint, als es innerhalb von diesbezüglichen Beratungskontexten und Gerichtsverhandlungen zu vermuten wäre. Häufig nimmt die Diskussion über die Häufigkeit der Umgangskontakte eine Schlüsselrolle in Nachtrennungskonflikten ein – mit Verweis auf das Kindeswohl und die Beziehung zum betreffenden Elternteil. Der Einfluss der Kontakthäufigkeit ist jedoch im Sin- ne einer erleichterten Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung durch häufigere Interaktionen für das Kindeswohl nur mittelbar von Bedeutung. Für sich allein stellt jedoch eine hohe Frequenz der Umgangskontakte keine Verbesserung des Kindeswohls dar (vgl. Walper/Langmeyer 2014: 167). In der Befragung der Kinder und Jugendlichen durch Figdor finden sich auch Antworten, die sich auf den Aspekt der intergenerationalen Beziehung beziehen: Die Inter- viewten wünschten sich die Vermeidung von Kontaktabbrüchen zu einem Elternteil, den Ver- zicht auf Strenge in diesem belastenden Lebensabschnitt und die Anerkennung ihrer kindli- chen Emotionen (vgl. Figdor 2012: 340).

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Von Bedeutung sind jedoch auch protektive Faktoren. Figdor hat hierzu 18 Empfehlungen an Eltern ausgearbeitet, die in Zusammenhang mit der Sicherung der kindlichen Entwicklungsbe- dürfnisse trotz Trennung und Scheidung stehen. Wichtig ist demnach unter anderem, dass El- tern ihren Kindern verständlich und im besten Fall gemeinsam die Trennungsgründe erklären.

Kennen Kinder die Ursachen nicht, so erfinden sie womöglich welche und beziehen die Tren- nung auf sich und ihr eigenes Verhalten (vgl. ebd.: 57 f.). Auch wenn Kinder die Trennung an sich verstehen, können sie von anderen Gegebenheiten irritiert sein, z. B. vom Auszug eines Elternteils. Zweifel an der ihnen vom ausziehenden Elternteil entgegengebrachten Liebe sind möglich, da sie nicht verstehen, warum jemand auszieht, der:die gleichzeitig beteuert, wie sehr er:sie sie liebt (vgl. ebd.: 114). Eltern hingegen verspüren häufig den Wunsch, Kinder von den Fragen rund um die Trennung zu verschonen und sie nicht zu involvieren. Dies ent- springt sicherlich einer ehrenwerten Intention, jedoch öffnet es Raum für Spekulationen und Fantasien des Kindes, die schmerzhafter sein können als die Wahrheit und führt zu Verdrän- gungsprozessen, die weit größeren Schaden anrichten als eine kindgerechte Begleitung bei der Bearbeitung des Trennungsschmerzes, so Pokorny (vgl. Pokorny 2011: 87). Remo und Czer- nin geben in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Kinder die für Erwachsene verständli- chen Begriffe wie Trennung und Scheidung teilweise noch nicht mit Inhalt füllen können und daher für sie die Bedeutung nonverbal mitgeteilter Inhalte von höherer Bedeutung ist. Daher ist es wichtig für Eltern, klärende Gespräche mit ihren Kindern zu führen, wenn sie selbst in einer stabilen emotionalen Verfassung sind, da sich die eigenen Emotionen stark auf die Kin- der übertragen und diese verängstigen können, gerade wenn verbale und non-verbale Inhalte nicht kongruent sind. Zudem geben sich Kinder auf der Informationsebene oft mit sehr wenig zufrieden. Besser als von sich aus Details und Gründe zur Trennung zu nennen, ist es dem- nach, auf aufkommende Fragen und Sorgen kindgerecht zu antworten und auf der Gefühls- ebene Sicherheit und Bindungsstabilität zu vermitteln sowie zu thematisieren, wie sich das Leben des Kindes konkret verändern wird (vgl. Remo/Czernin 2012: 28 f.). Mehrere Rat- schläge Figdors beziehen sich auf die Kontakthaltung und die Beziehung zu beiden Elterntei- len: Die Verringerung kindlicher Loyalitätskonflikte und die Beruhigung der Angst vor (daue- rhaftem) Verlust eines Elternteils seien hier auszugsweise genannt (vgl. Figdor 2012: 59 f.).

Pokorny beschreibt verschiedene Forschungsbefunde, die fünf Faktoren herausfiltern konnten, die sich für eine funktionale Bewältigung der Trennung als vorteilhaft erweisen: Genügend Interaktion mit Vater und Mutter, gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung (Ko- operation und Konfliktarmut), Verzicht auf massive Lebensweltveränderung der Kinder, trag-

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feste außerfamiliäre soziale Beziehungen aller Beteiligten und ein demokratischer Erzie- hungsstil (vgl. Pokorny 2011: 86).

Zur Veranschaulichung der Schwierigkeiten einer für alle Beteiligten positiven Gestaltung des elterlichen Trennungsprozesses soll folgendes Zitat Figdors dienen:

„Um eine Scheidung gut verarbeiten zu können, würden Kinder Eltern benötigen, die nach der Tren nung so einfühlsam, geduldig, ausgeglichen, optimistisch und zuwendend sind, wie sie es im bisherigen Leben (die ersten Lebensmonate ausgenommen) nie sein mussten. Zur selben Zeit jedoch befinden sich auch die meisten Eltern in einer so schwierigen psychischen Situation, dass sie Kinder brauchen wür den, die so ruhig, anspruchslos, loyal, seelisch gefestigt, vernünftig und selbstständig sind, wie sie bisher noch nie sein mussten“ (Figdor 2012: 66).

3.2.2 Mögliche Auswirkungen der Trennung auf Kinder

Das folgende Kapitel beschreibt mögliche Auswirkungen einer elterlichen Trennung auf Kin- der, unterteilt nach kurz- und langfristigen Folgen und teilweise auch in Abhängigkeit des Al- ters des Kindes. Die Trennung der eigenen Eltern ist ein kritisches Lebensereignis im Auf- wachsen von Kindern. Die notwendige Anpassung daran stellt einerseits ein Entwicklungsrisi- ko dar, birgt aber auch die Möglichkeit einer weitgehenden Persönlichkeitsentwicklung und Reifung (vgl. Werneck/Werneck-Rohrer 2011: 13). Da Kinder im Falle einer elterlichen Tren- nung einen Kontrollverlust erleben, sind ihre Handlungen als Bewältigungsstrategien zu sehen und nicht von vornherein als psychische Störung, wie Pokorny anmerkt (vgl. Pokorny 2011:

82). Es zeugt von psychischer Gesundheit, wenn Kinder dabei teils heftige Reaktionen zeigen, auch wenn diese für die Eltern nicht immer leicht zu ertragen sind. Die Verhaltensweisen und Gefühlsausbrüche der Kinder sind Ausdruck der herausfordernden Lebenssituation, die sie zu durchlaufen haben und es ist ausschlaggebend für die positive Verarbeitung, dass ihnen dafür Raum und, wenn nötig, Hilfestellung bei der Emotionsexpression gegeben wird (vgl. Figdor 2012: 113 f.).

Kurzfristige Folgen

In einer Metastudie über Scheidungsfolgen von Kindern, die 92 Untersuchungen analysierte, arbeiteten Amato und Keith sechs Bereiche heraus, in denen nach einer Trennung vermehrt Probleme zu beobachten waren. Vier davon betrafen eher kurzfristige Folgen und lassen sich folgendermaßen unterteilen: Externalisierende und internalisierende Verhaltensauffälligkeiten, Schul- bzw. Leistungsprobleme und Auffälligkeiten im Sozialverhalten (vgl. Amato/Keith 1991 zitiert nach Werneck/Werneck-Rohrer 2011: 14). Unzner legt seinen Fokus vor allem auf die Bindungstheorie und merkt an, dass auch die Eltern-Kind-Beziehung bei Scheidungs-

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bzw. Trennungskindern schlechter ist, als bei Kindern mit verpartnerten Eltern (vgl. Unzner 2006: 276). Die Reaktionen der Kinder können je nach Alter und Entwicklungsstand sehr un- terschiedlich ausfallen. Besonders kleine Kinder schreiben sich demnach aufgrund ihres ego- zentrischen Weltbildes oftmals den Grund für die Trennung der Eltern selbst zu und leiden dann unter Schuldgefühlen oder sehen die Trennung als Bestrafung für eigenes Fehlverhalten an, so Pokorny. Die Symptome bis zum Schulalter reichen von Trennungsängsten und Weiner- lichkeit bis zu Entwicklungsrückschritten und psychosomatischen Beschwerden unterschiedli- cher Art (vgl. Pokorny 2011: 82 f.). Ab dem Grundschulalter kann es passieren, dass Kinder vermehrt unter Loyalitätsdruck stehen und versuchen, eine Wiedervereinigung der Eltern zu erreichen. Es kann dadurch eher zu internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauf- fälligkeiten wie depressiven Verstimmungen oder aggressivem Verhalten kommen. Auch sozi- aler Rückzug kann nach Pokorny möglich sein. Ältere Kinder, zwischen zehn und zwölf Jah- ren, sind in einer Entwicklungsphase, in der sie Situationen zunehmend nach moralischen Maßstäben bewerten. Deshalb kommt es vor, dass sich diese Kinder vermehrt auf eine Seite stellen und ein Elternteil verteidigen; teilweise kann es sogar zu Manipulationen und Abwer- tung eines Elternteils kommen. Hier kann die Verselbständigung bzw. das Erwachsenwerden beschleunigt werden und die Bedeutung von peer-groups wächst schneller an. Jugendliche hingegen sind meist auf der kognitiven Ebene schon weiter und können deshalb oft besser dif- ferenzieren. Jedoch sind sie entwicklungspsychologisch in einer sehr vulnerablen Phase, so dass auch sie häufig überraschend starke Reaktionen auf die Trennung entwickeln können.

Nach Pokorny greifen Jugendliche dann auf Verhaltensweisen zurück, die jugendtypischem Devianzverhalten gleiche: Weglauftendenzen, Jugendkultur als Familienersatz, Suchtverhal- ten und Essstörungen sind hier zu nennen (vgl. Pokorny 83 ff.). Außerdem kann es zu einer verfrühten und übermäßigen Unabhängigkeit kommen. Die trennungsbezogenen Probleme und Auffälligkeiten bei Kindern zeigen sich laut den Forschenden vor allem in den ersten zwei Jahren. Danach bessern sich die Symptome meist spürbar (vgl. Unzner 2006: 276). Es gibt jedoch auch langfristige Auswirkungen auf betroffene Kinder und Jugendliche, auf die im nachfolgenden Kapitel eingegangen wird.

Langfristige Folgen

Bezüglich der langfristigen Auswirkungen von Trennung und Scheidung der Eltern sind in der Literatur hauptsächlich zwei groß angelegte Longitudinalstudien zu finden, eine unter der Lei- tung von Judith S. Wallerstein und eine andere von E. Mavis Hetherington. Sie resümieren

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ihre langjährige Erfahrung sehr unterschiedlich. Beide attestieren der Trennung ein hohes

„zerstörerisches Potenzial“ (Hetherington 2003: 16) und negieren nicht die teils schwerwie- genden Folgen. Hetherington ist nichtsdestotrotz der Ansicht, dass Scheidung auch positiv auf Lebensverläufe einwirken kann, präventiv, aber auch durch die Eröffnung von bedeutenden Reifungschancen, insbesondere für Mädchen. Sie legt ihren Fokus darauf, dass trotz anfängli- cher Schwierigkeiten bei zwei Dritteln der Familien die Transition in das neue Familienkon- strukt gut funktioniere und bestärkt Menschen, diesen Schritt zu gehen (vgl. ebd.). Wallerstein hingegen sieht dies anders: Sie vertritt die Überzeugung, dass die schwerwiegenden Auswir- kungen elterlicher Trennung fälschlicherweise in der kurzfristigen Situation gesehen werden und betont die gravierenden langfristigen Folgen. Auch sie merkt an, dass Trennungskinder im Erwachsenenalter Wert auf ein gelungenes Familienleben legen und gestärkt aus den be- wältigten Herausforderungen hervorgehen können, hebt jedoch hervor, dass die Hauptfolgen elterlicher Trennung in Erscheinung treten, wenn es um die Suche nach einem:einer festen Le- benspartner:in geht. Es komme dann vermehrt zu unpassender Partnerwahl, Trennungen bei kleinen Problemen oder der generellen Vermeidung fester Paarbeziehungen (vgl. Wallerstein/

Lewis/Blakeslee 2003: 31 ff.). Junge Erwachsene aus Trennungsfamilien sind häufiger ängst- lich gebunden, da ihr Sicherheitsgefühl durch die Trennung erschüttert wurde, weswegen das Risiko, als Erwachsene:r selbst eine Ehescheidung zu erleben leicht erhöht ist (vgl. Unzner 2006: 276). Erwachsene Trennungskinder zeigen zudem vermehrt gewisse Persönlichkeits- merkmale, die gerade in Paarbeziehungen zu Schwierigkeiten führen können. Levnaic nennt diesbezüglich unter anderem die Angst vor Intimität bzw. vor Zurückweisung, Kontrollzwang, Konfliktvermeidung, Probleme bei der Setzung persönlicher Grenzen und überhöhte Anforde- rungen an eigene Beziehungen (vgl. Levnaic 2011: 92). Wie Largo/Czernin (Kapitel 3.2.) geht auch sie darauf ein, dass es weniger die Trennung an sich ist, die zu den genannten (und wei- teren) Folgen in der kindlichen Entwicklung führen, sondern vielmehr die damit in Zusam- menhang stehenden familiären Konflikte. Kinder aus unglücklichen, streitbehafteten Ehen, die nicht getrennt/geschieden werden, tragen dieselben oder schwerwiegendere Folgen davon (vgl. ebd.: 90). Als Erklärungsansatz für die Spätfolgen elterlicher Trennung führen Waller- stein und Lewis an, dass Trennungskinder zusätzlich zu den üblichen Entwicklungsaufgaben noch eine Reihe anderer Herausforderungen bewältigen müssen und ab einem gewissen Punkt überfordert sind, da ihre Ressourcen nicht mehr ausreichen (vgl. Wallerstein/Lewis/Blakeslee 2002: 68).

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Nachdem das vorliegende Kapitel allgemein mögliche kurz- und langfristige Folgen elterli- cher Trennung für Kinder vorstellte und auf Faktoren einging, die diese Folgen bedingen kön- nen, wird das anschließende Kapitel die Datenlage in Bezug auf das Wechselmodell vorstel- len.

3.3 Forschungsstand in Bezug auf das Kindeswohl im Wechselmodell Im Gegensatz zur Scheidungsfolgenforschung, die eine recht umfangreiche Datenbasis zur Verfügung hat, ist die Forschungslage zum Kindeswohl im Wechselmodell derzeit noch wenig aussagekräftig, wie beispielsweise Rücker anmerkt (vgl. u. a. Rücker 2019: 48). Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Dieses Kapitel erläutert zuerst die wenig aussagekräftige Forschungsla- ge in Deutschland (3.3.1), richtet den Blick dann anhand zweier Untersuchungen auf internati- onal vorliegende Daten (3.3.2) und endet mit Limitationen der Aussagekraft der bisher vorlie- genden Ergebnisse (3.3.3).

3.3.1 Forschungsstand in Deutschland

Für Deutschland existieren keine repräsentativen Befunde zum Kindeswohl in Umgangsfra- gen, insbesondere im Wechselmodell (vgl. Rücker 2019: 48). Die erste umfassende Studie

„Kindeswohl und Umgangsrecht“ der Projektgruppe PETRA (Partner für Erziehung, Thera- pie, Research & Analyse) wurde 2015 vom Bund in Auftrag gegeben, ist bisher jedoch nicht veröffentlicht (Stand 07.01.2021), auch wenn die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP eine Veröffentlichung3 Ende des Jahres 2020 in Aussicht gestellt hatte (vgl. Deutscher Bundestag 2020: 1 f.). Aufgrund der dürftigen Datenlage zum Wechselmodell in Deutschland werden internationale Forschungserkenntnisse einbezogen (vgl. Rücker 2019:

48), auch wenn die Vergleichbarkeit aufgrund ungleicher gesellschaftlicher, geschichtlicher und rechtlicher Ausgangsbedingungen nur bedingt gegeben ist (vgl. Deutscher Bundestag 2015: 27).

3.3.2 Internationaler Forschungsstand

Im Folgenden werden zwei Untersuchungen zusammengefasst, die sich mit dem Wechselm- odell beschäftigten. Zum einen ist hier eine Meta-Analyse von Nielsen zu nennen, zum ande- ren eine qualitative Studie von Sadowski und McIntosh, die sich mit dem Gefühl von Sicher-

3 Bei einer telefonischen Anfrage meinerseits beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend (BMFSFJ) am 09.12.2020 wurde mit dem Verweis auf die Covid-19-Pandemie mitgeteilt, dass sich die Ver- öffentlichung weiterhin auf unbestimmte Zeit verzögert.

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heit und Behagen im Wechselmodell befasste. Meta-Analysen untersuchen quantitativ die Er- gebnisse mehrerer Studien zur gleichen Fragestellung. Die Analyse von Nielsen ist die um- fangreichste Meta-Analyse zum Wechselmodell, die derzeit zu finden ist (vgl. Nielsen 2019:

3), während die Studie von Sadwoski und McIntosh einen qualitativen Forschungsansatz wählt. Durch die Auswahl dieser beiden Studien werden also sowohl qualitative als auch quantitative Ergebnisse betrachtet, zudem werden beide Studien in der Fachliteratur häufig zi- tiert, was für eine hohe Aussagekraft spricht.

Meta-Analyse zum Wechselmodell4 von Nielsen

Die Meta-Analyse von Nielsen umfasst 60 Studien zum Wechselmodell, deren Ergebnisse im Folgenden erläutert werden. Ziel der Analyse war es, Aufschluss über die Bereiche schulische bzw. kognitive Leistungsfähigkeit, emotionales bzw. psychisches Wohlbefinden, Verhaltens- auffälligkeiten (inklusive Substanzkonsum), körperliche Beschwerden und die Qualität der Eltern-Kind-Beziehungen zu erhalten. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse kurz dargestellt.

Insgesamt erzielten die Kinder im Wechselmodell bessere Ergebnisse als im Residenzmodell (vgl. Nielsen 2019: 39). Auch wenn teilweise einzelne Messkriterien im Wechselmodell schlechter waren, so zeigte doch keine Studie in der Mehrzahl der Kriterien schlechtere Er- gebnisse im Wechselmodell. Den geringsten Unterschied zwischen Residenz- und Wechselm- odell gab es im Bereich schulische bzw. kognitive Leistungen. Der größte Vorteil des Wech- selmodells war in der Qualität der Beziehungen zu den Familienmitgliedern und in der kör- perlichen und psychischen Verfassung zu verzeichnen (vgl. ebd.: 40). Sechs der 60 Studien zeigten, bei Vorliegen zusätzlicher Umstände, negativere Ergebnisse für Kinder im Wechselm- odell als im Residenzmodell. Als Beispiel ist eine Studie zu nennen, die US-amerikanische Teenager untersuchte, deren Eltern über ein hohes Konfliktniveau verfügten. In der Untersu- chung hatten die Teenager im Wechselmodell mehr Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Schwierigkeiten als die im Residenzmodell, wenn sie zusätzlich einem der Elternteile keine positive Erziehungskompetenz zusprachen. Empfanden die Teenager beide Elternteile als er- ziehungskompetent, erzielten wiederum die Kinder im Wechselmodell bessere Ergebnisse (vgl. ebd.: 40 f.). Bezüglich elterlicher Konflikte gibt Nielsen an, dass sich die Anzahl der Konflikte in der Trennungszeit und danach im Wechsel- und Residenzmodell nicht signifikant unterscheiden. Auch verfügen Eltern im Wechselmodell nicht über bessere Kommunikations-

4 Wechselmodell: In dieser Analyse wurde ein Betreuungszeitanteil von mindestens 35 % des weniger betreuenden Elternteils zugrunde gelegt (vgl. Nielsen 2019: 39).

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und Kooperationsfähigkeiten. Jedoch zeigten Kinder im Wechselmodell auch bei hoher Kon- fliktbelastung bessere Ergebnisse als im Residenzmodell. Dies gilt auch dann, wenn Eltern dem Wechselmodell anfänglich kritisch gegenüberstanden, was in 30 % - 80 % der Familien der Fall war (vgl. ebd.: 42). Die Analyse ist gemäß Nielsen dadurch limitiert, dass sie Korrela- tionen aufzeigt und dadurch nicht belegen kann, dass das Wechselmodell für die besseren Er- gebnisse ursächlich ist. Andererseits wurden andere mögliche Ursachen ausgeschlossen, was die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht. Auch Qualitätsunterschiede der Untersuchungen wer- den zumindest teilweise dadurch ausgeglichen, dass die Ergebnisse recht einheitlich sind. Die Daten wurden vor allem von Müttern erhoben, was dafür sprechen könnte, dass der positive Effekt sogar noch stärker ist als dies die Analyse nahelegt, da Mütter dem Wechselmodell ten- denziell kritischer gegenüberstehen als Männer, so Nielsen (vgl. ebd.: 42 f.). Sie betont, dass die Analyse weder die negativen Auswirkungen elterlicher Konflikte auf Kinder negiere, noch andere Einflussfaktoren auf das kindliche Wohlergehen schmälern will. Zusammenfassend lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass Kinder auch bei hochstrittigen Eltern einen Nut- zen aus dem Wechselmodell ziehen können, wenn keine besonderen Umstände wie Gewalt- handlungen oder Missbrauch vorliegen und dass Konfliktfreiheit, Kooperation und anfängli- che Zustimmung der Eltern zum Wechselmodell nicht entscheidend für die vorteilhaften Aus- wirkungen des Wechselmodells sind (vgl. ebd.: 44). Vielmehr ist „die geteilte Betreuung […]

im Interesse der Kinder, wenn keine Situationen wie Drogenmissbrauch oder Gewalt vorlie- gen, die eine Gefahr für die Kinder darstellen, auch wenn ihre Eltern noch zusammen sind“

(Nielsen 2019: 44, Anpassung R. B.).

Qualitative Studie von Sadwoski und McIntosh zum Wechselmodell5

Die Studie von Sadwoski und McIntosh verfolgte einen beschreibenden und phänomenologi- schen Forschungsansatz (vgl. Sadowski/McIntosh 2016: 71). Von 16 narrativen Interviews der Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren wurden acht detailliert analysiert (vgl. ebd.:

72). Bei der Auswahl der Probanden wurde darauf Wert gelegt, dass unterschiedliche Ein- flussfaktoren auf das Wechselmodell einbezogen wurden (insbesondere wurden Familien aus- gewählt, deren Konfliktniveau unterschiedlich hoch war und die das Wechselmodell aufgrund eigener Entscheidung, gerichtlicher Anordnung oder Mediation durchführten). Die Fragestel- lung beinhaltete insbesondere, ob und unter welchen Umständen sich Kinder im Wechselm- odell sicher und behaglich fühlten – angelehnt an die Bindungstheorie von Bowlby (vgl. ebd.:

5 Wechselmodell: Auch in dieser Studie wurde ein Betreuungszeitanteil von mindestens 35 % des weniger betreuenden Elternteils zugrunde gelegt (vgl. Sadowski/McIntosh 2016: 83).

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71). Die Forscherinnen kamen zu dem Schluss, dass der Hauptfaktor für ein Gefühl der Unsi- cherheit der Kinder das Vermissen des abwesenden Elternteils war. Dieses Gefühl wurde durch paritätische Betreuung nicht verringert, da jeder Elternteil andere Funktionen des Trosts erfüllt und daher die Eltern nicht in dem Sinne austauschbar sind, dass der Elternteil zwingend die Aufgabe des Trostspendens übernehmen kann, der gerade anwesend ist. Im Gegenteil, das Kind vermisst den abwesenden Elternteil, auch wenn es ihn:sie häufig sieht. Im ungünstigsten Fall kann das Wechselmodell dazu führen, dass Kinder beide Eltern als abwesend empfinden und so ständig das Gefühl des Vermissens verspüren, so die Autorinnen (vgl. ebd.: 82). Auf- grund dessen wurden einige Aspekte herausgefiltert, die Kindern dabei helfen, sich im Wech- selmodell trotz elterlicher Trennung sicher und geborgen zu fühlen: Eltern sollten den Bedürf- nissen ihrer Kinder Priorität einräumen und ihnen ermöglichen, Kontakt zum abwesenden El- ternteil aufzunehmen, wann immer sie es wollen oder brauchen, ohne dabei dem Kind das Ge- fühl zu geben, den anwesenden Elternteil zu verletzen. Zudem ist wichtig, das Gefühl einer trotz Paartrennung weiter bestehenden Familie zu generieren, in dem vor dem Kind auch freundschaftliche Gespräche zwischen den Eltern geführt werden, wichtige Ereignisse im Le- ben des Kindes gemeinsam besucht und gefeiert werden (z. B. Schulfeste, Familienfeiern) und gemeinsame Zeit mit beiden Eltern verbracht werden kann (vgl. ebd.: 83), wie folgendes Zitat eines der befragten Kinder veranschaulicht: „Mum and Dad were both really proud and then they talked to each other and stuff about how proud they were and stuff and that made me feel really good. Well great, and it made me feel like I‘m special6“ (Sadowski/McIntosh 2016: 76).

Ein Hauptbefund der Studie war laut den Autorinnen, dass das Wechselmodell nicht per se ein Gefühl sicherer Bindung bei Kindern nach sich zieht, sondern dafür andere Faktoren von Be- deutung sind (vgl. ebd.: 83).

3.3.3 Limitationen der bestehenden Forschung

Bei der Beurteilung von internationalen Studien zum Thema Wechselmodell existieren einige Hürden. Zum einen werden laut Rücker bei Diskussionen häufig Ergebnisse herangezogen, deren Gewinnung nicht den wissenschaftlichen Gütekriterien entsprechen (vgl. Rücker 2019:

48). Des Weiteren werden sowohl in der amerikanischen Diskussion als auch in der deutschen Rezeption von Befunden aus den USA häufig „joint legal custody“ (gemeinsame rechtliche Sorge, entspricht in Deutschland dem gemeinsamen Sorgerecht) und „joint physical custody“

6 „Mama und Papa waren sehr stolz auf mich und dann sprachen sie gemeinsam darüber, wie stolz sie auf mich waren und so und das hat mir sehr gut getan. Also gut, es hat sich angefühlt, als wäre ich etwas ganz Besonderes“ ( Sadowski/McIntosh 2016: 76; Übersetzung R. B.)

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(gemeinsame tatsächliche Versorgung, entspricht in Deutschland dem Wechselmodell) ver- mischt und die Unterschiede nicht klar formuliert (vgl. Kostka 2004: 261). Ein bedeutendes Problem bei der Beurteilung der Aussagekraft der Studienergebnisse stellt die Abgrenzung zwischen Selektion und Verursachung dar. Wenn also positive Ergebnisse hinsichtlich des Wohlbefindens und der Entwicklung von Kindern im Wechselmodell gefunden werden, so stellt sich die Frage, ob das Leben im Wechselmodell den Grund für die besseren Ergebnisse darstellt oder ob jene Familien vermehrt ein Wechselmodell wählten, die von vornherein bes- sere Ausgangsbedingungen hatten und deren Kinder auch in anderen Modellen bessere Ergeb- nisse erzielen würden als andere Trennungskinder (vgl. Kindler/Walper 2016: 822). Es ist ethisch nicht zu vertreten, in diesem Bereich Experimente zu führen, weswegen die Differen- zierung zwischen Selektion und Verursachung nur langsam voranschreiten kann. Die relativ einfach abzugrenzende erhöhte Verfügbarkeit der Ressourcen Bildungsstand und Finanzen führte demnach eher zur Wahl des Wechselmodells, was bedeutet, dass in diesen Aspekten ressourcenstarke Familien eher das Wechselmodell wählten. Bei anderen Faktoren ist diese Unterscheidung schwieriger zu treffen, so Kindler und Walper (vgl. ebd.: 822 f.). Cyr argu- mentiert in eine ähnliche Richtung, sie kritisiert die Studie der Kinder- und Jugendpsychiate- rin Berger, die negative Auswirkungen des Wechselmodells schlussfolgert, da sie allein auf das Betreuungsmodell abzielt und Faktoren wie Hochstrittigkeit oder psychische Erkrankun- gen der Eltern außer Acht lässt. Sie betont, dass es sich auch bei Kindern, die im Wechselm- odell aufwachsen, um Trennungskinder handelt und diese daher unabhängig vom Betreuungs- modell die typischen Auffälligkeiten zeigen können (vgl. Cyr 2008: 237). Laut Kindler und Walper seien die international besseren Ergebnisse für Trennungskinder im Wechselmodell im Mittel so gering, dass fraglich ist, ob dieser Vorteil bei leicht anderen Ausgangsbedingungen in Deutschland bestehen bleiben würde. Es existieren weitaus bedeutendere Einflussfaktoren auf die positive Entwicklung von Kindern, so die Autor:innen (vgl. Kindler/Walper: 823).

Weitere Probleme bei der Gewinnung von neuen Erkenntnissen, gerade in Bezug auf jüngere Kinder, sieht Poussin darin, dass es wenig Kinder unter sechs Jahren gibt, die im Wechselm- odell leben (vgl. Poussin 2008: 231), während Kostka hinzufügt, dass die Samples häufig recht klein sind und Vergleichsgruppen fehlen (vgl. Kostka 2014: 148). Rücker merkt an, dass einige Eltern das von ihnen praktizierte Betreuungsmodell falsch einschätzen, da sie fälschli- cherweise davon ausgehen, das Wechsel- oder Residenzmodell durchzuführen, obwohl ihr Be- treuungssystem die Defintionsmerkmale des jeweils anderen Modells erfüllt (vgl. Rücker 2019: 49). Hinzu kommt, dass Uneinigkeit darüber besteht, ab welchen Zeitanteilen - unab-

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hängig von den anderen Definitionsmerkmalen - von einem Wechselmodell gesprochen wird, die Maßstäbe reichen diesbezüglich von einer Aufteilung von 30:70 bis hin zu 50:50, was die Vergleichbarkeit der Daten wiederum einschränkt (vgl. Kindler/Walper 2016: 821). Auch Un- terschieden zwischen in elterlichem Konsens gewähltem und gerichtlich angeordnetem Wech- selmodell (insbesondere bei Hochkonflikthaftigkeit) wird meist nicht Rechnung getragen (vgl.

Kostka 2014: 148).

Verschiedene Autor:innen kritisieren die emotionale Führung des Diskurses über die Betreu- ungsmodelle. So ziehen Gegner:innen und Befürworter:innen jeweils zu ihrer Ansicht passen- de Forschungsbefunde als Argumentationsbasis heran und üben die, wie dargestellt wurde, durchaus berechtigte Kritik an der Methodik und Aussagekraft der vorliegenden Forschung vor allem an den Studien, die zu entgegengesetzten Ergebnissen kommen (vgl. u.a. Rücker 2019: 51; Cyr 2008: 235; Deutscher Bundestag 2015: 27). So formuliert beispielsweise Kost- ka ihre Kritik an den Forderungen nach Gesetzesreformen, die das Wechselmodell begünsti- gen folgendermaßen: „Kinder und ihre Familien [müssen] gerade in der ohnehin schwierigen Situation der Trennung immer wieder als ‚Versuchskaninchen‘ für das allerneueste ‚Allheil- mittel‘ auf dem Markt herhalten“ (Kostka 2014: 157; Anpassung R. B.).

3.4 Fazit des Forschungsstandes

Jedes Jahr sind in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 120.000 Kinder von der Schei- dung ihrer Eltern betroffen (vgl. Statistisches Bundesamt 2020a: 37). Da es keine Daten dazu gibt, wie viele verheiratete Eltern sich trotz Trennung nicht scheiden lassen und wie viele nicht-verheiratete Eltern sich trennen, dürfte die tatsächliche Zahl von elterlicher Trennung betroffener Kinder deutlich höher liegen. Ein Drittel der Eltern benötigt bei der Regelung des Umgangs- und des Sorgerechts Unterstützung durch ein Familiengericht. Bei zwei Dritteln dieser Eltern ist dies die einzige Hilfestellung, die sie durch das Gericht brauchen, da sie über ausreichend Kooperationsfähigkeit verfügen, um danach wieder gemeinsam und ohne fremde Hilfe die Angelegenheiten ihrer Kinder zu besprechen. Einzig 7 -10 % der Eltern sind hoch- strittig und können ihre Konflikte auf Dauer nicht allein lösen (vgl. Dreissigacker 2016: 6f.) (siehe Kapitel 3.1.1). Befragungen zu den Idealvorstellungen der Nachtrennungsbetreuungs- form und zu den Erfahrungen von Eltern, die das Wechselmodell oder ein ähnliches Modell praktizieren, zeigen in Kapitel 3.1.2, dass sich viele Eltern eine gleichberechtigtere Eltern- schaft wünschen (vgl. Haumann 2019: 22f.). Aufgrund der zahlenmäßigen Relevanz des The- mas Trennung und Scheidung mit Kindern und des Wertewandels in der Elternschaft ist eine

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Diskussion über das Wechselmodell als Betreuungsform nach einer Trennung für die Soziale Arbeit und andere beteiligte Akteur:innen von aktueller Bedeutung.

Die Scheidungsfolgenforschung verfügt über aussagekräftige Erkenntnisse zu Auswirkungen und Schutz- und Risikofaktoren bei Trennung und Scheidung. Daraus lassen sich Kriterien ableiten, die bei der Durchführung des Wechselmodells vorhanden sein sollten, um die er- wähnten Risiken für Kinder zu minimieren. Zudem können die Reaktionen der betroffenen Kinder im Vergleich zu anderen Betreuungsmodellen nach der elterlichen Trennung beobach- tet werden. Wichtige Einflussfaktoren (siehe Kapitel 3.2.1) auf die funktionale Bewältigung der elterlichen Trennung sind die Beziehungsqualität zwischen den Eltern, die Eltern-Kind- Beziehung und der Trennungsverlauf, wobei hier insbesondere Konfliktfreiheit und Koopera- tionsfähigkeit der Eltern einen hohen Stellenwert einnehmen (vgl. Werneck/Werneck-Rohrer 2011: 13). Eltern sollten versuchen, ihren Kindern die Trennung kindgerecht zu erklären und dabei besonders auf der Gefühlsebene Sicherheit und Stabilität zu vermitteln (vgl. Remo/

Czernin 2012: 28f.). Nichtsdestotrotz stellt die Trennung sowohl an Eltern, als auch an Kinder hohe Anforderungen und geht mit Belastungen einher (vgl. Figdor 2012: 66), weswegen auch negative Auswirkungen auftreten können. Diese sind sowohl kurz- als auch langfristig ange- legt, wobei die meisten Familien sich nach zwei Jahren an die neue Lebenssituation anpassen konnten (vgl. Unzner 2006: 276), wie in Kapitel 3.2.2 erläutert wurde. Besonders zu betonen ist, dass die Reaktionen der Kinder auf die Trennung zunächst als Bewältigungsstrategien zu betrachten sind und nicht vorschnell pathologisiert werden sollten (vgl. Pokorny 2011: 82).

Der Blick in internationale Studien in Kapitel 3.3 zeigt, dass das Kindeswohl im Allgemeinen durch das Wechselmodell gesichert werden kann, in den meisten Fällen sogar besser als durch das Residenzmodell (vgl. Nielsen 2019: 44). Nielsen geht obendrein davon aus, dass selbst bei hoher Konflikthaftigkeit der Eltern das Wechselmodell im Interesse der Kinder ist. Sie schränkt dies nur in Fällen von Gewalt bzw. Missbrauch ein, oder wenn ein hohes Konfliktni- veau und mindestens ein (nach Ansicht der Kinder) erziehungsinkompetenter Elternteil vor- handen sind (vgl. ebd.: 40f.). Gemäß Sadowski und McIntosh geht das Wechselmodell mit Belastungen für die Kinder einher, weswegen für das Sicherheitsgefühl der Kinder insbeson- dere eine hohe Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern nötig ist. Außerdem ist es förderlich, wenn diese es schaffen, gemeinsam ihre Elternverantwortung wahrzunehmen und den Bedürfnissen ihrer Kinder Priorität einzuräumen (vgl. Sadowski/McIntosh 2016:

82f.).

(30)

Bezüglich des Wechselmodells existieren widersprüchliche Befunde, weswegen die Diskussi- on über dieses Thema sehr emotional geführt wird, wie in Kapitel 3.3.3 gezeigt wurde (vgl.

Rücker 2019: 51). Deshalb ist dringend weitere Forschung nötig, insbesondere in Deutsch- land, wo bisher keine repräsentativen Daten zur Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells vorliegen (vgl. ebd.: 48).

4 Internationale Regelungen und Erfahrungen

Den deutschen Diskurs über die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung des Wechselm- odells auch gegen den Willen eines Elternteils sieht Scheiwe eingebettet in internationale Re- formbestrebungen der letzten Jahrzehnte. Nachdem in den 1980er Jahren internationale Bewe- gungen dazu führten, dass es nach einer elterlichen Trennung eher zur gemeinsamen Sorge als zur Alleinsorge eines Elternteils kam, gab es in den 1990er Jahren eine Diskussion über die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung eines Wechselmodells (in beidseitigem Einverneh- men der Eltern war dies vorher schon möglich). Die gesetzlichen Regelungen, die am Ende der Debatte getroffen wurden, sind durchaus divergent: In manchen Fällen ist für die Durch- führung des Wechselmodells weiterhin die Zustimmung beider Elternteile erforderlich, in an- deren Ländern besteht die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung auch bei Ablehnung ei- nes Elternteils (vgl. Scheiwe 2018: 2).

Die Tatsache, dass die Diskussion um die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells, unter Umständen auch gegen den Willen eines oder beider Elternteile, in Deutschland sehr viel spä- ter geführt wird als in anderen Ländern, kann man nutzen, um die Erfahrungen der Länder zu betrachten, deren Gesetzgebung dies vorsieht. Ausgewählt wurden Schweden und Belgien, da diese in der Argumentation häufig als Musterbeispiel für eine gelungene und nachzuahmende Kindschaftsrechtsreform herangezogen werden (vgl. ebd.: 3). Gerade in Bezug auf Belgien wird in der Diskussion häufig dargestellt, dass dort nicht nur die Möglichkeit besteht, das Wechselmodell gerichtlich anzuordnen, sondern dies der Regelfall ist. Außerdem bestehen zwischen diesen beiden Ländern und Deutschland als Mitgliedsstaaten der EU und aufgrund der europäischen Zusammenarbeit kulturell und rechtlich engere Verbindungen als beispiels- weise zu Australien und den USA. Zudem ist bezüglich der Erfahrungen in Schweden und Belgien zugängliche Literatur vorhanden und die betreffenden Gesetzesänderungen liegen mehrere Jahre zurück (Belgien: 15 Jahre; Schweden: 23 Jahre), sodass aussagekräftige Befun- de zu Wirkungen und Problemen vorliegen (vgl. ebd. 2018: 3).

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