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Archiv "Die ambulante Thromboseprophylaxe" (17.07.1995)

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IZIN ZUR FORTBILDUNG

Peter Kujath

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ie Pathophysiologie der tiefen Beinvenenthrombose mit der konsekutiven Lungenembolie und dem postthrombotischen Syndrom ist seit über 100 Jahren me- dizinisches Allgemeingut. Rudolf Virchow (1821 bis 1902) verwies in mehreren Arbeiten auf drei Faktoren der Thromboseentstehung:

1. die venöse Stase im Nieder- drucksystem,

2. die Endothelschädigung und 3. die erhöhte Gerinnbarkeit des Blutes.

Diese drei wesentlichen pathoge- netischen Faktoren sind heute noch als Virchowsche Trias anerkannt. Die Entstehung einer tiefen Beinvenen- thrombose kann durch Risikofakto- ren begünstigt werden (22). Bergquist hat in einer Übersichtsarbeit diese Ri- sikofaktoren durch insgesamt 1 200 Literaturstellen belegt (4). Der ope- rative Eingriff und das Trauma stellen das entscheidende Risiko dar, dem sich die weiteren Risikofaktoren zu- ordnen. Das Auftreten mehrerer Ri- sikofaktoren hat eine potenzierende Wirkung.

Die ersten klinischen Anwen- dungen von Heparin zur Thrombose- prophylaxe wurden 1935 durch Cra- foord in Schweden und Lenggenhager in Bern vorgenommen (12, 29). Der eigentliche Durchbruch zur heutigen Form der Thromboseprophylaxe er- folgte durch die von Kakkar organi- sierte Multizenterstudie (20). An 625 Patienten konnte nachgewiesen wer- den, daß sich die Zahl der tiefen Bein- venenthrombosen bei Gabe von drei- mal 5 000 IE Heparin s. c. gegenüber der Kontrollgruppe mit Plazebo (n = 667) von 24,6 Prozent auf 7,7 Prozent verringerte. Bei 2 045 Patienten zeigte sich gegenüber der Kontrollgruppe (n

= 2 076) eine Reduktion der tödlichen Lungenembolien von 16 auf 2 Patien- ten. In einer Metaanalyse, in die 76 Studien mit 12 792 Patienten eingin- gen, konnte Collins für die Heparin- Gruppe eine Reduktion der tödlichen

Lungenembolien von 55 (0,9 Prozent) auf 19 (0,3 Prozent) errechnen (11).

Im stationären Bereich wird in Deutschland bei allen operativen Ein- griffen, die über 30 Minuten andau- ern, eine generelle Thrombosepro- phylaxe durchgeführt. Dabei hat sich die Gabe von Heparin in der Kombi- nation mit physikalischen Maßnah- men (Frühmobilisierung, Kompressi- onsstrümpfe) durchgesetzt (14, 23).

Durch die Weiterentwicklung der Standardheparine zum niedermo- lekularen Heparin wurden für die Thromboseprophylaxe neue Impulse gesetzt (16, 19, 28). Die niedermole- kularen Heparine (NMH) müssen aufgrund der längeren Halbwertzeit und einer besseren Bioverfügbarkeit nur einmal täglich appliziert werden.

Ferner scheinen die niedermolekula- ren Heparine weniger Nebenwirkun- gen (heparinassoziierte Thrombozy- topenien Typ I und II, Allergien) zu haben als die Standardheparine (5, 6).

Kakkar und Collins haben in ihrer Originalarbeit auf eine geringgradig

Chirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Hans-Peter Bruch) der Medizinischen Univer- sität zu Lübeck

höhere Blutungsinzidenz bei der Thromboseprophylaxe hingewiesen (20); zwischen Standard- und nieder- molekularem Heparin besteht hierin kein Unterschied (11, 20).

In der Bundesrepublik Deutsch- land sterben im Jahr etwa 40 000 Pati- enten an einer Lungenembolie. Inter- national zeigten fundierte Studien ei- ne hohe Anzahl postmortaler Lun- genembolien im Vergleich zur klini- schen Verdachtsdiagnose (21, 30).

Ebenso ist die tiefe Beinvenen- thrombose mit dem postthromboti- schen Syndrom von hoher • gesund- heitspolitischer Bedeutung. In westli- chen Ländern muß inzwischen mit ei- ner Prävalenz des Ulcus cruris von 0,6 bis 1,4 auf 1 000 Einwohner gerechnet werden (3, 7).

Das postthrombotische Syndrom ist von der Ursache her eine unheilba- re Erkrankung, bei der nur durch langwierige Therapiemaßnahmen symptomatische Verbesserungen er- zielt werden können (34). Für den einzelnen Patienten werden die jährli- chen Kosten auf etwa 100 000 DM ge- schätzt (31). Insgesamt belaufen sich die jährlichen Kosten der Therapie- maßnahmen für die alten Bundeslän-

Die ambulante

Thromboseprophylaxe

Die Thromboseprophylaxe ist fester Bestandteil perioperativer Maßnahmen im stationären Bereich. Derzeit wird für den ambulanten Bereich der Nutzen und die Indikationsstellung diskutiert. Nach Verletzungen der unteren Extremitäten und immobilisierenden Verbänden muß mit dem Auftreten einer tiefen Beinvenen- thrombose gerechnet werden. Deshalb sollte bei allen Frakturen und schweren Weichteilverletzungen der unteren Extremitäten, die durch einen Gips immobili- siert werden, eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden. Weitere Indika- tionen für den ambulanten Bereich sind operative Eingriffe, bei denen auch im stationären Bereich eine Thromboseprophylaxe durchgeführt wird. Bei entspre- chender Risikokonstellation sollte auch nach größeren Eingriffen poststationär ei- ne Thromboseprophylaxe in Erwägung gezogen werden. In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, daß durch Einmalgabe von niedermolekularem Heparin das Risiko der Thrombose auch im ambulanten Bereich gemindert wird.

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995 (43) A-2003

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01FlegioN •. CA 91340.3790 U.U.- VS; 897.1111

• ,

MEDIZIN

der auf über 1,2 Milliarden DM. Auf- grund langjähriger Erfahrungen wird jetzt auch zunehmend bei bestehen-

dem Thromboserisiko eine Throm- boseprophylaxe für poststationäre und ambulante Patienten gefordert (1, 15, 25). Dafür sprechen drei we- sentliche Gründe:

1. Die Weiterentwicklung der Medizin bedingt, daß Leistungen, die stationär erbracht werden, zuneh- mend auf den ambulanten Bereich verlagert werden. Dabei fordert das neue Gesundheitsstrukturgesetz die Verteilung von ärztlichen Leistungen zwischen dem niedergelassenen Be- reich und dem Krankenhaus. Dies hat zur Folge, daß sich der niedergelasse- ne und ambulant operierende Arzt vermehrt mit den Prinzipien ausein- andersetzen muß, die bisher dem sta- tionären Bereich vorbehalten waren.

Dies gilt auch für die Thrombosepro- phylaxe.

2. Die jüngsten medizinischen Erkenntnisse durch kontrollierte Stu- dien (24, 27, 32, 35) belegen die Vor- teile der ambulanten Thrombosepro- phylaxe.

3. Neben den medizinischen sind auch juristische Aspekte für die am- bulante Thromboembolieprophylaxe nicht ohne Bedeutung. Carstensen publizierte kürzlich 109 juristisch an- erkannte Behandlungsfehler bei der tiefen Beinvenenthrombose.

Dabei entfielen 42 auf den stationären und 76 auf den ambulan- ten Bereich (8). Ferner wies Ulsen- heimer auf die rechtlichen Konse- quenzen einer unterlassenen Throm- boseprophylaxe im ambulanten Be- reich hin (33).

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie gab 1990 Empfehlun- gen zur Thromboseprophylaxe bei ambulanten Patienten heraus (32).

Beim Einsatz der ambulanten Throm- boseprophylaxe ergeben sich vielfälti- ge Unsicherheiten und Fragen, so daß der vorliegende Artikel versucht, ei- nen Status präsens der Thrombose- prophylaxe nach den bisherigen Er- kenntnissen aufzuzeigen. Zunächst bedarf es einer Indikation. Grund- sätzlich kann man drei Bereiche un- terscheiden: 1. prästationär, 2. post- stationär und 3. die nur auf den ambu- lanten Bereich beschränkte Throm- boseprophylaxe.

ZUR FORTBILDUNG

Prästationäre posttraumatische Thromboembolie- prophylaxe

Die prästationäre posttraumati- sche Thromboembolieprophylaxe be- zieht sich auf Patienten mit Frakturen oder Verletzungen der unteren Extre- mität, die erst nach Abschwellung der Gliedmaßen im stationären Bereich operativ versorgt werden. Bei all die-

Abbildung 1: 54 Jahre alter Waldarbeiter. Am zwölf- ten Tag nach ambulanter Versorgung einer Kettensä- genverletzung mit Anlage einer kniegelenksüber- schreitenden Gipsschiene; keine Thromboseprophyla- xe. Vollbild einer Massenvenenthrombose (Phleg- masia caerulea dolens)

Abbildung 2: Operativ entferntes altes thromboti- sches Material vom gleichen Patienten aus der Vena femoralis. Glatter postoperativer Verlauf

sen Patienten sollte möglichst früh nach dem Trauma eine generelle Thromboseprophylaxe vorgenom- men werden. Die hohe Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen bei Frakturen der unteren Extremität ist seit vielen Jahren bekannt. Hjelmstedt und Bergvall ermittelten 1968 phlebogra- phisch bei 55 Patienten mit konserva- tiv behandelter Tibiaschaftfraktur ei- ne Thromboseinzidenz von 44 Pro- zent ohne Thromboseprophylaxe (17). Bei 76 Patienten mit Verletzun- gen der unteren Extremität, die prä-

operativ immobilisiert waren, fanden Breyer et al. 1984 mit dem Radiofibri- nogentest eine Thromboserate von 54 Prozent (6). Auch Weichteilverlet- zungen der unteren Extremität, die später operiert werden, sollten bis zur Operation ebenfalls eine Thrombose- prophylaxe erhalten.

Poststationäre Thrombo- embolieprophylaxe

Bei operierten Patienten, die mit einem immobilisierenden Verband aus dem Krankenhaus entlassen wer- den, besteht eine Indikation zur Thromboseprophylaxe. Zagrodnik und Kaufner ermittelten retrospektiv bei 200 Patienten nach osteosyntheti- scher Versorgung und Immobilisation neun (4,5 Prozent) klinisch manifeste Thrombosen. Alle diese Patienten waren mit einem Gehgips nach Frak- turen des oberen Sprunggelenks ver- sorgt worden (35). Ebenso sollten Pa- tienten nach Hüftgelenks- und Knie- gelenksoperationen, die im Stadium der Immobilität aus dem Kranken- haus entlassen werden, weiterhin pro- phylaktisch behandelt werden; kön- nen diese Patienten jedoch beide Ex- tremitäten voll belasten, so besteht die Indikation nur bei Risikofakto- ren. Bei Patienten, die nach einem all- gemeinchirurgischen Eingriff aus dem Krankenhaus entlassen werden, besteht ebenfalls ein bislang unter- schätztes Risiko für eine thromboem- bolische Erkrankung. Huber und Bounemeaux konnten in einer retro- spektiven Analyse des Genfer Kran- kenguts von über 20 000 abdominal- chirurgischen Operationen nachwei- sen, daß von 103 Lungenembolien 23 erst nach der stationären Entlassung aufgetreten waren (18). Interessan- terweise ereigneten sich diese Lungenembolien bei Patienten, die nur mit einem niedrigen Risiko behaf- tet waren. In einer Übersichtsarbeit konnte Arcelus zeigen, daß 20 bis 55 Prozent der Lungenembolien erst zwei Wochen nach dem operativen Eingriff auftreten (1). Bislang liegen prospektive Studien über das Throm- boembolierisiko nach stationärer Entlassung operierter Patienten nicht vor. Man sollte jedoch überlegen, ob man Patienten nach Hüft- und Knie- A-2004 (44) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995

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MEDIZIN

gelenksoperationen oder mit Fraktu- ren des Beckens, bei denen eine Mo- bilisierung noch nicht vollständig ge- währleistet ist, vorübergehend einen Thromboseschutz zukommen läßt.

Ambulante

Thromboseprophylaxe

Bei ambulanten Operationen, die üblicherweise stationär durchge- führt werden, sollte in jedem Fall eine Thromboseprophylaxe erfolgen. Sie muß präoperativ angesetzt werden und kann nach vollständiger Mobili- sierung, zum Beispiel nach Leisten- hernienoperationen oder Crossekto- mien, nach drei Tagen abgesetzt wer- den.

Auch bei ambulanten Patienten, die nach einem Trauma der unteren Extremität einen Liegegips erhalten, sollte eine generelle Thrombosepro- phylaxe vorgenommen werden (14, 25, 27); In eine prospektiv randomi- sierte Studie wurden 253 ambulante Patienten eingeschlossen. Alle Pati- enten hatten Verletzungen der unte- ren Extremität und wurden mit einem sogenannten Liegegips immobilisiert.

126 Patienten der Gruppe I erhielten ein NMH s. c. einmal täglich und 127 Patienten der Gruppe II erhielten kei- ne Thromboseprophylaxe. Ohne Pro- phylaxe traten 21 (16,5 Prozent) Thrombosen auf, und mit Prophylaxe konnten insgesamt nur sechs (4,8 Pro- zent) Thrombosen nachgewiesen wer- den. Das Durchschnittsalter dieser Patienten lag bei 34,7 Jahren (27). In einer ähnlich konzipierten Studie fand Kock bei 126 Patienten ohne Prophylaxe eine Thromboserate von 3,9 Prozent. Hingegen konnten mit Prophylaxe keine Thrombosen nach- gewiesen werden. Bei Behandlung mit einem Oberschenkeltutor betrug die Thromboserate ohne Prophylaxe sogar 9,5 Prozent (24).

Nach Analyse der beiden Studien kann man folgende Empfehlungen geben: Bei allen Patienten mit Frak- turen der unteren Extremität, die im- mobilisiert werden, sollte eine

Thromboseprophylaxe vorgenom- men werden. Dies gilt auch für Ze- henfrakturen und Frakturen der Me- tatarsalia. Bei leichteren Weichteil- traumen, bei denen die Patienten die

ZUR FORTBILDUNG

Fußsohle belasten können und die le- diglich mit einem Gehgips oder einer Orthese versorgt werden, sollte die Thromboseprophylaxe von weiteren bestehenden Risikofaktoren abhän- gig gemacht werden.

Alle Publikationen, die sich auf immobilisierende Verfahren bezie- hen, kommen zu dem Schluß, daß die Indikation zur Anlage eines immobi- lisierenden Verbandes strenger ge- stellt werden muß. Jeder weiterbe- treuende Arzt muß seinen Patienten auf die Funktion der Muskelvenen- pumpe und das wichtige Auspressen des venösen Plexus bei der Belastung aufmerksam machen. Bei Traumen und irrmobilisierenden Verbänden an der oberen Extremität wird eine Thromboseprophylaxe bislang nicht empfohlen. Nähergehende Untersu- chungen liegen nicht vor.

Durchführung der Prophylaxe

Aufgrund der möglichen Einmal- gabe sollte man für die ambulante Thromboseprophylaxe den nieder- molekularen Heparinen den Vorzug geben. Bei länger andauernder Pro- phylaxe ist ab dem 20. Tag (zwei Zeh- ner-Packungen) aus Kostengründen eine Umstellung auf Antikoagulanti- en zu erwägen. Diese Umstellung wird außer durch medizinische Grün- de auch durch Aspekte der Praktika- bilität (Länge der Behandlung, Com- pliance) beeinflußt. Für den ambulan- ten Bereich wurden bislang nur zwei NMH-Präparate (24, 27) eingehend geprüft. Vergleichende Untersuchun- gen liegen bis heute nur aus Frank- reich vor, bei denen ein NMH gegen die Dreimal-Gabe eines Standard- Heparins geprüft wurde (9, 2). Dabei zeigte sich kein errechenbarer Unter- schied zwischen NMH und Standard- Heparin. Die Dosierung sollte für den mittleren Risikobereich adäquat sein, das heißt, bei jeder Thromboembolie- prophylaxe muß eine individuelle Ri- sikoabschätzung erfolgen. Gewichts- adaptationen für niedermolekulares Heparin werden in den meisten Klini- ken (26) nicht durchgeführt und sind im ambulanten Bereich nicht notwen- dig. Die Applikation kann in der Pra- xis, durch Selbstinjektion, durch An-

gehörige oder durch einen Arztbe- such erfolgen. Mancherorts haben sich auch Applikationen durch Besu- che von Arzthelferinnen oder Ge- meindeschwestern als praktikabel er- wiesen.

Mögliche

Nebenwirkungen

Eine Nebenwirkung der Stan- dardheparine ist die heparinassoziier- te Thrombozytopenie (HAT). Typ I und II. Typ I ist voll reversibel und stellt eine asymptomatische Kompli- kation dar. Hingegen bedingt der IgG-assoziierte immunologische Typ II mit venösen und arteriellen Throm- ben (White Clot Syndrom) gravieren- de Folgen. Die mitgeteilte Inzidenz der heparinassoziierten Thrombozy- topenie differiert deutlich. Analysen aller prospektiven Studien zu Hepa- rin aus Schweinemukosa ergaben, daß die mittlere Inzidenz aller Thrombozytopenien beim therapeu- tischen Einsatz 2,4 und beim prophy- laktischen Gebrauch 0,3 Prozent be- trug (10). Die Inzidenz von arterieller und venöser Thrombose bei Patien- ten mit heparinassoziierter Thrombo- zytopenie wird auf 0,4 Prozent ge- schätzt (9). Bei niedermolekularen Heparinen treten deutlich seltener Wechselwirkungen mit Thrombo- zyten auf (5), so daß das Auftreten ei- ner Thrombozytopenie, die durch niedermolekulare Heparine induziert werden kann, als deutlich geringer eingeschätzt werden muß. Eine Schät- zung der Thrombozytopenie Typ II im Bereich von 0,05 Prozent dürfte realistisch sein.

Bei Vergleich mit der Inzidenz des Auftretens von Thrombosen nach Verletzung einer unteren Extremität mit 16 Prozent (24) liegt das Risiko des Auftretens von Thrombosen deutlich höher als die mögliche Kom- plikation einer Thrombozytopenie Typ II. Trotzdem sollten Kontrollen der Thrombozytenzahl, insbesondere zu Beginn einer Therapie mit nieder- molekularem Heparin, engmaschig erfolgen (2).

Die Thromboseinzidenz korre- liert zweifelsfrei mit dem Alter. Die vielfach genannte Grenze von 40 Jah- ren für eine Thromboseprophylaxe ist Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995 (45) A-2005

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MEDIZIN

artifiziell und beruht auf den früheren Ausschlußkriterien des Radiofibrino- gentestes. Es sind Einzelkasuistiken bekannt geworden, bei denen 13- bis 14jährige nach Traumen der unteren Extremität an tödlichen Lungenem- bolien verstorben sind. Bei entspre- chender Risikokonstellation sollte ab der Pubertät mit einer Thrombose- prophylaxe begonnen werden. Man sollte bedenken, daß vor allem junge Patienten unter 40 Jahren beispiels- weise durch Sportverletzungen häufig einer ambulanten Thromboseprophy-

ZUR FORTBILDUNG/KONGRESSBERICHT

laxe bedürfen. Auch aus einer kleinen Unterschenkelvenenthrombose kann sich in späteren Jahren ein offenes Ul- cus cruris entwickeln (34).

Ob sich der Arzt zur Throm- boembolieprophylaxe entschließt, ist letztlich seine eigene ärztliche Ent- scheidung. Er ist jedoch im Gespräch mit dem Patienten zur Aufklärung über Nutzen und Risiken einer Thromboseprophylaxe verpflichtet.

Auf allen Gebieten der Medizin hat sich eine Prophylaxe letztlich vorteil- hafter erwiesen als die Therapie.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärzteb11995; 92: A-2002-2006 [Heft 28-29]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Peter Kujath Klinik für Chirurgie

Medizinische Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Mögliche Fehler und ihre Vermeidung in der Gastroenterologie

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ie Bedeutung diätetischer Empfehlungen als Therapie- option in der Gastroenterolo- gie ist in den vergangenen 25 Jahren pyknotisch geschrumpft, ins- besondere wurden Kostformen mit unerwiesener Wirkung (zum Beispiel Magenschonkost, Leber-Galle- Schonkost) aus der Nomenklatur ge- strichen, so B. Lemcke, Frankfurt, auf dem neunten Lüneburger Symposium am 28. November 1994.

Nur bei wenigen Krankheitsbil- dern, so der einheimischen Sprue (Zö- liakie), ist eine konsequente Diät, hier eine glutenfreie Ernährung, der Schlüssel zur Therapie. Die konse- quente Einhaltung einer glutenfreien Diät ist hierbei überdies eine hoch- wirksame Präventivmaßnahme hin- sichtlich des Auftretens maligner Lymphome als Spätkomplikation die- ser Erkrankung.

Ernährungsmedizinische Aufga- ben und Möglichkeiten beim Kurzdarmsyndrom werden erfah- rungsgemäß häufig verkannt. Nicht zu übersehen ist derzeit die Tendenz zu einer permanenten total parenteralen Ernährung, die durch den Einsatz von Portsystemen sehr erleichtert wurde.

Dabei werden die Möglichkeiten ei- ner Adaptation des verbliebenen Darms nur unzureichend genutzt. To- tale parenterale Ernährung führt zur Mukosahypotrophie; langsame konti- nuierliche enterale Gabe von 500 ml Glukose als Elektrolytlösung ab dem dritten postoperativen Tag dient aus- schließlich der Ernährung der intesti- nalen Mukosa, nicht des Patienten.

Mit dem Auftreten einer adäquaten

Motorik wird die enterale Ernährung dann durch chemisch definierte Diä- ten erweitert, die Hinzunahme nor- maler Nahrung zu einer nährstoffdefi- nierten Diät sollte möglichst früh er- folgen.

Diäten meistens

nicht sinnvoll

Im allgemeinen wird die Wirk- samkeit diätetischer Maßnahmen, beispielsweise bei den chronisch ent- zündlichen Darmerkrankungen, weit überschätzt. Diätempfehlungen, die den Namen ihres Initiators enthalten, sind für das publizistische Anliegen des Urhebers besser geeignet als für die Behandlung des Patienten. Die häufig getroffene Empfehlung, Milch und Milchprodukte zu meiden, ver- stärkt nicht selten eine kortisonindu- zierte Osteoporose. Der Verzicht auf Milch macht für diese Patienten eine ausreichende Kalziumzufuhr nahezu unmöglich, da Milch und Milchpro- dukte Hauptkalziumlieferanten in der normalen Ernährung sind. Patienten mit chronisch entzündlichen Darm- erkrankungen weisen in Deutschland keine erhöhte Prävalenz eines Lakta-

semangels auf; Milchgenuß in physio- logischen Mengen (0,25 bis 0,51) führt selbst bei Darmkranken mit einer Laktoseintoleranz nur selten zu Be- schwerden einer Kohlenhydratmalab- sorption.

Daß auch häufig wiederholte Halbwahrheiten nicht die ganze Wahrheit darstellen, wird aus der Be- trachtung der therapeutischen Wirk- samkeit der Ballaststoffe oder ent- sprechender diätetischer Empfehlun- gen bei der Obstipation deutlich. Bis- lang konnte nicht nachgewiesen wer- den, daß Obstipierte weniger Flüssig- keit oder Ballaststoffe zu sich nehmen als eine vergleichbare Kontrollgrup- pe. Wenn obstipierte Patienten eine verlangsamte Passagezeit aufweisen, läßt sich diese durch Zufüttern von Ballaststoffen wesentlich schwieriger und geringer beeinflussen als bei Per- sonen mit normaler Transitzeit; bei vielen Patienten verstärken sich sogar die Symptome eines Reizdarms durch das Zufüttern von Ballaststoffen.

Echte Nahrungsmittelallergien sind selten, viel seltener, als dies von den Patienten angegeben wird. Neben der Schwierigkeit des diagnostischen Nachweises verdient dabei die Ab- grenzung verschiedener Formen der A-2006 (46) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995

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