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Archiv "Ein modernes Schauspiel in fünf Akten: Der Rechtsanwalt..." (22.09.1995)

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THEMEN DER ZEIT

Bei Köln lebt ein Rechtsanwalt, der seit seiner Geburt an Morbus Fröhlich erkrankt ist. Nach dem fünf- zigsten Geburtstag wurde seine Geh- behinderung hochgradig: Er konnte nur noch wenige Schritte gehen, Stu- fen waren nicht mehr zu bewältigen.

Sein Arzt verordnete einen Rollstuhl mit Elektroantrieb.

Die körperlichen Gegebenhei- ten, insbesondere 130 kg Patientenge- wicht, so erklärte man unserem Rechtsanwalt im Sanitätshaus, mach- ten eine Sonderanfertigung des Roll- stuhls erforderlich. Den Preis werde man kalkulieren. Das Angebot kam wenige Tage später: Das Modell M 3037.14 der Firma M., sonderangefer- tigt, zehn km/h schnell, sollte rund 35 000 DM kosten — plus sieben Pro- zent Mehrwertsteuer.

Unser Rechtsanwalt schluckte, holte tief Luft und schrieb an seine Ersatzkasse, um zu fragen, ob man den Erwerb bezuschussen könne.

Die Ersatzkasse reagierte nach einem Monat. Der Brief enthielt die Aufforderung, am angegebenen Tag sich bei der Medizinischen Dienststel- le der Kasse zur Untersuchung vorzu- stellen. Um 9.00 Uhr, und zwar pünkt- lich, „da zu Ihrer Untersuchung extra Ärzte eintreffen". Sämtliche ärztli-

chen Befundberichte und Unterlagen aus den letzten Jahren seien mitzu- bringen.

Unser Rechtsanwalt war vorsich- tig. Er bat einen Mitarbeiter, das Ge- bäude der Dienststelle in Augen- schein zu nehmen. Ergebnis: Ein- gangspodest mit acht Stufen, je 14 cm hoch, kein Hintereingang. Unser An-

DIE GLOSSE

walt schrieb an die Dienststelle der Kasse und bat unter Hinweis auf die acht Stufen darum, die notwendige Untersuchung doch bitte in seiner Wohnung durchzuführen. Der Arzt der Dienststelle rief an. Bis zum Wohnort des Patienten sei es ihm zu weit. Da sei es doch einfacher, die Un- tersuchung in der Anwaltspraxis in Köln durchzuführen. Man vereinbar- te hierfür einen Termin.

Der Doktor kam. Zunächst die Anamnese. Und dann die krause Stirn: Zwar wußte man schon bald

nach Fröhlich, daß sein Morbus nicht unbedingt einen Gehirntumor erfor- dert, wie er angenommen hatte. Aber Rechtsanwalt bei Morbus Fröhlich — kann das sein?

Probegehen war angesagt. Mit ei- nem eindeutigen Ergebnis: Ein Roll- stuhl muß sein. Aber wieso mit Elek- troantrieb? Die Kraft in den Armen mußte ermittelt werden. Erster Ver- such mit „Dyckerhoff: Das Recht des Immoblienmaklers", 270 Gramm.

Unser Rechtsanwalt schafft es — sit- zend — mit dem linken und mit dem rechten Arm etwas über Augenhöhe.

Der zweite Versuch mit „Stüber: For- derungspfändung", 380 Gramm, ver- läuft schon schlechter. Schließlich

kommt dann „Palandt: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch", 1 290 Gramm. Links und rechts geht nichts mehr. Mit beiden Händen gemeinsam so an die zehn Zentimeter.

Das reichte dann: „Die Versor- gung mit einem elektrischen Rollstuhl ist medizinisch sehr sinnvoll", wird im späteren Bericht des Arztes stehen.

Aber da steht noch mehr: 35 000 DM für einen Rollstuhl, das sei viel zu teuer. Ein Rollstuhl mit dem notwen- digen Umbau von der Firma R. in den Niederlanden koste nur knapp 20 000 DM. Und auch die Firma I. in D. kön- ne für gut 20 000 DM liefern. Rat- schlag in dem Gutachten deshalb:

„Weitere Ermittlungen".

Unser Rechtsanwalt macht sich zunächst auf zu einer Reise nach Holland, um den von der Firma R. an- gebotenen Rollstuhl anzusehen und probezufahren. Eigentlich gar nicht schlecht, was man ihm da zeigt. Aber

— Originalton aus dem Bericht unse- res Anwalts an seine Ersatzkasse:

„Nach Auskunft von Herrn v. d.

V. liegt für diesen Rollstuhl eine Er- laubnis nach § 20 I 1 Straßen-Zulas-

sungs-Ordnung (StVZO) nicht vor.

Eine solche Erlaubnis ist auch nicht zu erlangen. Denn das Leergewicht des Rollstuhls beträgt 312 kg. Damit aber würde der Betrieb dieses Roll- stuhls in Deutschland die Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens vor- aussetzen, weil das in der Ausnahme- vorschrift des § 18 I Nr. 5 StVZO ge- nannte Höchstgewicht für die soge- nannten ‚Krankenstühle' 300 kg be- trägt. Wird dieses Gewicht überschrit- ten, ist ein amtliches Kennzeichen er- forderlich. Der Benutzer muß außer- dem eine Fahrerlaubnis besitzen, wie sie zum Betrieb von Treckern erfor- derlich ist. Ich besitze zwar die hier- nach notwendige Fahrerlaubnis. Die Anschaffung dieses Rollstuhls kann aber nicht in Betracht kommen, weil mit der Zuteilung des Kennzeichens das Privileg des Benutzers aus § 24 II Straßenverkehrsordnung (Benutzung in Fußgängerzonen usw.) entfällt."

Das sieht die Ersatzkasse auch so. Unser Rechtsanwalt nimmt nun Kontakt zur Firma I. in D. auf. Deren Produkt findet er nach einer Probe- fahrt ganz brauchbar und schreibt das auch seiner Ersatzkasse. Während die Kasse noch nachdenkt, wird von der

Ein mocernes Sc nousaiel in fünf Akten

Der Rechtsanwalt...

... und ein Rollstuhl

...sein Morbus Fröhlich...

A-2462 (28) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 38, 22. September 1995

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THEMEN DER ZEIT

bekannten Stiftung ein Testbericht über Rollstühle veröffentlicht.

Das Urteil über Rollstühle der Firma I. ist kurz und sehr deutlich:

Mangelhaft in allen Belangen. Unser Rechtsanwalt schickt eine Fotokopie der Veröffentlichung an seine Ersatz- kasse und bittet zu überlegen, ob nicht doch beser das Gerät der Firma M. genommen werden sollte. Die wei- tere Nachdenkphase der Kasse dau- ert recht lange. Aber: Sie bewilligt ei- nen Rollstuhl des Herstellers M.

Sonderanfertigung heißt warten.

So etwa ein Jahr nach der Verordnung des Rollstuhls war es dann aber end- lich soweit. Unser Mann bekam sei- nen Rollstuhl. Das Versicherungs- kennzeichen wurde montiert — und los ging die Fahrt.

Unser Rechtsanwalt wunderte sich allerdings. Nicht über seinen Rollstuhl, nein, über die Geschwin- digkeit der Fußgänger. Er hatte gele-

Erinnerungen

. . . Wo sind sie geblieben? Seeho- fers Aufruf zum Ideenwettbewerb weckt Assoziationen an Marlene Die- trichs „Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?". Ideen zu ei- ner Reform des aus den Fugen gerate- nen Gesundheitswesens gab es immer, aber was ist aus ihnen geworden? In der Politik, gleichgültig ob Partei- oder Berufspolitik, gibt es über das Schicksal kreativer Innovationen Bei- spiele zuhauf. Einige Beispiele?

Gern!

1972 stellte ein bekannter ärztli- cher Verband als Antwort auf die so- genannte Rote Studie des damaligen Wirtschaftswissenschaftlichen Insti- tuts des DGB (kurz WWI, später WSI, heute im Koma liegend) 122 Thesen auf und auf dem 75. Deut- schen Ärztetag in Westerland der Ärzteschaft auch vor. (Kundige The- baner wissen jetzt: es handelte sich um

DIE GLOSSE

sen, daß die meisten Fußgänger mit einer Geschwindigkeit zwischen fünf und sechs km/h gehen. Aber es gelang ihm nur selten, mal einen Passanten zu überholen. Liefen denn alle so schnell?

Er überprüfte die Unterlagen, die er mit dem Rollstuhl bekommen hatte. Die Betriebserlaubnis fehlte.

Anruf beim Sanitätshaus, Ergebnis:

Kommt in den nächsten Tagen. Kam nicht. Nochmaliger Anruf. Verge- bens. Zwei Briefe. Vergebens. Weite- rer Brief mit Fristsetzung.

Nun meldete sich das Sanitäts- haus telefonisch: Leider sei im Werk der Firma M. eine Panne passiert. Der gelieferte Rollstuhl sei nur auf eine Geschwindigkeit von sechs km/h aus- gelegt. Nachträgliche Änderung? Un- möglich.

Unser Rechtsanwalt legte eine Akte an. Mit Zustimmung seiner Er- satzkasse machte er Kaufpreisminde- rungsansprüche geltend. 6 000 DM zahlte das Werk schließlich an die Er- satzkasse zurück. Vorhang! Und wohl besser kein Beifall.

Dr. Detlev Gudemann

den Hartmannbund.) Der damalige Präsident der Bundesärztekammer, Ernst Fromm, faßte das Thesen-Heft mit zwei Fingern an, ließ es auf das Rednerpult fallen und sagte: „Was soll's?" Es kam eben nicht aus dem Urquell der verfaßten Ärzteschaft.

Heute wird, wenn auch verschämt, nicht verschwiegen, daß aus dem alten Thesenheftchen das Blaue Papier der Ärzteschaft entwickelt worden ist.

Auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung anläßlich desselben Ärztetages stellten zwei Delegierte den Antrag, die KBV solle ähnlich dem Institut der Ortskrankenkassen ein eigenes Institut für Forschungsarbeiten zur Grundlage berufspolitischer Ent- scheidungen gründen. Zur Verblüf- fung des Vorstandes wurde der An- trag mit großer Mehrheit angenom- men. Kein Wunder, alles stand noch

unter dem Schock der Roten Studie.

Zunächst geschah freilich nichts.

Jahre später wurde das Zentralinstitut der Kassenärzte, kurz ZI, installiert. Eine späte Realisierung des Westerländer KBV-Beschlusses?

Angeblich nicht. Der damalige An- trag wäre gar nicht zu realisieren ge- wesen, erfuhren die erstaunten An- tragsteller — aus rechtlichen Gründen (wenn auch KBV und Verband der Ortskrankenkassen beide Körper- schaften des öffentlichen Rechts sind

.). Immerhin, das ZI ist Gott sei Dank aktiv, und, so hoffen wir, auch effektiv. Wer erinnert sich schon noch, bis auf die beiden damaligen Antrag- steller, woher die Idee kam?

Ein ähnliches Schicksal wider- fuhr denen, die etwa zur selben Zeit die Zusammenarbeit mit Selbsthilfe- gruppen suchten und, wenn auch zunächst zögernd, realisieren konn- ten. Sie wurden teilweise persönlich lächerlich gemacht. Und heute? Die Zusammenarbeit wird allseits seitens der Ärzteschaft proklamiert.

Ein letztes Beispiel. Wer erinnert sich, daß die sogenannte Kinder- früherkennung am Beginn stand und es wesentlich der Initiative des Ge- sundheits- und Berufspolitikers Ger- hard Jungmann zu verdanken ist, daß sie Leistung der gesetzlichen Kran- kenversicherung wurde? Die Mitar- beit des Wissenschaftlichen Instituts eines bekannten Ärzteverbandes bei der Deutschen Herz- und Kreislauf- präventionsstudie trug sicherlich das ihre dazu bei, daß die Prävention (über die Früherkennung hinaus) ge- setzlich fundiert in das Sozialgesetz- buch einfloß. Wir haben Glück gehabt, daß die Kassen bei allen Aktivitäten, die ihnen durch das Gesetz konzediert worden sind, nie garantieren können, präventive Bemühungen flächen- deckend ihren Versicherten anbieten zu können. Hier ist die Ärzteschaft ak- tiv aufgerufen, sich zu bewegen, wenn ihr nicht dieses Arbeitsgebiet völlig aus den Händen gleiten soll.

Ein vorläufiges Fazit? Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagte einst Gorbatschow. Aber wer zu früh kommt, den vergißt das Leben.

So ist das eben im Leben, das Leben ist eben immer noch lebens- und in diesem Falle vielleicht sogar ideenge- fährlich. Prof. Dr. Horst Bourmer

Sag, wo die Ideen sind .

A-2464 (30) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 38, 22. September 1995

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