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Archiv "Afghanistan im Jahr des Truppenabzugs: Hilfe voller Risiken" (19.09.2014)

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A 1562 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 38

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19. September 2014

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fghanistan ist ein rauer Fle- cken Erde. Je nach Region sind die Winter eisig, die Sommer stickig und trocken. In den kalten Monaten erfrieren Kinder auf den Straßen, an den mehr als 40 Grad heißen Sommertagen darbt das Vieh.

Immer wieder wird das Land von Naturkatastrophen heimgesucht. Als sei das nicht genug, tobt in Afgha- nistan seit drei Jahrzehnten ein blu- tiger Kampf um Macht und Be- sitz. Glaubenskrieger und Warlords diktieren, welche Gesetze gelten.

Mehrfach wird das Land zum Spiel- ball internationaler Konflikte, seit 2001 herrscht wieder Krieg.

Das Land zählt bis heute zu den unterentwickeltsten Ländern der Welt. 70 Prozent der Menschen sind Analphabeten. Im Alltag regie- ren Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit und Korruption. Häusliche Gewalt

und Zwangsehen gehören zur Tages- ordnung. Der Drogenhandel blüht, die Justiz schaut vielerorts taten- los zu. Elementare Stützen einer Gesellschaft wie Infrastruktur, Bil- dungswesen, Verwaltung und Poli- zei liegen vielerorts brach.

Mehr als 40 Milliarden Dollar flossen in Hilfsmaßnahmen

Mit am schlimmsten steht es um das Gesundheitswesen. Der Bevöl- kerung fehlt grundlegendes Ge- sundheitswissen, selbst in elemen- taren Gebieten wie Hygiene. Es mangelt an Geld, qualifiziertem Personal, sauberem Wasser, Strom, medizinischen Geräten und Medi- kamenten. Selbst eine Basisversor- gung ist in weiten Teilen des Lan- des über viele Jahre kaum möglich gewesen. Das Wenige, was an Ver- sorgung gegeben war, konnten vie-

le der fast 30 Millionen Afghanen nicht bezahlen. Der afghanische Staat half ihnen nicht, private Ein- richtungen und Hilfsorganisationen sprangen ein. Die Folge der deso - laten Strukturen: eine extrem hohe Kinder- und Müttersterblichkeit, ei- ne geringe Lebenserwartung, schwe- re und weitgehend unbehandelte psychische Erkrankungen sowie weit verbreitete Krankheitsbilder wie Unterernährung, Hepatitis, Cho- lera, Aids, Malaria und Tuberkulo- se. In nahezu sämtlichen Gesund- heitsindikatoren und -statistiken rangiert Afghanistan seit Jahren auf einem der letzten Plätze.

Heute, im Jahr des Truppenab- zugs, wird gerade das Gesundheits- wesen als Erfolgsbeispiel für den internationalen Einsatz genommen.

Der Aufbau einer Basis-Gesund- heitsversorgung für die Bevölkerung Großer Andrang

herrscht in einem Krankenhaus in Kabul. Frauen und Kinder warten auf ihre Behandlung.

AFGHANISTAN IM JAHR DES TRUPPENABZUGS

Hilfe voller Risiken

In das afghanische Gesundheitswesen fließen millionenschwere Aufbauhilfen.

Erfolge sind unverkennbar. Doch die medizinische Versorgung bleibt in einigen Landesteilen katastrophal.

Fotos: picture alliance

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19. September 2014 A 1563 war eines der prioritären Ziele, als

der Westen sein Engagement zur Stabilisierung des Landes begann.

Dafür hat Afghanistan in den vergan- genen Jahren sehr viel Geld erhalten.

Mehr als 40 Milliarden US-Dollar sind allein an Entwicklungshilfepro- jekte und in die humanitäre Hilfe ge- flossen. Ein Großteil davon ging in das Gesundheitswesen. So schnell hat noch nie ein Land so viel Geld erhalten. Doch was haben die Mil- lionenspritzen tatsächlich gebracht?

In der Spitze sind 2 000 Hilfsorganisationen im Land

Gerade im Gesundheitssektor sind die Hilfsprojekte im Land kaum zählbar. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unterstützt im Auftrag des Auswärti- gen Amtes das afghanische Gesund- heitsministerium dabei, Strukturen und Standards im Regionalkranken- haus Masar-e Sharif zu verbessern.

Die KfW-Entwicklungsbank baut zerstörte Einrichtungen wieder auf.

Das Bundesministerium für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bildet Hebammen aus.

Die Weltgesundheitsorganisation fördert das Bewusstsein für Frauen- gesundheit. Ärzte ohne Grenzen hat Chirurgen an vier Krankenhäusern in den Provinzhauptstädten. Save the Children kümmert sich um die Vorsorge bei Schwangeren, Neuge- borenen und Kindern. Die Bill-Ga- tes-Stiftung investiert seit Jahren in Impfschutz. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. In der Spitze sind nahezu 2 000 Hilfsorganisatio- nen aus aller Welt im Land.

Erfolge sind definitiv da. Eine Basisversorgung kann zumindest in strukturstärkeren Regionen gewähr- leistet werden, wenn auch nach wie vor nur mit Hilfe aus dem Westen.

Es wurden tatsächlich viele neue Ge- sundheitseinrichtungen gebaut. Die gesundheitliche Aufklärung, gerade bei Frauen, konnte verbessert wer- den. Die Sterblichkeitsraten sind deutlich zurückgegangen, die Le- benserwartung der Afghanen ist ge- stiegen. „Das Leben der afghani- schen Bevölkerung ist besser gewor- den, auch weil Gesundheitseinrich- tungen da sind“, bestätigt Masood Karokhail von der afghanischen

Nicht-Regierungsorganisation The Liaison Office, der im Frühsommer zu Gast bei Ärzte ohne Grenzen in Berlin war. Kaum einer der Akteure verneint den Fortschritt. Nur der eine betont ihn mehr, der andere weniger.

Sicher ist aber: Die Frage, ob die La- ge heute gemessen am Aufwand der vergangenen 13 Jahre zufriedenstel- lend ist, ist sehr viel schwieriger zu beantworten. Und fest steht auch:

Viele Millionen sind wirkungslos im Land versickert, weil sie nicht nach- haltig investiert wurden.

Die Realität heute: Der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen ist für weite Teile der Bevölkerung weiter- hin schwierig, die Anzahl der An- laufstellen noch immer zu gering.

Die schwierige Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes macht ei- ne flächendeckende Versorgung na- hezu unmöglich. Schwangere ster- ben bei der Geburt auf dem weiten und gefährlichen Weg in eine Kli- nik, Verletzte können nur unzurei- chend versorgt werden, Kranke müssen sich selbst helfen. Das Ge-

sundheitswissen ist nach wie vor lü- ckenhaft. Eine afghanische Frau be- kommt im Durchschnitt mehr als sechs Kinder. Viele davon erleben den fünften Geburtstag nicht. Von denen, die durchkommen, ist ein Großteil akut unterernährt.

Ärzte ohne Grenzen gehört zu den Organisationen, die ihr Ohr nah an der afghanischen Bevölkerung haben. 2013 befragten die Helfer in einem Zeitraum von sechs Monaten 800 Afghanen, die in einem ihrer Krankenhäuser behandelt wurden.

Sie wollten wissen, wie es um den Zugang zur medizinischen Versor- gung im Land steht. Die Ergebnisse präsentierte die Organisation An- fang 2014. Sie sind dramatisch: „Je- der fünfte befragte Patient hat uns berichtet, dass ein Familienangehö- riger oder ein enger Freund im ver- gangenen Jahr gestorben ist, weil er nicht rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen hat“, erklärte Christo- pher Stokes, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Belgien, von wo aus die Projekte in Afghanistan koordiniert werden. 40 Prozent der Befragten, die eins der Kranken - häuser erreicht haben, berichteten von Kämpfen, Minen, zeitrauben- den Checkpoints oder Bedrohungen auf dem Weg in die Klinik.

Afghanistan bleibt für Helfer ein gefährliches Pflaster

Ärzte ohne Grenzen ging 1981 erst- mals nach Afghanistan. Nach dem Mord an fünf Mitarbeitern zog sich die Hilfsorganisation 2004 aus dem Land zurück. Seit Mitte 2009 sind wieder Helfer im Land. Doch Af- ghanistan bleibt auch für diese ein gefährliches Pflaster. Nur wenige Wochen nach der Eröffnung einer Mutter-Kind-Klinik von Ärzte ohne Grenzen in der Provinz Khost ex- plodierte dort eine Bombe. Es gab Verletzte. Monatelang wurde die Arbeit der Helfer eingestellt. Erst nach intensiven Verhandlungen mit allen Konfliktparteien konnte die Arbeit wieder aufgenommen und damit die afghanische Bevölkerung weiter versorgt werden. Nicht nur in Khost gehören Leibesvisitatio- nen für Patienten, Angehörige und Personal zum Alltag, sobald sie eine Gesundheitseinrichtung betre- Afghanistan kommt nicht zur Ruhe: 1979 rückt die Sowjet-

union in das Land ein, um die Kämpfe im eigenen Interes- se zu beeinflussen. Der Westen reagiert auf die sowjeti- sche Invasion verstimmt und unterstützt die antikommunis- tischen, afghanischen Kräfte – allen voran die USA. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 gibt es keine politische und militärische Ordnung mehr, Afghanistan ver- sinkt im Bürgerkrieg. Mitte der 90er Jahre kommen die Taliban an die Macht, die Land und Leute unterjochen. Im Jahr 2001 wird Afghanistan erneut zum Spielball des Welt- geschehens. Der Terroranschlag auf das World Trade Center von New York wurzelte am Hindukusch. Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September erklären die USA der in Afghanistan ansässigen al-Qaida-Gruppe den Krieg. Die Staatengemeinschaft stellt sich den Amerikanern an die Seite. Seit 2001 sind NATO-Truppen im Kampfeinsatz. nos

EIN LAND IM DAUERKRIEG

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19. September 2014 ten. Investitionen in die Sicherheit

von Helfern, Patienten und Einrich- tungen verschlingen landesweit ei- nen großen Teil der zur Verfügung stehenden Hilfsgelder.

Die Rahmenbedingungen in Af- ghanistan sind für Bevölkerung und Helfer gleichermaßen schwierig. Und vor allem für die Fremden bleibt das Land auch nach Jahren des Ein- satzes ein Mysterium. „Wir können nur beurteilen, was wir auch sehen

können. Und vieles in diesem Land können wir nicht beurteilen. Es gibt sehr viele Realitäten, aber nur sehr wenig Zugang“, sagte der langjährige deutsche Geschäftsfüh- rer Frank Dörner in Berlin. Afgha- nistan sei ein „extremes Land“, in dem eine schwierige Gemengelage herrsche.

In der Realität bedeutet das: Die internationale Hilfe konzentriert sich auf städtische Regionen. Länd- liche Gebiete, gerade im Süden des Landes, sind für die Helfer nicht zugänglich. Dabei leben 80 Pro- zent der Afghanen auf dem Land.

Doch die Sicherheitslage ist in eini- gen abgelegenen Regionen so ange- spannt, dass es weder in- noch aus- ländische Hilfsorganisationen, ge- schweige denn Regierungsmitar- beiter, verantworten können, ihre Mitarbeiter dorthin zu schicken.

Wer weiß, dass Helfer einige Kran- kenhäuser und Gesundheitseinrich- tungen in den erschlossenen Gebie- ten schon als „katastrophal“ be- zeichnen, kann sich denken, wie es

um die medizinische Versorgung der Bevölkerung dort steht, wo bis- lang kein einziger ausländischer Dollar geflossen ist. Es sind unbe- gehbare Zonen, in denen die Afgha- nen sich selbst überlassen sind.

Selbst dort, wo Hilfe geleistet werden kann, herrscht oft Ressour- cenmangel. Viele Krankenhäuser sind überlastet, es fehlt an qualifi- zierten Ärzten und Krankenschwes- tern. Eines der Kernprobleme ab-

seits der Versorgungslücken ist au- ßerdem, dass die Afghanen weiter- hin den Großteil der Kosten für die medizinische Versorgung aus eige- ner Tasche zahlen müssen. Behand- lungskosten, Zahlungen für Medi- kamente und Krankentransport fal- len erheblich ins Gewicht. Es gibt Regionen, in denen 80 Prozent der Menschen von weniger als einem Dollar am Tag leben.

Was passiert nach dem Abzug der NATO-Truppen?

Doch wie geht es weiter für das Land? Die internationale Gemein- schaft verspricht, die Afghanen nicht hängen zu lassen, nachdem Ende 2014 nahezu alle Soldaten aus dem Land abgezogen sein werden. „Wir sagen den Menschen in Afghanis- tan: Wir lassen Euch nicht allein, Ihr werdet nicht im Stich gelassen“, verkündete der damalige Außenmi- nister Guido Westerwelle (FDP) auf der internationalen Afghanistankon- ferenz Ende 2011 in Bonn. Noch zehn weitere Jahre, bis 2024 soll die

afghanische Bevölkerung in ele- mentaren Bereichen des öffentli- chen Lebens Hilfe aus dem Ausland erhalten. Auch Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe beteuern, dass sie die Unterstützung für das Land vorerst nicht einstellen wer- den. „Unser Grundmandat ist die langfristige Entwicklungszusammen- arbeit“, sagte Präsidentin Bärbel Dieckmann in Berlin, betonte aber auch, wie wichtig es ist, dass ein Land wie Afghanistan lernt, auf ei- genen Füßen zu stehen: „Unser Ziel ist immer, ein Land zu verlassen, weil die Hilfe zur Selbsthilfe gelun- gen ist.“ Ärzte ohne Grenzen will auf lange Sicht in Afghanistan blei- ben und das Engagement künftig so- gar ausweiten, „um den zunehmen- den medizinisch-humanitären Be- darf zu decken“.

Inwieweit sich die harte Lebens- wirklichkeit der Afghanen durch die weitere Hilfe verbessern wird, ver- mag niemand zu prognostizieren.

Zuversicht ist allerdings nicht weit verbreitet. 2013 war nach offiziel- len Angaben eines der gewalt- reichsten Jahre seit Beginn des NATO-Einsatzes. Afghanistan-Ken- ner fürchten deshalb, dass sich die Situation nach Abzug der Truppen eher destabilisiert als stabilisiert.

Dass Aufgebautes wieder in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus.

Dass es der afghanischen Regie- rung nicht gelingt, das Zepter er- folgreich selbst in die Hand zu neh- men. Dass alte Mächte wieder an Einfluss gewinnen. Und irgend- wann der Zeitpunkt kommt, an dem Regierungen und Hilfsorganisatio- nen den Geldhahn zudrehen, ihren Rückzug aus der Krisenregion er- klären und das gebeutelte Land sich selbst überlassen.

Noch ist es nicht soweit. Und bis dahin werden in den großen Städten wie Kabul und Masar-e Sharif wei- ter gut ausgestattete Krankenhäuser hochgezogen. Zugang zu vielen die- ser Prestigeobjekte haben allerdings lediglich Afghanen, die über das nö- tige Kleingeld verfügen. Und aus- ländische Diplomaten, Soldaten und Entwicklungshelfer. Für die meisten Einheimischen bleibt Afghanistan ein rauer Flecken Erde.

Nora Schmitt-Sausen Das Opfer eines

Bombenan- schlags wird von

einem Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen versorgt.

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