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Archiv "Menhire, Meran, Medizin" (05.12.1974)

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Südtiroler Bauern fanden 1932 bei Pflanzarbeiten in einem Algunder Weinberg oberhalb Meran zwei längliche Steinplatten aus heimatli- chem Töller Marmor, die eigentüm- liche Ritzzeichnungen aufwiesen und die später als Menhire, das heißt prähistorische Monumente von menschenähnlicher Gestalt aus unbehauenem Stein erkannt wurden. Zehn Jahre später wurden bei gezielten privaten Grabungen 20 Meter hangaufwärts der ersten Fundstelle zwei weitere Menhire entdeckt, und zwar noch „in situ", nämlich senkrecht in den Boden gestellt mit Blick nach Osten. Auch diese zwei Menhire aus Töller Mar- mor zeigen Ritzzeichnungen wie die beiden ersten Funde. Vier Men- hire, jetzt im Meraner Museum auf- gestellt, sind für jeden an Vor- und Frühgeschichte Interessierten eine einmalige Gelegenheit zum Stau- nen und zum Studium! Lassen Sie mich diese vier Zeugen einer alten Kultur kurz beschreiben, bevor wir auf die Deutungsversuche einge- hen. Der als erster gefundene und deshalb als Stein 1 bezeichnete Menhir ist eine große Seltenheit unter den in Europa bekannten prähistorischen Steinen, nämlich ein weiblicher Torso mit zwei Brü- sten und mit einer durch Ritzzeich- nungen angedeuteten Gewandung;

die Rillen der Gewandung laufen vorne über den Brüsten quer — fast sieht es wie ein Büstenhalter aus —, hinten bestehen Längsrillen, etwa einen Mantel symbolisierend.

Wichtig ist, daß am weiblichen Tor- so im Gegensatz zu den männli- lichen keine Waffen eingeritzt sind.

Der Stein 2 ist der größte unter den vier Meraner Menhiren, über- mannsgroß und 2420 kg schwer. Er steht imposant in einer Nische des Museumeingangs. Die Ritzzeich- nungen zeigen vorne einen breiten Gürtel von Querrillen, hinten wie- der „mantelartige" Längsrillen.

Faszinierend selbst für den weitge- reisten und durch viel Sightseeing verwöhnten Wirtschaftswunder- menschen heben sich auf der Vor- derseite zehn eingemeißelte Dol- che und zwölf Äxte ab, alle gegen die Längsachse des Steines ge- richtet, während eine Zeichnung im untersten Teil des Steines mit Schwierigkeit als Wagen mit Och- sengespann erkennbar wird. Stein 3 und Stein 4, wesentlich kleiner als das Prunkstück zwei, zeigen die gleichen Ritzzeichnungen und Ril- len, vor allem auch Dolche und Äxte.

Die vier Algunder Menhire gehören einer wichtigen prähistorischen Epoche Europas an, der sogenann- ten Megalithkultur, die während der Jungsteinzeit in West- und Nordeuropa und im ganzen Mittel- meergebiet zu neuen Formen von handwerklicher Tätigkeit, von Sied- lungsanlagen, von Bestattungssit- ten und von transzendentalen Vor- stellungen geführt hat.

Der „Menhir" mit oder ohne Ritz- zeichnungen ist somit nicht der al- leinige Vertreter der Megalithkul- tur, die wir auf das Jahr 3500 bis 1000 vor der Zeitwende ansetzen müssen; aber der Figuren-Menhir ist doch wohl der charakteristisch-

ste und aussagekräftigste Reprä- sentant dieser Zeitepoche, und des- halb wollen wir uns im folgenden überwiegend mit dem Menhir be- schäftigen, auch wenn der ortho- doxe Archäologe wahrscheinlich mit der Bandkeramik, mit Gräbern und mit Kupfergeräten, Kupferwaf- fen und Kupferschmuck beginnen würde.

Das Megalith-Sanktuarium

Wenn wir vor dem größten Aigun- der Menhir in der Vorhalle des Me- raner Museums stehen, wird uns sofort klar, daß dieser unbehauene aufrecht stehende Stein mit seiner anthropomorphen Gestalt einen besonders profilierten Menschen oder einen menschähnlichen Gott darstellen soll, obwohl wir keine Extremitäten erkennen können, wie das bei Menhiren in anderen Me- galithregionen, zum Beispiel beim Menhir in Abbildung 6, der Fall ist.

Und nun müsen wir uns vor- stellen, daß dieser gewaltige Stein hoch oben am Rande des Steil- hangs über der Etsch stand, nach Osten gerichtet, umgeben von den etwas kleineren Menhiren eins, drei und vier, die ihn nach vorbe- stimmter Ordnung umstanden und gleich ihm nach Osten blickten;

vor unserem geistigen Auge er- steht so im heimatlichen Vintsch- gau eine prähistorische Kultstätte ersten Ranges, die den berühmten Megalithanlagen in Stonehenge (England), in Carnac (Frankreich)

Menhire, Meran, Medizin

Zum kunst- und kulturhistorischen Rahmenprogramm der Fortbildungskongresse der Bundesärztekammer in Meran

Albert Schretzenmayr

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Menhire, Meran, Medizin

und anderen Orten an Überzeu- gungskraft und Dramatik gleichge- setzt werden darf. Wir dürfen an- nehmen, daß genauso wie bei den Kultanlagen in der Ebene von Sa- lisbury (Stonehenge) oder auf der flachen Heide von Mönec in der Bretagne (Carnac) unser prähisto- risches Gebirgsheiligtum in erster Linie öffentlichen Ritualien diente, etwa feierlichen Prozessionen der Bewohner des in prähistorischer Zeit schon reich besiedelten Vintschgaues und der angrenzen- den Gebirgstäler. Schon der Weg bis zum Zentrum der Kultstätte dürfte in der Megalithkultur eine wichtige Rolle gespielt haben; so zeigt uns die Kultanlage von Mönec zehn parallel laufende, durch über 1000 Menhire abgeteilte Prozessionsstraßen, die auf das Kultzentrum in einem Halbkreis von 70 Steinsäulen zuführen; auch das megalithische Rundheiligtum von Stonehenge weist auf das Vor- handensein von Prozessionswegen und -ritualen hin. Bei unserem Al-

gunder Gebirgsheiligtum dürfte der Prozessionsweg allein schon durch die Gebirgslandschaft bestimmt ge- wesen sein; das Ritual bestand viel- leicht in der Wanderung der Tal- bewohner auf gewundenen Ge- birgspfaden hinauf zum Menhir- Heiligtum am Rande des Algunder Steilhanges.

Auch über den Termin solch feierli- cher Prozessionen können Aussa- gen gemacht werden: In Stonehen- ge liegt die Kultstätte genau in der Richtung, in der am 21. Juni die Strahlen der aufgehenden Sonne durch Öffnungen in den Säulenrin- gen auf den Altar des Kultzentrums fallen. In gleicher Weise ist unser Algunder Heiligtum geortet: die „in situ" aufgefundenen Algunder Menhire waren nach Osten gerich- tet. Die Termine der feierlichen Prozessionen wurden demnach nach mathematisch-astronomischen Berechnungen angesetzt, wobei of- fenbar die Sommersonnenwende den heiligsten Termin darstellte.

Staatliche Ordnung und Bittprozessionen im prähistorischen Vintschgau Welchen Zwecken dienten die me- galithischen Kultanlagen? Wir kön- nen nur vermuten, welche Anliegen die Prozessionsteilnehmer zur Kultstätte mitbrachten. Fürbitte für reichen Erntesegen etwa, für Schutz vor den Unbilden des Wet- ters, der Gebirgsgewässer und der Lawinen, dann Bitte um Schutz für Leib und Leben, dies könnte durch die Ritzzeichnungen von Dolchen und Beilen auf den männlichen Menhiren symbolisiert werden. Das Algunder Sanktuarium scheint also in dieser Hinsicht allein schon durch die Ritzzeichnungen aussa- gekräftiger als etwa Stonehenge.

Wichtig scheint auch ein weiteres Detail: Die äußerst seltene Anwe- senheit eines weiblichen Menhirs unter den Steinmonumenten läßt den Schluß zu, daß auch Frauen unter den Prozessionsteilnehmern waren und ihre speziellen Sorgen

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Abbildung 1: Fundort der Menhire eins und zwei sowie Standort der Menhi- re drei und vier in Algund-Meran. Menhir eins und zwei wurden durch den Gerölldruck in das Tal verlagert und dort durch Zufall entdeckt. Menhir drei und vier wurden oberhalb der ersten Fundstelle noch „in situ", mit Blick nach Osten, sechs Meter unterhalb der heutigen Bodenoberfläche entdeckt (Entnommen aus der „Schlern" 1952)

Abbildung 2: Meraner Menhir eins, ein weiblicher Torso mit Ritzzeichnungen, die als Querriffelung eine Bekleidung der Brüste und als Längsriffelung am Rücken einen Mantel andeuten. Keine

Waffen! Foto: privat

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mitbrachten: Bitte um Nachwuchs vielleicht, um Hilfe bei Geburten, oder um Schutz der Kinder vor Krankheit und Unfall. Zum Ver- gleich mit unserem weiblichen Al- gunder Menhir wird in den Abbil- dungen 6 und 7 auf zwei verwandte Monumente der Megalithkultur ver- wiesen: Beim Figurenmenhir von Saint-Sernin-sur-Rence (Frank- reich), 1,20 Meter hoch, sind aus dem sonst unbehauenen Sandstein nicht nur die Brüste, sondern auch Augen, Nase, Hände und Beine herausgearbeitet. Das zweite Bei- spiel zeigt die „große Göttin der Fruchtbarkeit" im Rahmen der aus- gedehnten megalithischen Kultan- lagen auf Malta, die, um 1450 vor Chr. entstanden, irgendwie mit den europäischen Megalithmonumen- ten in Verbindung stehen — wir werden darauf noch zurückkom- men. Das weibliche Element dürfte also, auch wenn in Stonehenge und in Carnac keine besonderen Hinweise vorliegen, bei allen Sank- tuarien der Megalithkulturen eine große Rolle gespielt haben: Zu den Bitten der Männer hat sich auf den Prozessionswegen das Flehen der Frauen gesellt.

Das Algunder Sanktuarium dürfte ebensowenig wie Stonehenge und Carnac als Bestattungsstätte ge- dient haben. Beweis: Es konnten keine Reste aus prähistorischen Gräbern und keine Brandstellen am Fundort nachgewiesen werden.

Es spricht nicht gegen einen kultu- rellen und zeitlichen Zusammen- hang, wenn in anderen Sanktuarien Bestattungen vorgenommen wur- den oder wenn megalithische Kult- stätten sogar überwiegend einem Bestattungsritual dienten. Wir er- wähnen in diesem Zusammenhang die über 6000 Megalithgräber in Frankreich, vorwiegend in der Bre- tagne, die megalithischen Gang- gräber und vor allem die „Hünen- gräber", zum Beispiel in der Lüne- burger Heide, aber auch im gesam- ten nordischen Raum. Es war die Sage, die aus einfachen Grabstät- ten „Hünengräber" machte, konnte man sich doch nicht vorstellen, daß gewöhnliche Menschen in der Lage wären, tonnenschwere Steine

Abbildung 4: Megalithiale Kultanlage Stonehenge bei Salisbury/England. Hufeisen- förmiger Ring von Trilithen, ringförmig aufgestellte Menhire um einen zentralen Altarstein. Hinweise auf Prozessionsstraße Foto: privat

Abbildung 3: Mera- ner Menhir zwei, der größte der vier Meraner Menhi- re, 2420 Kilogramm schwer. Zehn Dolche, zwölf Beile und ein breiter Gürtel sind als

Ritzzeichnun- gen deutlich erkenn- bar Foto: privat

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Abbildung 5: Figu- renmenhir weib- lichen Geschlechts aus Sandstein.

Fundort: Saint-Ser- nin-sur-Rence/

Frankreich. Mit freundlicher Ge- nehmigung des Holle Verlages entnommen aus

„Europäische Vorzeit" von Walter Torbrügge, 1968 Spektrum der Woche

Aufsätze -Notizen

Menhire, Meran, Medizin

schen Handelsstraße. Sie verlief über den Vintschgau, den Re- schen- und den Fernpaß bis Augs- burg, längst,bevor Drusus über den Pons Drusi in Bozen und über Me- ran denselben Weg zog, um 15 vor Christus Rätien zu erobern und Au- gusta Vindelicorum (Augsburg) zu gründen. Die Archäologie hat aus diesen Verbindungswegen eine vorgeschichtliche Abhängigkeit Eu- ropas von den Hochkulturen im östlichen Mittelmeerraum abgelei- tet und geschlossen, daß die Me- galithepoche Europas gewisserma- ßen ein auf dem Seeweg und spä- ter auch auf dem Landweg impor- tierter Ableger der frühen Hochkul- turen Ägyptens und Mesopotami- ens sei. Das „ex oriente lux" wäre dann nicht nur im astrologischen Sinn, sondern auch im Sinn des kulturellen Primats des Ostens zu verstehen, obgleich eigentlich auch manches dagegen spricht: So sind die Monumentalbauten der Megalithkultur Maltas sicher jünger als z. B. Stonehenge, eine Tatsa- che, die gegen die Mittlerrolle der mediterranen Kulturen im Sinne des „ex oriente lux" spricht.

zu transportieren und auf senk- recht gestellte Steine hochzuhe- ben. Wie der Stein bewegt wurde, das ist eine Frage, die beim An- blick aller Megalithbauten, also auch des Algunder Sanktariums entsteht. Seine Menhire sind zwar aus Marmor, der im benachbarten Töll noch heute abgebaut wird, aber der Transport des zweieinhalb Tonnen schweren Menhirs 2 über Schluchten, Abhänge, Sümpfe, Ge- birgsbäche und Schutthalden hin- auf auf den Steinhang dürfte wirk- lich eine „Hünenarbeit" gewesen sein. Aus der Tatsache dieses Transportes ergibt sich nun ein- deutig, daß die Bauten der Mega- lithkulturen eine hohe und straffe gesellschaftliche Organisation zur Voraussetzung hatten. Kein Einzel- gänger, und sei er noch so hünen- haft gewesen, würde unseren Stein von Töll nach Algund gebracht ha- ben. Nur eine geordnete Gesell- schaft, eine „staatlich" geordnete Menschengruppe konnte in ge- meinsamer, von einem Oberhaupt

geleiteter Arbeit, unter Verwendung der Zugkraft von Mensch und Tier, mit Hilfe von Rollen, Hebeln und unter Verwendung der „schiefen Ebenen", die Ingenieuraufgaben der Megalithkultur bewältigen!

Lassen Sie mich trotz der vielen of- fenen Fragen unsere Zwiesprache mit den vier Menhiren des Meraner Museums abschließen, indem ich zwei spezielle Aspekte erwähne:

C) Die Fundorte der Megalithkultur Europas stellen trotz ihrer regiona- len und überregionalen Unterschie- de und trotz der großen Zeitspanne von 3000 Jahren, die diese Kultur umspannt, eine Kette von Menhi- ren, Bildsteinen, Megalithbauten und Hünengräbern dar, die einen Hinweis auf prähistorische Verbin- dungs- und Handelswege entlang der Mittelmeer- und Atlantikküste bis nach Norddeutschland und Skandinavien (Bernsteinstraße) ge- ben. Auch unser Algunder Sank- tuarium liegt an einer prähistori-

Einen geradezu revolutionären Um- sturz der alten Lehrmeinung vom Primat des Ostens scheinen mo- derne amerikanische Berechnun- gen mit Hilfe nuklearer Altersbe- stimmungen (korrigierte Radiokar- bon-Methode) erbracht zu haben.

Auch ohne in die Gefahr zu kom- men, als „europäischer Natio- nalist" angesehen zu werden, darf man heute vermuten, daß die Groß- steingräber an der atlantischen Kü- ste älter als 4500 Jahre sind, daß Megalithbauten in England schon viele Jahre vor dem Bau der ersten Pyramide existierten und daß von einem Kulturgefälle in Richtung Ost nach West über das Mittelmeer in prähistorischer Zeit keine Rede sein kann. Europa dürfte demnach in prähistorischer Zeit seine erste Kultur-, Staats- und Gesellschafts- epoche autochthon geschaffen und entlang seiner europäischen Ver- bindungswege verbreitet haben.

Sie wäre ein erstes, grandioses Eu- ropa gewesen, das Tausende von Jahren später im Reich Karls des

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Abbildung 6: „Hünengrab" in der Lüneburger Heide. Zur Zeit der Megalith-Kultur

war die Grabstätte mit Erde überdeckt Foto: dpa

Abbildung 7: Theo- derichs Mauso- leum in Ravenna.

Theoderich der Große, 456 bis 526, war König der Ostgoten. Das zweigeschossi- ge Grabmal ist mit einem riesigen Monolithen gekrönt und kann als spätantike Nachbil- dung eines Hünengrabes angesehen

werden Foto: privat Großen seine Wiedergeburt erlebte

und auf dessen zweite Renaissance wir heute mit Sehnsucht warten.

© Für uns Mediziner erbringt die Beschäftigung mit der Megalithkul- tur, besonders auch unsere Zwie- sprache mit den vier Algunder Menhiren einen hochaktuellen Teil- aspekt: Die „Weltanschauung" — wenn man das viel mißbrauchte Wort hier verwenden darf — die Weltanschauung der Menschen der Megalithzeit war auf Vorbeugung gerichtet. Die Archäologen spre- chen von „vorbeugender Symbo- lik". Vielleicht steht diese Einstel- lung damit in Verbindung, daß in jener Zeit vielfach die Umstellung des Menschen vom Jäger, der das Wild aufsuchen mußte, zum Acker- bauern stattfand, der Nahrungsmit- tel „vorsorglich" selbst produzier- te. Zur Verdeutlichung der vorbeu- genden Symbolik dürfen wir eine Gegenüberstellung versuchen: In der römischen Epoche war die Re- ligion durch Dankessymbole ge- kennzeichnet: Wir kennen Tausen- de von Altären, auch nördlich der Alpen, an denen der Mensch den verschiedensten Göttern für die be- reits geleistete Hilfe, also „im nachhinein" Dank abstattet. Eine ganz andere Symbolik ergibt unse- re Deutung der Algunder Menhire:

Der riesenhafte Menhir 2 dirigierte alle Dolche und Beile — Symbole für die Gefahren der Umwelt — auf seinen breiten Körper, die gefährli- chen Werkzeuge reihen sich durch seine Macht und seinen Willen in einer zur Mittelachse gerichteten Ordnung an seinem Körper auf;

vorbeugend wendet er so die Ge- fahren für seine Schutzbefohlenen ab und nimmt sie auf sich. Dolche, Pfeile und andere spitze Gegen- stände gelten auch in der medizini- schen Symbolik als Gefahren, im Votivbrauchtum werden zum Bei- spiel Pfeile als Symbol für Infek- tionskrankheiten verwendet. Wenn unsere vorbeugende Medizin, die heute für uns Ärzte zu einem Hauptanliegen geworden ist, eines bildlichen Emblems bedürfte, unser Algunder Menhir 2 würde ein prachtvolles Sinnbild darstellen.

Unsere Zwiesprache mit den Al-

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„Arzt mit Patientin"

Wunderlich-Ausstellungen in Kiel und Duisburg

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON

„Arzt mit Patientin" heißt die hier als Schwarzweißabbildung vorge- stellte Farblithographie von Paul Wunderlich, mit vielen anderen Wunderlich-Lithographien der letz- ten vier Jahre bis zum 8. Dezember ausgestellt in der Kunsthalle zu Kiel, vom 12. Januar bis zum 9.

März 1975 in Wilhelm-Lehmbruck- Museum der Stadt Duisburg. Diese Ausstellungen sind nicht nur für die beiden Städte ein Ereignis von Rang; sie bieten allen, die einen Besuch in diesen Kunststätten er- möglichen können, einen außerge- wöhnlichen Überblick über bislang nicht zu überschauende Werkgrup- pen dieses Künstlers, der zu den wenigen zeitgenössischen deut- schen Malern und Graphikern zählt, die international anerkannt sind.

Die Ausstellungen zeigen lückenlos die graphischen Zyklen, die Radie- rungen 1948 bis 1974, die Lithogra-

phien von März 1971 bis Oktober 1974, das plastische Werk 1968 bis 1974. Der Leiter der Kunsthalle zu Kiel, Dr. Jens Christian Jensen, führt in dem (die Ausstellungen be- gleitenden) reichbebilderten Kata- log das Oeuvre-Verzeichnis der Li- thographien Wunderlichs weiter,

für das bis Anfang 1971 Dieter Brusberg (Hannover) verantwortlich zeichnete. Der Kieler Katalog ist al- so eine ansehnliche Fortsetzung der früheren von Dieter Brusberg teils im Eigenverlag, teils im Propyläen- Verlag herausgegebenen Oeuvre- Verzeichnisse Wunderlichs.

(Jens Christian Jensen: „Paul Wun- derlich — Die graphischen Zyklen

— Die Radierungen 1948-1974 — Die Lithographien von März 1971 bis Oktober 1974 — Das plastische Werk 1968-1974", Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1-7,

ktn. 16 DM.) hr

gunder Menhiren hat uns in eine bisher wenig bekannte Welt einge- führt, in die Welt der europäischen Megalithkultur, in die erste Kultur- epoche Europas. Schriftliche Über- lieferung fehlt völlig. Das erste Do- kument in rätischer Schrift, auf ei- nem Tierknochen eingeritzt, datiert viele Jahrhunderte später. Es ist als weiteres Prunkstück im Mera- ner Museum neben den Menhiren ausgestellt. Und trotz Fehlens schriftlicher Überlieferung war un- sere Zwiesprache mit den Menhi- ren so ergiebig, daß die Lücken in unserer Kenntnis der Prähistorie fast ganz verdeckt wurden. Wir hörten von Monumentalbauten, von phantastischen Ingenieurleistun- gen, von handwerklichem Können von Kupfergeräten und Kupfer- schmuck und von astrologischen Berechnungen; wir staunten über feierliche Prozessionen und über den öffentlichen Vollzug von Ritua- len in Kultstätten, in denen geheim- nisvoll der Menhir „herrscht"; wir lernten die Existenz von Vorstellun- gen kennen, für die bereits Be- zeichnungen wie „Weltanschau- ung" und „Religion" zutreffen könnten. Wir erfuhren, daß es sich um eine autochthon-europäische Kulturepoche handelt, korrigierten unsere Anschauung, der Mensch dieser prähistorischen Epoche sei ein um die nackte Existenz kämp- fendes Lebewesen und fanden staunend Hinweise auf staatliche und gesellschaftliche Ordnung.

Als Ärzte interessierte uns vor al- lem die vorbeugende Symbolik die- ser Monumente. Der Meraner Men- hir 2 könnte auch als der große Heilgott, als der präventiv tätige Arzt gleichsam, gedeutet werden, der Dolche und Beile, Symbole für Infektion und Krankheiten, mit sei- nem breiten Körper abfängt, um seine Gemeinde zu schützen. Wir laden Sie ein, die Zwiesprache mit den vier Algunder Menhiren im Me- raner Museum selbst zu führen und so den Dialog mit ihnen fortzuset- zen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. A. Schretzenmayr 89 Augsburg, Frohsinnstraße 2

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