A 1280 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 29–30|
21. Juli 2014MEDIZINSTUDIUM
Wissenschaftsrat empfiehlt Reform
Der Wissenschaftsrat hat auf Bitte der Länder die Modellstudiengänge Humanmedizin evaluiert. Sein Fazit: Viele Elemente sollten bundesweit übernommen werden.
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in Paradigmenwechsel steht an, sollten sich die jüngsten Vorschläge des Wissenschaftsrates bezüglich einer erneuten Reform des Medizinstudiums durchsetzen.Kompetenzbasierter, bundesweit ein - heitlicher, wissenschaftsorientierter und gestraffter soll die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten nach An- sicht des Beratergremiums der Poli- tik künftig werden.
Seine konkreten Empfehlungen zur künftigen Gestaltung des Medi- zinstudiums in Deutschland – bei denen er sich durch die neun existierenden Modellstudiengänge (eTa belle) in der Humanmedizin in- spirieren ließ – stellte der Wissen- schaftsrat im Anschluss an seine Sommersitzungen am 14. Juli in Berlin vor. Dabei sprach er sich deutlich für eine zeitnahe erneute Novellierung der Approbationsord- nung für Ärzte und eine Weiterent- wicklung des Kapazitätsrechts durch Länder und Bund aus.
Kern seiner Vorschläge ist eine Auflösung der klassischen Tren- nung von Vorklinik und Klinik.
Stattdessen sollen die theoretischen und klinischen Teile des Studiums generell verschränkt werden, wobei die klinischen Anteile im Laufe der
Ausbildung zunehmen sollen (Gra- fik). „Aufbauend auf den Erfahrun- gen der bestehenden Modellstudi- engänge halten wir eine konsequen- te Weiterentwicklung des Medizin- studiums in Richtung kompetenz- orientierter, integrierter Curricula für erforderlich“, erläuterte der Vor- sitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Dr. phil. Manfred Prenzel. Die Studieninhalte sollen vornehmlich in fächerübergreifenden, organ- und themenzentrierten Modulen vermit- telt werden. „Dabei sollen die Fä- cher für den adäquaten Umfang und die Integration der Studieninhalte verantwortlich bleiben“, betonte Prof. Dr. med. Hans-Jochen Heinze, Vorsitzender des Ausschusses Me- dizin beim Wissenschaftsrat. Kon- sequenter als bisher müsse es auch für die Studierenden möglich sein, individuelle Studienschwerpunkte zu setzen. Um das Studium nicht zu überfrachten, bedürfe es eines Kerncurriculums, verbunden mit ei- ner Reduktion der Prüfungsinhalte.
Zudem empfiehlt der Rat, auch die Staatsexamen an die Anforde- rungen der kompetenzbasierten und integrierten Curricula anzupassen.
„Aus Gründen der Qualitätssiche- rung und Vergleichbarkeit präferie-
ren wir eine bundeseinheitliche Zwischenprüfung (M1) nach dem sechsten Fachsemester“, erklärte Heinze. Diese soll um einen struk- turierten klinisch-praktischen Prü- fungsteil ergänzt werden, dessen Durchführung in Verantwortung der Fakultäten liegen kann. „Die münd- lich-praktischen Teile der Ärztli- chen Prüfungen bedürfen zudem zwingend einer stärkeren Standar- disierung“, meinte der zuständige Ausschussvorsitzende.
Kritik an Medical Schools Ferner will der Rat die wissen- schaftlichen Kompetenzen der an- gehenden Ärztinnen und Ärzte stär- ken. Dies stehe nicht im Wider- spruch zu einer versorgungsorien- tierten Ausbildung. „Ärztinnen und Ärzte müssen imstande sein, das eigene Handeln in den komplexer werdenden Versorgungssituationen hinsichtlich seiner Evidenzbasie- rung und vor dem Hintergrund neu- er medizinischer Erkenntnisse zu prüfen“, betonte Heinze. Wissen- schaftliches Denken und Handeln bilde die Grundlage für die adä - quate patientenorientierte Auswahl diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen.
Foto: dpa
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21. Juli 2014 GRAFIKStrukturmodell für das künftige Medizinstudium
heutiges Regelstudium vorgeschlagene Struktur
6.
5.
4.
3.
2.
1.
praktisches Jahr (3 Tertiale)
Klinik
Vorklinik
M3
M2
M1 6.
5.
4.
3.
2.
1.
praktisches Jahr (4 Quartale)
Klinische Medizin
Grundlagenmedizin Forschungsarbeit
Projektarbeit
individuelle Schwerpunkt- setzung + wissenschaftli- che Kompetenzen
M3neu
M2neu
M1neu
M1/M2/M3: Erster/Zweiter/Dritter Abschnitt der Ärztlichen Prüfung Quelle: Wissenschaftsrat
Der Etablierung privater Medical Schools mit fraglicher wissen- schaftlicher Ausbildung erteilte Heinze eine deutliche Absage: „Sie sind nicht ansatzweise in der Lage, dem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen. Es ist wirklich gefähr- lich und verheerend, was da auf uns zukommt“, sagte er. Der „Billig- Ausbildung“ von Ärzten müsse trotz eines Ärztemangels auf dem Land entgegengetreten werden.
Wissenschaftlichkeit stärken Da der obligatorische Erwerb wis- senschaftlicher Kompetenzen im Studium für den Rat eine notwendi- ge Voraussetzung ist, geht er mit seinen Empfehlungen sogar noch weiter: Alle Studierenden sollen künftig im Rahmen einer obligato- rischen Forschungsarbeit ein Pro- blem aus dem Gebiet der Medizin selbstständig nach wissenschaftli- chen Methoden bearbeiten. Konkret empfiehlt er nach der M1-Prüfung (6. Semester) die Durchführung ei- ner obligatorischen zwölfwöchigen Forschungsarbeit aus dem gesam- ten Spektrum der medizinischen Fächer. Zum Einüben der notwen- digen Grundlagen wissenschaftli- chen Arbeitens sollen die Studie- renden zudem bereits vor der M1-Prüfung eine vierwöchige Pro- jektarbeit anfertigen.
Reformieren möchte der Wissen- schaftsrat auch das praktische Jahr (PJ), und zwar durch eine Gliede- rung in vier Ausbildungsabschnitte zu je zwölf Wochen. „Diese Quar-
talsstruktur soll den Studierenden mit zwei Wahlquartalen – neben weiterhin verpflichtenden Ausbil- dungsabschnitten in Innerer Medi- zin und Chirurgie – eine größere Wahlfreiheit ermöglichen“, erklärte Heinze.
Die Bundesärztekammer begrüßt grundsätzlich die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu einer Re- form des Medizinstudiums. „Die Medizin ist ein hochdynamisches Feld mit ständig komplexer wer- denden Versorgungssituationen, die auch für die ärztliche Ausbildung große Herausforderungen darstel- len. Deshalb ist es gut, dass sich der Wissenschaftsrat intensiv mit der Weiterentwicklung des Medizinstu- diums befasst hat“, betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Mont- gomery. Insbesondere unterstützt er die Forderungen des Rates, die Stu- dieninhalte auf ein Kerncurriculum zu reduzieren und Möglichkeiten für individuelle Studienschwer- punkte zu schaffen. „Wichtig ist aber auch, den ärztlichen Nach- wuchs auf die praktischen Heraus- forderungen des Berufsalltags vor- zubereiten und frühzeitig in Kon- takt mit den Patienten zu bringen.
Daher begrüßen wir es sehr, dass auch der Wissenschaftsrat an einer sechsjährigen Studiendauer fest- hält“, betonte Montgomery.
Als ungeeignet sieht die Bundes- ärztekammer allerdings den Vor- schlag an, das praktische Jahr in vier Ausbildungsabschnitte zu un-
tergliedern. „Die hierdurch entste- henden größeren Wahlmöglichkei- ten wiegen die Nachteile nicht auf, insbesondere die dadurch verkürz- ten praktischen Ausbildungsphasen und den Organisationsaufwand“, erklärte Montgomery. Auch der diesjährige Deutsche Ärztetag hatte sich für die Beibehaltung von PJ- Tertialen ausgesprochen.
Der Medizinische Fakultätentag (MFT) begrüßt insbesondere die vom Wissenschaftsrat geforderte wissenschaftliche Ausrichtung des Medizinstudiums als Basis für eine künftige ärztliche Tätigkeit. „Fer- ner interpretiere ich die Empfehlun- gen des Rates so, dass ein einheitli- cher Standard der Ärzteausbildung gewünscht ist“, sagte MFT-Präsi- dent Prof. Dr. rer. nat. Heyo Kroe- mer dem Deutschen Ärzteblatt.
Die Empfehlungen des Wissen- schaftsrates decken sich auch mit einigen Forderungen der Medizin- studierenden. Die Bundesvertre- tung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) sprach sich jüngst in einem Positionspapier un- ter anderem dafür aus, die Struktur des Medizinstudiums bundesweit einheitlich zu regeln. Die Studie- renden wünschten sich eine stärkere wissenschaftliche Orientierung mit einer verpflichtenden wissenschaft- lichen Arbeit, sagte der bvmd-Prä- sident Christian Kraef.
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Thomas Gerst, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
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eTabelle im Internet:www.aerzteblatt.de/141280
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21. Juli 2014 A 3eTABELLE
Rahmendaten der aktuellen humanmedizinischen Modellstudiengänge
FS: Fachsemester. 1) Die Studierenden in Mannheim nehmen an der M1-Prüfung teil.
Quelle: Angaben der Medizinischen Fakultäten und ihrer Studienordnungen. Anzahl der Studienplätze laut Stiftung für Hochschulzulassung zuzüglich Studienplätze der Universität Witten/Herdecke Modellstudiengänge
Medizin (MSM) Aachen Berlin Düsseldorf Hamburg Hannover Köln Mannheim
Oldenburg Witten/Herdecke
Start des MSM zum WS 2003/2004 WS 2010/2011 WS 2013/2014 WS 2012/2013 WS 2005/2006 WS 2003/2004 WS 2006/2007
WS 2012/2013 SS 2000
MSM-Typus
Verzicht auf M1 Verzicht auf M1 Verzicht auf M1 Verzicht auf M1 Verzicht auf M1 Verzicht auf M1 Neue Konzeption
des PJ Verzicht auf M1 Verzicht auf M1
M1-Äquivalenz nach 6. FS 6. FS 6. FS 5. FS 4. FS 4. FS
- 1)
6. FS 4. FS
Studienplätze im Studienjahr 2013
281 644 403 380 270 376 204
40 84