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Archiv "Schädigender Alkoholkonsum" (18.10.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 42

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18. Oktober 2013 701

M E D I Z I N

EDITORIAL

Schädigender Alkoholkonsum

Die evidenzbasierte Präventionsstrategie der WHO kann Abhilfe schaffen.

Derik Hermann, Falk Kiefer

Editorial zu den Beiträgen:

„Diagnose des Fetalen Alkoholsyndroms“

von Mirjam N.

Landgraf et al.

und

„Alkoholbezogene Aggression:

Soziale und neurobiologische

Faktoren“

von Anne Beck und Andreas Heinz auf den folgenden

Seiten

ziell vermeidbar. Etwa 40 % dieser Gewalttaten werden innerhalb der Familie oder des Bekanntenkreises be- gangen (Bundesministerium des Innern 2012, [3]).

Als Ursache von aggressivem Verhalten unter Alko- holeinfluss beschreiben Beck und Heinz (2) insbeson- dere kognitive alkoholassoziierte Veränderungen, wie zum Beispiel

verminderte Verhaltenskontrolle

reduzierte Hemmung aggressiver Impulse

Tendenz, soziale Interaktionen unter Alkoholein- fluss als feindselig aufzufassen.

An biologischen Risikofaktoren konnten bestimmte genetische Varianten des serotonergen Systems identi- fiziert werden, die insbesondere in Kombination mit sozialer Vernachlässigung in der frühen Kindheit wirk- sam werden. Opfer sozialer Vernachlässigung könnten damit als Erwachsene unter Alkoholeinfluss ein höhe- res Risiko tragen, selbst zu „Tätern“ zu werden.

Dennoch: Die erhöhten Zahlen von Gewalt bei Alko- holabhängigen gehen bei dauerhafter Alkoholabstinenz auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung zurück. Es sind also nicht persistierende Charakter- oder Persön- lichkeitszüge, sondern die direkten Effekte des Alko- holkonsums, die eine höhere Prävalenz von Gewalt bei Alkoholabhängigen bedingen.

Therapiemöglichkeiten

Beck und Heinz schlagen psychotherapeutische Inter- ventionen in Form kognitiver Trainingsprogramme vor, in denen die Fähigkeit zur Verhaltenskontrolle, die so- ziale Kompetenz und die Fähigkeit zum Belohnungs- aufschub verbessert werden soll. Auf pharmakologi- scher Ebene werden jene Antidepressiva genannt, die durch eine Erhöhung der Serotoninkonzentration nega- tive Emotionen reduzieren, „gelassener“ machen und so aggressives Verhalten verringern.

Die Entwicklung von Therapieprogrammen zur Re- duktion von alkoholbezogener Aggression befindet sich jedoch noch in den Anfängen, und es fehlen, eben- so wie für die Pharmakotherapie, kontrollierte Studien mit entsprechendem Behandlungsziel. Die Entwick- lung und Evaluation dieser Behandlungsansätze voran- zutreiben, ist wichtig, wird aber Zeit kosten und im Hinblick auf die begrenzte Wirkstärke von Psychothe- rapie und Antidepressiva das Problem nicht vollständig lösen. Viel effektiver sind hingegen Ansätze, den Alko- holkonsum innerhalb der Gesamtgesellschaft zu redu- zieren.

E

s gerät leicht aus dem Blickfeld, wie vielfältig die individuellen und gesellschaftlichen Folgen des Alkoholkonsums sind. In der Allgemeinbevölkerung ist vor allem die schädliche Wirkung von Alkohol auf die Leber gegenwärtig. Weitere Folgen des hohen Alkohol- konsums – wie zum Beispiel gastrointestinale Blutung, Pankreatitis, Anämie, kardiale Arrhythmie, Kardiomyo- pathie, Polyneuropathie, Depression und Angsterkran- kung, Unfälle und nicht zuletzt maligne Erkrankungen – sind weniger geläufig, aber aufgrund ihrer Häufigkeit von hoher Bedeutung für unser Gesundheitssystem.

Zwei weitere oft vernachlässigte Folgen des Alkohol- konsums werden in dieser Ausgabe des Deutschen Ärz- teblatts aufgegriffen: das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) (1) und die alkoholbezogene Aggression (2).

Fetales Alkoholsyndrom

Ziel der hier vorgestellten klinischen Leitlinie (1) ist es, frühzeitig eine Diagnosestellung des FAS auf Grundlage evidenzbasierter Kriterien zu ermöglichen, um den be- troffenen Kindern wiederum möglichst frühzeitig eine optimale Förderung zukommen lassen zu können. Für die Diagnose des FAS ist die Bestätigung der intrauteri - nen Alkoholexposition nicht notwendig. Erste Anhalts- punkte in der Kindheit sind faziale Auffälligkeiten und Wachstumsverzögerungen, bei Jugendlichen sind es Ver- haltensauffälligkeiten oder neuropsychologische Defizi- te. Für die detaillierte Diagnostik wurde von der Leitlini- engruppe ein praktischer „Pocket Guide FAS“ erstellt.

Ein wichtiger, im Artikel von Landgraf et al. (1) zu- dem gewürdigter Aspekt ist die Prävention von FAS.

Derzeit kann keine Alkoholmenge angegeben werden, die für das ungeborene Kind als ungefährlich zu be- zeichnen ist. Damit müssen Sie als Ärztin/Arzt auf die Frage, ob denn mit einem Glas Sekt auf die Schwanger- schaft angestoßen werden darf, mit einem klaren

„NEIN“ antworten. Andere Länder, wie zum Beispiel Frankreich, haben alkoholhaltige Getränke bereits mit Warnhinweisen für Schwangere versehen, ein entspre- chendes Gesetz scheiterte jedoch 2010 knapp im EU- Parlament. Auch in Deutschland liefen entsprechende Initiativen bisher ins Leere.

Alkoholbezogene Aggression

Das Thema „alkoholbezogene Aggression“ ist gesell- schaftlich sehr relevant. Etwa ein Drittel der Gewaltta- ten in Deutschland, knapp 50 000 Fälle pro Jahr, ge- schieht unter Alkoholeinfluss und wäre damit poten-

Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg und Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten, Klinikum Stuttgart:

Prof. (apl.) Dr. med.

Hermann Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg:

Prof. Dr. med. Kiefer

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18. Oktober 2013

M E D I Z I N

Prävention

Lange wurde behauptet, effektive Präventionsstrate- gien mit dem Ziel einer Reduktion des Alkoholkon- sums innerhalb der Gesamtgesellschaft ließen sich po- litisch nicht durchsetzen, zu viele wirtschaftliche Inte- ressen sprächen dagegen und die Bevölkerung würde politische Interventionen bei der nächsten Wahl abstra- fen. Der Erfolg der EU-weiten Strategie zur Reduktion des Tabakkonsums scheint das Gegenteil zu beweisen.

Die EU-weite Einführung von Nichtraucher-Schutz- maßnahmen, Rauchverboten in Restaurants und öf- fentlichen Gebäuden, Restriktionen für Zigaretten - automaten und Preiserhöhungen haben bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht. Erinnerungen an Zigaretten- rauch in Kinos, Flugzeugen, der Bahn oder auf Ämtern wirken wie Bilder aus einer „grauen“ Vergangenheit.

Und auch in Bezug auf Alkohol hat die Gesellschaft sich schon deutlich gewandelt: Bei Festen und Feiern ist es längst üblich, alkoholfreie Getränke zu konsu- mieren, ohne sich hierfür rechtfertigen zu müssen.

Genau zum richtigen Zeitpunkt wurde daher mit der „Global strategy to reduce the harmful use of al- cohol“ von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (4, 5) eine evidenzbasierte Initiative publiziert, die ausgereifte Ratschläge, an die Suchtpolitik gerichtet, enthält. Diese Empfehlungen für Politiker enthalten zehn Zielbereiche, die effektiv die negativen Folgen von Alkohol reduzieren können, ohne mit erhobenem Zeigefinger den Abstinenz-Apostel geben zu müs- sen. Die Zielbereiche umfassen:

Führungsverhalten, Sensibilisierung und Enga- gement (Aufbau einer politischen Infrastruktur einer nationalen Alkoholstrategie)

Handeln auf kommunaler Ebene (Kampagnen in lokalen Krankenhäusern, Gaststätten und bei öffentlichen Veranstaltungen )

Öffentliches Gesundheitswesen (Früherken- nung und Behandlung von riskantem Alkohol- konsum)

Strategien zu Trunkenheit am Steuer (Informie- ren und evidenzbasierte Strategien umsetzen)

Verfügbarkeit von Alkohol reduzieren (räumli- che, zeitliche und mengenmäßige Einschrän- kungen )

Alkoholwerbung- und marketing (klare und ef- fektive Regulierung, am besten EU-weites Ver- bot wie für Tabak)

Alkoholpreise (Preiserhöhungen reduzieren ef- fektiv den Konsum, zum Beispiel Mindeststeu- er pro Gramm Alkohol)

Vermeidung negativer Konsequenzen des Alko- holrausches (Ausschank an bereits Betrunkene verhinden, Mitarbeiter von Bars und Kneipen schulen)

nicht registrierter Alkohol („Schwarz“-Brennen von Alkohol erfassen und verfolgen)

Monitoring und Berichterstattung (um Erfolge der Strategie prüfen und gegebenenfalls korri- gieren zu können).

Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol, der Genuss ermöglicht, aber die negati- ven Folgen reduziert. Sollten nicht alleine die Kon- sequenzen des fetalen Alkoholsyndroms und der Al- koholbezogenen Gewalt (siehe folgende Seiten) bes- te Gründe sein, eine Umsetzung in Angriff zu neh- men?

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

LITERATUR

1. Landgraf MN, Nothacker M, Kopp IB, Heinen F: Clinical practice guideline: The diagnosis of fetal alcohol syndrome. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(42): 703–10.

2. Beck A, Heinz A: Alcohol-related aggression—social and neurobio- logical factors. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(42): 711–5.

3. Bundesministerium des Innern: Polizeiliche Kriminalstatistik 2012:

www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/

2013/PKS2012.pdf?__blob=publicationFile. Last accessed on 3 October 2012.

4. World Health Organisation: Global strategy to reduce the harmful use of alcohol. WHO 2010. www.who.int/substance_abuse/alcstra tenglishfinal.pdf. Last accessed on 3 October 2012.

5. Anderson P: WHO-Strategie zur Reduktion des schädlichen Alkohol- konsums: Folgerungen für die Alkoholpolitik [Policy implications of the WHO Strategy to reduce the harmful use of alcohol]. Sucht 2011; 57: 85–98.

Anschrift für die Verfasser Prof. (apl.) Dr. med. Derik Hermann Prof. Dr. med. Falk Kiefer

Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Medizinische Fakultät Mannheim Universität Heidelberg 68159 Mannheim

Englischer Titel: Damaging Alcohol Consumption—Evidence Bas ed Prevention on the WHO Model Can Help

Zitierweise

Hermann D, Kiefer F: Damaging alcohol consumption—evidence based prevention on the WHO model can help. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(42): 701–2.

DOI: 10.3238/arztebl.2013.0701

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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