• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Auszüge aus Presse-Kommentaren" (12.06.1975)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Auszüge aus Presse-Kommentaren" (12.06.1975)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Information:

Bericht und Meinung

Die Presse über den 78. Deutschen Ärztetag

Auch in diesem Jahr zeigte sich, daß eine Reihe „ungeplanter The- men" in der Presse ganz besonders gut angekommen sind. Es handelt sich auch diesmal wieder um Ent- schließungen zu publikumsnahen, abgeschlossenen Themenkreisen, die, weil überschaubar, sich in ei- nem Bericht besonders gut verar- beiten lassen. So haben ungewöhn- lich großes Interesse gefunden die Aussagen zur Überforderung von Schulkindern (basierend auf einer Ausarbeitung des Wissenschaftli- chen Beirates der Bundesärzte- kammer) und zu den Raucherzim- mern in Schulen. Gut angekommen ist ferner der Appell des Ärzteta- ges zum Thema „Verpflichtung zu Hausbesuchen". Vor allem aber in- teressierte die Presse ein Vorgang, der den Ärztetag selbst gar nicht beschäftigt hat, nämlich das Vorha- ben des Wissenschaftlichen Beira- tes der Bundesärztekammer — ebenfalls ungeplant informell vor- gestellt in einer Pressekonferenz zu Beginn des Ärztetages — in einem Modell ein Vorsorge-Programm ge- gen Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erproben.

Aus der hohen Bewertung des unvorhergesehenen „Randstoffes"

(Randstoff, gemessen an der offi- ziellen Tagesordnung) ergibt sich dies: die Presse erwartet ganz of- fensichtlich, daß der Ärztetag sich nicht nur mit sozial- und gesund- heitspolitischen Themen, sondern auch mit ärztlich-medizinischen

Fragen beschäftigt.

Bei einer Gesamtwertung ist auch in diesem Jahr nicht zu übersehen, daß natürlich die Ausführungen von Bundesgesundheitsminister Frau Focke in der Öffentlichen Kundge- bung besonders ausführlich zitiert wurden — ausführlicher jedenfalls, als es in Relation zu den Beratun- gen des Ärztetages steht. Das ist halt so, wenn Ministerworte auf

„Verbandsveranstaltungen" (wie der Ärztetag von einer Reihe von Zeitungen noch gelegentlich apo- strophiert wird) fallen. Ungewöhn- lich dagegen war das Aufmerken gegenüber einem Grußwort von HerbertWehner. Der SPD-Fraktions-

chef, der sich mit Angabe guter Gründe dezidiert gegen die ambu- lante Diagnostik und Nachbehand- lung im Krankenhaus aussprach, zeigte, wie man selbst mit Gruß- worten Politik machen kann — und viele Kommentatoren haben den politischen Gehalt sehr aufmerksam vermerkt.

Zahlreiche Kommentatoren ver- suchten nach dem Ärztetag eine grundsätzliche Wertung der Aussa- gen und Beschlüsse. Typische Aus- züge daraus sind in der folgenden Dokumentation wiedergegeben. Es liegt keineswegs an der Auswahl, wenn die hier zitierten Kommenta-

re so ausführlich und immer wieder auf die Kostenentwicklung im Ge- sundheitswesen eingehen. Das war tatsächlich der allgemeine Tenor in der Presse. Und ebenfalls weit ver- breitete sich Kritik daran, daß sich der Ärztetag nur beiläufig mit die- ser Frage beschäftigt habe. Frau Minister Focke und Staatssekretär Wolters kreideten dies ja ebenfalls

Lektion gelernt

Den Ärzten weht der Wind ins Ge- sicht, wurde vor diesem Ärztetag konstatiert. Aber es ist doch festzu- stellen, daß die Vertreter der ärztli- chen Standesorganisationen einige Lektionen gelernt haben. Vor drei Jahren in Westerland auf Sylt meinte die Mehrheit noch durch lautstarkes Pochen auf ange- stammte Privilegien wichtige Re- formmaßnahmen abblocken zu können. Diese alte, rein defensive Strategie wird jedoch mehr und mehr verlassen. Dafür ist ein Satz von Muschallik kennzeichnend, der in seinem Referat über die Novel- lierung der Reichsversicherungs- ordnung ausdrücklich betonte, wenn man die heutige Stellung des ärztlichen Berufes „im Interesse ei- nes modernen und menschlichen Gesundheitswesens" erhalten wol- le, so müßten die Ärzte selbst Akti-

dem Ärztetag an. Man mag darüber streiten, ob nun die Politiker die Presse anregten oder ob die Zei- tungskommentare den Politikern willkommene Argumente lieferten.

Beide hatten offenbar vergessen, daß lange vor einer weiteren, öf- fentlichen Diskussion dieses The- mas bereits der vorige Ärztetag (1974 in Berlin) in den „Gesund- heits- und sozialpolitischen Vor- stellungen der deutschen Ärzte- schaft" (Blaues Papier) grundle- gende Ausführungen auch zur Ko- stenentwicklung im Gesundheitswe- sen gemacht hatte.

Damit nicht jährlich nachdeklamiert werden muß, sollten (interessierte) Politiker und Journalisten das

„Blaue Papier" von 1974 auch nachträglich noch anfordern bei der

Pressestelle der deutschen Ärzteschaft

5023 Köln-Lövenich Dieselstraße 2 NJ

vitäten entwickeln. Diese neue Ton- art steht nicht im luftleeren Raum.

Das vor einigen Jahren gegründete Zentralinstitut für die kassenärztli- che Versorgung hat zunächst eini- ge Initiativen entwickelt, die durch- aus im Sinne einer Vorwärtsstrate- gie zu sehen sind. Durch reine Agi- tation über offensichtliche Mißstän- de im Gesundheitswesen wird nichts gebessert. Die Diskussion über verschiedene Reformmodelle in den letzten Jahren hat deutlich gemacht, daß es auch hier keine Patentlösungen gibt, sondern daß um jede einzelne konkrete Verbes- serung hart gerungen werden muß.

Jetzt ist endlich erkannt worden, daß nicht pauschal gesagt werden kann, „für die Gesundheit ist uns nichts zu teuer". Die Kostenent- wicklung im Gesundheitswesen dämmt den Wildwuchs an unnöti- gern „Medizinkonsum" ein und führt das vielfach zum „Medizinbe-

Auszüge aus Presse-Kommentaren

1812 Heft 24 vom 12.Juni 1975 DEUTSCHES ÄRZTE BLATT

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

trieb" entartete Gesundheitswesen wieder auf eine Basis der Vernunft zurück. (Nürnberger Nachrichten)

Mehr Bescheidenheit!

Durch den ganzen Ärztetag lief wie ein roter Faden der Aufruf zur Be- scheidenheit und zum Umdenken.

Ein Aufruf nicht an die Ärzte frei- lich, sondern an die Versicherten.

Hans Wolf Muschallik warnte davor, die soziale Krankenversicherung fälschlicherweise als eine Einrich- tung anzusehen, aus der man je nach Gutdünken alles herausholen kann, weil man ja wohl Beiträge eingezahlt hat. Wie wahr! Aber macht sich der Arzt nicht zum Erfül- lungsgehilfen solchen Denkens, wenn er den Erwartungen der Pa- tienten entsprechend in wachsen- der Menge Medikamente verordnet

— häufig genug nur gegen Sym- ptome —, anstatt die Ursache zu behandeln?

... In das Kapitel Bescheidenheit gehört ebenfalls, wenn auch in an- derer Weise, das immer noch als Ausnahme zugelassene Recht der Krankenhauschefärzte zur Privatli- quidation und das der niedergelas- senen Ärzte zur Preisgestaltung nach Ermessen bei Privatpatienten.

Es zählt nicht zu den Gebräuchen eines seriösen Kaufmannes, die gleiche Ware nach Gutdünken zu verschiedenen Preisen zu verkau- fen. In das Kapitel gehören ferner Neuverteilung der Krankenhausbet- ten nach dem tatsächlichen Bedarf und Berechnung der Pflegesätze nach dem tatsächlichen Aufwand.

Liberale Gesundheitspolitik sollte neben anderem auch diese Forde- rungen an den Kriterien der Selbst- verantwortung messen: Solidarität und Sozialbindung von Patienten und Ärzten. (Frankfurter Rund- schau)

„Spartanische Diagnose"

Die sehr spartanische Diagnose des Ärztetages, daß die Erwar- tungshorizonte der Verbraucher in- zwischen zu hoch sind, daß der

Medizinbetrieb teilweise einem Selbstbedienungsladen gleicht und daß die Ursache der meisten Zeit- krankheiten im übersteigerten Kon- sum von Genußmitteln liegt, wird den Doktoren in der Öffentlichkeit noch viel Ärger einbringen. Denn diese Medizin, auf deren Etikett Selbstdisziplin und Selbsterkennt- nis stehen, wird bitter schmecken und voraussichtlich spät wirken. Es wird eine Schimpfkanonade los- brechen gegen die Ärzteschaft, und viele werden sie der sozialen Demontage beschuldigen ... Die Ärzte haben kräftig Bescheid ge- sagt. Sie stehen aber, wie sie in manchen Anträgen und Beschlüs- sen einräumen, auch selbst vor manchen Schattenseiten im eige- nen Haus. Ein Schmerzensgeld bleibt die problematische Zusam- menarbeit zwischen Krankenhaus und freier Praxis. Die technischen Apparaturen in den freien Praxen sind noch nicht wünschenswert aus- gelastet, die Kooperation im außer- klinischen Raum bleibt zu verbes- sern. Die Ärzte, die der Öffentlich- keit asketische Arznei verordnen, kommen nicht darum herum, sie auch selbst zu nehmen. (Kölnische Rundschau)

Klima verändert

Der 78. Deutsche Ärztetag hat ei- nen neuen Beweis für die alte Er- fahrung geliefert, daß Kraft nichts mit Krach zu tun hat. Die voraufge- gangenen Versammlungen 1974 in Berlin und 1973 in München hatten Schlagzeilen gemacht, weil zum er- stenmal — öffentlich sichtbar — die innerärztliche Opposition die Stan- desführung in Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereini- gung und den vielerlei Mediziner- verbänden in Frage gestellt hatte.

München und Berlin haben das Kli- ma verändert, sie haben aber an der Stellung der Ärzteschaft im Ge- sundheitswesen nichts geändert.

Hamburg war anders. Es gab zwar einige wenige kritische Ärzte in der Versammlung, und vor den Toren des Congress Centrums erschie- nen aus Berlin und Frankfurt ein- geflogene Jungmediziner, um ih-

rem Unmut über das ärztliche Esta- blishment Luft zu machen. Aber der Ärztetag absolvierte unberührt und ungestört sein Programm — konziliant im Ton, jedoch hart in der Sache, härter als je zuvor.

... Der Deutsche Ärztetag hat in Hamburg den Repräsentanten des Staates die Stirn gezeigt. Ärzte- kammerpräsident Hans Joachim Sewering hat im Namen seiner Kol- legen festgestellt, das Problem sei gar kein Problem: Wo es Schwie- rigkeiten bei der Besetzung von Arztpraxen gebe — das sei äußerst selten der Fall —, werde man ohne Eingriffe von außen mit ihnen fer- tig. Aber die Ärzteschaft arbeitet mit der eigenen Statistik ... Die bayerischen Krankenkassen und neuerdings auch die niedersächsi- schen warten mit anderen Zahlen auf ... Bundesregierung und Bun- desrat halten dies nicht für Baga- tellen. Sie wollen Bedarfspläne ein- führen und notfalls, wenn nichts anderes hilft, Zulassungssperren für Kassenärzte dort erwirken, wo es schon mehr als genug gibt. Das steht in den Gesetzentwürfen, und damit ist die Reform des Kassen- arztrechts aus der Phase unver- bindlicher Gespräche in die direkte Konfrontation von Staat und Ärzte- schaft gewechselt. Die Antwort des Ärztetages entsprach den Erwar- tungen: Man sei zur Mitarbeit an der Gesetzgebung bereit, müsse aber darauf bestehen, die Dinge in eigener Regie regeln zu können.

(Deutsches Allgemeines Sonntags- blatt)

Auseinandersetzung mit den Ideologen nötig

So gut es sicherlich die Mediziner mit ihrem Verteidigungskampf für die zentrale Stellung des Einzel- menschen im Gesundheitswesen meinen, über die Systemüberwin- der mit ihren kollektiven Ideen sie- gen können sie nur, wenn sie jeden Patienten täglich überzeugen, daß er von seinem Hausarzt besser ver- sorgt ist als von jedem denkbaren Ambulatorium. Sonst wären die Ärzte möglicherweise eines Tages Generäle ohne Truppe. Allein

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 12.Juni 1975 1813

(3)

Die Information:

Bericht und Meinung

Die Presse über den 78. Deutschen Ärztetag

kämpften sie auf fast verlorenem Posten. Ob es dem einzelnen Arzt paßt oder nicht, der in Gang gehal- tenen Auseinandersetzung über das bessere Gesundheitssystem kann sich keiner entziehen. Trotz aller Anstrengungen einzelner blieb es aber auf dem Hamburger Ärztetag bisher ein Nebenthema.

Ob das in einer Zeit reicht, in der nicht nur die Jungsozialisten und Jungdemokraten mit perfekten Re- zepten aufwarten, sondern auch die politischen Parteien ihre ge- sundheitspolitischen Programme im Hinblick auf die nächstjährige Bundestagswahl formulieren? Nie- mand sollte sich täuschen, daß ge- rade mit der Gesundheitspolitik endgültige Verhältnisse geschaffen werden können. Die „APO-Ärzte"

behaupten, es sei ihre „verdammte Pflicht" ... Pflicht aller Vernünfti- gen ist es, sich keine „Reformen"

zum Schaden der Patienten auf- schwatzen zu lassen. (Rheinische Post)

Strenge Kontrolle der Ausgaben

Das Gesundheitswesen muß auf den Prüfstand der Effizienz, und zwar ohne Rücksicht auf eventuelle Einbußen. Jeder Krankenhausarzt weiß, wieviel Leerlauf in den Klini- ken existiert und bezahlt werden muß, jeder kennt die in der freien Praxis und im Krankenhaus mehr- fach wiederholte Diagnostik für denselben Patienten. Eine viel strengere Kontrolle der Geldausga- ben ist dringend geboten, und hier sind es vor allem die Krankenkas- sen, die endlich einmal zeigen müßten, daß sie die Anwälte der Versicherten sind. Sobald ihnen dieser erste Schritt gelungen ist, wird auch der zweite Schritt mög- lich sein: die Versicherten zu grö- ßerer Eigenverantwortlichkeit ge- genüber ihrer Gesundheit zu erzie- len. Die Parole der Kassen kann nicht mehr lauten, mit jedem Weh- wehchen zum Arzt zu laufen, son- dern sie muß darauf abzielen, den einzelnen und die Familie zu einer vernünftigen Lebensführung zu be- wegen. (Hamburger Abendblatt)

Wirtschaftliche Aspekte stärker berücksichtigen

Die Gesellschaft in der Bundesre- publik hat während der letzten Jah- re einen Punkt erreicht, wo nicht nur die heilende und helfende Tä- tigkeit des Arztes ihres Mythos und des überflüssigen Teiles ihres Ethos entkleidet wird. Diese Ge- sellschaft schickt sich auch an, of- fen darüber zu sprechen, ob bei der ärztlichen Tätigkeit Leistung und Gegenleistung das richtige Verhältnis zueinander haben oder, einfacher gesagt, ob die ärztliche Arbeit nicht in vielen Fällen zu hoch bezahlt wird. Auf diese erst beginnende Diskussion haben die Verbände der Ärzte bisher so rea- giert, daß die Kritiker aus den eige- nen Reihen und von außerhalb eher in der Meinung bestärkt wur- den, hier sei etwas nicht in Ord- nung. Wer nämlich auf der einen Seite so tut, als sei es unfein, über Geld zu sprechen, und die Einkom- men seiner Mitglieder als tabu an- sieht und auf der anderen Seite das schlechte Gewissen nicht zu verbergen mag, der wird derartige Diskussionen nicht bestehen kön- nen ... Auch der jetzt bei den Or- ganisationen der Ärzte in Mode ge- kommene Hinweis auf noch stärker gestiegene Kosten für den Kran- kenhausaufenthalt hilft nicht wei- ter. Schließlich sprechen die Ärzte- kammern nicht nur für die frei- praktizierenden Ärzte, sondern ebenfalls für die an den Kranken- häusern tätigen. Und was dort die Kosten und den Personalaufwand angeht, so ergeben sich ebenfalls Tatbestände, die es erfordern, die Arbeit der Ärzte nicht nur unter fachlichen und vielleicht ethischen, sondern auch unter wirtschaftli- chen Gesichtspunkten zu betrach- ten. (Stuttgarter Zeitung)

In der Defensive

Die Ärzteschaft hängt am heutigen Gesundheitssystem, der kleine Kreis linksorientierter Kranken- hausärzte ausgenommen. Das ist verständlich, denn dieses System gibt den Ärzten die volle Freiheit

der Berufsausübung und die Ge- wißheit guter Einkommen. Den Pa- tienten kann dies recht sein; der unabhängige Arzt ist für ihn der beste Schutz gegen jede Bevor- mundung vom Staat oder von den gesellschaftlichen Gruppen. Aber dieses System muß finanzierbar bleiben. Das setzt behutsame Kor- rekturen voraus, an denen die Ärzte mitwirken sollten. Wenn der finan- zielle Kollaps droht, wird der Staat intervenieren. Dann wäre es zu spät. Aber auf dem Ärztetag ist die Frage, wie denn der Kostenanstieg zu bremsen sei, fast völlig ausge- klammert worden. Die Ärzte operie- ren defensiv ... Zu erklären ist diese Haltung, aber sie ist falsch und verzögert selbst Veränderun- gen, die im wohlverstandenen In- teresse der Ärzte lägen. (Frankfur- ter Allgemeine)

Kostenlawine stoppen

Die Zeiten, wo man Kosten und Einkommen sorglos in den Himmel wachsen lassen konnte, sind auch für die Ärzteschaft vorbei. Wenn sie nicht ernsthaft mitarbeitet, um die Kostenlawine zu stoppen, dann wird der Wind, der ihr heute schon ins Gesicht bläst, stärker werden.

Es soll ja einige Funktionäre ge- ben, die hinter der vorgehaltenen Hand erklären, daß die Kostenlawi- ne unser ganzes Sozialsystem in Gefahr bringt. Warum sagen sie das nicht einmal öffentlich in Ham- burg, vor dem Ärztetag? (Neue Ruhr-Zeitung)

Medizinmänner aus dem ideologischen Busch

Wo immer Ärzte zusammenkom- men, um über eine sinnvolle Re- form des deutschen Gesundheits- wesens zu diskutieren, mangelt es nicht an Auftritten von Medizinmän- nern aus dem ideologischen Busch. Sie fordern lautstark die Anwendung ihrer sozialistischen Mixturen und verhindern so voll- ends die ohnehin nicht übermäßige Kompromißbereitschaft der Ärzte.

Nicht anders geschah es auf dem

1814 Heft 24 vom 12.Juni 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Die Information:

Bericht und Meinung

Vernebeltes Panorama

Der Ärztetag im Spiegel zweier Fernseh-Magazine Hamburger Ärztetag. Hier waren es

die Jungsozialisten, die zeigten, daß sie von Gesundheitspolitik nichts verstehen oder nichts ver- stehen wollen ... Kritik gab's auch aus den Reihen der Mediziner ...

Diese medizinische APO ist nicht groß; sie besteht aus rund 200 jungen Krankenhausärzten, die nachgewiesen aus revolutionären Studentenbewegungen stammen und nun in der Praxis sehen, daß ihrem ideologischen Höhenflug ein harter ... Bereitschaftsdienst im Wege steht. Immerhin gelang es ihnen in Hamburg, die Furcht der Ärzte vor einem sozialistischen Ge- sundheitswesen neu zu beleben;

was die Solidarität der Mediziner verstärkte, auch nur den geringsten Versuch des Staates, in die freie Ärzteschaft hineinzuregieren, ent- schieden abzulehnen. (Münchner Merkur)

Schlüsselstellung der Ärzte

Es war die Bundesgesundheitsmi- nisterin, die auf dem Deutschen Ärztetag in Hamburg daran erin- nern mußte, daß die Ärzte eine Schlüsselstellung bei der Entschei- dung darüber haben, welche Ko- sten im Gesundheitswesen entste- hen. Durch ihre Verordnungen, Un- tersuchungen und Krankenhaus- einweisungen befinden sie, eine bare Selbstverständlichkeit, regel- mäßig nicht nur über medizinische Verrichtungen, sondern auch über finanziellen Aufwand. Der Ärztetag selbst hat indessen zum allgemei- nen Bedauern keine Lösung für das Problem der Kostenexplosion beigetragen. Er war hauptsächlich beschäftigt mit der Wahrung und Abrundung ärztlicher Besitzstände.

Die niedergelassenen Ärzte wollen sich mehr an stationärer Behand- lung von Patienten beteiligen, die Krankenhausärzte mehr an der am- bulanten Versorgung. Man fand sich in einem Kompromiß. Im übri- gen entzog sich der Ärztetag einer Stellungnahme zum aktuellen Zen- tralthema, der Ausuferung der

Kosten bei gleichzeitigem Steigen der Morbidität. (Die Welt)

Für den Fernsehzuschauer, der sich mit Hilfe der großen Magazin- sendungen wie „Panorama" und

„ZDF-Magazin" über den 78. Deut- schen Ärztetag informieren wollte, muß sich ein merkwürdiges Bild ergeben haben — und ein bemer- kenswert schlechter Informations- stand.

Gesundheitspolitik ins Fernsehbild

„umzusetzen" ist schon schwer;

und dann kommt noch das Pro- blem der „politischen Ausgewo- genheit" hinzu. Mancher hält es für richtig, innerhalb einer Sendung die Zeit gleichmäßig aufzuteilen:

zwei Minuten für die offizielle Be- rufsvertretung, zwei Minuten für

„die Opposition" — und schon ha- ben wir ein Zerrbild.

Andere sagen, die Ausgewogenheit müsse sich über einen längeren Zeitraum hinweg ergeben, und ge- rade hier liege die Aufgabe der Fernseh-Magazine: sie sollen „ver- tiefen", was die Nachrichten nur andeuten können; sie sollen dieje- nigen zu Worte kommen lassen, die sonst „hinten herunter fallen".

Und so nahm „Panorama" sich vor, gar nicht erst über den Deutschen Ärztetag zu berichten, sondern ein- fach nur über „Die Opposition auf

dem Deutschen Ärztetag"

Damit rechtfertigt sich der Vorsatz der bewußten Einseitigkeit, des Agitierens. Wobei sich die Agita- tion in bemerkenswerter Weise nicht nur gegen die demokrati- schen Organe der verfaßten deut- ,

schen Ärzteschaft, die Bundesärz- tekammer und den Deutschen Ärz- tetag, richtete, sondern auch ge- gen den Bundestag und die Bun- desregierung, insbesondere gegen den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herbert Wehner, und gegen den Bundesgesundheitsminister, Frau Dr. Katharina Focke.

Tatsache ist doch, daß der laut

„Panorama" nur „lose Zusammen- schluß oppositioneller Ärzte" mit vier Berliner Delegierten auf dem Ärztetag vertreten war, die es aber weder dort noch bei Veranstaltun- gen außerhalb des Ärztetages, noch auch in „Panorama" fertigbrach- ten, zu Sachfragen klare oppositio- nelle Meinungen zu artikulieren. Ei- nig scheint sich diese linksextreme Gruppe lediglich darin, daß sie ge- gen alle im Gesundheitswesen in der Bundesrepublik tätigen demo- kratischen Gremien ist und daß sie es genießt, sich von den ständig auf der Suche nach Skandalen be- griffenen Massenmedien zu einer

„Ärzteopposition" hochstilisieren zu lassen.

Allerdings wollte es Dagobert Lind- lau, von dem dieser Bericht für

„Panorama" stammte, damit nicht bewenden lassen. Er „konstatierte"

erst einmal, die Ärztefunktionäre hätten sich „durch ihre Versäum- nisse" diskreditiert, ohne dies nä- her zu erklären. Er behauptete so- dann, Frau Focke habe sich „vors Schienbein treten lassen" (Frau Focke nahm das Stichwort von den

„Versäumnissen des Ärztetages"

und den Vorwurf Lindlaus prompt auf und gab beides gleich am nächsten Tag kontra Ärzteschaft weiter!), und Herbert Wehner sei

„in Demutstellung gegangen". Er reihte ein paar Äußerungen „der oppositionellen Ärzte" aneinander und behauptete schließlich, die ärztlichen „Standesfunktionäre"

hätten Angst vor den „unabhängi- gen Ärzten", die Politiker wieder- um hätten Angst vor der Ärzte- schaft.

Und der Fernsehzuschauer? Soll er nun Angst bekommen vor so viel hintergründiger Rangelei, die von

„denen da oben" mit Hilfe seiner Steuergroschen, seiner Kranken-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 12. Juni 1975 1815

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nach intensiven Stresstests muss zukünftig jede Bank, die aus eigener Kraft nicht mehr abschreiben kann, neue Aktien ausgeben.. Der Umfang der Emission ergibt sich aus der Höhe

Entsprechend war das Resultat des Stresstests vom Sommer erschreckend: Selbst wenn nur eine Kernkapi- talquote von 7 % vorgeschrieben wäre, bräuchten 42 von 93 Banken

Flexibel, die Tafeln können entlang von Wänden platziert werden, sie können im Schulhaus verteilt oder in einem Ausstellungsraum präsentiert werden. 16 Ausstellungstafeln (Maße

Die Ausstellung hat keinen Anfang und kein Ende, das heißt, es gibt keine vorgegebene Aufbau-Ordnung, sondern die einzelnen Tafeln sind als Interventionen in den öffentlichen

David und Batya Netzer...

Dass die ganzen Kinder, die haben sich dann abgewendet, so wie wenn wer die Pest hat oder so was.. (Amnon

Zerstörte Grossfamilie Mord an Kindern Stehlende Nachbarn Retter mit Gewissen Sich zur Wehr setzen Wieder gut machen. Von Österreich enttäuscht Blumen für den Bruder Fahrt ins

Die Ausstellung hat keinen Anfang und kein Ende, das heißt, es gibt keine vorgegebene Aufbau-Ordnung, sondern die einzelnen Tafeln sind als Interventionen in den öffentlichen