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Erkennung und Interpretation von Risikofaktoren und –mustern in der veterinärmedizinischen Populationsforschung – Strategien und Herausforderungen

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Academic year: 2022

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und -mustern in der veterinärmedizinischen Popula� onsforschung

Strategien und Herausforderungen

Habilita� onsschri�

Amely Campe

Hannover, 2018

(2)
(3)
(4)

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek   

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen  Nationalbibliografie; Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 

http://dnb.ddb.de abrufbar. 

     

1. Auflage 2018   

   

© 2018 by Verlag:  

Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft Service GmbH, Gießen  Printed in Germany 

     

ISBN 978‐3‐86345‐444‐9   

   

Verlag: DVG Service GmbH   Friedrichstraße 17  

35392 Gießen   0641/24466  

info@dvg.de www.dvg.de

   

(5)

und Informationsverarbeitung der  Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover 

 

Erkennung und Interpretation von Risikofaktoren  und –mustern in der veterinärmedizinischen 

Populationsforschung  – 

Strategien und Herausforderungen   

Habilitationsschrift 

zur Erlangung der Venia legendi 

an der Tierärztlichen Hochschule Hannover 

 

vorgelegt von 

Dr. med. vet. Amely Campe 

   

Hannover 2018   

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Tag der nicht‐öffentlichen wissenschaftlichen Aussprache:   25. Juni 2018 

   

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Meinem Mann in Liebe und Dankbarkeit 

   

(8)

        Die Wissenschaft dagegen nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten gerade dort  aufzugeben, wo alles so leicht begreiflich scheint und wir die Narren des Augenscheins sind.  

(Friedrich Wilhelm Nietzsche; 1844 ‐ 1900  

(9)

Vorwort 

Die vorliegende Habilitationsschrift behandelt ein Thema, dass für die veterinärmedizinische  Epidemiologie  von  besonderer  Bedeutung  ist  –  die  Erkennung  und  Interpretation  von  Risikofaktoren und –mustern mit Hilfe von Populationsstudien. 

Ziel  dieser  kumulativen  Arbeit  ist  es,  Methoden  der  Risikofaktorenanalyse  anzuwenden.  Sie  sollen im Hinblick auf verschiedene Aspekte der heutigen Studienbedingungen sowie der Aus‐ 

und Bewertung von Studienergebnissen bewertet werden. Weiterhin soll die Übertragbarkeit  von Ergebnissen aus Populationsstudien auf Empfehlungen für den Tierhalter zur Haltung und  dem  Management  von  Tieren  diskutiert  werden.  Ob  und  inwieweit  die  notwendigen  Voraussetzungen für eine Schlussbildung heute noch gegeben sind und welche Implikationen  sich  daraus  für  die  zukünftige  veterinärmedizinischen  Populationsforschung  ergeben,  soll  in  dieser Arbeit beleuchtet werden. 

In  dieser  Habilitationsschrift  sind  Ergebnisse  von  Risikofaktorenanalysen  für  verschiedene  Tierarten  und  verschiedene  (Infektions‐)Krankheiten  zusammen  getragen  und  im  Licht  der  Analysemethodik sowie der inhaltlichen Schlüsse übergreifend diskutiert. In der Schrift sind die  wissenschaftlichen Veröffentlichungen 1 – 10 kapitelbezogen so eingearbeitet, dass die Themen  veranschaulicht,  diskutiert  und  im  Hinblick  auf  die  Strategien  und  Herausforderungen  der  modernen  veterinärmedizinischen  Populationsstudien  Schlussfolgerungen  gezogen  werden  können. Hierzu erfolgt zunächst eine Einleitung in die Thematik und Problemstellung sowie eine  Erläuterung der Zielsetzung. Anschließend wird das (Miss‐)verhältnis zwischen dem Umfang, der  Komplexität  und  der  Reliabilität  moderner  veterinärmedizinischer  Populationsstudien  dargestellt.  Im  Anschluss  wird  diskutiert,  was  bei  der  Aus‐  und  Bewertung  komplexer  Zusammenhänge zwischen Zielgrößen und Risikofaktoren zu beachten ist. Abschließend wird  erläutert,  welche  Konsequenzen  dies  für  die  Durchführung  und  Interpretation  zukünftiger  Populationsstudien haben sollte. Es wird ein Ansatz zur harmonisierten Auswertung präsentiert  und ein Ausblick für die zukünftige Übertragung von Studienergebnissen auf Empfehlungen für  den Tierhalter zur Haltung und dem Management von Tieren erörtert. 

Hannover, im Februar 2018      Amely  Campe 

   

(10)

ii  Vorwort 

 

   

(11)

Inhalt 

Vorwort   ... i 

Inhalt   ... iii 

Abbildungsverzeichnis ... v 

Tabellenverzeichnis ... v 

Verzeichnis von Kurzdefinitionen ... v 

Liste der Publikationen ... vii 

1  Einleitung und Zielsetzung ... 1 

1.1  Prämisse ... 1 

1.2  Wissenschaftlicher Hintergrund ... 1 

1.3  Zielsetzung: Risikofaktorenanalyse – unter heutigen Bedingungen ... 3 

2  (Miss‐)Verhältnis zwischen Umfang, Komplexität und Reliabilität ... 5 

2.1  Zusammenfassende These ... 5 

2.2  Skizzierung des Status Quo ... 5 

2.3  Zweck der Analysen ... 8 

2.3.1  Hypothesen ... 8 

2.3.2  Ursache‐Wirkungs‐Beziehungen ...17 

2.4  Notwendiger Stichprobenumfang ...26 

2.4.1  Zusammenhang zwischen α‐ und β‐Fehler und Stichprobenumfang – sowie Einfluss  auf Studienergebnisse ...27 

2.4.2  Mehrfaktorielle Analysen ...28 

2.5  Moderne Datenhaltung in Populationsstudien ...31 

3  Aus‐ und Bewertung komplexer Zusammenhänge zwischen Zielgrößen und  Risikofaktoren ... 35 

3.1  Zusammenfassende These ...35 

3.2  Skizzierung des Status Quo ...35 

3.3  Imputation von fehlenden Werten ...36 

3.4  Drei Auswertungsstrategien für hierarchische Daten ...38 

(12)

iv  Inhalt 

3.5  Verzerrungsmechanismen ...42 

3.5.1  Auswahlverzerrung ...42 

3.5.2  Informationsverzerrung ...46 

3.5.3  Verzerrung durch Störgrößen ...53 

3.6  Einflussgrößen und Risikomuster ...61 

3.6.1  Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen ...61 

3.6.2  Interaktionen der Einflussgrößen ...65 

3.6.3  Selektion von Effekten und mehrfaktorielle Verfahren ...66 

3.6.4  Risikomuster ...69 

3.6.5  Einordnung der identifizierten Effekte ...74 

4  Konsequenz und Ausblick ... 83 

4.1  Konsequenzen für die Durchführung und Interpretation zukünftiger  Populationsstudien ...83 

4.2  Leitfaden zur harmonisierten Auswertung von veterinärmedizinischen  Populationsstudien ...88 

4.2.1  Prüfung der Korrektheit der Daten...89 

4.2.2  Plausibilitäts‐ und Integritätsprüfung ...89 

4.2.3  Prüfung der Variabilität der Daten, Zellenbesetzung („Sparse Data“‐Problematik),  Imputation ...90 

4.2.4  Deskriptive Auswertung ...90 

4.2.5  Assoziation bzw. Korrelation zwischen den Einflussgrößen ...91 

4.2.6  Korrektur von Verzerrungen / Bias ...91 

4.2.7  Übertragung der Studienhypothese in eine statistisch prüfbare Hypothese ...92 

4.2.8  Induktive Verfahren ...93 

4.3  Übertragung der Studienergebnisse in Empfehlungen für den Tierhalter zur Haltung  und dem Management von Tieren ...95 

Zusammenfassung ... 101 

Summary  ... 105 

Literaturverzeichnis ... 107 

Stichwortverzeichnis ... 117 

Darstellung des eigenen Anteils an den Publikationen ... 119 

Danksagung ... 123 

Anhang – Abstracts der verwendeten Publikationen ... 125   

(13)

Abbildungsverzeichnis 

Abbildung 1: Circulus vitiosus der modernen Risikofaktorenanalyse ... 6  Abbildung 2: Beispiel für ein Hypothesennetz aus der Studie "Bedeutung von Clostridium botulinum bei  chronischem Krankheitsgeschehen" (modifiziert nach Jensen, 2016) ... 13  Abbildung 3: Ähnlichkeiten zwischen Versuchsstation ‐ abhängig vom Kontext der Umwelt‐ und 

Haltungsbedingungen (Ergänzende Grafik zu Publikation 7) ... 57  Abbildung 4: Dilemma der modernen Risikofaktorenanalysen  (rote Pfeile=Richtung der tatsächlichen  Entwicklung; grüne Pfeile=eigentlich erforderliche Richtung) ... 84   

 

Tabellenverzeichnis 

Tabelle 1: Evidenzlevel verschiedener wissenschaftlicher Studientypen (ins Deutsche übersetzt nach  EBVM Network, 2015) ... 23   

Verzeichnis von Kurzdefinitionen 

Einfaktoriell  =  eine  Einflussgröße  wird  untersucht  im  Hinblick  auf  ihren  Zusammenhang mit einer/mehreren Zielgrößen 

Einflussgröße  =  Risiko‐/Schutzfaktor,  erklärende  Variable,  Variable,  die  Einfluss  nimmt auf den Krankheitszustand oder Leistungsmerkmale  HI‐Tier  =  Herkunftssicherungs‐ und Informationssystem für Tiere  Hypothese  =  Annahme, Idee, Behauptung 

Mehrfaktoriell  =  mehrere  Einflussgrößen  werden  im  Hinblick  auf  ihren  Zusammenhang  mit  einer/mehreren  Zielgrößen  (gleichzeitig)  untersucht 

Multivariat  =  mehrere Zielgrößen werden gleichzeitig betrachtet (Hinweis: der  Begriff wird in der englisch‐sprachigen Fachliteratur zum Teil wie  hier der Begriff „mehrfaktoriell“ verwendet) 

Univariat  =  eine Zielgröße  wird  betrachtet  (Hinweis:  der  Begriff  wird in  der  englisch‐sprachigen  Fachliteratur  zum  Teil  wie  hier  der  Begriff 

„einfaktoriell“ verwendet)  

Zielgröße  =  Abhängige  Variable,  „Outcome“,  Variable,  die  einen  Krankheits‐

/Gesundheitszustand oder Leistungsmerkmal beschreibt, Ziel der  wissenschaftlichen  Fragestellung  ist  und  durch  andere  Faktoren  beeinflusst werden kann 

 

   

(14)

vi  Verzeichnis von Kurzdefinitionen 

 

 

(15)

Liste der Publikationen 

Auf diese Publikationen wird im Text Bezug genommen. Ihre Auflistung erfolgte chronologisch  entsprechend dem Publikationsdatum und innerhalb der Publikationsjahre in alphabetischer  Reihenfolge der Autorenschaft. 

1. Campe, A.; Koesters, S.; Niemeyer, M.; Klose, K.; Ruddat, I.; Baumgarte, J.; Kreienbrock,  L.:. Epidemiology of influences on the performance in broiler flocks – a field study in  Germany. In: Poultry science 92, 10 (2013) 2576‐2587. http://doi.org/10.3382/ps.2013‐

03207  

2. Campe,  A.; Sauter,  K.; Beyerbach, M.;  Schael, J.;  Selhorst,  T.;  Leo,  S.  B.;  Kramer, M.; 

Kreienbrock, L.: Case‐control study on the risks of BSE infections in Northern Germany =  Fall‐Kontroll‐Studie  zum  BSE‐Risiko  in  Norddeutschland.  In:  Berliner  und  Münchener  tierärztliche Wochenschrift 126, 5/6 (2013) 220‐229. 

3. Ruddat, I.; Scholz, B.; Bergmann, S.; Buehring, A.‐L.; Fischer, S.; Manton, A.; Prengel, D.; 

Rauch,  E.;  Steiner,  S.;  Wiedmann,  S.;  Kreienbrock,  L.; Campe,  A.:  Statistical  tools  to  improve assessing agreement between several observers. In: Animal 8, 4 (2014) 643‐

649. 

http://journals.cambridge.org/action/displayAbstract?fromPage=online&aid=9198728   4. Campe,  A.;  Hoes,  C.;  Koesters,  S.;  Froemke,  C.;  Bessei,  W.;  Knierim,  U.;  Schrader, L.; 

Kreienbrock,  L.;  Thobe,  P.:  Determinants  of  economic  success  in  egg  production  in  Germany  –  here:  laying  hens  kept  in  aviaries  or  small‐group  housing  systems.  In: 

Landbauforschung = Applied Agricultural and Forestry research 65, 3/4 (2015) 227‐237. 

http://doi.org/10.3220/LBF1447678999000  

5. Campe, A.; Abernethy, D.; Menzies, F.; Greiner, M.: Latent class regression models for  simultaneously estimating test accuracy, true prevalence and risk factors for Brucella  abortus.  In:  Epidemiology  and  Infection  144,  9  (2016)  1845‐1856. 

http://doi.org/10.1017/S0950268816000157  

6. Campe,  A.; Hohmeier, S.; Koesters, S.; Hartmann, M.; Ruddat, I.; Mahlkow‐Nerge, K.; 

Heilemann,  M.:  Mögliche  Ursachen  für  unspezifische  Leistungsminderung  in 

(16)

viii  Liste der Publikationen 

Milchkuhherden in Schleswig‐Holstein: eine explorative Fall‐Kontroll‐Studie = Possible  causes  of  unspecific  reduced  productivity  in  dairy  herds  in  Schleswig‐Holstein:  an  explorative case‐control study. In: Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift  129, 3/4 (2016) 118‐131. http://doi.org/10.2376/0005‐9366‐129‐118  

7. Eva, D.; Kösters, S.; Ruddat I.; Kreienbrock, L.; Campe, A.: Differences and similarities  between locations in a multisite project: a comparison of features of production systems  for  laying  hens  =  Unterschiedlich‐  und  Ähnlichkeiten  zwischen  verschiedenen  Orten  einer multizentrischen Studie: Vergleich der Eigenschaften von Produktionssystemen für  Legehennen. In: Berliner und Münchener tierärztliche Wochenschrift 129, 11/12 (2016)  507‐517.  http://vetline.de/differences‐and‐similarities‐between‐locations‐in‐a‐

multisite‐project‐a‐comparison‐of‐features‐of‐production‐systems‐for‐laying‐

hens/150/3130/99011/  

8. Jensen, K. C.; Scheu, T.; Duc, P. D.; Gundling, F.; Wichern, A.; Hemme, M.; Hoedemaker,  M.; Wellbrock, W.; Campe, A.: Understanding barriers to following advice: Evaluation of  an advisory service from dairy farmers' perspectives = Hindernisse bei der Umsetzung  von Ratschlägen verstehen: Evaluation einer Beratung aus der Sicht von Landwirten mit  Milchvieh. In: Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 129, 1/2 (2016) 72‐

81. http://doi.org/10.2376/0005‐9366‐129‐72  

9. Jensen, K.; Frömke, C.; Schneider, B.; Sartison, D.; Do Duc, P.; Gundling, F.; Scheu, T.; 

Wichern, A.; Fohler, S.; Seyboldt, C.; Hoedemaker, M.; Kreienbrock, L.; Campe, A.: Case‐

control study on chronic diseases in dairy herds in northern Germany: Symptoms at the  herd  level  =  Fall‐Kontroll‐Studie  zu  chronischen  Erkrankungen  in  norddeutschen  Milchviehherden:  Symptome  auf  Herdenebene.  In:  Berliner  und  Münchener  Tierärztliche  Wochenschrift  130,  9‐10  (2017)  404‐414. http://vetline.de/case‐control‐

study‐on‐chronic‐diseases‐in‐dairy‐herds‐in‐northern‐germany‐symptoms‐at‐the‐herd‐

level/150/3130/104355  

10. Campe,  A.; Hoes, C.; Koesters, S.; Froemke, C.; Bougeard,  S.; Staack, M.; Bessei, W.;  

Manton, A.; Scholz, B.; Schrader, L.; Thobe, P.; Knierim, U. Analysis of the influences on  plumage condition in laying hens: How suitable is a whole body plumage score as an  outcome? Poultry Science 97, 2 (2018) 358–367. https://doi.org/10.3382/ps/pex321  

(17)

1 Einleitung und Zielsetzung 

1.1 Prämisse 

Aufgrund der modernen Methoden zur Datengenerierung, ‐haltung und –auswertung ist es der  Epidemiologie heute möglich, komplexe Zusammenhänge in der Tierhaltung zu untersuchen. 

Dabei  können  heutzutage  immer  mehr  Risikofaktoren  für  Tiergesundheit,  ‐seuchen,  ‐wohl  und ‐verhalten gleichzeitig untersucht und sogar Risikomuster dargestellt werden. Jedoch darf  nicht  außer  Acht  gelassen  werden,  dass  die  Bedingungen  zur  Durchführung  von  epidemiologischen Studien und zur Risikofaktorenanalyse auch eine adäquate Schlussbildung  zulassen  müssen.  Ob  und  inwieweit  die  notwendigen  Voraussetzungen  heutzutage  gegeben  sind  und  welche  Implikationen  sich  daraus  für  die  zukünftige  veterinärmedizinischen  Populationsforschung ergeben, soll in dieser Arbeit beleuchtet werden. 

1.2 Wissenschaftlicher Hintergrund 

Ein  wesentliches  Ziel  der  Veterinärepidemiologie  ist  es,  durch  die  Anwendung  epidemiologischer Methoden, Risikofaktoren für Krankheiten in verschiedenen Populationen zu  identifizieren (Bartlett and Judge, 1997). Um diese Risikofaktoren zu identifizieren, haben wir  bisher in der Statistik, Epidemiologie und Tierseuchen‐ bzw. Tiergesundheitsforschung immer  danach  gestrebt,  so  zu  vereinfachen  und  zu  reduzieren,  dass  der  eine  (oder  die  wenigen)  wichtigen  Auslöser  für  eine  Erkrankung  identifiziert  werden  können,  der  für  (fast)  alle  Betroffenen  die  gleiche  Bedeutung  in  der  Krankheitsentstehung  hatte.  Die  Annahme  der  Monokausalität bei der Entwicklung von Erkrankungen mag darauf zurückzuführen sein, dass  sich die Forschung zuerst auf diejenigen Infektionserkrankungen konzentrierte, die zunächst die  größte Bedeutung für die Tiergesundheit hatten. Man ging davon aus, dass das Vorkommen des  Erregers  allein  reiche,  um  eine  Krankheit  auszulösen.  Dies  mag  für  hochkontagiöse  Infektionserreger auch oftmals der Fall sein.  

Mit zunehmender Kontrolle der epidemisch wirkenden und hochkontagiösen Infektionserreger  wurde dann klar, dass bei manchen Erregern nicht nur der Erreger allein für die Entstehung der  Krankheit verantwortlich ist. Seither hat sich die Sicht auf Krankheitsentstehung verändert und  man zieht in Betracht, dass mehrere Faktoren erforderlich sind, um eine Krankheit auszulösen. 

Mittlerweile  sind  auch  nicht  infektiöse  Erkrankungen  in  den  Fokus  der  Populationsforscher  gerückt, die multikausal verursacht sein können (sog. Faktorenkrankheiten). 

(18)

Wissenschaftlicher Hintergrund 

Spätestens seitdem bekannt ist, dass es multifaktoriell bedingte (Infektions‐)Krankheiten gibt,  ist  klar,  dass  die  Entstehung  von  Krankheiten  von  einem  komplexen  Zusammenspiel  von  Faktoren  abhängig  ist.  Nicht  jede  Krankheit  braucht  nur  einen  Auslöser  wie  es  etwa  bei  hochinfektiösen Krankheiten wie zum Beispiel der Maul‐und‐Klauenseuche der Fall ist. Nicht  jeder  Auslöser  löst  zwingend  eine  Erkrankung  aus  (bspw.  bei  Salmonelleninfektionen  beim  Schwein).  Daher  ist  es  auch  im  Rahmen  von  Risikofaktorenanalysen  erforderlich,  diese  Zusammenhänge von einer vereinfachenden Reduktion hin zu einer „komplexitätserhaltenden  Komplexitätsreduktion“  (Stierlin,  H.,  1983)  bei  der  Modellierung  im  System  Tierhaltung  zu  berücksichtigen. 

Führt man sich beispielsweise die Entwicklung der Salmonellen‐Risikoforschung beim Geflügel  oder Schwein vor Augen, so wird klar, dass es auch hier einen Prozess gegeben hat. Zunächst  mussten  Risikofaktoren  identifiziert  werden,  dann  wurden  Hygiene‐  und  Maßnahmenpläne  entwickelt,  um  genau  diese  Risikofaktoren  nicht  mehr  wirken  zu  lassen.  Weiterhin  wurde  intensiver gegen die Verbreitung und das Vorkommen von Salmonellenerregern vorgegangen. 

Mittlerweile ist die Prävalenz in und zwischen den Beständen deutlich geringer. Nach wie vor  arbeiten  Studien  weiter  darauf  hin,  dass  Faktoren  gefunden  werden,  die  eine  höhere  Innerherdenprävalenz  bedingen  könnten.  Bei  Bekämpfungsprogrammen,  die  dem  Ende  der  Eradikation näherkommen, tritt nun zutage, dass man nicht mehr zwingend den einen oder die  wenigen  allgemeingültigen  und  hoch‐signifikanten  Einflüsse  auf  das  Vorkommen  einer  Erkrankung  identifizieren  kann.  Dies  ist  in  der  Humanepidemiologie  bereits  seit  Längerem  bekannt (Taubes, 1995). Vielmehr zeigt sich, dass ein Muster von Faktoren das Auftreten einer  Erkrankung begünstigen kann. Welches Muster hier gerade zusammen wirkt, hängt von der  allgemeinen  Situation  ab,  unter  der  die  Tiere  leben.  Die  Herausforderung  in  der  (Veterinär‐

)Epidemiologie  ist  es  dabei,  unter  hochvariablen  und  veränderlichen  Bedingungen  im  Feld  Studien durchzuführen und Schlüsse zu ziehen. 

Darüber hinaus hat der Wunsch immer komplexere Beziehungen und Risikofaktorenmuster zu  analysieren  eine  zusätzliche  Herausforderung  für  die  Wissenschaft  mit  ins  Spiel  gebracht. 

Zudem  wird  das  Erreichen  des  allem  zugrunde  liegenden  Ziels  ‐  konkrete  wissenschaftliche  Hypothesen zu prüfen ‐ durch Verzerrungsmechanismen und Implikationen der Machbarkeit  unter Feldbedingungen erschwert. Die Aufgabe der Epidemiologie ist es daher, Methoden der  Studienplanung  und  Datenauswertung  zu  generieren  und  so  anzuwenden,  dass  auch  unter 

(19)

solchen  Bedingungen  zulässige  und  möglichst  verallgemeinerbare  Schlüsse  gezogen  werden  können. 

1.3 Zielsetzung: Risikofaktorenanalyse – unter heutigen Bedingungen  

Ziel  dieser  kumulativen  Habilitationsschrift  ist  es,  Methoden  der  Risikofaktorenanalyse  anzuwenden und im Hinblick auf verschiedene Aspekte der heutigen Studienbedingungen, Aus‐ 

und Bewertung sowie der Übertragung auf Empfehlungen für den Tierhalter zur Haltung und  dem  Management  von  Tieren  zu  bewerten.  Ob  und  inwieweit  die  notwendigen  Voraussetzungen für eine Schlussbildung bei den heute durchgeführten Studien gegeben sind  und  welche  Implikationen  sich  daraus  für  die  zukünftige  veterinärmedizinische  Populationsforschung ergeben, soll in dieser Arbeit beleuchtet werden. 

Neben  einer  kurzen  Einführung  in  die  epidemiologische  Theorie  dieser  Aspekte  der  Risikofaktorenanalyse,  werden  Ergebnisse  aus  eigenen  Studien  ebenso  wie  andere  Publikationen  betrachtet  und  im  Hinblick  auf  die  Bedingungen  diskutiert,  unter  denen  veterinärmedizinische Populationsstudien heute durchgeführt werden. Besonders betrachtet  werden  soll  hierbei,  dass  große  Datenmengen  pro  statistische  Einheit  generiert,  jedoch  nur  relativ geringe Stichprobenumfänge realisiert werden. Zudem wird auf den Zweck der Analysen  eingegangen und Aspekte von Kausalität und Evidenz diskutiert. Weiterhin wird dargelegt, dass  heute eine Vielzahl von wissenschaftlichen Fragestellungen innerhalb einer Studie beantwortet  werden sollen und komplexe Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren (als Risikomuster) und  Zielgrößen  bestehen.  Die  Rolle  von  Interaktion,  Confounding  und  Bias  wird  hier  ebenfalls  betrachtet.  Schließlich  wird  eine  Empfehlung  darüber  gegeben,  wie  zukünftig  Populationsstudien durchgeführt, ausgewertet und interpretiert werden sollten. Abschließend  wird Bezug zu dem Wunsch genommen, die Wissenschaft möge aus ihren Studienergebnissen  Empfehlungen für den Tierhalter zur Haltung und dem Management von Tieren ableiten. Dabei  werden  die  inhaltlichen  Erkenntnisse  der  verwendeten  eigenen  Arbeiten  verwendet,  um  zu  erläutern, welche Implikationen sich hieraus für die zukünftige Populationsforschung ergeben. 

   

(20)

Zielsetzung: Risikofaktorenanalyse – unter heutigen Bedingungen 

 

 

 

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2 (Miss‐)Verhältnis zwischen Umfang, Komplexität und Reliabilität  

2.1 Zusammenfassende These 

In  den  letzten  Jahren  wächst  die  Diskrepanz  zwischen  dem  notwendigen  und  machbaren  Stichprobenumfang.  Wenn  es  in  einer  veterinärepidemiologischen  Studie  zahlreiche  Fragestellungen gibt und große Datenmengen pro statistische Einheit generiert werden, wird  darunter der Stichprobenumfang leiden, da in praxi weniger Einheiten bei gegebenem Zeit‐ und  Personalressourcen untersucht werden können. Geldgeber und Wissenschaftler versprechen  sich durch die Nutzung von gestiegener Rechner‐ und Softwareleistung sowie durch intensive  Kooperationen  in  Verbundprojekten  eine  Zunahme  an  verlässlichen  Erkenntnissen  und  ein  verbessertes Verständnis für komplexe Zusammenhänge und Einflüsse auf die Tiergesundheit. 

Dabei  gehen  sie  die  Gefahr  ein,  wichtige  Risikofaktoren  zu  übersehen,  scheinbare  Einflüsse  fehlzuinterpretieren und wahre Risikofaktoren in ihrer Wirkung zu überschätzen. Somit werden  statistisch  signifikante  Zusammenhänge  seltener,  Fehleinschätzungen  häufiger  und  die  Möglichkeit, konkrete Hypothesen zu prüfen, sinkt. Jedoch kommt man durch die größere Tiefe  und Breite der erhobenen Informationen auch stärker in die Lage zahlreiche neue Hypothesen  zu generieren. 

2.2 Skizzierung des Status Quo 

Im Verlauf der deutlich angestiegenen Rechnerleistung in den letzten Jahrzehnten haben sich  auch  die  Möglichkeiten  zur  wissenschaftlichen  Analyse  von  komplexeren  Zusammenhängen  erweitert. Neben einer schnelleren Rechenleistung haben sich auch die Datenhaltungssysteme  vergrößert. Somit kann mittlerweile eine sehr große Menge an Informationen je Betrieb oder  Tier erhoben und in elektronischen Datenbanken abgelegt werden. Weiterhin kann in kurzer  Zeit eine große Datenmenge aufwändigen Analysemethoden unterzogen werden.  

Neben dieser allgemeinen Erweiterung wissenschaftliche Analysen durchzuführen hat sich auch  eine spezifische Erweiterung der Informationsdichte je Betrieb ergeben. So haben Mittelgeber  von  epidemiologischen  Projekten  in  den  letzten  Jahren  vermehrt  gefordert,  dass  Verbundforschung betrieben werden solle, bei der verschiedene Fachbereiche und möglichst  auch Fachbereiche, die nicht zur Veterinärmedizin gehören, gemeinsam Studien durchführen. 

Der erwünschte Mehrwert ist dabei sicherlich in der Hinsicht erlangt worden, dass alle Bereiche  des betrieblichen Managements beleuchtet und bewertet werden können. Jedoch hat dies auch 

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Skizzierung des Status Quo 

zur  Folge  gehabt,  dass  für  jeden  fachlichen  Verbundpartner  eine  angemessene  Menge  an  Informationen  erhoben  werden  muss,  damit  dieser  die  wesentlichen  Bewertungen  der  betrieblichen Performance innerhalb seines Fachbereiches adäquat vornehmen kann (vgl. Abb. 

1  „viele  Daten  pro  statistischer  Einheit  erheben“).  Dies  hat  zu  einer  Potenzierung  von  Datenvolumen  und  Informationsdichte  (Messungen,  Datenrecherchen,  Untersuchungen  von  Tieren,  etc.)  geführt,  womit  der  finanzielle  und  personelle  Aufwand  pro  statistische  Einheit  deutlich zugenommen hat. Daneben gibt es noch einen weiteren Grund dafür, dass die Zahl der  untersuchbaren  Betriebe  sinkt.  So  hat  die  Bereitschaft  von  Landwirten  und  Tierhaltern  an  Feldstudien  teilzunehmen  abgenommen.  Gründe  hierfür  sind  neben  einer  wachsenden  Arbeitsbelastung  auch  ein  zunehmendes  Misstrauen  gegenüber  den  Studienzielen  und  der  Interpretation  von  wissenschaftlichen  Ergebnissen  durch  Politik  und  Medien  (Spiller  et  al.,  2016). Dadurch können in einem Verbundprojekt möglicherweise nicht mehr so viele Betriebe  eingeschlossen werden wie aus statistischer und epidemiologischer Sicht wünschenswert wäre  (Vgl. Abb. 1; „wenige(r) statistische Einheiten untersucht“). Je seltener wir in der Wissenschaft  die  Gelegenheiten  haben,  Betriebe und  Tiere  unter  Feldbedingungen  zu  untersuchen,  umso  mehr  Fragestellungen  möchten  wir  auf  einmal  beantworten.  Durch  die  steigende  Anzahl  Fragestellungen  steigt  zum  einen  die  Zahl  der  zu  erhebenden  Daten,  zum  anderen  können  immer komplexere Zusammenhänge analysiert werden. Aus der hier geschilderten Entwicklung  der Konditionen für veterinärepidemiologische Forschung ergibt sich ein Circulus vitiosus der  modernen Risikofaktorenanalyse (Abb. 1). 

 

Abbildung 1: Circulus vitiosus der modernen Risikofaktorenanalyse 

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Wenn man im Rahmen der Modellierung für Risikofaktorenanalysen diese Möglichkeiten und  Grenzen berücksichtigen möchte, gilt es, ein ausgewogenes Maß zwischen der erforderlichen  vereinfachenden Reduktion und der Erhaltung einer gewissen Komplexität zu finden. Bei der  Risikofaktorenanalyse  wird  mittels  eines  statistischen  Modells  ein  möglichst  realitätsnahes  Abbild  der  Situation  in  der  Tierhaltung  gezeichnet.  Die  Realität  kann  jedoch  nur  zu  einem  bestimmten Maße abgebildet werden. Der Grad und Blickwinkel des Abbilds hängt davon ab,  welches Ziel die Modellierung verfolgt (Kaplan, 2009). Ziel eines Modells kann die Annäherung,  die Erklärung oder die Vorhersage sein, wobei ein Beziehungsgefüge zwischen verschiedenen  Informationen analysiert wird (Pittioni, 1983; Dempster, 1998). Dabei muss immer klar sein,  dass Modelle die Realität nur mit einem gewissen Grad an Genauigkeit abbilden können und  daher in gewisser Weise immer falsch sind (Box, 1976). Nichtsdestotrotz können sie nützlich  sein  (Christley  et  al.,  2013).  Wie  genau  und  sicher  die  Modellschätzungen  sein  müssen,  ist  individuell  unterschiedlich  und  hängt  vom  Ziel  der  Modellierung  ab.  So  wird  eine  erste  Risikoabschätzung  für  die  Exposition  einer  Gruppe  von  Nutztieren  gegenüber  einem  neu  auftretenden Infektionserreger ein anderes Maß an Genauigkeit akzeptieren müssen als es für  eine Modellrechnung zur Eradikation einer hochansteckenden Krankheit erforderlich wäre. 

Mit  Bezug  auf  veterinärepidemiologische  Modelle  muss  ein  Modell  so  reduziert  sein,  dass  sämtliche statistischen Einheiten (Tiere, Betriebe, etc.) darin im Hinblick auf ihr Krankheitsrisiko  gruppiert werden können. Jedoch sollte unter den heutigen Bedingungen der Tierhaltung und  mit dem Wissen um die Komplexität der Zusammenhänge die Reduktion nicht so stark sein, dass  Risikomuster nicht (mehr) erkannt werden. Eine zu stark vereinfachende Abbildung der realen  Situation ist also heute nicht mehr angezeigt und würde zu einer Fehleinschätzung der Lage  führen. 

Aufgrund  dieser  Voraussetzungen  ergeben  sich  zwei  Implikationen  für  die  Studienplanung,  ‐durchführung  und  ‐auswertung.  Zum  einen  müssen  genügend  Individuen  untersucht werden, um eine statistisch verlässliche Schlussfähigkeit zuzulassen (notwendiger  Stichprobenumfang).  Zum  anderen  muss  für  diese  Individuen  eine  ausreichende  Anzahl  verschiedener  Ziel‐  und  Einflussgrößen  erhoben  werden,  die  benötigt  werden,  um  die  Komplexität der Zusammenhänge abzubilden. Da ein reziproker Zusammenhang zwischen dem  notwendigen Stichprobenumfang und den benötigten Detailgrad an Informationen bei gleichen  Ressourcen besteht, entsteht in praxi derzeit ein Missverhältnis zwischen dem Wunsch nach 

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Zweck der Analysen 

großen  Datenmengen  und  der  Notwendigkeit  für  große  Stichprobenumfänge,  welches  die  statistische Schlussfähigkeit negativ beeinflusst. Um dieses Missverhältnis näher zu beleuchten,  werden in den folgenden Unterkapiteln drei wichtige Faktoren näher besprochen, die Einfluss  auf die statistische Schlussfähigkeit unter modernen Studienverhältnissen nehmen: der Zweck  der  Analysen,  der  notwendige  Stichprobenumfang  sowie  die  moderne  Datenhaltung  in  Populationsstudien. 

2.3 Zweck der Analysen  2.3.1 Hypothesen 

"Hypothesen sind aus präzise definierten Begriffen zusammengesetzte Sätze, die mit mehr oder  weniger Wahrheitsanspruch mehr oder weniger allgemeine Aussagen über bestimmte Bereiche  der Realität enthalten. Ein System von Hypothesen ist eine Theorie. Oft wird schon eine einzelne  zentrale Hypothese als Theorie bezeichnet" (Eberhard, 1977). Eine Hypothese ist dabei eine  Theorie, die (bisher) nicht gut getestet wurde (Thrusfield, 2005). Sie wird unter anderem auch  als Idee, Behauptung oder Annahme bezeichnet und macht Annahmen über die Realität.  

"Als Theorie wird allgemein ein System von über den Einzelfall hinausgehenden Aussagen  bezeichnet, das dazu dient, Erkenntnisse über einen Tatsachenbereich [...] zu ordnen und  das Auftreten dieser Tatsachen zu erklären. In der Forschung haben Theorien vor allem  die Funktion, das Erkenntnisinteresse und die Fragestellung zu leiten sowie eine Strategie  für die Erhebung und Auswertung der Daten bereitzustellen…“ (Dolde, 1993). 

Hypothesen  müssen  bestimmte  Kriterien  erfüllen.  Hierzu  gehören  die  Allgemeingültigkeit,  Operationalisierbarkeit,  Widerspruchsfreiheit  und  Falsifizierbarkeit.  Sie  müssen  die  Formalstruktur eines sinnvollen Konditionssatzes erfüllen und begründet sein (Bortz and Döring,  2006). 

Für den hier betrachteten Bereich der Risikofaktorenanalyse muss klar definiert werden, ob eine  Studie  zur  Schlussbildung  (Hypothesentestung)  oder  zum  Generieren  von  Hypothesen  durchgeführt und ausgewertet werden soll.  

Bei  der  Hypothesentestung  verläuft  der  Prozess,  bis  sich  eine  statistische  Hypothese  formulieren  lässt,  über  eine  Studienfrage,  weiter  zur  Arbeitshypothese  und  schließlich  zur  statistisch prüfbaren Hypothese. Testet man eine Hypothese mittels statistischer Methoden, so 

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vergleicht man seine Annahme mit Informationen (Daten, Befunden, etc.; Riedwyl, 1978). Mit  Hilfe der Betrachtung einer Auswahl von Fällen ziehen wir Schlüsse für die gesamte Population  (Induktion). Seit dem letzten Jahrhundert sind sich die Wissenschaftler in der Statistik einig, dass  eine „wahre“ Hypothese nie bewiesen, also verifiziert, werden kann. Auf der anderen Seite kann  eine „falsche“ Hypothese jedoch falsifiziert, also widerlegt, werden (Bärlocher, 2008). Popper  meint sogar, dass bei manchen Hypothesen weder das eine noch das andere möglich sei und  man  daher  eine  Hypothese  nur  bestätigen  oder  untermauern  könne  –  oder  eben  nicht  ("... 

confirm..."; Popper, 2002). Während der klassische Signifikanztest nach R.A. Fisher eine einzige  Hypothese (die Nullhypothese) formulierte und testete, formuliert man heute nach dem Ansatz  von  Neyman‐Pearson‐Wolf  zwei  Hypothesen  (Null‐  und  Alternativhypothese),  wodurch  es  möglich ist abzubilden, dass man beim statistischen Testen zwei verschiedene Arten von Fehlern  machen kann (Fehler 1. und 2. Art; Bärlocher, 2008). Das Prinzip der Schlussbildung ist es, dass  erst die wissenschaftliche Hypothese formuliert wird, dann das Modell passend konstruiert wird  und dieses dann im Hinblick auf seine Anpassung an die Daten untersucht wird. Hypothesen zu  formulieren,  nachdem  man  die  Auswertung  vollzogen  hat,  ist  ebenso  wie  die  gleichzeitige  Aufstellung  und  Testung  einer  Hypothese  am  selben  Datensatz  als  unwissenschaftlich  anzusehen (Bortz and Schuster, 2010).  

Dieses Vorgehen lässt sich insbesondere anhand der Publikationen 1, 2 sowie 5 an Beispielen  erläutern.  Zum  Zeitpunkt  der  Studienplanung  und  ‐durchführung  lagen  bereits  Erkenntnisse  über die Risikofaktoren für BSE bei Rindern, die Leistungsminderung bei Masthähnchen und das  Vorkommen  von  Rindern,  die  serologisch  positiv  für  Brucella  abortus  sind,  vor.  Diese  Erkenntnisse  konnten  aus  der  wissenschaftlichen  Literatur  bzw.  aus  Untersuchungen  des  öffentlichen  Veterinärwesens  herangezogen  werden.  In  allen  hier  dargestellten  Fällen  war  jedoch  zum  Zeitpunkt  der  Studienplanung  nicht  klar,  ob  die  an  anderer  Stelle  oder  unter  anderen Bedingungen generierten Erkenntnisse auch unter den konkreten Bedingungen der  gewählten Studienpopulation nachvollzogen werden können. Ziel der Untersuchungen war es  daher, zum einen neue Erkenntnisse für die Studienpopulation zu erwerben, um dadurch zum  anderen einen weiteren Beitrag zur Untermauerung der wissenschaftlichen Generalhypothesen  zu  leisten.  In  allen  Fällen  konnte  zusätzlich  zum  Erreichen  dieser  Ziele  ein  weiterer  Schritt  gemacht  werden.  Die  Kombination  der  eingesetzten  Untersuchungsinstrumente  beziehungsweise der analysierten Risikofaktoren hat neue Erkenntnisse geliefert, die wiederum  zukünftig an anderer Stelle und in anderen Studienpopulationen überprüft werden können. 

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10  Zweck der Analysen 

In Publikation  2  konnte  bestätigt  werden,  dass  auch  in  Norddeutschland  die  Betriebsgröße  (aufgrund  der  höheren  absoluten  Anzahl  empfänglicher  Tiere),  die  Milchleistung,  die  Rinderrasse  sowie  die  Haltung  von  anderen  Nutztieren  (als  Hinweis  auf  mögliche  Kreuzkontamination) in Beziehung mit dem Vorkommen von BSE steht. Somit konnten neue  Erkenntnisse  für  die  Rinderpopulation  in  Norddeutschland  gewonnen  werden  und  die  Generalhypothesen  untermauert  werden.  Jedoch  hat  sich  bei  den  Analysen  gezeigt,  dass  sämtliche hier genannten Risikofaktoren nur dann eine Rolle zu spielen scheinen, wenn andere  (ebenfalls hier genannte) Faktoren eine bestimmte Ausprägung aufweisen. Das heißt, die Studie  hat  neue  Erkenntnisse  darüber  geliefert,  dass  diese  Risikofaktoren  in  bestimmten  Mustern  wirksam  sind  und  abhängig  von  ihrer  Kombination  ein  bestimmtes  betriebliches  Managementkonzept  reflektieren  –  somit  also  eher  als  Indikator  denn  als  Risikofaktor  anzusehen sind. 

Weiterhin war in der wissenschaftlichen Literatur bereits aufgeworfen worden, dass das Alter  eines Gebäudes, das Wetter, die Brüterei, die Einstreu oder die Dauer der Mastperiode einen  Einfluss auf die Leistung und das Wohlbefinden von Masthähnchen nehmen können, so dass die  Studie, die in Publikation 1 beschrieben ist, untermauern konnte, dass diese Faktoren wirken. 

Darüber hinaus konnte gezeigt werden, welche dieser Faktoren und in welcher Weise sie in  agrarisch  hochverdichteten  Landkreisen  in  Niedersachsen  Einfluss  auf  die  Leistung  und  das  Wohlbefinden der Masthähnchen nehmen. Auch in dieser Studie war die neue Erkenntnis, dass  Risikofaktoren in bestimmten Mustern wirksam sind und abhängig von ihrer Kombination ein  bestimmtes betriebliches Managementkonzept repräsentieren. Es konnte als neue Hypothese  deduziert werden, dass der Landwirt den Effekt der Risikofaktoren und damit die Entwicklung  von  Leistung  und  Wohlbefinden  aktiv  steuern  kann.  Das  heißt,  trotz  kalt‐feuchter  außenklimatischer  Bedingungen  kann  er  ein  für  diese  Bedingungen  besser  passendes  Einstreumaterial  auswählen,  um  damit  (indirekt)  die  Tiermastgewichte  erhöhen.  Weiterhin  kann er die Besatzdichte in Abhängigkeit von den Haltungsbedingungen (Gebäudealter, Klima,  etc.) variieren. 

In der Studie in Nordirland (s. Publikation 5) wurden fünf bekannte (Risiko‐)Faktoren auf ihren  Zusammenhang  mit  dem  Vorkommen  serologisch  positiv  getesteter  Rinder  untersucht.  Die  Ergebnisse  untermauern  vorherige  Erkenntnisse  und  Annahmen  über  die  biologischen  Zusammenhänge  zwischen  Infektionswahrscheinlichkeit,  Alter,  Geschlecht  und  Abortrate. 

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Darüber  hinaus  wurde  auch  hier  eine  neue  Erkenntnis  darüber  abgeleitet,  dass  die  Infektionswahrscheinlichkeit  mit  dem  betrieblichen  Managementkonzept  in  Zusammenhang  steht  (vgl.  Nutzungsrichtung),  was  auf  Unterschiede  in  der  Biosicherheit  ebenso  wie  in  der  Betriebsgröße zurückgeführt werden könnte. Diese so neu generierten Hypothesen können nun  in einem neuen Studienkollektiv getestet werden. 

Obwohl  das  Prinzip  der  Hypothesentestung  in  der  Veterinärepidemiologie  etabliert  ist  und  angewendet wird, hat sich zuletzt für manche gut untersuchte Erkrankung ein Dilemma bei der  Hypothesenformulierung  ergeben.  Teilweise  gibt  es  mittlerweile  eine  Vielzahl  von  Untersuchungen  und  es  sind  bereits  zahlreiche  mögliche  Risikofaktoren  bekannt.  Zudem  werden  Bekämpfungsprogramme  angewendet,  die  das  Vorkommen  der  Erkrankung  gesenkt  haben  und  bei  denen  verschiedene  (Biosicherheits‐)Maßnahmen  in  den  Betrieben  implementiert  sind.  Führt  man  mit  fortgeschrittener  Sanierung  eine  Studie  über  die  Risikofaktoren  durch,  wird  man  gegebenenfalls  nicht  mehr  die  ehemals  bedeutendsten  Faktoren nachweisen können. Vielmehr ist man dann gezwungen, alle grundsätzlich möglichen  Faktoren zu untersuchen, um die aktuell wichtigsten identifizieren zu können.  

Dieses Dilemma, konkrete Hypothesen testen zu wollen bei einer hohen erforderlichen Zahl von  Risikofaktoren, lässt sich bei Gotter et al. (2012) nachvollziehen. Ziel der Untersuchung war es,  Risikofaktoren  für  das  Vorkommen  von  serologisch  Salmonella  spp.  positiven  Schweinebetrieben  zu  analysieren.  Zum  Zeitpunkt  der  Untersuchungen  bestand  bereits  seit  mehreren Jahren ein deutschlandweites Salmonellen‐Monitoring, bei welchem am Schlachthof  der  Anteil  positiv  getesteter  Schweine  pro  Betrieb  ermittelt  wird.  Basierend  auf  den  serologischen  Untersuchungen  wurde  eine  Dreiteilung  der  Betriebe  (Kategorie  I  bis  III)  vorgenommen. In der Studie wurden Kat. I‐ und Kat. III‐Betriebe miteinander verglichen. Die  Landwirte  waren  bereits  vor  der  Studie  bezüglich  der  Reduktion  der  Salmonellenbelastung  sensibilisiert,  da  eine  starke  Belastung  wirtschaftliche  Nachteile  haben  kann.  Insofern  kann  unterstellt  werden,  dass  zum  Zeitpunkt  der  Untersuchung  grundlegende  Biosicherheitsmaßnahmen  zumindest  bekannt  und  teilweise  bereits  in  mehr  oder  weniger  wirksamer  Anwendung  waren.  Da  im  Projekt  der  Hypothesen  prüfende  Gedanke  überwog,  wurde  entschieden,  basierend  auf  konkreten  Hypothesen  weitere  Vorstrukturierungen  der  Informationen  vorzunehmen  anstatt  ein  Auswertetool  anzuwenden,  welches  sämtliche  Faktoren  gemeinsam  analysiert.  Daher  wurden  im  Folgenden  drei  Faktorenkomplexe  näher 

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12  Zweck der Analysen 

analysiert: zum Eintrag von Salmonellen, zur Zirkulation im Betrieb und zur Hygieneschleuse. 

Dieses Vorgehen zur Hypothesen basierten Auswertung zeigte, dass trotz der hohen Zahl von  potentiellen Risikofaktoren eine strukturierte, Hypothesen basierte Auswertung möglich ist. 

Die  hier  beschriebene  Studie  ist  nicht  die  einzige,  die  sich  mit  einer Hypothesen  basierten  Auswahl von zu erhebenden Informationen beschäftigen muss. Aufgrund der angestiegenen  Rechnerleistung in den letzten Jahrzehnten kann ein extrem großer Umfang von Informationen  auf Betriebs‐ und Tierebene erhoben werden. Diese Informationen können aus der Sicht des  Risikofaktorenanalysten Zielgrößen, Einflussgrößen und Confounder sein und sind daher bei den  Analysen  unterschiedlich  zu  behandeln.  Die  Zuordnung  der  Informationen  zu  einer  dieser  Variablentypen muss aufgrund der zuvor aufgestellten Hypothesen erfolgen. Somit steht hinter  den statistisch zu testenden Hypothesen eine konkrete Annahme über die Ursache‐Wirkungs‐

Beziehung zwischen den analysierten Informationen. Wie bereits erwähnt, ist die Zahl der zu  testenden Hypothesen pro Studie in den letzten Jahren aufgrund der großen Zahl an erhobenen  Informationen stark gestiegen. So kann eine Information in der einen Hypothese als Zielgröße  und in einer anderen als Einflussgröße wirken. Diese Situation tritt gerade aus dem Grunde  heutzutage vermehrt auf, da sich epidemiologische Populationsstudien immer mehr mit der  Gesamtsituation  in  den  Tier  haltenden  Betrieben  auseinander  setzen  und  somit  komplexe  Zusammenhänge  untersuchen.  Weiterhin  sind  viele  sogenannte  Produktionskrankheiten  multifaktoriell bedingt (Striezel, 2005). Um die Zusammenhänge von allen Seiten zu beleuchten,  werden dann zahlreiche Informationen erhoben und eine Vielzahl von Hypothesen getestet.  

An einem Beispiel, welches der Publikation 9 zugrunde lag, lässt sich darstellen, wie ein solches  Hypothesennetz aus betrieblichen Informationen aussehen kann, in dem Variablen sowohl als  Zielgrößen als auch als Einflussgrößen wirken können (Hypothesennetz; vgl. Abb. 2). 

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  Abbildung  2:  Beispiel  für  ein  Hypothesennetz  aus  der  Studie  "Bedeutung  von Clostridium  botulinum bei chronischem Krankheitsgeschehen" (modifiziert nach Jensen, 2016)  

Der Begriff eines Hypothesennetzes ist bisher in der wissenschaftlichen Literatur nicht definiert  oder  geprägt.  Er  wird  hier  verwendet,  um  zu  veranschaulichen,  welches  hohe  Maß  an  Komplexität  und  Vernetzung  von  Hypothesen  wir  heutzutage  versuchen,  in  Modellen  abzubilden.  Ein  Hypothesennetz  ist  vergleichbar  mit  einem  ätiologischen  (bzw.  kausalen)  Diagramm, welches dabei helfen soll, Zusammenhänge grafisch darzustellen (causal diagram; 

Dohoo et al., 2009). Im Gegensatz zum ätiologischen Diagramm enthält das Hypothesennetz  ausschließlich Informationen, die auch tatsächlich erhoben worden sind und somit Hypothesen,  welche grundsätzlich auch prüfbar wären. Eine solche grafische Darstellung der (möglichen)  Zusammenhänge  erleichtert  nicht  nur  die  fortschreitende  Analyse,  sie  erleichtert  auch  die  inhaltliche Interpretation. 

Die Studie, für die das Hypothesennetz in Abb. 2 dargestellt ist, hat in einem Fall‐Kontroll‐Ansatz  nach  möglichen  Ursachen  für  ein  chronisches  Krankheitsgeschehen  in  Milchviehbetrieben  gesucht.  Die  hier  dargestellte Analyse  war  eine  ergänzende  Untersuchung  zur  der  primären  Frage, ob ein kontinuierlicher, geringgradiger Kontakt mit Clostridium botulinum bei Milchkühen  ein  chronisches  Krankheitsgeschehen  mit  sinkender  Milchleistung,  vermehrten  Todesfällen, 

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14  Zweck der Analysen 

erhöhter Abgangs‐ und Festliegerrate sowie dem Eindruck einer kranken Herde auslösen kann. 

Da  diese  fünf  Kriterien  zur  Charakterisierung  eines  chronischen  Krankheitsgeschehens  sehr  allgemein  sind  und  auch  eine  Vielzahl  anderer  Ursachen  haben  können,  wurden  die  oben  dargestellten  zusätzlichen  Informationen  zur  Tiergesundheit  und  dem  betrieblichen  Management  erhoben  und  analysiert.  In  Abbildung  2  kann  nachvollzogen  werden,  dass  beispielsweise das Vorkommen von Lahmheiten auf dem Betrieb, eine mögliche Ursache für die  Einstufung des Betriebes als Fall gewesen sein konnte (Lahmheit als Einflussgröße). Gleichzeitig  kann  jedoch  das  Auftreten  von  Lahmheiten  von  anderen  Erkrankungen  (z.B.  Mortellaro,  Pansenazidose) oder Haltungs‐ (z.B. Komfort der Liegeboxen) und Managementbedingungen  (z.B. Klauenpflegemaßnahmen) abhängen (Lahmheit als Zielgröße). 

Basierend  auf  dem  zuvor  beschriebenen  Hypothesennetz  sollten  dann  in  enger  Zusammenarbeit  zwischen  Klinikern  und  Epidemiologen  die  zu  erhebenden  Informationen  bestimmt, ausgewählt und operationalisiert werden.  

Dabei  geht  es  neben  Anforderungen  an  die  angemessene  Reihenfolge  und  Formulierung  (Vermeidung  der  Verzerrung  durch  soziale  Erwünschtheit,  Suggestion,  Komplexität,  Verständlichkeit,  etc.;  Cameron  et  al.,  2004;  Jacob  et  al.,  2011;  Mayer,  2013)  der  Fragen  insbesondere um die Erwägung, ob die gewünschte Information wirklich den Inhalt produziert,  der für die Testung der Hypothese benötigt wird (Validität, Reliabilität; Mayer, 2013). Hierzu  lässt sich wiederum ein Beispiel aus dem Projekt zur „Bedeutung von Clostridium botulinum bei  chronischem Krankheitsgeschehen“ von Milchkühen einbringen.  

Bei der Planung bestand der Wunsch, folgende Frage zu stellen: 

„Wie viele Stunden arbeitet der Betriebsleiter pro Tag durchschnittlich im Betriebszweig  Milchproduktion?“  

Die zugrunde liegende Hypothese lautete: 

„Bei  psychisch  und  physisch  stark  be‐  oder  überlasteten  Betriebsleitern  ist  die  betriebliche Leistung geringer und die Häufigkeit von Krankheiten höher als bei weniger  belasteten Betriebsleitern.“ 

In weiteren Diskussionen konnte dann festgestellt werden, dass die absolute Arbeitszeit kein  adäquater Indikator für die subjektiv empfundene Arbeitsbelastung ist. Wobei nicht in Abrede 

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gestellt wird, dass die zeitliche Arbeitsbelastung in landwirtschaftlichen Betrieben teilweise sehr  hoch ist. Vielmehr ging es ja hier um die Annahme, dass (zu) viel Arbeit den Betriebsleiter vom  Wesentlichen abhält oder ihn überfordert. Es ist jedoch ebenso anzunehmen, dass ein hoch  engagierter  Tierhalter  und  „Milchkuhliebhaber“  einen  höheren  zeitlichen  Arbeitsanteil  auf  diesen Betriebszweig verwenden wird, ohne dabei größere Belastungen zu empfinden oder die  Kühe  aus  den  Augen  zu  verlieren,  als  ein  eher  technisch  interessierter  Landwirt  oder  ein 

„Ackerbauer“  –  oder  gar  ein  Landwirt,  der  diesen  Beruf  nur  aufgrund  familiärer  Zwänge  übernommen hat (Schwarz, 2004; Kallioniemi et al., 2016). 

Während Populationsstudien gut geeignet sind, um vorhandenes Wissen zu erhärten bzw. auf  die Gültigkeit in anderen Populationen hin zu untersuchen, kann man Populationsstudien auch  einsetzen,  wenn  man  noch  keine  Annahmen  und  Erkenntnisse  über  eine  Sache  oder  einen  Zusammenhang hat. Die Auswertung solcher Studien wird als Exploration oder Erkundung der  Daten bezeichnet werden. Am Ende der Exploration stehen neu generierte Hypothesen über  mögliche Zusammenhänge und Wirkweisen. Einige Autoren gehen so weit zu fordern, dass in  solchen  Explorationsstudien  nur  deskriptive  Auswertemethoden  angewendet  werden  (Bortz  and Schuster, 2010). Als Grund wird genannt, dass mit Hilfe von explorativen Studien nur die  vorgefundene  Situation  in  der  untersuchten  Stichprobe  beschrieben  werden  sollte.  Anders  gesagt,  darf  bei  explorativen  Studien  keine  Ableitung  hinsichtlich  möglicher  Kausalitäten  gemacht werden. Ergebnisse liefern lediglich Evidenzen für die untersuchte Studienpopulation. 

Verallgemeinernde Interpretationen, bei denen von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit  geschlossen  wird,  sind  nicht  zulässig.  Dafür  müssen  die  neu  generierten  Hypothesen  erst  nachfolgend in einem anderen Datensatz getestet werden (Bortz and Schuster, 2010).  

Grundsätzlich  sind  zwei  Szenarien  für  Explorationsstudien  vorstellbar.  Zum  einen  kann  eine  Populationsstudie mit dem ausschließlichen Ziel der Exploration und Hypothesengenerierung  durchgeführt werden. Dies wurde bspw. in Publikation 6 so gemacht, als es um die möglichen  Ursachen für unspezifische Leistungsminderung in Milchkuhherden in Schleswig‐Holstein ging. 

Wesentliche Unterschiede zwischen hier untersuchten Fall‐ und Kontrollbetrieben lagen in der  Futterbergung, ‐lagerung und Energieversorgung der Milchkühe sowie in der Verschmutzung  der Tierumgebung. Diese Ergebnisse dürfen jedoch nicht ohne weiteres auf die Zielpopulation  übertragen  werden.  Sie  sind  bisher  rein  spekulativ  und  müssen  in  nachfolgenden  Studien  überprüft werden. 

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16  Zweck der Analysen 

Zum  anderen  kann  man  eine  Populationsstudie  mit  dem  Ziel  der  Prüfung  vorhandener  Hypothesen durchführen und dabei gleichzeitig neue Hypothesen generieren. Beispiele dazu  aus eigenen Arbeiten wurden bereits zuvor genannt (vgl. Publikationen 1, 2 sowie 5). Durch die  in  den  letzten  Jahren  verstärkt  durchgeführten  Verbundprojekte  sind  die  Möglichkeiten  für 

„gemischte“ Populationsstudien deutlich gewachsen, in denen sowohl Hypothesen geprüft als  auch  neue  generiert  werden.  Wie  bereits  beschrieben  bedingt  die  Verbundarbeit  eine  umfassende  Untersuchung  pro  statistischer  Einheit,  um  jeden  Partner  mit  den  benötigten  Informationen für seine Hypothesen zu versorgen (s. Publikationen 4, 9, 10 sowie Seyboldt et  al.,  2015).  So  haben  im  Verbund  zur  „Erarbeitung  von  Managementempfehlungen  zur  Kleingruppenhaltung  für  Legehennen  unter  Praxisbedingungen  im  Vergleich  zur  Volierenhaltung“ sechs unterschiedliche Einrichtungen mit neun unterschiedlichen Instituten  zusammengearbeitet,  die  Informationen  über  Wirtschaftlichkeit,  Tiergesundheit  und  ‐verhalten,  Haltungsaspekten  (Stallkima,  etc.)  sowie  Epidemiologie  zusammen  getragen  haben.  Im  Verbund  zur  „Bedeutung  von  Clostridium  botulinum  bei  chronischem  Krankheitsgeschehen“ verbunden mit dem Teilprojekt zum „Mikrobiologischen Risikopotenzial  von Biogasanlagen unter besonderer Berücksichtigung von Hühnertrockenkot als Gärsubstrat“ 

haben zwei Einrichtungen mit sechs Partnern zusammen gearbeitet. In allen Verbünden war zu  beobachten,  dass  die  Partner  –  neben  dem  Testen  ihrer  konkreten  Hypothesen  ‐  ein  gegenseitiges Interesse an den Daten der Partner hatten mit dem Ziel, durch eine übergreifende  und kooperative Datenanalyse neue Hypothesen zu generieren, die ohne die Verbundarbeit so  nicht hätten ermittelt werden können.  

Führt  man  diese  Art  der  „gemischten“  Populationsstudien  durch,  besteht  die  Gefahr,  den  Unterschied  in  der  Aussagekraft  von  Analyseergebnissen  aus  neu  generierten  Hypothesen  gegenüber zuvor in anderen Studien erarbeiteten zu prüfenden Hypothesen aus dem Blick zu  verlieren. So könnte es passieren, dass Ergebnisse aus Hypothesen generierenden, explorativen  Studienteilen  in  der  wissenschaftlichen  Literatur  als  schlussbildende  Erkenntnisse  überinterpretiert werden. So könnten sich mit der Zeit die Grenzen zwischen beiden Prinzipien  verwischen. Im Rahmen der eigenen Arbeiten in Verbundprojekten konnte beobachtet werden,  dass die Möglichkeiten der heutigen Rechnerleistung im Hinblick auf Datenhaltung und –analyse  offenbar  dazu  verleiten,  Informationen  in  einem  sehr  hohen  Detailgrad  und  mit  einer  sehr  großen inhaltlichen Breite zu erheben, wobei die dafür vordefinierten Hypothesen ebenfalls  sehr  zahlreich  sind.  Die  Erwartung  an  die  Analysen  ist  dann  teilweise,  dass  aus  allen 

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Informationen  möglichst  automatisiert  die  „wichtigsten  Risikofaktoren  extrahiert  werden“. 

Man  sollte  sich  hier  jedoch  vor  Augen  führen,  dass  es  sich  zum  einen  bei  einem  solchen  Vorgehen um eine Exploration der Daten handelt, die keine Verallgemeinerung zulässt. Zum  anderen  sollte  ebenfalls  berücksichtigt  werden,  dass  bei  einer  solchen  Vielzahl  von  Informationen immer mit falschen Auswerteergebnissen zu rechnen ist, da jedes Modell mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  fehlerhafte  Ergebnisse  produziert  (Typ‐I  und  Typ‐II‐Error; 

Dohoo et al., 2009). 

2.3.2 Ursache‐Wirkungs‐Beziehungen 

Führt man Populations‐/Beobachtungsstudien mit dem Ziel der Hypothesentestung durch, so  ist es bekannt, dass kausale Interpretationen als wesentliches Problem bei deren Interpretation  gelten. Um den Zusammenhang zwischen der möglichen Ursache und der Wirkung inhaltlich  besser  interpretieren  zu  können  und  abzuleiten,  ob  diese  Beziehung  kausal  ist,  wurden  im  Verlauf des letzten Jahrhunderts sogenannte Kausalkriterien definiert, die sich in verschiedenen  Kausaltheorien  immer  stärker  präzisiert  haben.  Während  Henle  und  Koch  noch  von  einem  monokausalen Ansatz ausgingen (Henle‐Koch‐Postulate), entwickelten Mill (Mill’s canon oder  Mill’s methods; 1843) und Hill (Hill’s criteria for causation; 1965) sowie Evan (Evan’s criteria; 

Evans, 1976) die Bedingungen für den Nachweis von Kausalität weiter, so dass mittlerweile auch  multikausale  Konzepte  von  Erkrankungen  auf  kausale  Inferenz  hin  geprüft  werden  können. 

Neben der Stärke des Zusammenhangs sind heute unter Anderem Dosis‐Wirkungsbeziehungen,  Konsistenz,  zeitlicher  Zusammenhang  (Temporalität),  Reaktion  auf  Intervention  oder  Prävention,  biologische  Plausibilität,  Kohärenz  sowie  Evidenz  relevante  Kausalitätskriterien. 

Einige dieser Kriterien sind im Folgenden aufgegriffen und in Bezug auf die eigenen Arbeiten  näher beleuchtet. 

Der experimentelle Versuch gilt als der Gold‐Standard zum Nachweis von Kausalitäten (Dohoo  et  al.,  2009).  Hier  können  Verzerrungsmechanismen  (Selection  Bias,  Confounding,  etc.)  kontrolliert werden. In populationsbasierten Beobachtungsstudien können diese Mechanismen  dagegen  nicht  immer  kontrolliert  werden.  Weist  man  in  Beobachtungsstudien  starke  Zusammenhänge von möglichen Einflüssen mit einer oder mehreren Zielgrößen nach, so liegt  grundsätzlich dennoch der Wunsch nahe, diese Zusammenhänge als kausale Zusammenhänge  zu  interpretieren  (Rothman  et  al.,  2008).  Mittlerweile  geht  die  moderne  Interpretation  des  Kausalitätskriteriums  über  die Stärke  des  Zusammenhangs  davon  aus,  dass  gerade  starke 

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18  Zweck der Analysen 

Zusammenhänge  nicht  so  wahrscheinlich  durch  den  Zufall,  Verzerrungsmechanismen  oder  Confounder  zu  erklären  sind  wie  weniger  starke  Zusammenhänge  (Boffetta,  2010).  Diese  Sichtweise  ermöglicht  es,  auch  aus  Beobachtungsstudien  Interpretationen  hinsichtlich  möglicher Kausalzusammenhänge abzuleiten. Jedoch bedeutet dies nicht, dass die Stärke des  Zusammenhangs  allein  ausreichend  wäre,  um  Kausalität  abzuleiten.  Vielmehr  ist  bei  Beobachtungsstudien die Stärke des Zusammenhangs ein Kriterium von vielen (Kreienbrock et  al., 2012).  

Wendet man die Idee über die starken Zusammenhänge auf Faktorenkrankheiten an, bei denen  man  viele  mögliche  Risikofaktoren  erfassen  muss,  so  würden  sich  auch  bei  solchen  Erkrankungen  starke,  signifikante  Effekte  in  einen  Kausalzusammenhang  mit  der  Zielgröße  bringen  lassen.  Beispiele  hierfür  lassen  sich  in  den Publikationen 6  und  9 finden.  So  fiel  in  Publikation  6  auf,  dass  in  Fallbetrieben  die  Chance  für  verbesserungsfähige  Sauberkeit  und  Management  am  Futtertisch  der  Milchkühe  gegenüber  Kontrollbetrieben  um  das  7‐Fache  erhöht war (in der einfaktoriellen Analyse; p<0,0001). Weiterhin war in Fallbetrieben die Chance  für das Vorhandensein von sogenannten unspezifischen Leistungsdepressionen (retrospektives  Bestandsproblem) im Vergleich zu  Kontrollbetrieben um das 5,5‐fache höher (p=0,001). Mit  dem  Wissen  um  mögliche  Einflüsse  auf  diese  Effektschätzungen  durch  Interaktionen  und  Confounder  wurden  mehrfaktorielle  Analysen  durchgeführt,  nach  denen  nur  noch  die  unspezifischen Leistungsdepressionen einen sehr starken und signifikanten Zusammenhang mit  der  Zielgröße  (hier:  Fall‐Kontrollstatus)  aufwiesen.  Ähnliches  kann  in  Publikation  9  nachvollzogen werden, wo in Fallbetrieben die Chance dafür, dass der Kuh‐Komfort‐Index unter  75% lag, um das mehr als 10‐fache höher war als in Kontrollbetrieben (Fall‐2‐Betriebe; p=0,002; 

mehrfaktorielle  Analyse).  Es  kann  also  geschlussfolgert  werden,  dass  auch  für  Beobachtungsstudien  mit  einer  großen  Zahl  an  möglichen  Einflüssen  auf  die  Zielgröße  bei  starken  Zusammenhängen  grundsätzlich  Interpretationen  im  Hinblick  auf  Kausalzusammenhänge  möglich  sind.  Jedoch  erfordert  dies  eine  intensive  analytische  Auseinandersetzung mit den Daten und den Ausschluss möglicher Verzerrungsmechanismen  sowie Interaktionen (vgl. Kap. 3.5 und 3.6.2). Weiterhin muss man sich über das Risiko bewusst  sein, dass es sich bei den identifizierten Zusammenhängen um falsch positive (Fehler 1. Art; vgl. 

Kap. 2.4.1) oder überschätzte und unrealistische Effekte (vgl. Kap. 2.4.2) handelt. 

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Gerade  im  Zusammenhang  mit  Faktorenkrankheiten  ist  es  jedoch  oft  schwer,  starke  Zusammenhänge  nachzuweisen.  Die  Wirkung  von  Faktoren  ist  multikausal  und  der  einzelne  Faktor hat oft nur einen schwachen Zusammenhang mit der Zielgröße. So wurden in Publikation  9 für 20 Faktoren signifikante Zusammenhänge (p<0,05) mit der Zielgröße in der einfaktoriellen  Analyse nachgewiesen, von denen der Risikoschätzer einmal bei 4,7 lag und sonst ≤1,2 bzw. ≥0,9  war. Solche Werte sind bei wichtigen und für die Krankheitsentwicklung notwendigen Faktoren  noch als gering zu bewerten („necessary cause“; Rothman et al., 2008). Bei Faktorenkrankheiten  gibt es eine solche Bewertung nicht. Dennoch ist hier mehr als sonst die Einbeziehung anderer  Kriterien neben der Stärke des Zusammenhangs notwendig, wenn es um die Beurteilung einer  möglichen Kausalität geht. Gerade aufgrund des Fehlens eines starken Zusammenhangs sind  intensive Analysen nötig, um den möglichen Einfluss von Confounding auszuschließen. Nach der  mehrfaktoriellen Analyse blieb der eine starke Zusammenhang erhalten sowie 5 Faktoren, die  zuvor einen schwachen Zusammenhang aufwiesen. Hier konnte im mehrfaktoriellen Modell für  keinen der schwachen Einflüsse ein stärkerer Zusammenhang mit der Zielgröße nachgewiesen  werden. Dennoch waren sie teilweise deutlich signifikant mit der Zielgröße assoziiert. Inhaltlich  lässt sich nachvollziehbar ableiten, dass weniger Kühe mit ausreichender Köperkondition, eine  verlängerte Zwischenkalbzeit, ein niedriger Kuh‐Komfort‐Index, mehr Kühe mit Hautläsionen an  den  Beinen  sowie  vermehrt  verschmutzte  Euter  allein  und  insbesondere  gemeinsam  einen  wirksamen  Einfluss  darauf  hatten,  dass  sich  in  den  Betrieben  protrahierte  Leistungsmängel  sowie vermehrt Krankheiten und erhöhte Mortalitäten entwickelt haben. 

Auch  in  der  Humanepidemiologie  sind  diese  schwachen  Effekte  bekannt.  Will  man  beispielsweise  solche  Risikofaktoren  untersuchen,  die  nicht  die  Hauptverursacher  von  Lungenkrebs sind, wird man mit schwachen Assoziationen rechnen müssen. Um dennoch eine  adäquate Beobachtungsstudie durchführen zu können, ist es hier angezeigt einen angemessen  hohen  Stichprobenumfang  zu  wählen  (Boffetta,  2010).  Abgesehen  davon  sollte  nicht  unbeachtet  bleiben,  dass  es  in  der  Humanepidemiologie  für  die  Analyse  von  multikausalen  Faktorenkrankheiten  ein  theoretisches Modell  über  die  ausreichende  Ursache  sowie  über  zusammengesetzte Ursachen gibt. Es kann gerade auf die Annahme angewendet werden, dass  eine gewisse Zahl an schwachen Einflüssen gemeinsam eine Wirkung auslösen kann. Rothman  et al. (2008) erläutern, dass es einerseits notwendige Ursachen geben kann, ohne die es nie zu  einer  Wirkung  (z.B.  nie  zur  Entstehung  einer  Krankheit)  kommen  kann  („necessary  cause“). 

Andererseits kann es auch ausreichende Ursachen geben, die zur Krankheitsentstehung führen 

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