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Archiv "Folteropfer: „Die Würde wieder spüren“" (05.07.2002)

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it fester und stolzer Stimme spricht Hossam Al-Beqai zu sei- nen Zuhörern: „Weiche von mir, Albtraum, ich sehne mich nach Leben und liebe es allem zum Trotz.“ Die Zeit in syrischen Gefängnissen, Folter und De- mütigungen konnten seinen Überlebens- willen nicht brechen. In einem Gedicht, dass Al-Beqai auf der Jubiläumsveran- staltung zum zehnjährigen Bestehen des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin (BZFO) vortrug, erzählt der junge Mann deshalb auch von der Liebe zu seiner Heimat. „Dort, wo der Sand wie Zucker schmeckt“, wie er sagt.

Al-Beqai ist Patient des Berliner Be- handlungszentrums, das Anfang 1992 als Ärzteinitiative mit einem kleinen Büro in den Räumen der Ärztekammer Berlin gegründet wurde und das sich die Re- habilitation von Folteropfern zum Ziel gesetzt hat. Heute zählt das BZFO 26 Mitarbeiter und gilt auf dem Gebiet der medizinischen und psychologischen Ver- sorgung von Folteropfern als Institution in Deutschland. Die meisten Betroffe- nen, die in dem Zentrum Hilfe finden, sind Kurden aus der Türkei oder stam- men aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Die Patienten kommen aber auch aus Tschetschenien, dem Iran, Syrien und aus afrikanischen Ländern. „Die Türkei ist nach wie vor eines der schlimmsten Folterlän- der“, sagte Dr. med. Christi- an Pross, Leiter des BZFO in Berlin.

Weil die Nachfrage die vorhandenen Kapazitäten übersteigt, stehen ständig 100 bis 200 Patienten auf der Warteliste des Be- handlungszentrums. Über 20 Prozent der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, sind nach Schätzungen des BZFO in ihren Heimatstaa-

ten gefoltert worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amne- sty international wird in 111 Ländern der Welt gefoltert. Daran konnte auch die Konvention der Vereinten Nationen von 1987 nur wenig ändern, wonach Folter als Mittel staatlicher Gewalt voll- ständig zu beseitigen sei. Pross und sei- ne Mitarbeiter haben in den vergange- nen Jahren beobachten können, dass

neben körperlicher Gewalt immer mehr psychische Folter wie Schlafent- zug oder Isolationshaft ausgeübt werde.

In der Rehabilitation wolle man den Betroffenen helfen, ihre Würde wieder zu spüren und ein Leben zu führen, dass weitgehend frei von körperlichen Be- schwerden ist.

Dass dies eine gesamtgesellschaft- liche Aufgabe sein muss, steht für Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und Beiratsmitglied des Behandlungszen- trums, außer Frage. Hoppe beklagte in seinem Grußwort zur Jubiläumsveran- staltung, dass in Deutschland zu häufig weggesehen und das soziale Gewissen mithilfe von gelegentlichen Spenden be-

ruhigt werde. Hoppe: „Wer gefoltert wurde, hat einen Teil seines Lebens ein- gebüßt. Bleibt er ohne Hilfe, ist auch der Rest verloren.“

Das BZFO ist ähnlich einer Poli- klinik organisiert, in der Ärzte für All- gemeinmedizin und Psychiatrie, Psy- chotherapeuten und Sozialarbeiter eng zusammenarbeiten. Dolmetscher un- terstützen die Arbeit des therapeuti-

schen Teams. Um knapp 500 Patienten pro Jahr kümmert sich das Behand- lungszentrum. Dabei sind die meisten Opfer Asylbewerber, die in Heimen le- ben und oftmals ohne Arbeitserlaubnis sind. Dieser Mangel an Beschäftigung sei kontraproduktiv für die Heilung der Patienten, erläuterte Pross.

Erfahrungen, die Prof. Dr. med. Veli Lök, Gründungsmitglied der Türkischen Menschenrechtsstiftung und selbst Op- fer politischer Drangsalierung, nicht fremd sind. Lök dankte dem Behand- lungszentrum für die gute Zusammenar- beit, wies aber auch darauf hin, dass die Türkische Menschenrechtsstiftung – im Gegensatz zum Behandlungszentrum in Deutschland – ihre Arbeit in einem Land fortführen müsse, in dem die Folter wei- terhin systematisch angewandt werde und in dem eigene Mitarbeiter kontinu- ierlicher Repression vonseiten der politi- schen Führung ausgesetzt seien. Als Zei- chen der Solidarität habe das BZFO wie- derholt als Prozessbeobachter an Ge- richtsverfahren gegen Mitarbeiter der Stiftung teilgenommen, berichtete Lök.

Das BZFO versteht seine Arbeit auch als Widerstand gegen Folterer und deren brutale Regime. Folteropfer psy- chisch und physisch wieder aufzurich- ten, bedeutet deshalb auch immer, sie in ihrem Kampf gegen menschenverach- tende Praktiken zu unterstützen. Das Behandlungszentrum kann nur kleine Schritte gehen. Trotzdem ist dessen Ar- beit nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Wenn ein Patient statt nur zwei Stunden vielleicht vier Stun- den pro Nacht schlafen kann, dann ist das schon ein Erfolg“, sagte Prost.

Manchmal kann auch mit einer kleinen Geste ein großer Wunsch von Patienten erfüllt werden. Hossam Al-Beqai verrät in seinem arabischen Gedicht: „Ich wünsche mir eine warme Hand, die mei- ne Hand berührt.“ Samir Rabbata P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002 AA1865

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international wird in 111 Ländern der Welt gefoltert.Foto: dpa

Folteropfer

„Die Würde wieder spüren“

Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin

besteht seit zehn Jahren.

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