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Archiv "Behandlungszentrum für Folteropfer – erste Fallberichte" (08.05.1992)

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THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Behandlungszentrum für Folteropfer erste Fallberichte

Die komplexen Krankheitsbilder der Patienten des Behandlungszen- trums für Folteropfer in Berlin erfor- dern ein multidisziplinäres Vorge- hen. Zur Zeit arbeiten vier Ärzte, drei Psychologen, eine Sozialarbeite- rin und eine Physiotherapeutin, eine Bibliothekarin und eine Sekretärin im Behandlungsteam. Sind bei spezi- ellen Fragestellungen eine weiterge- hende Diagnostik und konsiliarärzt- liche Dienste erforderlich, können kooperierende klinische Einrichtun- gen im Klinikum Westend und nie- dergelassene Kollegen hinzugezogen werden. Untersuchung und Behand- lung erfolgen grundsätzlich ambu- lant, in seltenen komplizierten Fäl- len können Patienten in entspre- chende Fachabteilungen aufgenom- men werden.

Bei den Patienten zeigt sich eine Vielzahl von Beschwerdebildern, für die es noch keine schlüssigen patho- physiologischen und psychologischen Erklärungsmuster gibt. Hier kann nur eine breite Diskussion in der Ärzteschaft und in den anderen Heilberufen über Diagnostik und Behandlung von Extremtraumatisie- rung zu neuen Erkenntnissen füh- ren. In den sechziger und siebziger Jahren ist eine solche Diskussion in Ansätzen über die gesundheitlichen Spätschäden von Verfolgten des Na- tionalsozialismus geführt worden.

Daran läßt sich anknüpfen.

Herrn F., 45 Jahre alt, überwies amne- sty international an das Behandlungszentrum.

Er wurde 1987 in Südkorea wegen des Ver- dachts der Tätigkeit für eine Organisation verhaftet, die sich der gewaltlosen Wiederver- einigung des Landes verschrieben hat. Er wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, später re- duzierte man die Haftzeit auf 9 Jahre. Wäh- rend der ersten 40 Tage im Gefängnis wurde Herr F. schwer gefoltert durch Einzelhaft in einer 1 m 2 großen Zelle, Schlafentzug durch Lärm, Zwangshaltung, Eintauchen in kaltes Wasser in Bauchlage, Schläge mit Handkan- ten auf den Hinterkopf und hinter beide Oh- ren, Wechsel von Lichtüberflutung und Dun- kelheit über Tage.

Nach der Entlassung nach 3 1/2 Jahren klagt er über eine beidseitige Hypakusis, ei- nen ausgeprägten Tinnitus beidseits, Schwin- del, Hypästhesie am linken Hinterhaupt, Ein-

Seit einem halben Jahr wer- den Opfer von Folter und an-

derer Formen organisierter staatlicher Gewalt im Berliner

Behandlungszentrum für Fol- teropfer behandelt. Bisher ha- ben 45 Patienten das Zentrum

um Hilfe gebeten. Sie kom- men aus dem Iran, Irak, Sy- rien, Libanon, Türkei, Kurdi- stan, Korea, Angola, Uganda, Äthiopien, Pakistan, Rumänien

und der ehemaligen DDR.

Zwei Schicksalsberichte ver- deutlichen die Aufgaben.

schränkung der HWS-Beweglichkeit und dif- fuse Gelenkschmerzen. Aus Alpträumen wacht er nachts schreiend auf, er leidet an Konzentrationsschwäche, Wortfindungsstö- rungen, erhöhter Reizbarkeit, Unruhe und Aggressivität. Sein Kurzzeitgedächtnis ist ge- stört.

Nach der HNO-ärztlichen Diagnostik er- scheint der Tinnitus nicht maskierbar. Ein Hörgerät kompensiert seine Schwerhörigkeit.

Organische Ursachen im Sinne von Aneurys- men oder Tumoren konnten ausgeschlossen werden. Wegen der sozialen Einschränkun- gen, die der Tinnitus hervorruft, erscheint ei- ne psychotherapeutische Behandlung sinn- voll. Dazu mußte Herr F. sein Vorurteil über- winden, Psychotherapie habe mit „Verrückt- heit" zu tun. Wir konnten die Blockaden, die das Foltertrauma für die Wahrnehmung, Er- innerung und das Handeln setzte, auflockern und in Ansätzen erreichen, daß er sein ge- störtes Körpergefühl wiedererlangt; seine Fa- milienangehörigen lernten, seine Beschädi- gung zu akzeptieren. In der begleitenden Physiotherapie wurden die funktionellen Stö- rungen der HWS behandelt.

® Herr B., 47 Jahre alt, wurde uns eben- falls von amnesty international zugewiesen.

Er stammt aus einem ostafrikanischen Land.

Zehn Jahre verbrachte er ohne prozessuale Anklage in Haft. Zuvor arbeitete er als Jour- nalist. 1981 wurde er verhaftet wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit einem Stamm, der nach größerer Beteiligung am po- litischen Leben seines Landes strebte. Wäh- rend der Verhöre foltere man ihn über vier Monate lang durch Schläge auf die Fußsohlen und knebelte ihn mit einem stinkenden Sok- ken. Nachdem die Fußsohlen aufgeplatzt wa- ren, tauchte man seine Füße in Salzwasser.

Über 14 Tage lang fixierte man beide Hände in Handschrauben und zerstörte dadurch sei- ne Fingernägel. In der nachfolgenden Haft-

zeit erkrankte Herr B. an einer Lungentuber- kulose, die nach europäischem Standard be- handelt wurde.

1991 kam er frei. Seither äußert er Sorgen um seine Atemwege. Röntgenologisch finden sich keine Hinweise auf eine produktive Tbc, die Laborbefunde sind unauffällig. Zwischen- zeitlich erkrankte er an einer Sinusitis fronta- lis. Nach der Behandlung äußert er immer noch Ängste wegen der Hypersekretion aus dem Nasen-Rachen-Raum. Ein Tinnitus rechts verursacht wiederholte Schlafstörun- gen, sein Kurzzeitgedächtnis ist stark gestört.

Bei Herrn B. versucht unser Psychotherapeut die Verbindung zwischen abgelaufener Atemwegserkrankung und der „Sorge um die Luft" zu klären. Die Physiotherapeutin unter- stützt die Behandlung in Form von Atemgym- nastik und Atemtraining.

In beiden Fällen besteht eine komplexe Symptomatik und eine er- hebliche Diskrepanz zwischen objek- tiven Befunden und subjektiven Be- schwerden. Beide Patienten wollen ihre Symptome beseitigt haben, die sie auf das Haft- und Foltertrauma zurückführen. Im Rahmen der Be- handlung müssen jedoch die zumeist komplexen Entstehungsbedingungen aufgearbeitet werden. Das löst häu- fig Unwille, Scham und Angst aus.

Eine Reduzierung der subjektiven Beschwerden dürfte nicht kurzfristig zu erreichen sein.

Ein wesentlicher Teil der Arbeit des Zentrums wird die Evaluierung der Verlaufsbeobachtungen und die wissenschaftliche Erforschung der Spätfolgen von Folter sein.

Das Echo auf den ersten Spen- denaufruf im Deutschen Ärzteblatt (Heft 49/1991) war ermutigend.

Das Bundesfamilienministerium, das DRK und die UNO tragen einen Teil der Kosten. Das Behandlungs- zentrum kann die begonnene Ar- beit im erforderlichen Umfang nur dann fortsetzen, wenn es mit weite- ren (abzugsfähigen) Spenden unter- stützt wird (Behandlungszentrum für Folteropfer e.V. Konto Nr.

0 003 074 234, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, BLZ 100 906 03).

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Sepp Graessner Behandlungszentrum für Folteropfer,

Haus 6, DRK-Kliniken Westend Spandauer Damm 130,

W-1000 Berlin 19

Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992 (41) A1-1711

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