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Archiv ". . . denn die Leistungsfähigkeit führt zum Therapieerfolg" (19.03.1982)

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Durch die familiäre Arbeitsatmosphäre ist die Leistungsbereitschaft über- durchschnittlich hoch in der Nostra-Ver- bund-Werkstatt

Die Information:

Bericht und Meinung DIE REPORTAGE

. . . denn die Leistungsfähigkeit führt zum Therapieerfolg

Ein schöpferisches Experiment zur Behinderten-Integration:

Die Nostra-Verbund-Werkstatt

Soziale Integration von Behinderten scheitert häufig an einem Grund, der — wie es scheint — wenig „diskussionsergiebig" ist:

Fast niemand macht sich Gedanken über die spezifische Lei- stungsfähigkeit eines Behinderten. Man bescheinigt eine Minde- rung der Erwerbsfähigkeit um x Prozent, versorgt, verwaltet, doch wer kümmert sich ernsthaft um die Arbeitsmarktsituation der Behinderten, um ihre Konkurrenzfähigkeit? Wer spricht von der hundertprozentigen Leistungsfähigkeit des behinderten „Ohn- Händers", der sein Amt als Verwaltungsbeamter zur vollen Zufrie- denheit seiner Behörde wahrnimmt, von dem vollen Einsatz eines gehörlosen Maschinendrehers usw.? Die pauschale Definition der Minderung der Leistungsfähigkeit schadet dem Behinderten sowohl materiell als auch in bezug auf sein soziales Ansehen. Der Lösungsvorschlag lautet deshalb, nicht nur den Grad der Behinde- rung festzuhalten, sondern ergänzend auch das Maß der Lei- stungsfähigkeit hinsichtlich einer bestimmten Arbeit in Prozent auszudrücken. Das Beispiel der Nostra-Verbund-Werkstatt. Köln, zeigt, wie trotz katastrophaler Arbeitsmarktsituation für Behin- derte es dank Eigeninitiative möglich sein kann, sich aus dem Teufelskreis von Almosentum und sozialer Isolation zu befreien — wenn auch, wie im vorliegenden Fall, einige Wettbewerbsnachteile dafür in Kauf genommen werden müssen.

Arbeiten bedeutet nicht nur „Bröt- chenerwerb", sondern auch Ein- gliederung in die Gesellschaft — diese Binsenweisheit gilt erst recht für den besonderen Status der Behinderten, dem sich der ein- zelne Betroffene so schnell wie möglich durch Arbeitssuche ent- ziehen möchte.

Der Gesetzgeber formuliert den Anspruch an die Behinderten- werkstätten so: „Die Werkstatt

muß es den Behinderten ermögli- chen, ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen oder wie- derzugewinnen und ein dem Lei- stungsvermögen angemessenes Arbeitsentgelt zu erreichen" (§ 52 SchwbG). Die gemeinnützige Ein- richtung der Nostra-Verbund- Werkstatt, Köln, kann diesen Auf- trag ganz offensichtlich erfüllen.

1978 wurde sie mit dem Ziel ge-

gründet, für diejenigen Arbeits- plätze zu schaffen, für die der all- gemeine Arbeitsmarkt keine oder noch keine Verwendung hat. Das sind geistig, psychisch und kör- perlich behinderte Menschen, das sind aber auch Alkoholiker, Vorbe- strafte, oder ganz einfach ältere Jahrgänge. Die Werkstatt erledigt Auftragsarbeiten von anderen Fir- men, das heißt sie übernimmt ein- fache, aber arbeitsintensive Mon- tage-, Schweiß- und Verpackungs- arbeiten usw. Die Verdienste dabei sind nicht besonders hoch.

Woran liegt nun das Besondere an der Nostra? Gibt es doch viele Be- hindertenwerkstätten, noch dazu mit ganz anderen, stolzeren Um- satzdaten. Drei Mini-Betriebe ge- hören zu der Verbund-Werkstatt.

Ihre Belegschaft besteht aus Kleingruppen, sogenannten „Be- triebsfamilien" mit je fünf bis sie- ben Mitarbeitern, jung und alt, männlich und weiblich gemischt, mit unterschiedlichen Behinde- rungen. Die Gemeinschaften ge- winnen dadurch familiären Cha- rakter. Jeder steuert zur Gesamt- produktion so viel bei, wie es ihm nach seinem Leistungsvermögen gelingen mag. Wegen der Gemein- nützigkeit des Unternehmens steht die Lohnhöhe in unmittelba- rem Zusammenhang mit dem Be- triebsergebnis. Zwar bemüht sich Dr. Helmut Müller-Westing, der In- itiator des Unternehmens, durch Rücklagenbildung um eine Verste- tigung der Lohnhöhe und Siche- rung der Arbeitsplätze, doch kam es schon vor, daß aufgrund schlechter Auftragslage Entlas- sungen drohten — das finanzielle Polster war noch nicht dick ge- nug. Derzeit steht gerade aus Inve- stitionsgründen ein Darlehen der Mitarbeiter an den Betrieb zur De- batte. Interessant dabei ist, daß al- le diese Entscheidungen von der Gemeinschaft zu treffen sind. Je- der hat eine Stimme, gleichgültig, ob er psychisch oder physisch be- hindert ist. Und der Zuspruch, den die Gruppen-Entscheidungen von den einzelnen Mitarbeitern erfah- ren, läßt sich z. B. in der Dar- lehensangelegenheit veranschau-1>

12 Heft 11 vom 19. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Die „Betriebsfamilie" trifft alle betriebsinternen Entscheidungen gemeinsam —

jeder hat eine Stimme Fotos (2): Schumann

Die Information:

Bericht und Meinung Behinderten-Integration

lichen: Keiner, der nicht auch et- was beisteuern möchte, und wenn er im Augenblick vielleicht nur 100 Mark übrig hat — auch über die Höhe entscheidet jeder selber — mitmachen möchten alle. Im Ge- spräch mit Müller-Westing ist nicht zu überhören, wie stolz die Geschäftsführung auf diesen

„Vertrauenskredit" für die Investi- tionsentscheidung ist. Nicht nur die Arbeitsprobleme werden von den Betriebsfamilien gelöst, son- dern auch privat kann jeder mit der Hilfe der Gemeinschaft rechnen.

Zwei Beispiele: Reinhard K., 21 Jahre alt, geistig-psychisch behin- dert, ist als Heimkind aufgewach- sen. Jetzt haben ihm die mit der Nostra assozierten „Begleitenden Dienste" einen Platz in einer Wohngemeinschaft mit Sozialar- beitern verschafft. Harry, 22 Jahre, zu 60 Prozent sprachbehindert (aber eben in bezug auf die No- stra-Arbeit zu 100 Prozent lei- stungsfähig), lebt auch nach Feierabend bei einer „Betriebs- mutter". Das Ergebnis dieser Inte- gration „in Arbeit, Beruf und Ge- sellschaft", wie der Fachjargon des Schwerbehindertengesetzes es formuliert, läßt sich nach Mei- nung des Werkstattleiters W. Luk- kas an dem überdurchschnittlich hohen Leistungsniveau der Werkstatt im Vergleich zu Arbeit- nehmern in anonymen Behinder- ten-Betrieben ablesen. „Wie wir alle Bruchstücke von Gruppen sind, die Gemeinschaft unsere na- türlichste und deswegen optimale Umwelt darstellt, erfüllen Wohn- gemeinschaften, Betriebsfamilien, Selbsthilfegruppen aller Art wohl das vielleicht tiefste, ursprünglich- ste und notwendigste Verlangen aller Menschen, das Verlangen nach Geborgenheit in einer Grup- pe", mit dieser These begründet Professor Dr. Michael L. Moeller, ein Psychoanalytiker aus Gießen, der die Nostra wissenschaftlich begleitet, den Erfolg, der sich in der Leistungsbereitschaft der Gruppenmitglieder niederschlägt.

Die Mitgeschäftsführerin Gisela Olfers sagt es so: Der Erfolg liegt

im „Geheimnis der kleinen Gruppe".

Dieser Leistungserfolg ist zugleich ein Zeichen für den Therapie-Er- folg: Bei einem Gang durch den Werkstattbereich fällt auf, daß trotz der relativ eintönigen Arbeit eine aufgelockerte, gute Atmo- sphäre herrscht. Die Mitarbeiter haben Selbstbewußtsein, sie wis- sen, daß sie sich von keinem Ar- beitskollegen etwas befehlen las- sen müssen. Hackordnung gibt es also keine, statt dessen entschei- det in allen anstehenden Proble- men die Gruppe. Auch muß jeder einmal unangenehmere Arbeit ver- richten, es kommt nicht so schnell Langeweile auf. „Keiner wird im Stich gelassen — Laßt aber auch Eure Werkstatt nicht im Stich", so lautet die Devise.

Und doch fehlt es noch an et- was ganz Wichtigem: An der for- mellen Anerkennung im Werk- stattverbund mit den „Gemeinnüt- zigen Werkstätten, Köln (GWK), durch das Landesarbeitsamt als

„anerkannte Behindertenwerk- statt". Erst dann wird den geistig behinderten Mitarbeitern eine nach dem „Gesetz über die So- zialversicherung Behinderter"

(SVBG) günstig geregelte Renten- versicherung gewährt, erst dann kommen Geschäftspartner, die ei- nen Arbeitsauftrag an die Werk- statt vergeben, in den Vorzug ei-

ner verringerten Ausgleichsabga- be für unbesetzte Behinderten- plätze (§ 53 SchwbG) und der No- stra die Arbeitsaufträge der öffent- lichen Hand bevorzugt zugute.

Das mag überraschen, denn die anerkannten „Werkstätten für Be- hinderte" können sich bei oft Hun- derten von behinderten Mitarbei- tern einer gewissen „Ghetto-Si- tuation" nur schwer erwehren, die Integration der Behinderten in die Gesellschaft dürfte bei ihnen schwerer zu bewerkstelligen sein als bei Nostra. Zwar hat sich die Erkenntnis, daß „der Übergang aus der geschützten Umgebung in den Krankenhäusern für Psychia- trie, aber auch der Werkstätten für Behinderte in die leistungsorien- tierten Betriebe der freien Wirt- schaft ... fast immer problema- tisch" ist und daß es gilt, Zwi- schenstufen zu entwickeln, zwar hat sich diese Erkenntnis bereits auch schon in den Köpfen der Zu- ständigen eingenistet, doch ist es bis dato noch zu keiner Anerken- nung gekommen. Dazu muß er- gänzt werden — damit kein Mißver- ständnis entsteht —, daß die No- stra-Verbund-Werkstatt ihre Auf- gabe zur Behinderten-Integration nicht im Alleingang (oder gar kon- kurrierend!), sondern in Ergän- zung zu den bestehenden Einrich- tungen wahrnehmen möchte — eben im „Verbund". ck Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 11 vom 19. März 1982 15

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