Zur Fortbildung Aktuelle Medizin EDITORIAL
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BETAREZEPTOREN- BLOCKER IN
DER BEHANDLUNG INTERNISTISCHER ERKRANKUNGEN
Hubert Mörl
W
ie kaum eine andere neue Medikamenten- gruppe der letzten zwei Jahr- zehnte stellen die Betarezep- torenblocker ein wirklich neu- es, äußerst wirksames Be- handlungsprinzip in der The- rapie wichtiger internistischer Erkrankungen dar.Wenngleich schon früher be- kannt, so werden sie doch erst seit einigen Jahren in der Behandlung verschiedener, häufig auftretender Krankhei- ten angewandt und dank ge- ringer Nebenwirkungen und großer therapeutischer Breite bei sachgemäßer Handha- bung mit Recht in zunehmen- dem Maße verordnet.
Zumeist handelt es sich dabei um die Dauerbehandlung chronischer Erkrankungen mit einem hochwirksamen Medikament, welches un- sachgemäß angewandt, trotz großer therapeutischer Breite zu bedrohlichen Folgeer- scheinungen führen kann, wenn bestimmte Kontraindi- kationen und Nebenwirkun- gen nicht gebührend beachtet werden.
O Man unterscheidet zwi- schen sogenannten kardiose- lektiven Betarezeptorenblok- kern, die im wesentlichen nur die vorwiegend im Herzen lo- kalisierten Beta-1-Rezeptoren dominant blockieren und nichtkardioselektiven Beta- blockern, die auch die Betare- zeptoren anderer Organe, speziell der Bronchial- und Gefäßmuskulatur (Beta-2-Re- zeptoren) blockieren.
Diese Differenzierung gilt je- doch nicht absolut, sie ist eine Frage der Dosierung. Mit zu- nehmend höherer Dosierung nimmt die selektive Wirkung der heute verfügbaren Beta- blocker ab.
O Betablocker werden er- folgreich bei der arteriellen Hypertonie, der koronaren Herzkrankheit, bei Herzrhyth- musstörungen, bei hypertro- pher obstruktiver Kardiomyo- pathie, beim hyperkinetischen Herzsyndrom, bei Hyperthy- reose, bei grünem Star, bei Phäochromozytom, bei Mi- gräne und auch bei Angstzu- ständen angewandt.
O Eine bis vor kurzem stritti- ge Indikation —der Einsatz der Betablocker beim akuten Herzinfarkt — scheint zur Zeit dahingehend entschieden zu sein, daß bei sichtlich sympa- thikotonen, motorisch unruhi- gen Infarktkranken immer dann Betablocker eingesetzt werden sollen und zwar so- fort, wenn dies nicht eine Herzinsuffizienz, eine absolu- te Hypotonie oder höhergradi- ge AV-Blockierungen und Bradykardie verhindern sollten.
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Nachdem in verschiede- nen Studien (norwegische Studie mit Timolol, schwedi- sche Studie mit Metoprolol, amerikanische Studie mit Pro- pranolol) der eindeutige Nachweis erbracht wurde, daß Betablocker bei Patienten mit überstandenem Herzin- farkt einen wirkungsvollen, statistisch signifikanten Schutz vor Reinfarkt und plötzlichem Herztod erbrin- gen, ist es durchaus gerecht- fertigt, jeden davon Betroffe- nen langfristig mit Betablok- kern zu behandeln.Besonders eindrucksvoll hat dies die 1978 begonnene amerikanische Studie aufge- zeigt, die bis Juni 1982 laufen sollte. Sie wurde jedoch be- reits im Oktober 1981 abge- brochen, da sich schon da- mals ein deutlicher Trend zu- gunsten der mit Propranolol behandelten Patienten erge- ben hatte. Eine Fortführung dieser Studie war aus ethi- schen Gründen gegenüber der nichtbehandelten Kon- trollgruppe nicht vertretbar.
Bei der Behandlung mit Beta- blockern war die Sterblichkeit um 26 bis 44 Prozent herabge- setzt, und die Häufigkeit eines erneuten Infarktes sank um knapp 30 Prozent. Das besagt, daß zumindest in dem beob- achteten Zeitraum jeder 2. bis 3. Patient von den Folgen ei- nes Reinfarktes geschützt werden konnte. In Zahlen aus- gedrückt bedeutet dies bei- spielsweise für die USA, wo etwa 350 000 Patienten jäh r- lich einen akuten Herzinfarkt überleben, daß in dem darauf- folgenden Jahr nicht wie bis-
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her 10 Prozent, sondern nur noch etwa 28 500 Todesfälle auftreten werden. Diese Fest- stellungen treffen aber ledig- lich auf Maßnahmen im Rah- men der sekundären Präven- tion zu, für die der primären Prävention liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor.
(1) In Kenntnis dieser eindeu- tig belegten Besserung der Prognose quo ad vitam im Rahmen der sekundären prä- ventiven Maßnahmen ist durchaus sowohl im Analo- gieschluß als auch auf Grund der näher aufgeklärten Wir- kungsweise der Betablocker deren Einsatz im Rahmen der Primärprävention möglich und sachlich gerechtfertigt.
Die nächsten Jahre werden si- cherlich dazu nähere Aussa- gen erbringen. Sollte die rechtzeitige, prophylaktische, kontinuierliche Applikation von Betablockern bei mut- maßlich Infarktgefährdeten, bei an einer bis dahin stum- men koronaren Herzkrankheit Leidenden oder besonderen Risikopatienten zur Vermei- dung oder wenigstens Redu- zierung eines Herzinfarktes oder plötzlichen Herztodes beitragen, so hätten wir eine einfache, praktisch ohne wei- teres anwendbare, hochwirk- same Waffe im Kampf gegen den Herzinfarkt in der Hand.
Dies wäre um so wünschens- werter, als die bisher vorlie- genden Ergebnisse einer län- geren Antikoagulation nach Herzinfarkt nicht in allen Stu- dien auf eine eindeutige Re- duzierung der Infarktquote hinweisen. Vielleicht ist je- doch später namentlich für das erste Jahr nach dem In-
farkt auch eine Kombinations- behandlung von Antikoagu- lantien und Betablockern noch sinnvoller als die alleini- ge Gabe von Betablockern.
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Als strenge Kontraindika- tionen für Betablocker gelten Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, AV-Blockierungen II. und III. Grades, sowie Asth- ma bronchiale und stärkere Bradykardie und Hypotonie.Beim Raynaud-Phänomen sollten nur kardioselektive Betablocker verabreicht wer- den. Auch dann jedoch ist Vorsicht geboten, weil bei die- sen zu einer Vasospastik der
Fingerarterien neigenden Pa- tienten eine präexistente To- nuserhöhung in den Arterio- len vorliegt.
Bei der bis zu 50 Prozent nachgewiesenen Koinzidenz der koronaren Herzkrankheit mit der arteriellen Verschluß- krankheit (AVK) der Beine war es bisher in vielen Fällen bei gleichzeitigem Vorliegen bei- der Erkrankungen kontraindi- ziert, einen Betablocker ein- zusetzen, gestützt auf die theoretischen Vorstellungen und der Mitteilung einzelner publizierter Fälle, wonach die Betablockade eine zusätzli- che Vasokonstriktion in den schon ischämischen Gefäß- arealen bewirken würde.
Neuere eigene Untersuchun- gen haben jedoch ergeben, daß im Stadium derClaudica- tio intermittens, also der häu- figsten Form derAVK, sowohl durch kardioselektive wie nichtkardioselektive Beta- blocker keine Verschlechte- rung derperipheren Durchblu- tung erfolgt, offensichtlich
deshalb, weil in der Regulation des Gefäßtonus die meta- bolische Azidose überwiegt und die nervale Regulation völ- lig untergeordnetodergarer- loschen ist. Eineabrupte Blut- drucksenkung sollte jedoch auch aus dieser Sicht nach Möglichkeitvermiedenwer- den. Somit ist der Einsatz der Betablocker also auch im Sta- dium II nach Fontainederarte- riellen Verschlußkrankheitge- rechtfertigt, das heißt, vielen Patienten mit Hypertension oder koronarer Herzkrankheit braucht diese wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit da- her nicht mehr—wie bisher üblich — versagt zu werden.
Literatur
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Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med.
Hubert Mörl Medizinische
Klinik der Universität Bergheimer Straße 58 6900 Heidelberg 1
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